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Sonntag, 17. Juli 2022

Kapitel 10 - Türen​


Hannah wunderte sich selber, wie sie den Rückweg so schnell gefunden hatte, nachdem sie sich zuvor noch so hoffnugnslos verlaufen hatte.
Doch ihre Gedanken waren schon wieder ganz woanders, als sie an ihrem Schreibtisch saß, sich die Haare raufte und immer wieder abwechselnd der Tür und den zerissenen Fotos vor sich einen Blick zuwarf.
Dieser Aiden! Sie hatte in ihrem Leben nicht viel mit Kindern zu tun gehabt, aber eines konnte sie ganz sicher sagen. Nämlich, dass dieser Junge kein normales Kind war. Sie hatte überhaupt noch niemals einen Menschen gesehen, der so voller Hass und Trauer gewesen war, wie Aiden.
Sie versuchte alles, um an ihn heranzukommen, doch egal, wie sehr sie sich auch bemühte, immer wieder sagte oder tat er etwas, das sie völlig aus dem Konzept brachte. Und wenn sie ehrlich war, konnte sie dem Jungen inzwischen keine Zuneigung mehr entgegenbringen, obwohl er das jetzt sicher am meisten gebraucht hätte.
Sie streckte sich und ihre Knochen gaben schmerzvolle Geräusche von sich. Immer wieder musste sie daran denken, was er gesagt hatte. Was er wohl vorhatte? Wollte er etwas anstellen und sie zuvor so einschüchtern, dass sie sich nicht einmal mehr aus ihrem Zimmer heraus traute? Doch das passte irgendwie nicht zu ihm. Vielleicht wollte er auch gerade, dass sie kam.​


Nachdem Hannah sich vergewissert hatte, dass aus Aidens Zimmer kein Laut drang, war sie selber zu Bett gegangen. Alle ihre Gedanken über den Jungen, alle ihre Versuche, das Rätsel um ihn zu lösen, hatten nur noch weitere Fragen aufgeworfen. Also hatte sie es aufgegeben, sich länger mit dem Mysterium Aiden zu beschäftigen. Sie würde ja sowieso nicht mehr lange hier sein. Bald würde alles ein Ende haben und dann war sie wieder frei und weit weg von diesem gestörten Jungen.
Ihre Tür war zum ersten Mal fest verschlossen, denn auch wenn es sich albern anhörte, sie hatte Angst vor dem Jungen, überhaupt vor dem ganzen Haus und diesen seltsamen Geschehnissen.
Es dauerte wieder nicht lange, bis sie in einen unruhigen Schlaf hinübergeglitten war.​


Sie sah sich nachdenklich in dem großen Spiegel an. Eine hochgewachsene, junge Frau blickte ihr mit traurigen Augen entgegen. War sie das etwa? Ihre langsamen Bewegungen schienen so unwirklich. Das in dem Spiegel war nicht sie. Eine Frau, die nur noch passiv in ihrem Körper wohnte, ihre Seele und ihre Gefühle vor der Außenwelt wegsperrte und den Schlüssel fortgeworfen hatte. Nein, das war sie nicht!​


Aber alles hatte sich verändert. Sie, ihre Umgebung, ihr ganzes Leben. Gestern noch gewohnt und heute schon völlig neu. Und völlig Neues war zum Alltag geworden. Und machnmal war auch Altes für sie neu gewesen und wieder zum Alten zurückgekehrt. Wie dieses Haus.
Sie hasste jeden einzelnen Zentimeter von ihm, die Gänge, dieses Zimmers, das sie einsperrte und zu seiner Sklavin machte.​


Er! Alles hatte er ihr genommen, alles hatte er zerstört! Und das einzige, das sie noch am Leben hielt, das einzige Gefühl, das sie noch empfinden konnte, war Wut, war Hass, war der Gedanke an Rache!
Doch obwohl er ihr alles genommen hatte, waren ihr Rachegelüste mit der Zeit abgeflaut, waren ebenfalls zum Alltag geworden, ihr Gefühl hatte sie schon gänzlich verloren. Er hätte machen können mit ihr, was er wollte. Doch eines, das hätte er niemals tun dürfen.​


Und doch hatte er es getan und ihren Hass von Neuem geboren.​


Mit einem Mal fiel sie. Verlor den Halt. Die Schwerelosigkeit und das Kribbeln im Körper. Und dann die Augen. Sie gierten und starrten sie an. So vertraut und doch so ungewohnt, blickten sie aus einem befleckt unschuldigen Gesicht.​


Und dann stand Hannah wieder gerade auf wackeligen Beinen. Die Kälte ergriff so plötzlich Besitz von ihr, dass sie erschauerte. Die Dunkelheit vor ihr, lechzte und lauerte. Und inmitten des Schwarz, jenseits der immerzu geschlossenen Tür, der Schein. Der Schein, der sie mit den unschuldigen Augen ansah
Ganz plötzlich machte er Kehrt und verschwand nach links in einen Gang.​


Bevor sie wusste, was sie tat, bewegten sich ihre Beine, ballten sich ihre schweißnassen Hände zu Fäusten und ein angenehmer Wind kühlte ihre eiskalte Stirn, als sie dem Schein folgte. Und diesmal würde er ihr nicht entkommen!
Es folgte ein Wettlauf durch die Labyrinthgänge des Hauses. Hannah rannte so schnell sie konnte, doch jedes Mal, wenn sie um eine Ecke bog, verschwand der Schein bereits um die nächste.
Kinderlachen hallte immer wieder von den kahlen Wänden wider. Reime, Lieder und wieder das Lachen. Hannah hatte keinerlei Chance, sich den Weg zu merken. Der Schein immer vor ihren Augen und doch schon um die nächste Ecke verschwunden.
"Hannah!"
Ein Flüstern. Das Flüstern! Und wieder Kinderlachen.
"Hannah!"
Lauter. Fordernder. Sie rannte. Ihre Füße waren plötzlich eiskalt, doch glühten vor Hitze. Kinderlachen in ihren Ohren, in ihrem Kopf.
Die nächste Ecke kam näher. Immer näher und wurde schließlich zu einem Teil des Weges.​


Und plötzlich wieder die Erinnerung vor ihren Augen. Der Schein nah bei ihr. Die Augen, voller Trauer und Schmerz. Sie wollte schreien, doch hatte sich fast schon daran gewöhnt. War also still und bewegte keinen Muskel.​


Ein Augenaufschlag und der Schein stand drei Meter entfernt vor ihr. Neben ihm eine Tür. Mit leuchtenden Armen wies er auf das dunkle Holz.
Dann legte der Schein den durchsichtigen Kopf schief, lächelte und das Lachen hallte ein letztes Mal durch die Gänge, bevor er verschwand.​


Hannah nickte in die Dunkelheit und plötzlich stand sie vor der Tür. Sie fühlte sich ausgelaugt, ihre Beine schwer. Der Blick nur auf die Vertiefungen im Holz.
Was diese Tür wohl aussperrte?
Ihre Hand wurde ausgestreckt, das Eisen der Klinke ein kaltes, lebloses Gefühl an ihrer Haut.​


Eine Stimme! Ein Reflex und Hannah blickte ihm ins Gesicht.
"Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen ihr Zimmer nach Mitternacht nicht mehr verlassen!"
Hannah zog ihre immer noch ausgestreckte Hand zurück. Sie war nicht erschrocken. Nein, sie war nicht sie selbst und diese Hannah fürchtete sich nicht vor ihm, ja, hatte ihn sogar schon erwartet.
Aiden starrte sie wütend an und obwohl sich Hannah dessen im Moment nicht klar war, war es das erste Mal, dass sie wirkliche Emotionen in seinem Gesicht sah.
"Und was willst du jetzt tun?", hörte sie sich fragen.
Sie glaubte eine Spur von Verwunderung in seinem Gesicht zu sehen, doch seine Maske war schnell wieder aufgesetzt.​


"TUN SIE, WAS ICH SAGE!", schrie er.
Und im selben Moment seine Hand auf seinem Mund, während seine Stimme noch von den kalten Wänden zurückgeworfen wurde.​


Und dann war die Wut in seinen Augen wieder der Ausdruckslosigkeit gewichen und er hatte sie ein weiteres Mal einfach stehen gelassen.
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