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Mittwoch, 25. November 2020

Kapitel 127 - Wenn du zurückkehrst III

 
Nachdem Isaac den Rest des Tages so tat, als wäre nichts geschehen, und Wulf den armen Luis, seinen neuen Bruder, behelligte, wurde es schließlich Zeit zum Schlafengehen. Der Sturm hatte die letzten paar Stunden noch einmal kräftig zugelegt gehabt und es sah nicht danach aus, als ob es so bald aufhören würde. Wenn es so weiterging, waren sie bald völlig eingeschneit.


Der Lärm, den der Sturm verursachte, ließ Tann dabei überhaupt nicht zur Ruhe kommen. Er hatte an sich schon einen leichten Schlaf, und nachdem er nach langem Hin- und Herdrehen endlich eingeschlafen war, wurde er bald schon wieder aus dem Schlaf gerissen. Eine Böe zog an ihrem Haus, dass es böse knackte, und sofort saß er mit klopfendem Herzen im Bett. 


Er brauchte eine Weile, bis er sich überhaupt genug beruhigt hatte, um zu realisieren, dass ihn vom Feuer her zwei Augen ansahen. Es war Isaac, der mit allen anderen vorher zu Bett gegangen war, der nun aber wieder wach war.  
     Da an ein schnelles Einschlafen nach dem schreckhaften Erwachen sowieso nicht mehr zu denken war, beschloss Tann, zu ihm zu gehen. Isaac beobachtete schweigend, wie er näherkam und sich neben ihn auf den Boden setzte, obwohl Tann einen Hocker dem kalten Holzboden jederzeit vorgezogen hätte.

 
Um sie herum war der gesamte Stamm noch immer im Tiefschlaf, weshalb Tann den Anderen flüsternd fragte: „Kannst du nicht schlafen?“
     „Nein.“
     „Ich schlafe bei so einem Lärm auch immer schlecht.“
     „Ich schlafe normalerweise eigentlich bei allem Lärm, aber scheinbar nicht bei solch einer Kälte wie sie hier herrscht, wie ich feststellen musste. Deswegen wollte ich eigentlich auch nicht hierbleiben. Ich wollte niemanden wecken, nur weil ich nicht schlafen kann. Im Wirtshaus habe ich meinen eigenen Raum, da stört das niemanden.“
     „Das wusste ich nicht. Tut mir leid!“, meinte Tann betroffen. „Ich hätte dich nicht überreden sollen, hierzubleiben.“
     „Mach dir keine Gedanken.“

Stille breitete sich jetzt zwischen ihnen aus. Isaac sah ins Feuer, dass seine Augen wieder leuchteten, und Tann beobachtete ihn dabei eine Weile, bis ihm das auffiel und er sich darauf besann, damit aufzuhören.
     „Also warme Milch mit Honig soll ja helfen“, sagte er in die Stille hinein.
     „Wie bitte?“
     „Beim Einschlafen, meine ich. Mir hat das ja noch nie geholfen, aber vielleicht hilft es dir ja.“
     „Ich werde es versuchen. Danke.“
     Wieder gingen die leuchtenden Augen von ihm weg, zum Feuer hin, also wechselte Tann schnell das Thema, bevor der Andere völlig in seine Gedanken abdriften konnte.

„Und das mit deinem Sohn?“
     „Mein Sohn? Ich habe keinen Sohn mehr, schon vergessen?“
     „Ja, genau das. Das war ziemlich groß von dir, ihn gehen zu lassen.“
     Ein abgebrochenes Lächeln auf Isaacs Gesicht. „Nun, ich hatte ja kaum eine andere Wahl.“ Pause. „Immerhin scheint er mir gegenüber jetzt nicht mehr ganz so feindlich eingestellt zu sein. Hoffentlich...“
     „Aber es macht dich trotzdem traurig.“

Isaac wandte abrupt den Kopf ab. „Natürlich macht es das! Ich bin schließlich hergekommen, um ihn nach Hause zu holen. Oder mich wenigstens mit ihm zu versöhnen. Als Vater und Sohn. Doch so sollte es nun einmal nicht sein. Jetzt hat er einen anderen Vater... Vielleicht ist das aber auch besser so. Vielleicht ist das eine Chance für mich, mit ihm neu zu anfangen. Ich hoffe nur, dass dieser Lu wenigstens ein besserer Vater für ihn ist, als ich es war.“
     „Du scheinst wohl nicht so viel für Lu übrig zu haben, so wie du klingst.“

„Das habe ich auch nicht“, gab Isaac überraschenderweise unumwunden zu.
     „Warum? Seid ihr aneinandergeraten?“
     „Manche Leute sind einem einfach unsympathisch. Hinzukommt, dass ich wohl eifersüchtig auf ihn bin. Wegen Wulfgar.“
     Tann zögerte, nachzufragen, welchen von beiden Wulfgars er meinte, aber letztendlich war die Neugier größer und er tat es doch.
     „Beiden“, war Isaacs knappe Antwort, doch obwohl ihn das überraschte, kam Tann nicht mehr dazu, weiter nachzubohren.


„Es wird wohl Zeit, dass ich aufgebe und wieder nach Hause gehe. Immerhin weiß ich jetzt wenigstens, dass es meinem Sohn – ich meine Wulfgar – gut geht. Und dass er mich nicht braucht. Das hat er noch nie.“ Er starrte mit so leerem Blick ins Feuer, dass er völlig leblos wirkte, bevor er hinzufügte: „Eris hat mir auch schon gesagt, dass sie Heimweh hat. Sie wird sich freuen, endlich wieder nach Hause zu kommen.“
     Tann hörte das ja gar nicht gern. Er wollte nicht, dass Isaac schon fortging.
     „Wann willst du denn wieder gehen?“, fragte er nach.
     „Im Frühjahr. Im Winter zu fahren wäre Wahnsinn. Ich hoffe nur, dass Wulfgar, also der Ältere, bis dahin wieder hergekommen ist. Wenn dies nicht der Fall sein sollte, würdest du ihm dann eine Nachricht von mir überbringen?“
     „Natürlich.“
     „Danke.“ 


Er wandte sich wieder dem Feuer zu, sagte: „Du musst mir übrigens nicht Gesellschaft leisten. Du solltest besser wieder schlafen gehen.“
     Tann lächelte gequält. „Selbst wenn ich es wollte, könnte ich bei diesem Lärm nie und nimmer einschlafen.“
     Isaac erwiderte das Lächeln mitfühlend, und dann verbrachte Tann eine weitere Nacht ohne Schlaf, wie schon beinahe die ganzen beiden Nächte zuvor. Aber immerhin war er diesmal nicht allein. 

 
Am nächsten Morgen lagen auch Jin, Luis und Jana flach. Doch während es den Neuerkrankten relativ gut ging, war bei Lu noch immer keine Besserung zu sehen. Es ging ihm sogar so schlecht, dass er kaum aufstehen konnte.
     Dennoch ließ er sich nicht dazu überreden, liegen zu bleiben, da ihm vom dauernden Liegen alles wehtat, wie er sagte.
     Also ließen sie ihn aufstehen, damit er sich die Beine vertreten konnte, und als er gerade nach hinten geschlurft war, um sich über einem Eimer zu entleeren, war ein Geräusch zu hören, als würde jemand an der Türe klopfen. Zunächst dachten sie alle, dass es nur der Sturm war, der an der Tür rüttelte. Nachdem Isaac gestern Abend hergekommen war, hatten sie sie verrammelt, da sie von dem inzwischen noch heftiger wütenden Sturm immer wieder aufgerissen worden war.
     Doch das Geräusch hörte nicht auf, wurde sogar zunehmend lauter, also ging dann doch mal jemand hin, um nachzuschauen.

 
Lu kam gerade aus dem Hinterzimmer geschwankt, als die verschneite Gestalt ins Innere huschte. Die Tür wurde hastig wieder zugezogen und verriegelt, und der Neuankömmling war nun erstmal damit beschäftigt, sich den Schnee aus den dicken Kleidern zu klopfen und sich aus ebenjenen zu schälen.
     Doch selbst nachdem er das getan hatte, erkannte Lu ihn noch immer nicht. Erst das raue Lachen, das irgendwann zu ihm drang, sagte ihm schließlich, wer da angekommen war.


Tatsächlich ging Tanns Zeigefinger kurz darauf in seine Richtung und kam Wulfgar an. Und nicht etwa sein neuer Sohn, sondern der andere. Der Ältere. Der, der einst sein gewesen war.
     Schon beim Näherkommen bemerkte Lu, dass er anders aussah. Von dem krausen Bart, auf den er immer so stolz gewesen war, waren nur noch ein paar längere Stoppeln übrig. Und als er schließlich vor ihm zum Stehen kam, voller Elan und Schwung, war es Lu beinahe, als hätte er einen jüngeren Wulfgar vor sich. Den, der einst vor langer Zeit von hier aufgebrochen war, um die Welt zu bereisen. Den, den er damals nicht aufgehalten hatte.
     Er schaffte es, ein schwaches Lächeln zustande zu bringen. „Wulf.“
     „Hey, wenn das nicht Lu ist!“
     Es war genau das, was er einst gesagt hatte, als er damals von seiner Reise wiedergekommen war und sie sich erstmals wiedergesehen hatten.


„Entschuldige, dass ich von unserer früheren Unterhaltung abweiche, aber was hast du getan? Du siehst so merkwürdig aus“, musste Lu trotz seines geschwächten Zustandes tatsächlich kichern.
     „Hey, du hast doch immer gesagt, dass dich mein Bart nervt.“
     „Ich wollte aber nie, dass du ihn abschneidest.“
     „Naja, okay, es ist einer kleinen Auseinandersetzung zuzuschreiben. Doch ich schwöre dir, dass ich dabei niemanden umgebracht habe!“, beeilte Wulfgar sich, klarzustellen. 

 
„Ich habe niemanden mehr getötet“, fuhr er inbrünstig fort, „und ich habe niemanden mehr verletzt. Ich schwöre es! Du kannst gerne Luna fragen, wenn du willst. Also… sie ist gerade noch bei Anya und Elrik, aber ich musste herkommen, weil ich dich unbedingt sehen wollte. Und wenn der Sturm dann nachlässt und ich sie geholt habe, kannst du sie fragen.“
     Er legte sich eine Hand aufs Herz und erklärte feierlich: „Ich habe mir geschworen, nie wieder jemanden zu verletzen. Ich werde nie wieder eine Waffe in die Hand nehmen. Selbst wenn es meinen Tod bedeutet. Ich werde dir zeigen, dass ich mich ändern kann. Für dich.“
     Als Wulfgar nichts mehr sagte, kam Lu in Zugzwang. Aber er hatte momentan nicht einmal die Kraft dazu, um noch viel länger auf den Beinen zu bleiben. 

 
„Wulf… können wir später darüber reden?“, bat er schwach.
     Da fiel auch seinem Gegenüber endlich auf, dass etwas mit ihm nicht stimmte.
     „Was ist los? Du bist ja totenblass!“
     „Ich bin nur ein bisschen krank. Erkältet. Aber du solltest dich jetzt auch nicht mit mir befassen. Da ist jemand hergekommen, den du bestimmt sehen willst“, lenkte Lu ab.


 Wulfgar sah ihn irritiert an, und er sah auch noch so aus, als Lu auf Isaac wies, der die Szene bislang mit ausdrucksloser Miene aus dem Hintergrund heraus verfolgt hatte und der nun erschrocken zusammenzuckte, als sich Wulfgars Aufmerksamkeit ihm zuwandte. Der brauchte aber erst einen Moment, um überhaupt zu erkennen, wen er da eigentlich vor sich hatte.
     „Isaac?“, riet er.


 Da kam Isaac schließlich auf ihn zu, inzwischen ein Lächeln auf seinen Lippen, und weil Wulfgar ihm entgegenkam, trafen sie sich auf halber Strecke. Auf Wulfgars Gesicht war nun ebenfalls Freude ausgebrochen und er umarmte den alten Freund herzlich.
     „Isaac! Mensch, ist das schön, dich mal wiederzusehen!“
     Isaac lächelte nur und antwortete ihm nicht. Erst, als Wulfgar sich von ihm löste, tat er wieder etwas. Er hielt Wulfgars Arme fest, klammerte sich regelrecht daran.
     „Wulfgar…“

Plötzlich waren die Augen, die immer geleuchtet hatten, groß und voller Tränen. Das Lächeln, das er all die Jahre über getragen hatte, zerbrach.
     „Sie sind tot, Wulfgar!“
     Er weinte. Die Tränen, die er seit ihrem Tod zurückgehalten hatte, kamen nun alle mit einem Mal.
     „Mutter, Vater, Kane und… und Shana! Sie sind alle tot! Sie sind alle gegangen! Sie haben mich alle alleingelassen! Ich konnte nichts tun! Ich… ich…“

Seine Stimme brach und seine Knie gaben nach, sodass Wulfgar ihn festhalten musste, ihn behutsam zu Boden gleiten ließ, wo Isaac schließlich seinen Griff von ihm löste und das Gesicht in den Händen verbarg. Wulfgar hatte seine anfängliche Überraschung inzwischen hinter sich gelassen und strich seinem Freund behutsam über den Rücken.
     „Ich konnte sie nicht beschützen! Und dabei bin ich doch der Älteste! Das ist doch meine Aufgabe gewesen! Aber ich habe versagt! Ich bin nutzlos! Ich konnte niemanden beschützen!“
     Seine Worte gingen in Schluchzern untern, und eine Weile war das alles, was von ihm kam, bis er es schließlich schaffte, sich wieder zusammenzureißen und aufzuraffen.


 „Entschuldige… Es geht schon wieder“, schniefte er und fuhr sich noch ein letztes Mal über die Augen. „Könnte ich kurz mit dir unter vier Augen reden? Ich… muss dir etwas erzählen.“
     Wulfgar nickte, wies Isaac, in die Küche zu gehen.

Und zurück blieben ein ziemlich verstörter jüngerer Wulf und Tann, der noch immer den überwältigenden Schmerz des Verlustes in sich spürte, der ihn mit einem Mal die Brust zerrissen hatte wie an dem Tag, als Diana gestorben war.

 
Das Vorzimmer, das sie als Küche nutzten, war kein wirklich abgeschlossener Raum, weshalb es nur unzureichend Privatsphäre bot. Aber es musste ausreichen. Draußen tobte unbeirrt der Sturm und er war glücklicherweise laut genug, um ihre Stimmen vor den anderen Hausbewohnern zu verbergen.
     Es war noch immer eine leichte Glut im Ofen zu sehen, die eine angenehme Wärme im Raum verteilte. Der Geruch von gebackenem Brot und Essen lag in der Luft. Das alles war Wulfgar nur zu gut vertraut. Es war sein Zuhause, und er musste feststellen, dass er das Gefühl von Heimat vermisst hatte. 

 
Nur Isaac passte irgendwie nicht in diese vertraute Bild von Heimat. Isaac war für ihn immer die Ferne gewesen. Ein lange zurückliegender Abschnitt voll Reue und Fernweh. Vergangenheit.

Nachdem er einen Moment mit Schweigen zugebracht hatte, drehte sich Isaac schließlich um und fragte in seiner Muttersprache: „Erst einmal: Verstehst du mich noch?“
    „Es ist zwar lange her, aber ja“, antwortete er ein bisschen holprig in derselben Sprache.
    Er hatte sie einst gelernt, in dem Glauben, dass er mit seiner Ziehtochter Mari für immer auf der Insel bleiben würde, auf der sie gesprochen wurde. Doch dann war ja alles ganz anders gekommen.
     „Gut“, fuhr Isaac gefasst fort. „Ich glaube nämlich, dass es besser ist, wenn nicht gleich das ganze Haus mitbekommt, was ich dir erzählen will. Ich weiß nicht, ob es dir etwas ausmachen würde, aber… nun, ich will einfach sichergehen. Zunächst jedoch: Das gerade eben tut mir leid. Ich wollte dich nicht mit meinen Problemen belästigen.“


„Schon gut. Dafür sind Freunde ja da.“ Er stockte, rang sich durch, hinzuzusetzen: „Wenn wir überhaupt noch Freunde sind, meine ich. Wir sind ja nicht gerade im Guten auseinandergegangen.“
     „Natürlich sind wir noch Freunde! Es war falsch von mir, dass ich dich damals dafür verurteilt habe, dass du Maris Tod gerächt hast, und das tut mir auch leid, Wulf. Ich hatte ja keine Ahnung, was du durchgemacht hast, als du deine Tochter verloren hast. Ich hätte an deiner Stelle wahrscheinlich dasselbe getan.“
     „Das hättest du nicht, und das weißt du. Und deine Worte damals waren mehr als gerechtfertigt.“

Nachdem Wulfgar seine Mari an zwei Menschenfresser verloren hatte, war er losgegangen, um Rache zu nehmen. Damals hatte er das erste Mal getötet, und es war ihm egal gewesen.   
     Die meisten Männer aus Isaacs Heimatdorf Lao-Pao hatten ihn dabei begleitet gehabt, sie hatten das Dorf der Menschenfresser angegriffen, und er hatte den Jungen gejagt, wegen dem Mari gestorben war und ihm in die Augen gesehen, als er sein Leben beendet hatte. Aber er war nicht der Einzige gewesen, der an diesem Tag gestorben war.  

Isaac, der nicht an dem Massaker teilgenommen hatte, war danach zu ihm gekommen und hatte gesagt: „Wie viele davon hast du getötet, Wulfgar? Wie viele Männer? Wie viele Frauen? Und wie viele Kinder, hm?“ Er hatte es voller Abscheu gesagt, und er hatte das zu Recht getan.
     Danach war Wulfgar gegangen, hatte einfach alles hinter sich zurückgelassen. Die Insel, auf der er einige Jahre gelebt hatte, das Dorf, die Menschen, und sein Gewissen.


 „Ich habe danach noch viele unverzeihliche Dinge getan“, erzählte er geradeheraus. „Habe jahrelang meinen Lebensunterhalt damit verdient, Leute umzubringen, und es hat mich nicht im Geringsten berührt. Ich war kalt und gewissenlos, und ich hätte mich beinahe selbst verloren. Und selbst jetzt, vor kurzem, habe ich wieder getötet. Ich bin also alles andere als ein guter Mensch. Derjenige, den du damals kennengelernt hast, existiert schon lange nicht mehr, Isaac.“

Der Andere betrachtete ihn eine Weile schweigend. Er hatte denselben Gesichtsausdruck, den auch Lu damals gehabt hatte, als er ihm die Wahrheit über seine Vergangenheit erzählt hatte. Was noch verstärkt wurde, da Isaac beinahe dieselben Augen hatte wie sein ehemaliger Gefährte. Man sah, dass es ihn mitnahm.
     Lu hatte damals dann irgendwann gesagt, dass alles gut sei, solange er nur bereue, was er getan hatte. Heute wusste er, dass mitnichten alles gut gewesen war bei Lu, doch damals hatte er es geglaubt und war erleichtert gewesen, dass seine Angst, sein Gefährte könne ihn verurteilen, scheinbar völlig umsonst gewesen war.

Isaac aber sagte stattdessen ernst: „Das tut mir ehrlich leid für dich, dass du auch danach noch so viel hast durchmachen müssen.“
     „Hast du mir gerade nicht zugehört?“
     „Doch. Aber du hast etwas Schreckliches erfahren, Wulf. Da ist es nur verständlich, dass du dich danach verändert hast. Jeder hätte das getan. Und jeder macht einmal Fehler. Doch du bereust es, das sehe ich. Du bist nach wie vor ein guter Mensch, sonst würdest du nicht das Gegenteil behaupten.“
     Wulfgar starrte ihn einen Moment lang überfordert an, bevor er den Kopf schüttelte und befand: „Du hast dich gar nicht verändert, weißt du das?“
     Isaac lächelte bitter. „Ich wünschte, es wäre so, aber die Jahre gehen an niemandem spurlos vorüber.“

„Was wolltest du mir eigentlich sagen?“, wechselte Wulfgar das Thema.
     Und da sah Isaac mit einem Mal so aus, als wäre er lieber ganz woanders.
     „Wollen ist das falsche Wort dafür. Ich war dafür, dass du es nicht erfährst, doch Kane hat mich vor seinem Tod noch schwören lassen, dass ich es dir erzähle, wenn ich dich eines Tages wiedersehen sollte. Es… geht um Mari und den Menschenfresser, den du getötet hast.“

Wulfgar versteifte sich. Wenn Isaac ernst ausgesehen hatte, war die Situation wirklich immer irgendwie am Brennen gewesen.
     „Du weißt ja, dass unsere Leute das Dorf der Menschenfresser angegriffen haben und wir sie besiegt haben. Du warst ja dabei. Seitdem herrschen wir quasi über sie. Einige von ihnen sind sogar zu uns auf die Insel gezogen, andere von uns wiederum aufs Festland in ihr Dorf, wobei natürlich das Menschenfressen verboten wurde. Jedenfalls haben wir seitdem einen regen Austausch miteinander, und ich bekam die Möglichkeit, mit der Familie des Jungen zu reden, den du getötet hast.“

„Ich weiß, dass du das wahrscheinlich nicht hören willst, aber… sein Name war Elay. Er war ein ängstlicher, ruhiger Junge und ein Außenseiter in seinem Dorf, weil er das Menschenfressen verabscheute. Doch er hatte keine andere Wahl, wenn er in seiner Heimat bleiben wollte, und wegzulaufen, das hat er sich nicht getraut. Aber er hat es versucht. Immer und immer wieder.“

„Und dabei hat er irgendwann Mari getroffen, als wir sie für ihr Aufnahmeritual aufs Festland geschickt hatten.
     Du weißt ja selber, wie groß Maris Angst vor den Menschenfressern immer gewesen ist, seitdem wir damals von ihnen gefangen genommen worden waren.“

„Aber trotzdem hat sie das Gespräch mit ihm gesucht, anstatt wegzulaufen oder ihn anzugreifen. Und sie haben sich auf Anhieb verstanden, als Mari von seiner Abneigung gegen das Menschenfressen erfuhr. Sie wollte ihm helfen, wollte, dass er das Dorf verließ, aber er hat sich nach wie vor nicht getraut. Sie ist immer wieder heimlich zum Festland gefahren, um ihn zu treffen, und irgendwann ist daraus Liebe geworden.“ 

 
„Sie hat ihn geliebt, Wulf. Und er sie. Und das war noch nicht alles.“
     Wulfgar fühlte sich jetzt schon elend und es wurde nicht besser, als Isaac jetzt eine Pause machte, um ihn gequält anzusehen.

„Sie ist schwanger von ihm geworden.“  
     Ein Schlag in Wulfgars Gesicht, in seinen Magen. Sein Herz fühlte sich zerquetscht.

 
„Als sie es erfuhr, ist sie zu ihm gegangen und hat es ihm erzählt. Daraufhin hat er schließlich zugestimmt, zu uns, nach Lao-Pao, zu kommen und dort mit ihr zusammen zu leben. Aber er wollte nicht einfach wortlos verschwinden.“

„Er ist noch einmal zurück in sein Dorf gekehrt und hat es seinem Bruder erzählt. Und das war sein Fehler. Der Bruder, ein aufsteigender, angesehener Jäger in seinem Dorf, hat es nicht verstanden und ist ihm heimlich zu Mari gefolgt.“

„Für ihn war Mari nur wie ein Stück Vieh, also hat er sie getötet, als Elay sich nicht überreden lassen wollte, wieder mit ihm zurückzukommen.“

„Und dann bist du dazwischengekommen und... den Rest kennst du ja selber.“

„Elay hat danach in den Tod gehen wollen, aber sein Bruder hat ihn nicht gelassen. Nach dem, was Kane mir erzählt hat, war er froh, dass du ihn gefunden und getötet hast.“
     „Wie kommt Kane darauf?“, hörte Wulfgar sich erstickt fragen. 

 
„Es waren seine letzten Worte. Er hat sie zu dir gesagt. Hast du sie nicht gehört?“
     Er hatte sie nicht hören wollen damals. Also schüttelte er jetzt den Kopf.
     „Er sagte immer wieder, dass sie tot ist. Dass er Mari nicht beschützen konnte und sein Leben ohne sie wertlos ist. Hat sich entschuldigt. Und er hat dich darum gebeten, ihn zu ihr zu schicken.“

Wulfgar musste erstmal verdauen, was er gerade gehört hatte. Maris Tod hatte ihn damals schwer getroffen gehabt und ihn jahrelang verfolgt. Doch dann hatte er es irgendwann geschafft, darüber hinwegzukommen. Mit seiner Vergangenheit abzuschließen. Diese alte, vernarbte Wunde nun wieder aufgerissen zu bekommen, war schwer.

Er wollte Isaac deshalb sagen, dass er einen Moment für sich brauchte, doch da tauchte plötzlich sein jüngerer Namensvetter auf. Sein Gesicht sah genauso sorgenschwer aus wie das seines Vaters.
     „Also, ich will ja eigentlich nichts mit eurem Gespräch zu schaffen haben“, meinte der Hinzugekommene, „und ich würde ja auch nicht herkommen, wenn es Lu nicht echt schlecht ginge gerade…“  
     Ein Schock löste den Nächsten ab. Er wusste, dass der andere Wulf ihn nicht wirklich mochte, das hatte er ihn schließlich immer wieder wissen lassen. Wenn er also zu ihm kam, musste es wirklich ernst sein.
     „Was meinst du damit? Was fehlt ihm?“
     „Keine Ahnung, aber er wird sterben, wenn das so weitergeht, hat der Heiler gesagt.“

Wulfgar erstarrte zur Salzsäule. „Das werde ich nie zulassen!“
     „Wenn der Schöpfer es so will, was willst du dann dagegen unternehmen?“, mischte sich Isaac ein.
     „Ich werde Lu niemals sterben lassen! Und wenn ich den Göttern dafür mein Leben opfern muss!“

Er ließ sie stehen und stürmte aus der Küche, zum Bett des Kranken. Zwar war er noch immer erschüttert über das, was er über Mari und diesen Elay erfahren hatte, aber das musste warten. Lu war momentan viel wichtiger.
     Zurück blieben der jüngere Wulf, Isaac, und eine drückende Stille. 

 
„Er hat noch immer so ein gutes Herz, dass er selbst sein Leben für jemand anderen geben würde“, brach Isaac sie schließlich gedankenverloren.
     Wulf schwieg dazu nur. Er hätte ihm am liebsten ins Gesicht gesagt, dass er es nicht nur irgendwem geben wollte, sondern dem Mann, den er liebte. Er wollte sagen, dass er gegen Lu keine Chance hatte und dabei höhnisch grinsen. Aber letztendlich blieb er ruhig. Isaac war nicht länger sein Vater, und damit war er ihm egal. Sollte er ruhig gegen geschlossene Türen rennen. Schlimm genug, dass er selber diesen Wulfgar quasi um Hilfe hatte bitten müssen, damit sein Vater, Lu, ihm nicht starb. Schlimm genug, dass Lu anscheinend noch immer so sehr an ihm hing.
     Doch eigentlich sollte ihm das alles mit Isaac jetzt egal sein. Warum also war er noch gleich hier?  

 
Also ließ er den Älteren stehen und ging zur Feuerstelle zurück, wo er mitten in eine Unterhaltung zwischen Rahn, Akara und Nero platzte. 
     Und als Isaac das sah, wie sein Sohn, der nicht mehr sein Sohn war, ohne Probleme und unbeschwert mit anderen redete, als er sah, dass er ein Teil des Stammes war, wurde ihm klar, dass er selber nicht hierher gehörte. Dass er hier nicht mehr gebraucht wurde. Er hatte alles getan, was er hatte tun wollen – hatte Wulf gefunden, sich versichert, dass es ihm gutging und Wulfgar dem Älteren seine Nachricht überbracht – und alles, was er jetzt noch tun konnte, war, zu warten, bis der Frühling kam und er wieder nach Hause gehen konnte. Hier war kein Platz mehr für ihn.

Diese Erkenntnis traf ihn schwer, aber es brachte nichts, sich ihr zu verschließen. Also drehte er ab und ging zum Ausgang, ohne sich auch nur von irgendwem zu verabschieden. Es war Zeit, zum Handelsposten zurückzukehren.

Er war gerade einmal bis zur Tür gekommen, hatte sich die Handschuhe angezogen und den Schal umgebunden, als Tann ihn erreichte. „Mein Beileid wegen deiner Familie.“
     „Danke. Das ist nett von dir.“
     „Wenn du jemals jemanden zum Reden brauchst…“
     „Danke“, wiederholte er. „Ich weiß das zu schätzen. Aber ich komme zurecht.“
     Er neigte den Kopf zum Abschied, wollte gehen, doch Tann sagte ihm: „Ich dachte auch, dass ich zurechtkommen würde, nachdem ich beinahe meine Familie verloren hätte. Aber das bin ich nicht. Wenn Lu und Tanna mir damals nicht geholfen hätten…“ Er schüttelte den Kopf, fügte hinzu: „Mach nicht denselben Fehler wie ich und glaube, dass du alles allein ertragen musst. Ich bin gern als Freund für dich da, wenn du das möchtest. Ich weiß, wie schwer es ist, seine Familie zu verlieren. Zu glauben, nicht mehr gebraucht zu werden…“

„Ich werde vielleicht darauf zurückkommen“, erwiderte Isaac, „aber nicht heute. Heute will ich allein sein.“
     „Bist du sicher? Wulfgar ist gerade erst angekommen, und ihr habt euch ewig nicht mehr gesehen.“
     „Ich weiß. Doch ich will ihn im Moment auch nicht sehen. Er erinnert mich an alles, was ich verloren habe. An die glücklichste Zeit meines Lebens, die niemals wiederkommen wird.“

 
Tann war sich nicht sicher, ob er das verstand, aber er nickte trotzdem und sah dann zu, wie Isaac das Haus verließ und in die Helligkeit des Schneesturms, der glücklicherweise just etwas nachgelassen hatte, hinausging. Vollkommen allein.
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Hoffentlich habe ich allen Wulfgar-Lesern jetzt ihre Frage beantwortet, was Mari eigentlich mit den Menschenfressern im Wald gemacht hat. Das war wieder so eine Sache wie damals mit Anya und Rahn, die eigentlich nur so nebenbei erwähnt werden sollte und bei der ich gar nicht bedacht hatte, dass das die Leser doch mehr interessieren könnte, als ich gedacht hätte. 
 
Wie ihr vielleicht bemerkt habt, habe ich jetzt auch endlich mal den Alibi-Strand aus Isla Paradiso verlassen, der bislang als einzige Kulisse für die Insel Lao-Pao herhalten musste und habe mir eine ordentliche Welt ohne Straßen und störende Sendemasten im Hintergrund rausgesucht (die waren echt manchmal richtig penetrant im Bild). Jedenfalls hat es da sehr gut gepasst, als ich nach der Wiedereröffnung des Simszoos über diese Welt von mammut gestolpert bin: Nimmerwald.
     Als ich die sah, wusste ich sofort, DAS ist Lao-Pao! Ich hatte eigentlich nicht vor, dieses Dorf jemals aufzubauen, aber da ich eigentlich gedenke, noch ein paar Bilder dort aufzunehmen, habe ich vor, das jetzt doch mal zu versuchen. Ich weiß übrigens nicht, ob ich das hier schon mal erzählt habe (bin mir echt nicht sicher), deswegen seht es mir und meinem schlechten Gedächtnis nach, falls ich mich hier zum x-ten Mal wiederhole. 
 
Hier habe ich jedenfalls noch ein paar Bilder, die ich dort aufgenommen habe, weil ich die Szenerie so wunderschön fand:
 

 Elay, Mari, Isaac und Wulfgar sind nach dem Bilderschießen zum Strand runtergegangen (und Isaac und Mari haben sich für die Bilder sogar extra angezogen). Ich hab die ganze Insel auch schon verplant, wo ich was hinbaue, und hier wäre der Strand, wo sie zuallererst angespült wurden nach ihrer Flucht.
     Ich liebe Elay und Mari zusammen ja total. Elay ist an sich ziemlich niedlich geworden, finde ich.
 

Hier mal an der Stelle, die ich persönlich am schönsten auf der Insel finde: Der Wasserfall (ich bin nur leider total die Niete darin, seine Schönheit auch ordentlich zur Geltung zu bringen).
 

Wunderschön finde ich auch die genau andere Seite der Insel. Rechts möchte ich dann noch ein paar mehr Bäume hinstellen, um den Dschungel zu machen, der das Dorf umgibt.
 

 Elays Bruder wurde nach den Aufnahmen dann auch von der Insel verbannt (sein Heimatdorf liegt ja eh nicht auf der Insel, sondern auf dem Festland, auch wenn ich die Festlandaufnahmen alle auf der Insel gemacht hab).
 

Ach, das sieht so großartig aus. Als würde das Meer immer weiter gehen. Ich bin ja sonst nicht so der Sommer-Sonne-Insel-Typ, aber da kommt so richtiges Inselfeeling auf, wenn ich das sehe. Ich liebe diese Welt! Sie ist einfach wunderschön
💗.
 

 Und für alle, die jetzt meinen, ich quäle hier arme Sims, indem ich sie ins Nirvana schwimmen lasse: Elays Bruder ist irgendwann umgedreht und mit dem Wassertaxi zurückgekommen (als ich nicht hingeguckt habe). So, jetzt aber genug davon, zurück zum Wesentlichen:
 
Jetzt ist Wulfgar also zurückgekehrt (worauf wahrscheinlich schon einige von euch gewartet haben), aber nächstes Mal geht es trotzdem erstmal woanders weiter. Wo ganz unerwartetes. Denn da werden wir erfahren, wo Lulu eigentlich während des Sturms war (dass sie gar nicht da war, hat wahrscheinlich nicht mal jemand gemerkt, was?).
 
Bis dahin, danke ich euch fürs Vorbeischauen, passt auf euch auf, und ich verabschiede mich!