Nefera war genervt. Seitdem diese verdammten Räuber in die Gegend
gekommen waren, tauchte Reinard ständig bei ihr auf, um ihr zu sagen, dass
sie auch ja bloß Zuhause bleiben sollte. Am besten sollte sie auch gleich endlich ihre Wünsche aufgeben und zu ihm kommen, um ihm ganz viele Kinder zu
gebären und den Haushalt zu führen.
Es war ja nicht mal so, dass er das nicht schon davor
oft gesagt hatte, aber in letzter Zeit
war er ganz besonders schlimm und drängend geworden. Es lag wahrscheinlich
daran, dass er jetzt seinen Stamm anführte.
Sie war zwar zu seiner Einführungszeremonie hingegangen, war danach jedoch wieder nach Hause gegangen, und das hatte ihn ziemlich gestört, um es milde auszudrücken. Er war fuchsteufelswild geworden, aber außer zu schimpfen wie ein Kesselflicker hatte er nichts getan. Er wusste schließlich, dass sie ihre Verbindung sofort lösen würde, wenn er auch nur versuchen würde, sie zu etwas zwingen zu wollen.
Sie war zwar zu seiner Einführungszeremonie hingegangen, war danach jedoch wieder nach Hause gegangen, und das hatte ihn ziemlich gestört, um es milde auszudrücken. Er war fuchsteufelswild geworden, aber außer zu schimpfen wie ein Kesselflicker hatte er nichts getan. Er wusste schließlich, dass sie ihre Verbindung sofort lösen würde, wenn er auch nur versuchen würde, sie zu etwas zwingen zu wollen.
Tatsache war, dass Nefera ihn zwar ganz gut leiden konnte, sie es aber
überhaupt nicht leiden konnte, wie drängend und kommandierend er war. Sie hatte schon
die Geschichten gehört, dass die Frauen anderswo machen mussten, was ihre Männer
ihnen sagten, aber hier war das glücklicherweise nicht so. In ihrem Stamm konnte
sie wählen, wen sie wollte, und sie konnte tun, was sie wollte.
Sie wusste nur nicht, was genau sie eigentlich wollte. Die Vorstellung, als Reinards Frau und Mutter seiner Kinder zu verenden, gefiel ihr jedenfalls immer weniger.
Sie wusste nur nicht, was genau sie eigentlich wollte. Die Vorstellung, als Reinards Frau und Mutter seiner Kinder zu verenden, gefiel ihr jedenfalls immer weniger.
Da die Stämmeversammlung heute bei ihnen tagte, hatte Nefera sich aus dem Staub gemacht, denn die Versammlungen bedeuteten, dass Reinard bei ihnen auftauchen würde, und sie wollte ihm demonstrativ zeigen, dass er ihr nicht zu sagen hatte, was sie tun und lassen sollte.
Also war sie Richtung Meer gegangen. Sie hatte Glück, dass es ausnahmsweise gerade mal nicht regnete. Der Himmel über ihrem Kopf sah zwar aus, als überlegte er es sich noch, ob er das änderte, aber Nefera machte ein bisschen Regen sowieso nichts aus; sie mochte ihn eigentlich ganz gerne. Es hatte die letzten Wochen nur ein bisschen zu oft geregnet, selbst für ihren Geschmack.
Gedankenverloren war sie über den Strand geschlendert, hatte dem Rauschen des Meeres gelauscht und das Gefühl des weichen Sandes unter ihren Füßen genossen, und war dann Richtung Nebelwald abgebogen. Eine Weile ging sie einen Hügel hinan, die dunklen, hohen Schatten von Bäumen streiften vorbei, bis sie sich am Rande des Waldes an einer Klippe wiederfand.
Gedankenverloren war sie über den Strand geschlendert, hatte dem Rauschen des Meeres gelauscht und das Gefühl des weichen Sandes unter ihren Füßen genossen, und war dann Richtung Nebelwald abgebogen. Eine Weile ging sie einen Hügel hinan, die dunklen, hohen Schatten von Bäumen streiften vorbei, bis sie sich am Rande des Waldes an einer Klippe wiederfand.
Sie erschrak ein bisschen, als sie plötzlich den niedrigen Sonnenstand
bemerkte. Sie hatte völlig die Zeit vergessen. Aber dann wurde sie auf eine Gestalt
aufmerksam, die sich dunkel vom Hintergrund des grauen Himmels abhob, und sie schob ihre Gedanken zur Seite.
Da saß jemand bei der Klippe, ließ die Beine über
den Rand hängen. Sie erkannte den jungen Mann mit den unrasierten, eingefallenen Wangen zunächst nicht, erinnerte sich dann aber vage
daran, ihn schon einmal gesehen zu haben. Damals auf dem Junggesellenfest. Er
war derjenige gewesen, der behauptet hatte, dass ihn der ganze Partnerkram
nicht interessierte. Sie hatte nur versäumt, seinen Namen zu behalten.
Als sie zu ihm hinübergehen wollte, bemerkte sie jemand anderen, der abseits entfernt stand und gerade abwechselnd Blicke zwischen ihr und dem Jungen hin und her warf. Doch der Andere nahm die Beine in die Hand und war weg, bevor Nefera zu ihm gehen konnte. Im
nächsten Moment war er nur noch ein kleiner Fleck in der Ferne.
Also ging sie weiter zu dem Uruk-Jungen. Er nahm nicht einmal
Notiz von ihr. Nicht einmal, als sie sich direkt neben ihn setzte. Sein Blick war
merkwürdig leer.
„Hallo… ähm… wie war nochmal gleich dein Name?“
Seine leeren
Augen richteten sich auf sie, was sie ein bisschen erschreckte, und er sagte
mit tonloser Stimme: „Leif.“
‚Fast wie ein Toter‘, dachte sie.
Die Augen
gingen wieder von ihr fort, raus aufs Meer, hinein in die Leere.
„Was machst du
denn hier so allein?“, fragte sie ihn.
„Nichts wirklich.“
„Nichts wirklich.“
„Weißt du,
dass da hinten einer im Wald war? Ich glaube, er hat dich beobachtet.“
„Ja, ich weiß.
Das ist Gil. Sie kommt andauernd hierher.“
„Warum?“
„Weiß nicht.
Wahrscheinlich ist sie sauer, dass ich Ragna auf dem Gewissen habe.“
„Ragna war
dein Bruder, oder?“ Als er nickte, fragte sie weiter: „Was ist mit ihm
passiert?“
„Er ist von Bienen gestochen worden und gestorben.“
„Er ist von Bienen gestochen worden und gestorben.“
Sie hatte
davon gehört, dass einer von Wulfgars Söhnen gestorben war. Als Bote des
Uruk-Stammes war Wulfgar in der Gegend schließlich überall bekannt. Sie hatte
nur die Umstände nicht gewusst.
„Und du bist
echt schuld daran?“
Da nickte Leif wieder, und es war das erste Mal, dass
sich eine Emotion auf seinem Gesicht zeigte: Betroffenheit.
„Wie das?“,
wollte sie wissen.
Plötzlich waren seine Augen so voller Angst, dass Nefera selber erschrak. „Ich habe Ragna dazu gebracht, eine dämliche Mutprobe zu absolvieren, einen Stock ins Bienennest zu stecken und sie wütend zu machen.“
Plötzlich waren seine Augen so voller Angst, dass Nefera selber erschrak. „Ich habe Ragna dazu gebracht, eine dämliche Mutprobe zu absolvieren, einen Stock ins Bienennest zu stecken und sie wütend zu machen.“
Nefera wusste nicht, was sie dazu sagen sollte, und weil auch Leif jetzt nur noch betroffen aufs Meer starrte, schwiegen sie also.
Das Rauschen der Wellen hatte so eine beruhigende Wirkung auf sie, dass sie sich trotz der merkwürdigen Situation entspannte. Sie liebte das Meer. Den belebenden Wind, der sie sanft streichelte und der den Geruch von Salz mit sich führte.
Das Rauschen der Wellen hatte so eine beruhigende Wirkung auf sie, dass sie sich trotz der merkwürdigen Situation entspannte. Sie liebte das Meer. Den belebenden Wind, der sie sanft streichelte und der den Geruch von Salz mit sich führte.
Als sie schließlich wieder zu Leif sah, waren seine Augen erneut ins
Leere vor sich gerichtet. Es war angenehm, mal nicht angestarrt zu werden. Die
meisten Männer, mit denen sie zu tun hatte und die keine Frau hatten, gafften
sie immer irgendwann an, wenn sie glaubte, dass sie es nicht mitbekam.
„Tut es dir leid? Das mit deinem Bruder,
meine ich.“
„Leidtun ist
ein viel zu schwacher Ausdruck dafür. Wenn ich es
könnte, würde ich sofort mit ihm tauschen. Ihm mein Leben geben. Er war ein
ganz besonderer Junge.“
Er rutschte wieder ins Schweigen ab, und
Nefera tat es ihm gleich. Die Sonne begann im Meer zu
versinken.
„Dann solltest
du für ihn mit leben.“
Er starrte sie verstört an, sagte aber nichts dazu. Also erhob sie sich, strich sich verstohlen ein paar Grashalme von ihrem Hinterteil und erklärte: „Ich muss zurück nach Hause. Es wird langsam dunkel.“
Er antwortete ihr nicht. Sein Blick schweifte erneut aufs Meer hinaus, aber diesmal war er nicht leer. Da war etwas in seinen Augen, das sie nicht zuordnen konnte.
Als sie jetzt abdrehte, waren ihre Sorgen, ihr Ärger über Reinard, der sie vorher noch hierher begleitet hatte, längst wieder von ihr abgefallen.
Als sie jetzt abdrehte, waren ihre Sorgen, ihr Ärger über Reinard, der sie vorher noch hierher begleitet hatte, längst wieder von ihr abgefallen.
Ein paar Tage später war es dann soweit: Die zukünftigen
Wachen hatten sich auf dem Uruk-Hof eingefunden, um ihre erste Trainingsstunde anzutreten.
Entgegen dem, was ursprünglich geplant gewesen war, hatte Malah Freiwillige von allen
Stämmen und Familien der Gegend eingeladen.
Sie hatte, wie ihr Großvater vorgeschlagen hatte, eine
Notversammlung aller Oberhäupter der Gegend (minus Tanja und Wirt, die kein Interesse
daran bekundet hatten, teilzunehmen) einberufen gehabt. Es hatte den Anführern des Zoth- und Ahn-Stammes natürlich überhaupt nicht gefallen, aber Malah hatte
es dennoch getan.
Sie hatten sich also alle beim Zoth-Stamm getroffen und
Malah hatte die Sache mit den Räubern, der nötigen Abstellung von Wachen und
ihrer Ausbildung vorgebracht und darüber abstimmen lassen. Wie zu erwarten, war
das Thema der Notwendigkeit der Wachen schnell geklärt gewesen, weniger schnell
aber war es zugegangen, als es daran gegangen war, wer die Wachen denn jetzt stellte.
Nach langer Diskussion hatte sich Malah letztendlich
dazu bereit erklärt, einen Großteil zu stellen, wenn die Anderen dafür bei
ihren Leuten herumfragten, ob es Freiwillige für diese Aufgabe gab.
Und dann war der eigentliche Kernpunkt gekommen, der sich
schnell zu einer ganz schön erhitzten Debatte hochgeschaukelt hatte: Wer
würde nun der Ausbilder werden?
Griswold, Roah und Reinard, der jetzt den
Ahn-Stamm anführte, waren strikt dagegen gewesen, dass Garrus, der quasi alle
Hells mit dem Leben bedroht hatte, das übernehmen sollte. Da auf der anderen
Seite Malah, Marduk und Gisa aber dafür gewesen waren, hatten sie eine
Pattsituation gehabt, in der niemand von seiner Position hatte weichen wollen.
Es war letztendlich bis vor den Ältestenrat gegangen, der
glücklicherweise für Malahs Anliegen entschieden hatte.
Dennoch waren Reinard und Roah natürlich ziemlich sauer darüber gewesen, dass Malah ihnen quasi einen Dolch in den Rücken gestoßen hatte, indem sie die Familien und den Händler in die Sache mit einbezogen hatte. Auch wenn Reinard sich relativ schnell wieder beruhigt hatte. Ihrer Beziehung zu den anderen beiden Stammesführern hatte es dennoch nicht gut getan.
Zu allem Überfluss war ihre Ausbeute an Freiwilligen auch
noch ziemlich mager ausgefallen. Von den Hells war niemand gekommen, vom Ahn-Stamm gerade
einmal Lin und sein Vater Thur. Vom Zoth-Stamm war nur Nefera da (was Roah und
vor allen Dingen Reinard nicht gern gesehen hatten), und von den Blums keiner. Marduk
hatte versprochen, ein paar Söldner anzuheuern, hatte selber aber verweigert,
zu kommen. Gerade einmal drei Freiwillige; nicht einmal Alek hatte sich blicken
lassen, was Malah ein bisschen enttäuschte.
Sie hatte
immerhin auch zehn Leute überredet bekommen. Da war Wirt, was beinahe an Tanja
gescheitert wäre, die strikt dagegen gewesen war, dass sich ihr Gatte in Gefahr begab,
Tann und Tanna, ihren Bruder Nila hatte sie dazu verdonnert, teilzunehmen, Jin
und Jana, Nero und Rahn, obwohl Akara sich Sorgen machte, dass sein
Herz noch immer zu schwach für die Anstrengung war. Sie selber
trainierte als Stammesführerin natürlich auch mit, das verstand sich ja von selbst. Und Nyota, die es sich
natürlich nicht hatte nehmen lassen, mitzumachen, wenn Garrus der Lehrer war.
Sie war sogar voller Feuereifer dabei. So hatte Malah sie bei keinem von
Wulfgars Trainingsstunden in der Vergangenheit je gesehen.
Als sie dann endlich eine Pause einlegten, in denen Garrus den
Lernwilligeren Tipps gab und Nyota ihn dabei ununterbrochen anhimmelte, war
Malah ganz schön geschafft. Sie hatte schon die Trainingsstunden in ihrer
Kindheit nicht gerade gern gehabt, und Garrus nahm wirklich keine Rücksicht auf
diejenigen, die nicht mithalten konnten. Er war gnadenlos und wesentlich
erbarmungsloser, was Fehler anging, als Wulfgar.
Sie musste sich ein Grinsen verkneifen, als sie sah, dass es jedoch vielen so ging wie ihr. Und nicht nur den Älteren. Auch ihr werter Herr Bruder lag völlig geprügelt am Boden. Ihn hatte Garrus ganz besonders hart rangenommen, kam es ihr vor.
Sie musste sich ein Grinsen verkneifen, als sie sah, dass es jedoch vielen so ging wie ihr. Und nicht nur den Älteren. Auch ihr werter Herr Bruder lag völlig geprügelt am Boden. Ihn hatte Garrus ganz besonders hart rangenommen, kam es ihr vor.
Sie raffte sich auf, ging ihm entgegen, und wie es aussah, wollte er auch genau zu ihr. Doch er sah überhaupt nicht fröhlich aus, wie er es ansonsten tat. Im Gegenteil, ein finsterer Ausdruck lag in seinem Gesicht, den sie da noch nie zuvor gesehen hatte. Auch der blaue Fleck an seinem Auge war neu.
Aleks Augen schweiften umher, dann blieben sie schließlich an ihr hängen. Er sah so ernst aus, dass es unheimlich war. „Kann ich dich mal kurz allein sprechen?“
Malah nickte und deutete hinter sich, und sie gingen zum Grabhügel hinüber, wo sie ungestört reden konnten.
„Was ist denn los?“
„Ach, nix ist
los! Ich hab mich nur mit meinem Vater in die Haare gekriegt, das ist los!“
„Dein Vater
ist dafür verantwortlich?“, fragte sie und zeigte auf seine blutige Lippe.
„Ja, nachdem ich
ihm ein blaues Auge verpasst hab“, erzählte er grimmig.
„Was ist denn
nun passiert?“
Er schnaufte wütend. „Ich hab rausgefunden, dass meine Mutter was mit Thur, dem Arsch, hat.“
Er schnaufte wütend. „Ich hab rausgefunden, dass meine Mutter was mit Thur, dem Arsch, hat.“
„Ist das nicht
Lanns Mann?“
„Ja, das
dachte ich auch. Aber scheinbar ist er es nicht mehr. Schon eine ganze Weile
nicht. Und als ich zu Vater bin, um ihn in den Hintern zu treten, dass er was dagegen
machen soll, meint er nur so, es ist ihm egal! Kannst du das glauben? Meine
Mutter ist ihm einfach egal! Unsere Familie ist ihm egal! Mann!“ Er warf die
Hände zum Himmel, seufzte bitter. „Kann ich hierbleiben, Malah? Ich
hab echt kein Bock mehr, da zu leben.“
„Natürlich“, sagte Malah mitfühlend. „Tut mir leid wegen
deinen Eltern.“
„Schon gut.
Ich bin nur so wütend, dass mir kein Schwein was gesagt hat, das ist alles.“ Er
rieb sich übers Gesicht, seufzte erneut, diesmal schwermütig. „Nah, es ist
nicht alles. Wo ich jetzt hier lebe, gibt es ein paar Sachen, die
ich dir vielleicht erzählen sollte. Ich glaub, du solltest sie wissen.“
„Ich habe euch zusammengerufen“, eröffnete sie die Versammlung, „weil Alek, der von nun an bei uns leben wird, mir ein paar… beunruhigende Dinge erzählt hat.“ Sie nickte ihm zu. „Würdest du es bitte wiederholen, Alek?“
„Ähm, naja… die Sache ist die, dass… muss ich wirklich?“
„Bitte, Alek.“
„Ich krieg ja nicht alles mit, was in meinem alten
Zuhause so vorging, aber ich hab trotzdem mitgekriegt, dass Lann meinte, dass
es dringend einen Gegenpol zur Übermacht eures Stammes bräuchte. Deshalb hat
sie auch angefangen, Verbindungen zu den anderen Stämmen und so zu knüpfen.“
Als er jetzt
zögerte, nickte Malah ihm aufmunternd zu und sagte: „Nur weiter.“
„Die Hells sind als eure Nachbarn und Schmiede ja ideal für sowas. Ihr seid ja nie so gut mit denen ausgekommen. Deshalb wollte sie Lin eigentlich dahin verheiraten, und sie hat ihnen auch Preisnachlässe beim Eisen versprochen.“
„Zum Zoth-Stamm hat sie auch angefangen, Verbindungen zu knüpfen, nachdem Tuck tot war. Sie hat nur drauf gewartet, dass er abtritt, weil er Roah immer reingeredet hat, dass sie die Freundschaft mit eurem Stamm pflegen soll. Wegen Rahn und so. Aber nachdem er tot war, hat sie dafür gesorgt, dass sich Reinard Nefera schnappt.“
„Sie hat auch über die Blums und Alin gesprochen. Dass sie Mai zu den Blums geben könnte und sowas. Ich hab’s nicht so ganz mitgekriegt. Als sie merkte, dass ich gelauscht hab, hat sie mich schwören lassen, nix zu verraten. Seitdem war sie mir gegenüber auch total misstrauisch. Ach ja, und sie wollte auch nicht, dass dieser Garrus eure Leute ausbildet, weil sie ihn selber in ihrem Stamm wollte, aber er wollte nicht.“
Es war danach einen
ganzen Moment lang still, in dem man nur das Knacken und Knistern in der
Feuerstelle zwischen ihnen hören konnte.
„Glaubst du etwa, dass sie uns angreifen will?“, fragte
Luis schließlich in die Stille hinein.
„Nein!“,
wehrte Alek erschrocken ab. „Ich hätte es ja auch nicht mal erwähnt, weil ich
nicht dran glaube, dass Lann wirklich richtig gegen euch vorgehen wird, aber
ich mach mir, ehrlich gesagt, wegen Reinard Sorgen. Er ist schon immer
aggressiver gewesen. Solange Lann da ist, wird er bestimmt nix machen, aber
wenn sie irgendwann nicht mehr da ist…“ Er zog den Kopf ein. „Ich wollte euch
nur vorwarnen, ist alles.“
„Und dafür
sind wir dir auch dankbar“, ermutigte Malah ihn.
„Ist die
Frage, ob wir ihm überhaupt vertrauen können“, warf Jana misstrauisch ein. „Er
ist ja einer von denen.“
„Wenn du mit denen anfängst, hast du schon längst angefangen, Mauern zu bauen“, wurde sie
von Luis ermahnt. „Das solltest du nicht tun, Jana.“
Jana verzog
das Gesicht, blieb aber ruhig.
„Ich vertraue Alek und bürge auch gerne als
Stammesführerin für ihn, wenn ihr das wollt.“
„Die Frage ist
auch viel eher, wie wir jetzt weiter deswegen verfahren sollen“, merkte Aan an.
„Deswegen habe
ich euch ja zusammengerufen. Ich will eure Meinung dazu hören, bevor ich
eine Entscheidung treffe. Was meint ihr also dazu?“
Tann ergriff
als erster das Wort, als niemand etwas sagte, und meinte: „Das ist eine schwierige
Angelegenheit. Ich habe meine eigene Meinung dazu, aber wir sollten erst einmal
herausfinden, wie viel an der ganzen Sache überhaupt dran ist. Versteh mich
nicht falsch, Alek, als Sohn meines Bruders hast du mein vollstes Vertrauen,
aber es ist wichtig, herauszufinden wie weit das ganze schon gegangen ist.“
„Rahn? Weißt
du etwas vom Zoth-Stamm?“, wandte sich Malah an den Zweitältesten in der Runde.
„Nicht wirklich. Das mit Nefera und Reinard kann ich
bestätigen, aber das ist ja nichts Ungewöhnliches. Roah und Lann standen sich
schon immer ziemlich nahe. Aber ansonsten kann ich nichts Auffälliges
berichten.“
„Lulu? Wie
sieht es beim Handelsposten aus?“
Lulu dachte einen Moment nach, bevor sie berichtete: „Mir
ist bei der Buchhaltung aufgefallen, dass Lann immer sehr viel großzügiger ist,
wenn Alin da ist. Sie macht ihm manchmal auch Geschenke. Wenn nur Marduk oder
ich da sind, macht sie das nie.“
„Mutter?“
„Ähm… ich weiß nicht, was ich dir sagen soll“, erwiderte
Akara überfordert. „Ich habe leider nichts Erwähnenswertes mitbekommen. Tut mir
leid.“
Malah bestätigte nickend und sagte dann: „Es ist wirklich
unglücklich, dass Wulfgar gerade nicht hier ist. Er wusste dank seiner
Zwillingsschwester immer einiges über die Nachbarn, und er war auch unsere einzige
Verbindung zu den Blums. Weiß jemand über die was? Dana vielleicht?“
Doch die Angesprochene
schüttelte nur den Kopf.
„Nero hat mir letztens erzählt, dass er Lann mit Mai
zusammen bei den Blums gesehen hat“, mischte sich Akara aufgeregt ein.
„Das bestätigt
Aleks Aussage“, meinte Malah. „Sie wollen scheinbar Verbindungen über Heiraten knüpfen.“
„Naja, aber
warum hat sie ihren Sohn dann an unsere Jade gegeben?“, merkte Dana an.
Woraufhin Aan
erklärte: „Es ist nie verkehrt, Augen und Ohren beim Feind zu haben.“
Was Alek augenblicklich einen säuerlichen Ausdruck aufs Gesicht zauberte.
„Ja, und für meinen Bruder lege ich meine Hand ins Feuer, dass er uns warnen würde, wenn Lann oder Reinard uns angreifen wollen würden“, pflichtete Tann ihm bei. „Natürlich ist es nie verkehrt, Vorsicht walten zu lassen und sich genügend vorzubereiten, aber wir sollten nichts überstürzen.“
Es ging ein allgemeines Nicken durch die Reihen, nur Jana sah ein bisschen skeptisch aus.
„Also ist es beschlossen, dass wir vorerst abwarten und uns umhören“, resümierte Malah.
Nefera, die vor allem hergekommen war, um Reinard zu ärgern, machte sich gerade zum Aufbruch bereit, als ihr auffiel, dass jemand vom Nachbargrundstück zu ihnen hinübersah. Sie erkannte die Gestalt sofort, also zögerte sie nicht lange und ging zu ihr, bevor die Andere wieder verschwinden konnte.
„He, du, ich habe dich letztens beim Waldrand
gesehen“, rief sie ihr entgegen. „Du bist Gil, nicht wahr? Leif hat das zumindest
gesagt.“
Gil starrte
betroffen auf ihre Füße, antwortete nicht.
„Du solltest
das nächste Mal auch rüberkommen und mitmachen“, versuchte es Nefera anders.
„Lieber nicht“,
kam leise zurück.
„Du kannst ja
doch sprechen. Warum denn nicht? Willst du denn nicht kämpfen lernen? Du siehst
ja immerhin schon zu.“
„Wir stehen
aber nicht so gut zu den Nachbarn.“
„Ja und? Du
lernst doch bei Garrus und nicht bei jemandem vom Uruk-Stamm.“
Gil guckte überrascht, bevor sich tatsächlich ein
verwegenes Grinsen auf ihr Gesicht stahl. „Du hast recht! Scheiß drauf! Das
nächste Mal bin ich dabei!“
„Also, da
jetzt geklärt ist, warum du uns
beobachtet hast: Warum hast du ihn
beobachtet? Leif, meine ich. Er wusste es auch nicht genau und meinte, dass du sauer auf ihn
bist, weil er seinen Bruder auf dem Gewissen hat. Stimmt das?“
„Was? Nein! Ich bin doch nicht sauer auf ihn. Ich… ich… ich bin es eigentlich,
auf den er sauer sein sollte.“
„Warum?“
„Weil Ragna
das mit den Bienen nur gemacht hat, um mich zu beeindrucken. Ich bin schuld dran“, erzählte Gil
unglücklich.
Sie hatte es nach Ragnas Tod nur als Gerücht gehört, aber sie glaubte daran. Es würde zumindest erklären, warum er so plötzlich und unbedingt mit ihr befreundet hatte sein wollen.
„Vielleicht
solltest du Leif das mal sagen, weil er glaubt, dass er dran schuld ist.“
„Ich… trau
mich aber nicht…“
Nefera lächelte ein wunderschönes Lächeln, dann nahm sie
sie einfach am Arm und bot an: „Komm, ich begleite dich und helfe
dir, ja?“
Sie zog sie
hinter sich her, und Gil war so überrascht, dass sie es einfach mit sich machen
ließ. Nefera war ein bisschen merkwürdig. Anders als alle Frauen, denen sie bislang begegnet war. Aber auch ziemlich fasziniert.
Es war nicht weit von dem Ort entfernt, an dem Ragna einst gestorben war, und er liebte die Aussicht aufs Meer. Die Vorstellung, einfach von der Klippe ins Wasser zu springen, war manchmal das Einzige, das ihn von seiner Schuld ablenkte. Er hatte nie das Schwimmen gelernt, obwohl sein Vater ihn immer wieder dazu angehalten hatte.
Er dachte gerade wieder daran, es einfach zu tun – einfach zu springen und für einen Moment frei zu sein – als Nefera mit Gil im Schlepptau ankam. Zuerst wurde die Schuld schlimmer, als er das Mädchen sah, in das sein Bruder einst verliebt gewesen war, aber dann ergriff glücklicherweise wieder die Leere Besitz von ihm.
Er stand auf, um ihnen entgegenzugehen.
„Hey, Leif, Gil hier hat dir was zu sagen“, flötete
Nefera unpassend fröhlich. „Ihr solltet euch mal aussprechen.“
Gil sah
überhaupt nicht aus, als ob sie irgendetwas sagen wollte. Also tat er es und
sagte ihr: „Es tut mir leid.“
„Ähh, was?“,
spuckte Gil jetzt aus.
„Dass Ragna
wegen mir gestorben ist.“
„Wieso denkst
du das? Er… ist doch gestorben, weil er mich beeindrucken wollte.“
Wieder die Angst in Leifs Gesicht, die sich langsam in Horror verwandelte. „Es ist allein
meine Schuld. Ich habe ihn dazu angestiftet, diese dämliche Mutprobe zu machen.
Weil ich selber schwach war und gegen niemanden angekommen bin, wollte ich,
dass niemand von uns denkt, dass wir schwach und feige sind. Weil wir doch die
Söhne vom stärksten Kämpfer der Gegend waren.“
Plötzlich fluteten Tränen sein Gesicht. Tränen, die er seit dem Tag, an dem Ragna gestorben war, nicht mehr vergossen hatte. „Ich war so dumm! Das war alles so unwichtig! Warum nur war mir das so wichtig? Wichtig war doch nur, dass Ragna da war, und jetzt ist er tot und ich bin schuld daran! Ich hätte damals sterben sollen... Ich würde alles tun, um das rückgängig zu machen, was ich damals getan habe…“
Plötzlich fluteten Tränen sein Gesicht. Tränen, die er seit dem Tag, an dem Ragna gestorben war, nicht mehr vergossen hatte. „Ich war so dumm! Das war alles so unwichtig! Warum nur war mir das so wichtig? Wichtig war doch nur, dass Ragna da war, und jetzt ist er tot und ich bin schuld daran! Ich hätte damals sterben sollen... Ich würde alles tun, um das rückgängig zu machen, was ich damals getan habe…“
„Hör auf zu heulen! Das ist… Ragna würde das nicht wollen! Er würde sich total schlecht fühlen, weil du wegen ihm heulst und dir die Schuld für seinen Tod gibst!“
„Du bist doch auch nicht besser…“
Gil hatte inzwischen tatsächlich gegen ihre Tränen
verloren, aber sie gab sich trotzdem nicht die Blöße, jämmerlich zu weinen wie
Leif. Sie hielt ihre Wut bewundernswert stur aufrecht.
„Wenn Ragna
das nicht wollen würde“, mischte sich Nefera ein, „solltet ihr vielleicht
einfach aufhören, euch die Schuld an seinem Tod zu geben und lieber so leben,
dass es ihn stolz machen würde.“
„So etwas hast du das letzte Mal auch schon gesagt“,
entgegnete Leif ruhig. „Und ich habe seitdem lange darüber nachgedacht. Die
Frage ist nur: Wie lebe ich, um Ragna stolz zu machen?“
„Tja, das
musst du wohl selber herausfinden.“
Woraufhin
Leif über seine Schulter blickte, fort von hier, aufs Meer hinaus.
‚Was nur würde dich stolz machen?‘
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Hier weiterlesen -> Kapitel 111
Das ist die Frage: Wie wird Leif sein Leben von nun an führen? Es wird auf jeden Fall allerhöchste Zeit, dass er aus seinem Trauersumpf herauskommt. Und dasselbe gilt für Gil, die bislang mit Wut und Verleugnung auf Ragnas Tod reagiert hat. Denn eines ist klar: Selbstgeißelung wird Ragna auch nicht wieder lebendig machen. Damit ist niemandem geholfen.
Bleibt zu hoffen, dass Neferas Worte die beiden aufgeweckt haben, und bleibt auch zu hoffen, dass Alek mit seiner Befürchtung, dass der Ahn-Stamm sich gegen den Uruk-Stamm wenden könnte, falsch liegt.
Nächstes Mal dann haben wir das letzte Kapitel des Interludiums, in dem Luis eine Vision hat, an deren Ende ihn nur eine Frage drängt: Wo ist sein Vater? Dann erreichen sie schlechte Nachrichten aus der Ferne, und Malah bekommt es das erste Mal mit einem schon lange schwärenden Streit zu tun.
Mein Dank geht übrigens an Zordrag, der mir nach dem Lesen des Kapitels den Hinweis gab, dass es, wie ich befürchtet hatte, mit den vielen Charakteren von den anderen Stämmen, die bislang nie vorkamen, etwas verwirrend geworden ist. Auf seinen Rat hin, habe ich fünf weitere Bilder mit den jeweiligen Personen eingefügt (bspw. das mit Lenn, Ana und Thur).
Bis dahin dann wünsche ich euch, dass ihr und alle eure Lieben gesund bleibt. Passt auf euch auf!
PS: Da ich gezwungenermaßen gerade ein bisschen Zeit habe, kommt das nächste Kapitel schon nächsten Mittwoch. Auch habe ich die Outtakes mal ein bisschen aufgestockt. Neu ab Kapitel 100.
Hier weiterlesen -> Kapitel 111
Das ist die Frage: Wie wird Leif sein Leben von nun an führen? Es wird auf jeden Fall allerhöchste Zeit, dass er aus seinem Trauersumpf herauskommt. Und dasselbe gilt für Gil, die bislang mit Wut und Verleugnung auf Ragnas Tod reagiert hat. Denn eines ist klar: Selbstgeißelung wird Ragna auch nicht wieder lebendig machen. Damit ist niemandem geholfen.
Bleibt zu hoffen, dass Neferas Worte die beiden aufgeweckt haben, und bleibt auch zu hoffen, dass Alek mit seiner Befürchtung, dass der Ahn-Stamm sich gegen den Uruk-Stamm wenden könnte, falsch liegt.
Nächstes Mal dann haben wir das letzte Kapitel des Interludiums, in dem Luis eine Vision hat, an deren Ende ihn nur eine Frage drängt: Wo ist sein Vater? Dann erreichen sie schlechte Nachrichten aus der Ferne, und Malah bekommt es das erste Mal mit einem schon lange schwärenden Streit zu tun.
Mein Dank geht übrigens an Zordrag, der mir nach dem Lesen des Kapitels den Hinweis gab, dass es, wie ich befürchtet hatte, mit den vielen Charakteren von den anderen Stämmen, die bislang nie vorkamen, etwas verwirrend geworden ist. Auf seinen Rat hin, habe ich fünf weitere Bilder mit den jeweiligen Personen eingefügt (bspw. das mit Lenn, Ana und Thur).
Bis dahin dann wünsche ich euch, dass ihr und alle eure Lieben gesund bleibt. Passt auf euch auf!
PS: Da ich gezwungenermaßen gerade ein bisschen Zeit habe, kommt das nächste Kapitel schon nächsten Mittwoch. Auch habe ich die Outtakes mal ein bisschen aufgestockt. Neu ab Kapitel 100.