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Samstag, 30. Dezember 2017

Kapitel 7 - Das Mädchen ohne Namen




Der Schmerz kam am Abend, als sie gerade Schlafengehen wollte, und er durchfuhr sie mit einer solchen Heftigkeit, dass sie dachte, sterben zu müssen. Er zwang sie in die Knie, krümmte sie und für einen Moment wechselte ihre Sicht von tanzenden Lichtpunkten zu absoluter Dunkelheit. Als sie wieder sehen konnte, war da nur noch eine immer größer werdende Lache unter ihr. Erst da war sie in der Lage zu schreien.


Als Tibit den Kopf aus dem Zelt streckte, waren alle Augen sofort auf ihn gerichtet. Die nächtliche Ruhe war durch Lumas Schrei zerschnitten worden, und das hatte sie alle aus dem Schlaf geschreckt. Seitdem warteten sie darauf, dass ihr Medizinmann ihnen entweder schlechte Nachrichten überbrachte oder aber Entwarnung gab. Doch keiner von ihnen konnte im Gesicht des alten Mannes lesen. Es war für Tibits Verhältnisse ungewöhnlich verschleiert. Und das besorgte vor allen Dingen Enn umso mehr.


Sofort war er bei dem Medizinmann. „Werden sie es schaffen?“
     Tibit wollte den Kopf schütteln, besann sich dann aber eines besseren. Stattdessen sagte er: „Das kann ich noch nicht sagen. Sie ist schwach und das Kind will nicht kommen, obwohl es Zeit dafür ist.“ Er ließ dem anderen Mann einen kurzen Moment, bevor er hinzufügte: „Ich kann jedenfalls nicht mehr viel für sie tun. Ich werde einen Baum suchen gehen, dessen Rinde Schmerzen lindert, aber es liegt jetzt an ihr.“
     Dann war er an Enn vorbeigegangen, hatte Hund ein Zeichen gegeben, woraufhin der Wolf an seine Seite getrottet kam, und war Richtung Wald verschwunden.


Zurück blieb ein überaus besorgter Enn. Es war eine schlimme Sache, wenn ein Kind bei der Geburt starb, aber es war doppelt so hart, wenn die Mutter mit ihm ging. Und er wollte Luma auf keinen Fall verlieren. Nach all der Zeit, die er jetzt schon bei ihr war, konnte er sich nicht mehr vorstellen, ohne sie zu sein.
     Während er das dachte, fiel sein Blick auf seinen Sohn Lenn, der noch immer in seinen Armen weinte. Er konnte nicht einmal etwas tun, um ihn zu trösten. Was nur sollte er tun, wenn Luma nicht mehr da war, wenn er nicht einmal seinen eigenen Sohn beruhigen konnte? Bei dem Gedanken daran wuchs die Sorge in ihm noch ein Stück weiter und sie drohte nun immer mehr, in Verzweiflung umzuschlagen.
     Das erkannte auch Tara, die in diesem Moment vor ihn trat und ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter legte. Solange sein Vater so unruhig war, würde auch der Kleine sich nicht beruhigen. „Geh ruhig zu ihr! Ich werde mich um Lenn kümmern“, bot sie an.
     Enn starrte sie einen Moment lang an, als würde er nicht verstehen, was sie meinte. Dann aber nickte er schließlich, übergab den Kleinen an Tara und verschwand in dem Zelt, in dem sie Luma noch immer leise vor Schmerzen stöhnen hören konnten.


Tara indes kehrte an ihren Platz zurück und begann, Lenn beruhigend in den Schlaf zu wiegen. Wie viele kleine Kinder merkte auch dieser Kleine, dass etwas nicht stimmte. Doch Tara konnte ihre Sorge um die Freundin gut verstecken, und so schaffte sie es schnell, dass der Junge das Weinen wieder einstellte.
     Eine ganze Weile, nachdem er verstummt war, herrschte danach Stille. Nur das unregelmäßige Knacken der Holzscheite im Feuer und Lumas schmerzerfüllte Laute waren zu hören. Irgendwann in dieser kurzen Zeit schaffte es Lenn endlich, in Taras Armen einzuschlafen.


„Es wundert mich, ehrlich gesagt, dass das nicht schon viel früher passiert ist“, brach Sen neben ihr schließlich die Stille.
     „Sen!“, versetzte Tara empört. „Meinst du nicht, dass das ein bisschen…“ Sie hatte nicht einmal ein Wort dafür. Sie wusste, dass er es nicht böse gemeint hatte, aber es war trotzdem, als würde er Luma schon tot sprechen.
     „So war das ja nicht gemeint.“ Er zog die Schultern in die Höhe. „Es ist nur, dass ich schon ein bisschen rumgekommen bin und bei der einen oder anderen Geburt zugegen war. Und nicht alle sind so glatt gelaufen, wie die euren.“ Er hob abwehrend die Hände. „Ich bin natürlich froh, dass bislang alles gut gegangen ist, aber… nun, frag mal Tibit, der kann dir auch einiges darüber erzählen.“
     Tara wusste selber gut genug, dass Tibit schon viele Todesfälle in Verbindung mit Schwangerschaft und Geburt gesehen hatte. Das hatte er ihr damals, als sie selber mit Tanna schwanger gewesen war, schließlich oft genug erzählt. Am Anfang hatte sie seine Sorge noch gerührt, aber irgendwann war sie nur noch genervt gewesen.
     „Luma wird das überstehen!“, sagte sie schließlich mit fester Stimme, obwohl sie selber nicht einmal davon überzeugt war.


Sen verkniff sich einen weiteren Kommentar dazu. Egal, was er sagte, es würde ohnehin nicht helfen. Schwangerschaften und Geburten waren immer eine gefährliche Sache. Er war froh, dass Lu und Jin da waren, und er war Tara und Luma auch sehr dankbar dafür, aber vielleicht war das auch ein Grund, warum er nie wieder Anstalten gemacht hatte, ein weiteres Kind zu zeugen. Er wollte einfach nicht verantwortlich dafür sein, dass jemand starb und er im Endeffekt die Schuld daran hatte.


Tibit derweil hatte den Baum mit der schmerzstillenden Rinde inzwischen gefunden. Die Rinde war verstaut und er war bereit zum Aufbruch, aber er machte trotzdem keine Anstalten, jetzt schon wieder umzudrehen. Stattdessen blickte er zum Himmel, der fleckig durch das lichte Blätterdach über ihm lugte, und hob die Hände zu den Sternen empor.
     „Oh, großer Geist des Lebens“, begann er, „ich bitte dich darum, Mutter und Kind in dieser Nacht zu behüten! Gewähre ihnen deine heilsame Berührung, schenke ihnen deinen lebensbringenden Hauch!“
     Er konnte den Geist des Lebens nicht sehen. Das hatte er noch nie gekonnt. Die Geister der Toten, sie kamen zu ihm, aber der Geist des Lebens hatte sich ihm noch nie gezeigt. Aber er wusste, dass er da draußen war. Er wusste, dass er existierte. Und wenn es jemanden gab, den er hören konnte, dann war es er. Das hoffte er zumindest.


Der Geist des Lebens war überall. In den Pflanzen, den Tieren, in ihm und den Anderen. Selbst die Flüsse und der Wind trugen ihn mit sich. Und als er ins Lager zurückkehrte und die Sonne gerade am Horizont in den Himmel zu steigen begann, sah er den Geist des Lebens auch in ihr. Denn die Sonne war es, die mit ihren wärmenden Strahlen ihnen allen das Leben schenkte. Gleich dem warmen Schoß einer Mutter. Auch wenn sie dieses Jahr noch so schwach war, wie ein Neugeborenes, obwohl sie längst kräftig am Himmel hätte stehen sollen.
     Luma stieß in dem Moment, als Tibit zurückkehrte, einen schwachen Schrei aus, bevor sie ihrem Mädchen nach vielen harten Stunden schließlich auf die Welt half. Alles, was sie noch sagen konnte, bevor die Erschöpfung sie übermannte war: „Wir brauchen einen Namen für sie.“ Dann waren ihre Augen zugeklappt, und Enn hatte der Schrecken durchfahren, dass sie gestorben sein könnte. Doch als er gesehen hatte, dass sich ihr Brustkorb weiterhin sachte hob und senkte, hatte er sich wieder beruhigt.


Doch die Sorge um Mutter und Tochter war geblieben. Luma würde es vielleicht schaffen, aber für das Mädchen, das sie zur Welt gebracht hatte, sah das wiederum ganz anders aus. Es war ein dünnes und schwaches kleines Ding. Es hatte nicht einmal die Kraft gehabt, einen Schrei auszustoßen, hatte nur kraftlos dagelegen und mit äußerster Mühe das Atmen begonnen. Sie alle wussten, dass das ein schlechtes Zeichen war.
     Sie hatten es daraufhin in Felle gewickelt, waren mit ihm in die Sonne gegangen und hatten versucht, es zu füttern, aber es hatte nicht einmal versucht, bei Tara zu trinken. „Es scheint nicht den Willen zum Leben zu haben“, hatte Tibit nur gesagt und den Kopf geschüttelt.


Die Sonne war immer höher in den Himmel geklettert, und schließlich hatte Tibit den Kopf wieder aus Lumas Zelt gesteckt und Enn nach drinnen gerufen. Das Mädchen ohne Namen war daraufhin an Tara übergeben worden und die hatte es letztendlich Lu in die Hände gedrückt, als die anderen, hungrigen Kinder ihre Aufmerksamkeit gefordert hatten. 
     Und so war das Mädchen ohne Namen an Lu gekommen, der momentan vollkommen überfordert mit ihr war. Er hatte natürlich mitbekommen, was geschehen war, und wie alle anderen hoffte er natürlich auch, dass Luma und ihre Tochter überlebten. Aber momentan hatte er viel zu viel Angst davor, das kleine Mädchen fallen zu lassen oder kaputt zu machen. Sie wirkte so klein und zerbrechlich. Selbst das Atmen schien ihr schwer zu fallen.
     Was sollte er tun? Vielleicht sollte er mit ihr reden? „Also… ähm… vielleicht solltest du etwas essen. Danach wird es dir bestimmt besser gehen.“ 
     Er kam sich nicht nur ziemlich dämlich dabei vor, es war auch ziemlich dämlich zu glauben, dass sie ihn verstehen würde. Und natürlich tat sie das nicht. Natürlich nahm sie nicht einmal Notiz von ihm. Sie lag nur da und atmete rasselnd.


 In dem Moment kam Jin, satt und quietschvergnügt, aus dem Verschlag, in dem er schlief und begann, auf die kleinen Trommeln zu hauen, die die Erwachsenen ihm gebaut hatten. Alle hassten es, wenn er das tat, aber es war anscheinend seine Lieblingsbeschäftigung. Und als er mit Wucht den ersten Schlag tat, zuckte das kleine Mädchen in seinen Armen das erste Mal zusammen.
     Lu erschrak daraufhin so heftig, dass er sie beinahe fallen ließ. Er wollte nach seiner Mutter rufen, aber als er das kleine Bündel in seinen Armen ansah, kam ihm mit einem Mal eine Idee. Er erinnerte sich an die Zeit, als seine Mutter ihn in den Schlaf gesungen hatte. Ihre Stimme war zuerst deutlich zu hören gewesen, und dann war sie immer leiser geworden. Sie hatte ihm ihren Finger auf die Nase gelegt, und meistens war der irgendwann in seinem Mund gelandet. Wahrscheinlich hatte er deshalb erst damit angefangen, als Kleinkind am Daumen zu nuckeln.


Gedankenverloren hatte er angefangen, die Melodie zu summen, die seine Mutter ihm immer vorgesungen hatte. Sein Zeigefinger trommelte sachte im Takt der Musik auf die kleine Nase des Mädchens. Bis er plötzlich etwas Nasses an der Fingerspitze spürte, und als er nachsah, musste er feststellen, dass sie tatsächlich versuchte, unbeholfen mit dem Mund danach zu schnappen. Lu war darüber derart überrascht, dass er innehielt und ihr die Möglichkeit gab, ihn zu erwischen.
     Es fühlte sich merkwürdig an. Da waren so gar keine Zähne in ihrem Mund. Nur weiches, glitschiges Zahnfleisch. Sie versuchte, an seinem Finger zu saugen, aber sie war so schwach, dass er ihren Zug kaum spüren konnte. Lu war so fasziniert davon, dass er sie eine ganze Weile lang mit offenem Mund beobachtete, bevor er aufgeregt seine Mutter rief.


Luma ließ es sich nicht nehmen, selber nach draußen zu kommen und sich das Wunder anzusehen, das Lu vollbracht hatte. Ihre Tochter war noch immer blass und schwach, aber dennoch trank sie kurz darauf ihre erste Milch. Es war nicht viel, aber es war ein Anfang.
     Als Luma dann das schlafende Mädchen in den Armen hielt, warf sie einen Blick zu Enn und schlug vor: „Was hältst du davon, wenn wir sie Lulu nennen?“ 
     So bekam das Mädchen ohne Namen einen Namen, und auch wenn sie nicht einmal wussten, ob sie überhaupt den nächsten Tag erleben würde, war der erste Schritt in Richtung Leben getan.
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Hier weiterlesen -> Kapitel 8 

Ich hab mal einen Stammbaum gemacht, um für ein bisschen Überblick zu sorgen. Es kommen auch erstmal keine neuen Sims hinzu... in Generation 1 ;)



Dieses Kapitel war klein und äußerst gemein zu mir. Ich dachte mir noch so: "Ach ja, endlich mal ein kleineres Kapitel. Das dauert nicht lange." *lacht* Denkste!
Zuerst musste ich feststellen, dass es Posen gibt, die mich tatsächlich noch mehr ärgern als Erwachsener-hält-Kleinkind-Posen, nämlich Baby-Posen. Und dann meinte mein Spiel, sich alle 5 Minuten zu verabschieden, weil ich Schindluder mit einem alten Spielstand getrieben habe, damit der zur Geschichte passte. ARGHH!!!! GRRR!!! Ich habe einen ganzen Abend allein mit dem Bildermachen gekämpft... Für 13 Bilder...

Naja, jetzt ist es geschafft und nächstes Mal geht es größtenteils fröhlicher und auch wieder länger zu.

Bis dahin, danke fürs Vorbeischauen und ich verabschiede mich!

Donnerstag, 28. Dezember 2017

Kapitel 6 - Ausreißer




Der Uruk-Stamm überlebte den Winter, und das war zu einem großen Teil ihrem neuesten Stammesmitglied Tibit zu verdanken. Er war zwar ein miserabler Jäger und als Aufpasser sollte man ihn besser auch nicht allein lassen, aber dafür wusste er, wo es das schrecklich schmeckende Grünzeug zu finden gab, das zumindest ihre Bäuche füllte.
     Dennoch wurde es ein harter Winter. Luma hatte diesmal sehr unter ihrer Schwangerschaft zu leiden, und es war so kalt und stürmisch, dass sie manchmal tagelang in ihrer Höhle eingesperrt waren. Es war deshalb ein geradezu befreiendes Gefühl, als sie das erste Mal nach langer Zeit wieder ins Freie traten und vom ersten Grün des noch jungen Frühlings begrüßt wurden.


Die Zeit, die daraufhin folgte, war eine gute Zeit für den Stamm. Mehrere Jahreszeitenwechsel lang mildes Wetter, reichlich Nahrung, keine Unfälle oder schwerwiegende Krankheiten. Der Stamm wuchs und gedieh, und manches Mal erwischte sich Luma dabei zu glauben, dass es niemals anders gewesen war oder anders sein könnte.


Jin war an diesem Morgen der Erste, der wach wurde. Das war meistens so. Die komische Tanna neben ihm war noch am schlafen, und auch die Großen blieben oft noch eine ganze Weile in ihren Zelten. Was also sollte er jetzt tun? Allein war es langweilig, aber mit Tanna wollte er auch nicht spielen. Wenn er ihr an den Haaren zog, dann wehrte sie sich nur und zog zurück. Das fand er doof. Lu und Tann wehrten sich nie, wenn er das machte. Tann lachte dann immer, und Lu ignorierte es meistens.
     Also sollte er vielleicht zu seinen Eltern gehen. Noch als er diesen Entschluss fasste, zerschnitt ein furchtbares Schreien die morgendliche Stille. Seine Mama war vor einiger Zeit ganz rund und dick am Bauch geworden, und dann war dieses kleine, nervende Ding aus ihr rausgekommen. Sie hatten es Lenn genannt und gesagt, das sei sein neuer Bruder. Da hatte er sich noch gefreut, dass er nun einen neuen Bruder hatte, mit dem er spielen konnte. Aber Lenn tat nichts anderes, als schlafen, schreien, essen, stinken und ihm seine Mama wegenehmen. Seitdem er da war, hatte seine Mama jedenfalls nicht mehr so viel Zeit für ihn. Das fand er auch doof.  Aber seine Mama war schon wieder dick, und bald würde auch Lenn sie nicht mehr für sich allein haben.


Deshalb entschloss Jin sich dazu, lieber zu seinem Papa ins Zelt zu gehen. Sein Papa war toll. Viel besser als Tanns Papa oder Tannas Papa. Er war groß und stark, und er raufte sich gern mit ihm. Aber das Allerbeste an seinem Papa war, dass er ihn nicht teilen musste. Tann musste seinen Papa mit Lenn teilen, und er musste seine Mama mit Tann und Lenn teilen, aber sein Papa gehörte nur ihm.               


Zumindest, wenn er mal davon absah, dass da noch Lu war. Er sagte immer nur doofe Dinge, die Jin nicht verstand und verbot ihm, zu seinem Papa zu gehen, wenn er schlief. Auch heute war das so. Er hatte gerade angefangen, auf den Rücken seines Papas zu springen, sodass er wach wurde und einen grummelnden Lu-Laut von sich gab, und da erschien die Nervensäge auch schon. Bevor er sich wehren konnte, hatte der größere Junge ihn unter den Armen gepackt und nach draußen gebracht.
     „Du sollst Papa doch nicht dauernd wach machen!“, meckerte er.
     Jin mochte Lu nicht. Lu war ein langweiliger Spielverderber. Er spielte, im Gegensatz zu Tann, nie mit ihm. Stattdessen setzte er ihn nur wieder auf sein Schlaffell und ging dann malen. Lu tat oft nicht anderes, als zu malen. Jin kam es so vor, als würde er den ganzen Tag nichts anderes machen. Früher hatte Jin noch versucht, mitzumachen, aber Lu war nur wütend geworden und hatte ihn ausgeschimpft. Daraufhin hatte sein Papa etwas gebaut, damit Jin nicht mehr an die Bilder von Lu kam. Aber Jin hatte gemerkt, dass er trotzdem immer weiter nach oben kam. Eines Tages würde er so groß sein, dass er wieder mit Lu malen konnte. Und dann würde er sich auch nichts mehr von dem größeren Bruder gefallen lassen müssen.


Aber momentan war er noch zu klein, und momentan langweilte er sich gewaltig. Tanna war inzwischen wach und spielte mit ihren Holzklötzen. Das war langweilig. Außerdem mochte er Tanna, wie gesagt, ja nicht. Tann schlief noch, seine Mama war mit Lenn beschäftigt, und Lu war so langweilig wie eh und je.
     Also stemmte Jin sich auf die kleinen Beine und machte sich daran, etwas Spannendes zu erleben.


Lu hasste es, dass er sich ständig um seinen nervigen kleinen Bruder kümmern musste. Er hatte nichts gegen Tanna oder Lenn, aber auf die beiden zwang man ihn auch nicht andauernd, aufzupassen. Das übernahm glücklicherweise meistens Tann. Der konnte auch viel besser mit den kleinen Nervensägen, als er. Aber Jin war wesentlich aufmerksamkeitsbedürftiger, als die Anderen, und so fiel es immer wieder ihm zu, sich um den nervigen kleinen Bruder zu kümmern.
     Dabei wollte Lu eigentlich nichts anderes, als dass sie ihn in Ruhe malen ließen. Er war schon immer von den Farben fasziniert gewesen, die seine Mutter benutzt hatte, um Knochen und Perlen einzufärben. Und endlich, nach langem Betteln, hatte sie ihm verraten, wie er sie selber herstellen konnte. 
     Seitdem hatte er immer wieder die Wände ihrer Höhle zum Üben benutzt, und dann, nachdem sie die Höhle verlassen hatten, hatte er lange überlegt, bis er darauf gekommen war, ein flaches Stück Holz mit Kalk weiß zu färben, um darauf zu malen. Lu liebte es zu malen. Er konnte stundenlange darin versinken, und wenn ihn die Anderen nicht andauernd mit Aufgaben und Pflichten belästigen würden, würde er wohl den ganzen Tag lang nichts anderes tun.

 
Da kam auch schon der nächste Störenfried in Form von Tann. Tann ging ihm glücklicherweise nur selten auf die Nerven, aber heute schien er sich dazu entschlossen zu haben, ihn schon früh morgens zu stören.
     „Lu?“, hörte er ihn rufen. Lu seufzte nur genervt, ließ sich dann aber dazu hinreißen, sich dem Störenfried zuzuwenden. Und was Tann dann zu sagen hatten, ließ ihm für einen Moment das Blut in den Adern gefrieren. „Wo ist Jin hin? Bist du vorhin nicht mit ihm rausgegangen?“


Jin war nirgends zu sehen. Da war Tanna, die wie üblich mit ihren Holzblöcken spielte, aber von dem anderen Kleinkind fehlte jegliche Spur.
     „Ist er… vielleicht bei deiner Mutter?“ 
     Ein schwacher Hoffnungsschimmer keimte in ihm auf. Doch Tann schüttelte den Kopf und zerstörte ihn wieder. „Nein. Ich habe auch schon in den Pinkelbüschen und den anderen Zelten geschaut. Aber da ist er auch nicht.“
     Lus Herz verkrampfte sich vor Schreck, und er brauchte eine ganze Weile, bis er sich wieder beruhigen konnte. Wenn Jin verschwunden war, während er auf ihn aufpassen hätte sollen, würde er gewaltigen Ärger bekommen.
     „Wir sollten ihn besser suchen, bevor ihm etwas passiert!“, schreckte Tanns gedrungene Stimme ihn schließlich aus seiner Angststarre.  

              
Fassungslos über seine eigene Gedankenlosigkeit, konnte Lu jedoch nichts anderes tun, als dabei zuzusehen, wie der andere Junge handelte, während er untätig blieb. Tann stieß einen spitzen Pfiff aus, woraufhin Hund sofort die Ohren aufstellte und an seine Seite getrottet kam. Neben Tibit und Sen war Tann der Einzige, auf den der eigensinnige Wolf hörte. Dann führte er das Tier zu einem von Jins herumliegenden Spielzeugen und ließ ihn daran schnuppern.
     „Du solltest Wonn mitnehmen und in einer anderen Richtung schauen gehen!“, schlug Tann noch vor, bevor er sich erhob und mit Hund zusammen aus dem Lager rannte.
     Und Lu konnte weiterhin nichts anderes tun, als wie angewurzelt an Ort und Stelle zu stehen und dabei zuzusehen, wie Tanns Statur am Horizont immer kleiner wurde.


Bevor er sich jedoch dazu aufraffen konnte, zu tun, was Tann ihm gesagt hatte, streckte plötzlich, und zu Lus Schrecken, Luma den Kopf aus dem Verschlag, in dem die Kleinen für gewöhnlich schliefen. Sie sah sich einen Moment lang forschend im Lager um, und als ihr Blick an Lu hängen blieb, zuckte der Junge ertappt zusammen. „Wer ist denn so früh mit Hund weggegangen?“, fragte sie und erwischte Lu damit eiskalt.
     Natürlich hatte sie den Pfiff gehört und Hunds Fehlen bemerkt! Lu wünschte, er könnte auch nur den Mut aufbringen zu fluchen, aber selbst dazu war er momentan viel zu verängstigt. Was sollte er ihr bloß sagen?


Die Wahrheit! Du musst ihr die Wahrheit sagen!, schoss es ihm durch den Kopf.Das ist alles, was du jetzt noch tun kannst.
     Diese Sache war zu ernst. Vielleicht war Jin tatsächlich in Gefahr. Es brauchte aber dennoch eine ganze Weile, bis er sich auch nur dazu bringen konnte, das einzusehen. Er schluckte schwer, aber der Kloß in seinem Hals wollte einfach nicht verschwinden, während Luma nun schon zum dritten Mal fragte und langsam ungeduldig wurde.
     „Jin… Jin ist verschwunden“, rang er sich schließlich dazu durch zu gestehen.
     Augenblicklich trat der Schrecken in Lumas Gesicht. „Was?“
     Jetzt brach es alles aus ihm heraus. „Ich sollte auf ihn aufpassen, aber ich habe gemalt, und dann ist er plötzlich weg gewesen.“ 
     Er sah, dass Luma ihm am liebsten die Leviten gelesen hätte, aber Jin zu finden war momentan zu vordringlich, um das auf der Stelle zu tun. Also drehte sie ohne ein weiteres Wort um und verschwand in einem der Zelte, in dem sein Vater schlief.


Kurz darauf war der ganze Stamm auf den Beinen, und die Blicke aller Erwachsenen richteten sich jetzt anklagend auf ihn. Als sein Vater dann an ihn herantrat und er die Wut und die Enttäuschung in dessen Augen sah, kamen ihm schließlich die Tränen.
     „Ich habe gedacht, dass du alt genug wärst, um auf deinen Bruder aufzupassen. Ich bin enttäuscht von dir, Lu! Wenn Jin etwas passiert ist…“ Aber er sprach nicht weiter.
     Er war schon dabei, abzudrehen, als sich plötzlich Tibit einmischte: „Er ist am Strand“, sagte er bloß, und er versetzte die beiden besorgten Eltern damit in Angst und Schrecken. Sie alle hatten gelernt, darauf zu hören, wenn die Geister mit dem alten Mann sprachen. Denn bislang hatten sich seine Vorhersagen beinahe immer als richtig erwiesen.


Kurz darauf waren Luma und Sen mit Wonn zusammen aufgebrochen, um Jin zu suchen. Lu war im Lager zurückgeblieben, aber das schützte ihn natürlich nicht vor den enttäuschten Blicken seiner Mutter. Sie schimpfte nicht, sie hielt ihm keine Vorträge, sondern stand nur da und bedachte ihn mit ihrem enttäuschten Blick. Und das traf ihn beinahe noch mehr als es jedes Wort seines Vaters getan hatte. Die nächste Zeit konnte er nichts anderes tun, als zu weinen und darauf zu hoffen, dass Jin wohlbehalten wieder heimkehren würde.


Es dauerte nicht lange, bis Luma und Sen mit Tann und Jin zurückkehrten, aber es schien Lu die schlimmste Zeit seines Lebens zu sein. Und obwohl er froh darüber war, dass Jin scheinbar unversehrt war, hielt sich seine Freude dennoch in Grenzen. Denn kaum, dass die Heimgekehrten das Lager erreicht hatten, gingen sie wieder auf ihn los.


„Du kannst nicht einfach deine Pflicht vernachlässigen, nur, weil du keine Lust darauf hast!“, war es diesmal Luma, die die Standpredigt begann. „Wir alle haben unsere Aufgaben, und es ist wichtig, dass wir sie erledigen. Stell dir vor, dein Vater würde einfach nicht mehr jagen gehen oder keiner würde mehr auf Nahrungssuche gehen. Dann hätten wir bald nichts mehr zum Essen.“
     Das war der Moment, in dem sein Vater einsprang. „Du weißt hoffentlich, was das für dich bedeutet. Die nächste Zeit wirst du nicht mehr malen!“
     Das traf Lu natürlich mitten in die Magengegend. Zumindest fühlte es sich so an. Und es war ein widerliches Gefühl. All die Enttäuschung und die Wut über sich ergehen zu lassen. Still zu sein und am Ende genau zu wissen, dass es seine eigene Schuld war.


Zu seiner Überraschung trat in diesem Augenblick jedoch Tann nach vorn und erklärte: „Lu hat keine Schuld daran. Ich habe ihm gesagt, dass ich auf Jin aufpasse, und dann bin ich einfach mit ihm zum Strand gegangen, ohne Bescheid zu sagen.“ Das war natürlich gelogen. Aber Tann erzählte es trotzdem ohne mit der Wimper zu zucken, als sei es wirklich so geschehen. Und Lu konnte nicht fassen, was er da hörte.
     Die Erwachsenen anscheinend auch nicht. Sie brauchten zumindest eine ganze Weile, um sich zu fangen, um dann wie ein Unwetter auch über den anderen Jungen hereinzubrechen. Die Enttäuschung verlagerte sich von Sen zu Luma, und Ersterer wurde jetzt richtig wütend.
               

„Wenn du nicht lernst, verantwortungsbewusster zu sein, wirst du keine Chance haben, eines Tages den Stamm anzuführen, Tann!“, beendete Luma schließlich ihren scheinbar nie enden wollenden Vortrag. 
     Lu wollte in diesem Moment wirklich nicht mit Tann tauschen. Er war immer ein verlässlicher und guter Junge gewesen, und sein Vergehen wog als Erstgeborener der Stammesführerin auch noch doppelt so schwer. 
     Bevor sie sich abwandte, sagte Luma noch: „Es ist dir hoffentlich klar, dass du bestraft wirst. Du wirst nächstes Mal nicht mit auf die Jagd gehen!“ Wie zuvor Lu, traf es diesmal Tann schwer. Die nächste Jagd hätte Tanns Erstjagd werden sollen. Es war ein wichtiger Schritt, den er gehen musste, bevor er selber eines Tages Stammesführer werden konnte.
     Schließlich wandte sich Luma noch an Lu, der unter ihrem Blick schon wieder zusammenzuckte. „Deine Strafe ist aufgehoben, Lu. Aber dennoch solltest du dich in Zukunft ein bisschen mehr auf deine Aufgaben konzentrieren!“ 
     Dann ging sie, und Lu verpasste den Moment, ihr die Wahrheit zu sagen. In diesem Augenblick empfand er sich selber als einen fürchterlich erbärmlichen Feigling. Und er hasste sich dafür.


Tann blieb noch einen Moment mit hängendem Kopf stehen, bevor auch er abdrehte, um wo-weiß-wer hinzugehen. Lu zögerte kurz, lief ihm dann aber nach und stellte sich dem anderen Jungen in den Weg. „Warum hast du das gerade eben gemacht?“
     „Ich wollte nicht, dass du bestraft wirst“, sagte Tann nur, und das in einem derart gefassten Ton, als wäre gerade überhaupt nichts passiert.
     „Aber warum?“
     „Na, weil wir doch Freunde sind.“
     Das traf Lu unerwartet. Er hatte mit Tann nie sonderlich viel zu tun gehabt. Sicher, sie waren beinahe gleich alt, und früher hatten sie ab und an zusammen gespielt, aber inzwischen hatten sie so gut wie gar nichts mehr miteinander zu tun. Lu hatte nie sonderlich über Tann nachgedacht. Während die anderen Kinder ihn nervten, war ihm Tann bestenfalls egal. Dass Tann ihn aber als Freund ansah, machte die ganze Sache umso schlimmer.
     „Jetzt hast du wegen mir aber Ärger bekommen! Und das, obwohl du doch Stammesführer werden willst…“, rang er sich nach einer Weile schließlich dazu durch zu sagen.


Woraufhin Tann nur lachte und Lu damit vollkommen fassungslos machte. „Das werde ich auch werden“, sagte er selbstsicher. Dann kniff er ein Auge zu und meinte verschwörerisch: „Und wenn ich es erstmal bin, wirst du meine rechte Hand, einverstanden? Zusammen können wir jeden Herausforderer besiegen!“
     Lu war einen Moment zu überrumpelt, um zu antworten, dann jedoch zwang er sich zu einem Lächeln. „Einverstanden! Und Tann… danke!“


So endete Jins Abenteuer vorzeitig und ohne ernstere Zwischenfälle. Er kehrte unversehrt in den Stamm zurück und durfte sich in Zukunft über die ungeteilte Aufmerksamkeit seines älteren Bruders Lu erfreuen, was er jedoch weniger toll fand.
     Lu hingegen konnte zwar nicht den Mut dazu aufbringen, die Wahrheit zu sagen, aber dafür nahm er sich vor, nie wieder seine Pflichten zu vernachlässigen. Von dem Moment an, an dem er und Tann Freunde wurden, wurde er auch sehr viel zugänglicher den Anderen im Stamm gegenüber. Und er schwor sich, immer für Tann da zu sein und ihm mit aller Kraft zu helfen, wann auch immer er seine Hilfe würde brauchen können. 

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Hier weiterlesen -> Kapitel 7 

Tann nimmt seine Aufgabe als angehender Stammesführer ziemlich ernst. Was eines Tages leider dazu führen wird, dass er jemandem weh tut, dem er eigentlich helfen wollte =(

Wie zuvor schon angekündigt, bin ich diesmal ein paar Jahre gesprungen und ich hoffe, dass es nicht allzu verwirrend mit all den neuen kleinen Kindern ist. Aber jede einzelne Geburt irgendwie reinzubringen, wäre einfach zu viel geworden. Naja, welches Kind jetzt zu wem gehört, hab ich noch mal oben in den Charaktertab geschrieben, um für ein bisschen  mehr Klarheit zu sorgen. Der hat jetzt auch eine Spoilerfunktion, um ein Bild vom ersten Auftauchen und ein aktuelles reinzubringen. Ich hoffe, das klappt, weil ich und die Spoiler viel Ärger miteinander hatten...

Ach ja, von Jin soll ich übrigens noch ausrichten, dass man seinen Namen "Dschinn" ausspricht. Er ist übrigens mein zweitliebster Charakter. Nicht, weil er so süß wie Lu ist, sondern wegen seiner Art. Aber ihr werdet schon sehen ;) Auch wenn ich befürchte, dass er sich noch ziemlich unbeliebt machen wird... 

Noch eine kleine Anektode zu Tanna: Meine Sims hatten bis dahin nur Jungs bekommen und ich dachte mir nur so "Hm, mit Tibit als Vater würde ein Mädchen ganz schön komisch aussehen. Aber ich würde gern noch eins haben, das später vielleicht mit Tann oder einem seiner Brüder durchstarten könnte. Ach, wird schon kein Mädchen sein." Natürlich wurde sie ein Mädchen -.- Und danach kamen wieder nur Jungs... Ihre Haarfarbe war auch so ein Unfall (s. Outtakes).

Naja, nächstes Mal kommt dann der Rest der Bande dran. In dem Sinne verabschiede ich mich und danke fürs Vorbeischauen!