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Sonntag, 17. Juli 2022

Kapitel 22 - Tot geglaubte leben länger oder unerwarteter Familienzuwachs


Ein weiteres Mal ergriff die Leichtigkeit von ihr Besitz. Ein Flug, ein Fall, ein endloser Sturz.
Sie fühlte sich ausgelaugt, hatte keine Kraft, keine Lust mehr, um zu weinen, zu hassen, vor der Angst davonzulaufen.
Schlaf, das war alles, was sie nun noch begehrte. Eine einzige Nacht ohne bösen Albtraum, ohne die Erinnerungen in ihrem Kopf, die nicht ihr gehörten.
Und die Leichtigkeit in ihr, das Kribbeln im Magen, die Müdigkeit, die nach ihr griff, sie so wunderbar betäubte.
Doch mit einem Mal war sie wieder da. Der harte Holzboden an ihrem Rücken, spürte sie jeden einzelnen ihrer Muskeln, verkrampft, vor Angst und Erschöpfung.
Ein Schwirren in ihrem Kopf, als sie sich aufzurichten versuchte. Brummen in ihren Ohren. Ihre Augen blind, sahen keinerlei Farbe mehr.
Von irgendwoher das Rauschen von Blättern.​
 

Und dann kam die Farbe so plötzlich zurück, dass es ihr mit scharfen Messern in die Augen stach. Die Sonne lachte ihr schadenfroh ins Gesicht. Kälte um sie herum und der Schweiß, der ihre Kleider durchnässte, ihrem Körper aber keine Abkühlung verschaffte.
Von weit entfernt ein Wimmern, ein leises Schluchzen, voller Sehnsucht und Schmerz. Ein gedämpfter Aufschrei folgend, ob glücklich oder voller Angst, dass konnte sie nicht sagen.
Zwei große raue Hände an ihren Armen, umschlangen sie, zogen an ihr und zwangen sie auf die Beine.
Sollte sie sich wehren? Ihr Kopf konnte ihre Gedanken nicht halten.
Doch wie sollte sie? Ihre Beine fühlten sich unwirklich an, sie schwankte, musste sogar festgehalten werden, um nicht wieder zu fallen.​


Um sie herum nur Leere. Keine Frage, kein Gedanke in ihrem Kopf. Doch ihre Augen sahen wieder, blickten sich neugierig um, nach dem Leben, das ihr fehlte.
Und fanden es. Die grünen Augen, die sie ansahen, unter markanten Wangenknochen ein Mund, der sich wehleidsvoll zu einem Lächeln verzog, ihr zuliebe.
Und plötzlich stockte ihr der Atem. Wurde sie von einem warmen, einschläfernden Bad in einen eiskalten Kübel geworfen.
Ihre Stimme versagte, nur ein paar erstickte Laute verließen ihre Kehle.
"Vater!"
Ihre Knie zitterten gefährlich. Sie stieß sich von ihrem Retter frei, sah ihn voller Verwirrung und Glück an.
Wieder einmal war es die Realität, die ihr sehr hart bewusste machte, dass dies nicht sein konnte, dass dieser Mann nicht ihr Vater war.​


"Er sieht deinem Vater wirklich sehr ähnlich..."
Eine raue Stimme drang zu ihr vor, abgenutzt, doch schon zu lange nicht mehr in Gebrauch. Sie kam ihr bekannt und auch seltsam vertraut vor.
Eine weitere Drehung. Und drei Blicke.
Auf den ersten Blick erkannte sie niemanden in der alten Frau.
Auf den zweiten Blick nur die Köchin, die sie einst nach dem Weg zu Jerret gefragt hatte.
Auf den dritten warf man sie in ein noch kälteres Becken.
Ein weiteres Mal die Fassungslosigkeit. Das war zuviel für sie.
"Mutter?"
 Tränen standen der bereits greisen Frau in den Augen, schienen nie fortgewesen zu sein. Sie nickte mit schweren Bewegungen.
"Wie... wie... Du wusstest, dass ich hier bin? Du wusstest es! Warum.. warum..."
Eine plötzliche Wut in ihrem müden Magen.
Babara von Garner senkte den Blick.
"Ich war schon immer eine schlechte Mutter gewesen. Und bin es geblieben, habe Charlotte und dich einfach im Stich gelassen, als ihr mich am meisten brauchtet."​


"Ich habe mit angesehen, wie dieser Mann meine Familie zeriss, mein eigenes Kind aus dem Hause in die Ungewissheit trieb und das andere schändete und entehrte. Doch ich habe nichts dagegen getan."
Plötzlich hob sie ihre Hände, fassungslos mit sich selber ringend. Ihre faltigen Arme zitterten.
Und da wurde Hannah das erste Mal bewusst, wie alt ihre Mutter geworden war. Sie wirkte so zerbrechlich, nichts mehr übrig von der einstig starken und anmutigen Frau.
Sie schüttelte nun selber den Kopf.
"Nein, du hättest nichts gegen diesen Mann tun können. Er hatte euch in der Hand."
Barbara tat es ihrer Tochter gleich. Doch Hannah brachte sie mit einer Handbewegung schnell zu Schweigen. Sie wollte sich jetzt nicht darüber streiten.
"Aber weshalb hat er dich am Leben gelassen?"
Die Mutter schüttelte abermals traurig den Kopf. Und gleichzeitig loderte eine Flamme von Hass in ihren Augen.
"Er hat zuerst versucht, meinen Willen zu brechen und mit mir ein Kind zu zeugen, war Charlotte damals doch noch zu jung dafür. Aber es funktionierte nicht. Also hat er mich gelassen,ich hatte längst keinen Lebensmut mehr, und sich das Geld für eine Köchin gespart."​


Allseitiges Schweigen, jeder in seinen eigenen Gedanken versunken.
Ein Schwall Kälte streifte plötzlich ihren Arm, Gänsehaut auf ihrem ganzen Körper.
Und da war sie plötzlich wieder. Die Erinnerung, die sich mit den längst vergangenen von Charlotte vermischte, sie hatte glauben lassen, dass dies genauso unwirklich für sie war wie jene.
"Gabriel! Was... was ist mit Gabriel?"
Sie sah sich im Raum um. Und ihr Blick blieb an dem Unbekannten neben ihr hängen. Er schüttelte den Kopf.
"Großmutter hat ihn erschossen, als er dich angriff. Es ging nicht anders", meinte er mit einem Blick auf Barbara.
Wieder zu viele Informationen für Hannah. Großmutter? Sie hatte ihn erschossen? Gabriel war tot?
"Großmutter?", drängte sich diese Frage schließlich in den Vordergrund.
"Ja. Das ist Alexander, der erste Sohn von Charlotte und...", Barbara brach ab.
"Mein Neffe?"
Alexander nickte. "Einer von zweien."
Und Hannah war sich sicher, eine Spur von Traurigkeit in seiner Stimme zu hören.​


Wieder einmal stellten sich Gedanken in den Vordergrund, die sie von ihrem eigentlichen Ziel abzubringen drohten. Sie wusste nicht, wie sie sich jetzt verhalten sollte. Zu früh war es, um sich zu freuen. Also tat sie einfach gar nichts,
Sondern drehte sich nur um, ihre hochgewachsene Statur blickte ihr in dem kalten Spiegel entgegen. Ihre Schwester bei ihr. Sowohl die Sanfte, als auch die Rachsüchtige. Stärkten und entkräftete sie.
"Zerstöre ihn! Bitte!", drangen Charlottes Worte drangen zu ihr durch.
Bevor sie genau wusste, was sie tat, hatte sie den Kerzenständer neben sich ergriffen, eine schnelle, heftige Bewegung, und unzählige Scherben erfüllten den Raum, manche fein wie Staub, glitzernd, andere so groß, dass sie ihr den Arm zerschnitten.
Ein Schrei erfüllte den Raum. Schwach, aber doch kräftig genug, um noch Sekunden später in den Ohren nachzuhallen. Wurde zu einem Gurglen, einem heiseren Krächzen und erstickte schließlich vollends.​

 
Und dann lief sie plötzlich, fiel auf die Knie, als hätten Charlottes Gefühle über den Verlust ihres Sohnes von ihr Besitz ergriffen. Seine trüben Augen, die nur matt blickten, zu seinem ebenfalls toten Bruder hinübersahen. Und doch war ihr, als ob er lächelte. Hatte er endlich den Frieden gefunden, den er gesucht hatte, das erfüllt bekommen, nach dem er sein ganzes, junges Leben lang gesucht hatte?
Hannah konnte sich die Tränen nicht mehr verkneifen.
Keinen von den Jungen hatte sie sonderlich gemocht, aber dennoch war sie traurig, dass sie nun gegangen waren.​


Es war ein ruhiger, sonniger Sonntagmorgen.
In dem alten Herrenahus war man schon längst vor dem ersten Hanhnenschrei auf den Beinen.
Geschäftiges Treiben unter den zerissenen Bewohnern.
Die taunassen Blätter hatten in der Morgendsonne geglänzt, als man in die feuchte Erde vorgestoßen war. Ein längliches Loch zu graben. Und noch eines. Insgesamt vier davon.
Neben Dorothea und ihrer Mutter, hatte man den kleinen Gabriel vergraben und obwohl zwischen den Halbbrüdern ein Kampf geherrscht hatte, Aiden neben ihm.
Harriet Morgen wurde neben Charlotte begraben und das vierte Grab, dazu hatte man sich einstimmig entschlossen, dem alten Hausdiener Jerret als letzte Ruhestätte zu geben.
Nur der falsche Graf, den verscharrte man irgendwo hinterm Haus, auf das irgendwann ein paar Hunde ihn vielleicht wieder ausbuddeln würden.​
 

Hannah sah nicht zurück, als sie erleichtert und doch so viel bedrückter als zuvor, das Grundstück durch das alte Eisentor wieder verließ.
Sie war allein, hatte dies so gewollt. Alexander und Barbara waren geblieben, würden noch schnell ein paar Dinge packen, bevor ihr Neffe seine Großmutter mit sich in die Stadt nehmen würde, wo er mit seiner Frau und seinen Kindern lebte.
Hannah hatte sich einfach nicht freuen können, sie wieder zu haben. Wie oft hatte sie sich gewünscht, ihre Mutter einmal nur noch zu sehen? Und jetzt war sie da, doch alles, was sie jetzt empfand, war nur mehr Leere.
Und deshalb war sie einfach gegangen. Hatte ihre Sachen nicht einmal mehr packen können, sich nur schnell etwas anderes angezogen und war gegangen. Denn sie hatte es keine Sekunde mehr länger an diesem Ort ausgehalten, der nun wieder ihr gehörte. Dem einzig noch lebenden Erben, nachdem auch Alexander auf den Anspruch verzichtet hatte.
Alles, was sie sich noch wünschte, war, dass sie nie hergekommen wäre, obwohl auf der anderen Seite sie auch gerade froh war, es doch getan zu haben.
Denn sie hatte erfahren, was mit ihrer Familie passiert war, hatte erfahren, dass einige tot geglaubte Verwandte noch lebten, hatte ihre Rache bekommen und helfen können.​

 
Doch zu welchem Preis? Vier Menschen, die sie nicht einmal richtig kennen lernen durfte, waren nun tot.
Und selbst dass der Mann, den sie hatte tot sehen wollen, seine Strafe bekommen hatte, war nun nicht mehr von Bedeutung für sie.
Hass und Missgunst! Das war es, was diese Familie zerissen hatte. Jeder nur auf sich bedacht.​


Ein Vater, der der Mutter so viel Leid zugefügt hatte, nur eines Adelstitels wegen.
Ein Sohn, der dem allen entfloh.
Ein weiterer, der nur die Liebe seiner Mutter wollte.
Ein Kukuckskind, dass genau dies von seinem Vater wollte.
Beide so unterschiedlich und doch so gleich.
Und eine Tochter, getötet von der eigenen Mutter, selbst auf der Suche nach Vergeltung, doch nicht einmal wissend, wie sie diese Vergeltung erlangen konnte.
Was aus dem Mädchen geworden war?
Das wusste sie selber auch nicht. Wünschte ihr, dass sie endlich Frieden gefunden hatte. Doch sicher war sie da nicht. Sie hatte Dorothea jedenfalls nicht mehr gesehen.​

 
Und mit einem letzten Gedanken zurück an die Dinge, die sie lieber vergessen wollte, kehrte sie der Sonne den Rücken und verließ die Welt, die sie besser nie kennen gelernt hätte.​

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