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Dienstag, 31. Dezember 2019

Teil 14 - Erkenntnis



Ich wusste wirklich nicht, was ich von all dem halten sollte. Obwohl das Fest noch in vollem Gange war, hatte ich es frühzeitig verlassen und wanderte nun ziellos durch die Gegend. Vater würde noch nicht wieder Zuhause sein, aber ich konnte trotzdem gerade nicht dorthin zurückgehen. Nachdem ich mit Tara gesprochen hatte, stand eines nun nämlich todsicher für mich fest: Sie hatte mich ganz sicher nicht freiwillig zurückgelassen. Nicht nur, dass sie das gesagt hatte, ich hatte es auch genau in ihrem Gesicht gesehen. Sie war so glücklich gewesen, mich wiederzusehen, dass ich ein bisschen ein schlechtes Gewissen hatte, dass ich nicht genauso glücklich darüber war.


Ihr Auftauchen hatte einfach so vieles noch komplizierter gemacht, was ohnehin schon kompliziert genug war. Und jetzt, jetzt wusste ich nicht mehr, was ich machen sollte. Sollte ich einfach in mein altes Leben zurückkehren und so tun, als wäre nie etwas geschehen, obwohl mir das als falsch erschien? Und wenn nicht, was sollte ich dann tun?


Deshalb war ich umhergewandert, völlig in Gedanken versunken, bis die Nacht beinahe hereingebrochen war. Erst, als ich in der Ferne Stimmen hörte, kehrte ich ins Diesseits zurück. Ich war zuerst ein bisschen alarmiert, entspannte mich dann aber, als sich da jetzt ein bekanntes Gesicht näherte. Es war tatsächlich die verschwundene Rin.  
     Ich kannte die anderen beiden nicht, die bei ihr waren, aber dennoch ging ich zu ihr. Als ich ihren Namen rief, guckte sie etwas besorgt, aber dann hellte ihr Gesicht sich schließlich auf, als sie mich erkannte.


„Rahn! Wie schön dich zu sehen!“
     „Das kann ich nur zurückgeben. Ich habe erst letztens gehört, dass du weggegangen seist“, erklärte ich ein bisschen schuldbewusst. „Kommst du deine Eltern besuchen? Falls ja, solltest du wissen, dass sie nun in unserer alten Höhle wohnen.“
     „Tatsächlich? Ich hatte es ja befürchtet. Aber nein, ich würde es eher vermeiden wollen, dass mich jemand von meiner alten Familie hier sieht.“


Plötzlich stand sie vor mir und hatte mich am Oberarm gefasst. „Ich bin dir ja so dankbar, dass du mich dazu gebracht hast, von Zuhause wegzugehen, Rahn. Ich habe es Zuhause so sehr gehasst. Immer dieser vermaledeite Wettbewerb unter meinen Geschwistern, wer als nächstes den Stamm anführt, obwohl ich daran nie Interesse hatte. Es hat unsere Familie vergiftet. Immer nur Streit und Misstrauen. Es war schrecklich! Ich bin so froh, dass ich jetzt eine richtige, liebende Familie habe.“


Sie ließ mich wieder los und wies auf den Mann hinter sich, der ein kleines Kind im Arm hatte, wie ich jetzt sah. „Das ist mein Gefährte Uri und meine Tochter Ronja. Und das hier“, erklärte sie mit Blick auf die junge Frau bei ihnen, „ist Uris Schwester Rika. Ich weiß, dass mein Bruder Ren es Zuhause auch hasst. Deshalb bin ich hier. Rika sucht noch einen Gefährten und ich glaube, dass sie und Ren sich gut verstehen würden. Ich würde Ren gerne bitten, mit uns zu kommen, aber… ich trau mich nicht wirklich, zu ihm zu gehen. Ich will meinen Eltern lieber nicht über den Weg laufen.“   


„Ich kann ihn für dich holen“, bot ich sofort an.
     „Das würdest du für uns tun? Ich wollte dich nicht darum bitten…“
     „Natürlich. Nur, ich glaube, dass ich ihn heute nicht mehr draußen abfangen kann. Ich bin nicht sehr gerne dort gesehen, musst du wissen. Ich würde morgen hingehen, wenn es wieder hell ist, wenn es dir nichts ausmacht.“
     „Ich bin froh, dass du uns überhaupt hilfst. Nun… ich würde dich ja einladen, ein wenig bei uns zu bleiben, aber wir müssen noch unser Nachtlager erreichen.“
     „Wollt ihr zu uns kommen?“, bot ich an. 
     So würde ich wenigstens meinem Vater aus dem Weg gehen können. Wenn wir Gäste hätten, würde er bestimmt keinen Streit vom Zaun brechen. Und er würde bestimmt wütend sein, dass ich seinen Befehl einfach missachtet hatte und doch zum Fest gegangen war.


„Oh, nein, danke, das wird nicht nötig sein“, sagte Rin aber blöderweise ab. „Ein paar Verwandte meines Gefährten sind vor ein paar Tagen hierhergekommen, um sich hier niederzulassen.“
     Ich nickte verständnisvoll, obwohl ich innerlich fluchte, und da hob Rin die Hand, um sich zu verabschieden.
     „Ähm… wäre es vielleicht in Ordnung, wenn ich mit euch kommen würde?“, fragte ich, bevor ich mich aufhalten konnte.
     „Natürlich. Ich meine, sie werden bestimmt nichts dagegen haben, mehr Helfer zu haben.“ Da sah sie mich plötzlich besorgt an. „Ist alles in Ordnung bei dir, Rahn?“
     „Mach dir keine Sorgen. Ich… habe mich nur ein bisschen mit meinem Vater gestritten und möchte jetzt nicht nach Hause gehen.“


Glücklicherweise fragte Rin da nicht weiter nach und glücklicherweise durfte ich danach mit ihnen gehen und herausfinden, was sie mit „Helfer“ gemeint hatte. Denn wie sich herausstellte, waren besagte Verwandte ihres Gefährten gerade dabei, eine Menge Holz herbeizuschaffen, um irgendetwas zu bauen, von dem ich keine Ahnung hatte, was es war.
     Sie hatten sich einen Platz ausgerechnet am anderen Ende des Nebelwaldes ausgesucht. Ich kam also in den Genuss, den unheimlichen Wald mal bei anbrechender Dunkelheit zu durchwandern, und dann traf ich die merkwürdigsten drei Leute, die ich je gesehen hatte.


Es war nicht so sehr ihre Art, die schon merkwürdig genug war, sondern ihre Kleidung, die sie trugen. Sie sah nicht so aus, als ob sie aus Fell oder Leder gemacht war. Mir war vorher schon aufgefallen, dass auch Rin und ihre Begleiter ähnliches trugen.  
     Uris Freunde bestanden aus einem mittelalten Mann namens Wulf und seinen beiden Söhnen, Wulfgar, mir auf Augenhöhe, und dem kleineren Wontan. Frauen sah ich keine, weil sie wohl noch woanders waren und warteten, bis hier alles fertig war, wie ich später erfuhr.  
     Kaum, dass ich vorgestellt worden war, trat der Mittlere mit dem Namen Wulfgar vor, nickte Uri anerkennend zu und wandte sich dann an mich. Er beschaute mich einmal von oben bis unten, und ich hatte sofort das Gefühl, hier einen zweiten Ren vor mir zu haben.


„Ihr habt echt einen Wilden mitgebracht?“, fragte er abfällig in Richtung der Anderen.
     Es wäre gelogen, zu behaupten, dass ich nicht beleidigt war, aber ich blieb höflich und begnügte mich mit einem abgebrochenen Lächeln.
     „Verstehst du mich überhaupt, Wilder?“, sprach er extra langsam zu mir.
     Er ging mir schon ziemlich auf die Nerven. Ich war so kurz davor, ihm eine richtig schön spitzfindig-beleidigende Antwort zu geben, aber ich beschränkte mich auf ein: „Ja, ohne Probleme.“


Da guckte er angriffslustig, aber glücklicherweise griff sein Vater ein. „Geh wieder an die Arbeit, Junge!“, sagte er zu seinem Sohn, und ich war ja sehr froh, als der endlich abzog. Er hatte eine ziemlich provozierende Art an sich.


Es versteht sich von selbst, dass ich den restlichen Abend natürlich auch mit anpackte, obwohl ich keine Ahnung hatte, bei was ich hier eigentlich half. Deshalb ging ich irgendwann dazu über, den Frauen beim Abendessen zu helfen, wofür der beleidigende Kerl, der Wulfgar hieß, wie ich herausgehört hatte, mich gebührend auslachte, dass ich Frauenarbeit erledigte.


„Sie bauen ein Haus“, erklärte Rin, als ich sie fragte, was sie hier eigentlich mit so viel Holz anstellen wollten.
     „Ein was?“, fragte ich verwirrt.
     Da zuckte sie aber nur mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht genau, was das ist. Es ist ein großes Zelt, glaube ich. Uri will uns auch eins bauen, wenn wir bei ihm Zuhause angekommen sind. Wir waren bis jetzt nur unterwegs, um seine Schwester zu holen, musst du wissen.“
     Wirklich schlauer war ich danach aber auch nicht.


Da ich keine Lust hatte, den Abend mit diesem komischen Wulfgar (der sich dauernd mit mir prügeln wollte), seinem wortkargen Vater und Rins nicht minder derben Gefährten zu verbringen, ging ich herum, um zu schauen, ob es noch irgendwo was zu tun gab. Rin war nach dem Abendessen eingeschlafen und Rika hatte gerade mit deren Tochter zu kämpfen. Die Kleine schien sich nicht beruhigen zu wollen und Rika war doch ziemlich überfordert mit ihr, so wie sie aussah.


Also ging ich zu ihr und zeigte ihr mal mein Händchen für Kinder, wie Ana immer meinte. Die Kleine beruhigte sich tatsächlich, als ich sie auch nur in den Arm nahm und leicht zu schaukeln begann.
     „Du bist gu-gut m-m-mit Kindern“, bestätigte sie mir. Ich hatte schon bemerkt, dass sie stotterte, wenn sie sprach. „Sie ist süß, nicht?“


Ronja war inzwischen eingeschlafen, und wie sie da so in meinen Armen lag und ich sie ansah, fiel mir auf, dass ich das erste Mal wieder sowas wie Frieden empfand, seitdem die letzten Tage alles den Bach runtergegangen war. Ich hatte zuvor schon oft mit Kindern zu tun gehabt, aber das erste Mal konnte ich mir richtig gut vorstellen, selber welche zu haben.
      Deshalb gab ich Ronja auch nur ungern wieder an Rika zurück, die daraufhin ging, die Kleine in ihr Schlaffell einrollte und schlafen legte.


„Hassssst du auch schon eine eigene F-F-Familie?“, fragte sie, als sie zu mir zurückkam.
     Ich verneinte und fragte sie: „Und du?“
     Da schüttelte sie den Kopf und sah traurig aus. „Mich w-will keiner, weil ich stotter-re.“
     „Das eine hat doch nichts mit dem anderen zu tun“, meinte ich.
     „Da bist du aber der Einzzzzige, der das so sieht.“


Als sie jetzt wieder traurig aussah, wechselte ich das Thema und fragte: „Wo kommst du eigentlich her?“
     „V-v-on einem großen Stamm jenseits der Berge. Minos‘ Stamm, falls dir das was sagt. Er war als ziemlicher Ty-ty-tyrann bekannt. Aber er hat gut auf seine Leute aufgepasst, und ich durfte auch da leben. Bis er gestorben ist und sein Sohn den Stamm übernommen hat. Da musste ich plötzlich gehen, weil ich stottere. Er sagte, ich sei krank und würde die anderen anstecken. Mein Bruder ist dann mitgegangen, und i-i-ch bin froh, dass ich bei ihm und Rin leben darf. Aber ich will meine eigene Familie haben.“
     Mir fiel auf, dass sie viel weniger zu stottern schien, wenn sie erstmal erzählte.  
     „Und du? Was ist deine Geschichte?“, fragte sie mich, obwohl ich gerade lieber nicht an meine eigene Geschichte denken wollte.


„Ich lebe in einem Stamm hier in der Gegend, und ich bin der Sohn von unserem Stammesführer und soll eigentlich den Stamm übernehmen“, erzählte ich deshalb nur.
     „Eigentlich?“
     „Naja, ich habe mich gerade mit meinem Vater gestritten… ich würde ja gerne sagen, dass ich jetzt nicht mehr weiß, ob er mich übernehmen lässt, aber außer mir ist niemand anderes da. Unser Stamm ist ziemlich klein und ich bin sein einziges Kind…“
     „Das hört sich ja nicht so a-an, als ob du überhaupt übernehmen möchtest.“
     „Es ist egal, was ich möchte. Ich sagte doch, dass außer mir niemand anderes da ist…“


„Es ist nicht egal, wasss du mmmöchtest! D-d-das sollte es niemmals sein!“, rief sie plötzlich so inbrünstig, dass ich ein bisschen erschrak. Aber noch viel erschreckender war die Frage, die sie mir als nächstes stellte: „Was möchtest du denn?“
     „Ich…“ Ich hatte noch niemals wirklich darüber nachgedacht, wurde mir klar. Seitdem ich denken konnte, hatte ich immer gewusst, wie mein Leben aussehen würde, weil man es mir gesagt hatte, sodass ich mir nie darüber Gedanken gemacht hatte, wie es eigentlich anders aussehen könnte.


Als mein Blick jetzt unwillkürlich zu der kleinen Ronja glitt, versuchte ich mir meine Zukunft vorzustellen, so, wie ich sie haben wollte, und sagte abwesend: „Ich möchte einfach nur ein ruhiges Leben führen. Eine Frau finden, eine Familie mit ihr gründen…“
     Es war das erste Mal, dass mir das bewusst wurde. All die Jahre hatte mich immer irgendetwas gestört. Irgendwas hatte sich immer nicht richtig angefühlt und jetzt wusste ich endlich, was es war. Und es war eine erschütternde Erkenntnis. Denn ich wusste, dass ich dieses Leben niemals führen würde. Mir war anderes bestimmt.


„D-dann solltest du das tun!“, schreckte Rika mich aus meiner Erschütterung. Etwas eingeschüchtert fügte sie hinzu: „Viel-l-l-leicht… d-du hast ja g-g-esagt, dassss du nichts gegen mein sch-sch-stotternnn hast…“
     In letzter Zeit kam ich ein bisschen zu oft in diese Situation, fand ich.
     „Du bist eine tolle Frau, Rika, aber ich habe irgendwie schon jemandem versprochen, mit ihr mein Leben zu verbringen“, sagte ich ihr ehrlich und seufzte. „Wenn ich denn erstmal weiß, wie mein Leben aussehen wird. Ich kann nicht einfach alles hinwerfen… Alle zählen schließlich auf mich…“


Ich machte die ganze Nacht kein Auge zu, weil mich die Erkenntnis, dass ich bald ein Leben führen würde, das ich hasste, mich so sehr beschäftigte. Immer wieder wälzte ich meine Gedanken hin und her und versuchte, einen Ausweg aus einer ausweglosen Situation zu finden.


Am Morgen war ich dann dementsprechend fertig mit der Welt, aber ich hielt mein Versprechen natürlich und ging nach dem Frühstück zum Ahn-Stamm hinüber. Ich wurde blöderweise gleich von Ren und Ur feindlich empfangen, aber diese ganzen dämlichen Stammesstreitigkeiten waren mir plötzlich so sehr zuwider, dass es mir schlichtweg egal war.    
     „Ich muss dich sprechen, Ren, obwohl ich lieber darauf verzichten würde“, ging ich ihn an. „Aber wenn es dich nicht juckt, was ich dir zu sagen habe, könnte mir das egaler nicht sein.“


Danach ging ich einfach weg, und wie erwartet dauert es keine Minute, bis er mir, lauthals zeternd, nachlief.
     „Und was willst du jetzt von mir?“, fragte er gespielt desinteressiert.
     Ich habe dir nichts zu sagen, aber deine Schwester will dich sprechen“, berichtete ich ihm. Und ich machte mir nicht mal die Mühe, stehenzubleiben.


Ren tat mir aber auch danach leider nicht den Gefallen, mich in Ruhe zu lassen, also ignorierte ich ihn den restlichen Weg über, nachdem ich ihn gewarnt hatte, sich ja anständig bei Rika zu benehmen.


Erst, als er Wiedersehen mit seiner Schwester feierte, was ungewohnt rührend ausfiel, wurde ich ihn wieder los.


Zumindest, bis er Rika kennenlernte…


…und Rika meinte, ihre Zeit lieber bei mir zu verbringen.


„Du kö-kö-könntest auch mit uns kommmmen“, bot sie an, als ich gerade versuchte, herauszufinden, wie die hier das Holz zu schmalen Brettern machten.
     Ich schlug höflich aus, aber es bewahrte mich trotzdem nicht davor, dass Ren mich am Abend abfing, als ich mich gerade zum Austreten abgesetzt hatte.


„Sag mal, was willst du eigentlich hier?“, fing er nicht sehr freundlich an.
     „Ich wüsste nicht, was dich auch nur irgendwas angehen würde, was ich mache.“
     „Hast du kein Zuhause, oder was?“
     Ich wollte ihn stehen lassen, aber da hatte er mich plötzlich am Arm. Einem Reflex gleich riss ich mich los und ging auf Abstand, weil ich dachte, er würde mich angreifen. Aber stattdessen sah ich plötzlich in ein unglückliches Gesicht.


„Mann, du kannst doch jede haben, aber Rika ist perfekt und sie würde mich echt nehmen. Bitte“, bat er mich plötzlich, und ich war einfach nur sprachlos, dass das gerade geschah, „lass sie mir doch!“


Ich wollte nicht nach Hause gehen. Doch dass Ren, der immer so überlegen getan hatte, sich tatsächlich dazu herabließ, mich um etwas zu bitten, zeigte mir, wie wichtig ihm die ganze Sache mit Rika sein musste. Ich hatte kein Interesse an ihr, aber er hatte recht. Es war für sie beide besser, wenn ich nicht hier war. Es war schließlich offensichtlich, dass Rika mich besser leiden konnte als ihn.


Also verabschiedete ich mich am nächsten Morgen von allen und ging.


Doch ich war noch nicht bereit dazu, nach Hause zu gehen, weshalb ich den Weg zum Uruk-Stamm einschlug. Meine Mutter, Tara, kam mir schon entgegen, als sie mich näherkommen sah.
     „Rahn! Dem Himmel sei Dank, da bist du ja und dir ist nichts passiert!“, sagte sie erleichtert, während sie wohl versuchte, dass mir doch noch was passierte, so fest wie sie mich an sich drückte. „Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht, als ich gehört habe, dass du verschwunden bist. Ich – dein Vater – wir haben dich überall gesucht.“


Ich musste feststellen, dass die Erwähnung meines Vaters eine aggressive Ader in mir ansprach, von der ich vorher gar nicht gewusst hatte.  
     „Tut mir leid, ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst“, unterdrückte ich meine Wut.
     „Das ist alles meine Schuld! Ich habe dich angelogen, Rahn. Ich war es, die dich damals zurückgelassen hat – freiwillig. Dein Vater trifft überhaupt keine Schuld. Er wollte mich sogar noch aufhalten. Und jetzt nimmt er die Schuld auf sich, weil er mich schützen und mir eine Chance mit dir geben will.“


Ich wollte das einfach nicht hören. Denn im Endeffekt war es eigentlich egal. Vater hatte auch so schon genug angerichtet über die Jahre mit seiner Ignoranz und seiner gnadenlosen Strenge, dass es ohnehin egal war, ob er jetzt auch noch daran Schuld hatte oder nicht. Ich war mit ihm durch.
     „Und wie sieht es jetzt aus? Willst du mich jetzt hier haben?“, fragte ich sie trotzdem.


„Natürlich! Ich wollte nie etwas anderes, als dich zu…“ Sie brach ab, als ihr auffiel, dass sie sich verplappert hatte.
     „Siehst du, und genau deshalb glaube ich dir nicht, dass du mich freiwillig verlassen hast. Du willst ihn nur in Schutz nehmen, und das ist nett von dir, aber unnötig. Ich bin auch nicht deswegen weggegangen.“


Ich ging an ihr vorbei ins Lager und setzte mich zu dem kleinen Mädchen, das bedächtig mit einem Steckspiel spielte. Sie machte große, verängstigte Augen, als sie mich bemerkte, doch dann fuhr sie in ihrem Spiel fort, als wäre ich gar nicht da. Ich musste sofort an die kleine Ronja denken und fühlte mich augenblicklich besser.


„Ich möchte nicht die Führung über den Zoth-Stamm übernehmen“, eröffnete ich meiner Mutter schließlich, die mir natürlich gefolgt war. „Ich will nur ein ruhiges Leben führen und nicht die Verantwortung für einen ganzen Stamm haben, und ich weiß jetzt nicht, was ich deswegen tun soll.“
     „Du musst nichts tun muss, was du nicht tun willst“, versicherte sie mir inbrünstig. „Und du kannst auch jederzeit hierher kommen und bei uns leben, wenn du das möchtest. Es… würde mich auch freuen, wenn du hier wärst.“
     „Ich glaube nur leider nicht, dass das das Richtige zu tun ist. Ich kann nicht einfach alle im Stich lassen.“
     „Soll ich mal mit deinem Vater reden?“, bot sie an, doch ich verneinte.


„Danke, dass du mir zugehört hast.“ Ich stand auf. „Doch ich glaube, ich sollte jetzt besser wieder nach Hause gehen.“
     Es war an der Zeit. Ich hatte mich entschieden. Das Leben, das ich führen sollte, war mir zuwider, aber ich würde es trotzdem führen. Weil das meine Aufgabe war und ich nicht einfach alle anderen im Stich lassen konnte.  


Ich kehrte danach nach Hause zurück, aber es war für mich keine schöne Heimkehr. Ana, Wanda und Roa waren froh und erleichtert, mich unversehrt wiederzusehen, und der große Streit mit meinem Vater blieb auch aus, aber es war trotzdem unschön. Es war das erste Mal, dass es sich nicht danach anfühlte, nach Hause zu kommen.


Anstatt mich anzubrüllen und zu bestrafen, strafte mein Vater mich mit Schweigen, und ich tat es ihm gleich. Von dem Moment meiner Rückkehr an redeten wir nur noch das allernötigste miteinander.


Stattdessen sah ich ihn die nächste Zeit sehr oft mit Roa zusammen. Ich hatte sogar gehört, dass sie sich wünschte, meinem Vater als Anführer nachzufolgen. Es war nicht so, dass mich das störte, weil ich mich zurückgesetzt fühlte, sondern hatte ich Sorge, dass er ihr dasselbe antun würde wie mir. Ihr die Kindheit, die sie nicht wiederbekommen konnte, mit Training und Versagensangst zu rauben. Ich nahm mir jedenfalls vor, niemals so zu meinen Kindern zu sein.


„Sag mal“, fragte ich Ana, als sie mich am Abend erneut ein bisschen zu überschwänglich zurück willkommen hieß, „wie würdest du es eigentlich finden, wenn ich nicht die Stammesführung übernehmen würde?“
     Doch sie schaute mich da nur an, als würde ich ihr das Blaue vom Himmel erzählen. „Was redest du denn da? Du hast seit deiner Kindheit dafür gearbeitet, den Stamm anzuführen und das kann dir niemand einfach wegnehmen. Hast du etwa Angst, dass dein Vater dich jetzt nicht übernehmen lässt, weil ihr euch einmal gestritten habt? Das kommt vor. Streit ist völlig normal in der Familie. Mach dir keine Sorgen.“


Vielleicht war es mit ihr doch nicht so einfach, wie ich gehofft hatte. Aber ich würde sie wohl trotzdem zu meiner Gefährtin machen.
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