Neuigkeiten

Hallo und herzlich willkommen in meiner (Sims-)Wortschmiede!
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!
Neu hier? Dann hier anfangen.
Wulfgars Geschichte jetzt komplett online!

Sonntag, 16. Dezember 2018

Kapitel 76.2 - Das Junggesellenfest Teil 2



Obwohl sich Tann hatte volllaufen lassen wollen, war es schließlich Lu, der betrunken war. Tann hatte Lu noch niemals zuvor betrunken gesehen und er musste feststellen, dass er auch gern darauf verzichtet hätte. 
     Zuerst war er überaus fröhlich gewesen.


Dann hatte er angefangen zu heulen.


Und jetzt war er anscheinend dazu übergegangen, über die Götter und die Welt zu schimpfen. Das Wetter, die Kinder, die Männer, die Frauen.


Als Lus Blick nun ihn selber traf, schwante Tann böses. 
     „Und du?“, lallte er. „Was findest du eigentlich an so jemandem wie Tanna? Ich meine, sie ist eine egoistische, selbstverliebte, heuchlerische Zicke! Sie ist unausstehlich! Sie hat dich betrogen und belogen und trotzdem willst du sie am liebsten wiederhaben. Was hat sie bitteschön, das ich nicht habe, hm? Ich meine, ich habe dich geliebt und bin sogar Schamane geworden, um dir zu helfen. Ich hätte alles für dich getan, aber trotzdem hast du sie genommen. Verdammt, du hast sogar den Stamm für sie aufgeben wollen, aber selbst das hat ihr nicht gereicht!“ Er stockte. „Ist es, weil sie Brüste hat? Es sind Brüste, nicht wahr?“


Tann aber hatte noch immer mit seinem Schock zu kämpfen, was Lu ihm gerade offenbart hatte. „Du… hast mich geliebt?“ 
     Der Betrunkene nickte zwischen zwei Schimpftiraden. 
     „Lu, ich hatte keine Ahnung…“
     „Natürlich hattest du nicht!“, schlug sein Gegenüber unbeeindruckt aus. „Du bist auch viel zu blöd dafür, um sowas zu merken! Hast ja nicht mal gemerkt, dass die ach-so-großartige Tanna dich die ganze Zeit über an der Nase herumgeführt hat!“


„Moment! Wusstest du etwa davon?“
     „Natürlich!“
     „Und warum hast du mir nichts gesagt?“, forderte Tann sauer, zu wissen.
     „Was glaubst du, was ich die letzten Wochen gemacht hab, hä? Hab wie ein Blöder auf ihre Hoheit eingeredet, dass sie das mit Leah sein lässt. Oder wenigstens ehrlich zu dir ist. Pfft! Überleg mal lieber; eigentlich wolltest du das doch aber gar nicht wissen, oder?“
     Es stimmte irgendwie. Er war zwar vorher auch nicht glücklich gewesen, aber seitdem Tanna ihn verlassen hatte, ging es ihm noch schlimmer.
     „Ich mag es trotzdem nicht, angelogen zu werden.“
     „Mach dir nicht ins Hemd, ich hätte es dir schon noch gesagt! Antworte mal lieber auf meine Frage! Was findest du so toll an dieser Frau? Was findet ihr Männer überhaupt so toll an Frauen? Die sind doch alle so zickig und herrisch!“
     „Nicht alle sind so, Lu.“


Der Schamane schaute etwas verwirrt drein, aber dann ging ihm schließlich ein Licht auf. 
     „Stimmt! Du hast recht!“ Er vergrub bestürzt das Gesicht in den Händen. „Wenn es nur so wäre! Dann hätte ich ja noch eine Chance! Aber sie ist überhaupt nicht herrisch oder so! Sie ist süß und lieb und nett und freundlich! Wie soll ich da nur gegen ankommen?“
     „Ähm…von wem redest du eigentlich?“
     „Lulu…“
     „Lulu? Was hat meine Schwester jetzt hiermit zu tun?“


Lu zeigte daraufhin auf Lulu und Wulfgar, die gerade anscheinend erneut einen Tanz wagten, wie es aussah. Tann brauchte einen Moment, um sich überhaupt einen Reim darauf zu machen.
     „Was? Lulu und Wulfgar? Seit wann das denn? Ich dachte, Wulfgar würde zu dir gehören.“
     „Das dachte ich auch, aber… aber…“
    Lus Worte versiegten und er brach unvermittelt in Tränen aus. Aber Tann hatte sowieso genug gehört.


Er stapfte wütend davon und er schreckte damit Lu auf, der das Heulen sofort wieder einstellte.
     „Was hast du vor?“, wollte er wissen.
     „Wulfgar aufs Maul hauen, dass er so einen Scheiß macht. Das hätte ich echt nicht von ihm gedacht. Mit dir und meiner Schwester!“


Da huschte Lu an ihm vorbei und stellte sich ihm in den Weg. 
     „Nein! Ich… bitte mach das nicht! Wir sollten vielleicht erstmal mit ihm reden“, bat er beschwichtigend.
     „Wie? Hast du das etwa noch nicht gemacht?“ 
     Doch Lu antwortete ihm nicht mehr. Er ließ nur den Kopf hängen. 
     „Sag mal, weißt du überhaupt sicher, dass da was zwischen den Beiden ist?“


Tann sah zu Lulu und Wulfgar hinüber, die inzwischen wieder artig Abstand zueinander genommen hatten. „Das sieht mir nämlich nicht so aus.“ 
     Jetzt ließ sich Lu wenigstens dazu hinreißen, zaghaft den Kopf zu schütteln. 
     „Was? Warum redest du dann nicht mit einem von ihnen?“ 
     Erneutes Schweigen. 
     „Lu, red mit mir!“
     „Ich… trau mich nicht…“
     „So kenn ich dich ja gar nicht!“, erwiderte Tann überrascht. „Komm schon, sei kein Feigling! Geh hin und rede mit ihnen! Wahrscheinlich machst du dir vollkommen umsonst Sorgen!“


Lu sah noch einen Moment länger unsicher aus, aber dann konnte Tann sehen, wie er anfing, seinen Mut zusammenzuklauben. Ganz langsam verschwand der Zweifel aus seinem Gesicht.
      „Du hast recht!“, meinte er schließlich voller Elan. „Ich geh jetzt da hin und rede mit ihnen!“
      Also drehte er ab, um zu tun, was er sich vorgenommen hatte. Nur, dass er nicht sehr weit kam.


Der Alkohol schoss ihm unversehens in den Kopf, machte seine Glieder schwer und unkontrollierbar und ließ ihn schließlich stolpern. Unsanft ging er zu Boden und die nächste Zeit hatte er nur damit zu kämpfen, einen plötzlichen Würgereiz unter Kontrolle zu bekommen.
      Tann schüttelte den Kopf und ging, um seinem alten Freund aufzuhelfen. „Ich glaube, du bist gerade nicht wirklich in der Verfassung dafür. Ich gehe für dich hin und rede mit ihnen.“


Er zog Lu auf die Beine, musste aber sowohl sich als auch Lus ganzes Gewicht beim Gehen tragen. Dem entwich jetzt ein jammernder Ton, der sich sehr nach „Bitte nicht“ anhörte.
     „Ich rede nur mit Lulu, okay? Sie ist immerhin meine Schwester. Ich will deshalb auch wissen, was los ist. Und sie wird mich auch nicht anlügen.“
     Er traute Lulu nicht mal zu, dass sie ihn anlügen konnte. Er würde es wahrscheinlich sofort sehen.
     Tann ließ Lu an einer Bank zurück, wo der Betrunkene sich einrollte und sein leises, jammervolles Stöhnen ihn noch ein Stück weit begleitete, während er quer über die inzwischen leere Tanzfläche zu Lulu und Wulfgar rüberging. Die Nacht war inzwischen so weit fortgeschritten, dass sich ein wunderschöner Sternenhimmel über ihm erstreckte, den er die letzte Zeit oft bei seinen einsamen Wachten auf dem Hof beobachtete. Es würde aber nicht mehr lange dauern, bis die Sonne ihre ersten Strahlen in die Dunkelheit der Nacht mischen würde.


Als er vor Lulu und Wulfgar zum Stehen kam, trafen ihn zwei überraschte Augenpaare. Lulu sah tatsächlich ein bisschen so aus, als würde ihr nicht gefallen, dass er da war, fiel ihm auf. Nur Wulfgar schien keine Ahnung zu haben, was jetzt passieren würde. Was Tann, der die letzte Zeit so zurückgezogen war, plötzlich von ihnen wollte. Er wusste ja selber nicht einmal, ob es so eine gute Idee war, sich einzumischen.
     „Lulu, kann ich dich kurz mal sprechen? Allein?“, bat er seine Schwester.
     Lulu sah zuerst echt so aus, als würde sie nein sagen, aber dann nickte sie schließlich und folgte ihm um den kleinen Teich herum, der sich in ihrem Rücken befand.


Obwohl das Fest unweit entfernt noch immer in vollem Gange war, war es hier so merkwürdig ruhig, dass man die Geräusche der Frühlingsnacht klar und deutlich hören konnte.
     „Also“, begann er, als Lulu und er Aufstellung voreinander bezogen hatten, „ich muss dich mal fragen: Was ist das eigentlich zwischen dir und Wulfgar? Ihr scheint euch ziemlich nahe zu sein.“
     Lulu wirkte ertappt, aber sie bekam sich so schnell wieder unter Kontrolle, dass es Tann nicht nur erstaunte, sondern er auch nicht sicher sagen konnte, ob er sich das nicht nur eingebildet hatte.


„Natürlich sind wir das. Er ist der Vater meiner Kinder“, sagte sie nur.
     „Und sonst nichts?“, bohrte er nach.
     „Nein.“
     Ihre Antwort kam so direkt, dass Tann keine Sekunde daran zweifelte, dass sie ehrlich war. Wie gesagt, er glaubte nicht daran, dass seine ruhige Schwester ihn überhaupt anlügen konnte.
     „Wie kommst du überhaupt auf sowas?“, fragte sie plötzlich.
     „Ach, Lu hat sich ein bisschen Sorgen deshalb gemacht. Er hat zu viel getrunken. Ich glaube, deswegen ist er ein bisschen durchgedreht. Aber wenn du mir sagst, dass er sich keine Sorgen machen braucht, geh ich mal lieber zu ihm zurück und sag ihm das.“


Lulu nickte und lächelte unschuldig, als ihr Bruder sie stehen ließ. Doch kaum, dass er hinter dem dichten Schilfgras verschwunden war, das wie eine Mauer um den kleinen Tümpel herum wuchs, erstarb ihr Lächeln. Wenn selbst Lu inzwischen etwas gemerkt hatte, musste sie sich mehr zurücknehmen.


Als sie wenig später an Wulfgars Seite zurückkehrte, hatte sie ihre Fassung und ihr Lächeln aber wieder aufgesetzt.
     „Was wollte Tann denn?“, wollte der sogleich wissen.
     „Oh, nichts weiter. Lu hat etwas getrunken und ist jetzt ganz komisch. Deswegen ist er zu mir gekommen, weil ich mich als Brauerin ja mit sowas auskenne“, log sie. „Aber Lu ist nur betrunken. Das hätte er eigentlich selber sehen können.“


Wulfgars Blick huschte suchend durch die Dunkelheit, was Lulu ärgerte. „Lu ist hier? Seit wann das denn?“
     „Keine Ahnung. Er ist mit Tann hergekommen.“
     Sie wies auf die beiden Männer, die inzwischen wieder nebeneinander standen. Sie waren in der Dunkelheit nur schwer auszumachen, aber trotzdem konnte man erkennen, wie Tann gerade seine Hand auf Lus Schulter legte und dem Betrunkenen versuchte, einen Becher anzubieten, von dem man nur hoffen konnte, dass sich Wasser darin befand.
      Und alles, was Wulfgar dachte, war: ‚Wenn Lu die ganze Zeit hier war, warum ist er dann nicht hergekommen?‘


Und so ging das erste Junggesellenfest des Zoth-Stammes zu Ende.


Am nächsten Morgen war Wulfgar schon früh wieder auf dem Weg zurück zum Zoth-Stamm. Er hatte gestern Nacht am liebsten sofort zu Tann und Lu rübergehen wollen, aber Lulu hatte ihn nicht gelassen. Sie hatte ihn so flehentlich angesehen, dass er sie schlecht hatte allein lassen können. Er wusste ja, dass sie sehr schüchtern war. 
     Also hatte er sie nach Hause gebracht und war dann umgehend wieder aufgebrochen, um zum Zoth-Stamm zurückzukehren und nach Lu zu sehen. Sein Gefährte war noch immer nicht zurückgekehrt und auch von Tann fehlte jegliche Spur, auch wenn das nichts heißen musste. Außer Rahn und Akara war noch niemand nach Hause gekommen.


Als er den Lagerplatz des anderen Stammes erreichte, stand die Sonne bereits voll am Himmel. Es herrschte ein reges, aber verschlafenes Treiben vor Ort. Man hatte das Essen beiseite geschafft und grob aufgeräumt, aber größtenteils war man noch damit beschäftigt, überhaupt aufzuwachen. Hier und da sah er auch noch immer jemanden seinen Rausch und seine Müdigkeit ausschlafen.


Er fing Roah ab, die gerade ihr Frühstück beendet hatte und auf ihn zukam. Obwohl sie noch wach gewesen war, als er Lulu heimgebracht hatte, sah sie so frisch aus, als hätte sie die letzte Nacht gut geschlafen. Von ihr erfuhr er dann, dass sich Lu und Tann, die er nirgends finden konnte, im großen Zelt befanden. Schon da schwante ihm Böses.
      Nur hätte er trotzdem nicht damit gerechnet, was er letztendlich im Inneren des Zeltes vorfand.


Tann und Lu waren beide noch am Schlafen und sie waren beide nackt. Lu lag auf dem Bauch, wie er das immer beim Schlafen tat, und hatte einen Arm um Tann gelegt. Doch obwohl das alles an Körperkontakt war, was zwischen den Beiden stattfand, reichte das Wulfgar vollkommen.
     „Was…?“, entwich es ihm laut.
     Lu wurde dadurch wach. Er blinzelte verschlafen, auch Tann drehte sich grummelnd, bevor er sich schließlich mit verkatertem Gesicht aufrichtete. Aber da hatte Lu schon seinen Gefährten entdeckt, die Situation in der er sich befand, und sofort war er auf den Beinen. Doch obwohl er sich erklären wollte, fehlten ihm die Worte. Alles, was er tun konnte, war, ertappt dreinzuschauen.
     Auch Wulfgar fehlten die Worte. Er wollte die Beiden anbrüllen, wollte seine Wut über seinem Gefährten entladen, aber plötzlich schnürte es ihm die Kehle zu und beraubte ihm jeglicher Worte.


Bevor er wusste, was er tat, hatte er sich umgedreht und war der Szene entflohen. Die Sonne blendete ihn schadenfroh, aber er ignorierte es. Schnellen Schrittes verließ er das Lager, achtete auf nichts in seiner Umgebung.
      Er war so wütend. So unglaublich enttäuscht, dass in ihm sofort der altbekannte Drang aufbegehrte, einfach abzuhauen. Sein Boot zu nehmen und in die Welt hinaus zu segeln. Nur, dass er das jetzt nicht mehr tun konnte, wie er sich selber erst erinnern musste. Nicht nur, dass sie sein Boot auseinandergenommen hatten (was er jetzt verfluchte, dass er das extra für Lu getan hatte!), sondern hatte er hier jetzt auch eine Familie. Er würde Leif und Ragna jedenfalls nicht so einfach zurücklassen. Selbst, wenn das bedeutete, dass er von nun an in vollkommener Ignoranz von Lus Existenz leben musste.
      Als hätte er ihn heraufbeschworen, hörte er Lu da auch schon hinter sich seinen Namen rufen.


„Wulf!“, benutzt er seinen Kosenamen, mit dem außer ihm nur Lulu ihn anzureden pflegte, während er sich ihm in den Weg stellte und ihn zum Anhalten zwang. „Jetzt warte doch mal! Lass uns doch reden!“
     „Was gibt es denn da noch zu reden? Ich hab’s ja eigentlich geahnt, dass du mich gar nicht liebst!“, schnappte Wulfgar bissig. Dann rang er die Hände zum Himmel. „Ich hätte von Anfang an auf meine Intuition hören sollen, und einfach wegbleiben! Du hast mir früher schließlich immer wieder gezeigt, was du wirklich von mir hältst!“
     „Was redest du denn da?“


„Ach, als ob du das nicht ganz genau weißt! Ich hätte nur nicht von dir gedacht, dass du sowas machen würdest!“ Er lachte höhnisch. „Naja, hätte ja gut für mich ausgehen können, wenn kein anderer aufgetaucht wäre!“
     „Ich… verstehe nicht…“ 
     Als Wulfgar keine Anstalten machte, sich zu erklären, ging Lu zu ihm hinüber und legte ihm liebevoll eine Hand auf den Arm, die Wulfgar aber wütend zur Seite schlug. Das stach Lu mitten ins Herz.
     „Ich weiß nicht, was gestern Nacht passiert ist“, versuchte er zu beschwichtigen, „aber ich wollte das ganz sicher nicht. Ich war betrunken und wusste nicht, was ich tat.“
     „Sicher! Sei doch wenigstens jetzt ehrlich! Du hast mich nie geliebt! Du hast mich nur genommen, weil du keine andere Wahl hattest! Weil niemand anderes da war!“


Lu war erschrocken, das zu hören, aber bevor er etwas sagen konnte, tauchte Tann auf.
     „Mann, ich werde zu alt für sowas“, keuchte er.


Und nachdem er wieder zu Atem gekommen war, wandte er sich direkt an Wulfgar und sagte: „Ich bin hergekommen, um euch zu sagen, dass überhaupt nichts passiert ist. Na gut, Lu und ich haben wohl ein bisschen zu viel getrunken und wir haben uns eine Schlacht mit dem Gebräu geliefert, aber sonst ist nichts passiert, das versichere ich dir.“
     „Klar, das glaube ich dir auch aufs Wort!“, meinte Wulfgar sarkastisch.
     „Wenn du mir nicht glaubst, frag Roah. Sie war die ganze Nacht auf, hat sich um unsere nassen Sachen und auch um uns gekümmert.“ Und sie war ziemlich wütend, dass sie das kostbare, teure Gebräu derart verschwendet hatten. 


„Siehst du, es ist nichts passiert“, pflichtete Lu ihm erleichtert bei.
     „Schade für dich, Lu, hm? Jetzt wirst du wohl allein bleiben müssen.“
     Lu war so erschüttert, das zu hören, dass er einen Moment brauchte, bis er Wulfgar nachsetzte, als der erneut versuchte, abzuhauen.


Anstatt sich dem Anderen aber nur in den Weg zu stellen, schubste er ihn so heftig, dass Wulfgar zurückstolperte und tatsächlich mit dem Gleichgewicht zu kämpfen hatte. Auf seinem Gesicht eine Wut, die man selten bei dem ansonsten sanften Schamanen sah.


„Was soll das heißen?“, forderte er zu wissen. 
     Doch Wulfgar strafte ihn nur mit Schweigen. 
     „He, rede gefälligst mit mir! Was habe ich dir denn bitte getan, um so eine gemeine Abfuhr zu verdienen? Ist es wirklich wegen diesem Blödsinn, den du vorhin von dir gegeben hast? Glaubst du wirklich, dass ich dich nicht liebe?“
     „Ja, tu ich“, kam von Wulfgar trotzig.
     Verschränkte Arme bei Lu. „Ich hoffe, dass deine Erklärung, warum du das glaubst, auch gut genug ist, sonst bin ich ernsthaft beleidigt, dass du mir nicht glaubst. Also?“


Da sickerte die Wut langsam aus Wulfgars Gesicht. Beinahe etwas kleinlaut sagte er: „Du hast überhaupt keine Ahnung von der Welt da draußen.“
     „Was hat das damit zu tun?“
     „Du hast nie diesen kleinen, beschaulichen Fleck Erde hier verlassen. Du hast nie die Chance erhalten, irgendwen anders kennenzulernen außer mich. Niemanden, der potentiell an dir interessiert ist.“
     „Und?“
     „Du hattest gar keine andere Wahl, als mich zu nehmen, meine ich damit.“
     „Und?“
     „Hör auf, ständig dasselbe zu sagen!“, entgegnete Wulfgar wieder aufgebracht. „Bist du ein Papagei, oder was?“
     „Ich habe keine Ahnung, was das ist, aber ich bleibe dabei: Und?“


Da brach es schließlich verzweifelt aus Wulfgar heraus: „Woher willst du wissen, dass dort draußen nicht jemand ist, der viel besser zu dir passt? Ich war da draußen und... ich weiß, dass ich dir was anderes erzählt habe, aber ich hatte die Chance, jemand anderen zu haben. Aber ich hab’s nicht getan. Weil ich dich wollte, verstehst du? Aber du hattest nie eine andere Auswahl als mich.“
     „Und was erwartest du jetzt von mir? Dass ich eine Rundreise mache und gucke, wer da draußen so alles auf mich wartet?“ Lu schnalzte mit der Zunge. „Das ist lächerlich!“
     „Und woher weiß ich, dass nicht irgendwann jemand kommt und dich mir wegnimmt?“


Erst jetzt sah Lu, dass das nicht nur eine plötzliche Laune von Wulfgar war, weil er eifersüchtig gewesen war, sondern etwas, das ihn schon länger beschäftigen musste. Tief drinnen.
     Also trat er wieder an den Anderen heran, legte ihm die Hände auf die Schultern und versicherte einfühlsamer: „Weil ich dich liebe, deshalb. Es ist mir egal, ob dort draußen jemand ist, der perfekt zu mir passen würde, ich will trotzdem nur dich.“
     Wulfgar wagte einen zögerlichen Blick, doch er fiel gleich wieder zu Boden. Der Zweifel war noch immer in seinen Augen. So einfach, wie Lu das gehofft hatte, würde er ihn nicht aus der Welt schaffen können, erkannte er.


„Es… ist ja auch nicht so, dass ich nie eine andere Auswahl hatte“, begann er also zögerlich, zu erzählen.
     Als Wulfgar nun aufsah, huschte Lus Blick automatisch zu Tann hinüber, der sich versteifte und dann so aussah, als wäre er lieber ganz woanders. Nicht, dass er vorher so viel anders ausgesehen hatte.
     „Was meinst du damit?“, wollte Wulfgar natürlich wissen.


Tann erschien jedoch zwischen ihnen, bevor er sich erklären konnte. „Ich glaube, ich lasse euch lieber allein“, meinte er beschämt. Und dann war er so schnell auf und davon war, als würden ihn mindestens drei Wölfe verfolgen.
     Zurück blieben Wulfgar und Lu und eine alte Geschichte, die kurz darauf das erste Mal erzählt wurde.


Am Abend, als Tann allein bei der Schafsweide stand, schlüpfte Lu aus dem Haus und huschte zu seinem ehemaligen Liebhaber hinüber.


„Tut mir leid, dass ich Wulf diese alte Kamelle erzählt habe“, fing der Schamane an.
     „Ich habe, ehrlich gesagt, damit gerechnet, dass er ankommen und sich mit mir prügeln wollen würde. So wie früher.“
     Lu lächelte gequält. „Er ist auch gerade nicht so gut auf dich zu sprechen. Du verstehst, dass ich mich deswegen ein bisschen von dir fernhalten muss, nicht wahr?“
     Sie hatten die letzte Zeit wieder vermehrt miteinander zu tun gehabt. Seitdem Diana gestorben war. Seitdem Tann sich so stark von allen anderen zurückgezogen hatte, hatte Lu versucht, für ihn da zu sein.


„Ja, natürlich.“
    „Entschuldige“, sagte Lu zerknirscht. „Ich hatte wirklich viel Spaß mit dir.“
    „Ich auch.“
    „Wie in alten Zeiten.“
    Ein echtes Lächeln verirrte sich auf Tanns ansonsten so verdammt ausdrucksloses Gesicht. Wenn auch nur für einen klitzekleinen Augenblick. „Ja.“
     Lu schwieg eine Weile, die auch Tann mit Schweigen verbrachte, dann: „Ich muss wieder rein. Wulf glaubt, ich bin austreten. Also, gute Nacht, Tann!“
     „Gute Nacht, Lu!“


Tann sah dem Schamanen noch einen Moment nach, in dem er bedauerte, dass er den alten Freund, den er gerade erst wiedergefunden hatte, nun doch wieder verloren hatte. Dann jedoch drehte er sich um und versank erneut in sich selbst. In der Dunkelheit und der Leere, die ihn immer mehr auszufüllen schien.


Während Lu an der Tür noch einmal innehielt und zu dem ehemaligen Stammesführer hinübersah. Und bei dessen Anblick breitete sich ein böses Gefühl in seinem Magen aus. Wulfgars Eifersucht war zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt gekommen. Er hatte jedenfalls ziemliche Bedenken, Tann jetzt allein zu lassen. Jetzt, wo er doch jegliche Hilfe und Zuwendung gebrauchen konnte.


Doch alles, was er tun konnte, war zu versuchen, andere dazu zu bekommen, diese Aufgabe zu übernehmen.


Nur, dass sich das als sinnloses Unterfangen herausstellte.  


Denn niemand von Tanns Familie wollte ihm glauben, dass mit dem einst willensstarken Mann etwas ganz eindeutig nicht in Ordnung war.


Dass er Hilfe brauchte, bevor er zerbrechen würde.


Niemand konnte ihm helfen.


Niemand wollte ihm helfen.


Was sollte Lu da nur tun?
_____________________________ 

Hier weiterlesen -> Kapitel 77 

Tja, was wird Lu nur tun? Was nur wird aus Tann werden? Mit diesen Fragen geht es dann im neuen Jahr weiter. Ich weiß noch nicht genau, wann genau ich das nächste Kapitel posten werde, aber irgendwann Anfang Januar wird das sein.
(Zwischen Lu und Tann ist übrigens wirklich nix passiert, will ich hier nochmal versichern.)

Bis dahin habe ich noch ein paar Sachen für euch, da ich heute ja auch das einjährige Jubiläum von Zeitalter feiere. Ich hätte ehrlich nicht gedacht, dass es sich so hinziehen würde, und ein baldiges Ende ist ja auch nicht in Sicht. 
Jedenfalls habe ich ein paar Hintergrund/Trivia-Sachen für euch zusammengestellt, und ich habe mich auch dazu entschlossen, euch jetzt einfach mal alle restlichen Kapitel von Wulfgars Geschichte um die Ohren zu hauen.
Zudem habe ich Luma und Enn (und ein paar andere alte, aber auch neue Gesichter) genommen und sie eine lange Reise antreten lassen, damit sie in Sims 4 die Historychallenge spielen können. Da Sims 4 mich aber gerade sehr ärgert, weiß ich nicht, ob ich das überhaupt weiterspiele.  







Jedenfalls möchte ich mich an dieser Stelle bei allen alten und neuen Lesern dafür bedanken, dass ihr fortwährend mitlest. Vor allen Dingen euer Feedback war mir immer eine große Hilfe, weiterzumachen und auch an meinen Schreibfähigkeiten zu feilen. Deshalb bedanke ich mich ganz doll bei allen meinen Lesern, wünsche euch eine frohe, friedliche und vor allen Dingen stressfreie Weihnacht, schöne Feiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr!