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Sonntag, 17. Juli 2022

Kapitel 15 - Aiden​

Nie wieder würde er sich so fühlen müssen! Er würde es ihnen allen zeigen!​


"Geister!", sagte Hannah zu einem nicht anwesenden Zuhörer. "Mondlicht, das scheuen sie. Und die Nähe von Unschuldigen und ihr vergangenes Leben, das ebenfalls. Doch bist du allein in einem dunklen Raum, dann dann bist du verloren."
Ihre Haare flogen wirr umher, als sie ihren Kopf in den Nacken warf und aus voller Kehle lauthals loslachte.
Aiden!
Er hatte es die ganze Zeit über gewusst! Es! Einfach alles! Dass Gabriel sie die ganze Zeit über angelogen hatte und auch dass sie niemals auf seinen eigenen Rat gehört hätte. Denn sie war in das Zimmer der verstorbenen Hausherrin zurückgekehrt und hatte sich selber dem Teufel ausgeliefert. Und er hatte es gewusst!
 
  
Jeder ihrer Schritte schmatzte, denn der Boden war noch immer aufgeweicht. Der kurze Regenschauer hatte gewütet, als wäre es der letzte überhaupt auf Erden gewesen. Um dann genau so plötzlich wieder aufzuhören, wie er gekommen war. Hatte geschwiegen, wie alles an diesem unheilvollen Tag, an dem die Geister auf Erden regierten und alle zu sich holten, die dumm genug waren, ihr sicheres Obdach zu verlassen, so wie sie es gerade tat.​


Die faulen, schiefen Zähne strahlten ihr plötzlich freundlich entgegen, als sie den Rand des Grundstückes erreichte. Zwischen hohem Gras, dort, wo einst Rosenbüsche gestanden hatten.
Der Wald jenseits der Gräber wirkte wie ein großer, gähnender Schlund, wurde immer weiter aufgerissen, je näher sie kam. Ein Schlund, der dem verwucherten Herrenhaus auflauerte und drohte, alles um es herum zu verschlucken.
Und auf einmal graute es Hannah wieder davor, weiter zu gehen, ihren Schutz ausgerechnet an einem Ort zu suchen, der allgemein als zu meiden galt, wenn man keine Geister und Ungeheuer mochte. Doch sie hatte keine andere Wahl. Sie musste weiter!
Endlich hatte sie die einsame Grabstelle erreicht und sog die kühle, modrige Abendluft scharf in ihre brennenden Lungen.​


Und dann die Stille, die sie empfing. So drückend, so lauernd.
Hatte sie sich etwa geirrt? War es doch nicht Gabriel, der sie verfolgte, sondern doch Aiden?
Wo war er? Plötzlich kamen ihr Zweifel, eine Gänsehaut überzog ihre Arme, ihren gesamten Körper.
Oder hatten es sogar beide Brüder auf sie abgesehen? Und sie war ihnen genau in die Falle gelaufen?
Es war wohl ein Fehler gewesen, herzukommen. Aber das war nun auch nicht mehr von Bedeutung und wenn sie ehrlich war, hatte sie das schon von Anfang an gewusst. Doch dieser Ort war ihr letzter Rettungsring gewesen und sie hatte ihn ergriffen und war zu ihrem Unglück ins Boot gestiegen. Und wenn es so war, dann wäre es sowieso so gekommen. Früher oder später.​


"Sie haben meinen Ratschlag also verstanden."
Hannah hatte nicht mehr damit gerechnet, dass er kommen würde, aber irgendwie hatte sie es doch gewusst. Sie sah ihn in der Dunkelheit zwar kaum, aber sie war so froh, ihn überhaupt hier zu wissen, so sehr, wie sie es niemals für möglich gehalten hätte.
"Aiden!"
"Die Nähe Unschuldiger und das vergangene Leben", wiederholte er.
"Und deine Mutter, die hier begraben liegt, wurde ermordet, war also unschuldig."
Der Junge trat aus dem gähnenden Schlund des Waldes und kam vorsichtig näher. Als er sah, dass sie die Wahrheit kannte, blieb er vor ihr stehen. Und sie selber wusste immer noch nicht, woher sie die Wahrheit kannte. Es war alles vollkommen unlogisch.
"Ich wusste, dass Sie nicht auf mich hören würden."
"Ja, ich weiß", erwiderte sie ruhig.
Er hob eine Augenbraue, lächelte dann aber und schüttelte den Kopf.
"Dorothea!", sagte er bloß.
Hannah sah ihn fragend an.
Wieder musste er lächeln. "Sie wissen so viel und doch wissen sie gar nichts!"​


"Dann erklär es mir! Was zum Teufel ist hier los? Warum hast du dich so komisch verhalten? Warum spielt Gabriel verrückt und warum kann ich deine tote Schwester sehen und habe dann keine Angst mehr, fühle rein gar nichts mehr? Was für ein krankes Spielt spielt ihr hier mit mir?"
Aidens Miene verfinsterte sich. Er ließ den Kopf hängen, schien nachzudenken, dann sah er sie wieder an.
"Es ist Mutter", erklärte er nur.
"Was? Jetzt hat auch noch deine verstorbene Mutter damit zu tun?"
 "Nein, sie hat nichts damit zu tun, sie ist der Grund für diesen ganzen Spuk." Er zögerte. "Und sie ist auch nicht meine Mutter. Mein Vater hatte eine Affäre mit dem Hausmädchen und hat mich Gabriels Mutter einfach vor die Nase gesetzt. Aber ich glaube, dass es ihr sowieso egal war. Denn sie hat meinen Vater abgrundtief gehasst."​


Er schüttelte ungläubig den Kopf.
"Deswegen verstehe ich es nicht! Warum hat sie mich, der doch mehr vom verhassten Ehemann hatte, als ihr eigen Fleisch und Blut, warum hat sie mich ihren eigenen Kindern vorgezogen? Warum hat sie Gabriel so gehasst und mich geliebt? Gabriel hat mich deswegen schon immer verabscheut. Weil ich der Liebling seiner Mutter war."​


"Und dann starb sie ganz plötzlich und er, der er nichts mehr als die Liebe seiner Mutter wollte, wäre bereit gewesen, alles für sie zu tun. Nur dewegen hatte Mutter überhaupt eine Chance, nach ihrem Tod noch Besitz von ihrem Sohn zu ergreifen. Weil er verblendet war, von Hass, Wut, Trauer und Einsamkeit. Einsamkeit, die ihn all die Jahre über angreifbar gemacht hatte, seinen Geist und seinen Körper schwach und perfekt für die Rachepläne seiner Mutter geeignet."
Er machte eine Pause und schien in seine Gedanken abzuschweifen.​


Hannah sah ihn lange an. Alle möglichen Dinge schien sie plötzlich auf seinem Gesicht zu sehen.
"Das verstehe ich nicht. Warum hat sie von ihm Besitz ergriffen und vor allem - wie?"
Aiden zuckte zusammen, schien er sie doch völlig vergessen zu haben.
"Nun, Mutter und Vater haben sich nicht sonderlich gemocht und Mutter hatte die Wahnvorstellung, dass Vater sie töten wollte. Das sah ich schon von klein auf an. Und diese Wahnvorstellung hat sie wahrscheinlich mit ins Grab genommen.
Ich kann nur spekulieren, aber ich glaube, dass sie dachte, dass er sie hat vergiften lassen. Und deshalb fand sie keine Ruhe nach ihrem Tod und wurde zu einem Wesen, das man wohl am besten als Rachegeist bezeichnet. Um sich an Vater zu rächen. Und deshalb ergriff sie auch von Gabriel Besitz. Weil sie als bloßer Geist nicht in der Lage dazu war, sich zu rächen. Doch leider weiß ich nicht ganz genau, wie man gegen Mutter vorgehen kann."​


"Aber Dorothea schien es herausgefunden zu haben. Sie war Mutters erstes Werkzeug gewesen. Und das ganze zwei Jahre lang. Doch Dorotheas Geist war stark, sie machte sich weder für etwas Vorwürfe, noch war sie von Gefühlen zerissen. Deshalb gelang es ihr immer öfter, Mutters Geist aus ihrem Körper zu verbannen.
Dann fand sie auch noch heraus, wie man den Rachegeist endgültig hätte vernichten können. Und das hätte sie auch getan, wäre Mutter nicht so schlau gewesen, Gabriel zu ihrem neuen Werkzeug zu machen.
Er war es, der unter ihrem Einfluss seiner eigenen Schwester etwas ins Essen mischte."​


"Und ihr dann erzählte, sie könne fliegen und in dem Baum vor dem Balkon warte ein Schatz auf sie. Leider glaubte sie ihm, war sie doch völlig durch die viel zu starken Drogen berauscht."​


"Und deshalb kletterte sie auch über die Balkonbrüstung. Gabriel musste ihr nicht einmal mehr einen Stoß geben, damit sie fiel. Sie sprang von allein."​


"Ich kenne die Geschichte, die Gabriel Ihnen erzählt hat. Und ja, ich war dabei, als Dorothea starb. Doch ich stieß sie nicht hinunter, sondern war ihrem betäubten Gebrüll gefolgt, um zu helfen. Ich kam nur zu spät."​


"Sie war bereits gesprungen, war sofort gestorben. Nur ihr Geist blieb zurück, denn getötete Seelen finden keine Ruhe und erscheinen in ihrer unschuldigsten und glücklichsten Form - in diesem Fall einem Kind."​


"Und obwohl ich sie niemals sah, wenn ich wach war, wusste ich, dass sie immer da war."​


"Immer bei mir, um mich zu beschützen, mir Warnungen ins Ohr zu flüstern, die ich nicht hören konnte, aber spürte.
Immer wieder erschien sie mir auch in meinen Träumen und wollte mir den Weg weisen, aber ich konnte ihn nicht sehen. Vielleicht wollte ich es auch nicht."​


Hannah öffnete ihren Mund, doch sie war so entsetzt, dass sie keinen Laut herausbrachte.
"Wie... wie konnte sie das tun? Wie konnte sie nur ihren eigenen Sohn dazu bringen, seine Schwester - ihre Tochter - umzubringen?"
Aiden verzog den Mund.  "Rachegeister! Getötete Seelen finden keine Ruhe, dürsten nach Vergeltung und es passiert nicht selten, dass ihre Wut, ihre Rachegelüste sie so blind machen, dass ihnen alles egal ist. Dass sie selbst vor der eigenen Familie nicht mehr zurückschrecken. Deswegen ist sie ja auch so gefährlich. Wenn ich nur wüsste, wo sie sich gebunden hat."
Er sah auf, als er bemerkte, dass er Selbstgespräche führte und erklärte: "Ich erzählte ja, dass Dorothea mir oft im Traum erschien. So hat sie mir auch gezeigt, dass der Geist ihrer Mutter an irgendetwas oder jemanden gebunden ist. Und wenn man dieses etwas zerstört, dann verschwindet auch der Geist. Diese Kette da beispielsweise," er deutete auf das Amulett, das immer noch um Hannahs Hals hing, "Dorothea ist an diesen Gegenstand gebunden. Wenn ich auch nur ein Glied aus der Kette reißen würde, dann wäre sie verloren."
Jetzt machte plötzlich auch alles einen Sinn! Deshalb war ihr kleiner Geist also aufgetaucht, kurz, nachdem sie das Amulett um ihren Hals gelegt hatte.
Aiden fasste sich ans Kinn und überlegte.
"Doro hat mir allerdings niemals gezeigt, woran der Geist ihrer Mutter gebunden ist. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es etwas in ihrem Raum ist", murmelte er wieder vor sich hin. "Verdammt! Wir müssen uns beeilen! Wir haben gleich eine Mondfinsternis und nur dann hat sie volle Kraft über Gabriel. Er ist dann unberechenbar."​


Ein schrilles Geräusch durchschnitt die pechschwarze, fast mondlose Nacht und ließ Aiden und sein Kindermädchen aufschrecken. Hannah verengte instinktiv ihre Augen und versuchte, den sich bewegenden Punkt zu fixieren. Was würde nun passieren? Hatte Gabriel sie etwa schon gefunden?
Sie warf Aiden einen Blick aus den Augenwinkeln heraus zu und stellte fest, dass dieser wie erstarrt in die Dunkelheit starrte.
"Oh nein!", rief er.
Und dann wurde das Licht des Mondes gänzlich erstickt und mit ihm ihre Sicht auf den zitternden und totenbleichen Jungen.
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