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Sonntag, 16. Dezember 2018

Kapitel 25 - Das Ende der Reise


Wir hatten uns auf eine nahegelegene kleine Insel zurückgezogen, die mir bei meinem Aufbruch überhaupt nicht aufgefallen war. Sie war eigentlich mehr ein kleiner Felsen, denn eine Insel, lag aber genau gegenüber der Stelle, an der ich einst gezwungen gewesen war, gleich wieder an Land zu gehen. Ich war schon so nahe an meinem Ziel gewesen, ohne es gewusst zu haben.
     Dan und seine Männer, zwei immer noch wütende Kerle, an die ich mich, ehrlich gesagt, nicht mehr erinnerte, hatten dem dritten Mann die Hände hinter den Rücken gebunden und ihn zwischen sich gesetzt. Vor uns brannte ein behagliches Feuer, über dem einige köstlich duftende Fische brieten, und ich hoffte nur, dass der inzwischen graue Himmel uns noch eine Weile mit Regen verschonen würde.
     „Wer ist er?“, fragte ich mit Blick auf den Gefesselten, als Dan endlich zu uns stieß. Da ich in Bärenwald ein Ausgestoßener war, erwartete ich mir von den anderen beiden keine Antwort. So, wie die mich ansahen, lag ich damit wahrscheinlich auch richtig.
     „Ein Räuber“, antwortete Dan mir. „Er kam vor ein paar Tagen in unser Dorf und hat unser Heiligtum gestohlen.“
     Der riesige Edelstein, der vage die Form eines Bären hatte, wie ich mich erinnerte. Wie zum Beweis präsentierte Dan ihn mir jetzt auch einen Moment lang, bevor er wieder in den Untiefen eines Sacks verschwand.
     „Aber er hat sich nicht sonderlich gut dabei angestellt“, fuhr Dan fort. „Wir haben ihn erwischt und sind ihm nach. Glücklicherweise haben wir inzwischen ja einen Hafen.“
     Bärenwald war nie wirklich weit vom Meer entfernt gewesen. Vielleicht ein bisschen weiter weg von da, wo ich damals hergekommen war, aber auf der anderen Seite war das Meer keine fünf Minuten entfernt gewesen. Trotzdem hatte ich damals den Fluss gewählt, um meine Reise fortzusetzen. Ich hatte erst einmal genug vom Meer, seinen tückischen Wellen und dem Untergehen gehabt. 
     Es wunderte mich aber, ehrlich gesagt, dass sie sich mit ihren Ruderbooten überhaupt so weit raus trauten. Von Seglern hatten sie scheinbar noch nichts gehört. Weder die Bärenwalder, noch der Räuber, der auf mich den Eindruck eines abgerissen Möchtegernpiraten machte.
     „Es wird in letzter Zeit immer gefährlicher hier, sag ich dir.“ Dan schüttelte den Kopf und sah mich dann direkt an. Ich wusste schon, was er fragen wollte, und ich hatte mich davor gefürchtet. „Und du? Wie ist es dir ergangen? Und wo hast du Mari gelassen?“
     Ich schluckte schwer, aber ich erzählte ihm ohne zu zögern, was geschehen war. Er hatte verdient, es zu erfahren. 
     Als ich die schwere Geschichte hinter mich gebracht hatte, sah Dan so betroffen aus, wie die beiden anderen Männer auch, und er meinte kopfschüttelnd: „Das sollten wir Ura vielleicht lieber nicht erzählen. Sie hat schon genug durchgemacht.“
     Die anderen beiden nickten nur, also fragte ich nach: „Was ist denn mit ihr? Hat sie noch ein paar Brüder gefunden, die sie gegeneinander ausspielen kann?“ Ich konnte nicht verhindern, dass ich sarkastisch wurde.
     Dan sah mich vorwurfsvoll an und sagte: „Nein. Sie und Eren waren ziemlich glücklich, solange sie einander hatten.“
     „Aber?“
    „Wir wissen nicht genau, was passiert ist. Ich hab meinen Jungen ab und an mal rübergeschickt, um nach ihnen zu sehen, und vor ein paar Monaten kam er mit ihrer kleinen Tochter Jolande zurück. Er sagte, dass er das Mädchen allein im Haus gefunden habe. Sie ist noch viel zu klein, um wirklich erzählen zu können, was passiert ist. Ich bekam nur aus ihr raus, dass ihr Vater krank gewesen war und sie irgendeinen Besucher gehabt haben, der mit ihrer Mutter in den Wald gegangen ist. Ihr Vater ist dann wohl hinterher, aber er kam nicht zurück.
     Wir haben dann natürlich sofort nach ihnen gesucht, aber“, er schüttelte den Kopf, „wir haben Eren nur noch tot im Wald aufgefunden. Keine Verletzungen, nichts. Wir vermuten, dass er vielleicht an seiner Krankheit eingegangen ist. Falls du dich erinnerst, war er ja schon früher ziemlich kränklich gewesen. Wenn er sich da nicht ausgeruht hat, wird es das wahrscheinlich für ihn gewesen sein.“
     Er machte eine Pause, in der nur das Knistern des Feuers zu hören war, bevor er hinzufügte: „Naja, aber es ist wohl besser, dass er es nicht mehr gesehen hat. Als wir Ura fanden, war sie… vollkommen weggetreten. Hat nicht mehr gesprochen und nicht mehr gegessen und all sowas. Wir konnten nicht mal sagen, was mit ihr passiert ist.“
      „Meinst du, dass ihr „Besucher“ ihr etwas angetan hat?“, fragte ich.
      „Vielleicht. Vielleicht hat er auch Eren getötet. Ich weiß es nicht. Alles, was wir wissen, ist, dass sie jetzt schwanger ist. Sie meint, dass es von Eren ist, aber da wäre ich mir nicht so sicher. Bis Jolande kam, hat es jedenfalls ewig gedauert, aber immerhin isst sie jetzt wieder, weil sie das glaubt. Aber reden will sie trotzdem nicht drüber, was ihr passiert ist.“
     „Und wo ist sie jetzt? Sie ist doch nicht etwa wieder zurück in ihre Waldhütte gegangen, oder?“
     Ich machte mir ja weniger Sorgen um sie, als um ihre Kinder. Es mochte herzlos erscheinen, und ich hatte Ura auch niemals gewünscht, dass ihr so etwas Schlimmes widerfahren würde, aber ich hatte trotzdem nicht so viel Mitleid mit ihr, wie ich es vielleicht hätte haben sollen. Nicht, nachdem sie die beiden Brüder gegeneinander ausgespielt hatte und sie lieber mit dem Mörder ihres Gatten hatte zusammenleben wollen, als mit ihrer eigenen Tochter. Und Eren hatte verdient, was er bekommen hatte.
     „Glücklicherweise konnte ich sie davon überzeugen, mit ihrer Kleinen bei uns zu bleiben. Naja, Mina konnte das.“
     Ich hatte Mina, Dans Frau, immer gern gehabt. Sie war immerzu warm und herzlich gewesen, und sie hatte mich nicht nur von ihrer Art und Weise sehr an Ayra erinnert. Auch sie war einst aus einem fernen Land gekommen, wie sie mir mal erzählt hatte.
     Da ich jedenfalls nicht wusste, was ich zu dieser ganzen Sache sagen sollte, ohne herzlos zu erscheinen, schwieg ich lieber.
     „Und? Wohin bist du eigentlich gerade unterwegs?“, wechselte Dan jetzt glücklicherweise das Thema.
     „Zurück nach Hause“, erklärte ich, und als ich jetzt lächelte, spürte ich das erste Mal auch die Aufregung darüber aufkeimen.

Da der Regen ausblieb, verabschiedeten Dan und seine Leute sich wenig später wieder. Dan lud mich zwar tatsächlich noch dazu ein, Bärenwald zu besuchen, aber ich wusste, dass er das nur aus Höflichkeit heraus tat. Ich war mir jedenfalls ziemlich sicher, dass mich dort noch immer niemand sehen wollte. Wahrscheinlich würde sie mir auch noch für Erens Tod die Schuld geben. Zuzutrauen wäre es ihnen ja.
     Deswegen blieb ich allein auf der Felseninsel zurück, denn anstatt gleich mit ihnen aufzubrechen, entschied ich mich dazu, noch eine letzte Nacht allein zu verbringen, bevor ich zurück nach Hause ging. Ich konnte von hier aus schon den Strand sehen, an dem ich vor Jahren losgefahren war. Sogar die Spitzen von Dächern glaubte ich in der Ferne ausmachen zu können. Aber die Vorstellung, plötzlich wieder all den Leuten gegenüberzustehen, die ich jahrelang nicht mehr gesehen hatte, war merkwürdig. Ich hatte erst Dan wiedergesehen, den ich auch lange nicht mehr gesehen hatte, aber dennoch war das etwas anderes. Vor allen Dingen, was meine Familie anging und vor allen Dingen, was Lu anging.
     Seitdem Dan und seine Leute mich allein zurückgelassen hatten, konnte ich jedenfalls plötzlich an nichts mehr anderes denken, als daran, was ich wohl machen sollte, wenn ich ihm wieder gegenüberstand. Es war so viel Zeit vergangen und er war in meinen Gedanken immer irgendwie bei mir gewesen, aber letztendlich war das nicht der richtige Lu gewesen. Nicht der, dem ich wochenlang auf die Nerven gegangen war, dem ich einige unschöne Dinge an den Kopf geworfen hatte und mit dem ich letztendlich im Streit auseinandergegangen war. Ob er wohl immer noch sauer auf mich war? Ob er mich immer noch hasste? All diese Dinge schwirrten mir durch den Kopf und ließen mir angst und bange werden.     
     Und vor allen Dingen: Ich hatte mir vorgenommen, ehrlich zu mir und allen anderen zu sein, aber würde ich das wirklich schaffen? Und würden die Leute mögen, wer ich war? Würde Lu es tun?

Ich kam an diesem Tag zu keiner Antwort und verbrachte die Zeit damit, den Strand zu beobachten und mir Sorgen zu machen. Die Sonne schien mit einem Mal viel schneller als sonst zum Horizont zu sinken, die schlaflose Nacht innerhalb eines Augenblickes vorbei zu sein, sodass der nächste Morgen schneller kam, als dass es mir lieb war. 
     Ich nahm mir noch die Zeit, einen Fisch zu fangen und zu braten, aber ich bekam nicht einmal zwei Bissen davon runter. Was nur war mit mir los? Ich hatte zahlreiche Kämpfe gefochten und so viele Dinge erlebt und durchgemacht, aber die Heimreise machte mir wirklich so sehr zu schaffen?
     Als ich mir das ins Gedächtnis rief, fand ich auch endlich neuen Mut, um mit weichen Knien zu meinem Boot zu gehen und zögerlich die Segel zu setzen. Mit jedem Meter, dem ich meinem Ziel näher kam, schlug mein Herz schneller und ich überlegte nicht nur einmal, einfach wieder umzudrehen. Dann aber erinnerte ich mich an den Tag, an dem ich mit Isaac zusammen im Wasser gestanden und gesungen hatte. Es hatte mir die Angst genommen, also begann ich, zu singen, und auch wenn ich dreimal neu ansetzen musste, half das tatsächlich, mich ein bisschen zu beruhigen.
     Ohne lange zu überlegen hielt ich auf den großen Strandabschnitt vor mir zu, obwohl die kleine Bucht an der linken Seite näher an meinem Elternhaus lag. Aber ich dachte einfach nicht daran, dort anzulegen. Als ich von meiner letzten Zwischenstation aufgebrochen war, war der morgendliche Himmel noch golden gewesen, aber inzwischen war er von einem sommerlichen Blau und nur feine, beinahe durchsichtige Wolken waren zu sehen. Die Sonne schien so kräftig, als wolle sie mich begrüßen, als mein Boot endlich auf den weichen Sandboden auflief.
     Einen Moment noch zögerte ich, sog die Luft ein, die ich so lange nicht mehr geatmet hatte, und dann wagte ich den Sprung auf heimischen Boden. Es war ein Sandstrand wie viele andere auch, die ich auf meinen Reisen gesehen hatte, aber dennoch war er für mich etwas Besonderes. Beinahe heiter stimmte ich ein weiteres Lied an, während ich ging, um den Anker zu holen, den ich kurz darauf in den Boden rammte, damit mein Boot blieb, wo es war.
     Die Aufregung trieb mich fast schon ein bisschen an, weshalb ich beinahe meine Sachen im Boot vergaß. Also drehte ich um, um sie zu holen. Meinen Beutel, mein Schwert. Bogen und Speer würde ich später holen. Ich hoffte nur, dass sich hier nicht allzu viel verändert hatte, sodass ich davon ausgehen konnte, dass niemand sie stehlen würde.
     Während ich noch darüber nachdachte, sie vielleicht doch mitzunehmen, drang plötzlich eine Stimme an mein Ohr. „Wulfgar“, rief da jemand.
     Ich war so in meiner Aufregung gefangen gewesen, dass ich einen Tunnelblick entwickelt und gar nicht mitbekommen hatte, dass ich scheinbar nicht allein am Strand war. Als ich einen Blick riskierte, sah ich jetzt jedenfalls jemanden auf mich zukommen. Einen Mann von der Statur her. Aber erst, als ich sah, wer da auf mich zugerannt kam, verstummte ich abrupt. 
     Er hatte sich verändert. In meinen Gedanken und Träumen war er immer derselbe gewesen, der er vor vielen Jahren gewesen war, aber natürlich war er das längst nicht mehr. Er war größer geworden, hatte ein klein wenig seine Pausbacken verloren, trug das Haar kürzer und hatte jetzt sogar ein bisschen Bart im Gesicht. Aber dennoch hätte ich ihn überall wiedererkannt.
     „Hey! Wenn das nicht Lu ist!“, entwich es mir, als er vor mir zum Stehen kam.
     Wirklich? Na all den Jahren war das das Erste, das ich zu ihm zu sagen hatte? Ich versuchte, einen kühlen Kopf zu bewahren, aber jegliche Gedanken waren mit einem Mal wie weggefegt. Ich konnte nicht verhindern, dass ich wie so ein Idiot grinste, festgefroren war und mein Herz mein ganzes Blut wohl Richtung Gesicht pumpen wollte. Ich wollte gar nicht wissen, wie rot ich gerade war. Und Lus Gesichtsausdruck war so überhaupt nichts zu entnehmen. War er jetzt wütend? Oder doch nicht?
     Mein Herz und mein Kopf stellten aber glücklicherweise gemeinschaftlich ihren Dienst ein, als Lu plötzlich an mich herantrat und seine Arme um mich legte. Da war sofort wieder dieser unverkennbare Geruch von Erde, der mir in die Nase stieg, als er das tat.
     „Du lebst!“, hörte ich Lu flüstern. „Den Göttern sei Dank, du lebst!“
     Ich wollte nichts lieber, als ihn ebenfalls an mich zu drücken, aber ich vergaß irgendwie meine Arme zu heben. Also stand ich nur da, genoss die Wärme seiner Arme und den Geruch, den ich so vermisst hatte, und wünschte mir, dass dieser Moment nie wieder enden würde.
     Aber das tat er natürlich. Lu löste sich von mir und als ich in sein lächelndes Gesicht sah, erkannte ich, dass ich mir umsonst Sorgen gemacht hatte. Ich erkannte, dass ich endlich angekommen war. Ich war wieder Zuhause.  
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Ich bedanke mich, dass ihr Wulfgar bei seiner Reise begleitet habt. Und in dem Sinne verabschieden Wulfgar und ich uns auch von euch.



Ende


Meine Quelle für die Sumerer: Helmut Uhlig: Die Sumerer. C.Bertelsmann Verlag GmbH 1976

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