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Freitag, 12. Oktober 2018

Kapitel 7 - Stück vom Mond


Sie trug einen riesigen Hut aus Blättern, der ihr Gesicht gänzlich in Schatten hüllte. Der Rest von ihr war unter einem langen Gewand verborgen, das beinahe weiß schimmerte, und das über und über mit detailverliebten roten Stickereien verziert war. Ich hatte gedacht, dass der alte Mann der Anführer hier war, aber nach ihrer prächtigen Aufmachung nach zu urteilen, war doch wohl sie das.
     Aber es waren nicht ihre Kleider, die mich faszinierten, sondern ihr Gesicht, das unter ihrem Hut hervorschaute. Sie war so hell wie Schnee. Und dabei meinte ich nicht nur ihre Haut. Auch ihr langes Haar, sogar die Wimpern und Augenbrauen waren mehr weiß, als blond. Selbst Dana hatte dunkleres Haar. Stechend blaue Augen sahen mich an, die heller noch waren, als der sonnenstrahlende Himmel über uns.
     Ich konnte nicht anders, als sie mit offenem Mund anzustarren. Sie sah aus, als wäre ein Stern vom Himmel gefallen, ich konnte es einfach nicht anders sagen.
     Die Frau neigte hoheitlich den Kopf zum Gruß, dann öffnete sie den Mund, um etwas zu sagen, aber Mari war schneller. Sie sprang mir vom Arm, bevor ich es verhindern konnte und dann hatte sie den Finger auf die Frau gerichtet. „Du siehst ja aus wie Tante Eris!“
     Die Frau stockte, kniff die Augen zusammen und betrachtete Mari einen Moment lang eingehend. „Mari?“, probierte sie schließlich zögerlich.
     Aufregung auf dem Gesicht des Mädchens. „Du bist ja wirklich Tante Eris!“
     Also feierte Mari Wiedersehen mit ihrer Tante Eris, indem sie sie ansprang und beide sich herzlich umarmten. Das sandte eine Schockwelle durch die Anwesenden, aber glücklicherweise entfernte sich Mari da auch schon wieder von ihrer Tante, weshalb ein Eingreifen überflüssig wurde.
     „Mari, was machst du denn hier?“ Sie sah sich hoffnungsvoll um. „Sind deine Eltern auch da?“
     Mari schüttelte den Kopf und sie hielt sich tapfer, als sie sagte: „Papa ist gestorben. Vor ein paar Wintern oder so.“ Sie rümpfte die Nase. „Und Mama ist bei dem blöden Eren geblieben.“
     Eris sah natürlich geschockt aus. Wenn ich sie mir so ansah, hatte sie tatsächlich was von ihren beiden Brüdern, wie ich annahm. Sie hatten zumindest eine gewisse Namensähnlichkeit, wie ich feststellen konnte. Glücklicherweise kam sie aber mehr nach Erin, als nach Eren. Ich hatte bislang trotzdem noch nichts von ihr gehört.
      „Aber dafür habe ich ja jetzt Wulf-Papa! Der hat mich vor dem blöden Eren gerettet!“
     Da landete Maris Finger auf mir und natürlich auch der Blick von Eris. Ich kam mir ein bisschen so vor wie damals, als Ura einfach beschlossen hatte, dass ich bei ihr bleiben sollte. Ich hatte aber gute Hoffnung, dass ich diesmal nicht Ersatzmann spielen musste. Also hob ich meine Hand und winkte nur höflich lächelnd.
     „Du meine Güte! Was ist denn nur passiert, während ich weg war?“
     „Ich erzähl’s dir, wenn ich was gegessen hab“, meinte Mari jetzt und rieb sich dabei den kleinen Bauch. „Ich hab seit ewig nix mehr gegessen! Ich verhungere!“
     Da konnte ich ihr nur zustimmen.

Kurz darauf saßen wir um ein lauschiges Feuer versammelt. Man hatte Mari neu eingekleidet, weshalb sie jetzt einen waschechten Lendenschurz trug, wie alle anderen Kinder hier auch, und ich hatte wenigstens Zeit gehabt, meine arg gebeutelten Sachen zurechtzurücken.
     Dann durften wir endlich essen. Es gab Fisch und merkwürdige Sachen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Dazu eine komische Schale, die innendrin strahlend weiß war, aber leer, und ansonsten war alles auf einem der riesigen Blätter angerichtet, die es hier zuhauf an den Bäumen gab. Es war mir herzlich egal, wie es schmeckte, ich verschlang meine Portion so schnell, dass ich dabei angestarrt wurde, aber auch das war mir egal. Es schmeckte übrigens wunderbar.
     Während Mari gerade etwas probierte, das sie Saft nannten und darüber ganz aus dem Häuschen war, gesellte sich Isaac zu mir. Ich konnte nicht verhindern, dass ich mich an meinem Bissen verschluckte, als er das tat. Verdammt, er sah Lu noch immer viel zu ähnlich und ich wünschte, er hätte sich was angezogen. Immerhin hatte er Eris im Schlepptau. Also konzentrierte ich mich auf sie. Sie war es sowieso, die alles für mich übersetzte, was Isaac sagte.
     „Er will sich bei dir bedanken, dass du ihn gerettet hast“, erklärte sie. „Er sagt, dass er noch nie etwas so mutiges gesehen hat. Jeder in deiner Situation wäre weggelaufen und hätte ihn im Stich gelassen, aber du hast das nicht gemacht. Und dabei kanntet ihr euch gar nicht.“
     „Oh, also… das war selbstverständlich.“ Ich räusperte mich und streckte die Brust raus. Ja, ich war schon ein bisschen stolz. „Ich konnte ja nicht zulassen, dass sie dich essen.“
     Eris übersetzte und wartete, bis Isaac gesprochen hatte. Dann übersetzte sie mir: „Er sagt, dass das zeigt, dass du das Herz eines Tigers hast.“
      Ich hatte keine Ahnung, was ein Tiger war, aber ich nahm mal an, dass das ein Kompliment war. Also nickte ich. Ich musste wirklich aufhören, so blöd zu grinsen. Und das tat ich auch, als Isaac sich mir im nächsten Moment näherte und seine Stirn auf meine legte. Ich erstarrte und ich glaube, dass ich die ganze Zeit über zu atmen aufhörte, während er was vor sich hin murmelte. Dann entfernte er sich wieder und ich hatte alle Mühe, nicht rot zu werden. Vor allen Dingen, als er mir dann auch noch versuchte, mit seinem wunderbaren Lächeln den Rest zu geben.
     Ich verdrehte meinen Finger unauffällig, sodass er wehtat und zwang mich, meinen Blick von ihm abzuwenden. Ich war schon an vielen Orten gewesen und ja, es hatte Orte gegeben, an denen es für die Menschen ganz normal und natürlich war, so zu sein, wie ich. Aber dann hatte es auch die Anderen gegeben. Die, an denen man verbannt wurde. An denen sie einen töteten dafür, dass man jemanden liebte, der nicht in ihre Vorstellungen passte. Ich werde nie die Geisteraustreibung vergessen, die ich gesehen hatte, als ich noch mit meinen Eltern unterwegs gewesen war.
     Deshalb war ich lieber vorsichtig. Ich wusste nicht, wie die Leute hier auf Leute wie mich reagierten und normalerweise war das ja auch nichts, was wichtig sein sollte. Ich verweilte jedenfalls überall viel zu kurz, damit das wichtig werden konnte.  
     Diese ernüchternden Gedanken brachten mich immerhin dazu, wieder abzukühlen, sodass ich Isaacs Lächeln erwidern konnte. Glücklicherweise entschied er sich jetzt auch dazu, aufzustehen und zu seinen Leuten rüberzugehen. Ich blieb mit Eris allein zurück, wenn man mal von dem fahlen Beigeschmack absah, den Isaac bei mir hinterlassen hatte.
     „Er hat dich gesegnet“, hörte ich sie erklären.
     Als ich bemerkte, dass sie mich musterte, zwang ich mich dazu, mich ihr zuzuwenden. „Ich habe gesehen, dass du mit Mari gesprochen hast“, lenkte ich ab.
     Trauer legte sich in ihr Gesicht, als sie zu ihrer Nichte rüber sah, die inzwischen mit den anderen Kindern des Dorfes versuchte, den Saftkrug zu erobern.
     „Ja, und ich wünschte, dass ich für sie dagewesen wäre.“ Sie sah mich an. „Ich muss mich wirklich bei dir bedanken, dass du sie da rausgeholt hast. Ich weiß ja, dass die ganze Sache mit Ura schwer für Eren gewesen war, aber dass er Erin wirklich dafür umbringen würde…“ Sie brach ab und schüttelte den Kopf. „Ich kann gar nicht glauben, dass er sogar Marin etwas antun wollte. Dass diese Schlampe Ura ihn so weit gebracht hat!“
     Ich konnte ihre Wut nur zu gut verstehen. „Denkst du wirklich, dass Ura ihn dazu gebracht hat?“
     „Oh ja! Dieses Miststück hat schon immer mit meinen beiden Brüdern gespielt. Hat ihnen beiden schöne Augen gemacht und es genossen, wie sie ihr nachgelaufen sind. Dann hat sie Erin genommen und hat nebenbei für Eren die Beine breit gemacht. Ich wette, dass mindestens eines ihrer drei Kinder von Eren war.“
     „Das würde ich ihr glatt zutrauen“, meinte ich. „Aber sag mal, wenn du das wusstest, was machst du dann hier? Wenn ich wüsste, dass jemand meine Geschwister gegeneinander ausspielt, wäre ich bestimmt nicht weggegangen, sondern hätte alles getan, um zu helfen.“  
      „Oh, das habe ich ja auch gemacht. Ich habe mich mehr als nur einmal mit Ura angelegt und ich habe mich deswegen immer wieder mit meinen Brüdern gestritten. So sehr, dass sie irgendwann nicht mehr mit mir geredet haben.“ Sie seufzte. „Also bin ich von da weggegangen, als Ura gerade ihr drittes Kind bekommen hatte. Ich hatte da niemanden mehr und ich wollte mich woanders niederlassen. Mir jemanden suchen und eine Familie gründen. Ich… hatte auch ein paar Probleme mit den Leuten dort, wenn ich ehrlich bin.“  
     Plötzlich musste sie lachen. „Das war das Einzige, das Ura und ich je gemein hatten. Ich habe dann auch einen Ort gefunden, wo ich bleiben wollte. Gerade an der Grenze, wo der Dschungel anfängt. Aber selbst dorthin sind die Menschenfresser gekommen. Ich war keine drei Tage dort, bevor sie kamen und meine Leute haben mich nur zu gerne an sie ausgeliefert. Sie haben wohl regelmäßige Opfergaben mit ihnen vereinbart, damit sie sie ansonsten in Ruhe lassen, wie ich später erfuhr. Und dort haben mich die Leute von hier dann gefunden und gerettet. Seitdem lebe ich hier.“
     „Und du führst die Leute hier echt an?“
     Sie lachte. „Oh, nein! Abe ist unser Oberhaupt.“ Ihr Finger wanderte zu dem alten Mann, wie gedacht. „Meine Aufmachung hat einen anderen Grund. Mir bekommt die Sonne nicht so gut, musst du wissen. Und irgendwie glauben sie auch, dass ich ein Stück vom Mond bin“, fügte sie ganz nebensächlich hinzu.
     Als wäre es ganz alltäglich, dass man mal eben so als übernatürliches Wesen verehrt wurde. Ich wollte etwas Ironisches dazu erwidern, aber da kam Muskel-Rahn an. Isaacs Bruder wahrscheinlich.
     „Das ist Kane. Er und Isaac sind Abes Söhne“, bestätigte Eris meine Vermutung.
     Kane jedenfalls sprach gerade mit einem selbstsicheren Grinsen im Gesicht zu mir und ich brauchte gar keine Übersetzung, um zu wissen, was er von mir wollte. Er war einer dieser typischen Stammesmänner. Kräftig, manchmal ein bisschen tumb, aber vor allen Dingen besessen von ihrer Stärke, ihrem Ansehen und ihrem Ego. Solche Kerle waren ja nicht so meins, aber immerhin wusste ich, wie ich mit ihnen umgehen musste.
     „Er will sehen, was du draufhast“, übersetzte Eris gerade, und sie sah ein bisschen missbilligend aus. „Ich glaube, er will seine Kräfte mit dir messen.“
     Ich setzte mein eigenes überhebliches Stammesmänner-Grinsen auf und erhob mich möglichst kraftvoll. Ganz automatisch stand ich breiter als gewöhnlich. Ich trug diese Maske schon so lange zur Schau, dass es mir ins Blut übergegangen war, sie aufzusetzen, sobald so ein Kerl ankam. Manchmal fragte ich mich, ob ich vielleicht inzwischen einfach wirklich auch so einer geworden war. Ich wusste jedenfalls nicht, ob ich das wollte.

Wir gingen rüber zu einer ruhigeren Stelle und es dauerte nicht lange, bis er mich fertig gemacht hatte. Ich war inzwischen um einiges besser im Faustkampf, aber gegen Kane hatte ich trotzdem keine Chance, das war mir schon klar gewesen. Doch der Ausgang war auch überhaupt nicht wichtig, wichtig war nur, dass ich mich ihm gestellt hatte.
     Kane hatte den Kampf wirklich im Blut, wie ich kurz darauf feststellen konnte, als ich vorschlug, doch einen stammesweiten Ringkampf draus zu machen. Ich war noch immer ziemlich kaputt von meiner Flucht und meinem Beinahe-Untergehen, aber gerade dadurch konnte ich mich vor allen anderen beweisen. Außerdem hatte ich es dann wenigstens hinter mir. Ich schlug ganze vier Kerle, bevor der Fünfte mich zu Boden schickte.  
     Von da an sah ich von der Seite aus zu und darüber war ich auch ganz froh. Ich hatte keine Lust, mich nochmal mit Kane kloppen zu müssen. Außerdem war es ja nicht so, dass es mir nicht gefiel, was ich sah. Sie hatten eine paar richtige Prachtexemplare hier. Gut, dass ich jahrelange Übung darin hatte, mich mit anderen Kerlen zu prügeln. Da hatte es mir auch nichts ausgemacht, dass alle meine Gegner nackt gewesen waren. Gegen Isaac hätte ich mich aber trotzdem nicht getraut. Er hatte so eine Wirkung auf mich, wie sie zuvor nur Lu und Samuel gehabt hatten. Da musste ich vorsichtig sein. Aber Isaac nahm an den Ringkämpfen auch nicht teil. Er war mit irgendwelchen spirituellen Vorbereitungen beschäftigt, wie Eris erzählte.  
     Kane gewann den Ringkampf natürlich und danach durfte ich mir auch mal die Frauen des Stammes angucken. Sie hatten mir und Mari zu Ehren ein Fest veranstaltet und gerade tanzten sie mir irgendeinen rituellen Tanz vor. Ich musste an Jin und Wulfric denken, die beide eine Heidefreude an dem gehabt hätten, was ich gerade sah, weil natürlich auch die Frauen alle nackt waren, aber ich musste mich schon zusammenreißen, zuzugucken, anstatt übers Essen herzufallen. Ich hatte so einen Hunger.
     Als sie fertig waren, durfte ich endlich essen und dann kamen die Männer mit einem Tanz dran. Isaac war diesmal auch mit dabei, sodass es wieder interessanter für mich wurde und ich mir nicht verkneifen konnte, zu denken: ‚Ich wünschte, ich könnte auch mit ihm tanzen.‘
     Blöderweise hatte ich das in irgendeiner Form laut gesagt, weil sich jetzt Eris an mich wandte. „Oh, du willst tanzen? Das können wir bestimmt hinkriegen.“
     Bevor ich was sagen konnte, hatte sie „Lao-Pao“ oder so gerufen und dann war ein älterer Mann zu uns rübergekommen. Er hatte einen auffallenden Federkopfschmuck auf dem rasierten Kopf und überfall schwarze Zeichnungen am Körper. Ich nahm mal an, dass er hier der Geistliche war. Blöd für mich, dass sie ihren Tanz gerade beendet hatten, da Isaac gleich auch noch mit ankam.
     Eris und Lao-Pao wechselten ein paar Worte, dann sagte sie zu mir: „Er würde sich freuen, wenn du uns einen Tanz aus deiner Heimat zeigen würdest.“
     Mist! Hätte ich mal meine Klappe gehalten. Es reichte schon, dass ich mich damals vor den Uruk-Leuten zum Deppen gemacht hatte. Wie kam ich da nur wieder raus?
     „Das kann ich nicht ohne die nötige Vorbereitung. Ich brauche ein paar Sachen dafür und mein rituelles Gewand ist auch Zuhause. Ich würde meine Götter beleidigen, wenn ich einfach so tanzen würde“, log ich schnell. Ich hoffte nur, dass die Götter mir meine kleine Lüge verziehen.
     Lao-Pao nickte zum Glück verständnisvoll, nur Eris und Isaac guckten, als ob sie das echt bedauerten. Aber plötzlich fing Letzterer an zu sprechen. In seinen Augen glitzerte es.
     „Er fragt, ob du uns dann etwas von deinen Göttern erzählst.“
     Ich furchte die Stirn. „Echt?“ Normalerweise waren die Leute eher darum bemüht, mich von ihren Göttern zu überzeugen, anstatt sich meine Göttergeschichten anzuhören. Die meisten wollten gar nichts davon wissen, dass da draußen noch etwas anderes existieren könnte, als das, was sie kannten und fürchteten/verehrten.
    „Oh ja!“, meinte Eris nun, als wäre das trotzdem selbstverständlich. „Du musst wissen, dass sie hier glauben, dass alle anderen Götterwesen da draußen Kinder ihres eigenen Schöpfers sind. Sie sind deshalb ganz begierig darauf, so viele Geschichten über die Kinder ihres Schöpfers zu sammeln, wie nur irgend möglich.“
     Sie? Sag bloß, du glaubst nicht daran.“ ‚Wo sie dich doch verehren.‘
     Da hatte ich anscheinend einen Volltreffer erzielt. „Oh, ach… du weißt doch! Ich bin mit einem anderen Glauben aufgewachsen“, stotterte sie. „Wir verehren Bären… und so…“
     Also glaubte sie überhaupt nicht an Götter. Ich wusste, dass es solche Leute gab, hatte aber noch nie jemanden getroffen, der das zugegeben hatte. Auch auf das Thema Glaube reagierten manche Leute ein bisschen empfindlich. So mit Speeren und Feuer. Ich war mir auch nicht so sicher, ob es Götter gab, aber ich wollte lieber nicht den Zorn von etwas auf mich ziehen, gegen das ich nicht ankam. Und gegen übernatürliche Wesen, Speere und Feuer sah ich ziemlich alt aus.
     „Also, was sagst du?“, lenkte sie ab.
     Ich tat ihr den Gefallen und nickte. Lao-Pao wies mir dann gleich mal einen Platz vorm Feuer zu und dann scharrten sich sogar alle anderen um mich. Ein großes Publikum heute. Schade nur, dass es eigentlich Eris war, die für mich erzählen würde.
      „Am Anfang war die Welt eine dunkle Höhle“, begann ich und untermalte es mit einer ausladenden Bewegung zum dunklen Nachthimmel hinauf, der inzwischen voller Sterne glitzerte. „Der Erdgeist hatte sie geschaffen, damit es einen Boden gab, auf dem er und seine Geschwister schlafen konnten. Wind und Wasser waren immer bei ihm, aber der Geist des Feuers zog es vor, oben auf der Höhle zu schlafen.
     Eines Tages wurde der Feuergeist aber wach. Er schlug die Augen auf und sah nach seinen Geschwistern in der Höhle. Geblendet durch sein Licht wurden auch sie wach. Also beschlossen sie, ein Spiel zu spielen. Und dann noch eines. Und noch eines. Aber irgendwann wurde es ihnen langweilig in ihrer leeren Höhle und da machten sie die Menschen und Tiere, indem jeder etwas von sich gab, und sie setzten sie in die Welt, damit sie ihre Spielkameraden waren. Und die Menschen und Tiere verehrten sie wie Götter.
     Doch die Menschen und Tiere waren bald schon erschöpft und schwitzten fürchterlich unter dem Feuer, das ihnen Wärme und Licht spendete. Da die Tiere es nicht konnten, sprachen die Menschen für sie alle und sie baten die Götter um Abkühlung. Daraufhin entschied der Gott der Lüfte, aufzusteigen und ihnen kühle Winde zu schicken.
     Dann begannen die Menschen und Tiere, durstig zu werden und sie baten um etwas, ihre Kehlen zu befeuchten. Woraufhin der Wassergott ging, um Bäche, Flüsse und Seen aus der Erde springen zu lassen.
     Nachdem sie ihren Durst gestillt hatten, wurden sie jedoch hungrig und der Hunger trieb die Tiere und Menschen dazu, sich gegenseitig zu töten und zu essen. Die Götter waren erschrocken über die Grausamkeit ihrer Kinder und sie wandten sich von ihnen ab. Der Wassergott weinte salzige Tränen, die zum Meer wurden, der Windgott brüllte vor Zorn und Wut, dass es donnerte und stürmte, und der Feuergott brannte noch heftiger, sodass er sogar seine Geschwister zu verzehren drohte. Daraufhin gingen die anderen drei Götter zu ihm, brachten ihn nach draußen und hingen ihn an den Himmel, sodass er zur Sonne wurde.
      Von all den Göttern war es nur der Erdgott, der die Notwendigkeit sah, warum die Menschen und Tiere töten mussten, um zu überleben. Also ließ er die Pflanzen in seinen Händen sprießen und machte sie uns zum Geschenk, damit wir von ihren Früchten zehren konnten, und das taten wir. Dennoch blieben die anderen Götter uns fern.
     Am Ende des Tages waren die Menschen und Tiere müde und sie baten den Feuergott, die Augen zu schließen, damit auch sie endlich ausruhen konnten. Aber der Feuergott war noch immer wütend und weigerte sich. Da ging der Erdgott zu seinem Bruder, dem Windgott, und bat darum, den feurigen Bruder mit einer Felldecke zuzudecken. Der Windgott weigerte sich zunächst auch, aber er war eitel und ließ sich von der Huldigung und den Opferungen der Menschen überreden. Also ging er und deckte den Feuergott zu. Doch die Flammen des Gottes waren so heiß, dass sie immer größere Löcher in die Decke brannten, bis sie am Morgen gänzlich verbrannt war und der Feuergott als Sonne wieder am Himmel stand. Deshalb muss der Windgott seitdem jeden Abend gehen, um seinen Bruder für die Nacht abzudecken.
      So lebten wir lange Zeit mit dem Erdgott allein in der Höhle, die die Welt war, bis wir schließlich alt wurden und zu sterben drohten. Da sah der Erdgott, dass er bald wieder allein sein würde und er gab einem jeden Menschen und einem jeden Tier ein Stück von sich, damit auch sie Leben schenken konnten.“
      Sofort, als ich geendet hatte und Eris noch mit übersetzen beschäftigt war, fragte Mari todernst: „Und warum haben die da drüben uns fressen wollen, wo dieser Erdgott ihnen doch Früchte dafür gegeben hat?“
      Ich sah in ihrem Gesicht, dass sie das noch immer belastete. Am liebsten wäre ich zu ihr gegangen, um mit ihr mal richtig darüber zu reden. Da würde ich wohl nicht drum herum kommen. Aber da ich noch immer Publikum hatte, antwortete ich erst einmal: „Weil wir zu viele wurden. Wir konnten zwar am Alter sterben, aber das war trotzdem nicht genug. Also sandten die Götter, die uns verlassen hatten, die Krankheit über uns. Und als das immer noch nicht reichte, war auch der Erdgott gezwungen, Teile seiner Erde unfruchtbar und öd zu machen, damit der Hunger uns wieder dazu trieb, uns gegenseitig zu essen.“
     „Also wollen deine Götter, dass wir uns essen?“, fragte sie entsetzt. „Wenn das so ist, sind deine Götter echt blöd!“
      „Sie wollen nicht, dass wir unsere eigene Art essen, aber dass ein Wolf ein Schaf essen soll zum Beispiel.“
      „Und warum haben die uns dann essen wollen?“
      Ich hielt ihren Blick stand, der nach einer Antwort bettelte, darum, zu verstehen, warum jemand einen anderen tötete. Dann gab ich Eris ein Zeichen, die verstand und mich ablöste, und nahm Mari mit mir. Wir gingen zum Strand hinunter, dem, der das Dorf auf der anderen Seite der Insel einschloss und an dem wir nicht gestrandet waren. Hier hatten sie auch ihre Fischerboote angebunden und es lagen Netze im Sand. Obwohl das Dorf nicht weit entfernt war, war es hier so still, dass ich beinahe den Sand unter unseren Füßen hören konnte. Wenn das Rauschen des Meeres nicht gewesen wäre, zumindest.
     Mari lief bis ans Wasser, blieb aber kurz vor der nassen Linie im Sand stehen. Ich sah, wie sie ihre Zehen in den Sand krallte. Ich stellte mich genau neben sie und meine Füße wurden im Gegensatz zu ihren nass. Über unseren Köpfen war es so pechschwarz, wie ich mich momentan fühlte.
     „Warum töten Menschen andere?“, fragte Mari wieder. „Warum haben die das gemacht? Da waren überall Früchte und Tiere in dem Wald um sie rum. Die hätten sie doch essen können!“
     „Ich weiß nicht, warum manche Leute andere Menschen essen.“ ‚Und ich will es auch eigentlich nicht wissen.‘
      „Was ich da gesehen hab…“ Sie sah mich an und da war wieder dieser Horror in ihrem Gesicht. Da sie nur vom Mondlicht beleuchtet wurde, wirkte sie fürchterlich fahl. „Das war schlimm!“
      „Möchtest du es mir erzählen?“
     Doch sie schüttelte nur den Kopf und wandte sich wieder dem Meer zu. Sie hielt sich selber fest, klammerte sich an sich und ich fühlte mich so elend, dass ich ihr nicht helfen konnte.
     „Weißt du, ich muss oft dran denken, wie Papa ausgesehen hat, als du ihn heimgebracht hast. Er sah nur aus, als würde er schlafen. Aber das…“ Sie schüttelte den Kopf und plötzlich lag ihr Blick auf mir. „Warum hat er das gemacht?“
     Ich wusste, dass sie von Eren sprach. Aber was sollte ich darauf antworten? War sie schon bereit für die Antwort? „Weil er… deine Mutter für sich haben wollte“, erwiderte ich schließlich.
     „Ja, ich weiß das! Aber Papa hatte sie nun mal! Ich krieg auch nicht alles, was ich will!“
     Ich kniete mich zu ihr runter, um ihr in die Augen sehen zu können. „Das stimmt, Mari, und es ist wichtig, das man lernt, das zu akzeptieren. Eren hat das nicht getan und hat stattdessen etwas Unverzeihliches getan. Das darfst du niemals tun, nur, weil du nicht bekommst, was du willst, hörst du?“
     „Ich will auch gar niemanden totmachen!“, rief sie empört. „Ich will lieber, dass niemand stirbt. Ich will helfen, dass niemand stirbt.“
     Ich konnte mir ein Schmunzeln trotz der ernsten Situation nicht verkneifen. Ich sah sie schon als alte Kräuterfrau vor mir. „Das ist ein guter Vorsatz. Du wirst bestimmt eine tolle Heilerin.“
      Mari sah mich mit großen Augen an, dann brach auch auf ihrem Gesicht die Freude aus. Anscheinend war sie damit einverstanden.
     Kurz darauf fing Mari dann an, beim ortsansässigen Heiler in die Lehre zu gehen.

Anmerkung: Die Götter-Geschichte, die Wulfgar erzählt, ist auch das, an was die Leute vom Uruk-Stamm glauben.

Hier weiterlesen -> Kapitel 8 

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