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Dienstag, 10. März 2020

Kapitel 109 - Ausbildernot



Während die Stammesführerversammlung tagte, hatte Lin es sich nicht nehmen lassen, Jade und ihre Eltern zu behelligen, und momentan wünschte sich Jade nur noch, dass sie ihre Eltern offen darum gebeten hätte, Lin die Suppe mit der Hochzeit zu versalzen. Sie war sich sicher, dass sie ihr bestimmt geholfen hätten.
     Aber es war einfach auch langsam an der Zeit, zu heiraten, und Lin war nun mal der einzige Kandidat, der sie haben wollte. Sie wollte ihren Eltern und ihrem Stamm auch nicht ewig auf der Tasche liegen.
     Ihr Vater, der inzwischen einen ordentlichen Verband auf seiner Wunde hatte, sah jedoch gerade tatsächlich so aus, als würde er Lin zum Frühstück verspeisen, wenn er noch einmal behauptete, dass er seine Tochter heiraten wollte. Und da konnte sie nicht verhindern, dass sie sofort beschwichtigend zwischen die beiden trat, um ihren ungeliebten Möchtegernverlobten zu beschützen.


„Ähm… deswegen wollten wir uns euren Segen holen, und die Sache ist die, dass wir auch eine…“ Sie warf einen hilflosen Blick zu Lin, der aussah, als wäre er lieber ganz woanders. „Wie heißt das?“
     „Eine… Mitgift“, brachte er mühsam stotternd raus.
     „Ja, wir brauchen eine Mitgift.“
     „Was? Wozu braucht ihr denn Gift?“, fragte Dana mit erschrockenem Gesicht.
     „Das hat nichts mit Gift zu tun. Es bedeutet, dass wir etwas für die Hochzeit geben müssen.“ Sie wandte sich erneut an den nicht sehr hilfreichen Brautwerber. „Ähm, was genau eigentlich?“
     „Weiß nicht“, gab Lin eingeschüchtert zurück. „Das wollte meine Mutter ja noch mit euch ausmachen.“


„Mir ist nicht ganz klar, warum wir eigentlich etwas für die Hochzeit geben sollten“, wandte ihre Mutter ein. „Wenn ihr heiraten wollt, dann ist das eure Entscheidung, aber Tanja hat doch auch nichts geben müssen, als sie Wirt geheiratet hat.“
     Tanja und Wirt waren nach wie vor die Einzigen in der Gegend, die geheiratet hatten. Die Älteren waren diesem „komischen Brauch“, wie sie es nannten, abgeneigt, auch wenn Jade wusste, dass ihre Mutter schon mit der Vorstellung liebäugelte, ihren Vater zu heiraten und sie ein bisschen traurig darüber war, dass er sie nicht von sich aus fragte. Wie Jade es einschätzte, würde sie wahrscheinlich bald selber den ersten Schritt machen. Und obwohl viele der Jüngeren heiraten wollten, hatte sich bislang noch keiner getraut.  
     Lin sah jetzt drein, als wäre er bei irgendetwas Verbotenem ertappt worden, und auch Jade fühlte sich ein bisschen um eine Antwort verlegen. Sie konnte ihren Eltern ja schlecht erzählen, dass es da noch eine andere Kandidatin gab, die Lin heiraten sollte, und sie deshalb mehr bieten mussten als die Hells. Und es war ja eigentlich auch nicht so, dass Jade Lin so unbedingt davor retten wollte. Sie sollte es, aber sie wollte es nicht. Sie sollte einfach still bleiben und der Sache ihren Lauf lassen. Sie war so hin - und hergerissen.


Doch im nächsten Moment endete blöderweise die Versammlung und Lann kam aus dem Haus heraus, Wotan im Schlepptau, und sie gesellten sich zu ihnen. Grüße wurden ausgetauscht, bevor die Frage mit der Mitgift natürlich umgehend an Lann weitergegeben wurde.


Aber die kam gar nicht dazu, zu antworten, da Wotan sich vorher einmischte und sagte: „Warte, warum redet ihr hier eigentlich die ganze Zeit davon, dass Lin und Jade heiraten werden?“ Er tippte sich auf die Brust. „Jade wird doch meine Frau werden.“
     Da wurde es so still, dass man zwischen dem Grunzen der Schweine die Gespräche von den Anderen hören konnte, die sich noch drinnen befanden. Und sie alle starrten Wotan an, der seinerseits verständnislos in die Runde zurückstarrte. Jade wollte gerade nichts lieber, als im Boden zu versinken.
     „Was denn?“, fragte der Angestarrte schließlich.


Es war Jin, der sich als erster wieder fing, vortrat und seinem Sohn die Hand auf die Schulter legte, um ihm zu erklären: „Jade ist mein Kind, Junge. Wie du. Weißt du das nicht? Sie ist deine Schwester.“
      Wotan starrte ihn böse an und fegte seine Hand weg. „Ich weiß das! Hältst du mich etwa für blöd?“
      Es traf Jin, das von seinem Sohn zu hören. Fehlte nur noch, dass er ein „wie du“ hinzufügte.
      „Aber das ist mir egal. Ich will Jade trotzdem heiraten.“


Seitdem Dana ihm damals geholfen und ihm klargemacht hatte, dass er nicht aufgeben sollte, obwohl Griswold nicht ihn als Sohn anerkannte, hatte er sich ein bisschen in sie verguckt, musste er zugeben. Seitdem hatte er immer davon geträumt, jemanden wie sie an seiner Seite zu haben. Nur dass sie eben die Frau seines Vaters war und er sie ihm ja schlecht wegnehmen konnte.


Deshalb hatte er irgendwann beschlossen, einfach ihre Tochter zu heiraten. Dass Jade ihn immer bewundert hatte, war ihm da natürlich sehr entgegengekommen. Für ihn war deshalb immer schon klar gewesen, dass sie irgendwann heiraten würden.


Doch als er jetzt in Jades erstarrtes Gesicht sah, die Augen, die ihm erschrocken auswichen, wurde ihm bewusst, dass sie das scheinbar nicht so sah wie er.


Plötzlich erschien Lin vor ihm. „Bist du bescheuert? Sie ist deine Schwester, Mann! Geh und such dir wen anders! Jade wird mich heiraten!“
     Jade war zutiefst erschüttert, und selbst wenn sie etwas hätte sagen wollen, konnte sie es nicht. Was sollte sie dazu auch sagen? Wotan war ihr Bruder, und sie liebte ihn wirklich sehr, aber eben nur wie einen Bruder. Sie wollte Lin nicht heiraten, aber Wotan würde sie nicht heiraten.


Also ließ sie es zu, dass Lin nun besitzergreifend eine Hand auf ihre Schulter legte und Wotan damit den Rest gab. Als sie einen Blick riskierte, sah sie, dass er wirklich getroffen aussah. Wotan, der sich doch sonst nie von irgendetwas unterkriegen ließ. Sie hatte ihren Bruder noch nie so gesehen.
     „Jade…“
     Doch sie schwieg, senkte den Blick, und damit war alles gesagt.


Wotan drehte ihnen den Rücken zu und ging gefasst, ohne ein weiteres Wort zu sagen, davon. Und Jade blieb geschlagen zurück. Jetzt hatte sie gar keine andere Wahl mehr, als Lin zu heiraten.
     Kurz darauf einigten sich ihre Eltern und Lins Eltern zusammen mit Malah auf einen angemessenen Preis für ihre Hochzeit. Aber Jades Herz war gebrochen. Denn sie hatte ihren Bruder verloren. Sie wusste, dass sie Wotan wahrscheinlich nie wieder in die Augen würde sehen können.


Da Wotan die nächste Zeit mit einsamer Wacht beim Eingang zum Tal verbrachte und seinem Zuhause und dem Uruk-Stamm fernblieb, hatten sie letztendlich doch keinen Ausbilder für ihre zukünftigen Wachen. Malah hatte von Jade im Vertrauen gehört, was geschehen war, und deshalb versuchte sie auch gar nicht erst, Wotan dazu zu überreden, es sich anders zu überlegen. Sie konnte sich schließlich nicht vorstellen, dass er jetzt unbedingt dort sein wollte, wo er Gefahr lief, Jade zu begegnen.
     Doch obwohl Wotan jetzt die Wacht übernommen hatte, wusste Malah auch, dass das nicht ausreichen würde. Er allein würde gegen mehrere Räuber nicht ankommen. Er brauchte Unterstützung.


„Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt deswegen machen soll“, beklagte sich Malah am Abend bei ihrem Großvater. Sie hatte sich den ganzen Tag über den Kopf zerbrochen, was sie wegen der Ausbildersache tun sollte – vergeblich – und jetzt erhoffte sie sich von ihrem Großvater Rat. Es hatte sich ziemlich schnell eingebürgert, dass sie diese Beratungsgespräche am Ende jeden Tages führten.
     „Was gibt es denn für Optionen?“
     Es war Tanns bevorzugte Methode, sie immer erst selber nachdenken und Lösungen ersinnen zu lassen, bevor er ihr Ratschläge erteilte. Das hatte sie in der Vergangenheit viel gelehrt und ihr einiges über Problemlösung beigebracht.


„Ich könnte Garrus fragen, ob er unsere Leute trainiert, aber du weißt ja, dass die anderen beiden Stammesführer dagegen waren. Und ich kann mich nicht einfach über ihren Entschluss hinwegsetzen.“
     „Nun, diese Sache betrifft aber nicht nur die Stämme, sondern alle in dieser Gegend.“
     „Meinst du, ich sollte die Familien und den Händler auch zu einer Versammlung einladen?“
     „Natürlich. Das habe ich in Notzeiten auch immer getan.“
     „Du hast schon damals Versammlungen einberufen?“, fragte Malah überrascht. Sie hatte immer gedacht, dass es die Idee ihres Vaters gewesen war, diese Institution ins Leben zu rufen. Eines der wenigen Dinge, die er als Stammesführer geleistet hatte.


Tann schmunzelte. „Die Stämme haben sich schon von alters her getroffen. Schon bevor deine Urgroßmutter damals unseren Stamm wiederaufgebaut hat. Schon als wir noch Nomaden waren. Dort wo die alte Holzstatue am See steht, haben sie sich einmal jährlich getroffen, um für das kommende Jahr um Jagdglück und Fruchtbarkeit zu bitten. Es waren immer wieder andere Stämme, die damals kamen, als meine Mutter noch klein war, aber der Platz war ein heiliger Ort, an dem die Menschen schon immer zusammenkamen. 
     Und als wir dann sesshaft wurden, haben wir uns weiterhin dort getroffen. Einmal im Jahr. Um zu bitten, einander Hilfe zu leisten und zu besprechen, was das letzte Jahr über passiert ist. Bei Notzeiten wurde die Versammlung auch einberufen. Dein Vater hat dann nur dafür gesorgt, dass die Versammlungen regelmäßiger wurden und nicht mehr nur an einem Ort stattfanden. Und das war eine gute Entscheidung.“


Malah dachte eine Weile darüber nach, bevor sie sagte: „Ich denke, ehrlich gesagt, auch schon länger darüber nach, ob ich nicht vorschlagen sollte, die Oberhäupter aller hier lebenden Menschen an den Versammlungen teilhaben zu lassen.“
     „Das ist eine ausgezeichnete Idee, Malah.“
     „Ich glaube nur nicht, dass die anderen beiden Stammesführer das so gut finden werden“, meinte sie unglücklich. „Ich will ja nichts sagen, aber ich glaube, sie halten ihre Stämme für die Herrscher dieser Gegend.“
     „Oh, das tun sie auch. Das war schon immer so, und es war ja auch tatsächlich einst so. Nur dass inzwischen immer mehr Leute hierherkommen und keiner von ihnen mehr zu den Stämmen geht. Das müssen Roah und Lann irgendwann auch einsehen. Aber Lann ist jetzt sowieso nicht mehr die Anführerin ihres Stammes, und Roa wird den ihren auch nicht ewig anführen. Ich habe noch nicht mit ihren Nachfolgern gesprochen, aber vielleicht hast du bei ihnen ja bessere Karten mit deinem Vorschlag.“


Das konnte sich Malah bei Reinard irgendwie nicht so vorstellen. Eher im Gegenteil. Und bei Roah glaubte sie ernsthaft, dass sie die Führung über den Zoth-Stamm wahrscheinlich erst mit ihrem Tod abgeben würde. Wer sollte auch übernehmen? Nefera würde bald Reinard heiraten, und Nio war wirklich nicht dazu gemacht, eine Anführerin zu sein.
     „Es bleibt trotzdem die Frage, was ich jetzt wegen der Ausbildersache mache. Ich kann jedenfalls nicht warten, bis Roah abdankt, und ich glaube auch nicht, dass Lanns Sohn anders als seine Mutter denkt.“


„Dann tu das, was du für richtig hältst. Die anderen Stämme mögen sich vielleicht für die Herrscher der Welt halten, aber wir sind noch immer der größte Stamm hier, vergiss das nicht. Und als solcher haben wir auch eine Verantwortung zu übernehmen.“
     Es war ein bisschen merkwürdig, wenn ihr sonst so diplomatischer Großvater mit der harten Tour ankam, aber er hatte bislang immer richtig mit seinen Ratschlägen gelegen. Er wusste, im Gegensatz zu ihr, wann man Stärke demonstrieren musste und wann nicht. Malah mochte es nicht, das zu tun. Sie bevorzugte diplomatische Lösungen. Doch sie wusste, dass es nicht immer so lief. Dass Auseinandersetzungen und Stärkedemonstrationen auch dazugehörten, um sich gegen die Anderen zu behaupten. Also nickte sie.


Das Problem dabei war nur, dass sie Garrus nicht finden konnte. Er hatte seinen Posten vor ihrem Hof eigentlich nie aufgegeben, egal wie oft sie ihn auch von dort versucht hatten, zu verjagen, aber als sie ihn jetzt dort aufsuchte, war der Ort verlassen.
     Es gab nur noch eine Person, an die Malah sich da wenden konnte. Eines ihrer Sorgenkinder.


Also suchte sie Nyota auf. Sie fand die Freundin im Stall, wo sie gerade gewissenhaft das dreckige Stroh gegen Neues tauschte. Trotzdem begrüßte sie der gewohnt beißende Geruch von Dung, als sie in die Dunkelheit des Stalles abtauchte. Eine Ziege, die hinter Nyota in Deckung gegangen war, meckerte zur Begrüßung, bevor sie davonstob, als sei Malah ein Wolf, gekommen um sie zu fressen.
     „Nyo, weißt du zufällig, wo Garrus ist?“
     „Ja“, gab Nyota in ihrer monotonen Art zurück, ohne auch nur von ihrer Arbeit aufzusehen. „Was willst du von ihm? Willst du ihn wieder verjagen?“
     „Nein, was denkst du denn von mir? Ich will ihn darum bitten, ein paar unserer Leute auszubilden, damit sie oben am Pass Wache halten können.“


Jetzt legte Nyota die Mistgabel doch zur Seite und wandte sich ihr zu. Plötzlich sah sie so aufgeregt aus, dass man gar nicht glauben konnte, dass es zuvor noch genau andersherum gewesen war.
     „Ich frage ihn gerne für dich“, verkündete sie strahlend.
     Nyota hatte sich die letzte Zeit von Garrus ferngehalten, aber sie alle hatten gesehen, dass ihr das nicht leicht gefallen war. Malah hatte immer noch keine Ahnung, warum das sonst so ruhige Mädchen plötzlich eine so unheimliche Faszination für diesen Mann entwickelt hatte, aber es ging ihr nach wie vor nahe, die bislang immerzu traurige Freundin so glücklich zu sehen. Sie hätte ihr wirklich gerne geholfen, wenn sie nur gewusst hätte, wie.
     „Wenn du mir versprichst, vorsichtig zu sein. Wegen den Räubern, meine ich“, fügte sie hastig hinzu. Sie wusste schließlich, dass Nyota sofort dicht machte, wenn man schlecht über Garrus sprach.


Sie wollte sie eigentlich auch nicht allein mit diesem gefährlichen Mann reden lassen, der sie einst hatte töten wollen. Aber er war der Einzige, der Nyota wirklich etwas zu bedeuten schien. Malah konnte nichts anderes tun, als zu versuchen, der Freundin unterstützend unter die Arme zu greifen und zu akzeptieren, was sie nun einmal nicht verstand.
     Nyota nickte enthusiastisch, dann war sie losgestürmt.


Es regnete wie üblich – es wäre eher überraschend gewesen, wenn es das mal nicht getan hätte – sodass Nyota völlig durchnässt war, als sie das kleine Lager beim Eingang des Tales erreichte, wo, wie sie wusste, Garrus schon seit Tagen mit Wotan zusammen Wache hielt.
     Als Garrus davon erfahren hatte, dass sich Räuber in die Gegend gewagt hatte, hatte er seinen Stützpunkt natürlich sofort an die Gefahrenstelle verlegt, und da Wotan auch schon zugegen gewesen war, waren es inzwischen einfach zwei, die eine stille Wache hielten. Wotan war ja normalerweise gesprächiger, aber nach der Sache mit Jade war ihm gerade eigentlich nur noch danach, allein zu sein. Es kam ihm deshalb gerade recht, dass Garrus überhaupt nicht gesprächig war.
     Doch als Nyota jetzt auftauchte, war er trotzdem sofort auf den Beinen und ging ihr entgegen.


„Was machst du denn hier? Hier ist es gefährlich. Räuber treiben hier ihr Unwesen.“
     Sie schaute an ihm vorbei, schien ihn gar nicht wahrzunehmen. „Ich wollte etwas mit Garrus besprechen“, sagte sie mit ihrer leisen Stimme.
     „Hast du nicht gehört?“, gab der, unfreundlich wie immer, zurück. „Hier gibt es Räuber. Also geh nach Hause. Wir haben nichts zu besprechen.“
     „Aber es ist wichtig! Malah bittet dich darum, unsere Leute wegen den Räubern auszubilden.“
     So schnell war Wotan also abgeschrieben. Aber es sollte ihn nicht wundern. Malah hatte ja schon von Anfang an ihre Pferde auf diesen Garrus gesetzt, und er wusste jetzt auch, warum. Außerdem war er selber nicht gegangen, um die Leute zu trainieren, obwohl er es zugesagt hatte.


Garrus war tatsächlich so überrumpelt von dieser Offenbarung, dass er etwas brauchte, um darauf zu antworten: „Wie kommt sie denn darauf? Du kannst ihr jedenfalls sagen, dass ich das nicht tun werde. Sie soll sich jemand anderen suchen.“
     „Aber es gibt keinen anderen…“
     „Mann, hab dich doch nicht so!“, mischte sich Wotan ein. „Du faselst immer von Gerechtigkeit, aber wenn es drauf ankommt, ziehst du den Schwanz ein. Wenn du wirklich Gerechtigkeit willst, solltest du gehen und diese Leute da trainieren. Dann können sie deine Gerechtigkeit für dich ausüben.“


Garrus sah ihn mit zusammengekniffenen Augen bedrohlich an, aber Wotan ließ das kalt.
     „Trainiere du sie doch, wenn du so große Töne spuckst!“
     „Sicher! Ich hab nicht mal einen Angriff von dir standgehalten, als wir geguckt haben, wer besser von uns ist. Nyota hat recht, es gibt niemand besseren als dich in der Gegend. Ich würde ja gern mitkommen und bei dir lernen, aber ich werde hier die Stellung halten, während du die Anderen trainierst.“


Nyota machte jetzt einen Schritt an Wotan vorbei auf Garrus zu, aber sie blieb stehen, bevor sie ihn erreicht hatte. Man sah, dass ihr das nicht leicht fiel, sich zurückzuhalten. So kannte Wotan sie gar nicht. „Bitte, Garrus! Wir brauchen deine Hilfe!“, bat sie inbrünstig.
     Garrus sah sie einen Moment mit einem ausdruckslosen Blick an, dann gab er sich schließlich geschlagen und sagte: „Na schön. Aber sag deiner Anführerin, dass ich kein guter Lehrer bin. Ich habe nur ein paar Jahre gedient und hatte keine führende oder ausbildende Position inne. Und ich werde gnadenlos sein. Ich habe keine Geduld.“


Nyota nickte und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, was Garrus aber nur dazu brachte, den Blick wieder von ihr zu nehmen.
     „Sonst noch was?“, fragte er kalt. Nyota schüttelte traurig den Kopf, und da forderte er sie auf: „Dann geh zurück! Du hast doch gehört, dass es hier gefährlich ist. Bring sie nach Hause, Junge!“
     „Bring du sie doch nach Hause! Ich… halte hier die Stellung.“
     Garrus sah ihn stirnrunzelnd an, schüttelte den Kopf und erhob sich schließlich doch, um Nyota selber nach Hause zu bringen.


Und zurück blieb Wotan, der sich wirklich fragte, warum Garrus Nyota gegenüber so abgeneigt war. Sie war bislang zwar ein unscheinbares und ruhiges Mädchen gewesen, und er hätte nie gedacht, dass sie überhaupt dazu in der Lage war, irgendwelche Emotionen zu zeigen, aber es war offensichtlich, dass sie Hals über Kopf in diesen merkwürdigen Kerl verschossen war.
     Ja, Wotan hätte ihn das gerne gefragt, aber er würde es nicht tun. Er wollte nicht, dass ihre ohnehin schon nicht sehr angenehmen Wachten noch unangenehmer wurden. Er war, ehrlich gesagt, froh, mal allein zu sein.


Zumindest bis ihm Jade wieder in den Sinn kam und ihm eine stille, unangenehme Wacht mit dem griesgrämigen Garrus plötzlich doch geradezu verlockend schien.


Nyota derweil war einfach nur glücklich, mal wieder allein mit ihrem Angebeteten sein zu dürfen. Doch sie konnte sich nicht dazu überwinden, mit ihm zu sprechen. Zu groß war die Angst, etwas Falsches zu sagen und ihn wieder zu verscheuchen. Sie war einfach nicht gut in solchen Dingen. Das war sie noch nie gewesen.
     Da er auch nichts zu ihr sagte, verbrachten sie eine ganze Weile ihres Rückweges mit Schweigen. Aber das war ihr auch recht. Sie brauchten eigentlich nicht zu reden. Alles, was sie wollte, war in Garrus‘ Nähe zu sein. Ihm nahe zu sein.


Als sie – zu Nyotas Bedauern – den Hof erreicht hatten, streckte Garrus plötzlich seine Hand vor ihr aus und schob sie hinter sich. Das metallische Schaben, das sie schon so gut kannte, verriet ihr, dass er sein Schwert gezogen hatte.


Und da erkannte auch sie die dunkle Gestalt, die nun in unmittelbarer Nähe vor ihnen erstarrte. Doch es war kein Räuber. Es war Nila. Bei dem wusste man zwar auch nie, ob man ihm nachts so unbedingt allein begegnen wollte, aber er war immerhin nicht bewaffnet. Stattdessen war er an Ort und Stelle festgefroren und schaute erschrocken drein.
     „Du!“, knurrte Garrus ihn an.
     Sie war sich nicht sicher, ob Garrus ihn erkannte, deshalb erklärte sie ruhig: „Das ist nur Nila.“
     „Das weiß ich.“
     Doch er steckte sein Schwert trotzdem nicht weg. Nila hatte inzwischen abwehrend die Hände erhoben und seine Stimme wiedergefunden. „Ich… will nichts Böses! Ich bin nur unterwegs nach Hause!“, stotterte er.


Garrus machte noch immer keine Anstalten, zu weichen, also wagte es Nyota, ihm eine Hand auf den Arm zu legen. Normalerweise war es nicht sehr ratsam, ihm zu nahe zu treten, aber er ließ es diesmal glücklicherweise mit sich machen.
     „Er tut nichts“, versicherte sie.
     Eigentlich war sie sich da nicht so sicher, aber sie wollte kein unnötiges Blutvergießen riskieren. Sie wusste, dass Nila ihnen zumindest jetzt nichts tun würde, während jemand stärkeres mit gezückter Waffe vor ihm stand.
     Garrus starrte ihn noch einen Moment länger misstrauisch an, dann ließ er sein Schwert aber endlich sinken. „Dann verschwinde, bevor ich es mir anders überlege!“, zischte er.


Nila ließ sich nicht zweimal bitten. Er traute sich nicht mal, Garrus böse anzustarren, wie er das sonst immer bei allen anderen machte. Garrus war derjenige, vor dem Nila wirklich Angst hatte, ging Nyota auf. 
     Der steckte sein Schwert auch erst weg, als Nila im Haus verschwunden war. Und dann sprach er sogar tatsächlich einmal von sich aus zu ihr.


„Ich glaube, dass er vielleicht ein Teil der Räuberbande sein könnte, die sich hier breit gemacht hat.“
     „Hast du ihn etwa bei ihnen gesehen?“
     „Nein, aber er hat etwas Verschlagenes in seinen Augen. Etwas Böses. Hinterhältiges. Wahrscheinlich kommt er gerade von ihnen.“
     „Er hat sich mit einem Mädchen getroffen. Ich habe sie schon zusammen gesehen.“
     „Selbst wenn er jetzt noch kein Teil der Räuber ist, wird er es eines Tages sein. Da bin ich mir ziemlich sicher. Du solltest dich vor ihm in Acht nehmen.“


Nyota lächelte gerührt und nickte. Sie freute sich, dass Garrus sich scheinbar Sorgen um sie machte. 
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 Hier weiterlesen -> Kapitel 110

Wie es ausschaut, ist Nyota Garrus doch nicht so egal, wie er das gern hätte. Oder redet sich Nyota doch nur ein, dass er sich Sorgen um sie macht, weil sie das gerne so hätte?

Die Sache mit Wotan jedenfalls ist eine verzwickte Sache. Es ist schon schwierig, zu sagen, ob er tatsächlich Gefühle für seine Schwester hatte oder er sich einfach nur Jade gegenüber schämt, weshalb er ihr und seinem Heim fernbleibt und sogar seine Aufgaben vernachlässigt. Denn die Sache ist die, dass schon das Thema Liebe eine schwierige Sache ist, wenn es um Wotan geht. Er hatte ja schon einige Frauen, aber bislang waren das eben immer nur Bettgeschichten, weil für ihn von Anfang an klar gewesen war, dass er sowieso niemand anderen als Jade heiraten würde. 
     Unabhängig davon, ob beide jetzt Geschwister sind oder nicht, wenn Wotan Jade geliebt hat, ist er nun von ihr abgewiesen worden, und das ist schon schlimm genug. Da kann man wohl verstehen, dass er sein Versprechen Malah gegenüber, die Wachen auszubilden, nicht eingehalten hat. Glücklicherweise hat sich ja Garrus dazu breitschlagen lassen. Ist nur die Frage, ob das so eine gute Sache ist.

Nächstes Mal dann versucht Malah, ihre Ideen bei einer Notversammlung einzubringen, Leif trifft jemanden vom Junggesellenfest wieder, der ihn zum Nachdenken bringt, und dann tritt unerwartet jemand dem Stamm bei, der ungute Neuigkeiten mitbringt.   

Bis dahin, bedanke ich mich fürs Vorbeischauen und verabschiede mich! 

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