Als ich wieder aufwachte, sah ich einen Schatten über
mir, der sich nur langsam in das Gesicht von Leif verwandelte. Er war über den Toten gebeugt, der auf mir lag, und erleichterte ihn gerade um seine
Habe. Ich wollte ihn rufen, aber kein Laut kam mir über die Lippen. Alles was
ich tun konnte, war dazuliegen, mein ganzer Körper heiß und schwer vom Fieber,
und dumpfe Schmerzen zu atmen, so schien es mir.
Schließlich kam er zu mir. Er rollte den
Toten von mir und seine Hand wanderte zu dem Amulett, das ich seit ein paar Jahren als Glücksbringer
immer um den Hals trug. Es hatte mir diesmal jedoch keinen sonderlich guten
Dienst erwiesen. Er entriss es mir, und er wollte schon wieder gehen, aber dann
glitt sein Blick doch nochmal kurz über mein Gesicht und ich sah eine Mischung
aus Wut und Überraschung darin aufziehen. Schließlich aber gewann die Genugtuung
die Oberhand.
„Und ich hatte
schon gehofft, dass es dich erwischt hat“, sagte er, dann stieß er seinen
Finger in meine linke Brust, was einen schrecklichen Schmerz durch meinen
Körper sandte, der mich für einen Augenblick gewaltsam vom Rand der
Bewusstlosigkeit zurückholte. Er grinste. „Aber wie du aussiehst, wirst du es
eh nicht mehr lange machen.“
Meine Augen
flatterten und die Welt drohte, mir erneut zu entgleiten, aber ich hielt mich
stur bei Bewusstsein.
„Schade nur,
dass ich nicht die Chance hatte, dich
abzustechen.“
Er wollte noch
etwas sagen, aber da hörte ich undeutlich, wie jemand nach ihm rief und fragte:
„Hast du noch wen Lebendiges dort gefunden?“
Er verzog das
Gesicht ob der Unterbrechung. Ich hatte bereits mit mir abgeschlossen, doch
während meine Welt immer unschärfer und dunkler vor meinen Augen wurde, sah ich
noch den Zweifel in seinem Gesicht. Er rang mit sich.
„Ja, hier!“,
hörte ich noch, und da ließ ich wieder los.
Der Berg, den ich hochkletterte, war ein hoher Bastard
mit einer steilen Felswand. Ich bekam kaum irgendwo einen richtigen Halt und
rutschte immer wieder ab. Die Felsen stachen mir die Finger blutig, was das
Ganze noch schwieriger machte, aber ich kletterte trotzdem immer weiter. Mir
war nicht heiß, obwohl ich mich hier verausgabte und auch nicht kalt, obwohl
überall um mich herum Schnee lag. Ich spürte nicht einmal den reißenden Schmerz
in den erlahmenden Gliedern, der mich bei meinem ersten Aufstieg heimgesucht
hatte. Seitdem schien der Berg noch steiler und noch tückischer geworden zu
sein.
Endlich
erreichte ich den Absatz, wo mich eine miesgelaunte Bergziege heimsuchen und
mir das Essen klauen würde, wie ich wusste. Der Kerl, mit dem ich damals hier
hochgestiegen war, hatte nicht die Freundlichkeit besessen, mich vor der
Dreistigkeit ihrer Ziegen zu warnen, aber im Nachhinein war ich sowieso zu der
Überzeugung gelangt, dass er einfach eine Vorliebe dafür gehabt hatte, mich zu
schikanieren. Er war einer meiner ersten Lehrmeister gewesen und damals hatte
ich noch oft unter meiner fehlenden Kraft und schwachen Ausdauer zu leiden
gehabt.
Diesmal jedoch
kam ich gut voran und ich wuchtete mich ohne weitere Probleme über die Kante. Ich
wollte mich am liebsten an den Rand setzen, die Beine baumeln lassen und mich
in der schier endlosen Weite verlieren, die sich vor mir erstreckte. Obwohl
hier oben überall Schnee lag, war das hügelige Tal unter mir von einem satten,
frühlingshaften Grün. Hier und da waren Schafe als weiße Punkte in das Grün
gemalt, am Horizont sah ich den Rauch einer Siedlung aufsteigen. Aber ich konnte
leider nicht hierbleiben und die Aussicht genießen. Die Ziege würde ja da sein.
Als ich mich
auf die Beine kämpfte und meine Kleidung vom Schnee befreite, war es aber nicht
die Ziege, die ich plötzlich vor mir hatte, sondern ein waschechter weißer
Wolf. Ich korrigiere: ein Ungetüm von einem waschechten weißen Wolf. Ich
brauchte ihn gar nicht in die trüben, dunklen Augen sehen, ich erkannte ihn
auch so sofort. Schließlich hatte ich schon einmal mit ihm gekämpft, und ich
hatte gewonnen und ihn erlegt.
Im Gegensatz
zu damals hatte ich jetzt glücklicherweise mehr, als nur ein Messer. Aber das
verdammte Biest war trotz seines hohen Alters so schnell und wendig, dass ich
mich im nächsten Moment in einem richtigen Ringkampf mit dem Vieh wiederfand. Es
begrub mich zunächst unter sich, aber ich schaffte es glücklicherweise, meine
Arme zwischen ihn und mich zu bekommen, um die spitzen Zähne von meinem Gesicht
fernzuhalten. Nur mit Mühe gelang es mir, ihm einen kräftigen Schlag auf die
Nase zu verpassen, sodass er heulend zurückfuhr. Dann hatte ich mein Schwert
wieder in der Hand und wir standen uns erneut gegenüber.
Der Kampf
schien kein Ende zu nehmen und wir hatten beide ganz schön eingesteckt, als plötzlich
ein Pfeil von hinten seinem Leben ein jähes Ende setzte. Ich dachte nur: ‚Warte! Das war so aber nicht richtig! Ich
habe ihn doch getötet!‘, aber als ich sah, was für ein Pfeil das war, der
ihn getötet hatte, stieg Panik in mir auf. Es war kein Pfeil; es war nur eine
Pfeilspitze.
Ich suchte
verzweifelt nach einem Versteck, fand aber keins. Letztendlich versuchte ich,
mich unter dem toten Wolf zu verstecken, aber er war zu schwer für mich. Zu
allem Überfluss hatte er angefangen, wieder nach mir zu schnappen. Ich wollte
mein Messer ziehen, aber da fiel mir auf, dass es fehlte.
„Suchst du
etwas?“, hörte ich plötzlich Isaacs Stimme fragen, und da gefror mir das Blut
in den Adern.
Ich wusste,
dass er da aus dem Schatten kam, bevor er überhaupt auftauchte. Und ich wusste,
dass er sie dabeihatte. Er kam nie
ohne sie zu mir. Er hatte sie in seinen Armen, aber sie bewegte sich nicht. Wie immer. Ich
konnte sie noch immer nicht ansehen,
also fixierte ich den Boden. Der Schnee war trotz meines Kampfes mit dem Wolf
noch immer makellos.
„Mein Messer.
Wo ist es?“, fragte ich kleinlaut, ohne die beiden anzusehen.
„Ich weiß
nicht. Wo hast du es denn gelassen?“
Der Schnee
wurde besudelt. Ein kleiner, roter Tropfen. Dann noch einer. Genau zwischen
Isaacs nackte Füße. Ich hatte eine Todesangst.
„Wenn du es
nicht hast, dann geh weg!“, rief ich schließlich. Ich hielt es nicht mehr aus.
Ich wandte mich ab und vergrub das Gesicht in den Händen.
„Bist du
sicher?“, fragte Isaac mich. „Es ist kalt.“
„Ja“, hauchte
ich erstickt. „Ich will allein sein.“
Er sagte
nichts mehr und ich wartete darauf, bis ich das Knirschen des Schnees hörte,
das mir verriet, dass er fortging. Ich wollte nicht allein sein. Aber ich
konnte sie nicht ertragen. Ich wusste, dass sie alle da waren im Schatten.
Kane, Eris, Ayra, ja sogar der kleine Wulf, und alle anderen, die ich im Stich
gelassen hatte. Sie waren da und sahen zu mir herüber, aber ich konnte sie nicht ansehen. Erbärmlich wie ich
war, verbarg ich mich vor ihnen und schließlich wurde mir doch noch kalt.
Die Kälte traf
mich so unvermittelt, dass es mir in Händen und Füßen wehtat. Ich spürte, dass
mein rechtes Bein gebrochen war. Wenn ich keine Hilfe bekommen würde, würde ich
hier elendig erfrieren. Denn ich schaffte es nicht mehr aus eigener Kraft
zurück. Ich war allein.
Als ich gerade
mit Zittern beschäftigt war, hörte ich plötzlich wieder Schritte. Ich hatte
keine Kraft mehr, nachzuschauen. Die Schritte verstummten und ein Arm legte
sich um mich, der so warm war, dass er mich beinahe verbrannte. Ich roch den
erdigen Geruch, den ich nur einmal hatte riechen dürfen, als er mir schon mal
geholfen hatte, als ich mir das Bein gebrochen hatte. Es war die Erde, aus der
sie die Farben machten. Die, die es hier auch gab.
„Da bist du“,
sagte Lu. Er kam manchmal hierher. Er und Greta waren die Einzigen, die ich
noch hierherkommen ließ. Sie waren die Einzigen, mit denen ich noch glückliche
Erinnerungen verband, obwohl das natürlich nicht stimmte. Doch ich erlaubte mir
nicht, etwas anderes zu denken.
„Wir haben
schon alle auf dich gewartet.“
Ich hob den
Kopf und sah ihn an. Er hatte sich überhaupt nicht verändert.
„Du auch?“
Ein Lächeln.
„Sicher. Ich wollte wieder deinen Geschichten lauschen. Hast du wieder welche
zu erzählen?“
„Oh ja, viele.“
Ich sah mich vorsichtig um. „Aber wo ist Greta?“ Sie kam normalerweise immer
mit ihm, aber heute war sie nicht da.
„Sie wird
nicht mehr kommen. Sie will nicht“, antwortete Lu bloß, und ich wusste warum.
Sie war enttäuscht von mir.
Ich nickte
betroffen. „Mir ist so kalt“, sagte ich, da ich es nicht ändern konnte, dass
Greta nie wieder herkommen würde.
Da ließ Lu
mich los und ging, um ein Lagerfeuer in den Schnee zu malen. Ich glaubte ja
nicht daran, dass es mir Wärme spenden würde, aber als er fertig war, wurde mir
tatsächlich wärmer.
„So, jetzt
kannst du mir alles erzählen“, beschloss er.
„Nein, nicht
alles.“
„Warum nicht?“
Ich zog die Knie an und legte den Kopf
darauf. Ich konnte ihn nicht ansehen. „Ich habe viele schlimme Dinge getan, Lu,
deshalb. Wahrscheinlich kommt Greta deshalb auch nicht mehr her.“
Eine ganze
Weile lang war es ruhig und ich dachte schon, dass er mich auch alleingelassen
hatte, aber dann fragte er: „Und bereust du sie?“
Ich starrte
ihn an. „Natürlich tu ich das! Ich wollte nie jemanden töten! Ich wollte nie
jemanden verletzen!“
„Warum tust du
es dann? Hör doch einfach auf damit.“
Ich wandte
mich ab. „Selbst wenn ich das tue; manche Dinge kann ich nie wieder gutmachen.“
Plötzlich
hatte er mir etwas unter die Nase gehalten und als ich es erkannte, erstarrte
ich. Es war das blutige Messer mit dem ich den Jungen getötet hatte, der mir
Mari genommen hatte.
„Vielleicht
nicht, aber du kannst es von nun an besser machen.“ Er legte das Messer, das
ich nicht sehen wollte, in den Schnee und erhob sich. „So einfach aufzugeben
passt gar nicht zu dir, Wulfgar!“
Dann ging er.
„Warte! Lass
mich nicht allein!“, rief ich ihm nach und Lu hielt noch einmal inne. „Wirst du
wieder herkommen?“
Er antwortete
nicht. Lächelte nur und kehrte zu den Anderen in den Schatten zurück. Ließ mich
allein mit meiner Schuld, der Kälte und der Panik in mir.
Der Geruch nach frischer, trockener Erde war das Einzige,
das von Lu übrig blieb. Selbst als ich die Augen aufschlug und die Welt zu mir
zurückkehrte, war er noch immer da. Ich blinzelte verschlafen in das diffuse
Zwielicht, das mich umgab. Als ich den Kopf drehte, wurde jemand auf mich
aufmerksam und versuchte erst einmal, mich mit einem grellen Licht zu blenden.
Ich hielt schützend die Arme vors Gesicht, dass es mir einen unschönen Schmerz
durch den Körper jagte, und da verschwand das Licht wieder.
„Entschuldige!“, hörte ich eine Stimme, die mir bekannt vorkam.
Als sich meine
Augen endlich auf die Lichtumstände eingestellt hatten, erschien langsam Utu
vor mir. Er hockte neben mir auf dem Boden, während ich auf einer Schlafmatte
unter einer Decke lag. Ich wollte mich aufrichten, aber der Priester hielt mich
zurück.
„Du solltest
es nicht gleich übertreiben. Ein Pfeil hat dich getroffen, musst du wissen“,
erklärte er.
Er wies auf
meine linke Brust und da erinnerte ich mich vage. Die Schlacht. Der Kampf gegen
Goldzahn und dann natürlich der Pfeil. Ich fragte mich, ob auch die Sache mit
Leif geschehen war oder ob ich das auch nur geträumt hatte.
Doch ich
fragte nicht nach. Ich schob Utus Hand resolut zur Seite und richtete mich auf,
obwohl mir das erst richtige Schmerzen bereitete. Einen Moment lang hatte ich
damit zu kämpfen, überhaupt bei Bewusstsein zu bleiben, dann aber ging es
wieder. Ich atmete tief durch und lehnte mich an die Wand in meinem Rücken. Scheinbar
befand ich mich im Tempel, wie ich bei der Dunkelheit und dem weitläufigen Raum
mit den Wandmalereien annahm, in dem sich gerade zahlreiche Verletzte unruhige
und unter Schmerzen im Schlaf und Fiebertraum drehten. Immer mal wieder hatte
sich ein helfender Priester unter sie verirrt.
„Lass mich
wenigstens noch deine Wunde fertig versorgen.“
Als ich Utu
ansah, bemerkte ich ein Tuch in seiner Hand, das aussah, als hätte es auch schon
bessere Tage gesehen. Es war übersät mit bräunlichen Flecken. Nichtsdestotrotz
versenkte er das schmutzige Tuch in einem kleinen Tontopf und schmierte dann
meine Brust damit ein, was die Schmerzen in mir erneut aufweckte. Als das
Brennen etwas abgeebbt war, stieg mir wieder der erdige Geruch in die Nase.
„Ist das etwa
Farbe?“, fragte ich argwöhnisch.
Utu hielt
überrascht inne. „Nun, wir benutzen es auch als Farbe, ja, aber in erster Linie
ist das Heilerde.“
Ich hatte
keine Ahnung, ob das wirklich funktionierte oder es nur eine böse Entzündung
hervorrufen würde, aber ich wusste, dass dieser Geruch für mich eines
bedeutete, an das ich lange nicht mehr gedacht hatte: Heimat.
Der Traum
hatte mich ganz schön aufgewühlt, obwohl ich öfter solche Träume hatte. In
meinen Träumen waren sie immer für mich da, Greta und Lu, die Einzigen, die ich
noch zu mir ließ, und ich konnte mich ihnen anvertrauen. Meine Wünsche, meine
Sorgen und meine Ängste. Ich konnte wieder fühlen und der sein, der ich seit
dem Tag nicht mehr war, als sie gestorben
war. Kurzum: Ich konnte alles raus lassen, was ich seit ihrem Tod tief in mir verschlossen hielt.
Deswegen waren
mir diese Träume wichtig und teuer. Manchmal war es mir, als wären sie das Einzige,
das mich davon abhielt, dass mein Herz vollends erfror oder dass ich wahnsinnig
wurde. Doch diesmal war Greta nicht darin vorgekommen. Sie hatte sich
geweigert, mich zu sehen, und das hatte mich zutiefst erschüttert. Sicher, es
war nur ein Traum, aber dennoch musste ich mich fragen, wie wohl die echte
Greta über mich denken würde, wenn sie mich nun sehen könnte. Ob sie wohl
ebenso enttäuscht sein würde, wie ihr Traum-Alter-Ego?
Dabei wusste
ich nicht einmal, was genau es gewesen war, dass sie so enttäuscht hatte. Es
war schließlich nicht so, dass ich mich erst seit heute nicht um meine
Mitmenschen scherte. Aber ich hatte in meinem Traum leider nicht daran gedacht,
nachzufragen, warum sie so enttäuscht war und ob sie noch einmal wiederkommen
würde. Lu war noch da, aber er war eben nicht Greta. Meine Zwillingsschwester,
die mir so viel bedeutete, als wäre sie ein Teil von mir.
Ich vermisste
sie so schrecklich. Es verging eigentlich kein Tag, an dem ich mich nicht
fragte, was sie gerade machte oder wie es ihr ging. Manchmal war da ein
plötzlicher Schmerz oder ein Gefühl in mir, das ich nicht zuordnen konnte. Ich
kannte das schon. Ich hatte das früher auch ab und an gehabt, wenn Greta und
ich getrennt voneinander gewesen waren. Sie hatte das auch, hatte sie mal
erzählt. Es war dieses spezielle Band, das wir zueinander hatten. Ich habe mich
oft gefragt, ob es meinen anderen Geschwistern mit ihrem Zwilling ebenso erging.
Wenn mich so etwas überfiel, dann wusste ich jedenfalls, dass etwas mit Greta
war und dann konnte ich nicht verhindern, dass ich mir Sorgen um sie machte.
Und jetzt
hatte Greta meine Träume verlassen und ich wusste nicht, ob sie jemals wieder
zu mir zurückkehren würde. Momentan konnte ich es ja nicht einmal über mich
bringen, der realen Greta unter die Augen zu treten. Ich hoffte nur, dass nicht
auch noch Lu aus meinen Träumen verschwinden würde. Ich wusste, dass der echte
Lu mich bestimmt ausgelacht hätte, aber der Traum-Lu war anders. Und wenn er
mich auch noch allein lassen würde, wusste ich nicht, ob ich es überstehen
würde.
Während meiner Genesung versuchte ich, nicht mehr an
meinen Traum zu denken und ich träumte ihn auch kein zweites Mal. Ich musste im
Tempel bleiben, was überaus langweilig war. Der Schmerz und die Schwäche waren
noch immer da, aber ich würde es überstehen, hatte man mir gesagt. Wenn ich
mich nur etwas ausruhte. Ich hätte es aber bevorzugt, die dunklen Hallen des
Tempels zu verlassen und raus ins Tageslicht zu kommen. Ein bisschen frische
Luft schien mir jedenfalls heilsamer zu sein als das Stöhnen derjenigen, die
die nächste Nacht wahrscheinlich nicht überleben würden und dem Gestank derer,
die es schlimmer erwischt hatte, als mich.
Der Pfeil in meiner Brust hatte auch einen ganz schönen Schaden hinterlassen, weshalb ich länger im Tempel gefangen blieb, als mir lieb war. Da war ich schon ganz froh, wenn Utu mal bei mir auftauchte und sich dazu erbarmte, mich an einer seiner Lehrstunden teilhaben zu lassen.
Der Pfeil in meiner Brust hatte auch einen ganz schönen Schaden hinterlassen, weshalb ich länger im Tempel gefangen blieb, als mir lieb war. Da war ich schon ganz froh, wenn Utu mal bei mir auftauchte und sich dazu erbarmte, mich an einer seiner Lehrstunden teilhaben zu lassen.
Von den
gelegentlichen Besuchern der anderen Verletzten erfuhr ich dann auch, dass die
Schlacht gewonnen worden war und die gegnerische Stadt nun unter Enlils
Kontrolle stand. Ab und an bemerkte ich auch, wie die Blicke zu mir gingen, und
dann wurde getuschelt, aber ich verstand leider nie, über was sie sprachen und
ich hatte auch nicht den Nerv rüberzugehen und nachzufragen. Ich selber bekam
natürlich keinerlei Besuch, aber damit hatte ich auch nicht gerechnet.
Als ich mich nach zwei Tagen über die Anweisung des diensthabenden Heilers hinwegsetzte und das erste Mal aufstand, suchte ich unter den Verwundeten verstohlen nach dem Schwert-Jungen, aber ich fand ihn nicht. Da ich nicht einmal seinen Namen kannte, konnte ich auch niemandem nach ihm fragen. Ich wurde dann wieder zum Hinlegen verbannt und verpasste damit meine Chance, mich davonzustehlen.
Als ich mich nach zwei Tagen über die Anweisung des diensthabenden Heilers hinwegsetzte und das erste Mal aufstand, suchte ich unter den Verwundeten verstohlen nach dem Schwert-Jungen, aber ich fand ihn nicht. Da ich nicht einmal seinen Namen kannte, konnte ich auch niemandem nach ihm fragen. Ich wurde dann wieder zum Hinlegen verbannt und verpasste damit meine Chance, mich davonzustehlen.
Ich hatte keine
Ahnung, wie lange ich verletzt darniederlag, aber ich war mehr als heilfroh,
als sie mich endlich entließen. Die seichte Herbstsonne, die mich an diesem Tag
an einem malerischen, wechselhaften Himmel begrüßte, schien mir so schön, wie
noch nie zuvor. Ein angenehm kühler Wind ging und ich war schon versucht, auf
die Anweisung des Heilers zu pfeifen und doch eine Runde im See zu drehen, um
den Muff nach Krankheit und Tod loszuwerden. Da ich aber nicht riskieren
wollte, dass sich meine Wunde doch wieder entzündete, ließ ich das lieber
bleiben, und ich sah mich stattdessen nach Enlil um. Es war Zeit, dass ich mir
meine Bezahlung und ein neues Schwert holte und dann wieder von hier
verschwand. Und ich nahm mir vor, nie wieder als Krieger in irgendeiner Schlacht
anzuheuern.
Im Vorhof der Zikkurat, dort, wo sich das
Trainingsgelände für die Kämpfer der Stadt befand, war es, als wäre nie etwas
geschehen. Hier und da übten sich einige Krieger in ihrer Kunst, einzelne
Gruppen saßen oder standen zusammen und plauderten und tranken. Wenn ich mich
ein bisschen mehr für die Anderen interessiert hätte, wäre mir wahrscheinlich
aufgefallen, dass das ein oder andere Gesicht inzwischen fehlte, aber ansonsten
wirkte alles so wie immer. Verrückt, wenn man daran dachte, dass wir vor ein
paar Tagen noch in einem Gemetzel um unser Leben gefochten und hemmungslos
getötet hatten.
Während ich
über diesen Wahnsinn nachdachte, fiel mir Leif ins Auge, der mit einigen
anderen Männern faul in der Gegend rumstand und es sich gutgehen ließ. Sein
Anblick erinnerte mich daran, dass da ja noch etwas war.
Einen Moment nur zögerte ich, dann ging ich unwillig zu ihm rüber. Mein Anblick rief bei seinen Kumpanen wohl Schrecken aus, da sie sofort das Weite suchten. Wie mir schien, hatten die anderen Krieger noch mehr Angst vor mir, als vor der Schlacht. Vielleicht kam es mir auch nur so vor. Nur Leif hatte genug Mut, zu bleiben und mir die Stirn zu bieten. Er hatte ein paar Kratzer im Gesicht, schien ansonsten aber unversehrt. Trotzig sah er mir entgegen. So, wie immer.
Einen Moment nur zögerte ich, dann ging ich unwillig zu ihm rüber. Mein Anblick rief bei seinen Kumpanen wohl Schrecken aus, da sie sofort das Weite suchten. Wie mir schien, hatten die anderen Krieger noch mehr Angst vor mir, als vor der Schlacht. Vielleicht kam es mir auch nur so vor. Nur Leif hatte genug Mut, zu bleiben und mir die Stirn zu bieten. Er hatte ein paar Kratzer im Gesicht, schien ansonsten aber unversehrt. Trotzig sah er mir entgegen. So, wie immer.
„Ich will mich
bei dir revanchieren, dass du mich da nicht zum Verrecken zurückgelassen hast“,
erklärte ich ohne Umschweife. Ich hätte eigentlich „Danke“ sagen sollen, aber
ich brachte es einfach nicht über mich. Also wandte ich mich ab und winkte ihm,
mir zu folgen.
Leif ließ eine
Weile auf sich warten, aber ich hielt trotzdem nicht an. Als ich schon wieder
durch die Pforte zurück in die Stadt geschritten war, holte er schließlich auf.
„Ich hoffe,
dass du wenigstens was hast, dass es sich für mich gelohnt hat, deinen Arsch zu
retten“, sagte er bissig.
Ich ging nicht
darauf ein und auch er schwieg eine ganze Weile.
„Wo bringst du mich überhaupt hin?“, fragte er schließlich. „Enlil hat nach dir geschickt, solltest du wissen. Wenn du wieder auf den Beinen bist, sollst du zu ihm kommen. Du weißt ja, dass man ihn lieber nicht warten lassen sollte.“
„Wo bringst du mich überhaupt hin?“, fragte er schließlich. „Enlil hat nach dir geschickt, solltest du wissen. Wenn du wieder auf den Beinen bist, sollst du zu ihm kommen. Du weißt ja, dass man ihn lieber nicht warten lassen sollte.“
Mir war schon
klar, dass er mir das nicht aus Nächstenliebe erzählte. Enlil war bekannt
dafür, nicht nur zu den Übeltätern, sondern auch zu Umstehenden gnadenlos zu
sein. Hieß, wenn er erfuhr, dass ich nicht sofort zu ihm ging, weil ich mit
Leif meine Zeit vertrödelte, würde es nicht nur mir, sondern auch ihm schlecht
gehen.
„Wieso? Was
will er von mir?“, wollte ich wissen. Mit Enlil zu tun zu haben war nie gut.
Ich wollte lieber vorbereitet sein.
Da blieb Leif
plötzlich stehen und sah mich mit großen Augen an. Wir hatten inzwischen die
breiteste der Straßen erreicht. Die, die vom Markplatz direkt zur Stadt hinaus führte.
Wenn man nicht gerade einem Eselkarren begegnete, war sie breit genug, um sogar
nebeneinander herzugehen.
„Du warst es,
der Goldzahn getötet hat“, sagte er, als wäre damit alles klar für mich. Was es
nicht war.
„Und?“
„Und, sagst
du! Weißt du, wenn ich dich da zurückgelassen hätte, hätte Enlil mich
kaltgemacht. Er wollte dich wiederhaben, egal ob jetzt tot oder lebendig“,
erklärte er. „Goldzahn war ein Monster im Kampf. Schlimmer noch als Enlil, sagt
man. Er hat schon ein paarmal gegen ihn gekämpft, aber nie gewonnen. Man sagt
sogar, dass er es war, der“, er kam näher und flüsterte, „Enlil seine Verletzung zugefügt hat.“ Die, weshalb
er nicht mehr mit den Frauen zusammenliegen konnte.
Als Leif jetzt
wieder einen Schritt zurücktrat, sah er ein bisschen blass aus. Er musste sich
erst räuspern, bevor er fortfahren konnte: „Nachdem du ihn gefällt hast, war
die Schlacht jedenfalls praktisch gewonnen. Als seine Leute sahen, dass er tot
ist, sind sie auf und davon wie Hasenfüße.“ Er ging an mir vorbei und fügte
lapidar hinzu: „Nicht, dass wir nicht sowieso gewonnen hätten. Wir waren bei
weitem in der Überzahl.“
‚Und viele von unseren Gegnern waren keine
Kämpfer‘, dachte ich bitter, behielt es aber für mich.
Ich sah lieber
zu, dass ich wieder aufholte und mich an die Spitze setzte. Wir ließen die
letzten Häuser hinter uns und dann ging es nach rechts am Stadtrand entlang. Und
je weiter wir gingen, desto ungehaltener wurde Leif, wie ich seinem andauernden
Genörgel entnehmen konnte. Ich musste noch immer verdauen, was ich vorher
gehört hatte, also ignorierte ich ihn.
Schließlich ließen
wir die Stadt vollends hinter uns und gelangten an den See, an dem Eridu lag.
Ich hielt darauf zu und blieb dann kurz vorm Wasser wieder stehen.
Als ich mir
den Mantel über den Kopf zog, sah Leif mich irritiert an. „Was nun? Hast du
hier jetzt einen Schatz verbuddelt oder willst du mir nur zeigen, wie du dich
ausziehst?“
Ich zog mir
erst in Ruhe mein Hemd aus, löste den Beutel von meinem Gürtel und schlüpfte
aus den Schuhen, bevor ich ihm antwortete: „Nein, ich werde dir beibringen, wie
man schwimmt, dafür, dass du mich gerettet hast.“
Ich wusste,
dass er mich nur wegen seiner Angst vor Enlil gerettet hatte, aber trotzdem
hätte er mich liegenlassen können, bis ich an meiner Verletzung gestorben wäre,
bevor er Bescheid gegeben hätte. Lange hätte das nicht mehr gedauert, wusste
ich.
Ich stockte.
„Ich nehme an, dass du das zwischenzeitlich nicht gelernt hast, oder?“
Leif sah mich
an, als hätte ich den Verstand verloren, dann brach er in schallendes Gelächter
aus. „Schwimmen! Sicher! Bist du bekloppt?“, lachte er. „Bist du eine Ente oder
was? Menschen können nicht schwimmen! Als ob ich so einen Schwachsinn glauben
würde!“
Ich ignorierte
seinen Einwand und sagte stattdessen: „Denk übrigens nicht daran, mich zu
beklauen. Wenn du meine Sachen anfasst, werde ich dich finden und niedermachen.
So wie Goldzahn“, fügte ich warnend hinzu, während ich ins doch recht frische
Wasser watete.
Als ich einen
Blick über meine Schulter riskierte, sah ich, dass meine Worte ihre Wirkung
nicht verfehlt hatten. Das war es also gewesen, warum plötzlich alle so eine
Heidenangst vor mir zu haben schienen und warum man immer wieder im Tempel über
mich geflüstert hatte. Ich hatte einen gefürchteten Krieger besiegt und galt
jetzt wohl als Legende oder so. Nicht, dass ich scharf darauf war. Ich wollte
nur noch weg und da konnte ich gut und gerne darauf verzichten, dass ich jetzt
berühmt hier wurde.
Ich ging, bis
ich hüfthoch im Wasser stand, dann sprang ich mit dem Kopf voran ins kühle
Nass. Früher hätte mir das eine Todesangst bereitet, aber heute bedeutete das
Gefühl, das mir das bereitete, Freiheit für mich. Einen Moment lang blieb ich
unter Wasser und genoss es, dann brach ich wieder durch die Oberfläche, um ihm
zu zeigen, dass ich sehr wohl schwimmen konnte. Leif stand, zu seinem Glück,
noch immer am Ufer, anstatt mit meinen Sachen abgehauen zu sein, und gaffte mit
offenem Mund. Es war immer wieder erheiternd zu sehen, wie die Leute darauf
reagierten, wenn ich tatsächlich wieder auftauchte und nicht einfach absoff, so
wie sie es getan hätten.
Da ich ihn
jetzt mit ziemlicher Sicherheit von meinem Können überzeugt hatte, schwamm ich
zurück ans Ufer. Leif sah aus, als würde er gleich in Begeisterungsstürme
ausbrechen, aber dann besann er sich doch darauf, das nicht vor mir zu tun.
„Hm, kann ja
nicht schaden, sowas zu lernen“, tat er unbeeindruckt.
„Sag mal, was
ist eigentlich aus deinem Anhängsel geworden?“, fragte ich möglichst desinteressiert.
Obwohl mir die Frage, ob er überlebt hatte oder er doch wegen mir gestorben war
untern den Nägeln brannte.
„Ragna? Keine
Ahnung. Als es losging, hat er Schiss gekriegt und ist abgehauen.“ Leif zuckte
mit den Schultern. „Weiß aber nicht, was aus ihm geworden ist. Er war
jedenfalls nicht unter den Toten.“ Plötzlich grinste er gehässig. „Wieso? Ist
er dir etwa doch so sehr ans Herz gewachsen, dass du ihn vermisst?“
„Er war einer
meiner Männer, falls du das vergessen hast“ Auch wenn ich nicht daran dachte,
jetzt überhaupt noch für irgendwelche Krieger verantwortlich zu sein. „Komm
lieber, bevor die Sonne noch tiefer sinkt und es zu kalt für deine zarten
Füßchen wird.“
Ich hatte
lange niemanden mehr aufgezogen, aber das hatte gerade einfach sein müssen.
Schon allein, um ihn von Ragna abzulenken. Immerhin wusste ich jetzt den Namen
des Schwert-Jungen.
Während Leif
sich zu mir gesellte, fragte ich noch: „Weißt du eigentlich, was Enlil nun
genau von mir will?“
„Er will dich
zum stellvertretenden Kommandanten machen.“
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