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Sonntag, 17. Juli 2022

Kapitel 3 - Ein Unglück kommt selten allein? - oder - Ein zerbrochenes Puppenhaus​


Hannah lief es noch immer eiskalt über den Rücken, als ein weiterer Schreck bereits auf sie wartete.
"Er meint es nicht so", ertönte plötzlich eine Stimme direkt neben ihr.
Unwillkürlich trat Hannah einen Schritt zur Seite. Auf den ersten Blick dachte sie, dass der Junge von der Treppe nun neben ihr stand, was ja schon völlig unsinnig war. Doch bei genauerem Hinsehen bemerkte sie, dass er es nicht war.
Neben ihr stand nämlich ein anderer Junge, zwar ebenfalls mit schwarzem Haar und genau wie sein Bruder trug er einen schwarzen Anzug. Doch er war bei weitem nicht so blass und seine Augen schienen auch eine hellere Farbe zu besitzen.​


"Ich bin Gabriel. Und das eben war mein Bruder Aiden." Ein Lächeln breitete sich auf seinem kindlichen Gesicht aus. "Aiden hat nur Quatsch gemacht. Er macht nämlich immer nur Quatsch, müssen Sie wissen."
Sein Blick wanderte in Richtung Treppe. Für einen Moment wirkte er genauso leer, wie der von Aiden, als er nur neben ihr stand, schwieg und einen Punkt im oberen Stockwerk fixierte. Dann wandte er sich wieder Hannah zu und mit einem Mal war das Leben in seine Augen zurückgekehrt.
"Hallo, Gabriel! Schön, dich kennen zu lernen. Ich bin Frau Garner, deine neue Gouvernante", wählte sie Frau Morgens Worte.
Sie mochte das Wort Gouvernante eigentlich nicht. "Kindermädchen" hörte sich doch viel freundlicher an. Doch alles in diesem Haus schien so verstockt, dass sie es vorerst für besser befand, sich anzupassen.
Und dann passierte das, worüber sie bislang eigentlich keinen einzigen Gedanken  verschwendet hatte. Denn plötzlich fehlten ihr die Worte. Sie hatte noch niemals zuvor mit Kindern zu tun gehabt und wusste deshalb nicht, was nun zu tun war oder über was man zu reden hatte.​


"Ich lasse Ihre Tasche hinaufbringen", ergriff Gabriel schnell souverän das Wort.
Der kleine Junge drückte sich für sein Alter wirklich schon sehr gewählt aus. Und Hannah war mehr als froh, von diesem Zwang, als erste etwas zu sagen, erlöst worden zu sein.
Während Gabriel zu einer kleinen Glocke schritt, die neben der Treppe angebracht worden war, fiel Hannah auf, dass sich die Hausverwalterin heimlich verdrückt hatte. Und das, ohne Hannah vorher in ihre Tätigkeiten einzuweisen!
Ein metallisches Läuten ließ sie diese Gedanken jedoch schnell wieder vergessen. Das Geräusch von Glocken! Wie sehr sie dieses Geräusch doch immer geliebt hatte! Die Sonntagsausflüge in die Kirche waren eigentlich immer langweilig für sie gewesen, doch die Erwartung des Glockenspiels am Ende hatte sie immer für all die Langeweile entschädigt. Wie sehr sie diese Zeit doch vermisste! Die Zeit, in der noch alles in Ordnung gewesen war.​


Gabriel war unterdessen wieder zurückgekehrt. Kaum, dass der Junge neben ihr zum Stehen gekommen war, wurde eine Tür zu ihrer Linken aufgestoßen und ein hagerer, gebückter Mann betrat die düstere Eingangshalle. Irgendwie konnte Hannah den Gedanken nicht verdrängen, dass er aussah, als hätte er jahrelang nur irgendwo unbeachtet auf dem Dachboden herumgelegen. Sein brauner Anzug und der graue Flaum auf seinem Kopf wirkten nämlich ziemlich verstaubt. Es fehlten nur noch ein paar Spinnweben.
"Jerret, bringen Sie Fräulein Garners Gepäck nach oben in Ihr Zimmer!", befahl Gabriel gebieterisch.
Jerret hustete und tat dann, wie ihm aufgetragen worden war. Hannah befürchtete wirklich, dass er sich etwas brechen würde, als er ihre schwere Tasche mit seinen dürren Ärmchen anhob und die Treppe hinaufhievte.​


"Kommen Sie! Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer."
Gabriel nahm sie plötzlich bei der Hand und zog sie mit sich die Treppen hinauf. Sie hörte sein Kichern von den schmalen Wänden widerhallen, als sie im oberen Stock einen langen Gang entlang liefen, oder besser gesagt rannten. Wenigstens eines der Kinder verhielt sich jetzt so, wie sich ein Kind verhalten sollte.
Glücklicherweise lag ihr Zimmer nicht weit von der Hauptreppe entfernt, denn wie sie später noch feststellen sollte, war dieses Haus in den letzten Jahren um ein Labyrinth von Gängen erweitert worden.​


Ihr Zimmer war wirklich nicht zu verachten. Im Gegensatz zu den anderen Angestellten hatte sie sogar eine recht große Unterkunft. Verschnörkelte Tapeten zierten die Wände und ein weiches, edles Bett thronte in der Mitte des Raumes. Ihre Tasche erwartete sie bereits und Hannah fragte sich, wie Jerret es wohl so schnell hierher geschafft hatte, denn er war längst wieder verschwunden.​


Hannah war todmüde ins Bett gefallen, kurz nachdem man sie allein gelassen hatte. Sofort, als sie in die Waagerechte gekommen war, war sie in einen tiefen Schlaf hinübergeglitten. Der Tag war aufregend gewesen und hatte so viele Veränderungen gebracht, so viele Wünsche erfüllt und sie einen ganzen Schritt weiter gebracht, auf ihrem Weg der Rache.​


Ein Knall. Schreie. Angst und Wut. Sie hörte ihr eigenes Schluchzen von weit entfernt zu ihr hinüberhallen. Sie kauerte sich enger in die Ecke unter dem alten Tisch. Ihr Atem ging flach und stockend.​


Die Tür schwang auf und jemand betrat die kleine Bibliothek. Ihr Herz pochte plötzlich so laut in ihren Ohren, dass sie befürchtete, er könne es hören. Ihre Kehle brannte, jeder einzelne ihrer Muskeln zuckte und zitterte.
"Komm her! Komm her! Ich krieg dich ja doch!"​

 
Sie drückte sich beide Hände so fest auf die Ohren, dass ihr Herz verstummte und ein Summen an seine Stelle trat. Er durfte ihr Herz nicht hören! Er hörte es, er roch es!
Sie sandte ein Stoßgebet zum Himmel, doch der liebe Gott war in den Urlaub gefahren. Er hörte nicht das verzweifelte Flehen eines seiner Schäfchen in Not.
Eine breite Hand vor ihrem Gesicht. Alles wurde dunkel um sie herum, ein erstickter Schrei, dann Stille, trügerische, süße Ruhe.​


Hannah hatte nur ein paar Minuten geschlafen und fühlte sich jetzt noch müder, noch erdrückter, als zuvor. Es war bereits Abend. An ihren Traum erinnerte sie sich kaum noch. Er war nur noch ein verschwommener Nebel, irgendwo in den tiefen ihrer Erinnerung.
Es war auch nicht der Traum, der sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Zuvor hatte sie nämlich die Fenster geöffnet, um den muffigen Geruch loszuwerden, der
wie ein Schatten über dem ganzen Haus lag. Doch jetzt war es plötzlich eiskalt geworden und das hatte sie um den Schlaf gebracht. Schlaftrunken und mit einem unerträglichen Pochen im Kopf, torkelte sie zum Fenster und schlug die widerspenstigen Dinger wütend zu. Ob sie das Abendessen wohl schon verpasst hatte?
Sie ließ sich wieder auf ihr Bett fallen und starrte die Decke gedankenverloren an. Wenn sie so darüber nachdachte, war es draußen doch gar nicht kalt gewesen, als sie die Fenster geschlossen hatte. Ja, eher im Gegenteil, war es sogar recht schwül gewesen.
Plötzlich wurde sie unsanft aus ihren Gedanken gerissen, als etwas neben ihrer Tür zu Bruch ging.​


Mit einem Satz war Hannah bei den Trümmern. Ihr Herz klopfte immer noch bis zum Hals. Was war das gewesen? Sie schüttelte energisch den schmerzenden Kopf, um die Mutmaßungen loszuwerden, die sie sich zusammenzuspinnen begann. Was machte eigentlich ein Puppenhaus in ihrem Zimmer?
Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und seufzte. Sie sollte das Unglück lieber beseitigen. Es würde nämlich sicher nicht so gut ankommen, wenn sie an ihrem ersten Arbeitstag, den sie auch noch verschlafen hatte, gleich etwas kaputt machte.
Die Tür war nur angelehnt und schwang nun leicht hin und her, während sie sich hinkniete, um die Trümmer aufzuheben.​


Völlig unvermittelt flog das Fenster wieder auf. Wie ein starker Wind fegte es durch den Raum, nahm ihr die Sicht, als ihr Staub in die Augen geriet und ihre Haare ihr wirr ins Gesicht flogen. Etwas schweres drückte gegen ihren Brustkorb, unsichtbare Hände schoben sie zurück und nahmen ihr den Boden unter den Füßen. Sie fiel rücklings auf die harten Holzdielen.​


Blitzschnell saß sie wieder auf ihren schmerzenden Hintern und blinzelte erschrocken zum Fenster, die Arme immer noch schützend vor ihrem Gesicht.
"Verschwinde!", erfüllte ein Flüstern den Raum.
Hannahs trockener Kehle entwich ein erstickter Schrei, ihr Herz schien zu versagen. Ihr Haar flog umher, als sie sich hektisch im Raum umsah. Mit einem Mal knallten beide Fenster wieder zu, die Tür tat es ihnen gleich.​


Ein Bild, ein Bruchteil einer Sekunde lang. Schreie und die starrenden Augen aus dem Wirbel der Farblosigkeit. Sie starrten sie an, beobachteten sie. Und dann, dann war das Bild vor ihren Augen verschwunden, so schnell, wie es gekommen war.​
 

Zurück blieb nur Hannah, die am ganzen Lieb zitternd auf dem Boden kauerte. Alles um sie herum schien plötzlich weit weg. Ihr Herz war nicht mehr zu hören. Kein Muskel wagte es, sich zu bewegen.
Nur sehr langsam realisierte sie, was gerade geschehen war. Aber - war das alles wirklich passiert? Oder hatte ihr Verstand ihr nur einen schlechten Streich gespielt? Was war das nur gewesen?
Sie fasste sich an die eiskalte Stirn und erhob sich zitternd. Ja, wahrscheinlich hatte ihr die Hitze und der Schlafmangel den Verstand vernebelt und sie hatte sich das alles nur eingebildet. Es war nur der Wind gewesen, der die Tür und die Fenster zugeschlagen hatte. Durchzug, weiter nichts! Alles war erklärbar, alles ganz logisch!​


Plötzlich hämmerte es wie wild an der Tür. Das Holz erzitterte, knirschte gefährlich, dass die Angeln drohten, zu brechen.​
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