Wir hatten uns auf eine nahegelegene kleine Insel
zurückgezogen, die mir bei meinem Aufbruch überhaupt nicht aufgefallen war. Sie
war eigentlich mehr ein kleiner Felsen, denn eine Insel, lag aber genau
gegenüber der Stelle, an der ich einst gezwungen gewesen war, gleich wieder an
Land zu gehen. Ich war schon so nahe an meinem Ziel gewesen, ohne es gewusst zu
haben.
Dan und seine
Männer, zwei immer noch wütende Kerle, an die ich mich, ehrlich gesagt, nicht
mehr erinnerte, hatten dem dritten Mann die Hände hinter den Rücken gebunden
und ihn zwischen sich gesetzt. Vor uns brannte ein behagliches Feuer, über dem
einige köstlich duftende Fische brieten, und ich hoffte nur, dass der inzwischen graue
Himmel uns noch eine Weile mit Regen verschonen würde.
„Wer ist er?“, fragte ich mit Blick auf den Gefesselten, als Dan endlich zu uns stieß. Da ich in Bärenwald ein Ausgestoßener war, erwartete ich mir von den anderen beiden keine Antwort. So, wie die mich ansahen, lag ich damit wahrscheinlich auch richtig.
„Wer ist er?“, fragte ich mit Blick auf den Gefesselten, als Dan endlich zu uns stieß. Da ich in Bärenwald ein Ausgestoßener war, erwartete ich mir von den anderen beiden keine Antwort. So, wie die mich ansahen, lag ich damit wahrscheinlich auch richtig.
„Ein Räuber“,
antwortete Dan mir. „Er kam vor ein paar Tagen in unser Dorf und hat unser
Heiligtum gestohlen.“
Der riesige
Edelstein, der vage die Form eines Bären hatte, wie ich mich erinnerte. Wie zum
Beweis präsentierte Dan ihn mir jetzt auch einen Moment lang, bevor er wieder
in den Untiefen eines Sacks verschwand.
„Aber er hat
sich nicht sonderlich gut dabei angestellt“, fuhr Dan fort. „Wir haben ihn
erwischt und sind ihm nach. Glücklicherweise haben wir inzwischen ja einen
Hafen.“
Bärenwald war
nie wirklich weit vom Meer entfernt gewesen. Vielleicht ein bisschen weiter weg
von da, wo ich damals hergekommen war, aber auf der anderen Seite war das Meer
keine fünf Minuten entfernt gewesen. Trotzdem hatte ich damals den Fluss
gewählt, um meine Reise fortzusetzen. Ich hatte erst einmal genug vom Meer,
seinen tückischen Wellen und dem Untergehen gehabt.
Es wunderte mich aber, ehrlich gesagt, dass sie sich mit ihren Ruderbooten überhaupt so weit raus trauten. Von Seglern hatten sie scheinbar noch nichts gehört. Weder die Bärenwalder, noch der Räuber, der auf mich den Eindruck eines abgerissen Möchtegernpiraten machte.
Es wunderte mich aber, ehrlich gesagt, dass sie sich mit ihren Ruderbooten überhaupt so weit raus trauten. Von Seglern hatten sie scheinbar noch nichts gehört. Weder die Bärenwalder, noch der Räuber, der auf mich den Eindruck eines abgerissen Möchtegernpiraten machte.
„Es wird in
letzter Zeit immer gefährlicher hier, sag ich dir.“ Dan schüttelte den Kopf und
sah mich dann direkt an. Ich wusste schon, was er fragen wollte, und ich hatte
mich davor gefürchtet. „Und du? Wie ist es dir ergangen? Und wo hast du Mari
gelassen?“
Ich schluckte
schwer, aber ich erzählte ihm ohne zu zögern, was geschehen war. Er hatte verdient, es zu erfahren.
Als ich die schwere Geschichte hinter mich gebracht hatte, sah Dan so betroffen aus, wie die beiden anderen Männer auch, und er meinte kopfschüttelnd: „Das sollten wir Ura vielleicht lieber nicht erzählen. Sie hat schon genug durchgemacht.“
Als ich die schwere Geschichte hinter mich gebracht hatte, sah Dan so betroffen aus, wie die beiden anderen Männer auch, und er meinte kopfschüttelnd: „Das sollten wir Ura vielleicht lieber nicht erzählen. Sie hat schon genug durchgemacht.“
Die anderen
beiden nickten nur, also fragte ich nach: „Was ist denn mit ihr? Hat sie noch
ein paar Brüder gefunden, die sie gegeneinander ausspielen kann?“ Ich konnte
nicht verhindern, dass ich sarkastisch wurde.
Dan sah mich
vorwurfsvoll an und sagte: „Nein. Sie und Eren waren ziemlich glücklich,
solange sie einander hatten.“
„Aber?“
„Wir wissen
nicht genau, was passiert ist. Ich hab meinen Jungen ab und an mal
rübergeschickt, um nach ihnen zu sehen, und vor ein paar Monaten kam er mit
ihrer kleinen Tochter Jolande zurück. Er sagte, dass er das Mädchen allein im
Haus gefunden habe. Sie ist noch viel zu klein, um wirklich erzählen zu können,
was passiert ist. Ich bekam nur aus ihr raus, dass ihr Vater krank gewesen war
und sie irgendeinen Besucher gehabt haben, der mit ihrer Mutter in den Wald
gegangen ist. Ihr Vater ist dann wohl hinterher, aber er kam nicht zurück.
Wir haben dann
natürlich sofort nach ihnen gesucht, aber“, er schüttelte den Kopf, „wir haben
Eren nur noch tot im Wald aufgefunden. Keine Verletzungen, nichts. Wir
vermuten, dass er vielleicht an seiner Krankheit eingegangen ist. Falls du dich
erinnerst, war er ja schon früher ziemlich kränklich gewesen. Wenn er sich da
nicht ausgeruht hat, wird es das wahrscheinlich für ihn gewesen sein.“
Er machte eine
Pause, in der nur das Knistern des Feuers zu hören war, bevor er hinzufügte:
„Naja, aber es ist wohl besser, dass er es nicht mehr gesehen hat. Als wir Ura
fanden, war sie… vollkommen weggetreten. Hat nicht mehr gesprochen und nicht
mehr gegessen und all sowas. Wir konnten nicht mal sagen, was mit ihr passiert
ist.“
„Meinst du,
dass ihr „Besucher“ ihr etwas angetan hat?“, fragte ich.
„Vielleicht.
Vielleicht hat er auch Eren getötet. Ich weiß es nicht. Alles, was wir wissen,
ist, dass sie jetzt schwanger ist. Sie meint, dass es von Eren ist, aber da
wäre ich mir nicht so sicher. Bis Jolande kam, hat es jedenfalls ewig gedauert, aber immerhin isst sie jetzt wieder, weil sie das glaubt. Aber
reden will sie trotzdem nicht drüber, was ihr passiert ist.“
„Und wo ist
sie jetzt? Sie ist doch nicht etwa wieder zurück in ihre Waldhütte gegangen,
oder?“
Ich machte mir
ja weniger Sorgen um sie, als um ihre Kinder. Es mochte herzlos erscheinen, und
ich hatte Ura auch niemals gewünscht, dass ihr so etwas Schlimmes widerfahren
würde, aber ich hatte trotzdem nicht so viel Mitleid mit ihr, wie ich es
vielleicht hätte haben sollen. Nicht, nachdem sie die beiden Brüder
gegeneinander ausgespielt hatte und sie lieber mit dem Mörder ihres Gatten hatte
zusammenleben wollen, als mit ihrer eigenen Tochter. Und Eren hatte verdient, was er bekommen hatte.
„Glücklicherweise
konnte ich sie davon überzeugen, mit ihrer Kleinen bei uns zu bleiben. Naja,
Mina konnte das.“
Ich hatte Mina,
Dans Frau, immer gern gehabt. Sie war immerzu warm und herzlich gewesen, und
sie hatte mich nicht nur von ihrer Art und Weise sehr an Ayra erinnert. Auch
sie war einst aus einem fernen Land gekommen, wie sie mir mal erzählt hatte.
Da ich jedenfalls nicht wusste, was ich zu
dieser ganzen Sache sagen sollte, ohne herzlos zu erscheinen, schwieg ich
lieber.
„Und? Wohin
bist du eigentlich gerade unterwegs?“, wechselte Dan jetzt glücklicherweise das
Thema.
„Zurück nach
Hause“, erklärte ich, und als ich jetzt lächelte, spürte ich das erste Mal auch
die Aufregung darüber aufkeimen.
Da der Regen ausblieb, verabschiedeten Dan und seine
Leute sich wenig später wieder. Dan lud mich zwar tatsächlich noch dazu ein,
Bärenwald zu besuchen, aber ich wusste, dass er das nur aus Höflichkeit heraus tat.
Ich war mir jedenfalls ziemlich sicher, dass mich dort noch immer niemand sehen
wollte. Wahrscheinlich würde sie mir auch noch für Erens Tod die Schuld geben.
Zuzutrauen wäre es ihnen ja.
Deswegen blieb
ich allein auf der Felseninsel zurück, denn anstatt gleich mit ihnen
aufzubrechen, entschied ich mich dazu, noch eine letzte Nacht allein zu
verbringen, bevor ich zurück nach Hause ging. Ich konnte von hier aus schon den
Strand sehen, an dem ich vor Jahren losgefahren war. Sogar die Spitzen von
Dächern glaubte ich in der Ferne ausmachen zu können. Aber die Vorstellung,
plötzlich wieder all den Leuten gegenüberzustehen, die ich jahrelang nicht mehr
gesehen hatte, war merkwürdig. Ich hatte erst Dan wiedergesehen, den ich auch
lange nicht mehr gesehen hatte, aber dennoch war das etwas anderes. Vor allen
Dingen, was meine Familie anging und vor allen Dingen, was Lu anging.
Seitdem Dan
und seine Leute mich allein zurückgelassen hatten, konnte ich jedenfalls
plötzlich an nichts mehr anderes denken, als daran, was ich wohl machen sollte,
wenn ich ihm wieder gegenüberstand. Es war so viel Zeit vergangen und er war in
meinen Gedanken immer irgendwie bei mir gewesen, aber letztendlich war das
nicht der richtige Lu gewesen. Nicht der, dem ich wochenlang auf die Nerven
gegangen war, dem ich einige unschöne Dinge an den Kopf geworfen hatte und mit
dem ich letztendlich im Streit auseinandergegangen war. Ob er wohl immer noch
sauer auf mich war? Ob er mich immer noch hasste? All diese Dinge schwirrten
mir durch den Kopf und ließen mir angst und bange werden.
Und vor allen
Dingen: Ich hatte mir vorgenommen, ehrlich zu mir und allen anderen zu sein,
aber würde ich das wirklich schaffen? Und würden die Leute mögen, wer ich war?
Würde Lu es tun?
Ich kam an diesem Tag zu keiner Antwort und verbrachte
die Zeit damit, den Strand zu beobachten und mir Sorgen zu machen. Die Sonne schien
mit einem Mal viel schneller als sonst zum Horizont zu sinken, die schlaflose Nacht
innerhalb eines Augenblickes vorbei zu sein, sodass der nächste Morgen
schneller kam, als dass es mir lieb war.
Ich nahm mir noch die Zeit, einen Fisch zu fangen und zu braten, aber ich bekam nicht einmal zwei Bissen davon runter. Was nur war mit mir los? Ich hatte zahlreiche Kämpfe gefochten und so viele Dinge erlebt und durchgemacht, aber die Heimreise machte mir wirklich so sehr zu schaffen?
Ich nahm mir noch die Zeit, einen Fisch zu fangen und zu braten, aber ich bekam nicht einmal zwei Bissen davon runter. Was nur war mit mir los? Ich hatte zahlreiche Kämpfe gefochten und so viele Dinge erlebt und durchgemacht, aber die Heimreise machte mir wirklich so sehr zu schaffen?
Als ich mir
das ins Gedächtnis rief, fand ich auch endlich neuen Mut, um mit weichen Knien
zu meinem Boot zu gehen und zögerlich die Segel zu setzen. Mit jedem Meter, dem
ich meinem Ziel näher kam, schlug mein Herz schneller und ich überlegte nicht
nur einmal, einfach wieder umzudrehen. Dann aber erinnerte ich mich an den Tag,
an dem ich mit Isaac zusammen im Wasser gestanden und gesungen hatte. Es hatte
mir die Angst genommen, also begann ich, zu singen, und auch wenn ich dreimal
neu ansetzen musste, half das tatsächlich, mich ein bisschen zu beruhigen.
Ohne lange zu
überlegen hielt ich auf den großen Strandabschnitt vor mir zu, obwohl die
kleine Bucht an der linken Seite näher an meinem Elternhaus lag. Aber ich
dachte einfach nicht daran, dort anzulegen. Als ich von meiner letzten
Zwischenstation aufgebrochen war, war der morgendliche Himmel noch golden
gewesen, aber inzwischen war er von einem sommerlichen Blau und nur feine,
beinahe durchsichtige Wolken waren zu sehen. Die Sonne schien so kräftig, als
wolle sie mich begrüßen, als mein Boot endlich auf den weichen Sandboden
auflief.
Einen Moment
noch zögerte ich, sog die Luft ein, die ich so lange nicht mehr geatmet hatte,
und dann wagte ich den Sprung auf heimischen Boden. Es war ein Sandstrand wie
viele andere auch, die ich auf meinen Reisen gesehen hatte, aber dennoch war er
für mich etwas Besonderes. Beinahe heiter stimmte ich ein weiteres Lied an,
während ich ging, um den Anker zu holen, den ich kurz darauf in den Boden
rammte, damit mein Boot blieb, wo es war.
Die Aufregung
trieb mich fast schon ein bisschen an, weshalb ich beinahe meine Sachen im Boot
vergaß. Also drehte ich um, um sie zu holen. Meinen Beutel, mein Schwert. Bogen
und Speer würde ich später holen. Ich hoffte nur, dass sich hier nicht allzu
viel verändert hatte, sodass ich davon ausgehen konnte, dass niemand sie
stehlen würde.
Während ich
noch darüber nachdachte, sie vielleicht doch mitzunehmen, drang plötzlich eine
Stimme an mein Ohr. „Wulfgar“, rief da jemand.
Ich war so in
meiner Aufregung gefangen gewesen, dass ich einen Tunnelblick entwickelt und
gar nicht mitbekommen hatte, dass ich scheinbar nicht allein am Strand war. Als
ich einen Blick riskierte, sah ich jetzt jedenfalls jemanden auf mich zukommen.
Einen Mann von der Statur her. Aber erst, als ich sah, wer da auf mich zugerannt
kam, verstummte ich abrupt.
Er hatte sich verändert. In meinen Gedanken und Träumen war er immer derselbe gewesen, der er vor vielen Jahren gewesen war, aber natürlich war er das längst nicht mehr. Er war größer geworden, hatte ein klein wenig seine Pausbacken verloren, trug das Haar kürzer und hatte jetzt sogar ein bisschen Bart im Gesicht. Aber dennoch hätte ich ihn überall wiedererkannt.
Er hatte sich verändert. In meinen Gedanken und Träumen war er immer derselbe gewesen, der er vor vielen Jahren gewesen war, aber natürlich war er das längst nicht mehr. Er war größer geworden, hatte ein klein wenig seine Pausbacken verloren, trug das Haar kürzer und hatte jetzt sogar ein bisschen Bart im Gesicht. Aber dennoch hätte ich ihn überall wiedererkannt.
„Hey! Wenn das
nicht Lu ist!“, entwich es mir, als er vor mir zum Stehen kam.
Wirklich? Na
all den Jahren war das das Erste, das ich zu ihm zu sagen hatte? Ich versuchte,
einen kühlen Kopf zu bewahren, aber jegliche Gedanken waren mit einem Mal wie
weggefegt. Ich konnte nicht verhindern, dass ich wie so ein Idiot grinste,
festgefroren war und mein Herz mein ganzes Blut wohl Richtung Gesicht pumpen
wollte. Ich wollte gar nicht wissen, wie rot ich gerade war. Und Lus
Gesichtsausdruck war so überhaupt nichts zu entnehmen. War er jetzt wütend?
Oder doch nicht?
Mein Herz und
mein Kopf stellten aber glücklicherweise gemeinschaftlich ihren Dienst ein, als
Lu plötzlich an mich herantrat und seine Arme um mich legte. Da war sofort
wieder dieser unverkennbare Geruch von Erde, der mir in die Nase stieg, als er
das tat.
„Du lebst!“,
hörte ich Lu flüstern. „Den Göttern sei Dank, du lebst!“
Ich wollte
nichts lieber, als ihn ebenfalls an mich zu drücken, aber ich vergaß irgendwie
meine Arme zu heben. Also stand ich nur da, genoss die Wärme seiner Arme und
den Geruch, den ich so vermisst hatte, und wünschte mir, dass dieser Moment nie
wieder enden würde.
Aber das tat
er natürlich. Lu löste sich von mir und als ich in sein lächelndes Gesicht sah,
erkannte ich, dass ich mir umsonst Sorgen gemacht hatte. Ich erkannte, dass ich
endlich angekommen war. Ich war wieder Zuhause.
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Ich bedanke mich, dass ihr Wulfgar bei seiner Reise begleitet habt. Und in dem Sinne verabschieden Wulfgar und ich uns auch von euch.
Meine Quelle für die Sumerer: Helmut Uhlig: Die Sumerer. C.Bertelsmann Verlag GmbH 1976
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Ich bedanke mich, dass ihr Wulfgar bei seiner Reise begleitet habt. Und in dem Sinne verabschieden Wulfgar und ich uns auch von euch.
Ende
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