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Mittwoch, 26. Februar 2020

Kapitel 108 - Derweil: Von Hochzeitsplänen und solchen, die es mal werden wollen (oder auch nicht)



Es war kurz nachdem Wulfgar, Lu und Elrik die Gegend, die sie Zuhause nannten, verlassen hatten, dass Griswold und Greta zu Gast im Ahn-Stamm waren, um mit deren Oberhaupt Lann über die gemeinsame Zukunft zu reden. Da die Hells das Eisen für ihre Schmiede größtenteils vom Ahn-Stamm bekamen, versuchten sie schon eine ganze Weile eine bessere Verbindung zu diesem ihren Handelspartner zu erreichen. Reinard und Lin, Lanns Söhne, waren an diesem regnerischen Tag ebenfalls anwesend, und Letzterem konnte man am Gesicht ablesen, dass ihm überhaupt nicht behagte, was da unweigerlich auf ihn zukommen würde.


„Wir wären sogar bereit, unsere einzig verbliebene Tochter als Frau für deinen ältesten Sohn hierherkommen zu lassen“, bot Greta gerade geschäftsmäßig an. 
     „Reinard wird demnächst bereits Nefera heiraten“, entgegnete Lann ebenso geschäftsmäßig. „Das ist schon eine Weile beschlossen, und es wäre eine Beleidigung für den gesamten Zoth-Stamm, wenn wir das plötzlich auflösen würden.“
     „Und was ist mit deinem anderen Sohn?“, fragte Greta, und Lin erstarrte. „Griswold wäre bereit, ihn in seinem Handwerk zu unterweisen, damit er die Schmiede übernehmen kann.“


Wozu Griswold, der bislang mit steinernem Gesicht neben seiner Frau gestanden hatte und der auch geschwiegen hatte wie eine Statue, nur missmutig grunzte. Sie wussten alle, dass er lieber seinem eigenen Sohn die Schmiede vermacht hätte. Nur, dass er eben keinen eigenen Sohn hatte und sich noch immer weigerte, Wotan übernehmen zu lassen, obwohl der inzwischen beinahe alles allein vom Helfen gelernt hatte.
     „Nun, das wäre natürlich möglich, aber dafür müsst ihr mir schon ein bisschen mehr entgegenkommen. Ich gebe euch schließlich meinen Sohn mit und unser Stamm verliert damit eine wertvolle Arbeitskraft.“


Tatsächlich traute sich Lin jetzt, sich kleinlaut zu Wort zu melden: „Ähm… ich habe aber schon Jade vom Uruk-Stamm versprochen, sie zu heiraten…“
     Lanns Kopf ruckte zu ihrem Zweitgeborenen, der unter ihrem vernichtenden Blick erschrocken zusammenfuhr. „Und warum weiß ich davon nichts?“, zischte sie bedrohlich.
     „Ich dachte, wenn Reinard zum Zoth-Stamm Verbindungen knüpft, wäre es gut, wenn ich zum Uruk-Stamm Verbindungen knüpfe“, beeilte sich Lin, zu erklären. „Er ist immerhin der größte Stamm hier in der Gegend.“
     Und Jade war die hübscheste und begehrteste Frau weit und breit. Aber das sagte er natürlich nicht. In seinem Stamm ging es schon lange nicht mehr um das, was jemand wollte, sondern nur noch darum, was gut für den Stamm war. Nur deswegen war seine Mutter noch immer an der Seite seines Vaters, obwohl sie nur noch einen Schritt weit davon entfernt waren, auf Kriegsfuß miteinander zu stehen. Aber egal wie es auch war, Lin wollte ganz sicher nicht Jungen-Giselinde heiraten.


„Nun, da hört ihr es“, fasste sich seine Mutter schnell wieder. „Ich werde zwar erst mit Dana und Jin reden müssen, aber wenn ihr mir kein besseres Angebot macht als sie, können wir leider nicht zu einer Vereinbarung kommen.“ 
     Greta und Griswold sahen überhaupt nicht begeistert aus. Vor allen Dingen Greta nicht, die schon wieder von Danas Nachwuchs Steine in den Weg gelegt bekam. Aber sie sagten beide nichts mehr, sondern verabschiedeten sich stattdessen kurz darauf.


Und Lin wurde noch blasser, als seine Mutter sich ihm jetzt zuwandte und ihr Mund vor Wut nur noch ein schmaler Strich war. Sie hob bedrohlich die flache Hand, aber sie sah davon ab, ihn zu schlagen. Das tat sie glücklicherweise nicht mehr, seit er zum Mann herangewachsen war. 
     Er hatte trotzdem immer noch Angst vor ihr, und er war nur froh, dass er nicht Nara war. Sie wurde, trotz ihres Alters, immer noch geschlagen, wenn sie etwas Falsches tat. Nur Reinard war es immer besser gegangen. Er war schon immer Mamas Liebling gewesen.
     „Du hast mich vor unseren Gästen blamiert!“, fauchte seine Mutter.
     Lin zog den Kopf ein und sagte: „Entschuldige!“
     „Tu das nie wieder! Du solltest endlich lernen, dich wie ein Erwachsener aufzuführen. Also geh und sieh zu, dass du Jades Eltern herbringst, hast du verstanden?“


„Was ist, wenn… ähm… naja, wenn sie nichts für die Hochzeit geben wollen?“, wagte es Lin aber tatsächlich zaghaft, zu fragen.
     „Dann werde ich mit dem Preis für unser Eisen weiter runtergehen müssen als ich das wollte und du wirst die Hell-Tochter heiraten“, antwortete Lann verstimmt.
     „Warum muss ausgerechnet ich die heiraten? Gib ihr doch Alek! Der hat sowieso niemanden und wird froh sein, Giselinde zu kriegen.“
     „Hier geht es aber um wichtige Verbindungen. Da kann ich nicht den Sohn von irgendwem anders anbieten. Du bist jetzt erwachsen, und es wird Zeit für dich, Verantwortung für den Stamm zu übernehmen.“


„Sie hat recht, Bruderherz!“, mischte sich zu allem Überfluss auch noch Reinard mit verhohlener Schadenfreude in der Stimme ein. „Als Sohn der Anführerin unseres Stammes ist es deine Aufgabe, unserem Stamm gute Verbindungen zu ermöglichen. Und die Hells sind eine unserer wichtigsten Handelspartner. Wir brauchen ihre Lebensmittel. Also stell dich nicht so an! Steh deinen Mann, heirate ihre Tochter und sieh zu, dass du uns keine Schande bereitest, wenn du das Schmieden erlernst!“
     Als ob es schon längst entschieden wäre, dass er das tun würde.

 
Aber nicht mit ihm! Er wartete nicht einmal ab, bis der Regen nachgelassen hatte – so viel, wie es in letzter Zeit regnete, hätte er da wahrscheinlich sowieso lange warten können. Stattdessen machte er sich umgehend zum Uruk-Hof auf, und als er später endlich allein vor Jade im Stall stand, war er völlig durchnässt. Aber er ignorierte die Kälte, die schon seit dem Gespräch an ihm herumkroch, und erklärte seiner hoffentlich Zukünftigen, was geschehen war.


„Naja, da wir ja eh heiraten wollten, könntest du mal mit deinen Eltern reden und sehen, was sich da machen lässt“, schloss er.
     Jade wollte ihn ganz sicher nicht heiraten. Mal ganz davon abgesehen, dass Lin ihr nicht gefiel, war er eine männliche Version seiner Schwester Mai. Er war viel zu sehr von sich überzeugt und spuckte immer große Töne, die er nicht halten konnte. Vor allen Dingen seitdem Leif sich nach dem Tod seines Bruders so zurückgezogen hatte, führte er sich auf, als würde ihm die gesamte Gegend gehören, wenn Wotan gerade nicht anwesend war. Kurzum: sie konnte ihn eigentlich nicht leiden.
     Doch sie wusste auch, dass sie irgendwann jemanden heiraten musste, wenn sie nicht allein verenden wollte. Sie hatte nur mehr auf Wolfmar von den Blums gehofft. Der gefiel ihr zwar auch nicht, aber er war wesentlich ruhiger und erträglicher als Lin. Nur dass er bislang keine Anstalten gemacht hatte, ihr Aufwartungen zu machen und stattdessen dauernd mit Nio vom Zoth-Stamm liebäugelte. Was sollte sie da nur tun?


„Ich kann ja mal mit ihnen reden. Aber mach dir nicht allzu viele Hoffnungen“, versuchte sie auszuweichen und dann zwang sie sich ein Lächeln auf die Lippen. „Giselinde ist doch aber auch nicht schlecht, oder?“
     Ja, sie wollte nicht allein verenden, aber sie konnte nicht verhindern, dass ihr der Gedanke, dass Lin einfach Gil heiratete, und nicht sie, gerade ziemlich verlockend erschien.


Doch als der sie jetzt böse ansah, so wie er eigentlich nur Nara ansah, wurde ihr kalt, und ihr wurde klar, dass eine Ehe mit Lin bedeuten würde, dass sie aufpassen musste, was sie sagte. Er würde nicht zögern, sie zu züchtigen, wenn ihm der Sinn danach stand.
     „Ich… werde sehen, was ich tun kann“, erwiderte sie ungewollt und verängstigt.


Derweil war Nero unterwegs durch den Nebelwald zu den Blums, um Gabriela zu besuchen. Er hatte sie erst jüngst unten am Handelsposten getroffen, wo sie ihn darum gebeten hatte, vorbeizukommen, aber er hatte es bislang vor sich hergeschoben gehabt. Es war bereits ihre zweite Einladung gewesen.  


Ihm war zugegebenermaßen ein bisschen mulmig zumute, als er das Haus betrat, in dem Gabriela lebte. Aber glücklicherweise war sie nirgends zu sehen. Stattdessen traf er Nio an, die gerade den Hintern zur Feuerstelle gestreckt hatte, um sich von der Herbstkälte aufzuwärmen, die hier im Nebelwald noch kälter zu sein schien.


„Oh, hallo, Nio!“, grüßte Nero sie ehrlich erfreut.
     Mit Nio zu tun zu haben, war immer angenehm für ihn gewesen, denn sie hatte ihn nie mit irgendwelchen Aufwartungen bedrängt. Meistens ignorierten sie sich, und er hatte deshalb noch nicht so viel mit ihr zu tun gehabt, obwohl sie ja eigentlich seine Cousine oder so war.  
     Da sie ihn jetzt aber nicht mehr ignorieren konnte, sah sie beinahe ein bisschen so erschrocken aus, wie er es von Adelaide gewohnte war. Sie grüßte verhalten zurück, bevor sie hastig: „Ich muss dann gehen. Tschüss!“, sagte und so schnell weg war, dass er ihren Abschied nicht einmal hatte erwidern können.


Blöderweise hatte Nero danach gar keine Chance dazu, es ihr gleichzutun und sich klammheimlich wieder zu verkrümeln, wo Gabriela ja nicht da war, da sie in diesem Moment im Türrahmen erschien, kaum dass Nio fluchtartig das Haus verlassen hatte. 
     „Ach, Nero! Wie wundervoll, dass du mich besuchen kommst!“
     Mit einem ausladenden Schritt stand die Tochter des Hauses vor ihm, versperrte ihm jeglichen Fluchtweg und schenkte ihm ein Lächeln, das ihm die Röte ins Gesicht trieb. Er konnte das gar nicht verhindern.


Seitdem er sie damals beim Junggesellenfest gesehen hatte, ging ihm das so. Sie hatten damals kein Wort miteinander gewechselt – ihre Freundin, diese ununterbrochen redende Mai, hatte sie ja nie zu Wort kommen lassen. Aber er hatte auch so kein Wort rausbekommen gehabt, wenn Gabriela dagewesen war. Allein ihr Anblick hatte damals gereicht, um ihm die Sprache zu verschlagen.


Es war nicht so, dass er sie sonderlich mochte – dafür kannte er sie ja gar nicht gut genug – aber ihr Aussehen erinnerte ihn so sehr an Ragna. Die schwarzen Haare, die braunen Augen, dasselbe Gesicht in weiblich. Sie sah ihm so ähnlich, dass er manchmal dachte, Ragna selber vor sich zu haben. Zumindest stellte er sich vor, dass er heute so aussehen würde. Er vermisste seinen Freund nach wie vor schmerzlich.
     Nur dass ihr Charakter leider überhaupt nicht wie Ragnas war.


„Ich habe gesehen, dass du gerade Besuch von Nio hattest“, stotterte er ein bisschen. „Wenn ich gestört habe, kann ich ja wann anders wiederkommen.“
     Gabriela zog die Nase kraus. „Nio war nicht wegen mir hier, sondern wegen meinem Bruder Wolfmar. Sie ist voll verknallt in ihn, wusstest du das nicht?“ Sie kicherte. „Hast du sie etwa vertrieben? Armer Wolf, da kommt er heute ja mal gar nicht zum Knutschen.“
     Sie redete definitiv zu viel. Er hatte nichts dagegen, wenn man sich unterhielt, aber Gabriela ließ ihn nie zu Wort kommen. Stattdessen liebte sie es, zu erzählen, wogegen er ja auch nichts hatte. Er liebte es sogar, anderen zuzuhören. Wenn Ragna seine Geschichten erzählt hatte, oder auch Adelaide. Aber Gabriela zerriss sich am liebsten das Maul über andere, und das konnte er überhaupt nicht leiden.


„Was wolltest du eigentlich von mir?“, zwang er sich, zu fragen.
     Gabriela antwortete mit einem verschmitzten Grinsen. „Ach, nichts wirklich.“ Sie kam näher, was ihn völlig überforderte. „Du bist so süß, weißt du das?“


Plötzlich stand sie dicht vor ihm, dass ihm unwillkürlich heiß wurde. Eigentlich war er, wie gesagt, nicht an ihr interessiert, aber als sie sich jetzt an ihn schmiegte, wurde ihm ganz anders zumute. 
     Ihre kleine, zierliche Hand, die angenehm kühl war, strich über seine Wange, seinen Hals, über seine Seite, immer weiter hinab, und er tat nichts dagegen. Er wollte es nicht, aber er war wie gelähmt. Als ihre Hand schließlich seine Hüfte erreichte, wusste er, dass er ihr nicht mehr würde entkommen können.


Ein lautes Rumpeln rettete ihn aber glücklicherweise. Der Lärm fuhr wie ein Messer in die Situation hinein und riss ihn ins Diesseits zurück. Blitzartig schob er Gabriela von sich, solange er noch dazu imstande war und ging auf Abstand. 
     Um sich abzukühlen, trat er an ihr vorbei, suchte nach dem Ursprung des Lärmes, und da sah er, dass ein dickbauchiger Krug, der zuvor draußen vorm Eingang gestanden hatte, umgefallen war. Was merkwürdig war, weil der massive Krug nicht so aussah, als würde er so einfach von einem Windstoß umgeworfen werden können.


Als er einen Blick nach draußen riskierte, war aber niemand zu sehen. Doch die kalte Abendluft klärte immerhin seinen Kopf.
     „Was ist denn los?“, hörte er Gabriela missmutig hinter sich fragen.
     „Ich glaube, da war jemand.“
     „Wahrscheinlich schnüffelt Mai dir nach. Sie wollte mir nicht mal glauben, dass du mich besuchen kommst, diese eingebildete Ziege!“


Jetzt, da sie ihn selber an ihre unausstehliche Persönlichkeit erinnert hatte, konnte er sich ihr wieder zuwenden und sie ansehen, ohne sofort von ihrer Ausstrahlung gefangengenommen zu werden und ihr sagen: „Du solltest wirklich nicht so schlecht über andere reden.“
     Gabriela sah aus, als ob sie etwas dazu sagen wollte, aber sie tat sich den Gefallen, ruhig zu bleiben.


Und das war auch ganz gut so, da besagte Mai in diesem Moment im Türrahmen auftauchte, im Schlepptau ihrer Mutter Lann. Mai machte tatsächlich große Augen, als sie Nero und Gabriela zusammen sah.
     „Hallo, Kinder“, begrüßte Lann sie. „Ist Gisa zufällig hier?“
     Gabriela sagte ihr, dass ihre Mutter draußen im Stall war, woraufhin die beiden Neuankömmlinge wieder abdrehten und gingen. Gabriela konnte es nicht lassen, Mai einen triumphierenden Blick zuzuwerfen, und die sah so getreten aus, dass sie Nero tatsächlich leid tat.


Danach entschied er sich dazu, lieber nach Hause zu gehen. Sicherheitshalber, um nicht erneut in eine verfängliche Situation zu geraten.


Als Malah mit Schamanin Jana tags darauf zur nächsten Stämmeversammlung aufbrach, regnete es zur Abwechslung einmal nicht. Das erfreute auch Dana und Jin, die mit Tochter Jade zusammen mit von der Partie waren, um die Sache mit Lin zu klären. 
     Auch Wotan war mitgekommen. Seitdem er damals bei seinem Onkel Wulfgar als Schwertkämpfer in die Lehre gegangen war, ließ er kaum eine Gelegenheit aus, sich als Beschützer hervorzutun, und darüber konnten sie bald schon sehr froh sein.


Während Jade nämlich noch vor dem kommenden Treffen grauste, stellten sich ihnen plötzlich drei raubeinig aussehende Männer in den Weg. Es waren Fremde, ein jeder sichtbar bewaffnet und mit einem unheilvollen Ausdruck im Gesicht. Der Mittlere, ein dunkelhaariger Kerl mit Vollbart, trat vor und verlangte Wegzoll von ihnen.
     „Diesen Weg hier haben schon unsere Ahnen benutzt, und ihr habt kein Recht darauf, etwas für seine Benutzung zu verlangen! Macht ihn also frei!“, forderte Stammesführerin Malah furchtlos.
     Der Dunkelhaarige grinste und entblößte dabei eine große Zahnlücke. „Es stimmt also, dass die Frauen in dieser Gegend das Sagen haben.“ Er lachte unbeeindruckt und spuckte dann vor Malahs Füße auf den Boden. „Wie erbärmlich!“


„Erbärmlich ist‘s, was ihr da tut!“, warf Jana ein, und sie erinnerte Malah dabei an eine ziemlich wütende Mutter, die ihre Kinder ausschimpfte. „Habt ihr keinen Respekt vor den Göttern, die gesagt haben, dass wir alle miteinander auskommen sollen? Ihr solltet lieber nach Hause gehen und beten, dass sie euch nicht mit einem fiesen Ausschlag strafen!“
     Da trat ein zweiter Bandit vor und machte den Fehler, Jana eine Hand auf den Arm zu legen und anzüglich zu sagen: „Ach, wie süß, soll uns das jetzt etwa Angst machen?“


Bevor er sich versah, hatte die Schamanin ihn mühelos über ihre Schulter geworfen und zu Boden geschickt. Auch sie war schließlich lange Jahre bei ihrem besten Krieger in Ausbildung gewesen, damit ihr nie wieder jemand etwas antun konnte, wie es Dia Hell getan hatte.


Danach brach eine handfeste Auseinandersetzung los und alles ging drunter und drüber. Dana schob ihre jüngste Tochter hinter sich und ballte die Hände zu Fäusten, aber Jin ließ gar niemanden an seine beiden Frauen herankommen. Auch Malah machte sich kampfbereit. Das Problem dabei war nur, dass ihre Gegner bewaffnet waren und sie inzwischen besagte Waffen gezogen hatten, während die meisten von ihnen höchstens kleine Schneidemesser bei sich hatten.


Am Ende schlugen sie die Räuber jedoch in die Flucht, und das war vor allen Dingen Wotan zu verdanken, der als einziger ordentlich bewaffnet gewesen war. Er stand seinem Mentor in der Theorie inzwischen kaum noch in etwas nach. 
     Dennoch hatten sich Jin, Jana und Malah Wunden zugezogen. Wobei die beiden Letzteren sehr glimpflich davonkamen, im Gegensatz zu Jin, dessen Wunde am Bein heftig blutete. Jade wurde bleich, als sie das sah, und Dana schrie so laut auf, dass es in ihren Ohren klingelte. Wahrscheinlich hätte ihr Schrei allein ausgereicht, die Wegelagerer zu vertreiben. 
      Jin versuchte die Wunde mit der Hand zu verdecken, aber es war vergebliche Liebesmüh. „Hey“, versuchte er stattdessen, verwegen zu grinsen, „macht nicht so ein Gesicht. Das wird eine ordentliche Narbe, auf die ich stolz sein kann.“


Dennoch ließen sie später natürlich Sharla, die inzwischen im Ahn-Stamm heimisch geworden war, einen Blick darauf werfen. Sie desinfizierte die Wunde, wobei Jin für seine Frauen ein tapferes Gesicht machte, und verband ihm dann das Bein. Obwohl es stark blutete, war die Wunde nicht tief und würde schnell verheilen, meinte die Heilerin.


Während Jin im oberen Stockwerk verarztet wurde, hatte Malah den anderen beiden Stammesführern auf der Versammlung derweil von dem Vorfall berichtet.
     „Sie sind also immer noch hier“, sagte Lann mit ernstem Gesicht, als Malah geendet hatte. „Wir hatten schon vor ein paar Tagen mit ihnen zu tun und haben sie von hier verjagt. Bislang sind die Vagabunden dann auch immer weggeblieben, aber wie es scheint, sind sie diesmal hartnäckiger.“
     „Bist du sicher, dass es überhaupt dieselben waren?“, fragte Roah vom Zoth-Stamm sie.  
     Lann nickte. „Ziemlich.“
     Ihr Blick ging nach hinten zu ihrem Sohn Reinard, der heute ebenfalls anwesend war. Auf der heutigen Versammlung sollte nämlich eigentlich sein Ritual anstehen, um Lanns Nachfolge zu übernehmen.
     „Eure Beschreibungen passen jedenfalls zu ihnen“, bestätigte er.
     „Es wird die letzte Zeit immer gefährlicher hier“, fuhr Lann besorgt fort. „Es kommen immer mehr Leute aus dem Norden hierher.“


„Dann sollten wir vielleicht Wachposten am Taleingang aufstellen“, schlug Malah vor.
     Malah fühlte sich als Jüngste in der Runde immer noch ein bisschen unsicher. Auch wenn sie Roah und Lann schon eine Weile kannte, hatte sie ihren Vater doch damals öfter zu den Versammlungen begleitet, und die anderen beiden Stammesführerinnen sie gut angenommen hatten. Sie und auch Jana, die es übernommen hatte, als ihr geistlicher Begleiter mitzukommen, während Luis alle rituellen Aufgaben Zuhause übernommen hatte. Da Elrik sich früher oft von seinem Schamanen hatte vertreten lassen, sagte auch niemand mehr etwas dazu, dass sie immer zu zweit kamen.
     Und Malah war das eigentlich ganz recht so. Sie fand es gut, dass sie sich die Führung mit Luis und Jana teilte. Natürlich übernahm sie, im Gegensatz zu ihrem Vater, den Großteil der Aufgaben, da die anderen beiden ja auch noch ihre kultischen Pflichten hatten, aber dennoch war es gut zu wissen, dass sie im Notfall zuverlässige Vertreter hatte. Sie hatte ja ein bisschen Angst gehabt, dass Lu sein Amt aufgegeben hatte, aber das war unnötig gewesen, wie sie schnell hatte erfahren dürfen. Vor allen Dingen, weil ihr Großvater ihr ebenfalls noch zur Seite stand.
    Obwohl sie so gut angenommen worden war von den anderen Anführern, wurde sie diesmal aber mit einem Blick bedacht, als hätte sie etwas völlig Unsinniges von sich gegeben, und sie konnte nicht verhindern, dass ihre Schultern darunter ein bisschen einsanken.


„Und wie stellst du dir das vor?“, wollte Roah wissen. „Es ist nicht so, dass wir einen Überschuss an Leuten haben, die wir entbehren können. Vor allen Dingen wir nicht. Der Eingang zum Tal ist auch viel zu weit entfernt für uns. Dieser Bereich fällt eigentlich in die Verantwortung von Lann und ihrem Stamm.“
     „Es ist nicht so, dass wir unbedingt viele Leute zu entbehren hätten. Wir tun schon unser bestmöglichstes, um den Eingang zum Tal sicher zu halten.“


„Was ist denn mit deinem Stamm, Malah?“, mischte sich Reinard erstmals ein. „Ihr seid doch genug, um ein paar Wachen zu stellen, oder?“
     Hätte sie mal lieber die Klappe gehalten. Sie hatte eigentlich gehofft, dass alle etwas dazu beitragen würden und nicht nur ihr Stamm. Aber sie konnte jetzt auch nicht kneifen. Nicht, wo ihr Stamm doch der größte in der Gegend war.
     „Naja, ich kann ja mal sehen, was sich machen lässt“, ließ sie deshalb vernehmen.


Da mischte sich plötzlich auch noch Wotan aus dem Hintergrund ein, der bislang still zugeschaut hatte. „Also ich will ja kein Spielverderber sein, aber bevor ihr irgendwelche Wachen abstellt, solltet ihr zusehen, dass ihr sie erstmal ordentlich ausbilden lasst.“
     „Unsere Leute sind stark genug!“, meinte Jana grimmig. „Wir haben denen vorhin sowas von den Hintern versohlt!“
     „Ich hasse es ja, dir das sagen zu müssen, Schwesterherz, aber wenn du meinst, dass es eine gute Sache ist, dass sich die Wachen dabei immer schwere Verletzungen wie unser Vater zufügen, dann stimme ich dir natürlich zu.“ Er trat in den Feuerschein und stellte sich breiter hin. „Seht, ihr habt keine ordentlichen Kämpfer in der Gegend, und ihr braucht welche. Eure kampffähigen Leute sind alle zu alt, und die Jungen haben alle keinen Kampfgeist mehr. Seitdem sie aus den Kinderschuhen raus sind, habe ich keinen außer Malah mehr bei den Trainingsstunden meines Onkels gesehen. Ich war immer der Einzige.“


„Na dann lasst Wulfgar doch ein paar eurer Leute ausbilden. Und solange müssen wir halt zusehen, dass wir die Vagabunden mit Masse in Schach halten“, beschloss Lann. 
     „Wulfgar ist gerade leider nicht da“, eröffnete Malah. „Er ist auf einer längeren Suche, und wir wissen nicht, wann er wiederkommt.“
     „Ich biete mich gern als Lehrer an“, bot Wotan aus dem Hintergrund selbstbewusst an.
     „Du? Du bist doch selber noch mitten in der Ausbildung.“
     „Mein Onkel hat mir bereits alles beigebracht, was ich wissen muss.“
     Die Stammesführerinnen tauschten einen zweifelnden Blick. Selbst wenn es so war, konnte sich keiner vorstellen, dass Wotan ein guter Lehrer war. Und die Sache war die, dass er einfach nicht die Erfahrungen eines richtigen Kriegers hatte. Er hatte sich vorher gut geschlagen, aber selbst Malah war aufgefallen, dass er sich zu oft hatte austricksen lassen. Fakt war, dass sie vor allen Dingen gewonnen hatten, weil sie mehr gewesen waren als die Räuber.


Niemand war so recht zufrieden mit der Idee, weshalb es danach lange Zeit still war und nur das stete Knacken des verbrennenden Holzes in der Feuerstelle zwischen ihnen zu hören war.
     „Was ist denn mit diesem Garrus?“, wagte Malah nach reichlicher Überlegung einzuwerfen. „Wulfgar sagte, dass er wahrscheinlich irgendwo in einem Heer gedient habe. Er scheint Kampferfahrung zu haben, und er ist unbestreitbar momentan der beste Kämpfer, den wir haben. Vielleicht sollten wir ihn fragen.“
     „Der, der die Hells umbringen wollte? Das halte ich für keine gute Idee“, schlug Lann aus.
     „Ich auch nicht“, pflichtete Roah ihr bei.
     Die beiden Frauen nickten sich zu, und Malah sandte einen hilfesuchenden Blick zu Jana. Aber sie sah schon, dass die Schamanin derselben Meinung wie die beiden anderen war. Wie konnte sie auch nicht, nachdem dieser Garrus ihre Tochter hatte töten wollen? Seitdem war er zwar friedlich gewesen, aber sie misstrauten ihm noch immer alle. Doch Jana tat ihr wenigstens den Gefallen, einfach ruhig zu sein und sich mit einem missbilligenden Blick zu begnügen.
     Und so wurde es beschlossen, dass stattdessen Wotan die Ausbildung übernehmen sollte und die anderen beiden Stämme auch noch Leute für die zukünftigen Wachposten zur Verfügung stellen würden.
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Hier weiterlesen -> Kapitel 109 

Ja, ich weiß, dass es gemein von mir ist, jetzt eine Unterbrechung reinzubringen und lieber zu erzählen, was in der Uruk-Gegend passiert, als weiter Lus und Wulfs Schicksal zu beleuchten. Aber keine Sorge, dieses Interludium wird keine fünf Kapitel lang sein. 
     Wir sehen, dass kräftig verkuppelt wird und das immer mehr zu einer rein zweckmäßigen Sache wird. Eltern, die ihre Kinder verheiraten, um gute Verbindungen zu bekommen. Und während Lu die "Härte der Außenwelt" gerade gnadenlos zu spüren bekommt, scheint sie auch unaufhörlich in die bislang ruhige Uruk-Gegend vorzudringen. Was sich hier jetzt anbahnt, ist der Auftakt zu etwas, das den Uruk-Stamm noch die restliche Geschichte über beschäftigen wird. Das letzte, große Thema sozusagen. Was nicht heißt, dass "Zeitalter" in absehbarer Zeit zu Ende geht.

 Ich weiß, dass es vielleicht ein bisschen verwirrend ist, dass jetzt so viele Charaktere von den anderen Stämmen/Familien vorkommen (weil wer weiß schon noch, dass Ragna und Gabriela Cousins sind (Gisa und Wulfgar sind Geschwister) und sich deshalb ähnlich sehen?), aber das wird jetzt häufiger der Fall sein, weshalb ich hier nochmal auf die Charakterseiten verweise.

Nächstes Mal dann wird die Frage geklärt, wen Jade jetzt heiratet, es kommt zu einem folgenreichen Missverständnis, und Malah wird vor die schwierige Wahl gestellt, ob sie die anderen Anführer übergeht oder nicht. Und was macht eigentlich Garrus die ganze Zeit?

PS. zum letzten Kapitel (107): Ich habe es total vergessen, zu erwähnen, deshalb hole ich es jetzt hier schnell nach. Und zwar war die Welt, die ich für Wulfgars Jugendrückblick mit Samuel benutzt habe wieder Urduna von mammut, die ich damals auch schon bei Hanas Rückblick mit Dia Hell und seiner Schwester benutzt habe. Das muss ja alles seine Richtigkeit haben. 

Bis dahin, bedanke ich mich fürs Lesen und verabschiede mich!

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