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Sonntag, 17. Juli 2022

Kapitel 12 - Hinter der Tür


​Der Raum hinter der ominösen Tür stellte sich als ziemlich unspektakulär heraus. Ein verstaubtes Bett an der linken Wand, ein Bücherregal daneben und ein Spiegel über einem kleinen Tisch.
Eine Staubwolke schlug ihr entgegen, als sie den dunklen Raum betrat. Es wirkte wie das Zimmer einer jungen Frau. Zumindest nach dem halb befüllten Schmuckkästchen nach zu urteilen.​


Hannah sah sich hilfesuchend nach Dorotheas Geist um, aber der war bereits wieder verschwunden. Was sie hier nun sollte, blieb ihr wirklich ein Rätsel.
Also begann sie, sich in dem kleinen Zimmer umzusehen. Das erste, das ihre Aufmerksamkeit dabei auf sich zog, war ein kleines hölzernes Kästchen. Eine Spieluhr, in der man ein paar Schmuckstücke gelagert hatte.
Sie ließ ihre blassen Finger über die Verzierungen des Deckels streifen, versenkte sie in dem Gewirr aus Ketten und Perlen und fühlte das weiche Gold an ihrer Haut, als sie eine besonders auffällig gearbeitete Halskette genauer betrachtete.​

 
"Geister!"
Hannah wirbelte herum und blickte zu ihrem Entsetzen Aiden ins Gesicht, der einfach nur im Türrahmen stand und sie mit seinem ausdruckslosen Blick ansah.
Wie hatte er sie gefunden? Sie hatte sich doch versichert, dass er ruhig in seinem Bett lag. Und noch viel wichtiger - was hatte er jetzt mit ihr vor?
Tausend Gedanken schossen ihr mit einem Mal durch den Kopf, Gabriels Stimme in ihren Ohren. Immer und immer wieder.
"Er hat sie getötet, weil sie ihm eine kleine Uhr gestohlen hatte, die einst Mutter gehörte."
  Getötet! Würde er dasselbe nun auch mit ihr tun? Sie ließ die Halskette erschrocken zurück in das Kästchen fallen.​
 

"Geister!", wiederholte er plötzlich, sodass Hannah zusammenzuckte. "Solch wankelmütige Wesen. Mal führen sie dich zu einem Schatz und mal zu einer wilden Bestie."
Er lächelte, doch sein Lächeln war kalt und erlosch sofort wieder. Sein Blick wurde von ihr genommen, fixierte stattdessen einen Punkt neben ihr.
 "Besonders schlimm sind Rachegeister. Man kann sich kaum vor ihnen schützen. Mondlicht, das scheuen sie. Und die Nähe von Unschuldigen und ihr vergangenes Leben, das ebenfalls. Doch bist du du allein in einem dunklen Raum, dann dann bist du verloren." Er sah sie wieder an. "Eine schöne Halskette, nicht wahr? Sie gehörte einst Mutter, wie auch dieses Zimmer. Doch seitdem sie tot ist, hält Vater es verschlossen. Dabei bin ich so gerne hier oder draußen bei ihr. Morgen gibt es eine Mondfinsternis. Sie sollten dann lieber in Ihrem Bett liegen und tief schlafen."
Und ein weiteres Mal ließ er Hannah einfach so stehen, ließ er sie verwirrt und mit einer Unmenge an Fragen und neuen Ängsten allein zurück.​


Hannah wusste nicht, warum sie solch eine Angst vor einem Kind hatte. Sie war doch viel größer und stärker als dieser schmächtige Junge. Doch immer wieder tauchte er auf, schüchterte sie allein durch seine ruhige, unberechenbare Art ein und bewegte sie dazu, genau das zu tun, was er von ihr wollte. Zu gehen, ihn zu meiden und zu fürchten.
Und genauso hatte sie es auch dieses Mal getan. Sie war einfach gegangen, war wieder fortgelaufen.
Doch am folgenden Tag dachte Hannah nicht mehr darüber nach. Denn inzwischen waren alle ihre Ängste und Gedanken an Aiden verflogen. Heute Morgen hatte sie nämlich erfahren, dass der Graf bereits am nächsten Tag zurückkehren würde. Und das hatte alle ihre Gedanken zerstreut und nur ein ungeheuer starkes Gefühl der Vorfreude zurückgelassen.
Bald schon würde sie diesen schrecklichen Ort endlich verlassen können, bald schon wäre sie endlich wieder frei und weit weg von diesem Haus und seinen unheimlichen Bewohnern.
Harriet Morgen war bereits gegen elf Uhr fortgegangen, um den Graf zu empfangen und ihm auf der Fahrt alle wichtigen Ereignisse mitzuteilen.​


Nur noch einen Tag musste sie also in diesem schrecklichen Haus durchstehen. Und das war sogar ein recht ruhiger Tag, denn weder Aiden lief ihr an diesem Tag über den Weg, noch forderte Gabriel sehr viel Aufmerksamkeit von ihr.
Ein angenehmer und ruhiger Tag, den sie schon sehr früh zu beenden gedachte und sich gegen neun Uhr ins Bett fallen ließ, obwohl sie eigentlich noch gar nicht müde war.
Doch erneut schlief sie schnell und tief ein.


Warum?
Sie stand in dem Raum, wie vor ihrem Henker. Ruhig, der kleine Junge auf ihrem Arm, seine Wärme, die nicht zu ihr durchdrang. Sie wagte nicht, ihn anzusehen.
Warum? Warum tat sie das? Warum konnte sie ihr eigen Fleisch und Blut nicht lieben und warum hegte sie stattdessen ihn, gab ihm all ihre Aufmerksamkeit?​


Ein Schniefen zerschnitt die Stille. Dann ihr Lachen. Das Lachen ihrer Kinder. Und ihr Weinen. Sie liebte keines von ihnen, spürte nichts als Leere für sie. Leere, die sich immer erfüllte, die sie immer mehr drohte, zu verschlucken.​


Kleine Finger, die sich an ihr festklammerten. Seine wissenden Augen. Nur ein kleiner Junge und trotzdem schien er sie zu verstehen, genau dasselbe zu empfinden, wie sie.
Sie drückte ihn näher an sich. Spürte die kalte Wärme und seine tröstenden, kleinen Finger.
"Mama!"​


Die tröstende Stimme. Voller Schmerz. War es seine? Sie wusste es nicht und wollte es auch nicht wissen. Vielmehr verschloss sie ihre Augen und Ohren, so, wie sie es immer getan hatte. Um den Schmerz nicht zu sehen, das Flehen und sein Schreien nicht zu hören. Sein Schreien, das bettelte, aus tiefster Kehle, und für das sie verantwortlich war.​


Und dann Schreie. Ihr Schreien. Alles wurde dunkel um sie herum. Das Kribbeln in ihrem Körper, als sie fiel. Und das Licht. Blendend. Formte Züge, wirres Haar. Und die Augen. Die allwissenden Augen, die plötzlich voller Angst und Panik auf sie herabblickten.
"LAUF!"
Der Wind, ein Hauchen, ein Flüstern und dann herrschte wieder Stille, als sie mit einem lauten Knall auf dem Boden aufschlug.​


Hannah saß aufrecht in ihrem Bett. Die Dunkelheit um sie herum schien sie plötzlich zu erdrücken. Sie atmete flach und war schweißgebadet. In ihrem Kopf nur ein Hämmern.
Und dann erinnerte sie sich plötzlich. Das erste Mal, dass sie sich an einer dieser Träume erinnerte und mit einem Mal erinnerte sie sich an alle. Die Angst, die Wut und die Leere in ihr. Tränen stiegen ihr so plötzlich in die Augen, dass sie sich verschluckte, als sie die kalte Luft scharf einsog.
Und dann ihr stockendes Herz, als sie realisierte, dass das Hämmern in ihrem Kopf gewandert war und nun in ihren Ohren wohnte. Schnelles Klopfen, panische Schläge auf der anderen Seite ihrer Tür.
Ohne nachzudenken hatten ihre Beine das Bett verlassen. Waren auf das Hämmern zugegangen und hatten die Tür aufgezogen, als es schon längst wieder verstorben war.​


Zuerst war da nur die Dunkelheit in dem Gang vor ihrem Zimmer. Dunkelheit, die das Hämmern umwaberte. Und dann fand sie es. Mit einem Mal war sie munter, wieder Herr über ihren Körper und fühlte die Situation so hart, dass sie aufschrie.
"Jerret? Jerret, was... was ist mit Ihnen?"
Ihre Stimme ging in einem zitternden Schwall an Angst unter. Der alte Mann vor ihr am Boden. Er bewegte sich nicht, reagierte auf keinen ihre Rufe. Es grauste ihr davor, ihn rütteln, zu berühren, zu fühlen, zu sehen, dass er sich nicht mehr regen würde.
Die Angst schnürte ihr die Kehle zu, Tränen vernebelten ihr die Sicht.
"Jerret..."​


Plötzlich erstarrte sie, war unfähig, auch nur noch einen Muskel zu bewegen. Sie spürte ihn regelrecht hinter sich. Seine kleinen, kalten Fingern, sein feuchter Atem auf ihrer Haut.
"Eins, zwei, drei, vier Eckstein! Alles muss versteckt sein! Sie haben nicht auf mich gehört. Und jetzt habe ich Sie gefunden, Fräulein Garner! Lassen Sie uns spielen!"​


Seine Hand, seine kalten Finger schlossen sich bereits um ihr Handgelenk und waren doch bereits so weit weg. Mit einem Mal erwachte Hannah aus ihrer Starre. Und sie rannte. Rannte, so schnell, wie noch niemals zuvor in ihrem Leben. Egal wohin, nur weg von ihm - weg von Aiden.​
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