Flink wie ich ihn in Erinnerung hatte, sprang Marduk auf
die Beine und war im nächsten Moment bei mir. Da sie blöderweise meine Hände hinterm Rücken
gefesselt hatten und ich noch immer total fertig von Enlils Behandlung war,
verlor ich die Balance und kippte wieder nach vorn, als ich versuchte, aufzustehen
und von ihm wegzukommen. Eigentlich hatte ich ja vor kurzem erst noch mit mir
abgeschlossen gehabt, aber sein hasserfüllter Blick jagte mir trotzdem einen
wahnsinnigen Schrecken ein, und das ließ mich ganz automatisch auf Abstand gehen.
Bevor ich mich wieder aufrappeln konnte,
hatte er meinen Kiefer gepackt und meinen Kopf nach oben gerissen. Es knackte
schrecklich in meinem Nacken, aber meine Angst lenkte mich glücklicherweise
davon ab. Sein längliches, schmales Gesicht war voller blauer Flecken und er
hatte einen blutigen Schnitt quer über die rechte Wange.
„Du! Ich
wusste, dass ich dich damals hätte töten sollen!“, zischte er wütend zwischen
zusammengebissenen Zähnen hindurch und versprühte dabei einen feinen Regen aus
Spucke auf meinem Gesicht. „Du hast versprochen zu schweigen, aber du hast es
nicht getan! Und deswegen haben sie Utu getötet!“
Er biss die
Zähne so fest aufeinander, dass ich es knirschen hören konnte. Eigentlich war
er nur ein schmächtiger Kerl, aber dennoch glaubte ich wirklich, dass er mir
den Kiefer brechen würde. Aber außer, dass sich seine Fingernägel in meine Haut
fraßen und ich einen unschönen Druck auf meiner Kauleiste verspürte, passierte
nichts. Ich versuchte, seinem Blick tapfer standzuhalten, als würde mich das
alles nicht interessieren. Nur ein letztes Mal noch. Aber es schien ihn nur
noch wütender zu machen.
Nachdem er dann
fertig damit war, mich totstarren zu wollen, schlug er meinen Kopf zur Seite
und ich wäre beinahe mit umgekippt. Stattdessen richtete ich mich auf, so gut
es ging, und sah auf den Knien dabei zu, wie seine in teuren,
edelsteinbesetzten Sandalen steckenden Füße mich umrundeten. ‚Wie eine Raubtier
seine Beute‘, schoss es mir durch den Kopf.
„Oh, ich werde
meinen Spaß mit dir haben“, hörte ich ihn sagen. Seine Stimme troff beinahe
vor Genugtuung. „Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du darum betteln, dass du
tot wärst.“
Es war der
Moment, in dem ich mich entscheiden musste. Was sollte ich tun? Sollte ich
aufgeben oder sollte ich kämpfen? Mein Blick huschte zu Ragna, der noch immer
verängstigt an seiner Wand kauerte, dann unauffällig zu Marduk, der mich noch
immer umrundete, und da wusste ich, dass ich etwas tun musste. Ich konnte nicht untätig bleiben. Schon allein wegen dem Jungen
nicht. Immerhin war es meine Schuld, dass er überhaupt hier war. Und ich hatte
mir doch geschworen, es von nun an besser zu machen.
Aber was
sollte ich tun? Marduk war gefährlich und wenn ich nicht aufpasste, würde er
mich schneller aufschlitzen, als dass ich würde gucken können. Und dann war ich
niemandem mehr eine Hilfe. Doch so sehr ich auch nachdachte, mir wollte keine
Idee kommen.
Als Marduk schließlich wieder vor mir zum Stehen kam, jagte sein irrer Blick erneut einen Schrecken durch mich und mir entglitt jeglicher vernünftiger Gedanke. Ich musste etwas tun, bevor es zu spät war! Bevor ich wusste, was ich tat, hatte ich dasselbe wahnsinnige Grinsen aufgesetzt, das auch Marduk trug und hatte gesagt: „Tu dir keinen Zwang an! Ich stehe auf zarte Jünglinge wie dich. Und wenn du fertig bist, dann zeige ich dir mal, wie es richtig geht.“ Ich fühlte mich so widerlich.
Als Marduk schließlich wieder vor mir zum Stehen kam, jagte sein irrer Blick erneut einen Schrecken durch mich und mir entglitt jeglicher vernünftiger Gedanke. Ich musste etwas tun, bevor es zu spät war! Bevor ich wusste, was ich tat, hatte ich dasselbe wahnsinnige Grinsen aufgesetzt, das auch Marduk trug und hatte gesagt: „Tu dir keinen Zwang an! Ich stehe auf zarte Jünglinge wie dich. Und wenn du fertig bist, dann zeige ich dir mal, wie es richtig geht.“ Ich fühlte mich so widerlich.
Marduks
Gesicht entglitt. Es war nur ein winziger Augenblick, aber ich sah es genau. Er
hatte überhaupt nicht mit meiner Reaktion gerechnet, das konnte ich sehen. Ich
konnte ja selber nicht glauben, was ich da gerade von mir gegeben hatte. Ich
meinte ja nicht einmal, was ich gesagt hatte. Aber das konnte ich jetzt schlecht
zugeben, also bluffte ich weiter.
Der Moment
ging schnell vorbei und Marduk hatte sich sofort wieder unter Kontrolle, und er
starrte nun kalt von oben auf mich hinab. Ich hielt seinem Blick stand,
versuchte, aus seinem Gesicht zu lesen was er dachte. Was in ihm vorging. Doch
er ließ mich nur ein kurzes Flattern seiner Augen sehen, dann setzte er seine
Maske aus Wut wieder auf, holte aus und gab mir eine Ohrfeige, dass mein Kopf
zur Seite kippte.
„Wage es nie
wieder, so respektlos mit mir zu sprechen!“, knurrte er. Aber ich hatte es
gesehen. Er trug eine Maske, genauso, wie ich auch. Nur wie es darunter aussah,
konnte ich überhaupt nicht sagen.
Bevor ich es
auch nur ergründen konnte, drehte er mir den Rücken zu und wedelte mit der
Hand. „Mal schauen, wie frech du noch bist, wenn du ein paar Tage hungerst“,
sagte er im Weggehen.
Und alles, was
ich dachte, war: ‚Was habe ich gerade nur
getan?‘
Glücklicherweise waren meine Schmerzen und meine
Erschöpfung größer als mein Hunger, weshalb ich schnell wieder einschlief.
Natürlich bekam ich keine Decke und man machte sich auch nicht die Mühe, meine
Fesseln zu lösen, aber ich schlief trotzdem tief und fest.
Zumindest so
lange, bis ein undeutliches Geräusch mich wieder aus dem Schlaf riss. Ich
blinzelte in die Dunkelheit, als ich die Augen aufschlug, weshalb ich annahm,
dass es Nacht war.
Meine Glieder waren fürchterlich steif und alles tat mir weh, als ich mich vorsichtig auf die Knie kämpfte. Ich brauchte eine ganze Weile, um zu realisieren, was das für ein Geräusch war, das den langgezogenen, aber engen Raum durchdrang. Es war ein ersticktes Schluchzen.
Meine Glieder waren fürchterlich steif und alles tat mir weh, als ich mich vorsichtig auf die Knie kämpfte. Ich brauchte eine ganze Weile, um zu realisieren, was das für ein Geräusch war, das den langgezogenen, aber engen Raum durchdrang. Es war ein ersticktes Schluchzen.
Die
Nackenhaare stellten sich mir auf, als ich mich daran erinnerte, wo ich war und
dass das wahrscheinlich Marduk war, der da gerade weinte. Es kam zumindest aus
seiner Richtung. Ich sah mich verstohlen um, so gut es in der Dunkelheit eben
ging, und bemerkte einen dunklen Schatten, der sich unweit von mir bewegte, als
mein Blick auf ihn fiel. Ragna. Wahrscheinlich hörte auch er Marduks
Schluchzen, aber er tat, als würde er schlafen.
Hinter mir war
alles leer. Es gab nur eine Tür, die den einzigen Ausgang versperrte. Die
Wachen, die mich vorher noch so nett geweckt hatten, waren auch nicht mehr zu
sehen.
Mondlicht war alles, was den Raum durch ein kleines, quadratisches Loch von oben beleuchtete. Da sich ein Gestell über der Öffnung befand, damit es nicht rein regnete, war es aber nur ein schmaler Streifen Licht, der hereinfiel und er fiel geradewegs vor die schluchzende Gestalt vor mir. Vor ein paar Stunden noch hatte Marduk genau unter der Öffnung gesessen, aber jetzt war er in den Schatten geflohen.
Mondlicht war alles, was den Raum durch ein kleines, quadratisches Loch von oben beleuchtete. Da sich ein Gestell über der Öffnung befand, damit es nicht rein regnete, war es aber nur ein schmaler Streifen Licht, der hereinfiel und er fiel geradewegs vor die schluchzende Gestalt vor mir. Vor ein paar Stunden noch hatte Marduk genau unter der Öffnung gesessen, aber jetzt war er in den Schatten geflohen.
Ich überlegte
einen Moment, ob ich wohl nachsehen sollte, ob die Tür abgeschlossen war – was
sie sicherlich war – oder ob ich durch die Öffnung passen würde – was nicht der
Fall sein würde. Nach wie vor waren Ragna und ich hier gefangen. ‚Genauso wie Marduk‘, kam es mir
ungefragt in den Sinn.
Mein Blick zuckte
erneut zu der erbärmlich schluchzenden Gestalt. Ich fragte mich, ob ich es wohl
schaffen würde, ihn aus dem Weg zu räumen. Meine Kehle war ausgetrocknet, ich
hatte Hunger und überall Schmerzen, aber wenn er nicht damit rechnete, hätte
ich vielleicht eine Chance gegen ihn. Trotz meines erbärmlichen Zustandes war
ich wahrscheinlich noch immer stärker als er. Doch während ich noch darüber
nachdachte, ging mir auch auf, dass das ohnehin nichts bringen
würde. Marduk war, wie gesagt, ebenfalls hier gefangen, also hatte er
wahrscheinlich keinen Schlüssel zur Freiheit bei sich.
Während ich
auf meinen Fersen saß und Marduks Schluchzen lauschte, konnte ich nicht
verhindern, dass sich ein merkwürdiger Knoten in meinem Bauch bildete. Ich
wünschte wirklich, er wäre einfach still gewesen, aber den Gefallen tat er mir
nicht. Plötzlich fühlte ich mich schlecht, dass ich überhaupt daran gedacht
hatte, ihn hinterrücks umzubringen. Die Leute sagten über ihn, er sei ein
Monster, aber ich war die letzten Jahre nicht besser gewesen. Und die Leute
erzählten viel, wenn der Tag lang war, das wusste ich besser, als sonst irgendwer.
Momentan war Marduk jedenfalls nur ein bemitleidenswertes Opfer seines Vaters. Und
– meine Güte, bekam ich gerade wirklich Mitleid mit ihm? Die gefühllosen Jahre,
die hinter mir lagen, mussten mich sentimental gemacht haben.
Ich wollte
jedenfalls, dass er endlich ruhig war, also schleppte ich mich zu dem schmalen
Streifen Mondlicht und fragte: „Warum weinst du?“, als ob ich das nicht genau
wüsste.
Marduk zuckte
zusammen und obwohl ich dachte, er würde mir bestimmt die Nase blutig schlagen,
blieb er liegen und antwortete nicht. Er rollte sich vielleicht ein bisschen
mehr ein, verstummte aber nur.
„Ist es, weil Utu
tot ist?“
Ich hatte wirklich eine Auszeichnung für
Feinfühligkeit verdient. Marduk fing wieder an zu schluchzen, aber diesmal
schaffte er es, herauszuwürgen: „Sei still! Du bist daran schuld! Du hast uns
verraten!“
„So etwas
würde ich niemals tun“, entgegnete ich ehrlich.
Er sprang auf
alle Viere und als mich seine tränennassen Augen trafen, die mich so an Enlil
erinnerten, erkannte ich erst, wie jung er eigentlich noch war. Er musste kaum
älter sein, als Ragna.
„Du lügst!“,
rief er aufgebracht.
„Nein, das tue ich nicht. Ich… weiß doch
selber ganz genau, was ihr durchgemacht haben müsst“, entwich es mir, bevor ich
mich stoppen konnte.
Im nächsten
Moment starrte ich ihn so erschrocken an, wie er mich anstarrte. Was war nur
mit mir los, dass ich plötzlich so redselig war? Ich hatte diesen Teil von mir
immer totgeschwiegen, so gut es eben ging, und ich hätte mir eher die Zunge
abgebissen, bevor ich mit jemandem darüber geredet hätte, wie es in mir aussah.
Ich hatte so lange Zeit nicht einmal mehr daran
gedacht. Seitdem Mari gestorben war und ich mich dazu entschlossen hatte, nie
wieder jemanden an mich heranzulassen hatte ich das nicht.
„Ich hasse
ihn! Ich hasse ihn!“, brach Marduk plötzlich aus. „Warum musste er mir Utu
wegnehmen? Dazu hatte er gar kein Recht! Utu hat nichts getan! Er hat ihn nur
getötet, weil er… weil er….“ Er brach ab und hatte eine Weile mit seinen
Weinkrämpfen zu kämpfen. „Was soll ich denn jetzt tun? Ohne Utu bin ich ganz
allein…“
Er gab sich
wieder seinen Tränen hin und ich war nur froh, dass meine Hände gefesselt
waren, sonst hätte ich ihm wahrscheinlich auch noch den Kopf getätschelt, weil
er mir so leid tat.
Marduk sagte danach kein Wort mehr und weinte sich
stattdessen in den Schlaf. Den Gedanken, ihn nach etwas Wasser für meine
ausgedörrte Kehle zu fragen, verwarf ich deshalb auch schnell wieder.
Stattdessen blieb ich, wo ich war, und als er dann endlich eingeschlafen war,
fand auch ich in einen unruhigen Schlaf, der jedoch immer wieder von meinem knurrenden
Magen unterbrochen wurde.
Auch am
nächsten Tag wurde das nicht besser. Mein Hunger war inzwischen geradezu
schmerzhaft geworden und das Allerschlimmste war, dass ich mich immer schwächer
und kraftloser fühlte. Vielleicht hätte ich gestern doch versuchen sollen,
irgendwie zu fliehen, aber nach wie vor stellte sich einfach die Frage, wie,
verdammt nochmal, ich das anstellen sollte.
Marduk hatte
seine kalte Maske am nächsten Morgen wieder auf, als hätte er sich gestern
Nacht nicht erst die Augen aus dem Leib vor mir geheult, aber immerhin schien
er mir jetzt keinen qualvollen Tod mehr bereiten zu wollen.
„Nun? Willst
du mir endlich sagen, was mein Vater wissen will, damit ich mir die Mühe sparen
kann, dir wehzutun?“
„Ich kann dir
nichts sagen. Ich weiß nichts“, krächzte ich. „Ich hab so Durst! Bitte!“
Marduk
schürzte missbilligend die Lippen, sah aber davon ab, mir wie angedroht
wehzutun. Stattdessen ging nun die Tür auf, Licht flutete herein, und Marduk
wich geradezu davor zurück. Sein Gesicht eine Maske des Entsetzens. Da kamen
auch schon zwei Männer an, die, die ihn immer bewachten, wie ich erkannte, und packten
ihn links und rechts bei den Armen. Wenn es mir nicht so elend gewesen wäre,
hätte ich die Chance zur Flucht nutzen können, aber ich war mir nicht mal
sicher, ob ich auf den Beinen bleiben konnte.
Wie zu
erwarten folgte Enlil kurz darauf, auch wenn er nicht das Risiko einging,
seinem Sohn so nahe zu kommen, wie die beiden Wachen. Marduk hatte seine
Fassung da schon wiedererlangt und starrte seinen Vater mit aller Wut und allem
Hass an, den er nur aufzubringen vermochte, wie mir schien. Es lief jedenfalls
selbst mir eiskalt den Rücken dabei runter, obwohl mein Kopf inzwischen so sehr
schwirrte, dass ich nicht mal mehr richtig denken konnte.
„Ich hoffe,
dass mir jetzt einer von euch beiden endlich einen Namen nennen kann“, kam Enlil
sofort zum Punkt. Sein Blick wanderte abwartend von mir zu seinem Sohn.
„Er weigert
sich zu sprechen“, war es Marduk, der ihm knurrend antwortete. „Du wirst ihn
mir noch eine Weile lassen müssen.“
„Ich habe
diese Weile aber nicht mehr!“,
herrschte Enlil ihn aufgebracht an.
Dann wandte er sich an mich, aber er machte sich nicht einmal die Mühe, zu mir runterzukommen. „Nun gut! Dann müssen wir das eben anders machen.“ Er nickte irgendjemanden zu, der hinter mir stand und den ich nicht sehen konnte. „Schneidet ihn in Stücke, solange, bis er redet!“
Dann wandte er sich an mich, aber er machte sich nicht einmal die Mühe, zu mir runterzukommen. „Nun gut! Dann müssen wir das eben anders machen.“ Er nickte irgendjemanden zu, der hinter mir stand und den ich nicht sehen konnte. „Schneidet ihn in Stücke, solange, bis er redet!“
Obwohl ich
halb ohnmächtig war, verirrte sich dennoch ein kleiner Schreckensstich in
meinen Bauch und wanderte von dort hinab. Ich hatte mich ja schon gewundert,
dass ich nach Enlils erster Behandlung noch alle meine Gliedmaßen bei mir
gehabt hatte. Normalerweise war er großzügiger, was Amputationen anging.
Ich spürte,
wie sich zwei Hände um meine Arme schlossen und an mir zogen, aber als Marduk
Anstalten machte, seinen Bewachern zu entkommen, hielten sie inne. „Nein!“,
rief er erschrocken. „Lass ihn mir!“
Enlil hob eine
Augenbraue, als er sich seinem Sohn zuwandte und dann stahl sich ein diebisches
Grinsen auf sein Gesicht, das mir da überhaupt nicht gefiel. „Ich soll ihn dir lassen?“ Als Marduk grimmig nickte, wies
er belustigt auf Ragna, der noch immer verängstigt an seiner Wand hockte und
der jetzt erschrocken zusammenzuckte, als Enlils Aufmerksamkeit zu ihm wanderte.
„Ich habe dir erst letztens ein neues Spielzeug gegeben, damit du ruhig bist.“
„Ich will ihn
aber nicht. Er ist langweilig.“
Enlil tat so,
als würde er überlegen, während er gemächlich umherging. Er spielte mit Marduk
und es schien ihm einen Riesenspaß zu machen, diesem Mistkerl. „Nun, was ist
dir das denn wert?“
„Meinen
Gehorsam“, erwiderte Marduk knapp. „Das ist es doch, was du willst.“
Mit einem Mal
war Enlil an seinen Sohn herangetreten und starrte ihm so wütend ins Gesicht,
dass mir ganz kalt wurde. Nicht, dass es diesen interessierte. „Einen Erben! Das will ich von dir! Mehr nicht!“,
fauchte er.
„Ich bin dein Erbe, alter Mann! Finde
dich damit ab!“
Enlil öffnete
und schloss seine Fäuste und mahlte mit den Zähnen. Ich hatte ihn noch nie so
wütend gesehen und ich war mir sicher, dass er Marduk jeden Moment ins Gesicht
springen würde, aber das tat er nicht. Stattdessen zog er sich zurück und gab
seinen Leuten die Anweisung: „Bringt ihn weg!“
Damit war wohl
ich gemeint, was mein Herz dazu brachte, abwärts zu wandern. Ich
konnte nicht verhindern, dass sich mein Blick hilfesuchend zu Marduk verirrte,
der tatsächlich nun selber erschrocken aussah. Dann aber verschwand jegliche
Regung aus seinem Gesicht.
„Wenn du ihn
mir wegnimmst, werde ich aufhören zu essen“, erklärte er kalt.
Enlil lachte laut
auf, aber als er Marduks ausdrucksloses Gesicht sah, würde auch seines eiskalt. „Das wirst du nicht tun!“, knurrte er
bedrohlich.
„Oh doch! Du weißt, dass ich es tun kann und
dass ich es tun werde!“, drohte Marduk. „Du kannst mich zwingen zu essen, aber
wenn ich nicht leben will, werde ich nicht leben. Du weißt, dass ich das letzte
Mal beinahe gestorben wäre. Und dann hast du gar keinen Erben mehr.“ Er grinste
überlegen. „Dann stirbt deine Blutlinie mit mir.“
Enlil mahlte
noch einen Moment länger mit den Zähnen und sein Kopf war inzwischen so rot
angelaufen, dass er aussah, als würde er bald explodieren. Dann aber wirbelte
er herum und auch ohne, dass er einen Befehl geben musste, folgten seine Männer
ihm kurz darauf. Man ließ mich in Ruhe und als die Tür wieder ins Schloss fiel,
fiel auch ich endlich wieder in die Bewusstlosigkeit. Hunger und Durst waren
inzwischen alles, aus was meine Welt zu bestehen schien.
Ich war es so leid aufgeweckt zu werden. Keine Ahnung,
was es diesmal war – ein unsanfter Stoß und ich war wieder wach. Auch wenn wach meinen Zustand nicht wirklich
beschrieb. Mein Blick war verschwommen und nur langsam entstand wieder eine
Welt um mich herum. Etwas Bräunliches erfüllte mein gesamtes Sichtfeld und
lange Zeit war ich nur damit beschäftigt, meine Gedanken müde hin und her zu
drehen und zu verstehen, was ich da sah.
Wahrscheinlich
hätte ich noch den ganzen Tag darüber gerätselt, aber da half mir jemand
netterweise dabei, mich aufzurichten, indem er mich rüde mit dem Fuß
zurückstieß. Ein böser Schmerz stach von meinem Kopf durch meinen gesamten
Körper und ich kippte sofort wieder nach vorn und obwohl meine Hände nicht mehr
gefesselt waren, wäre ich bestimmt auf dem Gesicht gelandet. Aber als ich
plötzlich verschwommen mir selber ins Gesicht sah, kehrte ich endlich in die
Wirklichkeit zurück. Da war Wasser!
Ohne lange zu
zögern versenkte ich meinen Kopf darin. Ich sog das kühle Nass gierig in mich
auf, als wäre es die Luft, die ich zum Atmen brauchte und mit jedem Schluck war
es mir, als würde ich ins Leben zurückkehren. Meine Gedanken klärten sich.
Doch leider
ließ man mich meinen Durst nur kurz stillen. Ich wurde an meinen Haaren
zurückgerissen, schnappte erstickt nach Luft und sah Marduk ins Gesicht.
„Du sollst
das nicht trinken, du sollst dich damit waschen!“, zürnte er.
Sein Finger
schnellte zu einem sauberen Tuch, das neben mir lag, aber ich verstand trotzdem
immer noch nicht. Ich wollte nur wieder zurück ins Wasser.
„Ich hab Hunger…“, würgte ich hervor.
„Bevor du dich
nicht gewaschen hast, bekommst du gar nichts.“ Er ließ mich wieder fahren. „Du
stinkst bestialisch und ich habe keine Lust, dass du mir an Wundbrand
krepierst, nachdem ich mich so für dich bei meinem Vater gedemütigt habe.“ Er
war inzwischen wieder zu seinen Fellen zurückgegangen, um unter der kleinen
Öffnung im Sonnenlicht zu sitzen. „Du solltest lieber ein bisschen mehr
Dankbarkeit zeigen!“, sagte er drohend.
Ich riskierte
einen Blick und tatsächlich sah es so aus, als ob sich einige der Wunden auf
meiner Brust entzündet hatten. Oder gerade dabei waren. Ich wollte gar nicht wissenm wie die Messerwunde zwischen meinen Nieren aussah. Es erklärte zumindest
meine Schwäche und meine zehrende Müdigkeit.
Also zog ich mir das Hemd, das man mir gelassen hatte, über den Kopf, und bereute es sofort. Als der Stoff über die Wunde schabte, hätte ich am liebsten geschrien. Doch ich biss die Zähne zusammen und begann dann vorsichtig, die Wunden mit dem nassen Tuch zu säubern. Ich muss nicht sagen, dass das noch viel mehr wehtat. Es brannte so schrecklich, dass ich am Ende Tränen in den Augen hatte. Doch nach getaner Arbeit musste ich feststellen, dass es mir tatsächlich gutgetan hatte. Der Schmerz pochte zwar noch immer widerlich in meiner Brust, aber die Kälte des Wassers war überaus belebend gewesen.
Also zog ich mir das Hemd, das man mir gelassen hatte, über den Kopf, und bereute es sofort. Als der Stoff über die Wunde schabte, hätte ich am liebsten geschrien. Doch ich biss die Zähne zusammen und begann dann vorsichtig, die Wunden mit dem nassen Tuch zu säubern. Ich muss nicht sagen, dass das noch viel mehr wehtat. Es brannte so schrecklich, dass ich am Ende Tränen in den Augen hatte. Doch nach getaner Arbeit musste ich feststellen, dass es mir tatsächlich gutgetan hatte. Der Schmerz pochte zwar noch immer widerlich in meiner Brust, aber die Kälte des Wassers war überaus belebend gewesen.
Nachdem ich
das Tuch weggelegt hatte, sah ich erwartungsvoll zu Marduk hinüber. Wenn er mir
jetzt nicht endlich was zum Essen geben würde, würde ich ihn überfallen und
um seines erleichtern, das neben ihm stand und das er scheinbar nicht
einmal angerührt hatte.
Doch er ließ sich schließlich dazu herab, mir ein kleines Brot zuzuwerfen, als würde er ein Schwein füttern. Ich stürzte mich auch genauso hungrig wie eines darauf und kümmerte mich überhaupt nicht darum, dass es davor noch auf dem erdigen Boden gelegen hatte. Ich vergrub meine Zähne in das Brot und es schien mir, als hätte ich noch nie etwas Köstlicheres gegessen.
Doch er ließ sich schließlich dazu herab, mir ein kleines Brot zuzuwerfen, als würde er ein Schwein füttern. Ich stürzte mich auch genauso hungrig wie eines darauf und kümmerte mich überhaupt nicht darum, dass es davor noch auf dem erdigen Boden gelegen hatte. Ich vergrub meine Zähne in das Brot und es schien mir, als hätte ich noch nie etwas Köstlicheres gegessen.
„Ich hoffe, du
weißt, dass du das nicht umsonst bekommst“, hörte ich Marduk gönnerisch sagen.
„Sag mir, hast du schon viel von der Welt gesehen oder bist du von hier?“
Ich hatte
keine Ahnung, was diese Frage sollte und ich überlegte auch, ihn einfach zu
ignorieren, aber da ich es auf sein zweites Brot abgesehen hatte, antwortete
ich kauend: „Ich komm nicht von hier.“
Plötzlich war
da ein aufgeregtes Glänzen in seinen Augen, das überhaupt nicht zu ihm passte.
„Dann erzähl mir von der Welt!“, forderte er. „Ich will alles wissen, was du
gesehen hast!“
Ich nahm mir
die Zeit, meinen letzten Bissen zu verschlingen. Dann streckte ich die Hand
aus. Marduk sah zuerst aus, als würde er sie mir höchstens abbeißen, aber dann
bekam ich doch noch sein zweites Brot zugeworfen. Ich hatte echt keine Lust,
jetzt zu erzählen. Ich wollte essen und danach wollte ich mich wieder ausruhen.
Die Strapazen des letzten Tages, meine Verletzungen und das Essen in meinem
Bauch hatten mich schläfrig gemacht. Aber mir blieb keine andere Wahl.
Also erzählte
ich ihm von der Welt. Und obwohl er versuchte, desinteressiert auszusehen,
lauschte er mir bald schon gebannt und mit offenem Mund, und das Leuchten war
in seine Augen zurückgekehrt. Er war wirklich wie ein Kind. Ich fragte mich,
wie lange Enlil ihn hier wohl schon gefangen hielt. Irgendwie konnte ich mich
des Eindrucks nicht erwehren, dass Marduk sich nur wie ein großes Kind benahm,
weil er seit seiner Kindheit hier eingesperrt war, und ich konnte nicht
verhindern, dass diese Vorstellung mich doch betroffen machte.
Ich bekam auch noch die Fleischkeule, die Marduk
übriggelassen hatte und zur nächsten Mahlzeit durfte ich dann sogar eine kurze
Pause machen und ein Nickerchen einlegen. Auch wenn es nur ein kurzes war.
Marduk war unerbittlich und er war überaus neugierig darauf, was ich noch zu
erzählen hatte. Er saß den ganzen Tag nur da und hörte sich meine Geschichten
an. Das Einzige, was er tat, war, mit der Sonne zu wandern, bis sie schließlich
zu niedrig stand, um in sein Gefängnis zu scheinen.
Nachdem die
Wachen die zweite Mahlzeit reingebracht hatten, bekam ich sogar weiteres
Publikum in Form von ihnen, aber ich hätte gut darauf verzichten können. Ich
war am Abend jedenfalls nicht nur heiser, sondern auch völlig erschöpft. Die
Wunden auf meiner Brust hatten wieder zu brennen begonnen und ich war todmüde.
Deswegen war
ich mehr als erleichtert, als sie kamen, um die Feuer zu löschen. Mit letzter
Kraft schleppte ich mich zu der Stelle, an der Ragna bislang gewesen war. Enlil
hatte ihn wohl wieder mitgenommen, aber ich wusste nicht, ob das jetzt gut für
ihn sein würde oder nicht. Ich konnte jedenfalls gerade nichts für ihn tun. Ich
war noch immer verletzt und zu erschöpft. Aber sobald ich wieder bei Kräften
war, das schwor ich mir, würde ich einen Weg hier rausfinden und ihm helfen. Bis
dahin musste ich nur einen guten Unterhalter spielen.
Gerade, als
ich mich hingelegt hatte, hallte aber wieder Marduks Stimme durch die
Dunkelheit. „Da schläfst du aber nicht“, eröffnete er. „Du schläfst hier bei
mir.“
„Muss das
sein?“, dachte ich und irgendwie sagte ich es wohl auch.
„Widersetzt du
dich mir etwa?“, fragte Marduk sofort bedrohlich. Ich rechnete damit, dass er
jeden Moment aufspringen, zu mir kommen und mir irgendetwas antun würde, das den
Schmerz, der gerade am Abflauen war, wieder aufwecken würde. Doch stattdessen
hörte ich ihn wütend fauchen: „Nachts ist es kalt hier! Mir Wärme zu spenden
ist deine Aufgabe, also legst du dich mit dem Rücken zu mir und behältst
gefälligst deine Hände bei dir!“
Das musste er
mir nicht zweimal sagen. Ich hatte mehr Sorge, dass er seine Hände nicht bei sich behielt. Ich hatte jedenfalls
überhaupt keine Lust, auf diese Weise Bekanntschaft mit ihm zu machen. Schlimm
genug, dass ich scheinbar Mitleid mit ihm hatte. Auch wenn mir das wohl das
Leben gerettet hatte.
Ich konnte
jedenfalls nichts dagegen tun. Also sagte ich mir, dass es nur ein paar Tage
waren, bis ich wieder auf den Beinen war, und dann rappelte ich mich noch
einmal auf, um zu ihm rüberzugehen. Er lag schon mit dem Rücken zu mir und ich
ließ mich so neben ihm nieder, dass wir uns gerade so nicht berührten. Ich
hoffte, dass das ausreichen würde. Scheinbar tat es das auch, da Marduk ruhig
blieb. Zumindest so lange, bis er wieder zu heulen anfing. Aber diesmal
tröstete ich ihn nicht und sein Schluchzen begleitete mich, bis ich schließlich
in einen tiefen Schlaf geglitten war.
Hier weiterlesen -> Kapitel 22
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