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Mittwoch, 1. September 2021

Kapitel 147 - Verbunden


Sie waren alle hinausgegangen, um Greta und Griswold ein wenig Privatsphäre zu gönnen. Wotan war schon vor allen anderen nach draußen verschwunden, und er sah nach wie vor aus, als würde ihn etwas bedrücken. Deshalb nahm sich Jade jetzt endlich ein Herz und ging zu ihrem Bruder. Sie war einer Aussprache mit ihm schon viel zu lange aus dem Weg gegangen. Was besonders schwer gewesen war, da er seit ein paar Tagen mit ihr unter einem Dach wohnte.


Als sie ihn rief, wirbelte er herum, die gewohnt erschrockenen Augen trafen sie, die sie trafen, seitdem er ihr damals eröffnet hatte, dass er sie heiraten wolle.
     „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie ihn besorgt. „Ich… ich wollte schon die ganze Zeit über mit dir reden, aber… ich habe mich nicht getraut…“
     Sie schämte sich noch immer, aber das war wohl nichts im Vergleich zu ihm, der gerade mal ein ersticktes „ja“ herausbekam.


„Ach, Wotan, ich will nicht mehr, dass das so komisch zwischen uns ist! So angespannt!“, brach es aus ihr heraus. „Ich möchte, dass alles wieder so wird wie früher. Dass wir wieder ganz normale Geschwister sein können. Ich vermisse meinen Bruder.“
     Er sah unglücklich aus. Brachte immer noch kein Wort heraus.
     „Es wird nie wieder so sein wie früher, oder?“, stellte sie geschlagen fest.
     „Naja“, er räusperte sich mehrmals, wich ihrem Blick aus, „nie ist so endgültig. Wenn ein bisschen Zeit vergangen ist… mehr Zeit…“
     „Ich wollte dir doch nie wehtun. Das tut mir so leid!“


„Hast du nicht. Ich hab mich einfach wie ein Dummkopf aufgeführt. Ich muss mich bei dir entschuldigen.“
     „Nein, ich war es, die wie eine Idiotin reagiert hat. Ich hätte nicht –“
     Er schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab, zwang sich zu lächeln, sagte: „Vielleicht sollten wir einfach aufhören, uns dauernd zu entschuldigen.“
     Aber ansehen konnte er sie immer noch nicht.
     „Ja. Du hast recht.“
     Ein unbehagliches Schweigen, das sich zwischen ihnen auftat wie eine unüberwindbare Schlucht. Jade suchte verzweifelt nach einem Gesprächsthema.


„Ich habe gehört, dass du verlobt bist.“
     Er starrte sie überfordert an – das erste Mal, dass er sie überhaupt direkt ansah.
     „Ähh… ja, Eris… stimmt…“, sagte er schließlich mit einem komischen Gesichtsausdruck.
     Doch Jade kam nicht mehr dazu, die Ursache dafür zu ergründen, da Griswold und Greta in diesem Moment ebenfalls hinauskamen und Wotan ablenkten.


„Ich freu mich für euch“, sagte sie ihm schnell, bevor er entkommen konnte. „Ich hoffe, ihr werdet glücklich miteinander. Du musst sie mir unbedingt mal vorstellen.“
     Sie lächelte, ehrlich und breit, wusste sie doch nicht, wer Eris genau war, und das Zähneblecken, das er sehen ließ, wurde jetzt auch endlich mal echt.
     „Danke, Jade.“


Dann gingen sie beide – wenn auch leicht hintereinander und froh, aus der peinlichen Situation entkommen zu sein – zu den Anderen zurück.
     Vielleicht würde es doch irgendwann wieder so werden wie früher. Eines Tages, wenn ein wenig mehr Zeit vergangen war.


„Du gehst also nach Hause?“, fragte Wotan seine Mutter, und man konnte überhaupt nicht in seinem Gesicht ablesen, ob er froh über die Versöhnung war oder nicht.
     Greta warf einen Blick zu ihrem Mann, nickte ihrem Sohn zu, warf noch einen Blick zu Griswold, unglücklich, auffordernd diesmal.


Griswold bewegte sich kein Stück weit, sagte aber endlich: „Ihr kommt beide mit nach Hause.“
     „Ich bleib hier“, beschloss Wotan. „Vielleicht geh ich auch mit Jin… mit meinem Vater mit und bleib da. Weiß noch nicht. Mal schauen.“
     „Ist deine Entscheidung. Aber ich suche noch immer einen Lehrling. Jemanden, der die Schmiede übernehmen wird, und ich fände es besser, wenn das in der Familie bleibt.“


Gretas Augen leuchteten, selbst die von Gisela glitzerten vor Freudentränen, und wenn niemand hingeschaut hätte, wäre das bei Wotan vielleicht ebenso gewesen. Aber er, der einzige Sohn im Hause Hell, behielt seine Fassade aus unbeeindruckter Lässigkeit aufrecht und nickte einfach bloß.
     Obwohl äußerlich unspektakulär, ohne großes Drumherum oder viele Worte, war dieser Moment einer der wichtigsten in Wotans Leben, als der Mann, der für ihn zeitlebens sein Vater gewesen war, ihn endlich als Sohn anerkannte.


Und so fanden Griswold und Greta – Grizzly und Gretchen – die sich auf das besonnen hatten, was sie einst zueinander geführt hatte, wieder zusammen. Greta und Wotan kehrten nach Hause zurück, Anhang Eris ging ebenfalls mit ihnen, und Jade lieferte später vor ihrem Ehemann ein überzeugend echtes Schauspiel ab, wie sehr sie sich angeblich doch darum bemüht hätte, Greta – und damit Schmied Wotan – zum Bleiben zu bewegen.


Die erste Kriegsplanung war getan, alle gingen wieder ihren Tagesgeschäften nach, so auch Tann, als er am Nachmittag zurück ins beinahe verlassene Haus kehrte.


Malah war zum Handelsposten gegangen, um dort mit Alin über die Situation zu reden. Sie hatten beschlossen, dass er vertrauenswürdig war – immerhin würde er bald Lulu, eine der ihren, heiraten.


Er wiederum hatte bislang die Aufsicht über Nila gehabt, der zur Stallarbeit verdonnert worden war, um ihn wenigstens beschäftigt zu halten, bis sie über seine Strafe entschieden hatten. Bis schließlich Tanna die Aufsicht von Tann übernommen hatte, damit der nach seinem Patienten sehen konnte.


Wulfgar war nach wie vor bewusstlos, und es sah nicht so aus, als ob er demnächst – als ob er überhaupt je wieder aufwachen würde. Das allein war schon schlimm genug, aber Tann machte sich auch immer größere Sorgen um Lu, dem es von Tag zu Tag schlechter ging.
     Tatsächlich, als er näherkam, stand Lu neben dem Bett, in dem Wulfgar lag, und schwankte beträchtlich. Tann ging sofort zu ihm und zwang ihn, sich hinzusetzen.


„Du solltest dich ein bisschen ausruhen“, riet er ihm. „Ich werde mich so lange um Wulfgar kümmern.“
      „Nein, ich mache das schon.“
      „Drei Tage Tage, Lu, du hast schon seit drei Tagen nicht mehr geschlafen.“
     „Das stimmt nicht…“
     „Gut, du hast seit drei Tagen nur maximal zwei Stunden am Stück geschlafen“, korrigierte Tann sich.
     Sie mussten Wulfgar alle zwei Stunden wenden, damit er sich nicht wund lag. Und das musste natürlich auch nachts getan werden. Selbstverständlich hatte das bislang Lu erledigt, und selbstverständlich hatte er jegliche Hilfe dabei ausgeschlagen.
     „Lu, hör mir zu, du brauchst Schlaf. Wenn du umfällst, dann hat Wulfgar auch nichts davon. Ich kann das übernehmen, vertrau mir.“


Lu zog die Mundwinkel nach unten, sah gequält aus, aber trotzdem war er stur genug, wieder aufzustehen. „Ich… ich kann dich das nicht machen lassen. Ich.. Verstehst du nicht, Tann? Ich muss das machen!“
     „Ich verstehe, dass du dich verantwortlich fühlst. Dass du etwas für ihn tun willst. Er war dein Gefährte, aber – “
     „Wenn du das verstehst, dann lass mich weiter für ihn sorgen!“ Er sah zu dem Bewusstlosen hinüber, ein seichtes, bröckelndes, aber liebevolles Lächeln auf den Lippen, strich dem Bewusstlosen ein paar verirrte Haare aus der Stirn. Seine Lider flatterten müde. „Ich möchte nicht, dass jemand das machen muss. Es wäre ihm sicherlich peinlich, dass das jemand machen muss. Ihn füttern, ihn… du weißt…“


„Als ich mich dazu bereit erklärt habe, Heiler zu werden, war mir bewusst, dass ich mich auch um die Ausscheidungen meiner Patienten kümmern muss. Das gehört dazu, und daran ist nichts Schlimmes.“
     „Ich will das aber nicht!“, erwiderte Lu trotzig und wurde dabei rot.
     Tann seufzte. „Na schön. Aber versprich mir, dass du dich ausruhst, ja? Und dass du zu mir kommst, wenn etwas ist. Ich bin sofort da, um zu übernehmen.“
     Lu nickte, lächelte müde. „Danke, Tann.“


Tann hatte gerade die Untersuchung abgeschlossen – die wie üblich keinerlei Verbesserung von Wulfgars Zustand anzeigte – als die Tür aufflog und Greta das Haus stürmte. Sie hatte Alistair, Gisela, Wotan und sogar Griswold im Schlepptau.
     „Wulfi!“, rief sie, stürzte zu ihrem Bruder ans Bett und griff nach seiner Hand. „Götter, was ist dir passiert? Ich habe es gerade eben erst erfahren. Warum hat mir denn niemand Bescheid gesagt? Ich hatte gleich so ein schlechtes Gefühl die letzten Tage, aber ich dachte, dass das wegen der Trennung ist. Was ist passiert?“


Die Frage ging in den Raum, aber Lu fühlte sich regelrecht davon erstochen. Er bekam kaum noch Luft, musste erst ein paarmal tief durchatmen, bevor er überhaupt sprechen konnte.
     „Es ist alles meine Schuld! Wulf wollte mir beweisen, dass er nie wieder jemanden töten wird, und deshalb war er unbewaffnet gewesen, als er angegriffen wurde. Von… von jemanden, der… der ihn töten wollte… wegen… wegen mir… das ist auch alles… alles meine Schuld….“
     Er brach in Tränen aus, da bedurfte es gar nicht erst Gretas, die jetzt wütend über ihn hereinbrach und ihn mit Vorwürfen bombardierte.


„Das ist jetzt genug“, schritt Tann schließlich ein und schob sich dazwischen.
     „Er ist schuld daran, dass mein Bruder vielleicht sterben wird! Dabei hat er immer alles für dich getan, und du hattest nichts Besseres zu tun, als ihm immer und immer wieder wehzutun!“
     „Ich sagte, das reicht jetzt! Wenn du dich nicht zusammenreißt, werde ich dich von hier entfernen müssen!“


Griswold erschien grimmig guckend an der Seite seiner Frau, mit der er sich scheinbar wieder vertragen hatte, drückte aber nur Gretas Schulter und sagte ihr: „Komm, lass uns nach Hause gehen.“
     Die Sorge schlich zwar aufs Gretas Gesicht zurück, doch sie strich immerhin die Segel. Bevor sie ging, drückte sie ihrem Bruder noch einen Kuss auf die Stirn.
     „Sagt mir bitte Bescheid, wenn sich etwas ändert“, bat sie milder, und zu Wulfgar sagte sie: „Ansonsten… komme ich morgen wieder, um nach dir zu sehen.“
      Und dann ließ sie es zu, dass Griswold sie nach draußen führte.


Als alle weg waren, blieben nur Tann und ein Wrack von Lu übrig, der immer noch laut und durchdringend weinte. Tann ging zu ihm, berührte ihn sachte an der Schulter, aber es drang nicht zu ihm durch.
     „Sie hat das nur gesagt, weil sie wütend war. Sie hat nur Angst um ihren Bruder. Du weißt doch, wie nahe sie sich stehen.“
     „Sie hat aber recht, Tann! Sie hat recht! Wulf wird sterben!“, schluchzte Lu, und plötzlich waren seine Augen voller Horror. „Er wird nicht mehr aufwachen! Er wird sterben, und ich bin schuld daran! Ich will nicht, dass er stirbt! Ich will nicht, dass er mich allein lässt!“
     Tann wusste nichts dazu zu sagen. Er strich mechanisch über Lus ohnehin dürren Arm, der seit seiner Wiederkehr noch dünner zu sein schien, und versicherte, dass Wulfgar schon wieder werden würde.
     ‚Aber eigentlich ist das nur eine leere Floskel. Eigentlich glaube ich selber ja nicht einmal mehr daran.‘


„Vielleicht, wenn wir für meinen Onkel beten…“
     Gisela trat aus dem Schatten. Tann hatte nicht mal bemerkt, dass sie noch da war. Sie kam hinüber, stellte sich am Fußende des Patientenbettes auf.
     „Ich habe schon zu allen möglichen Göttern gefleht“, berichtete Lu tränenerstickt. „Zu allen, die ich kannte! Aber keiner von ihnen hat geholfen!“
     „Und hast du auch schon zu Gott gebetet? Dem Einen, Allmächtigen, dem Herrn und Vater?“
     „Die Götter sind alle gleich!“, erwiderte Lu verbittert. „Wenn es sie wirklich gibt, dann kann man sich nicht auf sie verlassen. Sie sind egoistisch, wankelmütig, eitel und grausam. Du kannst ihnen opfern und opfern, dein Leben lang gottesfürchtig und fromm sein, aber am Ende helfen sie dir trotzdem nicht, wenn du sie wirklich brauchst. Nein, euer Gott wird Wulf auch nicht helfen.“


„Du hast recht“, mischte sich plötzlich Alistair ein, zog sich einen Hocker vom Feuer heran und hievte sich darauf, „mit dem, was du über die anderen Götter sagst. Das ist auch der Grund, warum wir uns von ihnen abgewandt haben. Diese heidnischen Götzen sind nichts weiter als ein Spiegel derjenigen, die sie anbeten. Sie sind menschlich, fehlbar – menschengemacht. Sie sind falsch. Aber Gott, der Herr im Himmel, ist das nicht. Er ist allmächtig und barmherzig. In seinem Namen leben, heißt in Barmherzigkeit, Nächstenliebe und Bescheidenheit zu leben.“
     „Und wenn unser Glaube nur stark genug ist, wird Gott sich auch Onkel Wulfgars Erbarmen und ihm das Leben schenken“, pflichtete Gisela ihm ehrfürchtig bei.
     „Wenn euer Gott Wulf retten kann“, sagte Lu ernst und ohne zu zögern, „dann werde ich mich ihm mit Leib und Seele verschreiben, das schwöre ich!“


Lu war verzweifelt und bereit dazu, jede Möglichkeit zu ergreifen, um Wulfgar zu retten. Egal wie klein sie auch sein mochte. Deswegen machte er es Gisela jetzt auch nach und faltete die Hände, als sie sagte: „Dann lasst uns beten!“
     Tann fühlte sich ein bisschen fehl am Platze, ein wenig überfahren, aber er beschloss, einfach den Kopf zu senken und wenigstens zu seinen Göttern zu beten. Er war noch nicht bereit, den altbewährten Göttern abzuschwören für einen Gott, der in der Außenwelt bislang nur von einer verfolgten Minderheit verehrt wurde. Aber wenn es half, Lu neuen Mut zu geben, sagte er nichts dazu.


„Ach, schau einer an, Griswold und Greta scheinen sich wieder vertragen zu haben“, berichtete Jana, während sie neue Scheite ins heilige Feuer warf.
     „Greta scheint erst jetzt davon erfahren zu haben, was ihrem Bruder widerfahren ist, wie es sich angehört hat.“
     „Ja. Scheint so.“


Luis seufzte. „Ich wünschte wirklich, wir könnten etwas für Wulfgar tun.“
     Jana machte ein zustimmendes Geräusch und beobachtete, wie die Flammen über die neuen Scheite leckten. Der Geruch von frischgeschlagenem Holz verbreitete sich im ganzen Tempel.
     „Vielleicht könnten wir… Was ist denn? Du siehst ja aus, als ob du ’n Geist gesehen hättest.“


Luis stand da, die Augen weit aufgerissen und starrte vor sich hin.
     „Sie kommt hierher…“, erklärte er entgeistert. „Sie kommt hierher!“
     „Wer?“
     „Luna!“
     Plötzlich wurde er ganz aufgeregt, ging auf und ab. Als er beinahe gegen eine der Säulen stieß, ging Jana zu ihm und zog ihn am Arm zurück.
     „He! Beruhig dich mal! Hast du’s gesehen?“
     „Nein! Aber ich weiß es! Ich spüre es! Sie ist ganz nahe! Kommt morgen an…“
     Er griff sich an den Kopf und fuhr fort, aufgescheucht herumzulaufen. Jana hatte ihn noch nie so gesehen, und sie musste sich ein bisschen das Lachen verkneifen. Es war niedlich, wie aufgeregt er war.


„Was soll ich nur machen?“
     „Zuerst mal: Beruhig dich! Komm her und erzähl mir von ihr!“
     Sie setzte sich ans Feuerbecken und klopfte geräuschvoll neben sich. Er ignorierte es.
     „Ich weiß nicht, was ich tun soll! Wie soll ich ihr nur unter die Augen treten? Götter, ich habe mich so bescheuert benommen, als wir uns das letzte Mal gesehen haben!“
     Jana griff nach ihm, als er gerade vorbeikam und zog ihn am Arm zu sich runter, zwang ihn, sich hinzusetzen.


„Erzähl! Du hast nie erzählt, wie das eigentlich mit ihr war.“
     „Ich will auch gar nicht daran denken! Das war so… Ich habe mich wie der letzte Volltrottel benommen!“
     „Komm schon, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen!“
     „Was soll ich dir da schon erzählen?“
     „Wie hast du sie getroffen?“
     Er seufzte gequält. „Du weißt ja, als ich damals meinem Vater an den Kopf geworfen habe, dass ich nicht Schamane werden will, habe ich mich danach verirrt.“
     „Ich dachte, du wärst abgehauen.“


„Nein, ich habe mich verirrt, und dabei habe ich Luna getroffen. Sie hatte sich auch verlaufen, wusste nur noch den Weg, den sie gekommen war. Also habe ich sie gebeten, mich mitzunehmen. Ja, vielleicht wollte ich doch ein bisschen weglaufen, wenn ich so darüber nachdenke…“
     „Und dann?“
     „Ach, da ist nicht wirklich was passiert… Sie hat versucht, mir zu helfen. Hat mir einiges von der Außenwelt und ihrer Göttin erzählt.“


„Ich hab gehört, dass sie dich irgendwelche Pilze gefüttert hat, die dich betrunken gemacht haben. Stimmt das?“
     „J-ja…“
     „Und? Wie war’s?“
     „Wie „Wie war’s“?“
     Jana zuckte mit den Schultern. „Na, die Pilze, mein ich. War’s gut?“


„Am Anfang war es fantastisch, aber danach…“ Er zog eine schmerzhafte Grimasse. „Grässlich. Schlimmer als ein Kater.“
     „Du hattest echt schon mal einen Kater?“
     „Einmal“, gestand er kleinlaut.
     „Hätte ich ja nicht gedacht“, kicherte sie. „Aber da ist mehr, oder? Ich seh’s! Deine Augen sehen aus wie wenn man nachts ins Wasser guckt und keine Wolken da sind.“


Plötzlich sperrte er den Mund auf und lief so rot an, dass Jana in Gelächter ausbrach.
     „Du siehst ja aus wie so ´ne Hagebutte! Was hat sie denn mit dir gemacht?“
     „Nichts!“, sagte er viel zu hastig. „Gar nichts! Sie war einfach nur… nett. Hilfsbereit.“
     „Schon gut! Schon gut! Wenn du nicht erzählen willst…“ Plötzlich wurde sie ernst. „Aber in echt mal, Lui, alle sagen, sie hat dir das Herz gebrochen. Stimmt das?“
     Schon allein sein trauriges Gesicht, dass es ihr beinahe selber das Herz brach, genügte als Antwort. Jana tätschelte ihm mitfühlend die Schulter.


„Du liebst sie echt, hm?“ Sie wartete sein Nicken ab, sagte dann:. „Ich hab gehört, wie die Anderen gesagt haben, dass sie nicht gut für dich ist. Weil sie dir diese Pilze gegeben hat und dein Herz gebrochen hat. Sie sagen, dass sie nur mit dir gespielt hat. Aber ich seh, dass sie dir echt wichtig ist.“
     „Luna ist kein schlechter Mensch!“, rief Luis inbrünstig. „Im Gegenteil! Sie ist eine selbstlose, herzensgute, liebe Frau, wie ich sie noch nie zuvor getroffen habe!“
     „He, ich will sie dir ja gar nicht madig machen oder so. Klar, ich fänds auch scheiße, wenn sie dich an der Nase rumführt, und wenn sie das macht, dann kann sie mich mal kennenlernen! Aber ich werd dir ganz sicher nicht sagen, wen du mögen sollst und wen nicht. Liebe ist eh so eine Sache. Verdammt kompliziert, das Ganze. Aber ich werd dir helfen, wenn du willst. Äh… so gut ich’s kann.“
     „Wirklich?“


„Klar. Will doch, dass du glücklich bist.“
     „Danke, Jana“, war er erleichtert. „Du hast bei sowas ja viel mehr Erfahrung als ich.“
     Sie zog eine Grimasse. „Naja, nicht wirklich…“
     „Was? Du hast doch Aan. Ihr seid schon eine ganze Weile zusammen, und weißt du was, ich bin ganz schön neidisch auf euch.“
     „Warum?“, fragte sie überrascht.
     „Weil ihr schon so lange zusammen seid und euch trotzdem noch liebt. Das schafft nicht jeder.“
     Sie rollte ein bisschen genervt mit den Augen, was er nicht sehen konnte, und machte wieder:
„Naja…“
     „Ich hoffe, dass ich eines Tages auch jemanden finde, mit dem ich es so lange aushalte.“
     „Hm.“
     „Ich hoffe ja ein bisschen, dass es Luna ist…“, sagte er kleinlaut.
     „Tja, vielleicht wirst du’s morgen ja rausfinden.“


Seine Mundwinkel fielen hinab. „Ich hatte es gerade erfolgreich verdrängt… Ach! Sie will mich ja sowieso nicht. Sonst hätte sie mich ja beim ersten Mal nicht schon abgewiesen.“
     Jana rubbelte ihm über den Rücken, bis ihre Hand ganz warm war.
     „Ach, hab ein bisschen mehr Vertrauen in dich.“
     „Was will sie auch mit mir?“
     „Du bist ein doch ein toller Mann, siehst gut aus, bist lieb und alles. Da gibt’s doch nix zu meckern. Und sag jetzt nicht, dass du blind bist, sonst werd ich böse! Das ist nämlich überhaupt kein Grund!“
      „Für manche leider schon“, murmelte er kleinlaut und kassierte von ihr dafür einen Schlag gegen die Schulter. „Aber du begleitest mich morgen, ja? Ich schaffe das nicht alleine. So aufgeregt, wie ich bin, verlaufe ich mich nur wieder.“
     „Keine Angst, ich werd dein kleines Patschehändchen schon halten, Luischen.“
     Er machte ein komisches Gesicht, das sie zum Lachen brachte, und immerhin schaffte es Jana damit, ihn ein bisschen zu beruhigen und auf andere Gedanken zu bringen.


„Ich schaffe das nicht! Ich kann das nicht alleine! Bitte bleib hier!“
     Er biss sich auf die Finger der zusammengeballten Faust, die schon überall Abdrücke seiner Zähne hatten, und machte Anstalten, umzudrehen. Jana nahm ihn am Arm, drehte ihn wieder um. Diesmal ließ sie ihn nicht los, dass er nicht wieder entkommen konnte.
     „Du schaffst das schon“, versicherte sie zum gefühlt tausendsten Mal. „So, wir sind da. Hör zu, du atmest jetzt tief ein und aus und hörst auf, dir ständig Sorgen zu machen. Du bist ja schlimmer als wie Aan.“
     „Bist du noch da?“
     „Ja, aber ich geh jetzt. Toi-toi!“


Sie kam drei Schritte weit, da war er ihr nachgelaufen. Er erreichte sie beim dritten Anlauf an der Schulter.
     „Geh nicht weg! Ich schaffe das nicht alleine!“
     Sie seufzte geschlagen. „Ich kann doch nicht wie deine Mama danebenstehen, wenn ihr euch trefft. Das wär voll komisch.“
     „A-aber als Freundin. Du hast mich hergeführt. Weil ich ja nichts sehen kann.“
     „Du willst doch Eindruck hinterlassen, oder?“
     „Bitte, Jana! Wenn du nicht dableibst, hau ich wahrscheinlich ab!“
    „Ich bin ja gleich da hinten.“
     „Nur bis sie da ist…“
     „Du bist ein ganz schönes Riesen-Kleinkind, weißt du das? Na fein, dann warte ich halt mit dir.“
     „Glaubst du, sie kommt bald?“
     „Sag du’s mir doch. Du bist doch derjenige, der sie spürt.“


„Ich spüre aber nichts! Und ich sehe, verdammt nochmal, auch nichts! Ich fühle mich so elend!“
     Jana schüttelte den Kopf und schwieg, aber Luis fing das Gespräch von vorne an. Immer und immer wieder. Es war in einem Teufelskreis gefangen. Und Jana konnte nichts anderes tun, als ihm immer und immer wieder zu versichern, dass schon alles gut gehen würde und er es schaffen würde und sich nicht zum Deppen vor Luna machen würde.


„Uh, ich glaub, da komm jemand!“, rief sie nach einer Stunde. „Oh, nein doch nicht!“
     Sie machte das noch dreimal, um sich einen Spaß mit ihm zu erlauben, dann war er es, der plötzlich still wurde. Still und blass. Da wusste sie, dass die Erwartete nah sein musste.


Und tatsächlich, kurz darauf wurde ein kleiner, heller Punkt über der Hügelkuppe sichtbar, kurz gefolgt von einem weiteren, kleineren, den oben ein schwarzer Fleck abdeckte.
     „Sie ist da…“, hörte sie Luis beinahe ehrfürchtig flüstern.
     Jana griff nach seiner Hand, drückte sie, ließ sie wieder los und trat dezent in den Hintergrund. Luis versuchte diesmal nicht, sie aufzuhalten oder wegzulaufen. Er stand nur da und sah blass aus.


„Luna…“, sagte er leise, als die beiden Neuankömmlinge nähergekommen waren. Es war eine junge Frau, ihr Haar beinahe so weiß wie Schnee, in einem dicken Wintermantel, und ein Junge mit rabenschwarzem Haar und Bart. Er war ebenfalls dick eingepackt und seine Nase leuchtete rot von der Kälte.
     Luna war stehengeblieben, sah genauso überrascht und unbehaglich aus wie Luis, dann zwang sie sich jedoch, die letzten paar Meter zu überbrücken, die zwischen ihnen lagen.


„Luis… du bist es wirklich…“, sagte sie mit einer angenehm klingenden Stimme, die Jana auf Anhieb unsympathisch war.
     „Ja, ich bin es…“
     Pause. Und Schweigen. Unangenehmes Schweigen.
     „Du wusstest, dass ich herkomme…“
     „Wusste ich…“
     Jana scharrte mit der Stiefelspitze im Schnee, der Junge mit der roten Nase zog selbige hoch. Und wieder das angespannte Schweigen. Jana stieß Luis verstohlen den Ellenbogen in den Rücken.


„Dein Vater…“, bekam er raus.
     „Mein Vater!“, übernahm sie erschrocken. „Es stimmt also, was ich gesehen habe? Er ist verletzt?“
     Luis nickte.
     „Oh, Göttin, was ist nur geschehen? Wie geht es ihm? Ist er immer noch nicht bei Bewusstsein?“
     Luis schüttelte den Kopf.
     Wieder Stille.


„Vielleicht“, griff Jana endlich ein, „sollten wir zurückgehen. Du willst ihn bestimmt sehen. Bin übrigens Jana.“
     „Luna. Und das ist Alaric.“
     Der rotnasige Junge hob die Hand zum Gruß, Jana nickte ihm zu und griff dann nach Luis‘ Arm, um ihn hinter sich her zu bewegen.


Er kam kaum von der Stelle, lief steif und mechanisch, rutschte auf dem Rückweg beinahe dreimal aus. Jana stellte ein paar höfliche Fragen, während sie zurückgingen, die sie nicht wirklich interessierten, und hörte dann zu, wie Luna begeistert von ihrer Göttin erzählte. Jana hatte die Schamanentracht heute zu Hause gelassen, und sie merkte ihre Profession auch nicht an. Es war ihr ganz recht, wenn sie nicht reden musste. Mit dieser Luna. Und auch Alaric stellte sich als schweigsamer Geselle heraus, unterstrich Lunas Ausführungen nur ab und an mit geräuschvollem Naseschniefen.
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 Jetzt ist also auch Luna endlich in die Gegend gekommen, nachdem sie in einer Vision gesehen hat, dass ihr Vater Wulfgar schwer verletzt worden war, und wie sich herausgestellt hat, kennen sie und Luis sich tatsächlich. Tatsächlich scheint sie es gewesen zu sein, die Luis damals getroffen hat, als er sich verirrt hatte. 
     Aber viel wichtiger ist jetzt die Frage, was aus Wulfgar wird. Kann Luna ihn mit ihren besonderen Kräften vielleicht helfen? Nächstes Mal wird sich auf jeden Fall entscheiden, ob Wulfgar überleben wird, oder nicht.

Zu der Sache mit der neuen Religion, will ich übrigens noch sagen, dass sich manche Religionen hier natürlich nach realen Vorbildern richten (wenn ich sie nicht gleich ganz erfunden habe), aber es dennoch fiktive Sim-Religionen sind. Natürlich möchte ich hiermit aber den Übergang zeigen, als das Christentum aufkam und viele der alten Vielgötterreligionen nach und nach verdrängt hat. Während die alten Religionen immer nur forderten und allzu menschliche Götter hatten, waren in Rom bspw. irgendwann viele davon beeindruckt, dass die christlichen Gemeinden Armen- und Krankenpflege betrieben, dass ihr Gott barmherzig sein konnte und ein Leben nach dem Tod im Himmel versprach, wenn man sein Leben gottesfürchtig verbrachte (um es mal grob runterzubrechen... natürlich gab es noch viele andere Faktoren, die es für die Masse oder auch die Herrschenden attraktiver als die alten Religionen gemacht hat, die bspw. kein Leben nach dem Tod im Paradies kannten, wenn man nicht gerade ein sagenhafter Held war).
     Mir ist übrigens auch die Ironie bewusst, dass sie für den homosexuellen Wulfgar beten, da ich nicht sagen muss, wie homophob gewisse Religionen waren und auch noch immer sind. Hier lese ich auch gerade ein sehr interessantes Buch dazu ("Homosexuality and Civilisation", von Louis Crompton), laut dem Homophobie gar nicht in den alten Schriften niedergeschrieben stand, sondern es vor allem falsche Übersetzungen (auch bewusst) und Neuinterpretationen waren, die dazu geführt haben, dass bspw. Homosexualität als Hauptsünde für den Fall von Sodom und Gomorra aufkam, obwohl deren Hauptsünde ursprünglich lediglich Gier und Verletzung des Gastrechtes war. Doch da Homosexualität in den alten Religionen teilweise zum Kult gehörte (Crossdressing, Transsexualität und Selbstkastrationen waren in manchen Kulten Gang und Gebe), wurde es als Teil der alten Religionen abgelehnt und verdammt. Bald schon galt Homosexualität als Sünde wider die Natur und das homophobe Zeitalter in (den meisten Teilen von) Europa begann.
     Vieles davon begann übrigens schon im Judentum und wurde von den Christen so übernommen und verschärft. Das ist aber natürlich alles sehr runtergebrochen, aber hier alles aufzuschreiben, würde mehrere eigene Posts brauchen, also lasse ich es jetzt mal dabei.
 
Bis nächstes Mal dann, danke fürs Vorbeischauen, und passt auf euch auf!

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