Kane zog mich hinter sich in den Wald. Es war, wie so
oft, ein perfekter Tag, um zum Fischen rauszufahren, aber er hatte mich zur
Seite genommen, als die Anderen gerade dabei gewesen waren, die Boote zu Wasser
zu lassen. Anstatt mir zu sagen, was er wollte, hatte er mich jedoch mit sich
Richtung Wald gezogen. Immer wieder schnellte sein Kopf nach links und rechts,
als würde er erwarten, dass jederzeit jemand aus dem Unterholz brechen würde. Ich
war ein bisschen besorgt, was er wohl von mir wollte, da er sonst nicht so
merkwürdig war.
Schön tief
drinnen im Wald hielt er schließlich wieder an. Wir waren zwischen ein paar
Bäume gequetscht, die hier besonders eng beisammen standen, sodass ich aus
nächster Nähe sehen konnte, wie sich kleine Schweißtropfen auf seiner Stirn
bildeten. Ich hoffte nur, dass ich hier drin nicht von irgendwelchen Schlangen
angegriffen wurde.
„Red bitte für
mich mit Lorna!“, rückte er endlich mit der Sprache heraus.
Ich war ein
bisschen überrumpelt davon. „Warum redest du nicht mit ihr?“
„Ich red ja
mit ihr, aber ich krieg sie einfach nicht dazu, dass sie meine Frau wird!“, klagte
er. „Alle anderen machen sich deswegen schon lustig über mich.“
Er rammte frustriert
die Faust gegen einen nahegelegenen Baumstamm, sodass er erzitterte. Ich muss
gestehen, ich hatte ein bisschen Sorge, dass er mit seinem Ellenbogen meine
Nase zertrümmerte, so eng, wie es hier war.
„Verdammt, selbst
Isaac hat schon eine Frau! Er ist sogar schon Vater und ich krieg Lorna noch
immer nicht dazu, dass sie mich nimmt! Und dabei werd ich bald Häuptling sein!
Ich werd mich vor allen blamieren, wenn ich bis dahin keine Frau hab!“
Von „Häuptling
sein“ konnte noch nicht die Rede sein. Bevor es dazu kam, musste er erst ein
Bootsrennen zur Nachbarsinsel gewinnen und dort eine ihrer heiligen Früchte
holen, sonst konnte er das mit dem „Häuptling sein“ vergessen. Eigentlich
traute ich Kane ja schon zu, dass er das Rennen gewann, aber Isaac sollte man
nicht unterschätzen. Er hatte sein Segelboot zwar verworfen, aber ich war mir
sicher, dass er irgendetwas anderes in petto haben würde.
„Und was soll ich da machen?“, fragte ich arglos.
Da hatte er
mich an den Schultern gepackt und sein Griff war nicht ohne. „Du kannst doch
gut mit den Frauen, nicht wahr? Die mögen dich, weil du nicht so dämlich bist
wie die Anderen, sie dauernd anzuglotzen.“
Mögen würde ich es ja nicht gerade
nennen, aber ich war definitiv beliebter als so manch anderer Mann hier, weil
ich meine Hände und Augen bei mir behielt. Ich glaube, nur Isaac war wirklich beliebt bei den Frauen.
„Warum fragst
du mich? Isaac ist besser mit Frauen. Er kann auch besser reden.“
„Ich kann ihn
aber nicht fragen. Er ist mein Bruder und wir sind Konkurrenten, solange das
mit der Nachfolge von meinem Vater nicht geklärt ist. Deswegen frage ich dich.
Du bist der Einzige, der mich nie wegen Lorna ausgelacht hat. Ich weiß, dass
ich dich um sowas bitten kann, Mann.“
Ich seufzte
geschlagen. „Ich werde es versuchen.“
Lorna war so ziemlich der Typ Frau, den ich überhaupt
nicht ausstehen konnte. Ich konnte mit herrischen Matronen umgehen, aber selbstverliebte
Frauen, die andere nach ihrer Pfeife tanzen ließen und sich dabei für das Beste
der Welt hielten, waren mir einfach zuwider.
Bei Lorna
handelte es sich leider um genau so eine Frau. Schon als klar war, dass ich auf
sie zukam, rümpfte sie die Nase bei meinem Anblick. Ich hatte mir den späten
Nachmittag ausgesucht, um mit ihr zu reden. Meistens war das Gros der Frauen da
im Dorf beschäftigt, während die Männer draußen fischten oder Zeug aus dem Wald
holten. Ich wollte jedenfalls vermeiden, dass mehr Kerle das mitbekamen, als
unbedingt nötig. Schlimm genug, dass sich die Frauen später wahrscheinlich das
Maul darüber zerreißen würden, dass der unnahbare Fremde von sich aus auf Lorna
zuging. Die würde dann bei heiterer Runde bestimmt auch noch behaupten, dass
ich ihrem Charme einfach nicht hatte widerstehen können.
Als ich vor
ihr stand, richteten sich natürlich alle Blicke auf mich. Ich versuchte, es
bestmöglich zu ignorieren. Ich überlegte. „Kann ich mal mit dir reden?“
Wieder
Naserümpfen. Aber sie legte ihre Töpferarbeiten trotzdem zur Seite, klopfte
sich die lehmigen Hände trocken und ging mit mir ein Stück. Ich fragte mich
wirklich, was Kane nur von so einer wollte. Außer einem hübschen Äußeren hatte sie
ihm doch nichts zu bieten.
„Was willst
du?“, sprach sie so langsam, als würde sie mit einem Kind reden.
„Warum lehnst
du Kane immer ab?“, fragte ich geradeheraus. Mein Wortschatz reichte nicht aus,
um ein komplexes Gespräch zu führen. Ich hatte immer noch keine Ahnung, wie
Kane darauf kam, dass ausgerechnet ich für sowas der beste Ansprechpartner war.
Sie lachte.
„Soll das ein Witz sein? Hast du ihn dir mal angeschaut? Er hat ja überhaupt
nichts in seinem Kopf! Er ist ein tumber Idiot!“
Wirklich?
„Aber er hat ein gutes… ähm… Herz. Er ist
nett.“
„Nett reicht mir aber nicht. “ Sie würgte
mich mit einer Handbewegung ab. „Hör zu, wenn er nicht Häuptling wird, braucht
er gar nicht erst wieder anzukommen. Das kannst du ihm ruhig so sagen. Wenn du das
schaffst, meine ich.“
Dann drehte
sie ab und wackelte davon. Ich korrigiere mich: Diese Frau war noch schlimmer
als die Art Frau, die ich am meisten verabscheute.
Ich hatte keine Ahnung, wie ich Kane klarmachen sollte,
dass er diese Lorna lieber in den Wind schießen sollte. Ganz weit am besten. Ich
hatte ja nicht mal eine Ahnung, wo er überhaupt gerade steckte. Ich suchte ihn
schon eine ganze Weile, aber er war einfach wie vom Erdboden verschluckt. Ich
sah ihn nicht auf den Booten im Wasser – und da fiel er als größter Muskelberg eigentlich
immer sofort auf – und im Dorf fand ich ihn auch nicht.
Als ich gerade
Richtung Wald ging, fiel mir ein, dass da ja noch die Hütte des Heilers war,
die etwas abseits nahe am Wald gelegen war. Ich glaubte nicht, dass er da war,
aber ich ging trotzdem hin. Sie bauten hier ein paar Heilkräuter an und ich
hatte die Chance genutzt, mein eigenes Beet gleich nebenan anzulegen. Momentan
wuchs aber nichts darauf. Ich war noch immer dabei, herauszufinden, wie ich in
dem sandigen Boden auch nur irgendetwas zum Wachsen brachte.
Dafür aber
fand ich endlich Kane. Er hockte über dem Beet mit den Kräutern, gleich neben
einer zierlichen Frau, die ich erst beim zweiten Blick überhaupt bemerkte. Sie
war ein Lehrling des Heilers, wie ich dank Mari wusste, die hier auch noch
immer lernte. Ein nettes, aber verschlossenes Mädchen.
Dass sie nett
war, fand anscheinend auch Kane. Wann immer sie sich ihrer Arbeit zuwandte,
klebte sein Blick an ihr, aber es war nicht der Blick, mit dem er die Frauen
sonst anzusehen pflegte. Da war nichts Anzügliches, kein blödes Grinsen.
Stattdessen hatte sich ein versonnenes, abwesendes Lächeln auf seinen Lippen
breit gemacht. Seine Augen schienen geradezu zu leuchten, wenn er sie ansah. Das
war so ein merkwürdiges Anblick. Dieser riesige, grobe Kerl neben dieser
zarten, kleinen Pflanze von einer Frau, die ihm ab und an eine ihrer kleinen
Hände auf den Arm legte.
Ich musste jedenfalls
kein Experte zu sein, um zu kapieren, was da vor sich ging. Also ging ich ein
bisschen auf Abstand und wartete, bis sie fertig waren und Kane allein Richtung
Dorf kam. Als er mich sah, erstarrte er, und er war tatsächlich um Worte
verlegen, als er vor mir stand. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Er warf einen
hastigen Blick über seine Schultern, dann packte er mich wieder am Arm und es
ging erneut in den Wald. Diesmal bekam ich ihn aber glücklicherweise schneller
und an einem geräumigeren Ort dazu, wieder anzuhalten.
„Hast du mit
Lorna gesprochen?“, fing er hastig an. Natürlich wollte er ablenken von dem,
was ich gesehen hatte.
„Ja. Aber wer
war das?“ Ich wünschte in diesem Moment wirklich, ich würde ihre Sprache besser
beherrschen.
„Ani. Und was
ist jetzt mit Lorna?“
‚Ach, vergiss die doch mal!‘, dachte
ich.
Ich
wiederholte bestmöglich, was Lorna mir gesagt hatte. Da schlug Kane
siegessicher in die Luft. Wenigstens verschonte er diesmal die Bäume. „Dann weiß
ich ja, was ich machen muss.“
„Ani nehmen?“
Kane starrte
mich überrumpelt an. „Was?“ Er lachte nervös. „Wieso sollte ich das denn
machen?“
„Weil du sie…
magst… ist das richtig gesagt? Du hast sie gern. Liebst sie.“
Nervöses
Lachen, die Zweite. „Wie kommst du denn auf sowas?“
„Ich habe es
gesehen.“ Da war er still. „Warum willst du sie nicht? Lorna ist… keine gute
Frau.“
„Ich weiß“,
gab Kane überraschenderweise geschlagen zu. „Aber die Leute erwarten von mir,
dass ich sie nehme.“
„Was? Das ist
ja…“ Mir fehlten die Worte. „Und warum nicht Ani? Du magst sie doch.“
„Hast du sie
mal angeguckt?“, fragte er unglücklich. „Du kennst sie doch bestimmt auch
schon. Die Jungs lachen immer, wenn sie kommt, und dann zeigen sie auf sie und sagen,
wie bemitleidenswert sie aussieht.“
Ich hatte sie
mir nicht genau angesehen, aber sie hatte nicht unbedingt hässlich gewirkt.
Unscheinbar vielleicht, ja. Doch ich konnte mir schon denken, warum sie über
sie lachten. Ich hatte es selber noch nie mitbekommen, aber wenn ich es getan
hätte, wäre ich bestimmt nicht untätig geblieben. Wie gesagt, bei sowas hörte
der Spaß bei mir auf.
„Und was
siehst du in ihr?“
Ich wollte
ihm eigentlich eine Standpredigt halten, die sich gewaschen hatte, aber auch da
fehlten mir mal wieder die Worte für. Aber es war sowieso nicht nötig, wie ich
jetzt sah. Kane erstarrte und eine ganze Weile tat er nichts anderes, als
betroffen auszusehen.
„Also?“,
drängelte ich.
„Muss ich das
echt sagen?“
„Ja.“ ‚Vielleicht nimmst du es dir dann auch
endlich zu Herzen.‘
„Sie… sie ist
hübsch. Und nett.“ Plötzlich sprudelte es aus ihm heraus: „Sie ist lieb. Sie
lacht mich nicht aus und sie ist auch nicht so gemein zu mir, wie andere
Frauen. Ich mag, wie sie mich anlächelt. Sie ist so hübsch. Die hübscheste Frau
überhaupt.“
Ich trat an
ihn heran und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Und da willst du echt Lorna? Du
musst dein ganzes Leben bei ihr sein.“
Er schüttelte
entsetzt den Kopf.
„Dann geh zu
Ani!“
„Aber die
Anderen!“
„Ist doch
egal!“ Ich ruderte auf der Suche nach den Worten mit der Faust. „Du bist stark.
Verhau sie, wenn sie lachen! So einfach!“
Kane brauchte
noch etwas, und ich sah, wie er innerlich mit sich rang. Ich konnte das nur zu
gut verstehen. Aber dann gewann schließlich sein Herz. Das sah ich, als er mir
entschlossen zunickte und dann wieder Richtung Dorf rannte.
Als ich am Abend am Feuer saß, konnte ich das neue
Liebespaar gleich mal in Aktion erleben. Kane kam mit Ani an der Hand zusammen
an, und sie sahen beide aus, als würden sie nicht glauben, was sie gerade
taten. Ani wirkte wie ein verschrecktes Reh, das Gesicht puterrot und die
kleine Hand in der riesigen Pranke von Kane verschwunden. Der versuchte tapfer
und stolz in die Runde zu blicken, und ich musste zugeben, dass ich ihn ja für
seinen Mut bewunderte.
Es war
natürlich Ao, der blöd (oder betrunken) genug war, um trotzdem hinzugehen und die
beiden mit seinem Spott einzudecken. Ich muss nicht erwähnen, dass es ihm nicht
gut bekam. Er verlor an diesem Tag einen seiner unteren Schneidezähne. Und von
da an hat es niemand mehr gewagt, die flachbrüstige Ani auszulachen.
„Wulf! Bleib stehen!“
Ich zuckte
automatisch zusammen, obwohl ich genau wusste, dass nicht ich es war, dem die
Schimpftirade galt. Mit kleinen, hastigen Trippelschritten kam Klein-Wulfgar
auf mich zugerannt. Auch wenn rennen es
nicht wirklich gut beschrieb. Ich war ja schon erstaunt, dass er es schaffte,
nur einmal umzufallen, während er zu mir rüberkam.
Als er mich
erreicht hatte, huschte er hinter mich und ein paar große, unschuldige Augen
trafen mich, die mich so sehr an seine Mutter erinnerten, während vorne die
ihren wütend funkelten. Ganz automatisch nahm ich den Kleinen da hoch. Shana
war immer eine gute Seele gewesen, aber ihr Sohn schaffte es immer wieder, sie
auf die Palme bringen. Und dabei wusste er meistens nicht einmal, dass er etwas
ausgefressen hatte.
„Gib mir das
wieder!“, forderte sie energisch von ihm.
Wulf, wie sie
ihn immer nannten, um Verwechslungen mit mir auszuschließen, bedachte das gelbe
Stück Frucht in seiner kleinen Faust mit einem nachdenklichen Blick, dann sah
er seine Mutter an, weil er nicht verstand, und letztendlich landete die Frucht
doch in seinem Mund. Der Sand, der sich auf seinen runden Pausbacken befand,
verriet mir, dass er davor wohl ein Stück Sandkuchen gehabt hatte.
Shana stieß
nun einen wütenden Laut aus. „Ich habe dir doch verboten, dass du von den
heiligen Früchten naschst! Die sind für das Bootsrennen vorgesehen!“
Es war soweit.
Nachdem Lao-Pao im letzten Vollmond scheinbar die Zustimmung ihres Schöpfers
gelesen hatte, war für Abe, der inzwischen so gebückt lief, dass es mich
erstaunte, dass er überhaupt noch lief, endlich an der Zeit, das Zepter an die
nächste Generation abzugehen. Ihrer Tradition gemäß würde die Nachfolge unter Abes
Söhnen ausgemacht werden, und das, indem sie ein Bootsrennen gegeneinander
bestritten. Um den Segen ihres Schöpfers zu erhalten, durften die
Wettkämpfenden vor der Abfahrt ein Stück ihrer heiligen Frucht essen. Sie
glaubten daran, dass die Frucht ein direktes Geschenk ihres Schöpfers war, in
dem ein Teil seiner göttlichen Kraft verborgen lag. Sie zu essen versprach ein
langes und gesundes Leben. Normalerweise gab es sie deshalb nur zu ganz
besonderen Anlässen. Ich selber hatte erst zweimal davon probieren dürfen,
seitdem ich hier war. Die beiden Male, als ich Isaac vorm Tod gerettet hatte.
Die Früchte
waren jedenfalls unheimlich süß und saftig, was sie überaus beliebt bei den
Kindern machte. Ich konnte es Wulf deswegen nicht wirklich verübeln, dass er
ihren allmächtigen Schöpfergott beklaut hatte.
„Er versteht
das doch noch gar nicht“, versuchte ich, zu beschwichtigen. Ich stupste dem
kleinen Mann gegen die klebrige Nase, sodass er ein quietschendes Lachen ausstieß.
„Er ist noch so jung.“
Shana stemmte
die Fäuste in die Hüften. „Oh! Er versteht mich sehr wohl! Aber er hat nur
Flausen im Kopf!“ Dann schoss ihr Blick zu mir, dass ich erneut zusammenzuckte.
„Und du solltest ihn nicht dauernd in Schutz nehmen!“
„Wie könnte
ich nicht? Niemand kann ihm lange böse sein.“
Da gingen die
großen, nassen Hundeaugen zu Shana hinüber und sofort fiel jeglicher Ärger von
ihr ab. Das sah ich, auch wenn sie versuchte, weiterhin verärgert auszusehen.
Shana hatte schon recht. Er verstand mehr, als man annahm, auch wenn er erst
ein Jahr alt war. Seine Großmutter verglich ihn oft mit Isaac in seinem Alter. Scheinbar
war er damals schon sehr erfinderisch gewesen. Wenn auch nur darin, Unfug zu
machen. Auch wenn ich mir das bei ihm kaum vorstellen konnte.
Shana stöhnte
frustriert. „Tust du mir den Gefallen und passt ein bisschen auf ihn auf? Ich
habe gerade alle Hände voll mit den Vorbereitungen zu tun, dass ich ihn nicht
im Auge behalten kann. Und ich habe keine Ahnung, wo sein Vater schon wieder
abgeblieben ist.“
„Nichts lieber
als das.“
Ich grinste
und Wulf grinste zurück. Wir spielten ein paar Runden Mari-Erschrecken, bis die
uns davonjagte und Wulf baden wollte. Also gingen wir zum Strand hinunter. Da es
erst kurz nach Mittag war, war die blau-grün schimmernde Lagune voller
Fischerboote. Ein paar der Fischer jedoch waren an Land geblieben, besserten
ihre Boote und Netze aus oder hatten sich zwischen die umgedrehten Boote in den
Schatten gelegt, um zu schlafen. Ich konnte mindestens auch Ao unter den
Schlafenden ausmachen, neben dem der provisorisch leere Krug im Sand stand.
Ich setzte
Wulf ab, der sofort den Kindern nachwackelte, die gerade ein Fangspiel
angefangen hatten. Sie waren alt genug und selber ganz begeistert von dem
Kleinen, also würden sie gut auf ihn aufpassen. Einen Moment überlegte ich, zu
Ao rüberzugehen und den faulen Sack mit einer Portion Sand zu wecken, aber dann
bemerkte ich Isaac, der allein zwischen all den Leuten stand und
gedankenverloren zum Himmel hinaufsah. Also ging ich zu ihm.
„He!“, rief
ich ihn, damit er ins Diesseits zurückkehrte. „Was heckst du jetzt wieder aus?“
Er hatte wieder seinen Denkerblick aufgesetzt.
„Nichts
wirklich.“ Er lächelte freudlos. „Ich wünschte, ich würde etwas aushecken. Dann
hätte ich wenigstens eine Idee, was ich wegen des Rennens machen könnte.“
„Wie? Hast du
dir etwa nichts überlegt?“ Er schüttelte den Kopf. „Was, ich dachte, dass du
schon längst irgendetwas in deinem Ärmel hättest, um Kane zu schlagen. Alle
denken das!“
„Ich trage
aber keine Sachen“, merkte er irritiert an.
Ich brauchte
etwas, um zu kapieren, was er meinte. „Das sagt man doch nur so. Sag mir
lieber, was du wegen des Rennens machen willst. Du bist ja ein guter Ruderer,
aber gegen Kane…“
Ich ließ den
Satz unvollendet, aber Isaac wusste sowieso, wovon ich sprach. Gegen Kanes
monströse Oberarme kam niemand an.
„Warum gibst
du dem Segelboot nicht noch eine Chance?“, schlug ich vor.
Isaacs Blick
glitt zu dem Boot, das etwas abseits neben den anderen Booten stand. Aber im
Gegensatz zu ihnen war es nicht umgedreht. Das war auch gar nicht möglich, da
es inzwischen wieder unsere Konstruktion trug, die Isaac einen Mast nannte. Er hatte seine Erfindung
erst völlig verwerfen wollen, aber ich hatte ihn dann dazu überreden können, es
doch nicht zu tun. Seitdem hatte er immer wieder daran gearbeitet und es um
einige Neuerungen verbessert. Da war jetzt beispielsweise eine Seilkonstruktion,
mit der man das Segel setzen oder auch einholen konnte, wenn der Wind zu stark
blies, und die den Mast gleichzeitig auch gegen den Wind stärkte. Es wunderte
mich ja sowieso noch immer, dass der bei der ersten Testfahrt nicht einfach entzweigebrochen
war.
Doch obwohl Isaac immer wieder daran
gearbeitet hatte, war er nie wieder damit in See gestochen. Und er hatte auch
allen anderen verboten, es zu tun, da er es noch für zu gefährlich hielt.
„Nein“, lehnte
er auch sofort entschieden ab.
„Warum nicht?“
„Es ist noch
nicht fertig.“
„Dann mach es
halt fertig!“
Er warf einen
zweifelnden Blick auf das Segelboot. „Das werde ich in der Zeit nicht schaffen.
Ich weiß nicht einmal, ob ich es jemals
fertigstellen kann.“ Bevor ich etwas sagen konnte, beeilte er sich,
hinzuzufügen: „Außerdem – mal angenommen, es würde wirklich funktionieren –
wäre es nicht wirklich fair Kane gegenüber. Wir sollten beide dieselben
Startbedingungen haben.“
„Das werdet
ihr haben, wenn du das Segelboot nimmst. Kane hat seine Kraft, du dein
Köpfchen. Das Rennen soll den Besten von euch zum nächsten Anführer bestimmen
und deine größte Stärke ist nun mal dein Erfindungsgeist. Es ist nur fair, dass
du ihn auch benutzt, wenn es schon ein Rennen sein muss, das über den nächsten
Anführer bestimmt.“
Mir war klar,
dass Isaac ohne sein Segelboot nicht gegen Kane gewinnen konnte. Und nicht nur
ich war der Meinung, dass Isaac wesentlich besser als Häuptling geeignet war,
als sein Bruder. Kane war zwar stark und geschickt, aber es mangelte ihm doch
sehr an Weisheit und Weitsicht. Isaac jedoch hatte das und er war es auch, den
die meisten der Dorfbewohner als ihren neuen Häuptling sehen wollten.
„Ich werde es
trotzdem nicht nehmen“, erklärte er jedoch. „Es ist zu unsicher, ob es
funktioniert.“
„Dann lass mich dir zeigen, dass es funktioniert.“
Bevor Isaac
mich aufhalten konnte, war ich zum Segelboot gesprintet, aber er holte mich
ein, als ich auf halbem Weg zum Wasser war. Entschieden stellte er sich mir in
den Weg.
„Ich habe allen verboten, es zu benutzen. Es ist
zu gefährlich!“, wiederholte er.
Da konnte ich
aber nur lachen. „Als ob mich das je aufgehalten hätte! Als ob es dich je aufgehalten hätte!“
„Das war, bevor ich Frau und Kind hatte.“
„Tja, dann ist
es ja kein Problem, wenn ich das Boot ausprobiere.“ Als ich sah, dass er stur
blieb, setzte ich ein bisschen flehentlich hinzu: „Bitte, Isaac! Auch ich habe hieran gearbeitet.“
Das Boot war
das Letzte gewesen, an dem wir beide zusammen gearbeitet hatten, bevor ich auf
Distanz zu ihm gegangen war. Doch obwohl es immer noch komisch für mich war,
mit Isaac zu tun zu haben, war mir diese Sache hier wichtig. Ich hatte mich
zwar dazu entschieden, hierzubleiben, aber dennoch hatte ich auch nicht vor,
mein Versprechen Greta gegenüber zu brechen, sie zu besuchen. Einmal, wenn Mari
alt genug war, würde ich zu ihr fahren, um sie wiederzusehen, und dann würde ich wieder hierher zurückkommen. Ein schnelleres
Boot, als das, mit dem ich hergekommen war, wäre da natürlich überaus nützlich.
Isaac sah
jetzt anscheinend auch, wie wichtig mir das war, denn er trat zur Seite. Ich
nickte ihm dankbar zu, schob das Boot den restlichen Weg ins Wasser und schwang
mich dann ins Innere. Es tat immer wieder gut, das schwankende Holz eines
Bootes unter mir zu haben.
Hier weiterlesen -> Kapitel 13
Hier weiterlesen -> Kapitel 13
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen