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Sonntag, 17. Juli 2022

Kapitel 21 - Eine Reise in die Erinnerung​


Licht flutete den kleinen Raum, blendete sie, machte blind und ließ sie alles sehen. Die Dunkelheit entfloh, als wäre sie eine Ewigkeit festgehalten worden.
Ein Schrei. Dann der Knall. Und verbrannter Geruch in der Nase. Grauer Rauch umzingelte sie. Schnitt ihr jeden Weg ab. Das Gefühl von Schwerelosigkeit ergriff Besitz von ihr, sie fiel, ohne Rückhalt, weiter und immer weiter.
Plötzlich die Schwere auf ihren müden Gliedern und doch fühlte sie sich, als hätte sie lange geschlafen - zu lange.
Die Sonne auf ihrer Haut.
Der vertraute Geruch in ihrer Nase.
Blumen?
Waren es Rosen?
Rosen?
Die Rosen, die sie damals so sehr geliebt hatte?
Kinderlachen. Und mit einem Mal war sie wach, blickte einem fast wolkenlosen blauen Himmel entgegen, die Farbe so intensiv, dass es in den Augen schmerzte.​


Wieder das Lachen in ihren Ohren. So sorglos. Wie lange schon hatte sie diesen wunderbaren Klang nicht mehr vernommen?
"Charlie?" 
Ihre Stimme von weit entfernt.
Lachen. Zwei Kinder vor ihr auf dem fein säuberlich gepflasterten Weg. Die Sonne ließ ihre roten Schöpfen strahlen.
"Charlie!"
Sie sprang auf, knickte aber wieder ein, fiel auf den längst vergessenen Weg der Rosen und konnte dem Spiel der Kinder nur weiter von fern zusehen.​


"Ist es nicht schön hier?"
Die Stimme! So fremd und doch so vertraut. Neben ihr eine hochgewachsene Frau. Hannah sah sie nicht an. Aber das war auch nicht nötig. Sie lächelte stattdessen stumm und beobachtete das Spiel der beiden Kinder.
"Charlotte."
"Erinnerst du dich noch an diese schöne Zeit?"
Hannah nickte. Und dann sah sie die Frau neben sich doch an. Die Frau, die sie in einen Spiegel blicken ließ und die sich doch über die Jahre so weit von ihr entfernt hatte, gezeichnet von Schmerz und Hass.
"Wo bin ich hier?"
Charlie kicherte wie ein kleines Mädchen. "Es war eine schöne Zeit damals. Aber sie existiert nun nur noch in unseren Erinnerungen, Hannelore. Die Erinnerungen, in die ich so oft flüchtete, in denen ich noch klar denken konnte, Herr über meinen Körper war und wo wir jetzt auch sind."
Hannah hob eine Augenbraue. Neben ihr das gleichmäßige Spiel der Grillen.
"Was ist passiert, Charlie? Warum bist du hier? Warum bin ich hier? Ich verstehe nichts mehr! Bin ich tot?"
Charlie schüttelte belustigt den Lockenkopf.
"Nein, du Dummerchen. Noch bist du nicht tot. Und es liegt ganz allein an dir, ob du später sterben wirst oder nicht."​


Plötzlich wieder das Licht. Die spielenden Kinder vor ihr verschwammen. Dann stand sie mit einem Mal. Neben ihr immer noch Charlotte, die gebannt nach vorn starrte. Hannah folgte ihrem Blick.
"Mutter! Vater!"
Sie wollte nach vorn stürzen, die so lang Vermissten in ihre Arme schließen, doch sie konnte es nicht tun, wurde von unsichtbaren Fesseln zurückgehalten.
Vor ihr dir tot geglaubten Eltern, die sie nicht einmal zu bemerken schienen. Und das Rattengesicht, jünger, aber immer noch hinterhältig grinsend, das aus der glücklichen, wenngleich auch armen Familie herausstach. Seine falschen Augen auf dem Truthahn der Mutter, auf ihrem Vater und ihnen allen.
"Erinnerst du dich noch daran?", drang Charlies Stimme an ihr Ohr.
Hannah nickte bitter. "Ja. Das Abendessen, das alles veränderte."
"Vater hatte einen Freund um etwas Geld gebeten und wir erwarteten ihn an diesem Abend zum Essen."
 "Aber stattdessen kam dieser falsche Mann."
"Albert May",
schnaubte Charlie verächtlich.
"Behauptete, Vaters Freund wäre verhindert und er würde an seiner statt entscheiden, ob wir das Geld bekommen würden."
"Und dann schoss er Vater in den Kopf."​


Hannah schluckte. Die Bilder vor ihren Augen. Als würde alles noch einmal passieren. Und sie mittendrin, als hilflose Zeugin, gefesselt, die nichts dagegen tun konnten, als der Vater ein zweites Mal erschossen wurde.
Ihr Blickt wurde leer. "Ich bin gerannt, als Vater starb."
Die kleine Hannah vor ihr sprang auf, als sie erzählte. Der Schmerz, die Angst und die Verwirrung in ihrem kindlich unschuldigen Gesicht. Und dann lief sie panisch an ihnen vorbei und verließ die grausame Szene.
Hannah sah ihrer Zwillingsschwester neben sich direkt in die Augen.
"Aber was ist dann passiert? Ich rannte fort wie ein Feigling, lebte lange auf der Straße und verkaufte irgendwann meinen Körper. Doch ich habe nie wieder etwas von euch gehört..."
Charlie schüttelte traurig den Kopf. Um sie herum begann die Umgebung erneut zu verschwimmen, neue Erinnerungen wurden sichtbar.​


Holztäfelungen und hässliche grüne Schränke.
Und neben ihr zwei Personen. Ein junges Mädchen und ein rattengesichtiger Mann. Beide saßen nebeneinander, der Ausdruck von Verzweiflung im Gesicht des Mädchens, eine dritte, bärtige Person hinter einem Schreibtisch.
"Er sperrte mich und Mutter lange Zeit ein. Dann kam er eines Tages und nahm sie mit. Ich sah sie nie wieder."
Charlottes trüber Blick ruhte auf den zukünftigen Eheleuten. "Und dann kam er zu mir zurück, nach einer Ewigkeit, wie es mir schien und nahm mich auch mit, sperrte mich von einem Gefängnis in das nächste, als er mich zwang, ihn zu heiraten. Ich konnte nichts dagegen tun. Menschen sind bestechlich, wie auch dieser Standesbeamte. Also musste ich zustimmen und schlimmer noch, machte ich ihn damit, als nun mehr einziger Erbe, damit sogar zum rechtmäßigen Besitzer dieses Hauses und gab ihn unseren Adelstitel, auf den er es von Anfang an abgesehen hatte."​


Wieder ging alles unter in einem Schwall von Unschärfe.
Nun befand sich Hannah wieder an ihrem Augsangspunkt, wenn auch Jahre später als zuvor. Vor ihr eine Frau, sich nachdenklich im Spiegel betrachtend. Sie kannte auch dieses Bild, hatte bereits davon geträumt.
"Ich konnte ihn nach einiger Zeit schon gar nicht mehr hassen. Ich fühlte nur noch die Leere in mir. Doch dann wurde ich plötzlich schwanger und der Hass auf diesen Mann, der nicht nur mein Leben so schändlich zerstört hatte, wurde mit diesem Kind von neuem geboren."​


"Damit aber nicht genug", setzte Charlotte ihre Erzählung fort. "Hinter meinem Rücken begann er eine Affäre mit dem Hausmädchen Harriet Morgen."
Plötzlich lachte sie, schallend und viel zu laut.
"Nicht, dass es mich auch nur in geringster Weise interessiert hätte!"​


"Genauso interessierte es mich auch nicht, dass er dieses dumme, naive Ding schwängerte, während ich sein drittes Kind mir trug. Ich bedauerte damals nur, dass bald ein weiterer seiner Art auf Erden herumlaufen würde."​


"Sie brachte sein Kind zur Welt, aber natürlich wollte er nichts von einer Familie mit ihr und dem Bastard wissen. Denn sie war ein Niemand in seinen Augen, nichts weiter als eine Bettgeschichte, die schiefgelaufen war.
Er begann ihr sogar zu drohen, bis sie einwilligte, das Kind auszusetzen."​


"Und sie war dazu gezwungen, es zu tun. Denn sonst hätte er sie, mitsamt ihrem Nachwuchs eiskalt auf die Straße gesetzt."
Ihr Blick wurde kalt.
"Als ich eines Tages vor meine Tür trat, hochschwanger, lag er da auf dem blanken Steinboden. Aiden. Und ich nahm ihn auf, erzählte seinem Vater später, ich hätte Zwillinge zur Welt gebracht, obwohl er immer wusste, dass ich damals gelogen hatte."
Ihre Stimme wurde von den kahlen Wänden zurückgeworfen und die Dunkelheit verschluckte sie beinahe. Nur mehr eine körperlose Stimme in einem steinernen Gang.
"Doch ich hatte nicht anders handeln können. Wusste ich doch, dass Harriet ihr Kind liebte, es nicht hatte aussetzen wollen und sie nur ein weiteres Opfer von Albert May war."​


Charlie seufzte wieder. Als sie fortfuhr war Hannah, als würde ihre Stimme zittern.
"Doch dann begann ich plötzlich, eine stärkere Bindung zu diesem Kind aufzubauen als ich es wollte. Aiden wurde von seinem Vater gehasst, denn er brachte ihm schließlich nichts, während meine Kinder ihm das Dasein als Graf sicherten.
Immer wieder wurde ich unfreiwillig damit konfrontiert, wie er Aiden nicht einmal zu bemerken schien, sein eigenes Kind einfach nicht sah. Während er Gabriel, seinem Lieblingskind, alle Aufmerksamkeit schenkte.
Und da sah ich in Aiden wieder das Kind, das einst ich gewesen war. Verängstigt, ohne Eltern und ein Opfer der Habsucht dieses Monsters."​
 

"Und alles, was ich hätte tun können, wäre falsch gewesen. Also entschied ich mich für einen Weg und nahm mich Aidens an. Und es fiel mir so viel einfacher, eine Bindung zu ihm aufzubauen als zu meinen eigenen Kindern."
Sie schüttelte den Kopf und jetzt war sich Hannah sicher, dass sie weinte.
"Ich weiß nicht, warum ich meine Kinder so sehr hasste. Warum ich sie nicht lieben konnte. Vielleicht sah ich in ihnen immer die Schändungen, die ihr Vater mir angetan hatte. Ich weiß es nicht. Ich konnte einfach nichts für sie empfinden."​


"Und am härtesten bekam das Gabriel zu spüren. Während meine beiden anderen Kinder sich hatten, hatte er niemanden, richtete sich mein ganzer Hass gegen ihn. Denn er war ja der Liebling seines Vaters, des Mannes, den ich so sehr hasste."
Ihr Blick wurde plötzlich zärtlich und war doch gleichzeitig so voller Schmerz, als sie ihren Sohn ansah, den ihr altes Ich in diesem Moment abwies.
"Er suchte immer wieder den Kontakt zu mir, doch ich konnte ihn nicht bei mir haben, konnte seine Nähe nicht ertragen. Also wies ich ihn immer wieder ab und gab all meine Liebe stattdessen Aiden."​


Charlotte holte scharf Luft. Dann standen sie wieder im Garten. Doch die sauberen Wege und der gepflegte Rasen waren längst dem Urwald von Unkraut gewichen. Die Rosenbüsche ersetzt durch die Grabstelle, wenn dort auch erst nur ein Grabstein vor ihnen thronte.
"Eines Tages begann mein ältester Sohn, mir helfen zu wollen. Er schien schon immer zu wissen, was sein Vater für ein Unmensch war. Und deshalb hasste er ihn und wollte mich rausholen. Doch dieser Bastard von Albert bekam davon Wind und ließ mich eiskalt vergiften. Ich war für ihn ja nicht mehr wichtig. Nach meinen Tod besuchte Gabriel mein Grab jeden Tag - als einziger meiner Kinder."​


"Und eines Tages schafte ich es, ihm im Traum zu erscheinen, denn mein Geist konnte nicht ruhen, lechzte er doch so sehr nach Vergeltung.
Es war ein leichtes für mich, Gabriel auf meine Seite zu ziehen. Wünschte er sich doch immer noch so sehr die Liebe und Aufmerksamkeit seiner Mutter, die er nie gehabt hatte."​


"Ich war es auch, der ihn dazu brachte, seine eigene Schwester umzubringen, hatte sie doch herausgefunden, an was ich meinen Geist gebunden hatte. Denn die Rachegelüste hatten mich inzwischen so vereinnahmt, dass ich nicht mehr Herr über mich und meine Handlungen war."
Plötzlich wandte sie sich ab, als ihre Tochter zum zweiten Mal in den Tod sprang.
"Ich weiß, es ist eine unverzeihliche Tat gewesen und ich würde wirklich alles dafür geben, meine Fehler ungeschehen zu machen. Doch dazu habe ich nun nicht mehr die Macht. "​


Und dann, mit einer nicht geahnten Heftigkeit, drehte sie sich wieder um, sah Hannah fest in die Augen, schmerzvoll, flehend.
"Der Spiegel! Hannah! Bitte, zerstöre ihn! Das ist nun mehr das Einzige, das ich nun noch tun kann, um wenigstens etwas zu glätten, was ich angerichtet habe." Alle Farbe war plötzlich aus ihrem Gesicht gewichen. "Mein jüngster Sohn wird sterben und ich möchte, dass er in Frieden geht. Ohne den Rachegeist seiner dummen Mutter, die ihn auf Erde hält. Ich möchte ihn endlich befreien, sagen, dass ich ihn liebe."
Und plötzlich war es an Hannah, etwas zu sagen. Doch all das waren zu viele Informationen für sie und doch wusste sie genau, was jetzt wichtig war. Also nickte sie bloß.​


Charlottes Gesichtszüge entspannten sich erleichtert und das erste Mal erkannte Hannah in ihr das fröhliche Mädchen wieder, das einst ihre Zwillingsschwester gewesen war.
Wieder einmal verschwamm die Umgebung, die Schwere wieder auf ihren müden Gliedern. Der Schlaf griff mit langen Fingern nach ihr, war plötzlich so verlockend.
"Ich danke dir, Hannah! Aber nun ist es an der Zeit, aufzuwachen. Und vergiss nicht, was ich dir gesagt habe - du allein entscheidest."
Charlottes Stimme klang von weit her zu ihr. Sie hatte Druck auf den Ohren, ihr Kopf fühlte sich leer an. Und dann gaben ihre Beine endlich nach und die Schwärze empfing sie von Neuem.
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