Zur Feier des zweijährigen Jubiläums von "Zeitalter" geht es heute mit Rahns Geschichte weiter. Viel Spaß beim Lesen!
Was bisher geschah:
Was bisher geschah:
Da ihr Stammesführer Minos für seine
unbarmherzige Härte bekannt ist, entschließt sich Tannaharahna, später bekannt
als Tara, wegzulaufen, als sie einen Fehler macht. Zuflucht findet sie in einer
abgelegenen Gegend beim Zoth-Stamm. Doch der Preis dafür ist hoch: Dala, die
Frau des Anführers des Zoth-Stammes, verlangt von ihr, ihr ein Kind mit ihrem
Mann Tuck auszutragen, ohne dass der von der Abmachung weiß.
Tara stimmt zu, aber kaum dass sie schwanger
ist, will sie ihr Kind nicht mehr hergeben. Doch ein Fluchtversuch misslingt
und als Tara auch noch erfährt, dass Dala Minos‘ Tochter ist, ist sie
gezwungen, ihren Sohn, Rahn, in den Händen von Dala zurückzulassen.
In voller Länge
nachzulesen hier:
Meine erste Erinnerung ist die, wie dieser fremde Mann ankam,
als ich gerade im Schnee spielte, und wie meine Mama ganz erschrocken aussah,
ihn zu sehen. Er hatte genau dieselbe Haarfarbe wie meine Mama und ich habe auch
geschimpft, als Mama anfing, mit dem Mann zu schimpfen.
In meiner
zweiten Erinnerung hält mich eine Frau in den Armen. Ich erinnere mich nur
noch an ihr Lächeln. Sie hat immer so nett gelächelt, wenn sie mich gesehen hatte.
Und dann
schließlich mein Vater. Ich erinnere mich, wie er vor mir stand und mir so
riesig wie ein Berg vorkam. Mein Vater war ein großer Mann. Er führte einen
ganzen Stamm an, nachdem die Leute mit seinem Bruder unzufrieden geworden waren
und ihn zum neuen Anführer gemacht hatten, erzählte Mama. Er war so großartig,
dass er sogar erlaubt hatte, dass sein Bruder Ur einen anderen Stamm gründen
darf. So toll, dass er dieser Luma vom Uruk-Stamm Leute von sich gab, damit sie
nicht mehr allein war.
So großartig
und toll ist mein Vater, und ich bin Sohn. Sein einziges Kind. Ich heiße
Rahn, und eines Tages sollte ich genauso werden wie mein Vater. Das Problem war
nur, dass ich nicht daran glaubte, dass ich das schaffen würde.
Es war nicht
so, dass ich es nicht versuchte oder dass ich nicht so toll sein wollte wie mein Vater,
aber ich schaffte es einfach nicht. Egal was ich auch tat, ich versagte immer
nur, und dann schaute mein Vater mich immer so enttäuscht an. Ich hasste das.
Deswegen schwänzte ich die Trainingsstunden mit meinem Vater manchmal. Ich wusste,
dass ich deshalb Ärger bekommen würde, aber ich tat es trotzdem.
Dann ging ich meistens zum Ahn-Stamm rüber, wo mein
bester Freund Ren lebte. Nachdem unsere Väter nicht mehr miteinander sprachen,
durften wir das eigentlich auch nicht mehr. Aber wir taten es trotzdem. Nur so, dass es
keiner merkte.
So wie jetzt.
Ich kam an unserem geheimen Treffpunkt an, ein bisschen außerhalb von deren
Lagerplatz, und Ren erwartete mich schon.
„Das hat ja
ewig gedauert!“, beschwerte er sich, aber ich zuckte nur mit den Schultern. Er wusste
ja selber wie das mit dem Rausschleichen war.
„Was wollen wir
heute machen?“, fragte ich ihn stattdessen.
Er grinste. „Ich
hab doch letztens erzählt, dass ich wieder eine Schwester gekriegt habe, weißt
du noch?“ Ich nickte. „Wird Zeit, ihr mal zu zeigen, wie gern ich sie hab.“
Ren hatte drei
Geschwister und er hasste es, weil sie sich nur stritten und die Kleineren ihn
immer verpetzten.
Er weihte mich
jetzt in seinen Plan ein, und ich nickte, auch wenn ich ziemlich doof fand, was
ich machen sollte.
Trotzdem ging
ich zu ihrem Lager rüber. Da die Erwachsenen weg waren, war nur Rens Schwester
Rin da, die auf die kleinen Geschwister aufpasste.
Als sie mich bemerkte, lächelte sie so komisch. Sie
lächelte immer so komisch, wenn ich da war. Ren sagte, sie wäre in mich verknallt, und deswegen war ich eigentlich nicht so gern mit ihr allein.
Ich grüßte sie,
und sie teilte mir mit: „Ren ist nicht da. Er sollte mir beim Aufpassen helfen, aber
er ist wieder abgehauen. Wie immer.“
„Ich weiß“,
flunkerte ich. „Ich hab mich vorhin erst mit ihm gestritten. Wir sind keine
Freunde mehr. Deswegen bin ich hergekommen, um zu fragen, ob du meine Freundin
sein willst.“
Da strahlte
sie noch mehr, dass ich am liebsten abgehauen wäre. Aber ich blieb.
„Au ja! Ich
wollte immer schon deine Freundin sein!“, sagte sie, und ich sagte: „Klasse,
dann komm mit, ich will dir was zeigen.“
Ich wollte sie
aus dem Lager locken, aber sie zögerte. Sie wollte keinen Ärger kriegen, weil
sie nicht auf die Kleinen aufpasste.
Doch da ich ja jetzt ihr neuer bester Freund war, kam sie
trotzdem.
Ich brachte
sie wohin, wo sie das Lager nicht sehen konnte und hoffte, dass Ren sich beeilte.
Mädchen waren einfach unheimlich, fand ich.
Sie grinste
jetzt wieder vor sich hin, als sie mich dazu bekam, anzuhalten. Ich hatte ja eh
keine Ahnung, wo ich mit ihr hingehen sollte, und dann fragte sie auch noch
hoffnungsvoll: „Was wolltest du mir eigentlich zeigen?“
Jetzt steckte
ich ein bisschen in der Klemme, weshalb ich mich umguckte, ob ich nicht
doch irgendwo was Interessantes sah. Und tatsächlich, da war ein Apfelbaum in
der Nähe. Ich deutete erleichtert drauf, aber sie war skeptisch.
„Ein Apfelbaum? Kannst du überhaupt klettern?“
Ich hob einen
Stein vom Boden auf und grinste nur als Antwort. Und dann zeigte ich ihr das
Einzige, in dem ich wirklich gut war: Steinewerfen. Ich nahm mir natürlich
schön viel Zeit zum Zielen, damit Ren endlich fertig wurde, und ich traf einen
leuchtend roten Apfel für sie. Zwar schaffte ich es nicht, ihn zu fangen, aber
sie freute sich trotzdem wie sonst was drüber. Ich besorgte mir auch einen Apfel,
und dann hatte ich erstmal Ruhe vor ihr, bis wir aufgegessen hatten. Hoffte
ich.
„Ich freu mich
echt, dass wir jetzt Freunde sind“, sagte sie zwischen zwei Bissen. „Ich hab ja
sonst nur meine Schwester und meine Brüder, und die sind nur zum Zanken gut.“
Jetzt fühlte
ich mich doch ein bisschen schlecht ihr gegenüber, also begnügte ich mich mit
einem abgebrochenen Grinsen.
Die nächste
Zeit war sie dann aber ruhig und als wir unsere Äpfel fertig hatten, kam glücklicherweise
auch Ren endlich angerannt. Er bedeutete mir, zu ihm zu kommen, also ging ich.
Aber Rin erinnerte mich daran: „He, ich dachte, ihr habt euch gestritten.“
Ich zuckte mit
den Schultern und sagte: „Naja, aber das ist ja schon ewig her.“ Und dann fügte
ich doch noch hinzu: „Entschuldige.“
Ich kam mir
wirklich mies vor, sie da zurückzulassen. Ja, sie war ein Mädchen, aber
trotzdem war es gemein, was ich da gemacht hatte. Wo sie doch keine Freunde hatte.
Aber ich ging trotzdem zu Ren zurück. Ich wollte mich vor meinem Freund nicht
blamieren. Vielleicht konnte ich später ja Ana dazu kriegen, ihre Freundin zu
sein.
Ren, der
gerade fertig mit Lachen war, fragte mich jetzt: „Was denn? Hast du etwa
Mitleid mit meiner Schwester oder was? Die hat das voll verdient!“
Ich konnte
nicht verhindern, skeptisch auszusehen, da blieb Ren stehen und fragte: „Wessen
Freund bist du eigentlich? Meiner oder ihrer?“
„Wir sind
natürlich Freunde“, versicherte ich. „Aber… naja, vielleicht solltest du mal
ein bisschen netter zu ihr sein. Wo sie doch keine Freunde hat.“
„Ach, du hast
doch keine Ahnung! Du hast ja keine Geschwister, du Glückspilz!“
Ich hätte
gerne welche gehabt, aber das behielt ich lieber für mich. Ren war auch so
schon eingeschnappt genug, und er war mein einziger Freund. Außer ihm hatte ich
nur noch Ana Zuhause, und Ana war eine doofe Ziege!
„Musst du
nicht nach Hause?“, war er jetzt beleidigt und erinnerte mich an etwas,
an das ich lieber nicht erinnert werden wollte.
Als Ren das
merkte, war er immerhin nicht mehr sauer. Er meinte nur: „Sieh zu, dass du das
nächste Mal früher wegkommst, damit wir mehr Zeit zum Spielen haben.“
Dann war er
weg und ich war allein. Ich hatte echt keine Lust, nach Hause zu gehen, um mir
meine Strafe abzuholen, aber leider hatte ich keine andere Wahl.
Also machte
ich mich auf den Weg, und als ich gerade lustlos Steine vor mir her trat,
erwischte ich jemanden voll am Schienbein damit. Ich überlegte, abzuhauen, blieb
dann aber da, als ich sah, dass ich ein Mädchen getroffen hatte.
Eine Frau, besser gesagt. Sie hatte helles Haar und sie sah
echt hübsch aus.
„Entschuldigung“, sagte ich kleinlaut.
Sie verzog das
Gesicht vor Schmerz, aber dann lächelte sie, dass sie noch besser aussah.
„Alles
vergeben und vergessen, wenn du mir deinen Namen sagst.“
Ich nannte ihr
meinen Namen, und sie sagte: „Ich bin Ida.“ Sie schaute sich um. „Sag mal,
Rahn, du bist ja bestimmt irgendwo Zuhause. Würdest du mich und meine Schwester
dahin mitnehmen? Wir sind nämlich schon den ganzen Tag unterwegs und sind ziemlich
müde.“
Da wurde ich auch auf das Mädchen
aufmerksam, das hinter ihr stand und misstrauisch zu mir rüber sah. Sie war
auch hellhaarig, aber sie war mir bis jetzt nicht mal aufgefallen.
„Das ist
übrigens Elia, meine Schwester“, stellte Ida vor.
Selbstverständlich nahm ich Ida und Elia danach mit nach
Hause. Es hatte den schönen Nebeneffekt, dass die beiden meine Eltern davon
ablenkten, dass ich heute mal wieder mein Training geschwänzt hatte. Zumindest
kurz.
Während Ida
meiner Mama gerade erzählte, dass ihr Stamm zu viele Frauen hatte und sie
deswegen nach einer neuen Bleibe suchten, nahm mein Vater mich zur Seite. Sein
düsterer Gesichtsausdruck verriet mir sofort, dass er die Sache mit dem
Schwänzen blöderweise nicht vergessen hatte.
„Du wirst das
natürlich nachholen“, brummte er mir auf. „Und dazu wirst du unseren Gästen heute
Abend unser Stammeslied vorsingen.“
Auch das noch!
Es reichte ja nicht, dass ich mir nichts merken konnte und das blöde Lied
unseres Stammes unzählige Strophen hatte! Nein, jetzt musste ich auch noch
singen! Vor Fremden! Wenn ich etwas noch weniger mochte als das Ausdauertraining,
das ich heute hatte sausen lassen, dann Singen. Nur Bogenschießen war noch
schlimmer.
Also
verbrachte ich den restlichen Abend damit, Runden um unsere Höhle zu laufen und
dabei zu versuchen, mich an das verdammte Lied zu erinnern. Meine Mama war
vorher so nett gewesen, es mir noch einmal vorzusingen, aber ich hatte es
natürlich schon alles wieder vergessen. Dass ich glaubte, inzwischen Feuer in
meiner Brust zu haben, half da auch nicht gerade.
Dementsprechend
verbrachte ich das gemeinsame Abendessen auf Kohlen und dementsprechend
blamabel war dann auch meine Vorführung. Da brauchte ich gar nicht erst das gewohnt
enttäuschte Gesicht meines Vaters zu sehen, die gewohnte Schadenfreue von Ana,
oder das Mitleid von Ida, was ausnahmsweise mal neu war.
Als mein Vater
mich entließ, sah ich zu, dass ich wegkam und verschanzte mich in meiner ganz
persönlichen Schmollecke. Ich war gerade dabei, es noch schlimmer zu machen,
weil ich drauf und dran war, den Kampf gegen meine Tränen zu verlieren, als
Mama mich fand.
„Du hast das doch schon ganz gut
gemacht“, versuchte sie es, obwohl sie wahrscheinlich selber nicht dran
glaubte. Als ich sie ignorierte, fuhr sie fort: „Und wenn du weiter dein Bestes
gibst, wirst du eines Tages so ein guter Anführer wie dein Vater.“
„Ich werde nie
so gut wie Vater…“
„Natürlich
wirst du das. Du darfst nur nicht aufgeben. Dein Vater konnte auch nicht von
heute auf morgen plötzlich all das, was er heute kann. Er musste auch hart dafür
arbeiten.“
„Er war aber
bestimmt nie so schlecht wie ich!“, rief ich ein klein bisschen verzweifelt.
„Egal, wie oft ich es auch versuche, ich werde nicht besser. Nirgendwo!
Deswegen ist Vater auch immer nur enttäuscht von mir. Bestimmt hätte er lieber jemand
anderen als Sohn“, fügte ich traurig hinzu.
„Das stimmt
nicht, Rahn. Dein Vater sieht, dass du dich anstrengst. Wenn er enttäuscht ist,
dann nur, weil du dich wieder vor dem Training gedrückt hast.“ Sie machte eine
Pause und dann wurde ihr strenges Gesicht wieder ganz liebevoll. „Dein Vater
will nur, dass du eines Tages ein guter Mann und ein guter Anführer wirst.
Deshalb lässt er dich immer trainieren und ist so streng zu dir. Du bist sein
ganzer Stolz und er liebt dich. Das weißt du doch, nicht wahr?“
Sie streckte
endlich die Arme nach mir aus, also floh ich zu ihr, rollte mich in ihrem Schoß
ein und genoss, dass sie mich tröstete. Ich wusste, dass sie das eigentlich
nicht mehr machen sollte, weil ich ja kein Kleinkind mehr war, aber
glücklicherweise sah uns ja niemand. Das war gut, weil ich jetzt irgendwie doch
zu heulen angefangen hatte.
„Ich werde
deinen Vater bitten, dich statt des Trainings morgen bei den Näharbeiten
mithelfen zu lassen; was hältst du davon?“
Ich nickte und
sagte ihr: „Danke, Mama. Ich hab dich lieb.“
„Ich hab dich
auch lieb, Rahn.“
Ich war wirklich
froh, dass ich meine Mama hatte.
Am nächsten Morgen saß ich also voller Tatendrang auf
meinen Fersen in der Höhle und wartete darauf, dass Mama endlich kam. Mir
gegenüber die doofe Ana, die sich noch immer nicht entscheiden konnte, ob sie
jetzt genervt oder schadenfroh sein sollte, weil ich „zu Frauenarbeit
verdonnert“ worden war, wie sie glaubte. Mir war das ja egal; ich freute mich
einfach, dass ich heute mal einen ruhigen Tag hatte. Einen, wo ich nicht schon gegen
Mittag völlig alle war oder eine krächzende Stimme oder Kopfweh und blaue
Flecken überall hatte.
Ich überlegte gerade, ob ich Ana
nicht mal fragte, ob sie Rins Freundin sein wollte, als Ida plötzlich ankam und
sich zu uns setzte. Ihre Schwester, die nie was sagte und deren Namen ich schon
wieder vergessen hatte, war auch dabei. Ida wechselte ein paar Worte mit Ana
darüber, an was sie heute arbeiten würde, und dann drehte sie sich echt zu mir.
„Dein Lied
gestern hat mir gut gefallen“, sagte sie mit einem freundlichen Lächeln.
Ich konnte
nicht mal was dazu sagen, weil ich mich so schämte.
„Es war
furchtbar!“, lachte Ana, die doofe Kuh.
„Ich fand es
wundervoll“, meinte Ida und sie schien das echt ehrlich zu meinen. „Du wirst
eines Tages bestimmt ein wunderbarer Sänger werden.“ Sie zwinkerte mir zu. „Und
ein hübscher Mann.“
Sie war nett, fand
ich. Ana machte jetzt ein würgendes Geräusch und Ida kicherte: „Warte nur, bis
du erstmal erwachsen bist. Dann wirst du das bestimmt auch so sehen.“
„Bäh! Ich werde
Doof-Rahn ganz sicher niiiiiieee hübsch finden!“, war sich Ana jedoch sicher.
Ich konnte gar
nicht sagen, wie froh ich war, als Mama jetzt mit Anas Mama Ane auftauchte,
bevor ich wirklich noch anfing, mich mit Ana zu streiten.
Obwohl Mama extra mit ihm geredet hatte, fing Vater mich
trotzdem nach der (langweiligen) Näharbeit ab, um mich zum Bogenschießen zu
verdonnern. Ich stöhnte genervt, weil ich Bogenschießen am allermeisten hasste,
aber er bestand drauf.
Da Vater
gleich mit der Übung anfangen wollte, hatte ich auch keine Chance, abzuhauen.
Ich stand also kurz darauf vor dem alten Baum, den wir als Zielscheibe
benutzten, hatte meinen Bogen in der Hand und die Hosen ziemlich voll.
Natürlich ging
der erste Schuss voll daneben, wie immer, und es wurde nicht besser, als ich
merkte, dass ich plötzlich Zuschauer bekommen hatte. Da stand Ida am Rand und
feuerte mich doch echt an. Mist!
Ich versuchte
also, ein bisschen besser zu zielen, aber meine Hand zitterte inzwischen so
sehr, dass der Pfeil kaum ruhig bleiben wollte. Ich hasste Zuschauer.
„Na los!“,
hörte ich Vater streng rufen.
Ich schoss und
schoss natürlich daneben. Ein Laut der Enttäuschung ging durch die Reihen.
Klasse, Mama war jetzt auch da!
Ich strengte
mich also noch mal richtig an, konzentrierte mich, atmete durch und alles. Aber
es war wohl keine gute Idee, die Augen zuzumachen beim Schießen. Natürlich steckte
der Pfeil irgendwo im Nirgendwo, als ich wieder hinguckte.
Jetzt kam Vater an, um mir zu
zeigen, wie es ging. Ich schaute ganz genau hin, aber es wollte mir trotzdem
nicht gelingen. Er schoss voll ins Schwarze, ich riss den Bogen im letzten
Moment nach oben. Er tadelte mich, versuchte, es mir zu erklären, und ich wollte
einfach nur noch weg von hier. Ich hasste das so sehr. Doch ich hielt durch.
Ich hatte Mama ja versprochen, mein Bestes zu geben.
Ich kam aber
zu keinem weiteren Schuss mehr. Plötzlich stand Ur vor uns. Der Bruder
meines Vaters, und Rens Vater. Der war auch da. Ren. Er stand halb hinter
seinem Vater und sah ziemlich unbehaglich aus. Da wusste ich schon, dass es
Ärger geben würde.
„Was willst du
hier?“, begrüßte Vater seinen Bruder barsch.
„Dein Sohn“, sagte Ur und zeigte
auf mich, „hat meine Tochter angemalt!“
Vater schaute
mich jetzt erschrocken an und ich konnte das nur erwidern.
„Wir kommen
gestern wieder und Lann ist ganz blau! Meine anderen beiden, Rin und Ren, haben
gesagt, dass dein Junge gestern da war. Meine kleine Tochter hat noch kein Jahr
gesehen! Was denkt sich dein Sohn nur dabei? Ich verlange, dass er bestraft
wird!“
„Ist das wahr,
Rahn?“, fragte jetzt auch mein Vater.
Ich hatte ja gleich
gewusst, dass es ein dämlicher Plan gewesen war. Ja, ich hatte Ren dabei
geholfen, aber er war es gewesen, der seine Schwester in Heidelbeeren gebadet
hatte. Das hatte ich nun davon! Und Ren schob die Schuld jetzt auf mich und
versteckte sich hinter seinem Vater. Dieser Feigling!
Natürlich hätte
ich die Wahrheit erzählen können, aber auch wenn mein Vater streng war, wusste
ich, dass Rens Vater noch sehr viel schlimmer war. Ren würde es nicht gut
gehen, wenn rauskam, dass er es gewesen war.
Also setzte ich ein schuldiges
Gesicht auf und sagte: „Ja. Ich war’s.“
Ich traute
mich gar nicht, meinen Vater anzusehen. Er versicherte seinem Bruder jetzt,
dass ich gebührend dafür bestraft werden würde, während Ur sich darüber ausließ,
dass er in meiner Erziehung versagte hatte, und dann waren die ungebetenen
Gäste wieder weg.
Als es dann
eine Weile still war, hörte ich auf, meine Füße anzustarren und wagte einen Blick.
Aber ich bereute es sofort. Ich kannte es schon, wenn Vater wütend war, aber
dass er gar nichts sagte und einfach nur enttäuscht aussah, war beinahe noch
schlimmer. Sogar meine Mama, die mir sonst immer half, sagte diesmal nichts.
„Du wirst die
Höhle die nächste Zeit nicht mehr verlassen“, eröffnete er schließlich, bevor
er mich einfach stehen ließ.
Ich hatte
versagt. Ich würde es ihm nie recht machen können.
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