Neuigkeiten

Hallo und herzlich willkommen in meiner (Sims-)Wortschmiede!
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!
Neu hier? Dann hier anfangen.
Wulfgars Geschichte jetzt komplett online!

Mittwoch, 31. März 2021

Kapitel 136 - Betrüger

 
Nachdem sie die Nachricht erreicht hatte, dass Lann vom Ahn-Stamm gestorben war, brach Malah am nächsten Morgen sofort zur Totenwache auf, und Tann ging mit ihr. Er machte sich zwar Sorgen um Isaac, aber er hatte einen Großteil seiner Zeit als Stammesführer mit Lann zusammengearbeitet. Sie war eine große und respektable Anführerin gewesen, und ihr nicht die letzte Ehre zu erweisen, wäre nicht nur ihr, sondern ihrem ganzen Stamm gegenüber einer Beleidigung gleichgekommen.


Lanns Tod war wie eine Mahnung für die Bewohner der Gegend, die es gewagt hatten, sich nach dem Auftauchen der Räuber und dem Verschwinden von Roa wieder in Sicherheit zu wiegen. Denn es war unklar, ob sie eines natürlichen Todes gestorben war. Sie hatte sich schon seit ein paar Tagen krank gefühlt, war immer schwächer geworden, und während alle anderen am Morgen zu ihren Tagesgeschäften aufgebrochen waren, war sie währenddessen allein Zuhause an ihrer Krankheit gestorben.
     So hatte es zumindest auf den ersten Blick ausgesehen. Doch die Haustür, die man beim Zurückkehren offen vorgefunden hatte, hatte sie alle stutzig gemacht. Es passte einfach nicht zu der gewissenhaften Lann, dass sie solch eine Gefahr einging oder auch nur die Kälte ins Haus hineinließ. Obendrein war sie viel zu bettlägerig gewesen, um überhaupt noch aufzustehen. Dass Sharla merkwürdige Male an ihrem Hals aufgefallen waren, die ein bisschen an Würgemale erinnert hatten, sprach ebenfalls dafür, dass Lann nicht nur an einer Krankheit gestorben war. Dass jemand anderes für ihren Tod verantwortlich war.


Und diese Möglichkeit machte natürlich allen Sorgen. Auch Malah. Sie hatte lange überlegt, ob sie es überhaupt den Anderen in ihrem Stamm erzählen sollte, mit Blick auf ihren Versuch, die Nahrungsmittelknappheit zu verschleiern, hatte sie sich dann aber doch dafür entschieden. Es war wichtig, dass sie alle es wussten. Für ihre eigene Sicherheit.


Lanns unglücklicher Tod hatte jedenfalls auch sie wieder aufgerüttelt. Seitdem die Räuber damals in die Gegend eingefallen waren, hatte sie überlegt, was sie nur tun konnte, um die Sicherheit ihrer Leute zu gewährleisten. Sie hatte überlegt und überlegt, hatte sich tagelang mit ihren Beratern besprochen, bis Lus Erzählungen über die Außenwelt sie schließlich auf eine Idee gebracht hatte: Warum schlossen sie und die umliegenden Nachbarn sich nicht zu einer Gemeinschaft zusammen?
     Zu diesem Zweck war sie jetzt auch unterwegs zu den hoffentlich einfacheren ihrer Nachbarn. Von denen sie sich, ganz nebenbei, Hilfe bei den schwierigeren erhoffte.


Es muss nicht erwähnt werden, dass Tanja nicht erfreut aussah, sie zu sehen, aber immerhin ließ sie sie ohne größer Umstände ins Haus. Wirt, wegen dem sie eigentlich hergekommen war, war glücklicherweise ebenfalls gerade zugegen. Er legte seine Schnitzarbeit weg und nickte ihr zur Begrüßung zu.
     „Ich würde gerne reden, wenn es recht ist, und euch einen Vorschlag unterbreiten“, eröffnete sie und wartete, bis Wirt zu ihnen gestoßen war, bevor sie weitersprach. „Wie ihr mitbekommen habt, ist die Gegend in letzter Zeit nicht mehr so sicher wie früher. Deshalb habe ich mir überlegt, dass es in unser aller Interesse wäre, wenn wir uns zu einer Gemeinschaft zusammenschließen würden.“
     „Und was soll das bitte bringen?“, fragte natürlich Tanja mit unverhohlener Ablehnung in der Stimme.
     „Dass wir besser aufeinander Acht geben können. Mehr Augen sehen schließlich mehr als wenige. Natürlich ist das aber nicht alles“, fuhr sie fort. „Wir können uns auch in Notzeiten besser beistehen. Sollte einem von uns die Nahrung knapp werden oder jemand Hilfe benötigen, kann man sich immer darauf verlassen, dass die Anderen aushelfen werden.“
     „Also willst du, dass wir uns zu einem großen Stamm zusammenschließen“, schlussfolgerte Tanja skeptisch.


„Nun ja, nicht ganz. Die Gemeinschaft – Lu nannte es ein Dorf – besteht aus einzelnen Haushalten, die ihre eigenen Entscheidungen treffen. Sollte es nötig sein, können wir natürlich auch ein Dorfoberhaupt ernennen, und es wird sicherlich auch Dorfversammlungen geben, in denen wir über die Angelegenheiten des Dorfes entscheiden. Ebenso wird es Regeln geben, an die sich jeder halten muss, aber trotzdem bleibt jeder Haushalt für sich. Und es steht euch natürlich frei, die Dorfgemeinschaft jederzeit zu verlassen, wenn ihr das wollt.“
     „Ich sehe nicht, warum wir dem beitreten sollten, wenn ich vorher extra den Stamm verlassen habe, um allein mit Wirt zu leben.“
     „Neben den schon genannten Dingen, genießt ihr natürlich auch den Schutz der Gemeinschaft. Ihr seid schließlich nur zu zweit, und ihr wisst sicherlich auch, was Lann möglicherweise widerfahren ist, oder? Wenn dort draußen wirklich ein Mörder frei herumläuft, was hält ihn dann davon ab, hierherzukommen und euch auch zu töten? Wenn ihr jedoch Teil einer größeren Gemeinschaft seid, die dazu imstande ist, Wachen abzustellen, ist das weniger wahrscheinlich, dass so etwas geschieht.“ Ihr Blick wanderte zu Schreiner Wirt. „Ich habe auch überlegt, ob wir nicht einen Holzwall um unser Dorf herum bauen könnten, und da würde Wirts Expertise natürlich sehr hilfreich sein.“


Wirt sagte, wie nicht anders erwartet, gar nichts dazu. Wie üblich übernahm Tanja allein das Sprechen. „Du bist aber bestimmt nicht nur hier, um unseren kleinen Haushalt zum Beitreten zu bewegen, nicht wahr?“, kam sie Malah überraschenderweise auf die Schliche. „Wer soll noch Teil dieses „Dorfes“ werden?“
     „Naja, ihr natürlich, und Alin möchte ich auch darum bitten, dass der Handelsposten sich unserem Dorf anschließt. Und Griswold, Greta und Wotan natürlich.“
     Tanja lachte. „Und wer davon hat schon zugesagt?“
     „Nun… ihr seid die Ersten, die ich frage.“
     „Also keiner. Und ich sehe auch noch nicht, dass es die Anderen tun werden. Vor allen Dingen Griswold und Greta nicht“, meinte sie ganz richtig. „Und solange du niemanden von deiner komischen Idee überzeugt hast, werden wir auch nicht beitreten.“
     „Also, was das angeht…“, begann Malah zögerlich.
     „Was? Kommst du endlich damit, warum du wirklich hier bist? Du brauchst gar nicht so überrascht zu gucken! Glaubst du etwa, ich bin blöde? Ich weiß doch, dass du nur hier bist, um Wirti darum zu bitten, dass er es übernimmt, seinen Bruder für deine komische Idee zu gewinnen.“


Sie hatte es erfasst. Malah hatte lange darüber nachgedacht, wie sie Griswold dazu bekommen sollte, dem Dorf beizutreten, was ein Ding der Unmöglichkeit zu sein schien. Sie hatte sogar darüber nachgedacht, ihre Mutter Akara zu fragen, mit ihrem Bruder zu reden, aber wie sie Griswold einschätzte, gab er zu wenig auf die Meinung seiner Schwester. Wenn es jemand schaffen würde, ihn zu überreden, dann sein Bruder Wirt.
     „Das ist ganz schön clever von dir gewesen, zuerst hierher zu kommen“, befand Tanja, als Malah still blieb. „Das hätte ich ehrlich nicht erwartet, dass mein unfähiger Bruder so eine clevere und fähige Tochter hinbekommen würde. Von deiner Mutter hast du das ganz offensichtlich ja auch nicht.“
     In professioneller Manier schluckte Malah eine Erwiderung darauf.
     „Aber da bist du bei uns an der falschen Adresse“, stellte Tanja klar.


Doch, zu ihrer aller Überraschung, sagte Wirt trotzdem: „Ich werde mit meinem Bruder darüber reden.“
     Und Tanja, zu ihrer noch größeren Überraschung, nahm das einfach so hin. Malah konnte ihr Glück ja kaum fassen, doch als sie kurz darauf mit Wirt zusammen vor dem anderen Nachbarhaus stand, erhielt ihre Hoffnung leider einen ganz herben Dämpfer.


Denn Wirt kam nicht einmal dazu, mit seinem Bruder über ihr Anliegen zu reden, da der momentan ganz andere Sorgen hatte: Greta hatte ihn verlassen.
 

Wulfs Stimmung war, gelinde gesagt, äußerst grummelig, als sie zusammen zum Handelsposten hinuntergingen. Wie Lu wusste, war er auch nur mitgekommen, weil er ihn als Vater darum gebeten hatte. Dass sein älterer Namensvetter dabei war, machte es aber nicht besser. Im Gegenteil, er warf immer wieder mürrische Blicke zu ihm, als könne er ihn damit zum Verschwinden bringen.
 

Isaac war dahingegen überhaupt nicht vorgewarnt worden, weshalb sie ihn völlig unvorbereitet damit überfielen, dass sie seinen leiblichen Sohn mitgebracht hatten. Doch er kam erstaunlich schnell über die erste Überraschung hinweg, beschäftigte ein anderes Problem ihn gerade doch viel mehr.
     „Wulfgar“, kam er mit betroffenem Gesicht zum Älteren der beiden Wulfgars an. „Oje, das tut mir so leid. Ich weiß gar nicht, wie ich das wiedergutmachen kann…“
     „Was ist denn los?“
     „Deine Schwester…“, sagte er mit einem Gesicht, als sei sie gestorben, sodass Wulfgar beinahe das Herz stehen blieb. Er sah über seine Schulter hinweg, aber beeilte sich nicht, zu sagen, was jetzt wirklich passiert war.
     „Was ist denn passiert? Sag schon!“
     „Deine Schwester hat ihren Mann verlassen, und ich fürchte, dass dies Eris‘ Schuld ist.“
 

Nach dieser Offenbarung herrschte erst einmal Stille. Wulfgar starrte Isaac an, als würde er das nicht glauben, und die anderen beiden befanden es auch für besser, zu Schweigen. Ja, Wulf nutzte sogar die Chance, sich unbemerkt zu verdrücken. Es gab Eris jedenfalls die Zeit, nach unten zu kommen.


Als Isaac sie sah, ging er sofort auf sie los.
     „Eris!“, ging er sie in ihrer Muttersprache an. „Was hast du getan?“
     „Nichts! Ich habe gar nicht getan!“, behauptete sie aufgebracht.
     „Ich beschwöre dich beim Schöpfer, mir nicht dreist ins Gesicht zu lügen!“
     Sie zog den Kopf ein, druckste lange herum, bis sie schließlich zögerlichen hören ließ: „Du weißt doch noch, was ich dir erzählte habe, oder? Wegen diesem Wotan-Kerl…“
      „Ja?“
     „Wie sich rausstellte, war er Gretas Sohn. Und als sie erfahren hat, was er getan hat, wollte sie, dass er zu seiner Verantwortung steht und mich heiratet. Und ich habe dem zugestimmt… irgendwie“, erzählte sie kleinlaut.


„Deswegen bin ich in letzter Zeit dauernd bei ihnen Zuhause gewesen. Ich mag Greta ja auch. Sie ist eine gute Freundin. Aber ihr Mann wollte mich nicht dahaben. Er sagte, dass Wotan sich gefälligst ein eigenes Haus bauen solle, wenn er unbedingt heiraten will. Ich weiß auch, dass Greta nicht glücklich mit ihm ist, weil er so ein Despot ist. Er ist kein guter Mann für sie! Und deshalb habe ich ihn… provoziert… irgendwie…“
     „Du hast was?“


„Ich wollte doch nur, dass sie endlich einsieht, dass er nicht gut für sie ist! Aber da hat Wotan sich eingemischt, und die beiden haben sich fast geprügelt. Greta musste dazwischengehen, aber ihr Mann wollte sich nicht beruhigen lassen. Er hat darauf bestanden, dass Wotan und ich das Haus verlassen. Also für immer. Aber Wotan hat sich geweigert, ohne seine Mutter zu gehen, sodass es beinahe wieder eskaliert ist, bis Greta sich dazu bereit erklärt hat, mit ihrem Sohn zu gehen, um schlimmeres zu vermeiden. Ihr Mann meinte zwar, dass sie gar nicht wiederkommen bräuchte, wenn sie jetzt gehe, aber sie ist trotzdem gegangen.“


„Beim Schöpfer, Eris, was hast du dir nur dabei gedacht, so etwas dummes zu tun? Sieh zu, dass du das wieder in Ordnung bringst!“
     „Wieso sollte ich?“, gab sie plötzlich stur zurück. „Es ist gut, dass Greta endlich erkannt hat, dass sie selbst allein besser dran ist, als mit solch einem despotischen Mann, der sie nur unglücklich macht.“
     „Das kann doch nicht dein Ernst sein! Das hätte dich gar nichts anzugehen gehabt! Bring es gefälligst wieder in Ordnung!“
     „Nein! Das werde ich nicht tun!“
     „Als dein Onkel befehle ich dir, zu tun, was ich dir sage!“


Eris funkelte ihn wütend an. Es sah aus, als ob sie sich mächtig auf die Zunge biss, etwas nicht zu sagen, aber dann brach es schließlich doch aus ihr heraus: „Du hast mir gar nichts zu sagen! Du bist nicht mal mein Familienoberhaupt, weil ihr meine Mutter verstoßen habt! Und selbst wenn nicht, würde ich von dir keine Befehle annehmen! Nicht von einem Lügner und Betrüger wie dir!“
     Isaac erstarrte. Er machte den Mund auf, war aber so fassungslos, dass er eine ganze Weile brauchte, um überhaupt die Stimme wiederzufinden.
     „Was hast du gesagt?“, fragte er erschrocken. „Was meinst du damit? Erkläre dich!“
     „Das weißt du doch ganz genau! Ja, ich habe das Gespräch gehört, dass du mit Mutter geführt hast. Über deine Untat an Shana. Dass du sie betrogen hast.“


„Wulf… weiß Wulf auch davon?“
     „Natürlich! Ich habe es ihm erzählt. Er sollte so etwas wissen.“
     Wieder verschlug es Isaac die Sprache, und diesmal fand er sie auch nicht wieder.
     „Von jemanden wie dir lasse ich mir deshalb gar nichts sagen!“, warf Eris ihm noch entgegen, bevor sie umdrehte und ihn stehen ließ.


Isaac stand danach nur da und starrte vor sich hin, bis Wulfgar es schließlich wagte, sich ihm zu nähern. Das war der Moment, in dem auch er die Flucht ergriff. Wulfgar ließ sich natürlich nicht zweimal bitten. Er tauschte einen Blick mit Lu, der nickte, obwohl er von dem Gespräch nichts verstanden hatte, und folgte dem Fliehenden nach draußen. Isaac war noch nicht sehr weit gekommen, weshalb er ihn praktisch gleich vor der Tür zu fassen bekam.


„Was sollte das denn? Stimmt das etwa?“, stellte er den Anderen zur Rede.
     „Du hast es doch gehört…“
     „Ich glaube aber nicht, dass du Shana betrogen hast. Du warst immer der Inbegriff von Anständigkeit und Treue. Ich habe nie gesehen, dass du auch nur eine andere Frau außer sie angesehen hättest. Sie war deine Familie, und ich weiß, dass dir deine Familie wichtiger ist, als alle andere!“
     „Da hast du dich scheinbar geirrt…“
     „Hör auf damit, den Schuldigen zu spielen!“, wurde Wulfgar böse. „Sag mir lieber endlich, was passiert ist, dass dich so etwas schändliches behaupten lässt!“
     „Glaub doch, was du willst“, erwiderte Isaac geschlagen. „Ich habe nichts mehr dazu zu sagen. Jetzt weißt du ja auch endlich, warum Wulf mich so hasst… jetzt weiß ich es endlich…“


Er wollte an ihm vorbeigehen, aber Wulfgar hielt ihn zurück, knurrte: „Sag mir die Wahrheit!“
     „Lass mich in Frieden!“
     „Wenn das wirklich stimmt, Isaac… wenn du Shana wirklich betrogen hast, dann bist du für mich gestorben. Ich schwöre dir, ich sollte dich verprügeln, bis du Grün und Blau bist für das, was du ihr angetan hast!“


„Bitte! Tu dir keinen Zwang an!“, wurde jetzt auch Isaac richtig wütend, riss sich los und stellte sich vor ihm auf. „Na los, schlag zu! Mach schon!“
     Aber Wulfgar schlug ihn nicht. Er würde es nicht tun, weil er Lu versprochen hatte, friedlicher zu sein. Das sah jetzt scheinbar auch sein Gegenüber ein, der einen erneuten Fluchtversuch unternahm.


Doch wieder kam er nicht weit, bevor er diesmal ins Straucheln geriet und einfach in den Schnee fiel. Wulfgar ging ganz automatisch zu ihm, um nach ihm zu sehen, obwohl er zuvor noch gesagt hatte, nichts mehr von ihm wissen zu wollen. Doch Isaac schlug seine Hand weg, rappelte sich allein auf.


Seine Stirn glänzte vor Schweiß, und die Blässe, die Wulfgar bislang auf den Schrecken seiner Entlarvung geschoben hatte, ließ ihn plötzlich fürchterlich krank wirken. Tatsächlich sah es so aus, als ob er kaum auf den Beinen stehen konnte. Sein Atem war laut und schwer.


Aber bevor Wulfgar etwas dazu sagen konnte, ergründen konnte, ob es nicht doch nur der Schrecken war, der ihn so sehr mitgenommen hatte, hatte er es diesmal geschafft, vor ihm davonzulaufen. Und Wulfgar folgte ihm nicht mehr.


Nachdem Isaac ihm entkommen war, hatte er erstmals nach seiner Schwester gesehen, die, wie er erwartet hatte, ein Bild des Jammers gewesen war. Wulfgar hatte nie verstanden, was Greta an Griswold gefunden hatte, aber eines hatte er immer sehen können: Dass sie sich beide geliebt hatten. Und so wie Greta jetzt aussah, tat sie das scheinbar immer noch. Aber sie wollte dennoch nichts davon wissen, zu Griswold zurückzukehren.


Er glaubte, dass sie nur ein wenig Zeit und Abstand brauchte, bis sich das wieder einrenken würde, denn von Wirt, den er später vor Griswolds Haus angetroffen hatte, hatte er erfahren, dass auch der fürchterlich elend aussah. Sie litten beide unter der Trennung.


Da Greta ihn darum gebeten hatte, sie allein zu lassen, hatte er danach Eris aufgesucht, um von ihr zu erfahren, was auch Isaac ihm schon gesagt hatte: Er hatte scheinbar tatsächlich seine Frau betrogen, und Shana hatte davon erfahren.
     Als Isaacs Schwester Ayra, die ihm ebenfalls nicht hatte glauben wollen, ihn daraufhin zur Rede gestellt hatte, hatte Isaac ihr gegenüber beinahe genauso reagiert wie vorher ihm gegenüber. Ohne den Part mit dem Verprügelt-werden-wollen versteht sich. Er war stur dabei geblieben, dass es die Wahrheit sei, was auch immer seine Schwester zu ihm gesagt hatte.


Wulfgar glaubte es ihm trotzdem immer noch nicht. Aber er wusste jetzt, warum Wulf seinen leiblichen Vater so sehr hasste. Untreue war schließlich eines der schlimmsten Vergehen in Lao-Pao, und wenn Isaac als untreu gegolten hatte, hatte es auch Wulf, sein Sohn, getan. Da war es nicht verwunderlich, dass Wulf sich mit Lu einen neuen Vater gesucht hatte, um diesem Stigma zu entkommen.


Wulfgar wusste aber nicht, was er mit diesem Chaos anfangen sollte. Wie er dieses Wirrwarr entwirren und wieder für Ordnung in dieser seiner zweiten Familie sorgen sollte. Momentan wusste er ja nicht mal, wie er das in seiner anderen Familie bewerkstelligen sollte. Greta, Lu, Luna, sie alle machten ihm Sorgen.
     Deshalb war er am Ende des Tages doch noch einmal zu seiner Schwester zurückgekehrt. Um für sie da zu sein, aber auch, um selber nicht allein sein zu müssen. Er fühlte sich so erschlagen von allem, dass er sich gewünscht hätte, mit seiner Zwillingsschwester über seine Sorgen reden zu können. Doch er hielt sich zurück, ließ es nur zu, dass Greta, die ihn jetzt ob seines Trennungsschmerzes verstehen konnte, sich mit ihm zusammen darin suhlte.
____________________________
 
 
Da ich mir gerade ganz doll auf die Zunge beißen muss, um nicht zu spoilern, lass ich euch einfach mal nur das hier, wie der zuckersüße, kleine Eris-Sim reagiert hat, als sie lauschen durfte:
 
 
Eris: "Hehe, ich bin nach meiner Bettzeit noch draußen!"
 
Nächstes Mal steht Tann vor seinem bislang größten Rätsel als Heiler. Und dabei geht es noch nicht mal um Isaac.

Mittwoch, 17. März 2021

Kapitel 135 - Herzschmerz

 
Jade war tatsächlich ein ganz klein wenig unsicher, ob sie das Richtige getan hatte, während sie dabei zusah, wie Mai sie verließ, um Gabriela nachzugehen. Die beiden Mädchen, die sie all die Jahre über für Freundinnen gehalten hatte und von denen sie sich jetzt losgesagt hatte.
 

Aber als sie schließlich um den Stall ging und, zu ihrer unendlichen Freude, Wulf noch immer da war, lässig an die Wand gelehnt, legte sich ihre Unsicherheit wieder.
     ‚Ich habe das einzig Richtige getan‘, bekräftigte sie sich neuen Mutes.
 

„Siehst du, ich habe dir gezeigt, dass ich nicht lüge“, sagte sie zu ihm. „Ich hoffe, du glaubst mir jetzt.“
     Er stieß sich von der Wand, dass er wieder größer war als sie und sah sie gewohnt desinteressiert an.
     „Wenn du meinst. Kann ich jetzt endlich nach Hause gehen? Es ist arschkalt hier.“
     „Also… glaubst du mir immer noch nicht?“, fragte sie besorgt.
     Er lachte. „Glaubtest du echt, dass euer kleines Schauspiel mich überzeugen würde? Ihr habt das doch alles geplant.“
     Sie wusste einfach nicht, was sie noch sagen sollte. Wie sie ihm beweisen sollte, dass sie es ernst meinte. Dass sie ihn wirklich liebte. Und als ihr bewusst wurde, dass sie mit ihrem Latein am Ende war, wurde auch ihr kalt.


„Aber… ich…“ Plötzlich brach sie verzweifelt über ihn herein. Ging zu ihm und krallte die Finger in sein Hemd. „Was soll ich denn sonst noch machen, um dir zu beweisen, dass ich dich liebe? Sag es mir!“
     Er war zuerst ziemlich überfordert mit ihr, bis er es schaffte, sich aus ihrem Griff zu befreien und auf Abstand zu gehen.


„Okay! Okay!“, rief er hastig. „Mal angenommen, ich glaube dir: Du bist aber doch verheiratet!“
     „Das war auch der größte Fehler meines Lebens!“, spie sie bitter. „Wenn ich nur gewusst hätte, dass ich dich treffen würde… wenn ich das nur vorher gewusst hätte! Aber… mein Ehemann muss es ja nicht wissen. Wir können trotzdem beieinander sein“, bot sie verschmitzt lächelnd an.


„Du willst also deinen Mann betrügen?“ Er verschränkte die Arme, schüttelte den Kopf. „Was bist du denn für eine? Du bist ja schlimmer, als ich dachte.“
     „Es ist nicht so, dass er mich lieben würde. Dass ich ihm auch nur irgendetwas bedeuten würde! Ich bin nur wie ein Topf voll Erde für ihn, damit er Kinder bekommen kann.“
     „Dann hättest du ihn nicht heiraten sollen.“


„Da sagst du mir nichts neues.“ 
     Sie sah ihn an und die Bitterkeit verschwand aus ihrem Gesicht, wurde wieder ganz weich bei seinem Anblick. Es leuchtete geradezu, dass er immer weniger verleugnen konnte, dass sie ihn nicht nur an der Nase herumführen wollte. 
     „Ich hasse meinen Ehemann, aber wenn ich an dich denke, ist das alles erträglich für mich. Solange ich nur bei dir sein kann. Also bitte – bitte – hilf mir, dass mein Leben wieder erträglich wird! Dass die Sonne für mich scheint, wie sie es seit der Hochzeit nur einmal getan hat. Als du bei mir warst. Du bist meine Sonne, mein größtes Glück!“


Er rieb sich die Nasenwurzel, seufzte. „Hör mal, selbst wenn das alles so ist; tut mir ja leid, aber ich hab trotzdem nichts für dich übrig.“
     „Warum nicht? Sag mir, was es ist, dass du nicht an mir magst, und ich werde es ändern.“
     „Als ob ich das wollen würde! Aber darum geht es nicht. Egal, was du auch an dir ändern würdest, es würde nichts bringen.“
     „Das kannst du doch gar nicht wissen!“, rief sie verzweifelt.
     „Doch. Das weiß ich.“
     „Und wie kannst du dir da so sicher sein?“
     Er zögerte. Aber dann sagte er ihr schließlich: „Weil mein Herz schon einer anderen Frau gehört“, weil es das war, was sie verstehen würde anstatt dem ebenfalls sehr triftigen Grund, dass er sich ganz sicher keinen so mächtigen Feind wie ihren Mann, den Stammesführer, machen wollte. Und weil er ihr schuldig war, die Wahrheit zu sagen, nachdem sie ihm ihr Herz geöffnet hatte.
     Ihr Herz, das in diesem Moment brach.


Jade wusste gar nicht, wie sie es geschafft hatte, wieder dorthin zu kommen, wo sie momentan lebte. Sie hatte sich sofort in den Stall zurückgezogen, in eine schön ruhige Ecke, mitten zwischen die Säcke voller Erz hatte sie sich versteckt. Und dort war es auch, wo Mai sie fand. Sie schob mühelos einen Sack zur Seite und hockte sich vor sie, ganz so, als hätte sie sie gesucht.


„Hier bist du“, begrüßte sie sie. „Ich würde ja gerne fragen, ob du in Ordnung bist, aber so wie du aussiehst, kann ich mir das wohl sparen.“
     „Was willst du?“, ging Jade sie mit nasaler Stimme an. „Geh weg!“
     „Ich habe schon verstanden, dass du mich eigentlich nicht leiden kannst, aber kein Grund, gleich so aggressiv zu werden. Ich wollte nur nach dir schauen, nachdem du scheinbar einen Korb kassiert hast. Hätte ich ja, ehrlich gesagt, nicht erwartet.“


Jade sprang auf die Beine. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst! Hör auf, dir Sachen aus den Fingern zu saugen!“, fauchte sie.
     „Ich habe euch gesehen“, erklärte Mai und stand ebenfalls auf. „Als ich nach Gabriela gesucht habe. Wie ihr miteinander gesprochen habt. Wie“, sie wurde leiser, „du ihn angesehen hast. Also ich muss ja sagen, dass ich nicht erwartet hätte, dass der dein Typ ist. Du hättest es wahrlich besser treffen können.“
     „Was soll das heißen?“, zischte Jade bedrohlich. „Wage es ja nicht, ihn zu verunglimpfen! Wegen Leuten wie dir glaubt er wirklich, dass er nicht gut aussieht. So ein Blödsinn!“


„Hey, ich wollte nichts dergleichen damit sagen. Glaube mir, seitdem ich Gael habe, weiß ich, dass Schönheit nicht das Wichtigste ist. Wichtig ist, was man im Herzen hat.“
     „Wenn mir nicht so zum Heulen wäre, würde ich jetzt ja lachen. Du weißt nicht mal, was ein Herz ist. Du hast wahrscheinlich nicht mal eins.“
     „Glaub doch, was du willst!“, war Mai jetzt langsam auch ein bisschen verstimmt. „Als ich sagte, du hättest es besser treffen können, wollte ich dich damit nur warnen.“
     „Was? Dass du es deinem Bruder erzählst, wenn ich nicht tue, was du willst?“


„Nein; lass mich doch mal ausreden!“ Plötzlich wurde ihr Gesicht so ernst, wie Jade es gar nicht von ihr kannte. „Ich meinte damit, dass es zu einem Problem für euch werden wird, wenn er deine Gefühle tatsächlich erhört und ihr beide… na, du weißt schon, wenn du schwanger von ihm wirst. Ich muss dir ja nicht sagen, dass du sein Kind Reinard unmöglich unterschieben kannst.“
     Jade schwieg. Das war ihr durchaus bewusst, aber obwohl sie das wusste, kümmerte sie sich nicht darum. Das Schreien ihres Herzens war einfach viel zu laut, sodass ihr momentan alles andere egal war. Sie würde sich darum sorgen, wenn es dann so weit wäre. Wenn es nur jemals so weit wäre…


„Tja, darum muss ich mir ja keine Sorgen machen, weil er mich ja sowieso nicht will“, sagte sie bitter.
     Und da kamen ihr die Tränen wieder. Sie wollte ganz sicher nicht vor Mai heulen, aber sie konnte es nicht verhindern. Im nächsten Augenblick fühlte sie eine warme Hand an ihrem Rücken, und sie wehrte sich nicht dagegen.
     „Das tut mir leid für dich. Das ist schwer. Ich weiß das“, meinte Mai und schluckte schwer.
     ‚Nero. Mai hat Nero also wirklich geliebt‘, wurde Jade klar.
     „Aber es geht weiter“, versicherte sie und strich Jade über den Rücken. „Und irgendwann findest du schon jemanden, der dich auch liebt.“
     „Ich will aber niemand anderen…“
     „Ich weiß.“
     „Und selbst wenn, bin ich doch trotzdem immer verheiratet mit einem Mann, den ich nicht leiden kann…“


Mai löste sich von ihr. „Hör mal, was das angeht“, fing sie zögerlich an, und Jade versuchte, ihre Tränen zu trocknen. „Ich hätte dich früher warnen sollen, aber… mit Reinard ist nicht zu spaßen. Wenn er rausfindet, dass du ihn betrügst, wird das nicht gut für dich ausgehen. Es… wäre besser gewesen, wenn du ihn nicht geheiratet hättest. Ich will wirklich nicht mit dir tauschen.“
     „Was… meinst du damit?“, fragte Jade besorgt.


Mai sah sie finster an, und dann erzählte sie ihr die Wahrheit darüber, wie es in ihrer Familie zuging. Von ihrer lieblosen Kindheit, ihrer strengen Mutter, die nur Erfolg duldete und die dafür gesorgt hatte, dass ihre Kinder keine Geschwister, sondern Rivalen waren. Sie erzählte von den vielen, grausamen Strafen und der Missachtung, die sie jahrelang über sich hatte ergehen lassen.
     Und auch davon, wie sie ihren Frust an ihrer hilflosen Schwester Nara ausgelassen hatte.


Dass sie alles und jeden gehasst hatte, bis Gael in ihr Leben getreten war und ihr gezeigt hatte, dass eine Familie eigentlich Liebe und Zusammenhalt bedeutete, und wie sehr sie das verändert hatte.


Und letztendlich davon, dass Reinard, der immer Mutters Liebling gewesen war, genauso war wie seine Mutter Lann.  


„Er ist vielleicht sogar noch grausamer als Mutter“, beendete Mai ihre Erzählung, und die Angst war ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. „Deswegen musst du vorsichtig sein, Jade! Für dich und auch für die Kinder, die du eines Tages wahrscheinlich mit ihm haben wirst. Du musst sie vor ihm beschützen und dafür sorgen, dass sie nicht dasselbe durchmachen müssen, wie ich und meine Geschwister.“
     Jade schwieg eine ganze Weile lang, wirklich verängstigt, bis sie schließlich fragte: „Warum erzählst du mir das alles?“
     „Weil ich nicht möchte, dass dir etwas zustößt. Denn… wir waren in der Vergangenheit vielleicht keine richtigen Freundinnen, aber ich würde es gerne sehen, dass wir es von jetzt an sind.“


„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll“, beschloss Jade schließlich. „Ich weiß ja nicht mal, ob ich dir tatsächlich glauben kann oder du mir nur einen Bären aufbindest, aber… ich sehe ja selber, dass mit Reinard nicht gut Kirschen essen ist. Ich… muss erst darüber nachdenken.“ Sie ging an Mai vorbei, blieb noch einmal stehen, sagte ihr: „Trotzdem danke, dass du mir das erzählst hast“, bevor sie den Stall mit einem bösen Gefühl im Magen verließ und in die Abendkälte hinaustrat.


Sie wusste nicht, was sie glauben sollte. Aber sie wusste zweierlei: Sie hatte Angst. Aber all das war dennoch nebensächlich, da der Schmerz in ihrem Herzen noch immer größer war als alles andere.


Tann hatte die letzte Zeit damit zugbracht, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was er wegen der unseligen Sache mit Isaac tun sollte. Er hatte sich beim besten Willen nicht in seinen Freund verlieben wollen, aber es war nun mal geschehen, und auch wenn er gern daran glauben wollte, was Tanna ihm erzählt hatte, tat er es einfach nicht.
     ‚Isaac hat nie irgendwelche Signale von sich gegeben, dass er an auch nur irgendwem interessiert wäre. Auch nicht an mir‘, dachte er frustriert.
     So bitter das auch war, war das wahrscheinlich die Wahrheit, und er wollte auch nicht riskieren, die Freundschaft zu ihm, die ihm so wichtig war, zu gefährden für etwas, das wahrscheinlich völlig aussichtslos war. Also hatte er sich dazu entschlossen, seine Liebe zu Isaac tief in sich zu vergraben und sie nicht weiter zu verfolgen.


Er machte sich nichts vor, das würde wahrscheinlich nicht einfach werden, aber wenn er Isaac jetzt aus dem Weg ging, würde er nur genau das bewirken, das er eigentlich verhindern wollte: Eine wichtige Freundschaft zu verlieren.
     Deshalb hatte er sich an diesem Abend dazu gezwungen, mal wieder zum Handelsposten hinunterzugehen. Obwohl er es zuvor noch nicht gern gesehen hatte, dass Wulfgar die letzte Zeit auch immer zu ihrem Stammtisch gekommen war, hoffte Tann diesmal irgendwie, dass er da war, um Isaac davon abzulenken, dass er wahrscheinlich wie ein Idiot stottern oder gleich gar kein Wort rausbringen würde, wenn sie allein waren.


Doch Wulfgar war nicht da. Nicht einmal Isaac war es, als er ins Wirtshaus kam. Dafür traf er jedoch Ida an, die natürlich sofort ankam, als sie ihn bemerkte.
     Tann fluchte leise. Er hatte eigentlich gerade gar keinen Nerv dazu, mit ihr zu reden. Naja, sie redeten eigentlich auch nie viel miteinander, verschwanden meistens nur in ihr Bett, und danach ging er gleich wieder, aber heute war ihm einfach nicht danach. Er ging sicherheitshalber ein bisschen auf Abstand.


„Oh, da ist ja mein Großer! Du hast mich ja lange nicht mehr besucht“, begrüßte sie ihn ein bisschen vorwurfsvoll.
     „Entschuldige, ich war die letzte Zeit sehr beschäftigt. Sag mal, hast du zufällig Isaac gesehen?“, versuchte er sie abzulenken.
     „Der kleine Fremde? Mit dem hatte ich vorhin erst das Vergnügen, zusammen einen köstlichen Wein trinken zu können.“
     „Und wo ist er jetzt?“
     „Ich weiß es nicht. Aber lass uns doch nicht von ihm reden, sondern von uns“, meinte sie und kam nun doch näher.
     „Ich muss wirklich mit ihm sprechen“, beharrte er. „Es ist dringend. Tut mir leid, Ida, aber wann anders, ja?“


Doch sie ließ ihn nicht gehen, stellte sich ihm in den Weg und zog einen Schmollmund.
     „Du hast nicht einmal ein bisschen Zeit für mich? Wie grausam von dir!“, beschwerte sie sich. „Du könntest wenigstens auch einen Schluck mit mir trinken und mich fragen, wie mein Tag war!“
     „In Ordnung“, ließ er sich breitschlagen. „Für einen kleinen Schluck habe ich Zeit.“


So kam es, dass er kurz darauf seinen Stammtisch mit Ida hatte, nur eben ohne Stammbesetzung. Er fragte sie höflich nach ihrem Tag, aber sie antwortete nicht darauf. Stattdessen fing sie an, eine gar herzzerreißende Geschichte darüber zu erzählen, wie ihr Nachbar ihr Zuhause den Hof streitig zu machen versuchte, seitdem ihr Mann tot war.
     „Er hatte davor schon immer ein Auge auf unser Land geworfen, aber mein Mann hat ihn immer in die Schranken weisen können“, erzählte sie. „Doch jetzt, wo nur noch ich arme, hilflose Dame da bin, hat er keinerlei Skrupel mehr. Deswegen bin ich auch hergekommen, um bei meiner Schwester unterzukommen.“
     „Dieser Kerl hat dich aus deinem eigenen Haus vertrieben?“
     „Ja“, sagte sie melodramatisch und schniefte. „Ich weiß gar nicht, wo ich jetzt hingehen soll. Meine Schwester sagte mir auch schon, dass ich nicht ewig bleiben kann.“
     „Naja, du könntest ja zu uns in den Stamm kommen“, bot Tann ihr an. „Ich bin mir sicher, dass du dich auch mit allen anderen gut verstehen würdest.“
     „Vielleicht.“ Kunstpause. „Aber ich will das Land eigentlich nicht verlassen, auf dem ich jahrelang gelebt habe. Auf dem meine Kinder aufgewachsen sind!“


„Was ist denn eigentlich mit deinen Kindern? Können sie dir nicht helfen?“
     „Leider nicht. Sie sind alle tot. Und alle anderen, die mir helfen könnten, auch.“
     „Das tut mir leid.“
     Ida schwieg einen Moment, dann sah sie ihn an, dass er schon wusste, was sie fragen würde, bevor sie es überhaupt tat. „Würdest du vielleicht mit mir kommen und mir helfen? Du bist ein kräftiger Mann, vor dem er bestimmt weichen wird.“
     „Das kann ich gerne tun, auch wenn ich fürchte, dass er dich wieder verjagen wird, sobald ich weg bin.“
     „Dann bleib doch einfach. Du könntest mich ja heiraten.“
     Tann war ein bisschen sehr von diesem Angebot überrumpelt, musste er zugeben. Er hatte auch alles andere als vor, sie zu heiraten.
     „Ich kann nicht dauerhaft von hier weggehen, Ida“, wich er aus. „Tut mir leid.“
     „Warum denn nicht?“
     „Weil ich hier gebraucht werde.“


„Ach, wirst du das? Ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber ich hatte das Vergnügen, mit deinem Enkel Nila reden zu dürfen, und er war der Ansicht, dass du in der Vergangenheit vieles angerichtet hast und es besser wäre, wenn du gehen würdest.“
     Das zu hören, war für Tann wie ein Schlag in die Eingeweide mit einem nagelbeschlagenen Stock. Es war nämlich etwas, dass er früher selber oft gedacht hatte.
     ‚Wenn ich nur nicht dagewesen wäre, wäre es niemals beinahe zu einem Krieg gekommen.‘
     ‚Wenn ich nur nicht dagewesen wäre, hätte mein Sohn nie seine Frau verloren; meine Enkelin nie ihre Mutter.‘
     ‚Wenn ich nur nicht da wäre, wäre ich keine Last für Tanna und die Anderen, die wegen mir immer nur in Sorge sind.‘

     Er hatte diese nagenden Gedanken irgendwann zum Schweigen gebracht, aber jetzt zu hören, dass selbst sein Enkel so dachte, war hart.


Erst, als sich eine warme Hand um seine schloss, kehrte er aus seinem Schrecken zurück. Ida sah ihn ernst an.
     „Siehst du, ich aber brauche dich. Deshalb solltest du mit mir kommen.“
     Tann entzog ihr seine Hand.
     „Gib mir ein bisschen Zeit, darüber nachzudenken“, wich er ihr erneut aus.
     Sie schürzte missbilligend die Lippen, was er nicht sah, dann schenkte sie ihm nach und schob ihm den Becher hin.


„In Ordnung. Lass uns noch ein Schlückchen zum Abschluss des Abends trinken.“
     Sie schenkte sich ein, prostete ihm zu, und Tann, obwohl er sich überhaupt nicht danach fühlte, nahm sich den Becher und trank wie betäubt. Er leerte ihn in einem Zug.


Er kam glücklicherweise aber darum herum, noch einen zweiten Schluck mit Ida trinken zu müssen, da Isaac jetzt endlich hereingeschneit kam. Bei seinem Anblick rutschte Tann augenblicklich das Herz in die Hose und er war auf den Beinen. Auch wenn er sich so fühlte, als sollte er sich lieber wieder setzen. Er sah, wie Ida auch aufstand.
     „Ich verabschiede mich dann für heute Abend von euch, meine Herren“, sagte sie, als Isaac sie bemerkt hatte und zu ihnen gekommen war.
     Tann wünschte ihr abgelenkt eine Gute Nacht, sie ging und ließ ihn mit dem Subjekt seiner Aufregung allein zurück.


„Ach, Tann, schön, dass du mal wieder hergekommen bist“, begrüßte Isaac ihn ohne jeden Vorwurf in der Stimme.
     Und dann war der Moment gekommen, in dem Tann keine Ausrede mehr dafür hatte, ihn nicht anzusehen. Also sah er ihn an, das erste Mal richtig, seitdem ihm bewusst geworden war, dass er Isaac liebte. Und allein sein Anblick schnürte Tann die Kehle zu.
     Isaac lächelte nur, auch wenn sein Lächeln gequält wirkte, aber Tann, gefangen in seiner Aufregung, sah das nicht. Deshalb verbrachten sie eine ziemlich lange Weile einfach nur damit, sich anzuschweigen.
     „Ich… habe gehört, dass du mit Ida Wein getrunken hast“, zwang sich Tann schließlich, zu sagen, und er kam sich dumm dabei vor.
     „Ja, sie… glaubt wohl, dass ich ein Auge auf ihre Schwester geworfen habe und will mich kennenlernen.“
     „Hast du es denn?“, fragte Tann erschrocken.


Isaac schüttelte seicht den Kopf, und Tann fiel ein Stein vom Herzen. Dann starrte sein Gegenüber wieder überfordert schweigend an, der dazu übergegangen war, sich an einem Tisch abzustützen.
     „Sie hat mich gefragt, ob ich nicht mit ihr kommen und sie heiraten würde“, hörte er sich erzählen, obwohl er das gar nicht gewollt hatte.
     Er konnte jedoch nicht verhindern, dass er dennoch auf Isaacs Reaktion gespannt war. Dass er sich wünschte, dass er eifersüchtig reagieren und ihn zum Bleiben überreden würde. Doch die Reaktion blieb einfach mal aus. Isaac nickte ihm nur zu, dann sah er wieder die Tischplatte an.
     „Ich weiß gar nicht, was ich da jetzt machen soll“, legte Tann einen oben drauf. „Was hältst du denn davon?“
     „Nun, möchtest du denn mit ihr gehen?“
     Eigentlich nicht, aber er sagte stattdessen: „Das weiß ich ja nicht.“
     „Tut mir leid, Tann, aber ich weiß nicht, was ich dir raten soll. Ich bin, ehrlich gesagt, auch die falsche Person, wenn es um solche Dinge geht. Wenn du es selber nicht weißt, solltest du es vielleicht mit deiner Familie und deinen Freunden besprechen.“
     Das traf ihn beinahe genauso hart wie das, was Ida ihm über Nila erzählt hatte. Er war Isaac in romantischer Hinsicht tatsächlich vollkommen egal.
     ‚Reiß dich zusammen! Es ist nicht so, dass du das vorher nicht schon gewusst hättest!‘, schalt er sich.


„Tann“, brachte Isaacs Stimme ihn in die Realität zurück, „ich freu mich wirklich, dass du hergekommen bist, aber wäre es in Ordnung für dich, wenn du morgen wiederkommst? Ich bin ziemlich müde.“
     Da fiel es auch Tann endlich auf. Das, was man Isaac schon die ganze Zeit über ansehen konnte: Er sah müde aus. Schwach. Irgendwie krank.
     „Was hast du denn? Geht es dir nicht gut?“
     „Ich fühle mich schon den ganzen Tag nicht gut“, berichtete Isaac.
     „Was fehlt dir denn? Ich bereite dir gleich eine Medizin zu, wenn du es mir sagst.“
     „Danke, aber mach dir keine Umstände. Ich glaube, dass ich nur ein bisschen Schlaf brauche.“
     „In Ordnung. Aber wenn es nicht besser wird, kommst du zu mir, ja?“


Isaac nickte schwach, bevor er sich schwerfällig vom Tisch abstieß und zur Treppe schlurfte. So wie er aussah, befürchtete Tann jedoch, dass das nicht nur mit ein bisschen Schlaf getan war. Er würde morgen früh definitiv nochmal herkommen, diesmal mit seiner Kräutertasche, und nach Isaac sehen, nahm er sich vor.
     Nur, dass er am nächsten Morgen erstmal nicht dazu kam, da sie die Nachricht erreichte, dass Lann vom Ahn-Stamm plötzlich gestorben war.
___________________________________________

 
Da ich glaube, dass es nicht wirklich rüberkam, es aber den Lesefluss zerstört hätte, sei hier übrigens noch angemerkt, dass Wulf eigentlich nichts gegen ein bisschen ungezwungenen Spaß mit Jade gehabt hätte (auch wenn er nicht sonderlich viel von ihr oder Ehebrecherinnen hält), er sich aber nicht auf sie eingelassen hat, weil ihm das dann doch zu gefährlich ist, eine Affäre mit der Frau eines Stammesführers zu haben. Da er in der Gegend bleiben möchte (falls ich das noch nicht erwähnt habe, sei das hiermit nachgeholt), möchte er diesem Ärger lieber aus dem Weg gehen. Er will ja auch nicht Schande über sich und Papa Lu bringen.  
 
Und nächstes Mal geht es dann genau dort weiter, wo wir heute aufgehört haben, und Malah hat eine Idee, die Sicherheit der Anwohner zu erhöhen.
 
Bis dahin, danke euch fürs Vorbeischauen, und ich verabschiede mich! Passt auf euch auf!