Wir kehrten zusammen zum Fest zurück und während Mari
zurück zu ihren Freunden ging, setzte ich mich wieder zu Eris. Isaac tauchte
kurz darauf wie ein neugieriges Hündchen auf und ich erfuhr von Eris, dass er
tatsächlich ein überaus schlauer und aufgeweckter Kerl war. Er lernte schnell
und er war auch der beste Handwerker im Dorf. Momentan versuchte er einen Weg
zu finden, wie sie einen schweren Felsen vom nahegelegenen Berg ins Dorf
bringen konnten, damit sie daraus ein Totem meißeln konnten.
Ich hätte ihn
gerne danach gefragt, wie er das lösen wollte, aber stattdessen durfte ich
dabei zusehen, wie er sich den ganzen Abend über daran versuchte, das Gespräch
nachzusprechen, das ich und Eris gezwungenermaßen allein führen mussten.
Ich schlief die Nacht extrem schlecht. Schon seitdem wir
in das Monstrum, das die Ortsansässigen Dschungel nannten, vorgedrungen waren, hatte
ich kaum ein Auge zugemacht. Schon mal bei Sommer auf einer Wiese gelegen und
den Grillen gelauscht? Ich glaube, die Grillen hier mussten so groß wie ein
Ochse sein, bei dem Radau, den sie machten und sie hielten wirklich nie die Klappe.
Es war zum verrückt werden! Mari hatte keine Probleme damit, aber ich wälzte
mich jede Nacht nur hin und her. Mal ganz davon abgesehen, dass es hier scheinbar
niemals wirklich abkühlte.
Also ging ich
ans Meer runter, wo ein angenehmer Wind wehte und das Rauschen der Wellen mich
wie ein Wiegenlied schließlich in den Schlaf sang. Am nächsten Morgen wurde ich
dann von der Sonne mit einem sengenden Schlag ins Gesicht wachgeküsst, hatte
überall Sand, wo ich es lieber nicht haben wollte, und fühlte mich obendrein,
als hätte ich auf Steinen geschlafen. So kleine spitze, die einen immer schön
ins Fleisch schneiden.
Aber hey,
immerhin hatte ich geschlafen und so war ich auch nicht ganz so
niedergeschlagen, als ich hörte, dass das Frühstück schon vorbei war. Kane
teilte mir das mit, nachdem er mir zur Begrüßung erstmal auf meine saumäßig
schmerzende Schulter geschlagen hatte. Ich lächelte den Schmerz tapfer weg und
dann ging es mit ein paar anderen in zwei Booten raus aufs Meer. Fischen.
Das Inseldorf,
das wie ihr Geistlicher Lao-Pao hieß,
lebte größtenteils vom Fischfang, wie Eris mir munter erzählte, die auch da
war, um zu übersetzen. Was sie sonst brauchten, bekamen die zwei Dutzend
Menschen, die hier lebten, aus dem Dschungel mit den Monstergrillen.
„Du solltest
dir vielleicht einen Hut borgen. Die Sonne scheint dir nicht so zu bekommen“,
riet Eris mir mit Blick auf meinen Sonnenbrand gerade. „Sonst kriegst du noch
einen Sonnenstich. Schau, Mari hat auch einen Hut bekommen.“
Ich wollte nur
noch in einen Bottich mit kaltem Wasser. In einer schattigen Hütte. Und ganz
viel Futter.
„Ach was! Wenn die Anderen das können, steck ich das auch weg. Ich sollte eigentlich auch nackt rumrennen“, scherzte ich lachend.
„Ach was! Wenn die Anderen das können, steck ich das auch weg. Ich sollte eigentlich auch nackt rumrennen“, scherzte ich lachend.
Eris
schüttelte missbilligend den Kopf. „Ihr Männer mit eurem Stolz. Das wird euch noch
irgendwann einmal umbringen.“
Ich grinste
als Antwort nur und schwang mich neben Mari, um meinen sonnenverbrannten Arm
ins Wasser zu stecken. Mari tat das auch, wenn ihrer auch nicht feuerrot war,
also würde es nicht so auffallen. Wir waren noch nicht sehr weit rausgefahren,
obwohl ihre Boote viel besser für die Wellen geschaffen waren, als meins. Sie
hatten hinten und vorne an den Seiten kleine Schwimmkörper, die das Boot gegen
die Wellen stabilisierte. Mein nächstes Boot würde definitiv auch sowas
bekommen.
Das Wasser hier
war so wahnsinnig klar, dass ich den Meeresgrund sehen konnte. Und nicht nur
das. Plötzlich tauchte ein großer, grauer Fisch* zu Seiten des Bootes auf. Ich
hatte so einen schon einmal gesehen. Vor Ewigkeiten, damals, als meine eigenen
Leute noch zur See gefahren waren, um zu fischen. Er stieß mit dem Kopf durch
die seichten Wellen und gab einen Laut von sich, der sich anhörte, als würde er
lachen. Dann tauchte er wieder unter und führte uns einen beeindruckenden
Sprung vor, der uns in einen feinen Sprühregen aus Meerwasser tauchte.
Mari stieß
einen begeisterten Laut aus, als sie das sah und auch die anderen Kinder riefen
nun immer wieder „Delfin!“. Ich musste sie echt zurückhalten, weil sie mir ins
Wasser springen wollte. Die anderen Kinder waren weniger vorsichtig. Alle drei
sprangen ins Meer, sodass mir erstmal das Herz stehenblieb. Aber anstatt
unterzugehen, schwammen sie mit dem Delfin um die Wette.
„Die können
schwimmen?“, stellte ich ungläubig fest.
Eris tauchte
an meiner Seite auf und nickte verstehend. „Unglaublich, nicht wahr? Ich wollte
es zuerst auch nicht glauben, aber ich kann es inzwischen auch. Sogar die
Wellen reiten, kann ich. Du solltest auch fragen, ob sie es dir beibringen.“
Ich hatte so
lange nach jemandem gesucht, der schwimmen konnte, und endlich hatte ich ein
ganzes Dorf voller Schwimmer gefunden. Jetzt wurde mir auch klar, wie Isaac uns
am vorigen Tag hatte retten können.
Bevor ich
jedoch in den Genuss kam, schwimmen lernen zu dürfen, hörte ich Kane etwas
rufen, und die Boote kamen zum Halten. Ich sah, dass er mich zu sich winkte,
also sprang ich vorsichtig von einem Boot ins nächste. Nicht, dass ich mir die
Blöße gegeben hätte, ihnen zu zeigen, dass ich überhaupt vorsichtig sein musste.
Als ich neben
Kane stand, hatte er ein Netz und einen Speer in der Hand. Natürlich nahm ich
mir Letzteren. Mit dem Netz würde ich bestimmt mehr fangen, aber ich wollte ja
zeigen, was ich konnte. Kane nickte mir zu, dann warf er seinem Bruder, der
hinter ihm stand, das Netz zu und nahm sich einen zweiten Speer. Ich
beobachtete Isaac dabei, wie er das Netz ins Wasser gleiten ließ. Zumindest,
bis Kane neben mich trat und mir diesmal voll auf meinen Sonnenbrand schlug. Er
grinste, wahrscheinlich, weil er dachte, ich würde die Frau beobachten, die
sich gerade mit Isaac unterhielt. Zumindest nahm ich das an, als er mit seinen
Händen imaginäre Brüste vor seine Brust zeichnete und die Augenbrauen dabei
tanzen ließ. Ich wollte mit den Augen rollen, grinste aber stattdessen zurück
und wandte mich lieber meiner Aufgabe zu.
Der Speer in
meiner Hand hatte einen Haken, wie es auch die gehabt hatten, mit denen die
Menschenfresser unser Boot geentert hatten. Ich unterdrückte ein Schaudern bei
dem Gedanken daran und begann, dass Wasser nach Fischen abzusuchen. Es wimmelte
hier geradezu von Fischschwärmen. Wie kleine Steine, die man ins Wasser
geworfen hatte, sah das aus. Das Boot hatte sich inzwischen ein bisschen von
dem anderen Boot entfernt, auf dem die Kinder waren. Wahrscheinlich, damit sie
die Fische nicht verjagten. Da Eris bei ihnen geblieben war, war ich ganz auf
mich allein gestellt.
Kane grinste
mich herausfordernd an, dann nutzte er die Gelegenheit, um den ersten Versuch
zu starten. Als sein Speer wieder aus dem Wasser auftauchte, zappelte ein ganz
beachtlicher Fisch daran. Ich ließ mich nicht zweimal bitten und tat es ihm
nicht nur gleich, sondern übertraf seinen Fisch an Größe natürlich auch noch.
Ich sagte ja, dass mir beim Fischen kaum einer das Wasser reichen konnte.
Am Ende
hatten wir so etwas wie einen Gleichstand. Kane holte zwar die größeren Fische
an Land, ich schaffte jedoch insgesamt mehr. Die Sonne brannte die ganze Zeit
über fröhlich am Himmel, sodass ich doch ziemlich froh war, als ich ins andere
Boot zurückkehren und meinen Kopf ins kühle Nass stecken konnte. Doch als ich
da ankam, hing Mari im Wasser und klammerte sich ans Boot. Sie hatte natürlich
versucht, die anderen Kinder nachzumachen und musste mir das gleich auch mal
vorführen. Obwohl sie einen ganzen Augenblick oben bleiben konnte, zog ich sie
trotzdem lieber wieder ins Boot, nachdem ich meinen ersten Herzstillstand
überwunden hatte.
Der Delfin zog
noch eine ganze Weile seine Kreise um uns, und da Isaac auftauchte, nachdem ich
Mari gerettet hatte, kam ich nun doch nicht dazu, mich abzukühlen.
Da mich mein Sonnenstich doch ein bisschen sehr
niederschlug, kam ich erst ein paar Tage später dazu, mich am schwimmen zu
versuchen. Kane war der beste Schwimmer weit und breit, also hatte er sich
angeboten, es mir beizubringen, aber er war kein sehr guter Lehrer, wie ich
feststellen musste. Ich war nur froh für Mari und die anderen Kinder, dass sie es
von wem anders gezeigt bekamen.
Kane bestand
jedenfalls darauf, dass ich „einfach mal ins Tiefe gehe“, wie Eris ihn
übersetzte, als ich mich geweigert hatte, von einer Klippe zu springen. Seiner
Meinung nach würde ich dann schon ganz automatisch anfangen, zu schwimmen. Ich
war ja nicht so überzeugt davon, wenn ich so bedachte, wie oft ich schon im
tiefen Wasser gewesen und trotzdem abgesoffen war. Was auch dann das nächste
Problem war.
Das Wasser
durfte meine Zehen berühren, aber dann war Schluss bei mir. Es war eines, ein
Boot zwischen mir und dem Wasser zu haben, und die Götter wissen, dass ich echt
lange gebraucht habe, um überhaupt das zu schaffen. Aber freiwillig ins Wasser
gehen? Da wollten meine Beine plötzlich nicht mehr mitmachen. Ich hasste es,
mir eine Blöße zu geben, aber ich konnte es nicht ändern. Nicht mal Isaac
konnte das, der kurz darauf versuchte, mir zu helfen. Er stand vor mir im
Wasser und streckte mir die Hände hin, um mir zu zeigen, dass er ja da war, um
mir die Hand zu halten, aber es ging nicht. Ich hatte so eine verdammte Angst.
„Auf dem Boot
hattest du doch auch keine Angst“, merkte Eris jetzt überaus hilfreich an.
„Da war ja
auch Holz zwischen mir und dem Wasser.“
„Du hast deine
Hand reingesteckt.“
„Das ist was
anderes!“
Sie gab mir
diesen Blick, dass sie mich nicht ganz ernst nahm, aber das war mir egal. Mir
war das nämlich sehr wohl todernst.
„Mach einfach
die Augen zu und dann spring!“, riet mir Mari, die es mir auch gleich mal
vorführte, bäuchlings im Wasser zu landen. Obwohl ich wusste, dass es da, wo
sie war, nicht tief genug war, dass sie untergehen konnte, half das meiner
Angst trotzdem nicht gerade, zu verschwinden.
Plötzlich
stand Isaac neben mir und hatte seine Hand auf meiner Schulter. Er sah mir fest
in die Augen, wie einem Kind, dem man sagte „Du schaffst das!“, und dann wies
er mit einer weiten, fließenden Bewegung aufs Meer hinaus. Wie die ganzen
letzten Tage seit unserer Ankunft schon war es ruhig. Der Himmel war wolkenlos
und es hatte nicht einmal geregnet. Aber ich wusste, wie schnell das umschlagen
konnte. Ich werde nie die Wolkenwand vergessen, die sich am Himmel türmte,
damals, als die Flutwelle kam, um mir meine Geschwister zu nehmen. Die Leute,
die ich kannte. Einen Moment lang sah ich ihre Augen, groß und voller
Unglauben, und im nächsten Moment waren sie verschlungen. Als hätte sich eine
wilde Bestie über sie hergemacht.
Ich fühlte
richtig, wie mir das Herz in die Kniekehlen rutschte, als ich daran dachte.
Aber dann war da plötzlich Isaacs wohlklingende Stimme. Er sang. Ich brauchte
ziemlich lange, bis ich verstand, dass er wollte, dass ich mit ihm sang. Ich
schickte hilflos einen Blick zu Eris zurück, die bestätigte: „Ja, er will, dass
du singst. Sie singen immer alle, wenn eine Sturmflut kommt. Oder der Vulkan
auf der Nachbarinsel ausbricht.“
Ich sah in die
Richtung, in die sie zeigte. Mir war der dunkle Fleck am Horizont schon
aufgefallen, ich hatte bislang aber noch nicht nachgefragt. Und ich kam auch jetzt
nicht dazu. Ich versuchte, mich auf Isaacs Stimme zu konzentrieren und – ach
verdammt – ich stimmte mit ein. Oder besser gesagt, ich begann eines der Lieder
zu singen, die meine Mutter mir als Kind immer vorgesungen hatte.
Ich hatte
früher eine gute Stimme gehabt. Als Kind hatte ich immer mit unserem Schamanen
zusammen gesungen und meine Eltern waren mächtig stolz darauf gewesen. Aber ich
hatte lange nicht mehr gesungen und es hörte sich zunächst schief und krächzend
an. Also sang ich lauter, in der Hoffnung, dass der Frosch dadurch aus meiner
Kehle verschwinden würde. Meine Stimme war immer schon kräftig gewesen. Ich war
mir ziemlich sicher, dass man mich bestimmt noch auf der anderen Seite der
Insel hören konnte. Wahrscheinlich würden sie bald aus dem Dorf kommen, um zu
gucken, was da am Strand verendet war.
Da merkte ich,
wie ich nach vorne gezogen wurde. Eine Hand auf meinem Arm. Wahrscheinlich war
es Isaac, aber ich hatte die Augen zu und konnte es nicht sehen. Ein Schritt
nach dem anderem. Ich merkte das Wasser, das immer höher stieg, und es machte
mir Angst, aber ich versuchte, an meine Kindheit zu denken. Mir das Gesicht
meiner Mutter vorzustellen. Die düstere Enge unseres alten Zuhauses. Wie hatte
es gerochen? Wo war noch gleich der Ort, an dem Gabi und Gritta immer ihr
Diebesgut versteckt hatten? Meine kleinen Schwestern, an die ich viel zu lange
nicht mehr gedacht hatte, seitdem sie von den Fluten verschlungen worden waren.
Mutter war immer wütend auf sie gewesen, wenn sie Stücke vom frisch gebackenen
Brot gestohlen hatten. Manchmal hatten sie auch mit mir geteilt. Da haben wir
uns alle im Heu versteckt und haben gefuttert. Ich weiß noch, das eine Mal, als
Vater Honig aus dem Wald mitgebracht hatte…
Ein Druck auf
meiner Schulter ließ mich in die Realität zurückkehren. Ich merkte, dass ich
aufgehört hatte, zu singen, aber dafür brusttief im Wasser stand. Zuerst war da
wieder der Drang, zu fliehen, in mir. Die Angst, die mir mein Innerstes
zerquetschte, aber dann beruhigte ich mich wieder, als ich Isaac vor mir sah.
Er lächelte beruhigend, aber ich hatte trotzdem einen wahnsinnigen Drang, mich
an ihm festzuhalten. Vor allen Dingen, als Kane nun Anstalten machte, durch die
Wellen zu brechen und zu uns zu kommen.
„Nein, ich habe schon versucht das.“ Er überlegte. „Ich
habe das schon versucht.“
Wie immer war
er äußerst penibel, was seine Korrektheit anging. Wenn ich das letzte halbe
Jahr etwas über Isaac gelernt hatte, dann, dass er keine halben Sachen machte.
Wenn er etwas machte, dann richtig. Und ich war immer noch erstaunt darüber,
wie schnell er meine Sprache gelernt hatte. Ich konnte immer noch nicht mehr in
ihrer Sprache sagen, als Sonne und Mond (Lao und Pao). Naja, vielleicht habe
ich es auch nicht wirklich versucht, zu lernen. Ich war nie so gut im Lernen.
Isaac, der vorher
noch neben mir durch den Dschungel gegangen war, hatte gerade einen hohen Baum
erklungen. Mit einem gezielten Schlag hatte er eine Kokosnuss mit seinem Messer
abgeschlagen und er drehte sie ein paarmal in den Händen. Das Messer wanderte
zurück in die Schärpe, die er trug und dann beklopfte er das komische Ding, das
ich am Anfang für eine leere Schale gehalten hatte.
„Was willst du
denn damit? Glaubst du, dass du damit bessere Schwimmkörper machen kannst?“,
ärgerte ich ihn grinsend.
Er hatte das
letztens tatsächlich versucht, aber das Boot war von der nächsten Welle
umgeworfen worden. Isaac streckte mir die Zunge dafür raus. „Schau, dass du
fängst!“
Er holte aus
und er war ja nicht der beste Werfer, aber die Höhe war doch ein ziemlich gemeiner
Vorteil für ihn. Ich musste jedenfalls ganz schön rennen und am Ende fing ich
sie trotzdem nicht. Es war ja auch nicht gerade einfach, durch einen Dschungel
zu rennen. Eigentlich trug ich keine Schuhe auf der Insel, aber im Dschungel
hatte selbst Isaac seine Latschen an. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn
und hob die Kokosnuss auf. Dabei sah ich mindestens eine Schlange, drei Spinnen
und eine dieser Riesengrillen, die eigentlich keine waren, aber dafür Lärm wie
welche machten. Vom Rest wollte ich gar nichts wissen. Ich wusste, dass ich
hier besser nirgends rein trat und die Finger von allem Getier ließ. Wenn die
einen mal in Ruhe ließen.
Ich ging
jedenfalls nicht sehr gerne in den Dschungel. Vor allen Dingen alleine ging ich
nie. Aber Isaac kannte sich ja zum Glück aus. Mit ihm kam ich öfter hierher,
wenn er mal wieder Materialien für seine Bauwerke brauchte. Seitdem ich hier
war, war ich so etwas wie sein persönlicher Helfer oder Materialienträger oder
sowas geworden. Meistens war ich der Mann fürs Grobe, während Isaac plante und
zusammenbaute. Wir verstanden uns inzwischen jedenfalls ziemlich gut, würde ich
sagen.
Isaac kam den
Baum nun wieder runter und er schreckte damit einen wunderbar strahlend roten
Papagei auf, der Mari bestimmt gefallen hätte. Er hatte schon lange keine Augen
mehr für sowas, ich aber fand es noch immer faszinierend, was es hier so alles
zu sehen und zu entdecken gab. Es wäre aber gelogen, wenn ich behauptet hätte,
dass es nicht trotzdem Isaac war, der mich gerade am meisten interessierte. Er
war schon wieder auf Abwegen, also folgte ich ihm.
Er führte
mich vom Dorf weg, wenn ich hätte raten sollen ging es wahrscheinlich an der
Küste entlang durch den Wald. Ich konnte das Meer jedenfalls nicht weit
entfernt gegen die Felsen branden hören, die sich auf der rückwärtigen Seite
der Insel erstreckten. Trotzdem konnte ich sagen, dass wir hier noch nie
gewesen waren.
„Wo gehen wir
hin?“, fragte ich schließlich nach, als mir das bewusst wurde.
Isaac blieb
stehen und als er sich zu mir umdrehte, sah er so ernst aus, dass ich ein
bisschen erschrak und mich fragte, ob ich was Falsches gesagt hatte.
„Du bist doch
Freund?“
Ich nickte und
musste mich zusammenreißen, nicht von einem Ohr zum anderen zu grinsen.
„Ich wollte
mit dir sprechen, bevor ich dir zeige.“
„Was zeige?“
„Mein
Schwester. Sie ist Ausgestoßene aus Dorf.“
Das kam
unerwartet. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass sie überhaupt existierte.
Niemand hatte je über sie gesprochen. Aber wenn sie eine Ausgestoßene war,
wunderte mich das auch nicht.
Ich zögerte
ein bisschen, nachzufragen, tat es dann aber doch: „Was hat sie denn getan?“
„Ich darf
nicht sagen. Entschuldige! Sie hat mir verboten.“
Er sah wirklich zerknirscht darüber aus, also
nickte ich verstehend. „Warum willst du sie mir zeigen?“
„Einfach so.
Weil wir sind Freunde.“ Plötzlich war er wieder ernst. „Ich kümmere mich um
sie. Aber wenn ich tot oder krank, sie hat niemanden. Kane, Vater, alle
anderen, für sie Ayra wie tot. Aber du nicht von hier. Kannst du dann um sie
kümmern, wenn Hilfe braucht?“
Das war schon
eine ziemlich große Bitte. Ich war ja eigentlich nur ein Außenseiter, ein
Reisender. Ich wusste, dass ich als solcher nicht dieselben Rechte und
Verpflichtungen hatte, wie Mitglieder des Dorfes, aber dennoch hatten sie mich
immer fair und gut behandelt. Wie einen Gast. Und das war es eigentlich auch,
was ich war. Auch nach über einem halben Jahr noch. Was sollte ich darauf also
antworten?
Ich druckste
ein bisschen herum, bevor ich schließlich versprach: „Solange ich hier bin,
werde ich ihr helfen, wenn sie Hilfe braucht. Das verspreche ich dir.“
Ein Lächeln
auf Isaacs Gesicht. Ich liebte es, wenn er lächelte. „Danke.“ Das Lächeln
erstarb. „Weißt du, wie lange du hier bist?“
„Nein, noch
nicht. Aber ich werde demnächst anfangen, ein neues Boot zu bauen.“ Ich
zwinkerte. „Aber erst, wenn ich deine Verbesserung gesehen habe. Vielleicht
kann ich sie ja gleich einbauen.“
Isaac
arbeitete seit einer Weile schon an einer Methode, ihre Boote schneller zu
machen. Das war einer der Gründe gewesen, warum ich ursprünglich angefangen
hatte, ihm helfen zu wollen. Oder zumindest war es der Grund, den ich vorgeschoben
hatte.
Es ging bald schon ziemlich bergauf. Der Dschungel hörte
mit einem Mal auf und dann hatte ich eine freie Sicht auf eine kleine Rundhütte,
die einsam und verlassen an einer Klippe stand. Sie sah ziemlich windschief aus
und mit dem regenschweren Wolkenhimmel im Hintergrund wirkte sie auch gleich
doppelt so trostlos.
Als wir
näherkamen, erkannte ich tatsächlich einen winzigen Garten. Ich hatte bislang
noch nicht gesehen, dass sie im Dorf etwas anbauten, aber Isaacs Schwester war
wohl ein bisschen anders. Das waren Ausgestoßene meistens. Doch viel
überraschender fand ich, dass Eris da vor der Hütte am Feuer saß. Seltenerweise
hatte sie ihren Hut abgelegt, weshalb sie wie ein Gespenst vor der Szenerie
wirkte.
Als sie unserer
ansichtig wurde, sprang sie auf die Beine und sie sah tatsächlich ein bisschen
erschrocken aus, als ihr Blick zu mir huschte. Natürlich war es dann auch die
Sprache, die ich nicht verstand, die sie wählte, um auf Isaac einzureden.
„Wir sind
Freunde“, antwortete Isaac ihr jedoch in meiner Sprache. „Er hat versprochen, Ayra
zu helfen, wenn sie braucht.“
Eris sah aus,
als wollte sie noch etwas sagen, aber dann machte sie den Mund wieder zu.
Stattdessen rief sie Ayras Namen laut über die Schulter hinweg, woraufhin ein
Kopf im Eingang der Hütte erschien. Die Frau, der er gehörte, sah sich zuerst
um, dann war da ein Lächeln, als sie Isaac sah und Abscheu, als sie bei mir
hängenblieb. Aufgebracht kam sie nach draußen und natürlich musste auch sie
sich erstmal bei Isaac darüber beschweren, dass ich da war. Diesmal konnte er
leider auch nicht so antworten, dass ich es verstand.
Während die
Geschwister sich unterhielten, hatte ich die Zeit, festzustellen, dass dieses
von Abes Kindern sehr nach ihm kam. Sie hatte das runde, pausbäckige
Gesicht von Isaac, aber die krumme, kräftige Nase von ihrem Vater. Auch die
Augen waren dieselben, strengen Augen, die auch Abe hatte. Wie nicht anders zu
erwarten bei einer Ausgestoßenen hier war sie in ein wunderbar buntes Tuch
gehüllt.
Ich hatte
inzwischen in Erfahrung gebracht, dass Nacktheit ein Statussymbol im Dorf war.
Die Kinder trugen allesamt Lendenschurz, aber sobald sie ins Erwachsenenalter
eintraten, verbrannten sie ihre Sachen, um ihre Kindheit abzulegen. Dann liefen
sie nackt durch die Gegend, um Paarungsbereitschaft zu symbolisieren. Deswegen
gab es durchaus auch ab und an ein paar angezogene Leute im Dorf. Frauen, die
bluteten, Schwangere, Alte. Sowas eben. Aber auch ihre Ausgestoßenen mussten
sich verhüllen, um zu zeigen, dass sie kein Mitglied der Gemeinschaft mehr
waren. Oh und Eris war auch eine Ausnahme, weil sie sie als Stück vom Mond
verehrten und sie unantastbar war. Es war, ehrlich gesagt ein bisschen
verwirrend, und ich verstand nicht, wie sie da den Überblick behielten.
Als Ayra dann
fertig mit schimpfen war, baute sie sich vor mir auf und sie hatte diesen Blick
drauf, dass ich sofort in Deckung gehen wollte, weil ich was falsch gemacht
hatte. Sie musterte mich von oben bis unten, schien aber schließlich einverstanden
mit mir zu sein.
„Sie sagt, du
kannst bleiben“, übersetzte Isaac seine Schwester, und wie immer, wenn er
übersetzen durfte, war er mächtig stolz drauf. Ich hatte Eris einmal gefragt,
warum sie Isaac unsere Sprache nicht schon früher beigebracht hatte, aber da hatte
sie nur gesagt, dass sie ja kein Lehrer sei. Manchmal verstand ich sie wirklich
nicht.
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