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Mittwoch, 11. November 2020

Kapitel 126 - Vater

 
Sie brauchten keine Stunde mehr, um den Pass zum Tal zu finden, in dem Jade lebte und Wulf momentan Dauergast war. 
     Jades ständiger Begleiter war dabei eine nagende Angst, dass Nila hinter irgendeinem Baum oder aus einem Busch auftauchen würde, um doch noch zu Ende zu bringen, was sie sich sicher war, er vorgehabt hatte: Sie, die Zeugen seines Mordes an Lin aus dem Weg zu räumen. Doch sie blieben glücklicherweise sowohl von ihm als auch von weiteren Schneefällen verschont.

Aber beim alten Wachposten von Wotan und Garrus trafen sie dafür auf Reinard, der dastand, als hätte er sie erwartet. Da war nicht einmal Sorge oder Erleichterung in seinem Gesicht zu sehen, dass seine frischgetraute Ehefrau wiederaufgetaucht war. Er hatte sich sogar umgezogen. Wahrscheinlich war er nach ihrem Verschwinden einfach nach Hause gegangen und hatte die Nacht, die sie in klirrender Kälte um ihr Leben gekämpft hatten, in seinem warmen Bett verschlafen.
     Sein Anblick erinnerte sie an etwas, das sie bislang erfolgreich verdrängt hatte. Sofort bildete sich ihr ein Knoten im Magen.

„Da bist du ja endlich“, begrüßte er sie gelangweilt, vielleicht sogar eine Spur genervt. „Wo bist du die ganze Zeit gewesen?“
     Jade wusste nicht, ob es klug war, ihm alles zu erzählen, aber er war schließlich ihr Mann und sie würde von nun an mit ihm leben müssen. Also musste sie ihm doch auch Vertrauen entgegenbringen. Oder?
     „Dein Bruder… Lin… er hat mich entführt, um mich zu heiraten.“
     „Und wo ist er jetzt?“, fragte er, als ob das noch immer keine große Sache wäre und ohne auch nur nach ihrem Befinden zu fragen.
     „Er ist…“

„Tot“, fiel jemand ihr ins Wort. „Ich habe ihn getötet, das habe ich dir doch schon gesagt.“
     Jade gefror das Blut in den Adern, als sie Nilas Stimme hörte. Sofort sprang sie zurück zu Wulf, der sich auch gleich schützend vor sie stellte.
     „Du!“, rief ihr Beschützer wütend. „Du hast uns ebenfalls töten wollen!“

„Mach dich nicht lächerlich!“, wies Nila seine Anschuldigung lapidar zurück. „Ich habe euch befreit und wollte euch nach Hause bringen, aber du hast mich ja niedergeschlagen und bist einfach mit Jade abgehauen.“
     „Warum solltest du so etwas tun? Du hast diesem Kerl erst geholfen, uns zu entführen, dann tötest du ihn, um uns zurückzubringen? Das ergibt keinen Sinn!“
     Nila warf einen auffordernden Blick zu Reinard, der allen auffiel, den Reinard jedoch geflissentlich ignorierte.

Nila stöhnte genervt, erklärte: „Alle sagen, dass ich mit den Räubern und dieser dämlichen Entführung von Roah zu tun habe, aber das stimmt nicht. Lin hat immer von denen gefaselt, bevor er einfach vom Erdboden verschwunden ist. Und als er dann plötzlich ankam und meine Hilfe wollte, dass ich Jade rauslocke, damit er sie sich schnappen kann, dachte ich, mache ich mit, um zu beweisen, dass er es ist, der mit den Räubern unter einer Decke steckt und Roah entführt hat. Deswegen habe ich ihn ja auch dauernd dazu bekommen wollen, euch „an die Räuber zu verkaufen“, damit er zugibt, mit ihnen zu tun zu haben. Ich hätte dir aber natürlich bei der Flucht geholfen, Jade, bevor er dich mitgenommen hätte. Es hätte auch alles geklappt, wenn du nicht dazwischen gekommen wärst“, sagte er anklagend in Wulfs Richtung.
     „Lin wollte dich abmurksen“, fuhr er fort. „Er hat’s mir zugeflüstert, als wir unterwegs waren. Meinte, dass es zu gefährlich ist, falls du dich befreien kannst und wieder hierher zurückkehrt, um allen zu erzählen, dass er Jade entführt hat. Ich wollte Lin nicht töten, aber ich habe dir dein Leben gerettet, verdammt! Also solltest du lieber ein bisschen dankbarer sein und das für dich behalten, was ich wegen dir gezwungen war, zu tun! Ihr alle beide solltet das!“

Obwohl Jade ihm seit gestern keinen Meter weit mehr traute, war sie sich ziemlich sicher, dass er die Wahrheit sagte. Teilweise zumindest. Denn er verheimlichte etwas. Das konnte sie sehen. Doch sie war sich ziemlich sicher, dass er sie tatsächlich nicht hatte töten wollen.
     Sie warf einen Blick zu Wulf, um zu sehen, was er darüber dachte, aber der strich sich gerade nur übers Gesicht und stöhnte gequält. Er sah mit einem Mal zerstreut aus, obwohl er einen Moment zuvor noch scharfen Verstandes gewesen war.
     „Und ich dachte, du würdest uns töten wollen“, machte er plötzlich eine Kehrtwendung. „Mann, tut mir echt leid. Ich war so weggetreten gestern. Ich brauch jetzt erstmal was zu trinken.“   

Reinard, der sich bislang schön rausgehalten hatte, als würde ihn das alles nichts angehen, bot ihm daraufhin einen ihrer guten Weine an, und auch Nila wirkte zufrieden. Sie kauften es Wulf tatsächlich ab, dass er den Betrunkenen spielte. Sie musste ja zugeben, dass er das gut machte. Aber sie hatte ihn durchschaut. Er war anders als gestern, wo er wirklich betrunken gewesen war. Hinter diesem provokanten Kerl steckte mehr, als es den Anschein hatte. Er war genau wie sie früher.
     Wie viele Leute er auf diese Art wohl schon für sich manipuliert hatte? Und wie oft er das wohl schon mit ihr getan hatte?
     Doch sie kam nicht mehr dazu, das weiter zu ergründen, da der Wind plötzlich heftig auffrischte und einen wahren Schneesturm herantrug, der sie dazu zwang, überstürzt zu ihrem neuen Zuhause zu fliehen.
     Zum Tod seines Bruders verlor Reinard übrigens kein Wort mehr, bat Wulf und Jade nur darum, die Schande, die Lin über sich und seine Familie gebracht hatte, für sich zu behalten, und vor allen Dingen seiner Mutter die Trauer über den Tod des Sohnes zu ersparen und so zu tun, als sei Lin weggelaufen.

Es schneite kurz darauf also schon wieder – die Götter hatten ihnen nur eine kurze Verschnaufpause gegönnt – und der Wind sollte heute noch schlimmer werden, wenn man der Aussage ihres Sehers trauen konnte. Und Luis hatte sich bislang noch nie mit seinen Vorhersagen geirrt.
     Leider hatte er aber nichts darüber gesehen, was denn nun mit den Vermissten passiert war. Mit Jade und Wulf, die gestern Abend noch verschwunden waren. Und Nila. Natürlich. Ihr größtes Sorgenkind.

Deshalb war Malah auch mehr als erleichtert, als sie ihren verschwundenen Bruder gegen Nachmittag endlich heimkehren sah. Die Suchtrupps waren vor kurzem wieder zurückgekehrt, und sie machten sich gerade daran, den Hof für das Unwetter zu wappnen, während Jin und Dana sich trotz des herannahenden Sturms für eine weitere Suche bereit machten.

„Nila! Da bist du ja!“, empfing sie ihn wütend, bevor jemand anderes auf ihn aufmerksam werden konnte. „Wo bist du gewesen? Weißt du eigentlich, dass Jade und unser Besucher verschwunden sind? Alle glauben, dass du sie entführt hast! Wie Roah!“
     „Na klar! Es denkt ja auch niemand daran, dass ich einfach mal nach ihnen gesucht haben könnte!“
     „Wo warst du, Nila?“
     „Das habe ich doch gesagt! Ich habe nach ihnen gesucht, und sie sind mir auch über den Weg gelaufen. Also keine Sorge, Jade ist jetzt da, wo sie hingehört, und dieser Fremde lässt sich drüben bei den Ahns noch volllaufen, bevor er wieder herkommt.“
     „Wirklich?“
     „Ja. Danke für das Vertrauen!“, schnappte er patzig.

Er wollte sie stehen lassen, aber sie griff nach seinem Arm und hielt ihn zurück. Eindringlich sah sie ihrem Bruder in die grauen Augen und fragte: „Nila, bitte, sei ehrlich zu mir: Hattest du was mit den Räubern zu tun? Oder mit Roahs Verschwinden?“
     Er riss sich aufgebracht los und fauchte: „Nein!“
     „Und auch sonst ist alles in Ordnung? Es gibt nichts, was du mir erzählen willst?“
     „Als ob ich dir irgendetwas erzählen würde!“, gab er herablassend zurück.
     „Nila, du bist mein Bruder, und ich liebe dich, das weißt du, oder? Du kannst immer zu mir kommen, wenn etwas ist.“

„Ja, Stammesführerin! Kann ich jetzt gehen?“
     „Weißt du wenigstens, was passiert ist? Warum Jade und Wulf verschwunden waren, meine ich.“
     „Keine Ahnung! Frag sie doch selber!“
     Dann ließ er sie stehen, und Malah war einfach nur erleichtert, dass wenigstens diese Sache gut ausgegangen war. Dass wenigstens diese Verschwundenen unbeschadet wieder aufgetaucht waren. Und dass ihr Bruder nichts damit zu tun hatte. Augenscheinlich. Denn irgendwie war da immer noch dieses ungute Gefühl in ihrem Bauch, dass etwas mit Nila nicht stimmte. Dass er etwas verheimlichte.
     Doch sie sollte nicht mehr dazu kommen, die Betroffenen danach zu fragen, da sie bald schon ganz andere Sorgen hatte, die sie ablenkten. Sie konnte ja nicht wissen, welch dunklen Pfad ihr Bruder beschritten hatte. In was für Schwierigkeiten er sich gebracht hatte.

Während alle noch damit beschäftigt waren, den Hof sturmsicher zu machen, war Tann aufgefallen, dass Lu fehlt. Und als nicht einmal Tanna, die seit der Rückkehr ihres Bruders viel Zeit mit ihm verbrachte, wusste, wo er sich aufhielt, war er gegangen, um seinen Freund zu suchen.
     Er hatte schon so eine Idee, wo Lu sich aufhalten könnte. Er hatte den ehemaligen Schamanen die letzten paar Abende, wenn er zum Wirtshaus gegangen war, um sich mit Isaac zu treffen, öfter am Strand gesehen, und er hatte nicht nur einmal versucht, ihn dazu zu bewegen, mit nach drinnen zu kommen. Doch Lu hatte ihn immer nur abgewimmelt und ihn gebeten, ihn allein zu lassen.

Also ging Tann zum Strand hinunter, und tatsächlich fand er den Gesuchten dort. Er stand einfach nur da und starrte aufs Meer hinaus. Der starke Wind peitschte ihm immer wieder Wassertropfen ins Gesicht, aber er blinzelte nicht einmal.
     „Lu, was machst du denn hier? Komm nach Hause, es zieht ein Sturm auf. Isaacs Jungen und Jade haben sie auch endlich gefunden.“
     „Ich weiß. Ich habe es schon von Alin gehört, dass sie wieder aufgetaucht sind. Ich wäre schon nach Hause gekommen.“
     Er sah wieder zum Meer hin, die Augen leer und leblos, und sagte nichts mehr.
     „Was ist denn los mit dir?“, fragte Tann nach.
     „Was soll denn los sein? Nichts ist los mit mir. Es ist alles in Ordnung“, sagte er, ohne ihn auch nur einmal dabei anzusehen.

Er wandte sich ab und wollte davongehen, aber Tann bekam ihn am Arm zu fassen und zwang ihn, anzuhalten.
     „Lüg mich nicht an, Lu! Du weißt genauso gut wie ich, dass das nur eine leere Floskel ist. Ich habe das in der Vergangenheit schließlich selber oft genug zu dir gesagt, obwohl nichts in Ordnung war. Also sag mir, was los ist!“
     Er hatte Lu lange genug seinen Freiraum gelassen, dass er sich wieder fangen konnte, doch es hatte nichts geholfen. Im Gegenteil, Lu hatte sich immer mehr von allen anderen zurückgezogen, war immer stiller und bedrückter geworden. Tann kannte das ja schon von ihm; damals, bevor er Schamane geworden war, war er genauso gewesen. Nur war diesmal leider kein Schamanenposten in Sicht, und deshalb musste er jetzt für seinen Freund, der ihm in der Vergangenheit schon so oft geholfen hatte, da sein.

Als Lu sich nun wieder zu ihm drehte, war tatsächlich so etwas wie ein seichtes Lächeln in seinem Gesicht zu sehen. „Im Gegensatz zu dir will ich mich aber nicht in den Tod stürzen. Ich will leben, und ich werde leben. Wenn du es so unbedingt wissen willst, was mir fehlt, dann sage ich es dir eben: Ich bin einsam, Tann, das ist alles. Aber das ist auch normal in meiner Situation, nachdem ich jahrelang jemanden an meiner Seite hatte. Das geht vorbei.“

Er wollte wieder gehen, aber Tann holte schnell auf, stellte sich ihm jedoch kein zweites Mal in den Weg, packte nur erneut seinen Arm und zog ihn hinter sich her.
     „Das ist nicht alles, fürchte ich. Du bist fürchterlich heiß. Wir müssen dich schnell nach Hause bekommen.“

Kurz darauf brach der Sturm los und Lu wurde ernsthaft krank. Tann mutmaßte, dass die vielen langen Abende am Meer, in der Kälte, ihm nicht gut getan hatten. Er hatte Fieber und behielt nichts drin. Aber es war noch etwas anderes. Tann hatte genug von Sharla gelernt, um zu sehen, dass so eine kleine Erkältung seinem Freund eigentlich nicht so sehr zu schaffen machen sollte.

Nachdem er den Kranken untersucht hatte, der jetzt schlief, und er zum Feuer zurückgekehrt war, kam Wulf zu ihm. Er war einer der wenigen, die noch hier waren, nachdem fast alle anderen sich in die kleine Küche zurückgezogen hatten, um dem Kranken Ruhe zu gönnen.
     „Und? Wie geht es ihm?“, fragte er besorgt.
     „Überhaupt nicht gut.“
     „Was hat er denn?“
     „Ich weiß es nicht sicher. Er ist natürlich nicht mehr der Jüngste, aber am Alter wird es nicht liegen. Seine Gesundheit war bislang immer ausgezeichnet. Nur… er kämpft nicht gegen die Krankheit an, kommt es mir vor. Wenn das so weitergeht, wird er sterben.“
     Wulf schwieg erschrocken, und Tann ging es nicht anders. Dann fragte der Jüngere: „Bist du sicher?“

„Ja. Wenn er nicht bald wenigstens etwas Wasser drinnen behält…“
     „Und du kannst da gar nichts machen?“
     „Ich wüsste nicht, was. Sharla hat mir davon erzählt, dass sie sowas schon ein paar wenige Male erlebt hat. Kräftige und gesunde Menschen, die von einem Tag auf den Anderen plötzlich krank und schwach wurden und starben, obwohl sie davor nicht einmal krank gewesen waren. Weil sie von jemandem getrennt wurden, der ihnen am Herzen lag. Durch den Tod des Anderen beispielsweise.“ Er sah betroffen zu dem Kranken hinüber. „Das könnte auch Lu passiert sein, aber ich bin mir dabei absolut nicht sicher.“
     „Also… willst du mir damit sagen, dass er stirbt, weil dieser Kerl von ihm, Wulfgar, nicht mehr da ist?“
     Tann nickte. Lu hatte Wulfgar zwar verlassen, doch wie es aussah, schien er noch immer an ihm zu hängen. Anders konnte er es sich jedenfalls nicht erklären, dass der ehemalige Schamane von einem Tag auf den Anderen plötzlich sterbenskrank wurde.

Wulf, jetzt ganz blass vor Schreck, kehrte daraufhin an Lus Seite zurück. Luis saß schon an der Seite seines Vaters und betete still, Jana mit besorgtem Gesicht neben sich.   


Bevor Tann jedoch auch nur darüber nachdenken konnte, was er wegen Lus Krankheit noch unternehmen könnte, flog plötzlich die Tür auf, ein Schwall von Kälte und Schnee drang ins warme Innere, bevor sie wieder zugeworfen werden konnte. Und zum Vorschein kam ein völlig zugeschneiter Isaac. Sie hatten ihn seit zwei Tagen nicht mehr gesehen. Seitdem der Schneesturm sie hier eingeschlossen hatte.

Tann ging sofort, um den Gast zu empfangen.
     „Entschuldigt mein Eindringen“, warf Isaac eine Begrüßung in die Runde und streifte sich die Handschuhe ab. „Ich habe gehört, dass jemand krank ist.“
     Tann hatte sich gestern Nacht zum Handelsposten hinüber gekämpft, weil es Lu besonders schlecht gegangen war. Er hatte ein paar beruhigende Kräuter geholt, die ihnen ausgegangen waren, und sie hatten Lus Schmerzen glücklicherweise ein bisschen gelindert gehabt. Aber Isaac hatte er dabei leider nicht gesehen.
     „Ja, Lu ist krank“, berichtete er.
     „Schade, dass Alin keine Mangos vorrätig hatte“, sagte Isaac und klopfte sich den Schnee von den Sachen, „sonst hätte ich ihm eine ordentliche Stärkungsmedizin kochen können.“
     „Mangos?”

„Ja, das ist eine heilige Frucht, die nur bei uns Zuhause wächst. Aber ich habe trotzdem etwas zusammengestellt, nach dem, was Alin mir erzählt hat. Ich hoffe nur, dass es mit den Zutaten, die ich hier zur Verfügung hatte, überhaupt wirken wird. Ihr müsst einen Aufguss daraus herstellen und ihn ziehen lassen, bis er ganz erkaltet ist. Und jenen muss der Kranke dann trinken.“
     Er kramte einen kleinen Beutel aus seinem Mantel und übergab ihn an Dana, die damit zu Lu rüberging, der sich gerade unruhig im Schlaf wälzte. Wulf, der noch immer besorgt am Krankenbett stand, hörte sich ihre Anweisung an und ging dann, um Wasser zu kochen.

Sie sahen ihm dabei zu, bis Isaac zum Feuer ging, um sich aufzuwärmen. Tann begleitete ihn dabei und sagte ihm: „Danke, dass du hergekommen bist, um zu helfen.“
     „Du solltest mir nicht danken. Es ist reiner Eigennutz, dass er nicht stirbt. Immerhin scheint er Wulf sehr wichtig zu sein. Er ist zumindest der Einzige, auf den er hört. Naja, ich mache mich dann auch besser wieder auf den Rückweg.“
     „Es hört sich an, als ob der Sturm draußen schlimmer wird“, merkte Tann an. „Vielleicht solltest du heute Nacht lieber hierbleiben. Wir haben auch noch ein freies Bett für dich frei.“
     „Das wird nicht nötig sein. Es ist ja nur ein kurzer Weg.“
     „Trotzdem. Es wäre mir lieber, wenn du wenigstens abwartest, bis es besser geworden ist.“
     Isaac zögerte zuerst, gab aber schließlich nach. „Immerhin können wir dann unsere abendliche Tradition fortführen“, fügte er lächelnd hinzu.
     Tann musste ja schon zugeben, dass er das ein bisschen vermisst hatte. Auch wenn es erst zwei Tage her war, dass er den Anderen gesehen hatte.  

Passend zum Ende ihres Gespräches fing Lu an, Schmerzenslaute von sich zu geben, und im nächsten Augenblick hatte er die Decke von sich geworfen und saß kerzengerade im Bett. Sein Gesicht war kreidebleich und seine Augen weit aufgerissen. Wulf war sofort bei ihm, er war sogar schneller als Jana, und das war auch nötig, da der Kranke beinahe sofort entkräftet vornüberkippte, als er versuchte, aufzustehen.
     Tann ging hin, Isaac im Schlepptau, um zu sehen, was los war. Lu lächelte schwach in die umstehenden Gesichter und wollte sich dann aus Wulfs Griff befreien, aber der hielt ihn eisern fest.
     „Geht es wieder?“, fragte er den Kranken ernst.
     „Ja. Ich hatte nur einen Albtraum“, krächzte Lu schwach, das Lächeln hielt er jedoch tapfer aufrecht.. „Es ist alles gut.“
     „Wie fühlst du dich?“
     „Besser.“

„Lüg nicht!“, ging Wulf ihn plötzlich wütend an. „Du siehst scheiße aus! Leg dich wieder hin!“
     „Es geht schon. Es ist nur eine kleine Erkältung.“
     „Euer Heiler sagt, dass du dran sterben wirst, wenn das so weitergeht!“
     Schrecken bei Jana und Luis, Überraschung auf Lus Gesicht. Sein Blick wanderte vorwurfsvoll zu Tann, der den Kopf einzog, schließlich seufzte er und ließ sich von Wulf wieder ins Bett bugsieren. Er lächelte Jana, die aussah, als würde sie demnächst eine große Szene starten, aufmunternd zu.
     „Macht euch keine Sorgen um mich. So schnell sterbe ich schon nicht. Luis, vielleicht könnten du und Jana…“
     Luis verstand sofort. Er sah wesentlich gefasster aus als Jana, nach der er jetzt tastete und zu ihr sagte: „Komm, wir opfern den Göttern, dass sie Vater Gesundheit schenken mögen.“

Jana schniefte verhohlen, griff nach Luis' Hand und führte ihn zu dem neuen Raum, den sie letztens behelfsmäßig für den neuen Nachwuchs angebaut hatten. Lu vertraute darauf, dass Luis sich um sie kümmerte. Blieb nur noch Wulf. Er beugte sich zu dem inzwischen Sitzenden vor, damit nur er ihn hören konnte.
     „Du brauchst nicht traurig zu sein“, sagte er ihm. „Ich werde schon nicht sterben.“
     Jetzt, da sie allein waren, zeigte Wulf endlich die Tränen, die er so lange zurückgehalten hatte.
     „Ich will nicht, dass du stirbst, Mann! Ich… wollte dich eigentlich darum bitten, dass du mein Vater wirst“, offenbarte er.

„Aber du hast doch schon einen Vater“, merkte Lu überrumpelt an.
     Wulf wischte sich über die Augen, erlangte die Fassung über sich zurück und erklärte: „Das ist egal. Bei uns Zuhause können wir uns aussuchen, mit wem auch immer wir verwandt sein wollen. Ich kann die Bande mit meinen Verwandten kappen, wenn ich das will, und mir Neue suchen. Aber jetzt, wo du so krank bist, glaube ich, dass wir lieber eine Verbindung eingehen sollten.“
     „Was für eine Verbindung?“
     „Das tust du mit jemandem machen, mit dem du dich tief verbunden fühlst. Wir tauschen unsere Namen als äußeres Zeichen dafür, dass wir eins werden. Wir sind dann sozusagen eine Person und teilen all unser Glück, aber tragen auch all unser Leid gemeinsam. Verstehst du? Dadurch kann ich deine Krankheit mit dir zusammen tragen, und ich bin stark und gesund genug, um jede Krankheit mit Leichtigkeit zu besiegen.“

„Wirklich, Wulfgar, es rührt mich, dass du das für mich tun willst, doch ich möchte dich nicht krank machen.“
     Wulf sprang auf, rief inbrünstig: „Ich möchte das aber! Ich will dir helfen! Wenn du stirbst… Ich will nicht, dass du stirbst! Du bist mir wichtig, okay! Ich weiß auch nicht, aber da ist so ein Band zwischen uns, das ich bislang nur mit meinem Onkel hatte und das ich danach immer gesucht hab. Ich hab mich immer irgendwie allein auf der Welt gefühlt. Aber dann hab ich dich getroffen. Du bist für mich Familie. Deshalb wollte ich dich ja auch fragen, ob du mein Vater wirst. Ich kann nicht zulassen, dass du mir jetzt stirbst, wo ich endlich eine Familie gefunden hab.“

Während er Lu die Hand hinstreckte und der nichts anderes tun konnte, als ihn überrascht anzustarren, kam plötzlich Isaac hinzu. Allein sein Auftreten zauberte einen grimmigen Ausdruck auf das Gesicht des Jüngeren.
     „Tut mir leid, dass ich mitgehört habe, aber ihr könnt keine Verbindung eingehen.“ 
     „Und warum nicht?“, gab Wulf grimmig zurück.
     „Weil er kein Mitglied unserer Gemeinschaft ist“, erklärte Isaac mit Fingerzeig auf Lu. „Er huldigt nicht unserem Schöpfer und deshalb wird dieser die Bindung niemals anerkennen. Was du vorhast, wird nicht funktionieren. Glaube mir, ich wollte einst ebenfalls eine Verbindung mit jemandem von außerhalb unserer Gemeinschaft eingehen, aber es wurde mir verboten.“

Wulf sah ihn mit schmalen Augen bedrohlich an, doch Isaac ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Stattdessen streckte er nun seinem Sohn die Hand hin.
     „Aber du kannst ihn dennoch zu deinem Vater machen. Ich habe deinen Wunsch zur Kenntnis genommen, auch wenn er mich mit Trauer erfüllt, und werde ihn respektieren und die Bande, die uns als Vater und Sohn verbinden, durchtrennen.“

Da verschwand die Wut aus Wulfs Gesicht und wich echter Überraschung. Er sah seinem Vater ernst in die Augen, bevor er ohne zu zögern einschlug.
     „Von heute an sind wir nicht länger Vater und Sohn“, erklärte Isaac ernst.

Und als er das sagte, erschien tatsächlich ein Lächeln auf Wulfs Gesicht, das er lange Zeit nicht mehr gesehen hatte.
     „Danke, Isaac.“
     „Ich wünsche dir alles Gute, Wulfgar, Sohn von Lu und Shana.“

Lu sah überfordert dabei zu, wie Isaac und Wulf ihre Bande zueinander kappten und wie Ersterer danach einfach zu seinem Platz am Feuer zurückging, als wäre nichts geschehen. Und dann hatte er plötzlich wieder Wulfs Hand vor sich.
     „Und was sagst du? Darf ich dich von heute an Vater nennen oder wirst du mich als Vollwaisen zurücklassen?“
     Lu war noch immer überfahren von den plötzlichen Geschehnissen, aber schließlich riss er sich zusammen, stand auf und schlug ebenfalls ein.
     „Wenn es das ist, was du willst, würde ich mich freuen, dich von nun an meinen Sohn nennen zu dürfen.“


Und als er sah, dass Wulfs Augen tatsächlich voller Tränen waren, ging ihm das wirklich nahe und er nahm seinen neuen Sohn in den Arm. Der ließ das einen Moment lang mit sich machen, bevor er schniefte und seinen neuen Vater von sich schob.
     „Ich hab da auch noch was für dich“, eröffnete er.
     Er holte etwas aus seiner Tasche, das Lu verloren geglaubt hatte. Es war das Armband, das Luis in seiner Kindheit für ihn angefertigt hatte und das er eigentlich einst fortgegeben hatte, um für den Wein zu bezahlen, den Wulf gestohlen hatte.
     „Woher…?“

„Ich dachte mir, wenn er uns schon als Sklaven verkauft, kann ich mich wenigstens ein bisschen an seinen Sachen bedienen. Ich… wollte es dir schon viel früher zurückgeben. Wo du doch für mich bezahlt hast.“
     „Wulfgar… danke, das bedeutet mir wirklich viel.“
     Lu nahm es mit einem Lächeln an, streifte es über sein schmales Handgelenk, und dann sagte Wulf streng: „Und jetzt leg dich wieder hin und ruh dich aus!“

Lu tat murrend wie ihm geheißen, und wenn er ehrlich war, war er froh, wieder liegen zu können. Er fühlte sich noch immer nicht gut.
     Wulf sah zu, wie er sich hinlegte, bevor er feierlich verkündete: „Ich werde von nun an nicht mehr trinken und alles tun, um dir keine Schande zu bereiten, Vater! Das verspreche ich!“

 
Lu lächelte, um zu signalisieren, dass er verstanden hatte, aber eigentlich war er schon längst wieder woanders. Er wollte Wulf gerne sagen, dass er schon jetzt stolz auf ihn war, dass er sich das vorgenommen hatte, doch keinen Augenblick später war er bereits eingeschlafen.
     Es ging ihm noch immer überhaupt nicht besser. Im Gegenteil.
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ANMERKUNG ZU NILA: Ich weiß, dass jetzt wahrscheinlich alle darauf gewartet haben, dass Nila endlich seine Abrechnung für den Mord an Lin bekommt, aber... nun, ich möchte nicht zu viel spoilern, nur versuchen, zu erklären, warum vor allen Dingen Wulf, der ja Zeuge des Mordes war, das vielleicht nicht erzählt hat. 
     Zum einen ist er natürlich durch Lus Krankheit abgelenkt gewesen, aber zum anderen ist es auch möglich, dass Jade sich geirrt hat und er Nila tatsächlich einfach glaubt, dass er sie nicht hatte töten wollen, sondern er ihnen helfen wollte. Immerhin war er während der ganzen Entführung auch mehr oder weniger betrunken. Und wenn er Nila das abkauft, wird er nichts erzählen, weil er den Mord an Lin dann als gerechtfertigt ansieht.
     Betonung liegt hier allerdings auf vielleicht, da ich an dieser Stelle natürlich noch nicht verraten will, wie es wirklich ist. Nur, dass das natürlich nicht so einfach unter den Teppich gekehrt wird. Es wird aber noch ein bisschen dauern, bis das weiter behandelt wird. Immerhin ist ja auch noch Jade da, die Nilas Tat erzählen könnte, wenn sie mal zu Besuch kommt. Der Handlungszeitraum der nächsten Kapitel bezieht sich auf jeden Fall auf Tage und nicht auf Wochen, weshalb es noch etwas dauert. 
     Es wird die nächste Zeit einiges passieren, und das alles logisch und passend zu planen, war echt ein Krampf, sag ich euch. Vor allen Dingen die Nila-Sache hat mir sehr viel Kopfzerbrechen bereitet. Apropos Planung: Ich habe es endlich geschafft, Zeitalter fertig zu planen (yaaaay, hat ja nur drei Jahre gedauert XD) und auch gößtenteils auszuschreiben. Wenn ich das jetzt mal so hochrechne, komme ich noch auf 30 Kapitel (inklusive diesem). Aber ihr wisst ja, wie das mit meinen Schätzungen ist (ich dachte eigentlich, dass ich jetzt schon längst fertig wäre...). Wahrscheinlich werden es noch 100 Kapitel oder so...   
 
Nächstes Mal dann passiert aber wenigstens etwas, auf das einige von euch auch schon gewartet haben (im doppelten Sinne 😉). Denn nächstes Mal... na, ich will nicht zu viel spoilern, aber nein, es ist nichts mit Nila. Wir werden auf jeden Fall zudem erfahren, ob Lu es schaffen wird oder nicht. 
 
Bis dahin, danke euch fürs Vorbeischauen, passt auf euch auf, und ich verabschiede mich.  

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