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Mittwoch, 31. Oktober 2018

Kapitel 71 - Die Kinder des Uruk-Stammes



Auch wenn es für manche so schien, als würde der Tod eines geliebten Menschen das Ende bedeuten, ging das Leben dennoch weiter.


Der Zeit Schritt unbarmherzig voran, Stunde um Stunde, Tag um Tag. Der Schnee schmolz bald schon dahin, der Winter wich einem milden Frühling, in dem nicht nur die ersten, zaghaften Knospen ihre Köpfe in die Sonne streckten, sondern auch die Kinder heranwuchsen.


Mit dem Frühling kam das Jahresanfangsfest, das traditionell vom Ahn-Stamm veranstaltet wurde. Es galt, den Fruchtbarkeitsgöttern zu opfern, damit sie die jungen Pflanzen sprießen ließen und eine reiche Ernte bescheren würden. Deshalb waren an diesem Morgen bereits alle Erwachsenen des Uruk-Stammes aufgebrochen. Alle, mit Ausnahme von Jana und Aan. Letzterer war noch immer damit beschäftigt, dem Kinderaufpasser Alek haarklein zu erklären, wie er speziell mit seinem Sohn umgehen sollte. Wie immer, wenn es um Alistair ging, war Aan überaus vorsichtig und überaus besorgt.
     Jana, die neben ihrem Gefährten stand, konnte man ihre Ungeduld an ihrem dauernden Augenrollen ablesen, aber sie blieb erstaunlich ruhig, während Alek sich schon zum dritten Mal anhören durfte, dass er auch ja auf Alistair achtgeben sollte. Er lächelte tapfer, aber er war dennoch froh darüber, als Aan und Jana endlich gingen.


Als er endlich allein mit den Kindern war, drehte er sich voller Tatendrang zu ihnen um. Vier Augenpaare waren neugierig auf ihn gerichtet, während die Kleinsten noch immer in ihr Spiel vertieft waren und ihn größtenteils ignorierten. Einen Moment fühlte er sich unter ihren musternden Blicken der Aufgabe überhaupt nicht gewachsen, dann aber übernahm sein unverbesserlicher Optimismus. Das würde schon irgendwie schiefgehen.
     „Tja, Kinder, da wären wir also. Das da hinter mir ist Nara“, eröffnete er, während er hinter sich auf das wie immer stille Mädchen wies. „Sie ist ein bisschen ruhig und schüchtern und versteht viele Dinge nicht, also seid bitte nett zu ihr. Ich bin übrigens Alek, falls ihr das noch nicht mitbekommen habt. Ich bin“, er kratzte sich am Kopf und überlegte, „euer Cousin oder so.“
     Sie starrten ihn an, was ihn ein bisschen nervös machte.
     Er räusperte sich unbehaglich. „Ähh… was wollt ihr denn machen?“


Da tat ihm endlich der einzige Junge unter den Größeren den Gefallen zu sagen: „Rausgehen!“
     Er klatschte begeistert in die Hände und das blonde Mädchen pflichtete ihm grinsend bei.
     Alek zögerte. „Nun ja, es ist ja auch ein schönes Wetter.“ Aan hatte ausdrücklich gesagt, dass er mit Alistair drinnen bleiben sollte. So ungefähr fünfmal.
     Bevor er aber noch etwas dazu sagen konnte, waren die zwei auf und davon. Nur die beiden Mädchen, die ein ziemlich ähnliches Gesicht hatten, wie ihm auffiel, blieben zurück und starrten ihn weiter an. Da beschloss Alek, dass es ja nicht schaden konnte, ein bisschen frische Luft zu schnappen. Was sollte schon passieren? Also nahm er den blonden Kleinen, dessen Namen er als einziges behalten hatte, an sich und bat die Mädchen, die anderen Jungen mit nach draußen zu bringen, damit sie endlich aufhörten, ihn anzustarren.


Nicht, dass es draußen besser wurde. Während die Kleinsten davonstoben, um im Dreck zu spielen, erwarteten ihn die Größeren schon wieder mit erwartungsvollen Blicken. Konnten die sich denn nicht auch einfach selber beschäftigen? Nara tat das ja auch. Sie hatte sich hinter ihm an die Wand gesetzt und war so still wie eh und je. Er wusste ja, dass sie es nicht mochte, unter Fremden zu sein.
      „Ähm… wollt ihr vielleicht ein paar Witze hören?“, bot er an, als sie ihn nur weiter anstarrten, und zu seinem Glück schienen sie ganz begeistert davon. 
     Im Witze-Erzählen war er ganz gut, also bezog er ein bisschen selbstbewusster Aufstellung vor den Vieren. Die Mädchen nahmen erwartungsvoll vor ihm auf dem Boden Platz, nur der Junge blieb stehen.
     „Also: Treffen sich zwei Geister. Sagt der eine zum anderen: „Lange nicht gesehen.“.“
     Er musste sich selber ein Grinsen verkneifen. Es war sein bester Witz. Aber die Reaktion seines Publikums blieb verhalten. Das blonde Mädchen kicherte kurz und der Junge grinste einen Moment, aber die anderen Mädchen sahen ihn nur weiter mit ihrem Blick an, dass sie ihm doch ein bisschen gruselig wurden.


Er wollte gerade etwas nervös zu einem zweiten Witz ansetzen, als er Rettung in der Ferne erspähte. Da war die Schönheit vom Zoth-Stamm, hinter der er seit einer Weile schon her war. 
     Sofort war alles andere vergessen. Er musste sich sogar erst noch dazu ermahnen, den Kindern zu sagen: „Ich muss kurz weg. Passt ihr solange auf die Kleinen auf, ja?“, dann war er auf und davon.


Zurück blieben die vier ältesten Kinder des Uruk-Stammes. Jade war ein bisschen empört, dass Alek seine Aufgabe so schändlich auf sie abwälzte, aber die Anderen nahm es gelassener.
     „Er ist doch sowieso nur hier, weil er Nefera beweisen will, dass er ein guter Vater wäre oder so. Das weiß doch jeder“, merkte Leif gerade an. „Was erwartest du also, wenn sie vorbeikommt? Ist doch klar, dass er da abhaut.“ 


Jade sah noch einen Moment lang unzufrieden aus, aber dann wurde sie auf jemanden aufmerksam, der sich ihnen näherte und da hellte sich ihre Stimmung schlagartig auf. 
     „Wotan!“, rief sie aufgeregt.
     Im nächsten Augenblick war sie es, die auf und davon war, um ihren Bruder zu begrüßen, während sich Leif nun ein überaus unzufriedener Ausdruck aufs Gesicht legte. Wie nicht anders zu erwarten, ging er gleich hinter Jade her.


Malah und Nyota, die beide zurückblieben, sahen ihm beim Gehen zu, bis sich plötzlich Alistair lautstark schreiend zu Wort meldete. Er war umgefallen und Malah hätte ja ihr letztes Hemd darauf verwettet, dass ihr Bruder Nila dafür verantwortlich war, der gerade unschuldig von Dannen tapste.


Nyota war sofort an der Seite ihres Bruders und hatte ihn wieder hingesetzt.
     „Kann er sich immer noch nicht selber wieder aufsetzen?“, fragte Malah sie.
     „Doch, wahrscheinlich schon“, meinte Nyota. „Denke ich zumindest. Aber Papa lässt ihn ja nichts selber machen. Mama sagt immer, dass er so nie was lernen wird. Sie ist ganz schön sauer deswegen auf Papa.“
     Malah konnte nicht sagen, ob Nyota sich deswegen Sorgen machte. Wie immer war es überaus schwer, in dem Gesicht der Freundin zu lesen, das beinahe nie eine Gefühlsregung zeigte. Aber als sie sich jetzt zu ihrem Bruder herunterbog und beruhigend auf ihn einredete, verirrte sich aber doch tatsächlich ein Lächeln in ihr Gesicht.


Nur, dass Malah diesen seltenen Anblick nicht lange ansehen konnte, da erneut ein Schrei über den Hof gellte. Als sie einen Blick über die Schulter warf, sah sie, dass es diesmal Nara war, die schrie, weil Nila ihr an den Haaren zog.


Malah seufzte. Sie hätte sich wirklich gewünscht, dass sie so ein gutes Verhältnis zu ihrem Bruder gehabt hätte wie Jade, die ihren Bruder geradezu vergötterte.


Oder wenigstens wie Nyota zu Alistair.


Aber ihr kleiner Bruder war ein zanklustiger Giftzwerg, der auch vor ihr nicht haltmachte.


Was hätte sie nur dafür gegeben, einen Bruder wie Nero zu haben. Alle sagten von ihm, dass er ein Junge mit einem ganz besonderen Gerechtigkeitssinn war. Dass Nila ihn einmal geärgert hatte, hatte Nero ihm wohl sehr übel genommen, da er ihm seitdem immer wieder die Suppe versalzte, wenn er versuchte, die Anderen zu ärgern. Vor allen Dingen bei Ragna versuchte er das oft.


Sogar den hätte Malah lieber als Bruder gehabt. Er war zwar ziemlich ruhig und tat den ganzen Tag nichts anderes als zu probieren, was essbar war, aber er war dennoch um Längen besser als ihr streitlustiger Bruder.


Kurz darauf hatte Malah die beiden Jungen wieder voneinander gelöst und während Nila dazu übergegangen war zu heulen, war Nero irgendwann in ihren Armen eingeschlafen. Er war, wie üblich, ein bisschen erkältet. 
     Während sie den schlafenden Jungen nach drinnen ins Bett brachte, kehrten Wotan und Gespann zur Runde zurück.
     „He, wir sollten ein bisschen die Gegend erkunden gehen. Was haltet ihr davon?“, schlug Wotan gerade vor. „Ich hab gehört, dass es Geister im Nebelwald geben soll.“


„Wir sollen den Hof aber nicht verlassen“, merkte Nyota an.
     „Ach, was! Wir gehen hin, gucken und sind zurück, bevor die Erwachsenen überhaupt zurückkommen“, meinte Wotan.


Doch da kehrte tatsächlich ihr Aufpasser zurück, als alles schon danach aussah, dass Jade und Wotan sich demnächst aus dem Staub machen würden.
     „Da bin ich wieder, Kinder! Und alles in Ordnung gewesen?“
     „Wotan wollte uns dazu anstiften, in den Nebelwald zu gehen, obwohl er wusste, dass wir hierbleiben sollten!“, petzte Leif sofort und er bekam dafür einen überaus bösen Blick von Jade ab. Es war ganz offensichtlich, dass er Wotan kein Stück weit leiden konnte. Das lag wahrscheinlich daran, dass er bei Jade abgeschrieben war, wenn ihr Bruder auftauchte.
     „Du solltest die Regeln lieber nicht missachten, junger Mann!“, belehrte Alek Wotan sogleich. „Außerdem ist der Nebelwald sehr gefährlich. Ich sollte das lieber deinen Eltern sagen gehen.“
    Wotan zog grinsend den Kopf ein. „Oh, nein, lieber nicht! Ich verspreche auch, schon nicht da hin zu gehen!“


Während Jade noch versuchte, Leif in Grund und Boden zu starren und der schadenfreudig grinste, kam Malah wieder aus dem Haus und sah sich um. 
     „Wo ist Nila abgeblieben?“, fragte sie schließlich.
     Alek erschrak gewaltig, als er sich jetzt auch umsah und ihm auffiel, dass nicht nur der kleine Junge fehlte. Nara war auch weg!


Da auch keines der Kinder wusste, wo die Beiden waren, war Alek kurz darauf wieder auf und davon Richtung Nebelwald, wenn diesmal auch, um die beiden Verschwundenen zu suchen. Erneut hieß es für die Uruk-Kinder, auf dem Hof zu bleiben und auf seine Rückkehr zu warten.


„Wir sollten lieber auch suchen gehen“, war es diesmal ausgerechnet Nyota, die zum Regelbrechen anstiftete.
     Malah war viel zu besorgt, um etwas dazu zu sagen. Sie hätte gerne einen anderen Bruder gehabt, aber nichtsdestotrotz war Nila ihr Bruder und sie wollte nicht, dass ihm was passierte. Deshalb war es Leif, der diesmal anmerkte: „Hast du vorher nicht selber gesagt, dass wir auf dem Hof bleiben sollen?“
     „Ja, aber Alek hat nicht einmal dran gedacht, einen der Hunde mitzunehmen“, gab Nyota in ihrer gewohnt nüchternen, logischen Art zurück. „So wird er sie nie finden. Wir sollten also auch suchen gehen.“    
     „Au ja! Ich helf euch auch!“, war Wotan sofort begeistert dabei und da war klar, dass sich Jade auch nicht querstellen würde. Und wenn sie ging, ging auch Leif.


Nachdem dann der Disput, mit wem Jade gehen würde, geklärt war, und sie kurzerhand mit Malah anstatt mit einem der Jungs ging, hatten sie sich in zwei Gruppen aufgeteilt und waren mit je einem der Hunde losgezogen.


Leif und (zu dessen Unmut) Wotan, die beschlossen hatten, mit Pariah Richtung Ahn-Stamm zu gehen, hielten wieder an, kaum, dass sie fünf Minuten gerannt waren. Pariah steckte die Nase in die Luft und brachte dann noch eine Weile damit zu, den Boden abzusuchen, was Leif die Möglichkeit gab, mal etwas zu klären.


Er trat also an Wotan heran und sagte: „He, du! Du glaubst ja auch, dass du der Größte bist, oder? Ich wette, du bist eigentlich total der Schwächling!“
     Das nahm Wotan natürlich sofort persönlich. „Ich zeig dir gleich, wer hier von uns beiden der Schwächling ist!“, knurrte er.


Er hob die Fäuste und Leif tat es ihm gleich. Dann gingen sie nicht sehr elegant aufeinander los, aber es war ein kurzes und trauriges Schauspiel. Wotan hatte ihn so schnell im Schwitzkasten, dass Leif vor Schreck sogar vergaß, sich gegen ihn zu wehren. Aber selbst als er es tat, war es sinnlos. Er kam gegen Wotan einfach nicht an. Also wurde er eine Weile unfreiwillig hin- und hergezogen, bevor er schließlich schließlich auf dem Hosenboden landete.
     Wotan klopfte sich zufrieden die Hände ab und sagte: „Da siehst du, wer der Schwächling von uns beiden ist!“


Damit war für ihn alles geklärt und er ging von Dannen, da Pariah mit dem Schnüffeln aufgehört hatte und geduldig wartend auf den Hinterpfoten saß. Sie trottete sofort treu an seine Seite, aber Leif blieb, wo er war. Er stand nur da und war mit seinem ganz eigenen Schrecken beschäftigt. Er hatte verloren. Einfach so. Und er hatte nicht einmal den Hauch einer Chance gehabt. Dabei war er doch der Sohn vom besten Kämpfer der Gegend! Wie nur hatte sowas passieren können? 
     Aber das am meisten beschämende an der ganzen Sache war dennoch, dass er Angst gehabt hatte, als Wotan ihn im Schwitzkasten gehabt hatte.


Malah und Jade derweil, die mit Taxo zum Strand hinuntergegangen waren, hatten mehr Glück bei ihrer Suche, als die Jungs. Taxo nahm sofort eine Fährte auf und als sie den Hügel zum Strand hinab rannten, konnten sie schon von weiten die beiden Gesuchten sehen. Und auch hören.


Als sie Nila und Nara fanden, waren beide am Weinen und Nila hatte zu allem Überfluss auch nichts mehr an außer seiner Schuhe. Seine Sachen lagen neben ihm und unter ihm war ein dunkler Fleck im Sand.   
     „Was… ist hier passiert?“, fragte Malah.


Da hörte Nara auf zu weinen und zeigte stattdessen erschrocken auf Nila. „Au!“, rief sie nur und immer wieder: „Aua! Au!“
     Jetzt erst bemerkten sie, worauf genau ihr Finger gerichtet war und das brachte Jade zum Grinsen. „Hast du ihm etwa da unten reingetreten?“, fragte sie. „Kein Wunder, dass der heult. Als ich das mal ausversehen bei Leif gemacht hab, hat der auch ewig gejammert.“
     Malah hoffte es ja nicht. Zumindest sah es nicht so aus, als ob Nila Schmerzen hatte. Sie nahm vielmehr an, dass er sich selber oder Nara ihn ausgezogen hatte, weil er hatte pinkeln müssen. Das würde zumindest den nassen Fleck im Sand erklären. Auch wenn nach wie vor fraglich war, warum beide jetzt heulten.


Als Malah nun zu ihrem Bruder ging und sich vor ihn kniete, um ihn zu beruhigen, begann Nara plötzlich geradezu panisch zu schreien. „Au! Au!“, mischte sich immer wieder unter ihre Schreie.
     Malah befürchtete schon, dass Nila ihr wieder wehgetan hatte, aber Jade hatte eine andere Vermutung. „Sag mal, weißt du etwa nicht, was das zwischen seinen Beinen ist?“, fragte sie.
     Da wurde Nara plötzlich still.
     „Du weißt doch, dass er ein Junge ist, oder? Deswegen hat er einen Pipi“, fuhr Jade fort.
     „Pipi?“, probierte Nara unsicher.


Sie schien es scheinbar nicht zu verstehen, also half Malah nach und erklärte: „Jungs haben einen Pipi und wir Mädchen haben eine Mumu. Weißt du das nicht?“
     Malah war ein bisschen erschrocken, als sie sah, dass Nara das anscheinend wirklich nicht wusste.


Nyota war auf dem Hof geblieben, um auf die anderen Kleinen aufzupassen und Alek oder den anderen Erwachsenen Rede und Antwort zu stehen, wenn sie zurückkehrten. Sie hatte sich gerade neben Ragna niedergelassen, um mit dem angenehm ruhigen Jungen zu spielen, als neuer Ärger den Hof betrat.


Zumindest dachte Nyota das, als sich jemand räuspernd hinter ihr bemerkbar machte und sie nun ausgerechnet Gisela und Giselinde vor sich hatte. Wie immer sah Gisela nicht nur lächerlich aus, sondern auch, als hätte sie einen üblen Geruch in der Nase.
     „Wo ist der Wotan-Depp?“, fragte sie barsch und in einem Tonfall, als würde sie zu einem Kleinkind sprechen.
     „Er ist mit Leif Richtung Ahn-Stamm gegangen“, berichtete Nyota.
     Gisela stöhnte genervt. Dann sagte sie zu ihrer Schwester: „So eine Zeitverschwendung! Lass uns wieder gehen! Hier stinkt es!“
     „Aber Mama wird wissen wollen, wo Wotan bleibt“, merkte die an.
    Da wandte sich Gisela wieder an Nyota. „Wann kommt der Blödmann denn wieder?“, fragte sie gereizt.
     „Weiß nicht.“
     Gisela verdrehte die Augen, bevor sie Nyota einfach stehen ließ. „Komm, Gisi! Ich will nicht länger als nötig in diesem Drecksloch bleiben!“


 „Geh du schon mal. Ich komm gleich nach.“
     Gisela warf ihrer Schwester einen fragenden Blick zu, dann ging diejenige der Zwillingsschwestern, die sich für das Beste der Welt hielt, aber glücklicherweise endlich.


Als sie weg war, wandte sich Giselinde zögerlich an Nyota und sagte: „Meine Mutter sagt, dass deine Mutter ihre Haare so kurz wie ein Mann hat und Hosen trägt, weil sie geschändet worden ist. Und sie es dir deswegen auch erlaubt. Was bedeutet das?“
     Nyota war etwas überrumpelt, weshalb sie eine ganze Weile brauchte, bevor sie erwidern konnte: „Ich… weiß nicht.“ Sie hatte noch nie davon gehört und sie hatte, vor allen Dingen, keine Ahnung, was „geschändet“ bedeutete.


„Du hast jedenfalls Glück, dass du das darfst“, fuhr Giselinde fort. Dann ging sie davon und ließ Nyota verwirrt allein zurück.


Sie zerbrach sich noch eine ganze Weile den Kopf darüber, was das wohl zu bedeuten hatte, bis Alek schließlich, wie erwartet ohne Nila und Nara wieder zurückkehrte. Und er noch ein bisschen mehr darüber erschrak, dass jetzt auch noch seine anderen Schützlinge verschwunden waren.


Umso erleichterter war er, als kurz darauf alle wieder wohlbehalten da waren. Und das im letzten Moment, denn die Sonne hatte inzwischen angefangen, im Meer zu versinken.


Wenig später kamen auch Aan und Jana als Erste vom Fest zurück und Alek konnte ein bisschen geschönt berichten, dass nichts Erwähnenswertes vorgefallen war.


Zumindest, bis Aan nach Alistair fragte und ihm auffiel, dass ausgerechnet der Junge fehlte, der nicht einmal laufen konnte. Und auf den er doch besonders hatte achtgeben sollen.


Doch der Schreck währte nur kurz, da der Verschwundene gleich darauf auf Hündin Takka reitend wieder auftauchte. Und als Aan die Freude und das unbändige Glück im Gesicht seines Sohnes sah, der bis dahin immerzu freudlos ausgesehen hatte, beschloss er, ihm mehr zuzutrauen.   


Alek kam also noch einmal mit einem blauen Auge davon und als er an diesem Abend mit Nara aufbrach, um nach Hause zu gehen, lief Malah ihm nach. Sie fing ihn noch auf dem Hof ab.
     „Das Mädchen da“, begann sie, als wäre Nara gar nicht anwesend, „warum weiß sie nicht mal, dass Jungs und Mädchen… anders da unten sind?“
     Plötzlich sah Alek traurig aus und es war das erste Mal, dass Malah das bei ihm sah. „Nara tut sich ein bisschen schwerer damit, Dinge zu verstehen, als andere, musst du wissen. Vieles versteht sie auch überhaupt nicht. Deswegen macht sich auch keiner die Mühe, ihr etwas zu erklären. Und deswegen weiß sie so etwas auch nicht. Sie kann auch nicht sprechen und ist sehr schüchtern. Ich hatte gehofft, dass sie hier vielleicht ein bisschen auftaut, wenn sie mit anderen Kindern zu tun hat. Ihre Geschwister wollen nämlich auch nichts mit ihr zu tun haben.“


Malah fand es ganz schrecklich, dass sich niemand die Mühe machte, Nara etwas zu erklären. Dass sie nicht sprechen konnte. Dass sie keine Freunde hatte. Und dass nicht einmal ihre Geschwister etwas mit ihr zu tun haben wollten. Also nahm sie sich vor, Naras Freundin zu werden.


Nyota derweil beschäftigte noch immer die Frage, was ihrer Mutter widerfahren war. Also nutzte sie die Chance, ihrem Vater nachzugehen, als der ging, um auszutreten. Wenn sie etwas wissen wollte, fragte sie immer lieber ihn. Ihr Vater war viel schlauer und sie fühlte sich auch viel mehr von ihm verstanden. Sie kam eben mehr nach ihm, wie es schien.


Sie wartete, bis er fertig war und wieder Richtung Haus ging, bevor sie ihn abfing.
     „Papa, ich hab gehört, dass Mama“, sie überlegte, wie es richtig hieß, „geschändet worden ist. Was bedeutet das?“
     Schrecken auf dem Gesicht ihres Vaters, der Nyotas Herz einen Moment lang aussetzen ließ. Dann aber fing er sich wieder. So, wie es alle Erwachsenen immer taten, um ihnen Kindern keine Sorgen zu bereiten. Das hatte Nyota schon verstanden.
     „Es bedeutet, dass jemand deiner Mutter sehr wehgetan hat. Ich weiß nicht, wer dir das gesagt hat, aber bitte rede vor deiner Mutter nicht darüber, ja?“, bat er eindringlich.


Nyota konnte nicht glauben, dass das alles war, aber als sie sah, dass ihr Vater plötzlich traurig aussah, erschrak sie noch mehr. Sie wollte nicht, dass ihr Vater traurig aussah. Sie hatte ihn doch niemals traurig machen wollen!


Also trat sie an ihn heran und nahm seine Hand in ihre. „Das werde ich nicht tun, versprochen! Du musst nicht traurig sein!“
     Sie wusste nicht, was sie tun sollte, damit ihr Vater nicht mehr traurig war, also lächelte sie unsicher, und es schien zu funktionieren.


Ein Lächeln machte sich jetzt auch auf seinem Gesicht breit und dann war er zu ihr runtergekommen und hatte sie an sich gedrückt.
     „Es ist schon gut, Nyota! Du bist ein wirklich liebes Mädchen.“
     Da zeigte das Mädchen, das so gut wie nie eine Gefühlsregung in ihrem Gesicht zeigte, ein ehrliches Lächeln.


Im nächsten Moment hatte Aan sie hochgenommen.
     „Ich hab dich lieb, Papa!“, sagte sie.
     „Ich hab dich auch lieb, Nyota.“
     Und das hatte er. Er hätte nie gedacht, dass er das Mädchen, das so sehr aussah wie Dia Hell, so liebgewinnen würde. Dass sie tatsächlich eines Tages seine Tochter werden würde. Aber das war sie geworden und er war froh darüber. Wenn er es verhindern konnte, würde er alles in seiner Kraft stehende tun, dass Nyota niemals erfuhr, wo sie wirklich herkam. Dass niemand ihr damit wehtun konnte.
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Hier weiterlesen -> Kapitel 72 

Ich will gleich mal damit beginnen, klarzustellen, dass ich Nara als geistig behinderten Charakter nicht eingeführt habe, um sie zur Witzfigur zu machen. Ich finde es, im Gegenteil, ganz schrecklich, wie herablassend und als minderwertiger Mensch sie von vielen in ihrer Umgebung behandelt wird. 

Nyota hat also erfahren, dass ihrer Mutter etwas widerfahren ist, und auch wenn Aan sie davor schützen will, dass sie es erfährt, wird er es früher oder später wohl nicht mehr verhindern können, dass sie erfährt, was "geschändet" bedeutet. Man sollte jedenfalls echt aufpassen, was man Kindern gegenüber sagt. Dass Greta nicht gerade zimperlich mit ihrer Ausdrucksweise ist und sie auch gern mal über Leute redet, die nicht anwesend sind, dürfte damit jetzt auch klar sein.

Damit beginnt also (mehr oder weniger) mit Generation 4 und ich möchte mal ein bisschen einen Ausblick darauf geben, was euch erwartet. Es wird natürlich viel um die Kinder gehen, viel mehr als sonst, auch wenn sich die Erwachsenen vorerst wieder in den Vordergrund drängen werden. 
Aber das, was Generation 4 von den anderen maßgeblich unterscheiden wird, ist, dass ich auch mal vom Stamm weggehe und den Fokus auf Charaktere von außerhalb legen werde (wie beispielsweise auf Nara). Es werden einige neue(?) Gesichter auftauchen und es wird sogar mal einen zeitweisen Ortswechsel geben, wenn alles so klappt, wie ich mir das vorgenommen habe. 
Da der Zeitraum von jetzt, bis dahin, wo Generation 4 wirklich übernimmt (also wenn Malah ein Teenager wird), so eine Art Zwischenzeitraum ist, habe ich auch noch nicht das endgültige Titelbild oben auf der Seite gepostet. Das kommt erst, wenn Malah dann übernimmt. Ich habe mir eeeeewig den Kopf darüber zerbrochen, was für ein Bild ich stattdessen nehmen sollte und jetzt ist es das geworden. Zu einem späteren Zeitpunkt will ich darüber dann auch noch was schreiben.
Wie immer beim Wechsel der Generationen habe ich einen neuen Reiter unter den Outtakes und den Charakteren hinzugefügt. 

Nächstes Mal dann macht sich Rahn Sorgen, dass Nero keine Mutter hat und er findet eine willkommene Abwechslung darin, jemandem zu helfen.

Bis dahin, danke fürs vorbeischauen und ich verabschiede mich!