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Mittwoch, 7. November 2018

Kapitel 72 - Von Unsicherheiten und Schuld



An diesem Tag, als Nero den gemeinen Nila mal wieder in die Flucht schlug…


… und der gemeine Nila zu der Frau ging, die ihn oft rumtrug und die er „Mama“ nannte…


…. fragte sich Nero erstmals, was wohl eine Mama war.


Also krabbelte er zu der Mama, zog sich schwerfällig auf die Beine und probierte: „Mama?“
     Die Mama wurde auf ihn aufmerksam und während Nila böse guckte, legte sie eine Hand auf Neros Haupt und sagte gerührt: „Du bist ja ein Süßer! Aber ich bin leider nicht deine Mama, mein Kleiner.“
     Und als sein Papa das sah, keimte in ihm nicht das erste Mal die Angst auf, dass seinem Sohn etwas fehlte. Etwas, das er ihm nie würde ersetzen können.
     Es war eine Angst, die Rahn schon hatte, seitdem Diana vor über einem viertel Jahr gestorben war. Er versuchte alles in seiner Macht stehende zu tun, damit es Nero an nichts fehlte. Aber so sehr er sich auch bemühte, er wusste, dass er es nie schaffen würde, seinem Sohn Vater und Mutter gleichzeitig zu sein. 
     Er selber war auch ohne seine leibliche Mutter aufgewachsen, hatte aber immer Dala gehabt, die Frau seines Vaters, seine Ziehmutter. Er jedoch hatte ja nicht einmal eine Frau, die Nero die Mutter ersetzen konnte.


Doch er wusste auch, dass niemandem, vor allen Dingen Nero nicht, damit geholfen war, wenn er darüber verzweifelte. Also hatte er sich nach draußen zurückgezogen, dorthin, wo er allein sein konnte, fort von all den besorgten Blicken der Anderen, und hatte sich in die Näharbeit gestürzt. Solange er nur beschäftigt war, hatte er gar keine Zeit, sich um irgendetwas zu sorgen.
     Er hatte begonnen, den Bären anzufertigen, den Diana ihm in seinem Traum gezeigt hatte. Vielleicht war es auch eine Vision gewesen, da war Rahn sich nicht so sicher. Jedenfalls hatte sie den Bären bei sich gehabt und sie hatte ihn Nero schenken wollen. Weil sie das aber jetzt nicht mehr tun konnte, war es an ihm, das zu übernehmen. Das Meiste der Näharbeit hatte zwar seine Schwester Tanna übernommen, aber dennoch hatte auch er einige Stunden an dem Spielzeug gesessen. Erst heute hatte er den groben Stoffüberzug mit weicher Schafswolle gefüllt.
     Obwohl das Spielzeug gut aussah, war Rahn trotzdem nicht zufrieden damit. Und er hatte nicht den blassesten Schimmer, warum Diana Nero ausgerechnet ein gefährliches Raubtier wie einen Bären hatte schenken wollen.


Er schob die Frage zur Seite und erhob sich, um die steifen Beine auszustrecken. Ein widerlicher Schmerz pochte augenblicklich durch seinen Kopf, den er bislang erfolgreich verdrängt hatte. Wie immer, wenn er die letzte Zeit aufstand, ergriff ihn sofort eine unschöne Schwäche. Er versuchte, sie in den Griff zu bekommen. Wieder Herr über seinen Körper zu werden. Er hasste es so sehr, wenn ihm die Kontrolle über seinen eigenen Körper entglitt. Wie machtlos er dann plötzlich war.
     Langsam sog er die kühle, klare Abendluft ein. Fixierte den Frost zu seinen Füßen mit den Augen, um sich abzulenken. Konzentrierte sich sogar auf das nicht gerade leise Gespräch, das von drinnen zu ihm drang und versuchte, die Worte zu verstehen. Schließlich schaffte er es, dass der Schwindel verschwand. Er fühlte sich ein wenig gefestigter, aber der Schmerz in seinem Kopf blieb trotzdem.


Als die Tür plötzlich aufflog, erschrak er jedoch so heftig, dass er erneut mit sich und diesmal auch mit seinem Herzen kämpfen musste. Akara war erschienen, aber er war froh, dass sie erst einmal mit sich und ihrem Wutausbruch beschäftigt war und ihn dadurch nicht bemerkte. Das gab ihm die Zeit, sich wieder zu beruhigen.
     Zu dem Zeitpunkt, als Akara ihn schließlich bemerkte und große Augen machte, hatte er die Fassung über sich längst wiedererlangt. Er wusste aber nicht, ob er ein Gespräch mit jemandem durchhalten würde. Doch er musste wohl, denn sie kam nun auf ihn zu, obwohl er sich ziemlich sicher war, dass sie überhaupt nicht mit ihm reden wollte. Aber sie war zu höflich, um ihn einfach stehen zu lassen. Genauso wie er selber. 
     Da er sich die letzte Zeit immer wieder nach draußen zurückzog, damit niemand sah, wie es ihm ging, hatte er zwangsläufig schon ein paarmal mit ihr zu tun gehabt, denn sie verbrachte die Abende meistens ebenfalls draußen. Das war bis jetzt auch immer wieder eine willkommene Abwechslung gewesen. Normalerweise freute Rahn sich ja auch über Gesellschaft. Jetzt gerade wollte er aber lieber allein sein.


„Warum denn so wütend?“, half er ihr nach, das Gespräch zu beginnen, das scheinbar beide gerade nicht führen wollten.
     „Oh, ach, es… ist nichts…“, stotterte sie beschämt.
     Er hatte mit keiner anderen Antwort gerechnet.
     „Das muss dir nicht peinlich sein. Jeder ist schon mal wütend gewesen.“
     „Es gehört sich aber nicht für eine Frau, wütend zu sein“, antwortete sie prompt.
     „Wer sagt sowas denn?“
     „Vater.“
     Natürlich. Er hasste Dia Hell. Für alles, was er Anya und Jana angetan hatte. So vielen anderen. Und anscheinend auch Akara. Sofort fühlte er diesen unheimlichen Drang in sich, ihr helfen zu wollen.
      Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Lass mich raten: Als Frau sollst du gefälligst den Mund halten und tun, was man dir sagt, nicht wahr?“
      Sie sah ihn mit ihren großen Augen an wie ein verschrecktes Reh, und sie brauchte eine ganze Weile, bis sie sich zu einem Nicken hinreißen konnte.
     „Und das glaubst du auch?“


„Ich… weiß nicht.“ 
     „Nun, dann lass mich dir sagen, dass das, was er dir da gesagt hat, ausgemachter Unsinn ist.“ Er schüttelte den Kopf, als sie nur wieder betroffen aussah. „Du solltest immer sagen, was du willst. Das habe ich dir doch schon einmal gesagt, erinnerst du dich?“
      „Aber ich will niemanden wütend machen“, erwiderte sie betreten. „Es… war nie gut, Vater wütend zu machen. Und alle anderen waren auch so immer schon wütend genug wegen ihm. Es war immer gesünder für mich, still zu sein.“  
     Akara war wahrscheinlich die verunsichertste Person, die er jemals gesehen hatte. Er kannte solche Leute. Sogar sehr gut. Also entschloss er sich dazu, ihr etwas zu erzählen, über das er sonst eigentlich weniger gern sprach.


„Ich war früher einmal genau wie du“, fing er an. „Mein Vater ist der alte Häuptling des Zoth-Stammes, musst du wissen, und für ihn stand von Anfang an fest, dass ich sein Nachfolger werden sollte. Also hat er mich intensiv ausgebildet. Ich hatte tägliches Training. Ausdauer, Kraft, Kampf mit Speer und Bogen. Ich musste früh lernen, zu jagen und zu fischen, auszuweiden, zu nähen und Dinge herzustellen. Ich lernte Trommel und Flöte spielen. Mein Vater hat mich so lange singen lassen, bis meine Stimme heiser war und bis er fand, dass es sich akzeptabel anhörte.“ Er musste lachen. „Und ich war ein schrecklicher Sänger.
     Das alles von klein auf an. Und ich habe es gehasst. Es war nicht so, dass mein Vater ein Ungeheuer war, aber in seinem Eifer hat er einfach übersehen, was ich wollte. Und ich habe mich nicht getraut, es ihm zu sagen. Ich hielt immer den Mund und tat brav, was man mir sagte. Dabei wollte ich nur frei sein.“
     Er verlor sich eine Weile in seinen Erinnerungen, bis Akara fragte: „Und dann? Was ist dann passiert?“
     „Je älter ich wurde, desto weniger wollte ich in die Fußstapfen meines Vaters treten. Ich wollte lieber ein einfaches Leben führen. Aber ich war nach wie vor zu folgsam, um meinem Vater das auch zu sagen. Und ich hätte deshalb wahrscheinlich irgendwann auch seine Nachfolge angetreten.
     Dann aber habe ich erfahren, wer meine Mutter ist. Du musst wissen, dass meine Mutter ein Abkommen mit meinem Vater gehabt hatte, dass sie mich austragen sollte, weil seine Frau keine Kinder bekommen konnte. Und sie sollte darüber Stillschweigen bewahren. Als ich das erfuhr, war ich sauer. Das erste Mal in meinem Leben war ich richtig wütend auf meinen Vater, dass er mir meine Mutter so lange vorenthalten hatte. Dass er ihr das angetan hatte. Und das habe ich ihn auch wissen lassen.
      Wir haben uns daraufhin das erste Mal richtig gestritten und ich habe ihm dann auch gesagt, dass ich nicht das Leben führen will, das er für mich vorgesehen hat. Er wollte das natürlich nicht hören und das hat mich dann erst recht in meinem Entschluss gestärkt zu gehen. Ich hatte die Wahl, entweder ein Leben zu führen, das ich nicht wollte und damit meinen Vater zufriedenzustellen oder aber zu tun, was ich wollte und damit meinen Vater vor den Kopf zu stoßen. Und auch wenn es herzlos klingen mag, habe ich genau das getan. Und ich habe es seitdem nicht ein einziges Mal bereut.“


Er sah sie an. „Deswegen solltest auch du immer sagen, was du willst. Es wird vielleicht einige Leute vor den Kopf stoßen, aber letztendlich ist es nötig, damit du dein eigenes Glück finden kannst.“
     Akara starrte eine Weile nur ihre Füße an, bevor sie sagte: „Ich… weiß nur nicht, ob ich das schaffe.“ Sie traute es sich nicht einmal jetzt, das sah er.
     „Du hast es doch auch geschafft, Elrik zu verlassen, oder?“, führte er an. „Das hat viele Leute aufgebracht, aber du hast es trotzdem gemacht. Weil du es wolltest.“
     „Das war aber etwas ganz anderes!“, rief sie plötzlich.
     „Warum?“
     „Weil… weil Anya ja noch da war!“
     „Hast du Elrik etwa deiner Schwester zuliebe verlassen?“, fragte er.
     „Nein! Natürlich nicht! Ich wusste nur, dass Anya danach für ihn da sein würde. Dass sie ihn sich nehmen würde. Deshalb war das für mich nicht so schwer, ihn zu verlassen.“
     „Das ändert trotzdem nichts daran, dass du vielen damit vor den Kopf gestoßen hast, als du ihn verlassen hast. Als du sagtest, was du wolltest“, erwiderte er und Akaras Schultern fielen dabei beinahe zu Boden. „Also kannst du es auch weiterhin schaffen. Sei einfach du selber und denk nicht so oft darüber nach, was andere von dir denken. Du musst keine Angst mehr vor deinem Vater haben. Hier ist niemand mehr, der dir etwas dafür antut, dass du sagst, was du denkst und willst.“
     „Ich… versuche es…“, sagte sie, obwohl sie nicht sonderlich überzeugt aussah.


„Richtig so! Sag Tanna mal gehörig die Meinung!“ 
     Und als er ihr erschrockenes Gesicht diesmal sah, konnte er sich ein Lachen kaum noch verkneifen. Das war, nach all der schweren Zeit, einfach ein wunderbar befreiendes Gefühl. Im Endeffekt war es doch ganz schön gewesen, mit ihr zu plaudern. Einen Moment seine eigenen Sorgen zu vergessen.


Zumindest, bis Akara auf den Bären aufmerksam wurde, der noch immer wartend auf dem Baumstamm hinter ihm saß. Da kam sie an, um nachzugucken.
     „Ist das deiner?“, wollte sie wissen und es war das erste Mal, dass ihre Stimme fest klang. Als er nickte, fragte sie: „Was soll das sein?“
     „Es ist ein Bär. Ein Spielzeug für Nero.“
     „Ein Bär?“ Sie legte skeptisch die Stirn in Falten. „Warum willst du deinem Sohn denn ein so gefährliches Tier schenken?“
     Das hatte er sich auch schon gefragt, aber stattdessen erzählte er ihr von dem Traum, in dem Diana ihn einmal besucht hatte. Und als er geendet hatte, hatte sich die Trauer in Akaras Gesicht gelegt, die er schon so häufig bei anderen gesehen hatte, wenn Dianas Name gefallen war.


Sie sah zum wolkenverhangenen Himmel auf und sagte traurig: „Ich frage mich oft, ob Diana dort, wo sie jetzt ist, glücklich ist. Und ob sie uns sehen kann.“ Plötzlich wich die Trauer tatsächlich einem Lächeln, das Rahn einen Moment hoffen ließ. „Sie war echt ein tolles Mädchen. Ich bin froh, dass sie meine Freundin war.“
     Doch stattdessen kehrte die Schuld zu ihm zurück.


Wenig später trieb ihn die Kälte ins Haus zurück. Er wollte nur noch ins Bett. Die Müdigkeit zehrte an ihm. Aber stattdessen ging er zum Kinderzimmer, um nach Nero zu sehen, der inzwischen hoffentlich tief und fest schlief, wie alle anderen auch. Doch an diesem Abend fand er, zu seiner Überraschung, noch jemand anderen im Kinderzimmer vor. Vor dem Bett seines Sohnes. Jemanden, den er bislang noch nie dort gesehen hatte. Es war Dana. Und ihr Blick, mit dem sie ihren eigenen Enkel bedachte, war so ausdruckslos, dass es Rahn kalt durchfuhr.


Er wusste, dass Dana Nero nichts tun würde, aber dennoch machte er ganz instinktiv einen Schritt nach vorn, hin zu seinem Jungen, und da wurde Dana schließlich auf ihn aufmerksam. Sofort war sie auf den Beinen und hatte Abstand zwischen sich und ihn gebracht. Doch ihr Schrecken war schnell wieder Ausdruckslosigkeit gewichen.
     „Dana… es… tut mir leid…“, brachte Rahn schließlich heraus. Etwas, das er ihr schon so lange hatte sagen wollen, aber bislang nie gekonnt hatte. Seit Neros Geburt war sie ihm aus dem Weg gegangen und er hatte nicht den Mut gefunden, auf sie zuzugehen. Bei ihr nicht. Und auch bei Tann nicht. „Ich wollte nie, dass Diana etwas passiert.“


„Ich weiß“, erwiderte sie mit erstickter Stimme. Plötzlich kräuselte sich ihre Nase voller Wut. Sie schaffte es nicht einmal, ihn anzusehen. „Ich weiß auch, dass sie sich dir aufgedrängt hat. Dass du das gar nicht wolltest… Alle wissen das. Sie hat es uns schließlich erzählt, damit niemand schlecht von dir denkt. Aber…trotzdem kann ich nicht verhindern, dass ich wütend bin, wenn ich dich sehe. Oder dass ich mich manchmal frage, warum dein Kind lebt, meines aber sterben musste. Es sind so unsinnige Gefühle! Aber ich kann das einfach nicht abschalten!“
     „Ich verstehe das.“


Da drehte sie sich plötzlich heftig um, zeigte ihm den Rücken. „Nein, tust du nicht! Aber… das musst du auch nicht. Ich hoffe, dass du es nie erfahren musst, was es bedeutet, das eigene Kind zu verlieren.“ 
      Dann drehte sie sich um und ließ ihn stehen.


Ließ ihn allein zurück mit der Schuld, die immer schwerer zu tragen war.




Am nächsten Tag hatte Akara ihr Kleid gegen die Beinkleider getauscht, die viel bequemer bei der Feldarbeit waren. Sie hatte sie schon lange tragen wollen, aber ihr Vater hatte immer gesagt, dass sich Hosen für eine Frau nicht gehörten. Er hatte es gesagt und ihrer Mutter dabei immer wieder angewiderte Blicke zugeworfen. Heute fragte Akara sich, ob ihre Mutter deswegen immer Beinkleider getragen hatte. Damit er sie nicht mehr anfasste.
     Akara schüttelte die wenig hilfreichen Gedanken ab und sah ihrem eigentlichen Vorhaben entgegen, das ihr so viel Angst machte, dass ihre Hände einfach nicht trocken werden wollten. Ihr Herz schlug ihr beinahe bis zum Hals, wenn sie nur daran dachte, was sie gleich vorhatte. Aber gleichzeitig dachte sie auch an Rahns Worte. Dass sie sagen sollte, was sie wollte. Dass sie nicht so viel auf die Meinung anderer geben sollte.


‚Ich schaffe das! Ich kann das!‘, sagte sie sich immer wieder.
     Also ging sie los, obwohl ihr nur nach Weglaufen zumute war. Sie wollte nichts lieber als dass die Meinung der Anderen ihr egal gewesen wäre, aber so einfach war es leider nicht. Die Angst war trotzdem da. Ihre Gedanken kreisten immer wieder darum. Um das, was geschehen könnte. Sie malte sich die allerschlimmsten Szenarien aus, obwohl sie wusste, dass das Unsinn war, und plötzlich verließ sie jeglicher Mut.
    ‚Ich will umdrehen! Ich will hier weg! Ich sollte einfach gehen! Ja, das tue ich!‘


Doch bevor sie es tun konnte, stand sie plötzlich schon Tanna gegenüber und erschrak. Sie sah ihr ins wütende Gesicht. Der Frau, mit der sie sich die letzte Zeit immer wieder gestritten hatte. Oder besser gesagt, die ihr immer wieder sagte, was sie tun sollte. Akara hatte ihr niemals Widerworte gegeben, aber Tanna war trotzdem schon öfter laut geworden. Egal, was sie auch tat, sie konnte es ihr einfach nicht recht machen. Die ältere Frau hasste sie, das wusste sie auch so. Schon allein, weil sie ihrem Sohn das Herz gebrochen hatte. Mal ganz von ihren mütterlichen Qualitäten abgesehen, die sie laut Tanna einfach nicht besaß. Das wusste sie ja selber, da brauchte es nicht erst Tanna, die ihr das immer wieder sagte.
     Plötzlich sah sie nur die Wut. Das wütende Gesicht ihrer ehemaligen Schwiegermutter. Tanja, die neben ihrer Mutter stand und die sich gerade noch mit ihr gestritten hatte. Sie dachte an Rahns Geschichte, an ihren Vater, der ihr immer gesagt hatte, was sie zu tun und zu lassen hatte, und sie dachte nur: „Ich will nicht mehr, dass du mir sagst, was ich zu tun habe“, und während sie es dachte, sagte sie es auch.
     „Wenn du endlich anfängst, dich wie eine richtige Mutter und ein richtiges Mitglied des Stammes zu verhalten, dann brauche ich das auch nicht mehr zu tun“, hörte sie Tanna unbeeindruckt sagen.


Da platzte Akara die Hutschnur. „Ich entscheide selber, was ich tue!“, warf sie Tanna laut entgegen. „Und ich entscheide selber, wie ich mit meiner Tochter umgehe! Du hast nichts dazu zu sagen!“
     Tanna sah nicht so aus, als ob sie das so einfach hinnehmen würde, aber da war Akara schon auf und davon, bevor die Angst, die versuchte sie niederzuringen, sich auch in ihrem Gesicht zeigen konnte. Doch während sie rannte, erkannte sie, was sie eigentlich gerade getan hatte und ihre Angst wurde zu unfassbarem Glück.


Als sie vor Rahn zum Stehen kam, der gerade Nero beim Laufen geholfen hatte, war sie geradezu berauscht davon. „Rahn! Rahn! Ich habe es geschafft! Ich habe Tanna gesagt, was ich wollte, und es war einfach klasse!“, berichtete sie aufgeregt.
     Rahn schenkte ihr dafür ein Lächeln, aber so schnell, wie es auf seinem Gesicht erschienen war, verschwand es auch wieder. Wie so oft die letzte Zeit, sah er müde und erschöpft aus.


 „Du siehst nicht gut aus. Was ist denn los?“
     „Nichts. Es ist alles gut.“
     „Hast du heute überhaupt schon etwas gegessen?“
     Er sah sie nur müde an und da wusste sie Bescheid. Sie kannte das schon von ihm. Sofort fühlte sie diesen unheimlichen Drang in sich, ihm helfen zu wollen.
     „Weißt du, Jana hat recht damit, wenn sie sagt, dass du etwas essen musst, um auf den Beinen zu bleiben. Wer kümmert sich denn sonst um Nero, wenn du umkippst?“, tadelte sie. „Weißt du was, ich kenne da ein Gericht, das dir bestimmt gut schmecken wird. Ich werde es dir gleich zubereiten.“


Rahn wollte sie aufhalten, aber so kam es, dass er wenig später einen vollen Teller vor sich hatte und Akara neben sich. Da konnte er ja schlecht nein sagen, als sie ihn zum Essen aufforderte. Es duftete ja auch ganz köstlich. Er wollte es sogar essen, aber er konnte es in letzter Zeit einfach nicht mehr. Er hatte keinen Hunger, keinen Appetit und sein Bauch fühlte sich alles andere als gut an. Seitdem Diana gestorben war, schien auch er selber krank zu sein. Und das gefiel ihm überhaupt nicht. Denn er hatte Diana doch versprochen, sich um ihr Kind zu kümmern.
      Dennoch aß er kurz darauf den ganzen Teller leer, da Akara nicht so kurzsichtig war, ihn beim Essen allein zu lassen. 
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 Hier weiterlesen -> Kapitel 73

Tja, leider ist es nicht so einfach, Unsicherheiten und Ängste abzulegen, auch wenn man manchmal weiß, dass sie vollkommen unsinnig und unnötig sind. Vor allen Dingen schwer ist das, wenn sie einen in der Kindheit derart geprägt haben, wie es bei Akara der Fall gewesen war. Und dasselbe kann man auch über Rahn und die Schuld sagen, die er sich selber gibt. Auch wenn es da eher so ist, dass er nichts davon hören will, dass er nicht an den Dingen schuld ist, für die er sich die Schuld gibt.

Ach ja, Teddys gibt es übrigens erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts, aber naja... ;P

Nächstes Mal dann muss Tanja den Preis für eine alte Sache bezahlen.
Bis dahin, danke fürs Vorbeischauen, und ich verabschiede mich! 

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