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Mittwoch, 18. August 2021

Kapitel 146 - Grizzly und Gretchen


Sein Vater reichte ihm den Hammer, mit dem er ihm vor einiger Zeit schon das Schmieden angefangen hatte beizubringen.
     „Ab morgen werden wir zwei Holz für den Hausbau fällen gehen, Junge.“
     Griswold nickte pflichtbewusst und legte den Hammer zu den anderen Werkzeugen.


„Dia, ich muss dich noch einmal darum bitten, vernünftig zu sein und weiterzuziehen. Sich hier niederzulassen scheint mir keine gute Idee zu sein“, mischte sich sein Großvater Cain ein.
     „Deine Meinung interessiert mich nicht. Wir werden uns ein Haus bauen und hierbleiben. Ende der Diskussion.“
      ‚Dann kann ich mir vielleicht auch endlich mal eine Frau suchen‘, war es, was Griswold dachte. Er war das dauernde Herumreisen leid.
     „Die Stimmung zwischen uns und den Nachbarn ist jetzt bereits… aufgeheizt“, merkte Cain an. „Wir sollten uns lieber woanders eine Bleibe bauen. Sonst werden wir nur wieder gehen müssen. Wie so viele Male zuvor bereits schon.“
     ‚Mist, da war ja was.‘
     „Wir bleiben hier. Ob denen das passt oder nicht. Und jetzt fall mir nicht länger auf die Nerven, alter Mann!“


‚Wenn wieder alle gegen uns sind, wie soll ich dann eine Frau finden?‘

     Die Frage beschäftigte ihn schon, seitdem seine Stimme gebrochen war und er das erste Mal daran gedacht hatte, dass er eigentlich doch lieber nicht allein bleiben wollte. Seitdem sie von wütenden Nachbarn vertrieben worden waren. Immer und immer wieder.


Also stellte er die Frage seinem Vater, als sie am nächsten Tag unterwegs Richtung Wald waren, bewaffnet mit Beilen zum Holzfällen.
     „Hast du etwa gar nichts von mir gelernt?“, war die Antwort seines Vaters. „Wenn dir eine gefällt, dann nimmst du sie dir einfach.“
     Griswold nahm das so hin und fragte nicht weiter nach. Er war zu diesem Zeitpunkt noch naiv und dumm genug, tatsächlich zu glauben, dass er damit durchkommen würde. Sein Vater war für ihn das ultimative Vorbild, wie ein Mann zu sein hatte. Hatte er so schließlich nicht auch seine Mutter bekommen? Indem er sie sich einfach genommen hatte?
     Zu dem Zeitpunkt noch hielt Griswold das deshalb für eine gute Idee. Er dachte gar nicht daran, dass er Ärger mit der Familie der Frau bekommen könnte. Und schon gar nicht daran, was die Frau eigentlich wollte. Denn das war für ihn zu diesem Zeitpunkt noch vollkommen unwichtig.


Das war es auch noch, als er eine Weile später erneut durch den Wald wanderte, diesmal allein und schon sehr viel frustrierter aufgrund der erfolglosen Frauensuche. Die ortsansässigen Familien waren dummerweise clever genug, ihre Frauen und Töchter nicht aus den Augen zu lassen. Er hatte keine Chance, sich eine zu nehmen, wenn er keine allein antraf.


Das änderte sich, als er das erste Mal auf Greta traf. Er fand den Hof ihrer Familie zufällig bei einer seiner Wanderungen durch den Wald, vielleicht war es auch ihr lautes Gezeter, das ihn zum Haus gelockt hatte.
     Er versteckte sich hinter einem der Bäume und sah dabei zu, wie eine überaus laute Frau einen Mann vom Hof jagte, als würde sie Schweine vor sich her treiben. Griswold hatte nur Häme für den Fliehenden übrig, dass er so schwach war, sich von einer Frau herumkommandieren zu lassen. Aber er sollte es bald am eigenen Leib erfahren, dass er selber auch nicht so „stark“ war, wie er gern gedacht hätte.
     Als der Mann zwischen den Bäumen des Waldes verschwunden war, wagte er einen Blick aus seinem Versteck heraus. Die Frau stand immer noch auf dem Hof, und sie war allein, wie es aussah. Er konnte zwar nicht sagen, ob sich im Haus noch Leute aufhielten, aber auf einen Versuch konnte er es wohl ankommen lassen.


„He, du!“, rief er und stolzierte selbstbewusst zu ihr hinüber.
     Sie drehte sich um, machte ein irritiertes Gesicht. Sie war älter als er.
     ‚Und natürlich eine Hässliche!‘, dachte er, als er Greta das erste Mal von Angesicht zu Angesicht begegnete. ‚Ich habe aber auch ein Pech!‘
     „Was willst du, Junge?“, fragte sie unfreundlich.
     Er beäugte sie. Sie sah ziemlich kräftig aus, war zudem einen halben Kopf größer als er. Er war sich nicht sicher, ob er gegen sie ankommen würde, wenn sie sich zierte.


Er reckte das Kinn, bleckte die Zähne, um imposanter zu erscheinen. „Wir zwei werden uns jetzt ein bisschen vergnügen, Schätzchen!“
     Sie sah aus, als hätte sie sich verhört, und er befürchtete schon, dass sie auf ihn losgehen würde, aber stattdessen lachte sie plötzlich. Ein glockenhelles, süßes Lachen, das er nie von solch einer garstigen Erscheinung wie ihr erwartet hätte. Ihre Augen waren gerötet, fiel ihm auf.
     „Lauf zu deiner Mama zurück, du kleiner Hosenscheißer!“


Er wurde rot vor Scham, als sie wieder in Gelächter ausbrach, sich abwandte und ihn stehen ließ. Das konnte doch nicht sein! Er konnte sich doch nicht einfach so abspeisen lassen! Er war doch ein Mann!
     In einem letzten, verzweifelten Anflug von Mut, setzte er ihr nach und packte sie am Handgelenk, drehte sie beinahe ganz leicht um und rief: „Behandel mich nicht wie ein Kind, du –“


Jedes weitere Wort blieb ihm im Halse stecken, als er sah, dass sie weinte. Es interessierte ihn nicht – es sollte ihn nicht interessieren, warum sie das plötzlich tat, aber er fühlte sich schlecht. Schuldig. Er wollte sich entschuldigen, und es brauchte ihn alle Selbstbeherrschung, die er besaß, es nicht zu tun.
Stattdessen ließ er sie los, und da vergrub sie das Gesicht in den Händen, schluchzte leise. Ihre Schultern bebten, und er fühlte sich einfach nur elend. Er wollte weggehen, sie stehenlassen, aber seine Füße waren wie im Boden verwurzelt.


„Warum…“, hörte er sie wimmern, und im nächsten Moment hatte er sie tatsächlich am Hals hängen. „Warum hat er das getan… Warum hat sie mir das angetan… Warum haben sie… Warum… Warum…“
     Sie weinte so laut, dass es ihm in den Ohren wehtat. Wo war er hier nur reingeraten? So sollte das aber doch gar nicht sein! Er war hergekommen, um sich zu nehmen, was er wollte, aber stattdessen konnte er nicht verhindern, sich zu fragen, warum sie nur weinte.
     Sie war inzwischen dazu übergegangen „dieser Mistkerl“ zu skandieren. Immer und immer wieder.
     „Mich zu betrügen! Mit ihr! Mir ihr blödes Gör unter die Nase zu halten!“
     Plötzlich erschien ihr tränengeschwollenes Gesicht direkt vor ihm, ganz nahe, und ihm wurde heiß. Sie war eigentlich doch ganz schön, fand er.


„Dem zeig ich’s! Das kann ich auch!“, flüsterte sie heiser, bevor sie ihre feuchten Lippen auf seine presste und ihm jegliche Gedanken aus dem Kopf fegte.
     Danach dachte er überhaupt nichts mehr. Fühlte nur noch. Das noch junge, frische Frühlingsgras an seinen Händen, rauer Stoff und weiche, erhitzte Haut. Lange, braune Haare im Gesicht, Schweiß und Wind, der ihn an manchen Stellen kalt werden ließ. Mitten auf dem Hof, unter den seichten Sonnenstrahlen und weißen, ausgefransten Wolken.
     Am Ende hatte er also doch bekommen, was er gewollt hatte. Und von da an konnte er die aufbrausende Frau, deren Namen er nicht einmal kannte, nicht mehr vergessen.


„Greta“, sagte sie ihm, während sie sich den Ausschnitt ihres Kleides zuschnürte.
     Er sah zu ihr auf, inzwischen wieder vollständig bekleidet, die Augen voller Bewunderung für ihren Anblick. Jegliches schlechte Gewissen, das sie manchmal befiel, wenn sie mit ihm zusammen war, schmolz augenblicklich dahin. Sie liebte es, wenn er sie so ansah. Sie bewunderte. Die Momente, in denen sie alles für ihn war, das existierte. Sie ergötzte sich daran; es war der einzige Grund, warum sie ihn überhaupt an sich heranließ. Seit einigen Wochen nun schon.  
     „Ich heiße Griswold“, erwiderte er nach einer Weile, in der es still geblieben war. Er hatte wohl darauf gewartete, dass sie von sich aus fragen würde, wo er schon nach ihrem Namen gefragt hatte.


„Ich habe dich nicht danach gefragt“, entgegnete sie kalt, schlüpfte in ihre Schuhe und drehte ihre Haare mit geschickten Fingern zu einem Knoten. „Und jetzt verschwinde, meine Familie kommt bald zurück.“
     Er rührte sich nicht. Stand nur da und nestelte nervös an seinen Fingern.
     „Weißt du“, ließ er schließlich zögerlich hören, „ich hab mir überlegt, ob du nicht vielleicht bei mir wohnen willst. Du könntest ja meine Frau werden.“
     „Nein.“
     „Warum nicht?“
     Sie schnalzte mit der Zunge. „Du weißt, dass ich schon jemanden habe!“, erwiderte sie böse.
     „Du kannst ihn ja verlassen. Du hasst ihn ja eh.“
     „Raus jetzt, habe ich gesagt! Sonst brauchst du gar nicht mehr herzukommen!“


Er ließ die Schultern hängen und trottete mit gesenktem Kopf an ihr vorbei, verpasste ihr einen Blick wie ein getretener Hund, dass es ihr wieder leid tat, dass sie vorher so ausgebrochen war. Sie nahm ihn in den Arm, strich ihm übers Haar.


„Sei nicht böse, ja?“, sagte sie süßlich. „Aber glaube mir, ich will nur das Beste für dich. Ich tue dir einen Gefallen damit.“
     „Was meinst du damit?“
     „Ich kann keine Kinder bekommen, mein kleiner Grizzly…“
     Sie spürte, wie er zusammenzuckte, und ihr kamen die Tränen.
     ‚Ich tue dir einen Gefallen. Du willst mich nämlich gar nicht, wenn du das weißt. Niemand will das.‘


„Ich bin nur fürs Bett gut.“
     Er konnte nicht vergessen, was sie gesagt hatte. Es schwirrte ihm im Kopf herum, seitdem er sie vor einigen Stunden verlassen hatte. Sie hatte geweint, hatte er gesehen, auch wenn sie versucht hatte, es zu verstecken. Und er hatte nichts darauf erwidert. Er hatte einen Kloß im Hals gehabt und nichts erwidert. Weil er ein Feigling war.
     Aber was sollte er auch dazu sagen? Was sollte er mit einer Frau, die ihm keine Kinder schenken konnte? Er hasste sich für diese Gedanken, und er hasste sich, dass er sich dafür hasste. Er hasste es, was Greta mit ihm gemacht hatte. Dass er nicht mehr aufhören konnte, an sie zu denken. Dass es ihm wichtig war, was sie dachte und fühlte. Und gleichzeitig – gleichzeitig liebte er es auch. Er liebte sie. Und das machte ihm Angst. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er wollte doch nur, dass sie immer bei ihm war.


„Vater?“, wandte er sich schließlich an den Einzigen, an den er sich immer wandte. Der Einzige, der Ahnung von solchen Dingen hatte, glaubte er. „Ich hab da eine Frau, aber sie kann keine Kinder bekommen, hat sie gesagt – “
     „Na und? Was interessiert’s dich?“, unterbrach Dia ihn harsch.
     „Naja, ich wollte sie fragen, ob sie mit mir zusammenleben will…“
     Da starrte ihn sein Vater an, als hätte er den Verstand verloren, und Griswold verstummte augenblicklich. Er verschluckte sich vor Schreck fast an seiner eigenen Spucke.
     „Bist du toll, Junge? So eine kommt mir nicht ins Haus! Hast du denn überhaupt keinen Verstand in deinem Schädel da oben? So eine ist dafür da, dass man es mit ihr treibt, wenn man die Alte Zuhause nicht mehr sehen kann, aber sowas holt man sich doch nicht ins Haus! Sieh zu, dass du eine Ordentliche findest, die weiß wo ihr Platz ist und bei der einem nicht die Augen beim Angucken wehtun.“


Er ließ ihn stehen. Griswold widersprach nicht. Er hatte seinem Vater niemals widersprochen, hatte immer an sein Wort geglaubt und es befolgt. Aber das erste Mal in seinem Leben war da Trotz in ihm. Und Wut seinem Vater gegenüber. Wie konnte er nur so schlecht über seine wundervolle, hübsche Greta reden?


„Mutter? … Mutter! … Mama!“
     Sie reagierte nicht. Das tat sie so gut wie nie. Griswold wusste das. Er sah es schließlich jeden Tag, bekam es jeden Tag mit. Seine Mutter war ihm wichtig. Sie hatte ihn und seine Geschwister immer vor den Wutausbrüchen ihres Vaters beschützt, als sie noch klein gewesen waren. Sie hatte immer eingesteckt, was für sie vorgesehen gewesen war. Er erinnerte sich an die Schläge und an ihre Tränen. An ihr Geschrei und die Angst, die er empfunden hatte, versteckt unter seinem Bett.


„Du weißt doch, dass sie nicht da ist.“
     Es war Anya. Seine Schwester.
     „Ihr Kopf ist oben in den Wolken und träumt.“ Sie starrte gedankenverloren vor sich hin. „Muss schön sein.“
     Sie schwang sich auf den Heuballen neben ihrer Mutter, strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht, die ihr in die Augen gehangen hatte. Leah blinzelte nicht einmal.
     Ja, er wusste all diese Dinge, aber er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht.
     „Aber warum ist sie so?“, fragte er, obwohl er es wusste.


Ein unglücklicher Ausdruck auf Anyas Gesicht. Sie zog den Kopf zwischen die Schultern, die Beine an den Körper und umklammerte die Knie, machte sich ganz klein.
     „Du weißt doch…“, murmelte sie.
     „Vater“, fügte Akara von der anderen Seite der Feuerstelle hinzu. Er hatte nicht einmal mitbekommen, dass sie da war. Anya wandte den Blick ab, tätschelte ihrer Mutter die Hand und nuschelte irgendetwas davon, dass irgendein Oberhäuptling bald kommen und sie retten würde.


‚Was hat er nur mit ihr gemacht?‘
, dachte er voll Horror. ‚Ich dachte immer, dass sie glücklich sei. Ich dachte immer, dass er alles wüsste und seine Art die einzig Richtige sei.‘
     Er umarmte seine Mutter, die ihm immer so wichtig gewesen war und die er doch all die Jahre so schändlich missachtet hatte.
     „Ich wünschte, ich könnte dir helfen“, flüsterte er ihr zu, und Leah blinzelte. „Ich bräuchte so dringend deinen Rat.“


Greta schmunzelte, kräuselte die Lippen zu einem Grinsen, kicherte und brach dann in Gelächter aus. Sie hatte es getan. Sie war die Klippe runtergesprungen, als Jin, dieser Hornochse, sie mit ihrer dummen, dämlichen Art mal wieder zur Weißglut getrieben hatte. 


Seitdem sie das Balg gesehen hatte, das er mit Dana bekommen hatte, brachte allein sein Anblick ihr Blut zum Kochen, während ihr gleichzeitig zum Heulen zumute war. Und letztens erst, als das Balg auf ihrem Hof erschienen war, frech und dreist und dumm wie ihr Vater!


Also war sie gesprungen, als sie genug von ihm gehabt hatte. Es war ein spontaner Impuls gewesen, bevor sie schreien oder heulen würde, und letztendlich hatte sie gelacht. Gelacht bei dem Gedanken an das dumme Gesicht, das er dabei wohl gemacht hatte. Und seitdem konnte sie nicht aufhören, zu lachen.
     Es war ja auch zum Lachen. Der Trottel schien zu glauben, sie sei gestorben, aber sollte er ruhig. Ein letzter Spaß, den sie sich auf Kosten dieses dreckigen Lügners und Betrügers erlaubt hatte. Es geschah ihm recht!  


Und trotzdem – als das Lachen jetzt abebbte, blieb nur eine unschöne, flaue Leere in ihr zurück. Sie sah auf den Sand zu ihren Füßen, beobachtete die Wellen, die immer näher kamen, weil sie nicht aufs Meer hinausschauen konnte, ohne sich einsam zu fühlen. Sie war schon zuvor immer wieder hierhergekommen, seitdem ihr Zwillingsbruder Wulfgar sie damals verlassen hatte, um an ihn zu denken und auf seine Rückkehr zu hoffen, aber jetzt fühlte sie nur noch Einsamkeit beim Anblick des Meeres.
     Griswold war nicht mehr zu ihr gekommen, seitdem sie ihm gesagt hatte, dass sie keine Kinder bekommen konnte.
     Kleine, runde Kreise im Sand, die ihn dunkel färbten.


Sie wischte sich trotzig über die Augen. Sollte er halt bleiben, wo der Pfeffer wuchs, sie brauchte ihn nicht! Es war nicht so, dass sie von diesen Klippen gesprungen war, um Jin loszuwerden, damit sie für ihn frei sein konnte. In dem Wissen, dass wenigstens er noch zu ihr kommen würde, um ihre Einsamkeit zu lindern. Weil sie wenigsten fürs Bett gut genug war. Sie war es nicht. Nicht einmal dafür, wie sich herausgestellt hatte.


„Greta? Ähm, Gretchen“, schreckte sie eine Stimme aus den Gedanken, und dann sah sie in zwei grüne Augen, die sie an die Farbe von frischem Gras im Frühling erinnerten. „Ich darf dich doch so nennen, oder?“
     Sie zog die Nase hoch und schämte sich. „Was willst du denn?“
     „Bist du erkältet? Ist dir kalt?“, fragte er hastig und machte Anstalten, seine Jacke auszuziehen.
     „Nein, es ist nur die salzige Meeresluft. Sprich schon, was willst du?“
     „Entschuldige, dass ich so lange nicht mehr da war“, sagte er betreten.
     „Schon gut.“
     Sie wurde rot, wandte den Blick von ihm ab, schlang die Arme um sich, um das Frösteln zu unterdrücken, obwohl sie zuvor noch geschwitzt hatte. Es war ein warmer Sommertag.


„Hör mal, ich weiß, dass du gesagt hast, dass du schon jemanden hast und alles, aber wenn du es dir überlegst, ihn zu verlassen, würde ich mich freuen, wenn du zu mir kommen würdest. Um bei mir zu leben, meine ich. Mit mir.“
     Sie starrte ihn an. Ihr Mund stand offen, aber sie bekam kein Wort raus.
     „Aber… aber ich kann doch keine Kinder bekommen!“, schaffte sie es schließlich, zu sagen. „Hast du mir nicht zugehört?“
     „Naja, ich kann mir ja einfach noch eine andere Frau nehmen, mit der ich Kinder habe. Und du kannst dich ja auch um die Kinder kümmern.“
     ‚Natürlich. Was habe ich auch anderes erwartet?‘


Beißende Enttäuschung zerwühlte ihr Innerstes. Sie schaute weg, zum Meer hinaus. Es war ein Fehler. Zur Enttäuschung gesellte sich jetzt die Einsamkeit.
     „Ich glaube, dass das keine gute Idee ist“, antwortete sie gefasst.
     „Wir könnten es ja wenigstens probieren.“
     „Nein. Ich will nicht.“ Sie drehte ihm den Rücken zu. „Aber du kannst ja trotzdem vorbeikommen, wenn du Lust hast. Wenn du willst…“
     Ihre Stimme wurde heiser, erstickt, also hörte sie auf zu reden, bevor die Tränen kommen konnten. Sie wollte nicht, dass er sie weinen sah.
     ‚Vielleicht bin ich ja wenigstens doch fürs Bett gut.‘



Sie ging, machte mechanisch einen Schritt nach dem anderen, fühlte den weichen Sand unter ihren Füßen Platz machen. Und dann, ganz plötzlich, eine warme Hand an ihrem Handgelenk. Ein bisschen so wie das erste Mal, als sie ihn getroffen hatte. Damals, als ihre Augen voller Tränen waren, so wie jetzt auch.
     „Dann… dann nehm ich mir halt keine andere Frau, nur dich!“
     Sie konnte ihm nicht antworten.
     „Bitte verlass den Anderen und komm zu mir! Ich liebe dich und will, dass du immer bei mir bist!“
     „Ich kann dir keine Kinder schenken“, weinte sie.
     „Das ist mir egal!“


Weiche Schritte im Sand, dann stand er vor ihr. Hatte sie bei den Armen gepackt. Warme Hände auf bebender Haut. Sein trauriger Blick traf sie, ließ sie noch mehr weinen, bis sein Gesicht nur noch eine verschwommene Silhouette war.
     „Ich bin nutzlos…“
     Er nahm sie in den Arm, sie ließ sich auf die Knie fallen und vergrub den Kopf an seiner Brust. Sein gleichmäßiger Herzschlag nah an ihrem Ohr.
     „Das bist du nicht. Bleib nur immer bei mir, ja?“
     Sie nickte, und dann war sie das erste Mal seit Jahren wieder glücklich. Das erste Mal seit Jahren war die Einsamkeit verschwunden.


Als er das Haus seiner Zukünftigen betrat, waren diesmal viel zu viele Leute anwesend. Normalerweise erwartete Greta ihn immer alleine, aber diesmal waren noch zwei andere da. Doch es war nicht einmal der Umstand, dass Greta nicht allein war, der ihn störte, sondern der Umstand, wer bei seiner Liebsten stand, der ihn augenblicklich alarmierte.
     „Griswold“, sah sie davon ab, seinen Kosenamen zu benutzen. „Komm her, ich will dir wen vorstellen. Das hier ist mein Zwillingsbruder Wulfgar, und das ist…“
     Einer war ein Fremder, aber den Anderen kannte Griswold gut. Zu gut für seinen Geschmack.


„Meine Name ist Lu“, stellte der Andere sich vor. „Aber wahrscheinlich kennst du mich schon.“
     „Ja, du bist der nervige Schamane von drüben. Was will der hier, Greta?“
     „Wir haben gehört, dass dein Vater gegen die Verbindung von dir und Greta ist“, antwortete der Schamane an ihrer statt. „Und wir könnten uns deswegen vielleicht gegenseitig helfen.“
     „Ich will nichts mit euch zu schaffen haben!“, schoss er sofort zurück.
     „Hör ihn wenigstens an“, mischte sich eine tonlose Stimme ein.


Er brauchte sich gar nicht umzudrehen, um zu wissen, dass es sein Bruder Wirt war. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass er ihm scheinbar gefolgt war. Obwohl sein jüngerer Bruder ein Holzbein hatte, konnte er so leise laufen wie eine Katze auf der Pirsch. Es war unheimlich.
     „Dass ausgerechnet du dich mit unseren Feinden abgibst, sollte mich nicht wundern“, knurrte er seinen Bruder an. „Du elender Verräter!“


„Vater muss aufgehalten werden“, ignorierte Wirt den Vorwurf einfach. „Er ist nicht gut für Mutter. Für niemanden. Und solange er da ist, wirst du auch nicht bekommen, was du willst. Was glaubst du, was passiert, wenn er so weitermacht? Du hast es schon gesehen. Wir mussten schon so oft wegen ihm fliehen. Alles aufgeben, was wir uns aufgebaut hatten. Unsere Heimat. Unsere Freunde. Und so wird es auch diesmal sein.“ Plötzlich schaute er so finster, wie Griswold ihn lange nicht mehr gesehen hatte. „Und ich bin nicht mehr bereit, das zu tun! Bist du es? Willst du alles aufgeben, was du hier hast?“


Griswold wurde kalt und das wurde auch nicht besser, als sich Greta jetzt an seinen Arm klammerte. Das war er nicht. Nie würde er Greta aufgeben! Selbst wenn es bedeutete, dass er sich dafür gegen seinen Vater stellen musste. Also zögerte er nicht, seine Entscheidung zu fällen.
     Sein Vater musste fallen.


Es war noch am selben Abend, als Griswold nach der Besprechung das Haus seiner Zukünftigen verließ, dass diese ihm nachlief.
     „Warte, Grizzly! Ich muss dir noch etwas sagen.“
     „Was ist denn? Es ist doch alles in Ordnung mit dir? Du bist in letzter Zeit ein bisschen blass.“
     Sie lächelte, ihre Wangen leuchteten mit der untergehenden Sonne um die Wette. „Ich glaube, dass ich schwanger bin.“
     „Was? Aber du hast doch gesagt…“


„Ja, ich weiß. Ich wollte es erst auch nicht einsehen, weil es so lange nicht geklappt hat. Weil ich dachte, dass ich sowieso unfruchtbar bin, aber ich fühle mich jetzt schon eine Weile… merkwürdig. Irgendwie anders. Und meine Blutungen sind auch schon über so viele Monate überfällig“, sagte sie und hielt ihm drei Finger hin. „Und…“
     Sie streckte den Bauch heraus und da sah auch er die kleine Wölbung, die ihm momentan wie ein Wunder vorkam. Doch während er noch mit Freuen beschäftigt war, fielen ihre Mundwinkel herab.


„Was ist denn? Das sind doch großartige Neuigkeiten!“, freute er sich.
     „Schon, aber… es ist schon seit Monaten so, Grizzly. Das heißt, dass es nicht deins ist…“


Da legte er eine seiner warmen Hände auf ihren Bauch und sagte: „Egal ob es meins ist oder nicht, ich werde es immer lieben, weil es ein Teil von dir ist, und ich liebe dich ja.“
     Du hast viele Dinge zu mir gesagt, die ich nie vergessen werde, aber dies war das Wundervollste. Und du hast dein Wort gehalten.


Ich erinnere mich noch genau an deinen liebevollen, stolzen Blick, als du Wotan das erste Mal in deinen Armen gehalten hast. Der Junge, der nicht dein Sohn war. Du hast ihn angesehen, wie du auch deine eigenen Töchter angesehen hast, die wenig später geboren worden. So voller Stolz. So voller Liebe.
 

 
Ich weiß, dass es schwer für dich war, dich gegen deinen Vater zu stellen. Er war für alle ein schreckliches Monstrum, aber du hast ihn trotzdem bewundert. Dir war er trotzdem wichtig. Und dass du dich für mich gegen ihn gestellt hast, werde ich dir nicht vergessen.


Doch es hat dich verändert. Seitdem fällt es dir schwer, deine Gefühle offen zu zeigen, und ich habe es schon viel zu oft gehört, wie sie darüber getuschelt haben, dass du nicht anders als dein Vater bist. Kalt und herzlos. Wütend und aufbrausend. Ein Monster.
     Aber ich weiß es besser. Ich weiß, dass du genauso liebevoll bist wie früher, auch wenn du das nicht mehr so zeigen kannst und andere das nicht so sehen.



Ich kann nur hoffen, dass deine Töchter es sehen. Dass Wotan es sieht. Ihm gegenüber bist du besonders streng. Ihm gegenüber fällt es dir ganz besonders schwer, deine Liebe zu zeigen, und ich habe mich schon oft gefragt, warum das so ist. Siehst du dich in ihm? Hast du Angst, dass du ihn genauso enttäuschen würdest wie dein Vater dich? Dass er letztendlich gezwungen ist, sich gegen dich zu stellen? Willst du ihn davor beschützen, dass er verletzt wird oder ist es doch so, dass du dich selber davor beschützen willst, verletzt zu werden? Weil du Angst hast, dass er sich so gegen sich wenden könnte, wie du es einst mit deinem Vater getan hast?



Ich weiß nicht, was es ist, doch ich weiß, dass er dir wichtig ist.


Nur, warum mache ich mich selbst so sehr fertig, dir keinen Sohn geboren zu haben? Ich habe dir geschworen, immer für dich da zu sein und zwischen euch zu vermitteln.
     Aber… was ist daraus geworden?



‚Warum nur habe ich dich im Stich gelassen?‘
     Die Tränen liefen ihr stumm über die Wangen, sie war unfähig, sich zu bewegen, obwohl sie nichts lieber wollte, als aufzuspringen und zu ihrem Mann zurückzukehren. Glücklicherweise hatte Griswold weniger Skrupel.


Er kam zu ihr, als wäre nie etwas zwischen ihnen vorgefallen, als wäre kein Tag seit damals vergangen, als sie zusammen am Strand gestanden hatten, und schloss die Arme um sie. Neben seinem Herzschlag konnte sie diesmal seinen Magen leise grummeln hören. Sie wusste, dass es ihm immer auf den Magen schlug, wenn er aufgeregt war.
     „Komm wieder nach Hause, Gretchen“, hörte sie ihn leise sagen.


Sie hatte sich geschworen, nicht schwach zu werden, aber in diesem Moment zerbrach jeglicher Widerstand, den sie die letzte Zeit aufgebaut hatte. Endlich war sie dazu in der Lage, aufzustehen und die Arme um ihn zu schlingen. Sie schmiegte sich an ihn, ließ sich von der Erleichterung und dem vertrauten, warmen Gefühl von Heimat durchströmen, das er in ihr auslöste und das ihr sagte, dass alles wieder gut werden würde. Der vertraute Geruch von Kohle stieg ihr in die Nase, nur unzureichend überdeckt von der teuren Seife, die er sonst nie benutzte. Er musste sich extra gewaschen haben, bevor er hergekommen war. Aber die Seife hatte die Ringe unter den Augen nicht tilgen können. Die Sorge auf seinem Gesicht. Er wirkte viel zu dünn.
     „Ich hätte nie weggehen sollen. Es tut mir leid, Grizzly. Verzeih mir.“
     „Immer.“
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Ich habe ja schon mal geschrieben, dass ich Griswold anders als seinen Vater darstellen wollte, und ich hoffe, dass man ihn jetzt auch ein bisschen besser verstehen kann. Seitdem ich jedenfalls beschlossen habe, dass Griswold nicht wie sein Vater ist, war für mich auch klar, dass die beiden wieder zusammenfinden würden. Und jetzt versteht man vielleicht auch, warum Griswold sich letztendlich gegen seinen Vater gestellt hat. Diese Geschichte, wie Elriks, Lus und Wirts Plott gegen Dia damals im Hintergrund lief, wollte ich auch immer mal erzählen.
     Falls es übrigens nicht rüberkam, will ich hier nochmal erzählen, dass Greta Griswold ursprünglich nur verlassen hat, weil sie ihm keinen Sohn und damit Erben schenken konnte (was ja damals sehr wichtig war) und sie sich deshalb fertig gemacht hat. Um Griswold die Chance zu geben, dass er sich eine andere Frau suchen und mit ihr einen Sohn bekommen kann, ist sie gegangen. Dass Griswold nie darüber geredet hat, dass er sich eigentlich nichts daraus gemacht hat, dass er nur leibliche Töchter hatte, hat dabei natürlich auch nicht geholfen.
 
Wie ihr vielleicht mitbekommen habt, war ich diesmal mit dem Veröffentlichen dieses Kapitels später dran und das wird in Zukunft wohl auch so bleiben. Da ich gerade mit persönlichen Angelegenheiten zu tun habe, kann ich nicht mal sagen, ob ich es schaffe, immer alle zwei Wochen am Mittwoch ein neues Kapitel zu posten, aber ich werde natürlich mein bestes versuchen, es einzuhalten bzw. so bald wie möglich nachzuholen.

Nächstes Mal dann wird noch die Beziehung zwischen Griswold und Wotan geklärt werden, und Luis spürt, dass sich jemand ganz bestimmtes ihrer Gegend nähert.
 
Bis dahin, danke fürs Vorbeischauen, und passt auf euch auf!