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Sonntag, 17. Juli 2022

Kapitel 11 - Dorothea​


​Hannah saß mit Gabriel am nächsten Morgen beim Frühstück. Aiden war - wie immer - nicht anwesend. Nach seinem gestrigen Auftritt hatte sie aber auch nicht erwartet, ihn heute hier zu sehen.
Warum sie gestern eigentlich auf ihn gehört hatte und nicht in das Zimmer gegangen war, das wusste sie heute auch nicht mehr.
Gabriel neben ihr war so aufgeweckt wie eh und je. Er fragte sie wirklich alle möglichen Dinge, wollte vom Meer wissen, von Hunden und Katzen, sodass Hannah den Eindruck bekam, dass er nicht oft aus dem Haus herauszukommen schien.
Doch sie war schon wieder ganz woanders und hörte ihm nicht mehr zu. Gedankenverloren ließ sie den Blick über die plötzlich gerahmten Portraits an der Wand schweifen. Warum sie wohl plötzlich gerahmt waren?
Und als sie am Ende der Reihe angekommen war, vorbei an der Mutter der Jungen, da blieb ihr beinahe ihr Pfannkuchen im Halse stecken.​


Ihre Gabel fiel laut klirrend auf den Tellerrand. Sie sprang auf und war mit einem Satz bei dem Portrait nahe der Tür. Lange starrte sie die in Öl gemalte Person gebannt an.​


Gabriel erschien jetzt neben ihr. Neugierig folgte er ihrem Blick .
"Das... das ist sie!", begann Hannah mehr zu sich als zu Gabriel. "Das Mädchen!"
"Das ist Dorothea", erklärte er. "Sie ist - nein war - meine Schwester."
Hannah sah ihn nicht an. Sie brauchte gar nicht nach ihrem Verbleib zu fragen. Das wusste sie auch so.
"Sie war fünf Jahre älter als ich, wurde aber vor einem Jahr ermo - "
Unvermittelt brach er ab, senkte den Kopf, dass sie ihn nicht ins Gesicht sehen konnte. 
 "Was wurde sie?"
"Nichs! Nichts! Bitte vergessen Sie, was ich gesagt habe! Sie ist tot, das ist alles, was sie wissen müssen!"
"Was ist passiert, Gabriel?"
Der Junge schüttelte den Kopf. "Das kann - darf - ich nicht erzählen."
Das Kindermädchen ging in die Knie, packte den Jungen sanft bei den Schultern und sah ihm lange in die tiefblauen, leuchtenden Augen, die sie plötzlich so voller Trauer und Angst ansahen.​


Gabriel jedoch löste sich aus ihrem Griff. Er wandte ihr den Rücken zu.
"Sie dürfen es niemandem erzählen, versprechen Sie es!"
  "Ja, natürlich. Ich verspreche es dir!"
Er nickte. Dann drehte er sich wieder zu ihr um und sein Blick wirkte plötzlich hart und bestimmend.​


"Alle hier erzählen, dass Dorothea sich gegen die morsche Balkonbrüstung lehnte und in die Tiefe stürzte. Doch ich weiß es besser, ich habe es mit eigenen Augen gesehen", flüsterte er.​


"Es war Aiden!"
Hannah versuchte nichts darauf zu erwidern, kein Zeichen von Angst oder Erstaunen durchscheinen zu lassen.
"Er hat sie getötet, weil sie ihm eine kleine Uhr gestohlen hatte, die einst Mutter gehörte." Er machte eine Pause, atmete tief ein. "Er hat sie sich zurückgeholt und die Uhr vom Balkon aus in den Tannenbaum geworfen, der damals noch dort stand. Dann hat er ihr gesagt, wo er ihren Schatz versteckt hatte. Dorothea ist daraufhin auf den Balkon gegangen und hat versucht, die Uhr vom Geländer aus zu erreichen. Dabei stieß Aiden sie hinunter."
 Eindringlich sah er sie an, seinen kleinen Zeigefinger erhoben.
"Jerret hat es auch gesehen, aber seitdem spricht er kein Wort mehr. Wahrscheinlich hat Aiden ihm auch gedroht, so, wie er es bei mir getan hat."​


Hannah sah den Jungen mitfühlend an. Vor einiger Zeit hätte sie ihn noch für einen Lügner gehalten, doch inziwschen wusste sie es besser, inzwischen traute sie Aiden einen Mord zu.
Bevor sie jedoch an etwas anderes denken konnte, hatte sie den schluchzenden und zitternden Gabriel in ihren Armen.
"Er ist verrückt! Und deshalb dürfen Sie absolut niemandem davon erzählen! Erwähnen Sie es besonders nicht vor Aiden! Sonst tötet er mich! Und verprechen Sie mir, sich auch von Mutters Sachen fernzuhalten! Sonst wird er auch Sie töten!"
Er sah sie flehend an. In seinen Augen konnte sie deutlich Tränen erkennen.​


Hannah bedachte das Portrait mit einem langen Blick, Gabriel immer noch in ihren Armen. Das blonde Mädchen mit den großen grauen Augen sah allwissend auf sie herab. Das Mädchen, das sie schon seit Tagen als Geist heimsuchte.
"Ich werde schweigen, wie ein Grab."
Und in diesem Moment schwor sie sich, Gabriel eines Tages aus diesem Irrenhaus zu befreien, wenn sie erst einmal mit seinem Vater fertig war.​


Kurz vor Mitternacht wartete Hannah wieder auf den Geist der kleinen Dorothea, denn alleine würde sie den Weg niemals wiederfinden. Gabriel hatte sie zuvor nur schwer ins Bett bringen können, denn der Junge war, verständlicherweise, außer sich vor Angst gewesen.
Und auch an diesem Abend wurde sie nicht enttäuscht.
Der bläuliche Schein erwartete sie bereits, ein wissendes Lächeln auf den Lippen, bevor er um die nächste Ecke verschwand.​


Irgendjemand musste endlich etwas gegen Aiden tun. Sie musste herausfinden, was der Geist ihr zeigen wollte. Es konnte nur etwas Nützliches gegen ihren Bruder sein, denn schließlich hatte er sie zu einem Geist gemacht und es wäre mehr als unlogisch, wenn sie jetzt ihren Mörder helfen würde.​


So kam es, dass sie Schlag Mitternacht erneut vor der ominösen Tür stand, Dorotheas Lachen in den Gängen, bevor sie wieder verschwand, und Hannah ihre Hand nach der kalten Klinke ausstreckte.
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