Der
Schweiß floss ihm andauernd von der Stirn in die Augen und ließ sie fürchterlich brennen, doch Lu machte sich nicht einmal die Mühe, ihn fortzuwischen. Er ignorierte es, wie er auch die Hitze, den wunderschön blauen Himmel über ihm, die beinahe
unheimlich stillen Gräser, die unter der erbarmungslosen Sommerhitze ächzten, ignorierte. Das alles nahm er überhaupt nicht wahr. Alles schien ihm mit einem Mal so irreal.
Er war auf der Flucht, wollte nicht daran denken, was geschehen war. Wenn er es tat, wenn er auch nur einen Moment innehielt und darüber nachdachte, was geschehen war, würde die Welt um ihn herum zusammenbrechen, da war er sich sicher.
Er war auf der Flucht, wollte nicht daran denken, was geschehen war. Wenn er es tat, wenn er auch nur einen Moment innehielt und darüber nachdachte, was geschehen war, würde die Welt um ihn herum zusammenbrechen, da war er sich sicher.
Also lief er.
Weiter und immer weiter. Obwohl seine Beine schmerzten, seine Lungen und Augen brannten und ihn die Kräfte schon lange verlassen hatten.
Seine Beine fühlten sich taub, sein gesamter Körper schwer und erschöpft an. Für einen kurzen Moment glaubte er, das Gleichgewicht zu verlieren, liebäugelte mit dem Gedanken, sich einfach fallen zu lassen und nie wieder aufzuwachen.
Er wollte es eigentlich nicht wissen, er wusste nicht mehr, was er noch denken sollte. Er hatte so eine Angst. Aber er zwang sich dennoch dazu, vorwärts zu gehen – auf ihn zuzugehen.
„Lu Pulcher, was ist geschehen? Du wirkst, als seiest du
auf der Flucht“, begrüßte Julius‘ Stimme ihn. Die Stimme, die er immer so
melodisch gefunden hatte. Die ihn so tief berührt hatte wie lange nichts mehr.
Und die jetzt plötzlich hohl und weit entfernt für ihn klang. Alles, was ihn
bislang so fasziniert hatte, war mit einem Mal unwichtig geworden. Beängstigend.
Trotzdem trat
Lu an ihn heran, was die beiden Männer, die ihn immer begleiteten, sofort auf
den Plan rief. Sie stellten sich schützend vor ihren Herren, aber Julius
brachte sie mit einem Zeichen seiner Hand zum Anhalten. Lu fiel nicht einmal
auf, dass es andere waren.
„Die Räuber!
Warum sind sie tot?“, hörte Lu sich verzweifelt fragen, und er erschrak über seine eigene Frage.
„Das waren doch nur Schlafkräuter in dem Wein! Ich wollte doch nicht…“
„Was soll das heißen? Warum sind sie tot?“
„Nun, wie es scheint, waren nicht nur Schlafkräuter in dem Wein…“
„Was hast du getan?“, fragte Lu fassungslos, und er konnte nicht verhindern, dass er ganz automatisch vor dem Anderen zurückwich.
„Ich habe nichts getan. Ich ließ den Wein holen und vorbereiten, aber ich selber habe keinen Finger daran gelegt. Wenn du meine ehrliche Meinung hören willst, dann war es meine Schwester, die da wieder ihre Finger im Spiel hatte. Sie wollte die Räuber schon die ganze Zeit loswerden.“
„Sie hat dasselbe über dich gesagt…“
„Das kann ich mir vorstellen. Ich sagte dir bereits, dass meine Schwester alles versucht, um gegen mich zu intrigieren. Sie hat auch schon mehrmals versucht, mich aus dem Weg zu räumen. Deswegen kann ich nirgends alleine hingehen. Und dabei ist es ihr auch egal, wenn dabei andere zu Schaden kommen. Sie hat schon oft versucht, mich mit denjenigen zu treffen, die mir am Herzen liegen. Sie gegen mich aufzubringen. Sie zu verletzen.“ Er macht eine Pause und sagte dann ernst: „Du solltest besser vorsichtig sein, solange du hier bist.“
Er trat wieder zurück, und Lu wollte ihm einfach glauben. Er wusste nicht, ob das richtig war, aber er wollte es einfach. Es war heute schon zu viel für ihn passiert.
„Dieser…. Wulfgar, der mich bedroht hat: du kennst ihn,
nicht wahr?“, fragte Julius plötzlich.
Lu musste eine
große Portion Angst schlucken, bevor er antworten konnte: „Ja, und das tut mir
wirklich leid, dass er dich bedroht hat…“
„Schon gut“,
entgegneten Julius unwillig. „Wir hatten damals… ein kleines Missverständnis
miteinander. Ich habe ihn, unabsichtlich, vor seiner Familie bloßgestellt, weil
ich zu dem Zeitpunkt gerade… ich machte damals eine schwierige Zeit durch.
Dafür hat er gestern meine Leute niedergeschlagen und mein Leben bedroht. Ich
denke, dass wir damit endlich quitt sind. Aber auf was ich eigentlich
hinauswollte, war, dass er scheinbar inzwischen einiges davon versteht, sich
seiner Haut zu erwehren. Du solltest in seiner Nähe bleiben, damit er dich
beschützen kann.“
Lu antwortete nur mit einem gezwungenen Lächeln, von dem
er hoffte, dass es Antwort genug sein würde.
Julius
räusperte sich. „Ich sollte wohl zurück zu meinem herrschaftlichen Haus gehen“,
kehrte er in seine gewohnte Redensart zurück. „Deine Gesellschaft auf dem Weg
dorthin wäre mir hocherfreut, Lu Pulcher.“
Lu wäre gerne
mit ihm gegangen. Das hätte ihn vielleicht davor bewahrt, sich jetzt schon
wieder mit Wulfgar auseinandersetzen zu müssen, aber irgendwie konnte er sich
des Eindrucks nicht erwehren, dass genau das Gegenteil der Fall sein würde.
Außerdem wollte er momentan lieber allein sein. Er musste seine Gedanken ordnen
und darüber nachdenken, was er jetzt tun sollte. Wegen den toten Räubern. Wegen
Wulfgar…
„Entschuldige,
aber ich muss noch ein paar Rituale für die Götter abhalten“, log er. „Allein.“
Julius schenkte ihm noch ein Lächeln, das ihn nicht
einmal mehr erreichte, und dann zog er mit seiner Leibwache von Dannen. Ließ ihn allein zurück.
Er wusste einfach nicht, was er tun sollte. Also ging er eine
Weile ziellos über abgelegene Wege und dachte nach. Die Schuld, diese Räuber
getötet zu haben, lastete schwer auf ihm und Wulfgar hatte ihm jegliche Chance
auf Sühne genommen. Schlimmer noch, er hatte auch noch den Vater getötet,
dessen Sohn er getötet hatte, um ihn zu beschützen.
Würden ihm die
Götter jemals verzeihen für das, was er getan hatte? Sie waren schließlich
unerbittlich, wenn es darum ging, dass man die Hand gegen die eigene Art erhob.
Er konnte sich ja nicht einmal selber verzeihen.
Was sollte er jetzt also tun?
Sollte er sich von einer Klippe stürzen, um Sühne zu leisten? Doch das erschien
ihn mehr wie Weglaufen vor seiner Verantwortung. Und dann war ja auch noch
die Sache mit Wulfgar…
Während er nachdachte, hörte er plötzlich jemanden seinen
Namen rufen und er erschrak beinahe zu Tode darüber. Ganz automatisch tauchte
er in die nahegelegenen Büsche ab und landete an einem Flussufer. Er
versteckte sich feige, denn er wollte nicht von Wulfgar gefunden werden.
Aber er wurde trotzdem von ihm gefunden. Glücklicherweise war es aber nur der jüngere Wulfgar, der in diesem Moment durch die Büsche brach.
„Da bist du ja endlich!“, begrüßte er ihn. „Was machst du
denn hier? Alle suchen dich, weißt du.“
„Ich… wollte
nur ein bisschen allein sein. Zu den Göttern beten“, log Lu – schon wieder. „Nachdenken…“
„Macht dich
das echt so fertig wegen diesen Räuberidioten?“ Lu warf ihm einen vernichtenden
Blick zu und da hob er beschwichtigend die Hände. „He, kein Grund so böse zu
gucken! Ich mein doch nur, dass du dich nicht so fertig wegen sowas machen
sollst. Das waren Mistkerle, die es nicht anders verdient haben. Du hast der
Welt einen Dienst damit erwiesen, sie davon zu befreien. Und der Typ vorher war
genauso. Es ist gut, dass er tot ist.“
„Du tust es schon wieder!“, rief Lu voller Bitterkeit. „Leute
zu verurteilen, obwohl du sie überhaupt nicht kennst. Woher willst du wissen,
dass das alles schlechte Menschen waren? Vielleicht hatten sie keine andere
Wahl, als Räuber zu werden, weil sie von jemand stärkerem von ihrem Grund und
Boden vertrieben wurden! Vielleicht waren sie entflohene Sklaven!“
„Selbst wenn!
Kein Grund, gleich andere auszurauben. Ich hab auch so einige Probleme, aber
ich tu niemanden um sein Leben bedrohen, um an seine Habe zu kommen. Man hat
immer eine Wahl.“
„Du hast auch
gestohlen, und du hast eingesehen, dass das falsch ist. Du versuchst, dich zu
ändern“, schoss Lu aufgebracht zurück, bevor er wieder bitter wurde. „Aber
diese Menschen hatten nie die Chance, auf den rechten Weg zu finden. Sie hatten
nie die Chance, Hilfe zu erhalten. Ich hätte von Anfang an das Gespräch suchen
sollen, anstatt zu tun, was ich getan habe…“
„Die hätten dich höchstens umgebracht, hätten die.“
„Ich hätte es
dennoch versuchen sollen. Aber jetzt werden wir es nie herausfinden, was
geschehen wäre.“ Er ließ geschlagen den Kopf hängen und bat den Jüngeren: „Lässt du mich bitte in Ruhe? Ich möchte allein sein.“
Wulf zögerte
kurz, und er sah aus, als ob er noch etwas sagen wollte, aber dann ging er schließlich
und ließ Lu allein mit sich und seinen Gedanken.
Zumindest wollte er das, aber da kam plötzlich jemand aus den Büschen. Es war ein Fremder mit einem selbstgefälligen Grinsen, der sich Wulf in den Weg stellte und in seiner unverständlichen Sprache auf ihn einredete. Wulf sah daraufhin sofort alarmiert aus, doch Lu brauchte ein bisschen, um überhaupt zu bemerken, dass sie nicht allein waren.
Da war Wulf schon bei wieder ihm, knurrte etwas in der anderen Sprache und er hatte abwehrend die Fäuste erhoben. Nicht, dass es ihm half. Im nächsten Moment war ein weiterer Kerl hinter ihnen unbemerkt aus den Büschen gekommen und hatte ihn niedergeschlagen.
Danach bekam Lu ein paar Worte ab, die er nicht verstand. Was er aber verstand, war, dass der Andere nichts Gutes von ihnen wollte und er nichts dagegen tun konnte. Er war machtlos.
Danach bekam Lu ein paar Worte ab, die er nicht verstand. Was er aber verstand, war, dass der Andere nichts Gutes von ihnen wollte und er nichts dagegen tun konnte. Er war machtlos.
Früh am nächsten Morgen war Wulfgar der Ältere noch immer
auf der Suche nach Lu und er war inzwischen verzweifelt. Luna, die seit
gestern nicht von der Seite ihres Vaters gewichen war, machte sich große Sorgen
um ihn. Und nicht nur um ihn.
„Vielleicht sollten
wir erstmal zurückgehen“, schlug sie vorsichtig vor. „Es ist schon ziemlich
spät.“
„Nein, ich
werde weitersuchen“, blieb Wulfgar stur. Wie schon die vielen Stunden
zuvor, in denen er ihr nicht einmal zugehört hatte. „Ich muss ihn finden. Wenn
ihm was passiert ist… Ich würde mir das niemals verzeihen…“
„Es ist ja
nicht deine Schuld, dass er weggelaufen ist.“
„Doch, das ist es“, seufzte er schwer. „Ich habe versagt,
denn ich konnte ihn nicht beschützen. Ich hätte ihn niemals allein lassen
sollen.“
Luna schwieg dazu
nur. Sie wollte ihren Vater gerne etwas zu diesem Lu fragen. Nicht nur, wer er
für ihn war – was eigentlich offensichtlich war – sondern auch eine andere
Sache, die sie einfach nicht losließ. Aber sie sah, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür war.
„Das ist nicht nötig. Ich möchte ihn auch finden. Wulf ist ja auch verschwunden. Ich kenne das zwar schon von ihm, dass er manchmal einfach verschwindet, aber ich glaube, dass er diesmal wirklich in Schwierigkeiten steckt. Vielleicht ist er ja sogar bei Lu.“
„Vielleicht. Ich wünschte nur, wir wüssten, wo sie sind.“
Mit einem Mal sah er wütend aus. „Ich wette, Samuel, dieser Arsch, hat uns
angelogen, als er sagte, dass er Lu hier zuletzt gesehen hat. Ich sollte
eigentlich zurückgehen und ihn darüber ausquetschen. Ich wette, er weiß etwas.
Wahrscheinlich hat er Lu verschleppt.“ Er hielt inne und beschloss dann: „Ja,
das mach ich! Ich geh zurück!“
Doch bevor er auch nur einen Schritt weit gehen konnte,
fanden Elrik und Anya sie. Sie waren ebenfalls bislang auf der
Suche nach den Verschwundenen gewesen.
„Ihr habt sie
nicht gefunden, wie ich sehe“, erkannte Elrik.
„Nein. Und
ihr?“
Elrik
schüttelte nur den Kopf, aber es reichte, um Wulfgars aufkeimende Hoffnung zu
zerstören. Sofort ließ eine lange nicht mehr erlebte Angst seinen Magen
böse brodeln.
„Aber Alin ist
zurückgekehrt“, eröffnete Elrik. „Er meint, dass zwei Leute nicht einfach so
spurlos verschwinden und da vielleicht Sklavenhändler ihre Finger im Spiel
haben. Du solltest zum Hafen gehen und mit ihm reden.“
Das ließ sich Wulfgar natürlich nicht zweimal sagen. Er
versicherte sich, dass Luna bei Elrik und Anya blieb, und dann war er weg,
bevor Luna ihm auch nur hätte folgen können.
„Das ist alles meine Schuld!“, fing Anya an, als er fort
war. „Wenn ich nicht weggelaufen wäre, wäre Lu nie hierhergekommen!“
„Lu wollte aber herkommen“, versuchte Elrik sie zu beruhigen. „Er wollte fortgehen, um Luis
und Jana eine Chance zu geben, sich als Schamane zu beweisen. Mach dir nicht so
viele Gedanken darum.“
Anya sagte
danach nichts mehr, aber sie sah trotzdem betroffen aus.
„Ähm… dürfte ich eine Frage stellen?“, sagte Luna in die
entstandene Stille hinein. „Wer ist Luis?“
„Er ist Lus
Sohn“, antwortete Elrik knapp.
„Sein Sohn? Und…
er ist Schamane?“
„Ja, aber er
teilt sich den Posten mit jemandem. Glaube ich.“ Elrik hatte nicht wirklich
zugehört und es hatte ihn damals auch nicht interessiert gehabt, wenn er ehrlich war. Anyas
Verschwinden hatte ihn ein bisschen abgelenkt gehabt.
„Warum das?“
„Naja, weil es
zwei Leute werden wollten, schätze ich.“
„Ich dachte,
weil Luis blind ist, hilft Jana ihm“, klinkte sich Anya ins Gespräch
ein.
Anya und Elrik redeten danach noch eine Weile weiter, aber Luna
hörte ihnen nicht mehr zu. Sie war getroffen. Sie hatte immer gedacht, dass
dieser Lu ihr irgendwie bekannt vorkam. Nicht so sehr sein Aussehen, aber seine
Augen und vor allen Dingen seine Stimme. Die Augen, die sie nie angesehen
hatten und die Stimme, die sie nie vergessen hatte. Sie waren beinahe
identisch. So sehr, dass Luna erschrocken war, als sie Lu das erste Mal hatte
sprechen hören.
Doch konnte
das wirklich sein? Hatte die Göttin wirklich einen so grausamen Humor?
„Das… ist
vielleicht etwas merkwürdig“, unterbrach sie das Gespräch der anderen beiden, „aber
könntet ihr mir beschreiben, wie dieser Luis aussieht?“
Elrik und Anya
tauschten einen irritierten Blick, aber dann erzählten sie schließlich. Und als
sie fertig waren, war Luna erstarrt.
Derweil fanden sich Lu und Wulf in einer düsteren, engen
Kammer wieder. Man hatte sie gefangengenommen und in einem vergitterten Karren
hergebracht. Es war in eben diesem Moment, dass Wulf sein Bewusstsein
wiedererlangte, als der Mann, der sie gefangengenommen und sie von dem Karren
hierher geschleppt hatte, ihm einen rüden Tritt verpasste.
Er grummelte, schlug aber schließlich die Augen auf.
Doch selbst als er sich umsah, hatte er keine Ahnung, wo er sich befand. Er
erinnerte sich an nichts mehr. Vor ihm ein Fremder, neben ihm Lu, der die Hände
auf den Rücken gebunden hatte und der ihn nun mit einem erleichterten Gesicht
ansah.
„Lu!“ Obwohl sein Kopf schwirrte und er gefesselt war,
kam er umständlich in die Senkrechte. „Wo… sind wir?“
„Ich weiß es
nicht. Wir wurden gefangengenommen.“
Da machte der
fremde Mann vor ihnen mit einem lauten Satz auf sich aufmerksam, der in einem
Wort endete, das Wulf vage also „Ruhe“ identifizierte. Lu, der das nicht
verstand, machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber Wulf schüttelte den
Kopf, sah ihn eindringlich an, und da war Lu lieber still.
Der falsche Winzer warf einen abschätzenden Blick auf ihn und Lu, bevor er sich dem Anderen wieder zuwandte. „Was bringst du mir die jetzt? Das ist ein bisschen spät. Ich wollte gerade die Sklaven verladen und auf den Markt fahren“, herrschte er ihn an.
Sklavenhändler. Und der falsche Winzer war
wahrscheinlich der Kopf von ihnen. Auch das noch!
„Entschuldige,
Herr!“, buckelte der Rangniedrigere. „Ich habe kurzfristig den Auftrag
erhalten, den einen zu entführen.“
„Welchen?“
Der
Sklavenjäger nickte in Lus Richtung. „Den Älteren. Er war aber nicht allein. Da
hab ich den Anderen auch mitgenommen.“
Der Anführer betrachtete Lu daraufhin eingehend, was diesem
ziemlich unangenehm war. Er fühlte sich wie ein Vieh, das man für den Verkauf
begutachtete.
„Ich hoffe,
dass die Bezahlung für die Entführung wenigstens gut genug war. Bei dem Alter
krieg ich den ansonsten nie los. Der taugt ja nicht mal für die Feldarbeit bei
den dürren Armen.“ Dann wanderte sein Blick zu Wulf hinüber und ein böses
Grinsen legte sich bei dessen Anblick auf sein Gesicht. „Oh, sieh mal einer an.
Wen haben wir denn da? Dein Freund da kam mir gleich so bekannt vor. Aber diesmal
wird er dich nicht retten können.“
Wulf mahlte
mit den Zähnen, gab sich aber nicht die Blöße, zu antworten. Als der Anführer
das erkannte, zog er sich wieder zurück und fragte barsch: „Woher stammt ihr,
was sind eure Namen und wie alt seid ihr?“
Wulf antwortete nur mit einem bösen Blick.
„Du kannst
schweigen wie du willst, Junge, aber ich weiß, dass du mich verstehst. Also
rede, sonst wird es dir und deinem Freund da nicht gutgehen.“
„Bitte, tu dir
keinen Zwang an“, gab Wulf spitz zurück. „Aber ich bezweifle, dass du deine
Ware beschädigen willst.“
Der falsche
Winzer starrte ihn warnend an, aber Wulf ließ das kalt. Er wusste, dass er
recht hatte. Nur, dass das Grinsen ihm bald schon gehörig verging, als der
Andere feststellte: „Ein ganz Schlauer also, was?“ Und dann seinem Untergebenen auftrug: „Kein Essen und kein Trinken für den da. Mal schauen, ob er ein
bisschen Zurückhaltung gelernt hat, wenn er erstmal hungrig, durstig und nüchtern ist.“
Lu verstand von dem allen kein einziges Wort, aber er
wusste, dass sie in Schwierigkeiten steckten. Dies war es also. Die Strafe der
Götter für sein Verbrechen. Er hatte das verdient. Er wünschte nur, dass
Wulf da nicht mit hineingeraten wäre.
Derweil war Wulfgar auf seinem Weg zum Hafen in jemanden
hineingelaufen. Oder besser gesagt, war er erwartet worden. Die aufwendig
gekleidete Frau kam ihm sofort entgegen, als sie ihn näherkommen sah.
„Wulfgar?“ Sie legte eine Hand auf seinen Arm, was ihn
ein bisschen alarmierte. Er erkannte sie zuerst überhaupt nicht. „Bist du das?
Ich hatte schon gehört, dass du in der Gegend bist.“ Samuela zog sich zurück
und besah ihn von oben bis unten. „Du hast dich ja sehr verändert. Wie ist es
dir ergangen? Ich habe gehört, dass einer deiner Begleiter verschwunden ist.“
Wulfgar
antwortete nur mit geschlagenem Schweigen, also sagte sie: „Hör mal, Wulfgar,
ich bin ja froh, dass du hier bist. Du hast Samuel ja damals schon durchschaut
und ihn in seine Schranken gewiesen. Aber… seitdem ist er leider viel
mächtiger und viel gefährlicher geworden.“
Er wurde hellhörig. „Was soll das heißen? Du weißt
doch etwas wegen Lus und Wulfs Verschwinden, oder?“
„Schon, aber…“ Sie sah sich ängstlich um, bevor sie leiser fortfuhr: „Es ist gefährlich für mich, darüber zu reden. Wenn Samuel das
mitbekommt, ist es um mich geschehen. Ich… habe die Jahre nur überlebt,
weil ich den Kopf unten gehalten und getan habe, was er von mir verlangte.“
„Komm schon!
Bitte Samuela!“
Sie sah sich
erneut um, als würde sie verfolgt werden, erzählte dann aber schließlich: „Du
weißt ja, wie Samuel immer war. Dass er immer alle nach seinem Willen
manipuliert hat und mit ihnen gespielt hat. Und wenn er nicht bekommen hat, was
er wollte…“
Ja, Wulfgar erinnerte sich daran. Sein Vater war damals,
bei ihrem ersten Wohnort, manchmal mit dem Karren losgefahren, um beim Markt im
Nachbardorf mit den Waren ihrer Dorfgemeinschaft zu handeln. Sein ältester
Bruder Wulfric hatte ihn dabei immer begleitet, und eines Tages hatte ihr Vater
auch ihn und seine Schwester Greta mitgenommen gehabt. Sie hatten in ihrem Dorf
kaum genug Partner für die jüngere Generation gehabt, und Wulfgar hatte
vermutet, dass ihr Vater sie hatte verkuppeln wollen.
Er erinnerte sich noch an Wulfrics dämliches Grinsen und
wie er sagte: „Ihr zwei seid halt so hässlich, dass euch keiner in unserem Dorf
haben will.“ Und wie Greta gekontert hatte: „Deswegen nimmt er ja auch dich schon
seit Jahren mit. Aber scheinbar wollen die dich im Nachbardorf auch nicht
haben.“
Da war Wulfric verstummt, aber er war ziemlich
sauer gewesen und hatte ihn, Wulfgar, beinahe in Grund und Boden gestarrt.
Damals hatte Wulfgar das noch mit sich machen lassen. Er
hatte immer alles wortlos über sich ergehen lassen. In seinem Dorf war er
deshalb als sanftes, junges Fräulein verschrien gewesen.
Wulfric hatte sich darüber auch immer lustig gemacht,
aber am allermeisten hatte es ihn geärgert, dass er nie mit ihm hatte konkurrieren können. Wer der Stärkere von ihnen war, wer der Schnellere,
und wer besser bei den Frauen ankam.
Wulfgar hatte dabei nie mitgemacht, war immer still
geblieben und hatte irgendwann geheult, wenn Wulfric gedroht hatte, ihn zu
verprügeln. Da war dann meistens immer Greta eingeschritten, die für sie beide
zu reden und streiten gepflegt hatte.
Jedenfalls waren sie an diesem Tag mit ihrem Vater
losgezogen, und Wulfgar hatte da schon schlimmes befürchtet gehabt. Und es hatte sich
bewahrheiten sollen.
Ihr Vater war nach dem Markt mit ihnen zu einem seiner Freunde gegangen, der einen Sohn und eine Tochter in ihrem Alter gehabt hatte: Samuel und Samuela.
Wie sie erfahren durften, war Wulfric schon seit einer
Weile dabei, Samuela für sich zu gewinnen, aber wie es der böse Zufall so
wollte, war sie nicht etwa an ihm interessiert (wie alle Frauen in seiner
Umgebung), sondern fing sie an, ihm, Wulfgar, schöne Augen zu machen, und das
hatte Wulfric natürlich ganz schön geärgert.
Greta derweil hatte sich sofort in Samuel verguckt gehabt, und
als Wulfgar den das erste Mal gesehen hatte, hatten seine Probleme erst richtig
begonnen. Denn Samuel war nicht nur der schönste Mann gewesen, den er je in
seinem Leben gesehen hatte, sondern war er sich dessen auch bewusst gewesen. Er
hatte so eine unheimliche Ausstrahlung gehabt, dass es ihm ein leichtes gewesen
war, nicht nur Greta um den Finger zu wickeln.
Natürlich hatte Wulfgar damals noch nicht daran gedacht gehabt,
sich an Samuel zu versuchen oder auch nur darauf gehofft, dass der an ihm
interessiert wäre. Nein, damals, als er gerade die ersten Sprossen der Leiter
zum Erwachsensein erklommen hatte, war ihm noch nicht einmal in den Sinn gekommen,
dass zwei Männer sich lieben könnten. Ihm war aufgefallen, dass er bislang kein
richtiges Interesse an Nähe zu auch nur irgendeiner Frau in seiner Umgebung
gehabt hatte, aber das an Männern zu haben, wäre ihm nie in den Sinn gekommen.
Doch das änderte sich, als er Samuel kennenlernte.
Samuel, der zwar höflich zu seiner Schwester war, in Wirklichkeit aber anfing,
ihm schöne Augen zu machen, wenn niemand hinsah. Und das war das Problem gewesen.
Als Samuel ihn schließlich abfing, während er gerade allein im Stall war, um den Karren für die Heimreise zu holen, dauerte es nicht lange, bis er sich ihm auch wirklich zu nähern begann. Was für ihn unerwartet kam und ihn in eine ziemliche Sinnkrise werfen sollte.
Trotzdem ließ er sich im Folgenden von ihm küssen.
Und dabei wurden sie dann erwischt. Wulfgar würde nie den
Schock im Gesicht seines Bruders und seiner Schwester und auf dem von Samuela
vergessen. Genauso wenig, wie Samuels Reaktion, der ihn daraufhin zu Boden
stieß und ihn anklagte, dass er sich ihm ungewollt genähert hatte.
„Er hat mich
einfach angefallen!“, hatte er gesagt und sich mit einem gut geschauspielerten
Ekel über den Mund gewischt. „Was fällt dir eigentlich ein? Sowas
widerliches!“
Es war der Moment gewesen, in dem sich ein Hebel in
Wulfgars Innerem umgelegt hatte. In diesem Moment hatte er gewusst, dass er
sich ändern musste, um zu überleben. Denn er wusste, dass niemand akzeptieren
würde, dass er einen anderen Mann liebte. Er wusste schließlich, wie seine
Eltern einmal schon darauf reagiert hatten. Wie es die Welt tat. Er wusste, was
sie mit Guthar, dem Hund, der nur zu den anderen Rüden gegangen war, gemacht
hatten. Niemals würde er den Schock in den Augen des Hundes vergessen, den er
so geliebt hatte, bevor sie glasig geworden waren. Getötet von seinen Eltern,
damit er „die anderen Rüden nicht anstecke“.
Und damals,
in diesem Moment, war ihm bewusst geworden, dass auch ihm das bevorstand, wenn
er nicht versteckte, was er war.
Er würde sterben. Und er starb an jenem Tag. Der ruhige,
weinerliche Wulfgar. An dem Tag, als er aufstand und Samuel so heftig auf die
Nase schlug, dass er sie ihm brach.
Danach hatte er sich radikal verändert und sich niemandem
außer Greta mehr anvertraut. Er hatte sich seine geliebten, langen Haare
geschnitten, hatte versucht, so verlottert wie möglich auszusehen und sich ein
Beispiel an Wulfric zu nehmen, dass die Frauen von ihm abgeschreckt waren und
nicht mehr auf die Idee kamen, sich ihm zu nähern.
Er war grob, gehässig und unflätig geworden.
Er hatte alles getan, um sich so weit zu verändern, dass
er sich selber nicht mehr wiedererkannt hatte.
Dass er irgendwann jemand geworden war, den er gehasst
hatte.
Nur, damit niemand erfuhr, wie es wirklich in ihm aussah.
Dass niemand ihm mehr wehtun konnte.
Aber letztendlich hatte das alles nichts geholfen.
Er hatte sich selber angelogen, war durch viele Phasen
gegangen, hatte niemandem mehr vertraut, war kalt und herzlos geworden, und
hatte schließlich gerade noch so die Kurve gekriegt.
Und jetzt wollte er nur noch Lu wiederfinden.
Der Einzige, vor dem er ganz er selbst sein konnte.
Der Einzige, den er nie hatte vergessen können.
Der Einzige, der immer für ihn dagewesen war.
Damit sein Herz aufhörte, ihm vor Angst in der Brust zu schmerzen.
„Ja, ich weiß, dass er ein elender Lügner ist“,
bestätigte er, als er aus seinen Gedanken zurückkehrte, „und ich könnte
mein letztes Hemd drauf verwetten, dass er hier die Finger irgendwie im Spiel
hat.“
„So ist es
leider auch. Dein Freund, Lu, hat es Samuel ziemlich angetan“, erklärte sie,
und dann fuhr sie beschämt fort: „Er hat zwar Rufus, seinen Sklavenjüngling,
fürs Bett, aber er beklagt sich schon seit Ewigkeiten, dass er einen Mann an
seiner Seite haben will, mit dem er auch reden kann. Mit dem er seinen
geliebten Künsten nachgehen kann.“
„Und?“
„Du musst
wissen, dass Beziehungen zwischen zwei freien Männern hier nicht gerne gesehen
sind. Was man mit seinen Sklaven anstellt, interessiert niemanden, aber wenn er
mit diesem Lu eine Liebelei gehabt hätte, hätte ihn das seine Stellung hier
kosten können. Deshalb hat er Sklavenjäger
angeheuert, dass sie diesen Lu entführen. Da er kein römischer Bürger ist, kräht kein
Hahn danach, wenn er verschwindet und als Sklave auf dem Forum wieder
auftaucht. Und dort wollte Samuel ihn dann kaufen.“
Wulfgar glaubte, nicht richtig zu hören. Er brauchte eine
ganze Weile, bis er überhaupt Worte finden konnte, um aufgebracht zu sagen: „Das kann doch nicht wahr
sein! Also willst du mir damit sagen, dass ich nur warten muss, bis Lu auf
Samuels Hof wieder auftaucht?“
„Ich fürchte,
so einfach wird das nicht. Nicht mehr. Dass du hier auftauchtest, kam ein bisschen
unerwartet für Samuel. Dieser komische „Räubervater“, den du letztens getötet hast, der
war angeheuert, um dich aus dem Weg zu räumen. Samuel war es auch, der die
Schlafkräuter in erster Linie gegen Gift ausgetauscht hat. Um die Räuber loszuwerden. Aber da du den
Räubervater ebenfalls aus dem Weg geräumt hast, ist es jetzt nicht mehr nur
einfach damit getan, einen Sklaven zu kaufen. Jetzt geht es ihm darum, dich zu
demütigen.“
„Mich? Warum?“
„Weil du ihn damals gedemütigt hast und er dir
das nie zurückzahlen konnte. Du weißt doch, wie er ist. Und als er durch euren
Kuss davon erfuhr, dass dieser Lu zu dir gehört, hat er seinen Plan geändert.
Er will diesen Lu jetzt nicht mehr zurückkaufen, er will, dass er irgendwo in
die Sklaverei gerät. Irgendwo weit weg am besten, wo du ihn nicht finden
kannst.“
Da hielt Wulfgar nichts mehr. Ohne Rücksicht auf Verluste
trat er an Samuela heran und packte sie an den Armen. „Wo ist er?“, forderte er
zu wissen. „Du weißt, wo die Sklavenjäger Lu hingebracht haben, nicht wahr?“
„Ja, aber…“
Sie wandte gequält den Blick ab, und da ließ er sie wieder los. „Wenn ich es
dir sage, dann bin ich praktisch tot. Ich habe nur wenige, machtlose
Verbündete, von denen ich meine Informationen bekomme, im Gegensatz zu Samuel.
Wenn er hört, dass du weißt, wo dein Freund ist, kann er sich denken, dass ich
es dir gesagt habe, und dann wird er mich umbringen lassen. Wie gesagt, ich habe
all die Jahre nicht überlebt, weil ich übermütig war.“
Wulfgar betrachtete sie einen Moment eingehend. Er kannte
Samuel, aber er kannte auch Samuela. Also fragte er: „Was willst du, das ich
tue?“
„Töte ihn!“, kam umgehend und wütend zurück. „Er hat lange genug über mich bestimmt. Mir verboten, zu heiraten. Mich an seine Freunde verkauft. Mich gedemütigt. Das muss endlich aufhören! Ich habe gesehen, dass du seine Leibwächter ausgeschaltet hast. Er traut dir auch nicht zu, dass du ihn töten würdest. Wenn du ihn nur um ein Gespräch bittest, dann kommst du vielleicht schon nahe genug ran, um ihn auszuschalten. Wenn du das tust, werde ich dir sagen, wo deine Freunde sind und ich werde dir so viel Geld geben, wie du brauchst, um sie freizukaufen. Das schwöre ich dir!“
„Töte ihn!“, kam umgehend und wütend zurück. „Er hat lange genug über mich bestimmt. Mir verboten, zu heiraten. Mich an seine Freunde verkauft. Mich gedemütigt. Das muss endlich aufhören! Ich habe gesehen, dass du seine Leibwächter ausgeschaltet hast. Er traut dir auch nicht zu, dass du ihn töten würdest. Wenn du ihn nur um ein Gespräch bittest, dann kommst du vielleicht schon nahe genug ran, um ihn auszuschalten. Wenn du das tust, werde ich dir sagen, wo deine Freunde sind und ich werde dir so viel Geld geben, wie du brauchst, um sie freizukaufen. Das schwöre ich dir!“
Und als er
zögerte, fügte sie hinzu: „Überlege es dir gut. Wenn deine Freunde in einen
Haushalt kommen, können sie es gut haben, aber sollten sie in die Bergwerke
oder als Gladiatoren in die Arena kommen, ist das ihr Todesurteil.“
Wulfgar gefiel das überhaupt nicht. Er hatte in der Vergangenheit
zu viele solcher Aufträge erfüllt. Rache geübt, Peiniger getötet. Manche waren
dabei eindeutiger gewesen, als andere. Manche so zwielichtig, dass er nicht
einmal hatte sagen können, ob sein Auftraggeber ihn nicht einfach angelogen
hatte, um einen unliebsamen Gegner aus dem Weg zu schaffen. Damals war ihm das
ja egal gewesen, aber jetzt war das anders. Wie sollte er Lu nur jemals wieder
unter die Augen treten, wenn er so etwas tat?
Aber was hatte
er für eine andere Wahl? Alin hatte ihm gesagt, dass er die besten Chancen
hatte, wenn er nach Rom zum Sklavenmarkt ging, aber selbst dann – was sollte er
dort tun? Es war nicht so, dass die Sklavenhändler ihm Lu einfach aus
Herzensgüte aushändigen würden. Und er war inmitten einer Stadt voller Menschen,
und Wulf musste er ja auch noch befreien.
Er hasste das, doch er hatte keine andere Wahl. Er musste sein
Gewissen verkaufen. Er hatte sich geschworen, das nie wieder zu tun, aber er
würde es tun. Um Lu zu retten. Selbst wenn es bedeutete, dass Lu ihn dafür verurteilen
würde. Selbst wenn es bedeutete, dass er Lu dadurch vielleicht verlieren würde.
Aber er würde nie zulassen, dass seinem Gefährten etwas zustieß. Und wenn er mit seinem Leben
dafür bezahlen würde!
„In Ordnung.
Ich werde es tun.“
Wulfgar fühlte sich elend, als er zum Hof zurückkehrte.
Er musste Samuel gar nicht lange suchen, seine Diener wiesen ihm den Weg zum
Badehaus. Dort drinnen war es so bunt, wie Wulfgar es noch nie zuvor gesehen hatte,
aber er hatte keine Augen dafür. Er platzte mitten in ein entspannendes Bad, während Samuel gerade in der Wanne saß und so glücklich und zufrieden mit sich und
der Welt aussah, als wäre alles in bester Ordnung.
„Kann ich dich mal sprechen?“, fing er ohne Umschweife
an.
Die
Leibwächter waren sofort zur Stelle. Es waren andere, wie Wulfgar auffiel.
Samuel nahm sich erst die Zeit, sich ein Tuch um die Hüften zu binden und ihm
erhabenen Blickes gegenüberzutreten. Natürlich sicher hinter seinen Leibwachen
versteckt. Schließlich nickte er überheblich.
„Gibt es Nachricht von den Verschwundenen?“
„Nein“, gab
Wulfgar gewohnt harsch zurück. Er musste sich arg zusammenreißen, um ruhiger fortzufahren: „Ich
hörte aber, dass sie vielleicht von Sklavenjägern gefangen wurden.“
Samuel sah da wirklich betroffen aus. Wenn Wulfgar es
nicht besser gewusst hätte, hätte er ihm das ja tatsächlich abgenommen. Aber es
war eigentlich auch vollkommen unwichtig, ob er jetzt nur schauspielerte oder
ob er wirklich nichts von der Entführung wusste. Wulfgar hatte seine
Entscheidung getroffen.
„Ich muss nach
Rom“, erklärte er fester. „Auf den Sklavenmarkt. Würdest du mich hinbringen?
Ich hörte, dass es dort ziemlich verwinkelt sein soll.“
„Ich würde deiner
Bitte nur zu gern Folge leisten, aber ich muss sie dennoch ablehnen.“
Natürlich.
„Warum? Luna erzählte mir, dass du dich gut mit Lu
verstanden hast.“
„Das entspricht
der Wahrheit. Doch ich ziehe vor, den großen Städten fern zu bleiben.“
„Ich pass
schon auf dich auf.“
„Du trachtest
höchstens danach, mich voll List und Heimtücke zu erdolchen! Du schlugest mich
bereits zweimal nun schon nieder!“
Wulfgar rieb sich seufzend die Nasenwurzel. Schon allein
Samuels geschwollene Art zu Reden ging ihm auf die Nerven, und er
wollte alles andere, als sagen zu müssen, was er jetzt tat: „Hör mal, was ich
damals gemacht habe, das tut mir leid. Können wir das nicht vergessen? Es geht
mir gerade nur darum, Lu und Wulf zu finden und sie zu retten.“ Und dann
spielte er auch noch den Flehenden: „Hilfe mir doch, bitte! Du bist der
Einzige, der genug Macht hat, mir zu helfen!“
Das hatte genau da getroffen, wohin er gezielt hatte.
Samuel war geschmeichelt. Das hatte er damals schon gemocht. Er hatte mit ihm
gespielt und seine schüchternen Komplimente wie ein Verdurstender
aufgesogen. Er hatte sich kein Stück weit verändert. Noch immer war er so
eingebildet, dass Wulfgar schlecht wurde.
„Nun,
natürlich könnte ich dir meine Hilfe
angedeihen lassen, wenn ich dies wollte. An zwei Knechte zu kommen, ist ein Leichtes
für mich.“
„Was willst
du, das ich dafür tue?“, fragte Wulfgar scheinheilig. „Ich mache alles.“
Er brauchte
eine Gelegenheit. Nur einen klitzekleinen Moment.
„Es ist mir sehr
verlockend, dich zu meinem Knecht zu
machen, aber ich ertrage deine hässliche Gestalt einfach nicht.“
„Damals hast du aber nicht genug von meiner „hässlichen Gestalt“
bekommen, so hin und weg du von mir warst“, gab Wulfgar unbeeindruckt zurück.
„Ich war ganz
sicher nicht hin und weg von dir!“,
vergaß sein Gegenüber seinen Anstand. „Ich hatte damals nur eine schwierige
Phase, das war alles!“
Wulfgar lachte
gestellt. „Sicher! Soll ich dir etwas verraten?“ Er zeigte auf sich. „Diese
„hässliche Gestalt“ hat Lu bekommen, der von dir nichts wissen wollte.“
Dank Samuela
konnte er sich zumindest denken, dass Samuel sich versucht hatte, seinem Lu zu
nähern. Und tatsächlich, Samuels Kopf wurde hochrot und er verlor vollkommen
die Fassung über sich.
„Woher…?“
Das war seine
Chance. Er hatte ihn genau dort, wo er ihn haben wollte.
Während seine Leibwachen einen winzigen Moment zu ihrem
Herrn sahen, der so unerwartet ausgebrochen war, stürmte Wulfgar nach vorne. Er
knallte die Köpfe der Wachen zusammen, bevor sie wussten, wie ihnen geschah,
und während sie zu Boden gingen, hatte er sich Samuel gepackt. Sein Messer
hatte er schon die ganze Zeit im Ärmel versteckt gehabt. Jetzt war es in seiner
Hand und er versenkte die Klinge zielgerichtet in Samuels Herz. Dessen Augen
weiteten sich, und während er anfing zu sterben, starb Wulfgars Gewissen
mit ihm.
„Es tut mir
leid, Samuel“, sagte er ehrlich betroffen zu dem ersten Menschen, den er jemals
geliebt und gehasst hatte. „Ich hatte nie so einen Groll gegen dich, dass ich
dich töten wollte, aber… das ist meine einzige Möglichkeit, um Lu zu retten.“
Er ließ Samuel
wieder los, zog das Messer aus der Brust des Anderen, und der stolperte zurück.
Eine Hand vergeblich auf der blutenden Wunde. In seinen Augen nur Vorwurf und
Hass. Und Wulfgar konnte es ihm nicht verübeln.
„Samuela!“, brachte er schließlich wütend hervor. „Sie
hat dich dazu angestiftet… nicht wahr?“ Als Wulfgar
nickte, war er es, der böse lachte. „Sie ist eine verdammt gute Lügnerin. Wir
spielen dieses Spiel schon seit Jahren. Ich mache ihr das Leben zur Hölle, sie
versucht mich umzubringen.“
Er machte eine
Pause, um schwer zu atmen, sagte dann bitter: „Am Ende hat sie also gewonnen.“ Sein
schadenfroher Blick traf Wulfgar hart. „Aber… auch wenn ich hier sterbe… du
wirst auch nicht bekommen, was du willst… du wirst sehen… sie…sie hat auch dich
angelogen.“ Er hustete schwer. „Sie hat… die Räuber vergiftet… dem Vater
zugesteckt, wer seinen… seinen Sohn getötet hat… alles, um… Lu zu quälen… sie
liebt es… die zu quälen, die ich… liebe…“ Er keuchte. „Sie hat die…
Sklavenjäger… sie kennt sie… sie muss sie auf ihn angesetzt… haben…“
Er sagte noch ein paar Worte in einer Sprache, die der
Andere nicht verstand, bevor er schließlich vornüberfiel und still wurde. Wulfgar
musste nicht nachsehen, um zu wissen, dass er tot war. Und er fühlte sich
so schlecht wie kaum je zuvor.
Doch jetzt
konnte er endlich herausfinden, wo Lu war und das Geld erhalten, um ihn
zurückholen.
Nur… hatte er wirklich das richtige getan?
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Hier weiterlesen -> Kapitel 108
Die Welt aus dem Rückblick ist erneut Urduna von mammut.
Nächstes Mal dann haben wir einen Szenenwechsel.
Bis dahin, danke ich euch fürs Lesen, und ich verabschiede mich!
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