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Sonntag, 17. Juli 2022

Kapitel 160 - Es war einmal


 
Das kleine, lebendige Bündel regte sich in seinen Armen, und das war für Luis so ein Wunder, dass er es noch immer nicht glauben konnte.
     ‚Mein eigener Sohn. Das ist mein Sohn!‘
     Er hatte es nicht für möglich gehalten, aber er war tatsächlich Vater geworden.
     „Und wir bleiben bei dem Namen, ja?“, fragte er.
     Ein schwaches „Hm-hm“ neben sich, das er als Zustimmung deutete. Er achtete kaum darauf, strich seinem Sohn fasziniert über die Stirn, fühlte die weiche, leicht schmierige Haut und das feine Haar, das noch immer ganz feucht war. Es war eine lange, schwere Geburt gewesen. Wie bei ihrem zweiten Kind damals.
     „Dann willkommen auf der Welt, mein kleiner Lucifer“, sagte er dem Neugeborenen liebevoll.
     Lucifer wurde jetzt plötzlich unruhig, gab abgehackte, weinerliche Laute von sich.
     „Ich glaube, da hat jemand Hunger. Vielleicht solltest du ihn füttern?“ Er hielt Lucifer seiner Mutter hin, aber sie machte keine Anstalten, ihn an sich zu nehmen. Sie war merkwürdig still geworden. „Bist du eingeschlafen?“
     Er ging zu ihr, tastete nach ihr, doch sie rührte sich nicht.
     „Liebes?“
     Er tastete nach ihrer Brust, ihrem Hals, hinauf bis zu ihrer Nase, aber sie atmete nicht.
     „J… Jana?“
     Und da erreichte ihn die Erkenntnis, dass sie gestorben war, und die Panik ergriff von ihm Besitz.


Die Panik begleitete ihn auch noch, als er erwachte, sodass er ohne Rücksicht auf Verluste hochfuhr und jemanden dadurch weckte. Und als realisierte, wer bei ihm war, erschrak er noch ein bisschen mehr.
     „Was denn los?“, hörte er Janas verschlafene Stimme, und da gesellte sich Aufregung zu seiner Angst. „Hast du ‘ne Vision gehabt?“
     Die Aufregung war noch schlimmer als jene, die er damals bei Luna empfunden hatte. Sie beraubte ihm jeglicher Worte, ließ sein Herz rasen, sodass er befürchtete, dass sie es würde hören können. Er musste sich zwingen, wenigstens zu nicken.


„Was hast du gesehen?“, fragte sie wacher.
     Er schaffte es nur, den Kopf zu schütteln. Sie schwieg einen Moment, den er vergeblich versuchte, sich verdammt nochmal zusammenzureißen.
     „Warum erzählst du mir nicht mehr, was du siehst?“, fragte sie ihn traurig.
     ‚Ich habe es ihr nicht erzählen können, weil ich nicht wollte, dass sie mich hasst‘, wurde ihm klar. ‚Weil ich dachte, ich wäre es gewesen, der all diese schrecklichen Dinge tun würde. Und jetzt, da ich weiß, dass ich es nicht sein werde, sondern unser Sohn, kann ich es ihr erst recht nicht erzählen.‘
     „Immer nur Luna. Seitdem sie hier ist, erzählst du mir gar nichts mehr. Magst du mich etwa nicht mehr?“
     „N-natürlich nicht!“, rutschte es ihm glücklicherweise raus.
     ‚Im Gegenteil.‘


Sein Herz raste und als er jetzt ihre Hände auf seinen Knien spürte, merkte, dass sie ihm ganz nahe sein musste, legte es einen Vollstopp ein, dass er glaubte, keine Luft mehr zu bekommen.
     „Lui, ich muss dir was sagen – “
     „Mir ist schlecht“, fuhr er hastig dazwischen, bevor sie es aussprechen konnte.


Er sprang auf, sodass Jana von ihm fortgehen musste, rannte beinahe gegen jeden Pfeiler, kam es ihm vor, bis sie ihn erreicht hatte und führen konnte. Ihre Berührung machte ihn benommen. Er fühlte sich so losgelöst, während sie durch die Kälte der noch jungen Frühlingsnacht gingen. Es fühlte sich alles so unwirklich an. Am liebsten wäre er davongelaufen.


Die nächste, viel zu kurze Zeit verbrachte er würgend in der Hocke. Seine Gedanken kreisten, und er schaffte es einfach nicht, sie davon abzuhalten. Sich zu überlegen, was er jetzt tun sollte. Der Gestank von Urin biss ihm in die Nase, aber es kam nichts aus ihm heraus, sodass er irgendwann gezwungen war, wieder zu ihr zurückzukehren, obwohl er alles andere wollte, als das.
     „Geht es wieder?“, fragte sie ihn.
     Er nickte. „Fühl mich elend. Will mich hinlegen“, sagte er abgehackt zu ihr.


Sie nahm wieder seinen Arm, führte ihn natürlich in den Stall zurück. Er hatte ihr ja schlecht sagen können, dass er lieber in sein Bett gewollt hätte. Weg von ihr. Es war schließlich die letzte Nacht, die sie miteinander hatten, bevor er morgen weggehen würde. Deswegen war da auch ein großer Teil in ihm, der doch nicht wollte, dass sie wegging. Er war so zerrissen.


Aber als er sich schließlich wieder hingelegt hatte und sie sich natürlich zu ihm legte, sich sachte an ihn schmiegte, erlaubte er sich erstmals, diesem Teil von sich nachzugehen. Sich von der Aufregung durchströmen zu lassen, die ihre Anwesenheit in ihm auslöste. Das Glück zu empfinden, dass die Frau, die er liebte, bei ihm war. Ihm nahe war. 


 
‚Nachdem Luna mich damals abgewiesen hat, war ich so schrecklich einsam, und dass ich zu den Göttern zurückgefunden habe, hat mich gerettet, aber danach war es dennoch Jana, die meine Einsamkeit vertrieben hat. Sie war immer für mich dagewesen, hat mir immer geholfen, hat meine Nähe gesucht, und Aan hatte recht, ich habe das genossen. Ich habe es herbeigesehnt, dass sie bei mir ist. Ich liebe Luna, aber ich habe mich auch in Jana verliebt, und ich weiß nicht einmal, wann das eigentlich passiert ist. Ich habe es nicht einmal bemerkt. Wie konnte ich es nur nicht bemerken?
      Ob sie mich wohl auch liebt? Ich hätte nie gedacht, dass eine Frau wie Jana mich lieben könnte, aber wenn sie jetzt noch nichts für mich übrig hat, wird sie es irgendwann tun. Ich habe schließlich gesehen, dass wir einen Sohn zusammen haben werden – haben könnten – und ich glaube nicht, dass das ein Unfall gewesen war. Ich habe sie ja auch „Liebes“ genannt. Vielleicht… vielleicht sollte ich doch bleiben. Ich will so sehr bei ihr bleiben.‘
 

 
Aber er wusste auch, dass das unmöglich war. Wenn er blieb, würde nicht nur Lucifer geboren werden, sein Sohn, der all diese Gräueltaten begehen würde, sondern würde seine Geburt Jana auch das Leben kosten. Er hatte es schließlich „gesehen“. Er hatte die Angst gespürt, als ihm bewusst geworden war, dass sie gestorben war.


Auch jetzt ergriff die Angst wieder Besitz von ihm, als er sich in Erinnerung rief, dass er Jana verlieren würde oder könnte, und da legte er ganz automatisch die Arme um sie, drückte sie an sich. Und Jana antwortete, indem sie sich noch ein bisschen enger an ihn schmiegte, ihn mit einem Bein umschlang, dass er alle Mühe hatte, die weiche Wölbung an seiner Seite zu ignorieren. Er durfte ihr nicht zeigen, was ihre Nähe mit ihm machte. Sie durfte nicht wissen, dass er sie wollte, denn wenn sie ihm sagen würde, dass sie ihn jetzt schon liebte und ihn bitten würde, zu bleiben, würde er ihr das, entgegen besseren Wissens, nicht ausschlagen können. Er wollte ja auch nicht fort. Die Vorstellung, sie morgen verlassen zu müssen, brachte ihn beinahe um.
      ‚Aber es geht nicht anders. Wenn ich hierbleibe, wird Lucifer geboren werden und Jana wird sterben. Das kann ich nicht zulassen. Und ich kann es ihr nicht einmal sagen. Denn wenn sie es wüsste, würde sie mich erst recht nicht gehen lassen. Sie würde stur behaupten, dass sie einfach nicht sterben würde und dafür sorgen würde, dass Lucifer ein guter Mensch wird. Sie würde alles tun, dass er geboren wird. Sie würde niemals zulassen, dass er um seine Existenz betrogen wird. Nicht so wie ich, der ich meinen eigenen Sohn töten werde.‘ 
 

 
Lucifer, seinen Sohn, den er so viele schreckliche Dinge hatte tun sehen, und doch… doch erinnerte er sich auch an die Freude, die er bei dessen Geburt empfunden hatte. Das kleine Bündel in seinen Armen. Das Gesicht, das er nur einmal verschwommen im Wasser gesehen hatte und das er nie sehen würde. Sein Lachen, sein Leiden, wenn er fiel und weinte, die Dinge, die er erreichen würde und die ihn mit Stolz erfüllen würden. Das alles würde niemals geschehen, und er war schuld daran.


Bevor er sich versah, spürte er Tränen in seinen Augen und da musste er Jana noch ein bisschen mehr an sich drücken. Er klammerte sich an sie, und sie erwiderte das, und so lagen sie zusammen in der Dunkelheit, beieinander, ein letztes Mal, und litten. Sie taten in dieser Nacht kein Auge zu, aber sie sprachen auch kein Wort mehr miteinander.


Am nächsten Morgen schien die Sonne an einem strahlend blauen Himmel, beinahe keine Wolke war zu sehen und es wehte ein kräftiger, jedoch nicht zu starker Wind. Kurzum: Es war ein perfekter Tag, um loszufahren.
     Auch die Natur war aus ihrem langen Winterschlaf erwacht, alles blühte und grünte, doch die Versammlung am Hafen zollte der Schönheit des wiedergekehrten Frühlings keine Aufmerksamkeit. Auf den meisten Gesichtern sah es sogar eher nach Regenwolken aus. Manche wirkten, als würden sie nie wieder die Sonne sehen.


Lulu war schon seitdem sie an diesem Morgen aufgestanden war am Weinen, und obwohl Jana gefasster aussah, ging es ihr genauso.


Adelaide weinte ebenso hemmunglos über das Weggehen ihres Bruders.


Lediglich die Verwandten und Freunde von Malah, Alek und Luna trugen den nahenden Abschied mit Fassung. Alek wurde gerade von seiner Mutter umarmt.


Malah versicherte sich zum gefühlt tausendsten Male bei ihrem Großvater, dass sie auch ja ohne sie zurechtkommen würden.


Und obwohl er seine Tochter nur ungern ziehen ließ, wünschte Wulfgar Luna eine gute, sichere Reise, anstatt sie mit Abschiedsschmerz zu belasten.


Es war kurz, bevor sie losfuhren, dass Jana schließlich zu Luis ging und ihn ein letztes Mal in den Arm nahm. Die anderen Reisenden ließen ihnen ihren Abschied, gingen an Bord, um zu Nara zu stoßen, die schon lange dort war. Von ihrer Familie war niemand gekommen, um sie zu verabschieden.
     Da Lulu schon herzgebrochen genug war, dass auch noch ihr letzter Sohn ging, hatte Alin Marduk darum gebeten, die Fahrt zu übernehmen, dass wenigstens er bei seiner Verlobten bleiben und sie trösten konnte.
     Sie würden zunächst den Hafen ansteuern, an dem Lu, Wulfgar und Elrik einst angelegt hatten, um Anya zu suchen. Rufus hatte sie dazu eingeladen, vorerst bei ihm in seiner neuen Villa zu bleiben. Luna und Luis wussten noch nicht, wohin sie letztendlich gehen würden, Malah und Alek planten, zumindest Elrik und Anya zu besuchen, sobald sie sich der Sprache und Sitten vor Ort ein bisschen sicherer waren. Sie hatten zwar die letzte Zeit dazu genutzt, um sie von Wulf zu lernen, aber während Isaac und Aan die fremde Sprache inzwischen fließend sprechen konnten, verstanden sie sie gerade einmal rudimentär.


Letztendlich fiel auch der Abschied bei Jana und Luis tränenreich aus – vor allen Dingen bei ihnen – und sie alle konnten sehen, was die beiden Liebenden bislang versteckt hatten. Aber obwohl es ihm unendlich schwer fiel, obwohl er mehr als nur einmal beinahe der Versuchung erlegen wäre, doch zu bleiben – hier bei ihr – löste sich Luis schließlich von der Frau, die er liebte und die er nicht haben konnte. Sie war glücklicherweise stark genug, keine Szene zu machen, ihn nicht zurückzuhalten, doch sie hatte nicht mehr die Kraft, ihre Tränen und ihren Herzschmerz zu verstecken. 
    Es war schließlich Lu, und nicht Aan, der ankam, um Jana in den Arm zu nehmen, und Luna, die zurückkam, um Luis an Bord zu holen.


Malah ließ den Blick über die Menschen streifen, die sie zurückließen, ein letztes Mal spürte sie das Bedauern darüber, zweifelte an ihrer Entscheidung, aber dann kehrte sie ihnen schließlich den Rücken und ging nach vorne zum Bug. Das Schiff legte ab, sie spürte, wie das Schwanken unter ihren Füßen stärker wurde, und wurde von den Wellen davongetragen. Fort aus der Heimat. Hinein ins Ungewisse. 


 
„Am Anfang waren wir allein. Wir waren verletzlich.“


 
„Dann fanden wir uns. Schlossen uns zusammen, zu Familien, zu Gemeinschaften, zu Stämmen.“


 
„Wir waren nackt. Doch dann begannen wir uns zu umhüllen.“


 
„Es war kalt und dunkel in der Nacht, bis wir das Feuer entdeckten.“


 
„Es war still, und wir fanden unsere Stimme.“ 


 
„Erzählten Geschichten. Sangen Lieder.“


 
„Wir waren allein.“


 
„Wir waren zusammen.“


 
„Wir waren viele.“


 
„Vom Anbeginn der Zeit an bis zum Ende.“


„Wir waren einst der Uruk-Stamm.“


„Aber jetzt ist es an der Zeit, eigene Wege zu gehen.“


„Und auch wenn der Abschied schwer fällt, auch wenn wir nicht wissen, welchen Weg wir gehen werden, müssen wir vorwärts gehen.“


„Immer weiter. Schritt für Schritt.“


„Hinein in die Zukunft. Hinein in ein neues Zeitalter.“        
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Hier geht es zum Epilog!

 

Und falls jemand mal Lucifer, den Sohn von Jana und Luis, sehen will, hier unterm Spoiler:
 


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