„Sie haben unser Boot ganz gelassen. Es ist unten am
Strand, hab ich gesehen. Und da ist auch gerade keiner, weil die alle ins Dorf
gegangen sind. Das ist unsere Chance, abzuhauen!“, hörte ich Mari erzählen, die
neben mir durch den Wald brach. „Ich hoffe nur, dass wir nicht wieder
untergehen auf dem doofen Meer.“
Seitdem ich
Mari bei mir hatte, hatte ich mich nicht mehr getraut, aufs Meer rauszufahren.
Ich hatte es eigentlich immer vorgehabt, aber ich wollte nicht riskieren, Mari
in Gefahr zu bringen. Also waren wir über Flüsse gefahren und nur, wenn es
nicht anders gegangen war, hatten wir uns aufs Meer raus getraut. Auch wenn raus das falsche Wort dafür war. Wir
hatten die Küsten niemals verlassen und waren jedes Mal schnellstmöglich wieder
auf Flüsse übergegangen. Es war immer eine schreckliche Plackerei, das Boot
übers Land in den nächsten Fluss zu bekommen.
Nur einmal war
ich die letzten beiden Jahre tatsächlich rausgefahren. Damals hatten wir eine
Weile bei einem kinderlosen Paar verbracht, das sich nichts sehnlicher
gewünscht hatte, als Nachwuchs. Ich hatte das als perfekte Möglichkeit für Mari
gesehen, ein neues Zuhause zu bekommen, aber Mari hatte das nicht so gesehen.
Sie hatte nichts davon wissen wollen, ohne mich zu bleiben.
Also war ich
eines Tages einfach klammheimlich davon, in der Annahme das Beste für sie zu
tun. Da das Meer in der Nähe gewesen war, hatte ich mich dazu entschlossen, es
doch nochmal dort zu probieren, aber es hatte nicht lange gedauert, bis ich
wieder untergegangen war. Mein Boot war einfach nicht für den Wellengang des
Meeres gemacht.
Ich habe bis
heute keine Ahnung, wie ich es damals geschafft habe, das nun wieder zu
überleben – vielleicht schmecke ich dem Meer einfach nicht, dass es mich immer
wieder ausspuckt – aber ich tat es. Mari fand mich am Strand und sie war
natürlich mehr als nur sauer, dass ich einfach versucht hatte, sie
zurückzulassen. Ich werde nie vergessen, wie verletzt sie ausgesehen hat. Wenn
ich kurz darauf nicht beinahe an einer Grippe eingegangen wäre, hätte sie
wahrscheinlich nie wieder mit mir gesprochen. Doch Mari pflegte mich gesund und
damals habe ich mir geschworen, sie nie wieder allein zu lassen.
In diesem
Moment aber konnte ich nicht daran denken, oder daran, wie wir nur übers Meer
kommen sollten, ohne den Fischen am Meeresgrund Hallo zu sagen. Alles, an was
ich denken konnte waren Isaacs erschrockener Blick und die Tatsache, dass ich
mich gerade aus dem Staub machte, während da jemand geschlachtet werden sollte.
Sicher, Isaac war quasi ein Fremder für mich, aber er hatte mich nicht
verraten, obwohl ich ihm vielleicht hätte helfen können. Und, verdammt nochmal,
ich konnte doch nicht einfach wie ein Feigling abhauen, wenn die
Menschenfresser gerade einen Unschuldigen töteten!
Als mir das
bewusst wurde, erstarrte ich. Mari lief noch ein paar Schritte weiter, bevor
sie merkte, dass ich nicht mehr folgte, und sie ebenfalls anhielt. Sie warf mir
einen fragenden Blick zu, während ich krampfhaft versuchte, mir einen Weg zu
überlegen, wie ich Mari aus meinem wahnsinnigen Vorhaben raushalten konnte. Ich
kannte sie und ich wusste, dass sie sich nicht so einfach abspeisen lassen würde.
Sie hatte ein großes Herz und es war am rechten Fleck.
„Was ist?“,
fragte sie schließlich, als ich still blieb. Mir fiel erst jetzt auf, dass sie
tatsächlich überall grau war. Ihre kleinen Augen waren das einzig helle an ihr
und das sah wirklich ein bisschen gruselig aus. Unser Wächter hatte fast
genauso ausgesehen, wurde mir klar. Vielleicht sollte ich das auch machen, um
mich ins Dorf zu schleichen. Ich schüttelte den Kopf. Das war einfach verrückt.
Was hatte ich da nur vor?
„Ist es wegen
dem Mann, den sie geholt haben?“, fragte sie plötzlich und ich konnte nicht
anders, als sie überrascht anzustarren.
„Was meinst
du?“
„Na der Mann,
den sie geholt haben, als ich zu dir reinkam. Weißt du, ich glaube, dass sie
ihn essen wollen.“ Plötzlich sah sie so verstört aus, wie ich mich gefühlt
hatte, als Isaac mir klargemacht hatte, dass ich wohl gerade Menscheneintopf
vor mir hatte. „Ich hab gesehen, wie sie...“
Sie konnte den
Satz nicht beenden und ich wollte auch gar nicht, dass sie das tat. Schlimm
genug, dass sie irgendwas gesehen hatte, dass ihr klargemacht hatte, dass wir
es hier mit Menschenfressern zu tun hatten. Ich ging zu ihr runter und schloss
sie in die Arme.
„Sch! Ist
schon gut! Vergiss das einfach, ja?“
„Sie wollten
dich auch essen, oder?“ Ich konnte ihr nicht antworten. Sie krallte ihre Finger
daraufhin in meinen Rücken, dann aber löste sie sich wieder von mir. „Den Mann
da auch. Er hatte dasselbe Zeug auf dem Kopf, wie…“ Plötzlich war sie ganz
aufgeregt. „Wir müssen ihn retten gehen, Wulf-Papa!“
Ich nickte,
aber Mari war schon einen Schritt weiter als ich. „Ich hab noch ein paar von
den komischen Schlaf-Pfeilen“, sagte sie und präsentierte prompt welche. Es
waren kaum mehr als Pfeilspitzen, aber nachdem ich sie hautnah hatte erleben
können, hatte ich ganz schön Respekt vor ihnen.
„Ich schleich
wieder rein, so wie vorher auch, und lass ein paar Leute damit schlafen, und du
gehst, um den Mann zu retten, ja?“
„Nein, Mari!
Das ist viel zu gefährlich für ein kleines Mädchen. Schlimm genug, dass du dich
da überhaupt einmal reingeschlichen hast, um mich rauszuholen.“ Außerdem hatte
ich ja nicht mal eine Ahnung, wie ich Isaac da eigentlich rausholen sollte.
„Die wollten
dich ja essen!“, protestierte Mari.
„Wir haben
jetzt keine Zeit für Diskussionen.“ Isaac hatte die nicht.
„Und was
wollen wir machen?“
„Ich…“
Plötzlich musste ich an den gestreiften Panther denken und da kam mir eine
Idee. „Mari, wo haben die unseren Bogen hingebracht?“
Ich – oder besser gesagt Isaac – hatte Glück, dass die
Menschenfresser wohl ziemlich auf Zeremonien standen. Einer, von dem ich
annahm, dass er ein Geistlicher war, hatte vor Isaac Aufstellung bezogen und er
betete noch immer irgendwas herunter, das ich nicht nur aufgrund der Distanz
nicht verstehen konnte.
Entgegen
meiner Anweisung, war Mari losgerannt und hatte den Platz geplündert, wo sie
unsere Sachen hingebracht hatten. Ich war nur froh, dass alle Dorfbewohner mit
der Zeremonie beschäftigt waren und sie nicht erwischt wurde. Dennoch war ich
heilfroh und auch ziemlich sauer auf sie, als sie mit dem Bogen in der Hand
wieder vor mir stand. Sie musste mir daraufhin erst versprechen, wegzulaufen,
wenn etwas schief lief, bevor wir mit unserer Rettungsaktion fortfuhren.
Wir hatten ein bisschen abseits Stellung
bezogen. Da nur ein Weg von einer Seite in die Mulde führte, in der das Dorf lag,
befand ich mich gerade flach auf dem Bauch liegend oberhalb davon. Ich hatte
ein gutes Schussfeld und die Bäume ringsum boten mir einen guten Sichtschutz.
Doch ich war mir nicht so sicher, ob ich es schaffen würde zu treffen. Wie
gesagt, ich war immer noch kein Held mit den Bogen. Aber ich wusste, dass ich
diesmal treffen musste. Sonst war es
für Isaac vorbei.
Also atmete
ich noch einmal tief durch und versuchte, mich an alles zu erinnern, was Dan
mir damals übers Bogenschießen beigebracht hatte. Er war der verdammt beste
Bogenschütze, den ich je gesehen hatte. Vielleicht sogar besser als Rahn vom
Uruk-Stamm. Ich fokussierte mich auf mein Ziel und versuchte, alles um mich
herum auszublenden. Eins mit der Sehne und dem Pfeil zu sein, ihn wie eine
Verlängerung meines Armes anzusehen. Ich müsste nur nach vorne greifen, um zu
treffen, was auch immer ich wollte.
Als ich mir
halbwegs sicher war, dass ich gut gezielt hatte, ließ ich los. Die Sehne
schnellte nach vorn und der Pfeil flog durch die Luft. Bis er in einem
nahegelegenen Baum steckenblieb zumindest. Ich fluchte leise, legte aber
schnell einen weiteren Pfeil nach, bevor jemand von da unten noch darauf
aufmerksam wurde, dass da jemand auf sie schoss. Der nächste Pfeil flog noch
schiefer, aber zu meiner Verwunderung schaffte er es dennoch, das riesige,
gestreifte Tier zu erreichen, dass bislang friedlich am Feuer geschlummert
hatte.
Es wurde
direkt ins Hinterteil getroffen. Gestochen fuhr es nach oben, stieß ein
abgebrochenes Brüllen aus, und schreckte damit die Leute um sich herum auf.
Sofort waren ein paar mit Speeren zur Stelle, was aber nur dazu führte, dass
das Tier aufhörte, sich danach umzusehen, wer ihn angegriffen hatte und den
Angreifer in den Leuten mit den Speeren fand. Es schlug aufgebracht nach ihnen
und brach gleich drei Speere durch, als wären sie nur dünne Zweige.
Ein Tumult
brach im Dorf aus. Der Geistliche brüllte irgendwas, woraufhin Leute losliefen.
Manche scheinbar auf der Flucht, andere gingen, um sich zu bewaffnen. Ich
jedenfalls nutzte die Chance, in die umliegenden Bäume abzutauchen und in ihrem
Schutz nach unten zu kommen, was ziemlich schwierig war, da es verdammt
abschüssig wurde. Ich hatte mich inzwischen ebenfalls in Schlamm gewälzt und
mir einen Lendenschurz aus meinen Kleidern gebaut, weshalb ich hoffte, nicht so
sehr aufzufallen.
Isaac war beinahe
der Einzige, der noch immer an Ort und Stelle stand, als ich ihn erreichte. Ich
war leider gezwungen, mich von hinten an ihn anzuschleichen, weil der
Geistliche noch immer vor ihm stand und Befehle vor sich hin brüllte. Als ich
dann endlich bei ihm war, legte ich ihm eine Hand auf den Mund, dass er still
blieb und uns nicht verriet, und zog ihn unter den Achseln zurück in den Schutz
des Waldes.
Ich trug ihn
noch eine Weile wie einen Sack unterm Arm, wobei ich froh war, dass er so leicht
war, bevor ich es für sicher genug befand, ihn runterzulassen und ihm zu
zeigen, dass ich es war, der ihn gerade entführt hatte. Trotz meiner
Verkleidung erkannte er mich sofort. Zumindest nahm ich das von dem Lächeln an,
dass sich bei meinem Anblick auf seinem Gesicht ausbreitete. Ich schnitt ihm
noch die Fesseln durch, dann gingen wir zusammen los. Mari kam uns schon
entgegen und gemeinsam sahen wir zu, dass wir davonkamen. Denn da unten hatte
das Biest längst ein paar der Schlafpfeile abbekommen.
Isaac hatte sich ohne zu zögern in unser Boot geschwungen
und er war es auch, der jetzt die Richtung angab. Er wirkte zwar ziemlich
schmächtig, aber er konnte rudern wie kein zweiter. Und er wusste, im Gegensatz
zu mir, wie er mit den Wellen umgehen musste.
Es waren
inzwischen so tiefgraue Wolken aufgezogen, dass ich jeden Moment befürchtete,
sie würden uns auf die Köpfe fallen. Ich bemerkte, dass auch Isaac immer wieder
besorgt zum Himmel aufsah, aber es wollte einfach kein Land in Sicht kommen.
Wir hatten uns inzwischen so weit von der Küste entfernt, dass ich den
Strand, von dem wir losgefahren waren, nicht mehr sehen konnte. Einen Moment
fragte ich mich, ob er überhaupt wusste, wo er hinfuhr, aber wir hatten gar keine
andere Wahl, als uns auf ihn zu verlassen.
Schließlich gab er die Ruder an mich über,
zeigte in eine Richtung, und stellte sich dann an den Bug, um einen besseren
Blick übers Meer zu haben. Ich hatte mir abgeschaut, wie er es gemacht hatte,
aber die Wellen waren inzwischen so heftig geworden, dass ich mir sicher war,
dass wir bald von ihnen umgeworfen werden würden. Mari kauerte sich schon auf
den Boden, weil auch sie das wusste. Ich wünschte nur, ich hätte sie zu mir
holen und sie festhalten können.
„Da! Da ist
Land!“, schrie sie plötzlich aufgeregt.
Die ersten
Regentropfen gingen nieder, als ich einen Blick über die Schulter riskierte,
und tatsächlich, da war etwas am Horizont zu erkennen! Wenn es nur nicht so verflucht
weit entfernt gewesen wäre!
Es war, als
hätte man den Deckel vom Himmel genommen, denn im nächsten Moment goss es in
Strömen. Der Wind wurde heftiger und peitschte mir nicht nur den Regen ins
Gesicht. Innerhalb eines Augenblickes waren wir alle bis auf die Knochen
durchnässt. Aber das Schlimmste war trotzdem die Welle, die ich plötzlich auf
uns zukommen sah. Ich wusste, sie würde unser Ende sein.
Ich hatte
schon aufgehört, zu rudern, als Isaac plötzlich an mir zog. Als ich ihn
verständnislos anstarrte, bedeutete er mir, dass ich weiterrudern sollte. Ich
sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren, aber ich machte, was er von mir
gewollt hatte. Und dann wurde ich Zeuge von etwas so Verrücktem, dass ich es
immer noch nicht glauben kann, es gesehen zu haben.
Mari klammerte
sich an mich, als die Welle uns erreichte, aber anstatt sich hinzusetzen, nahm
Isaac den Platz in der Mitte unseres Bootes ein. Er ging in die Knie und stieß
sich dann wieder nach oben und mit ihm erklomm unser Boot tatsächlich die
Welle, von der ich gedacht hatte, dass sie uns umwerfen würde. Bei den Göttern,
es war, als ob er die Welle ritt!
Als ich ihn
ansah, wurde mir bewusst, dass ich hier einen waschechten Seemann vor mir
hatte. Er wusste genau, was er tat und das beeindruckte mich so sehr, dass ich
unterwegs wieder das Rudern einstellte, um zu starren. Doch das war auch gar
nicht mehr nötig, da die Wellen uns auch so vorwärtstrugen. Isaac nahm jede
Welle souverän, während der Himmel über uns zusammenzubrechen schien. Ich hatte
selten so ein Unwetter erlebt.
Dann aber plötzlich sah ich den Schrecken
auch auf Isaacs Gesicht und da wurde mir nun doch kalt. Als ich nachsah, kam
gerade eine Welle auf uns zu, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Sie
schien größer noch zu sein, als mein Elternhaus. Isaac schrie etwas, das ich
nicht verstand, und dann kam sie über uns herein.
Da war wieder
diese Dunkelheit. Die Luft, die aus meinen Lungen gepresst wurde. Ich versuchte
verzweifelt, Mari festzuhalten, die das Meer mir entreißen wollte. Es war alles
egal, es zählte nur, dass ich sie rettete. Dass sie auch bei mir nicht sicher
sein würde, kam mir gar nicht erst in den Sinn. Sie hatte mich gerettet, sie
hatte ihr Leben für mich riskiert, und als ich vorher gedacht hatte, sie
verloren zu haben, hatte plötzlich nichts mehr einen Sinn ergeben ohne sie. Ich
hatte sie lang genug in Gefahr gebracht. Was hatte ich mir nur immer und immer
wieder dabei gedacht? Wenn wir das hier überlebten, schwor ich mir, würde ich
dafür sorgen, dass sie nie wieder in Gefahr geriet.
Ihre kleinen Finger klammerten sich mit
aller Kraft an mich, aber wie das Meer an mir zerrte, zerrte es auch an ihr und
im nächsten Augenblick wurde sie mir doch entrissen. Ich schrie, aber alles,
was meinen Mund verließ, waren Luftblasen, die sie erreichen würden, wo ich es
nicht mehr konnte. Sie trieb nach oben, ich sank hinab in die Tiefe. Ein
beklemmendes Gefühl hatte sich um meinen ganzen Körper gelegt. Meine Lungen
schrien nach Luft, aber das, was wirklich in mir brannte, war die Angst, dass
ich versagt hatte. Dass ich Mari am Ende doch nicht hatte beschützen können.
Das letzte,
das ich sah, war ein Schatten über mir. Dann wurde alles schwarz um mich herum,
während ich in meiner Reue versank.
Ich schwöre, ich hatte wahrlich genug davon, aufzuwachen,
nachdem ich beinahe ertrunken wäre. Dieser Moment, wenn die Luft in meine
Lungen zurückkehrte und verzweifelt mit dem Wasser um die Vorherrschaft
kämpfte. Der Husten, der mich durchschüttelte und der mich glauben ließ, dass
ich doch noch eine gute Chance hatte, heute zu ersticken. Aber hey, immerhin
lebte ich noch, dafür sollte ich wohl dankbar sein.
Weil ich so
oft schon untergegangen war in meinem Leben, war ich wohl auch schnell wieder
bei mir und hatte die Situation, in der ich mich befand, sofort überblickt. Ich
lag an einem Strand, die Sonne schien mir gerade ein bisschen spöttisch an
einem beinahe wolkenlosen Himmel in die Augen, als ich versuchte, wach zu
werden. Über mir zogen ein paar Möwen ihre Kreise.
Ich verbrachte
einen Moment damit, wieder zu Atem zu kommen, bevor ich mich aufsetzte. Mein
Blick ging sofort umher und ich kann gar nicht sagen, wie froh ich war, als ich
sah, wie Isaac mit Mari in den Armen auf mich zukam. Wie es schien, hatte er
sie aus dem Wasser gezogen. Sie hatte zwar noch immer die Augen geschlossen,
aber sie atmete. Ich drückte sie erleichtert an mich, wodurch sie langsam wach
wurde. Sie hustete und spuckte und brauchte ein bisschen länger, bis sie wieder
ganz bei sich war, aber als sie damit fertig war, lagen wir uns noch eine Weile
länger erleichtert in den Armen. Um uns herum waren überall Trümmerstücke von
unserem Boot im Sand verstreut.
„Du hast uns
gerettet, nicht wahr?“, fragte ich Isaac, der sich gerade erschöpft neben mich
in den Sand fallen ließ. Er hatte exakt dieselbe Augenfarbe, wie Lu, fiel mir
auf. Ich wusste natürlich, dass er mich nicht verstand, aber das machte nichts.
„Danke.“
Er schüttelte
den Kopf, legte eine Hand an seine Brust und sagte dann selber etwas. Ich hatte
keine Ahnung, was er mir sagen wollte, aber wir lächelten trotzdem beide. Nach
einer kurzen Verschnaufpause erhob er sich wieder und bedeutete uns, zu folgen.
Mari war noch immer völlig aufgelöst, also trug ich sie. Das Wasser hatte uns
wenigstens von dem Schlamm reingewaschen, aber ich hoffte trotzdem, dass ich
bald dazu kommen würde, meine Sachen auszubessern. Es rutschte ganz schön in
der Lendengegend und Maris Sachen waren gleich ganz vom Meer verschluckt
worden.
Issac brachte uns durch einen kurzen Waldabschnitt. Wie
der, aus dem wir erst entkommen waren, war dieser hier voller merkwürdiger
Bäume und Pflanzen. Große, fleischige Blätter neben langen Schnüren, an denen sich
die Affen von Baum zu Baum schwangen. Der etwas modrige Gestank des Flusses
fehlte hier und dafür war die Luft erfüllt mit einem schweren, süßlichen
Geruch. Aber egal, wo man in dieser heißen Gegend auch hinging, man schwitzte
beinahe sofort. Da half es auch nichts, dass wir erst vor kurzem ein Bad im Meer
genommen hatten. Mari ging es genauso, wie ich merkte, nur Isaac schien die
feuchte Hitze nichts auszumachen.
Wir liefen
unterwegs an ungefähr drei riesigen Spinnen vorbei, die Mari heute Nacht
bestimmt Alpträume bescheren würden, bis sich der Wald vor uns schließlich
lichtete und die Sicht auf eine Ebene freigab, auf der sich solch kleine Hütten
tummelten, wie wir sie erst gesehen hatten. Diese hier bestanden zwar scheinbar
aus Holz und Bast, aber ich zögerte trotzdem ein bisschen, einfach so in ein
weiteres, unbekanntes Dorf zu spazieren, nachdem wir gerade eben erst
Menschenfressern entkommen waren, die in einem ganz ähnlichen Ort gelebt
hatten. Gleich um die Ecke.
Ich blieb
deshalb in sicherer Entfernung stehen und konnte dadurch dann vom Waldrand aus
zusehen, wie Isaac, kaum dass er entdeckt worden war, von seinen Leuten
willkommen geheißen wurde. Er wurde hier und dort gedrückt, und den Gesichtern
nach zu urteilen, erzählte er gerade, wo er eigentlich die ganze Zeit über
gewesen war. Dann ging Isaacs Erzählung wohl zu uns über, denn die Gesichter,
allesamt dunkel, aber glücklicherweise ohne Schlammüberzug, wandten sich nun
uns zu. Isaac winkte uns zu, also entschied ich mich doch dazu, rüberzugehen.
Mari behielt ich aber trotzdem sicherheitshalber bei mir. Auch wenn ich nicht
umhin kam, zu bemerken, dass sowieso beinahe alle so nackt waren, wie die arme
Mari auch. Scheinbar hatte Isaac schon die ganze Zeit über die Stammesmode
getragen.
Ich
versuchte, nett zu lächeln, was zu einem schiefen Grinsen mutierte. Aber neben
dem neugierigen Starren, verirrte sich jetzt auch vereinzelt mal ein Lächeln in
die Gesichter der Anderen. Isaac erzählte noch immer und ich konnte nichts
anderes tun, als dämlich zu grinsen und mich wie ein wildes Tier zu fühlen, das
man angaffte, weil ich ja nix verstand.
Schließlich schälte
sich jemand aus der Menge und als ich denjenigen sah, blieb mir mal wieder die
Spucke weg. Da kam einer, der nun wirklich wie Rahn aussah. Ein muskulöser
Muskelberg von Rahn zumindest. Er hatte ein überaus eckiges Gesicht und
Oberarme, so dick wie Baumstämme. Die feinen Gesichtszüge, die auch Isaac
hatte, passten irgendwie nicht ganz dazu. Ein langer Bart fiel von seinem Kinn
auf die beachtliche Brust und er trug denselben langen Zopf, den auch Isaac
hatte.
Der
Muskelberg blieb zuerst vor Isaac stehen und beide starrten sich einen Moment
lang so ernst an, dass ich ein bisschen erschrak. Dann aber lachten sie
plötzlich, umarmten sich und Isaac bekam einen Schlag auf den Rücken, dass er
beinahe von den Füßen kippte. Als nächstes folgte eine Frau, die aussah wie
Tara (in dunkel und alt) und ein alter Mann, nach denen seine Söhne scheinbar
nicht so sehr kamen. Ich hatte inzwischen auch ehrlich genug von irgendwelchen
Lu-Verschnitten. Bis auf das kantige Gesicht, das auch der Muskelberg hatte, hatte
der Alte jedenfalls nichts mit seinen Söhnen gemein. Die große Hakennase hatte
er ihnen glücklicherweise auch nicht vererbt.
Der Alte ging
schwer gestützt auf einem Stock und als er mit seinem Sohn fertig war, wandte
er sich mir zu. Er musterte mich von oben bis unten, dass ich mir plötzlich
ziemlich schäbig vorkam und dann fing er an, zu sprechen, als würde ich ihn
verstehen.
„Ich versteh
nix!“, jammerte jetzt auch Mari.
Da sah der
Alte über seine Schulter hinweg und nickte jemandem zu. Es dauerte einen Moment,
aber dann hatte sich eine weitere Person nach vorne gekämpft. Auch wenn gekämpft der falsche Ausdruck dafür war.
Alle machten ihr sofort Platz, als wäre sie eine Göttin, die zwischen ihnen
wandelte. Und als sie schließlich vor mir stand, konnte ich auch verstehen,
warum. Es war die erstaunlichste Frau, die ich jemals gesehen hatte.
Hier weiterlesen -> Kapitel 7
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