Nachdem er eine Weile allein im Garten gestanden hatte,
beschloss Lu, nach drinnen zurückzukehren. Er hatte heute kaum etwas gegessen
und sein Magen knurrte. Aber er achtete nicht darauf. Das miese Gefühl, etwas
Falsches getan zu haben, indem er Julius abgewiesen hatte, war einfach
penetranter und es wollte sich nicht so einfach vertreiben lassen.
Erst als er um die nächste Ecke gebogen war und Luna und ihren Begleiter im Atrium stehen sah, verging es glücklicherweise wieder. Auch wenn es jetzt einem anderen Gefühl wich: Unwillen. Er wollte nicht mit dieser Luna reden. Aber er hatte es sich vorgenommen, also würde er es tun.
Er ging zu den beiden hinüber. Luna lächelte, als sie ihn bemerkte, während ihr Begleiter so
missmutig wie eh und je aussah. Lu war sich ziemlich sicher, dass er gerade
überlegte, wie er unauffällig verschwinden und einen trinken gehen konnte.
„Ich bin froh,
dass dir nichts passiert ist. Das war sehr mutig von dir vorhin“, empfing sie ihn.
„Naja, ich
habe ja eigentlich nichts wirklich getan.“ Er wies auf den unbeteiligten Dritten
in der Runde. „Die Idee kam schließlich von ihm und nur deshalb ist alles so glimpflich
ausgegangen. Das war wirklich eine ausgezeichnete Idee, die du da hattest.“
Luna kicherte. „Wulf zeigt es zwar viel zu selten, aber er hat wirklich etwas im Kopf.“
Lu versteifte
sich, als er den Namen schon wieder hörte. Hieß ihr Begleiter also wirklich
Wulfgar? Es passte nur zu dem, was er sich sowieso schon gedacht hatte.
„Pff!“, kam
von jenem nur.
Da wandte sich Luna an ihn, stemmte die Fäuste in die
Hüften und schalt vorwurfsvoll: „Oh, du musst gar nicht so tun, als ob es nicht
so ist! Du willst es nur nicht hören, weil du es mit deinem Vater verbindest.
Aber es ist so. Wenn du nur nicht dauernd so viel trinken würdest, würde man
davon auch mal was merken.“
An Lu gerichtet erklärte sie: „Sein Vater ist der
schlauste Mann auf der Insel, von der wir kommen, musst du wissen.“
Er musste es
einfach wissen. Er sollte es ihr sagen. Doch als er Luna ins Gesicht sah, das
Gesicht, das ihm so vertraut war, bildete sich ein Knoten in seinem Magen und
die Worte versiegten, bevor sie überhaupt seinen Mund verlassen hatten.
„Hm“, machte
er stattdessen nur.
„Ich glaube es
wird auch Zeit dafür, dass ich mal der Kranken sehe und der Göttin opfere“, verkündete Luna daraufhin. „Vielleicht wird sie ihr ja helfen.“
Und sie ging und ließ Lu mit dem Anderen allein zurück.
Wulf sah ihr einen Moment lang mit einem bitteren Gesicht nach, bis ihm auffiel, dass Lu ja noch da war, woraufhin er Anstalten machte, zu verschwinden.
Doch Lu war noch nicht fertig mit ihm. Er hatte Luna
nicht darauf ansprechen können, aber bei Wulf war das anders. „So, du hast also
Probleme mit deinem Vater. Trinkst du deswegen?“
Wulf blieb stehen und sagte über seine
Schulter hinweg: „Hör zu, Opa, ich hab ganz sicher nicht vor, mit dir über
meinen Vater zu reden. Also verschon mich damit!“
„Ich habe auch einen Sohn“,
erzählte Lu, bevor der Andere weglaufen konnte. „Er müsste in deinem Alter sein,
schätze ich. Als er klein war, hat er immer zu mir aufgesehen und er
wollte in meine Fußstapfen treten und ebenfalls Schamane werden. Ich dachte
immer, dass ich das Beste für ihn tun würde, aber im Endeffekt habe ich
versagt, als es darauf ankam. Ich habe meine Berufung als Schamane über meinen
eigenen Sohn gestellt. Ich dachte, es wäre richtig, jemand anderem die Chance
zu geben, sich als mein Nachfolger zu beweisen, aber ich hätte zu meinem Sohn
halten sollen.“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, eigentlich
geht es nicht einmal darum. Ich hätte einfach viel früher für ihn da sein
sollen. Ich habe gesehen, dass er Hilfe brauchte, aber ich schätze, dass ich
einfach nicht wusste, was ich tun sollte. Ich hatte wahrscheinlich einfach nur
Angst, mich ihm und seiner Blindheit zu stellen. Bei allen anderen war ich
immer sofort zur Stelle und habe geholfen, wo ich nur konnte, aber bei ihm habe
ich plötzlich gekniffen. Deswegen verachtet er mich jetzt. Zu Recht. Ich habe
es nicht anders verdient.
Er hatte auch eine Phase, in der versucht hat, seinen Kummer zu ertränken. Nicht mit Wein so wie du, aber mit Pilzen, die ihn haben sehen lassen, wie er sagte. Er war ihnen zum Glück nur kurz ausgesetzt und er ist wieder von ihnen losgekommen. Bei den Göttern bin ich froh, dass er von ihnen losgekommen ist! Er redet zwar immer noch so gut wie nicht mit mir, doch er hat inzwischen seinen Weg gefunden. Ganz allein. Ohne meine Hilfe. Und ohne die Pilze.“
Er hatte auch eine Phase, in der versucht hat, seinen Kummer zu ertränken. Nicht mit Wein so wie du, aber mit Pilzen, die ihn haben sehen lassen, wie er sagte. Er war ihnen zum Glück nur kurz ausgesetzt und er ist wieder von ihnen losgekommen. Bei den Göttern bin ich froh, dass er von ihnen losgekommen ist! Er redet zwar immer noch so gut wie nicht mit mir, doch er hat inzwischen seinen Weg gefunden. Ganz allein. Ohne meine Hilfe. Und ohne die Pilze.“
Nachdem Lu geendet hatte, ging sein Blick ins
Leere, er driftete in seine eigenen Gedanken ab, und lange Zeit war es still
zwischen beiden.
Doch er drehte sich wieder zu ihm und gab zögerlich zu: „Es stimmt, was Luna gesagt hat. Wir beide kommen von einer kleinen Insel, wo nicht sehr viele Leute leben. Und mein Vater ist da der schlaueste Mensch weit und breit und er hat von mir erwartet, dass ich das ebenfalls bin. Aber ich bin’s nicht. Meine Schwester aber schon. Da war ich bei ihm unten durch. Also bin ich von da weg und Luna hinterher, nachdem ihre Göttin sie in die Ferne gerufen hat.“
„Nun, vielleicht missverstehst
du deinen Vater auch nur“, überlegte Lu. „Siehst du, ich habe immer gedacht,
das Beste für meinen Sohn zu tun, obwohl ich das nicht getan habe. Mit meinem
eigenen Vater war es genauso. Er wollte immer, dass ich so ein starker Jäger
werde wie er. Etwas anderes kam für ihn überhaupt nicht in Frage. Aber das war
es nicht, was ich wollte. Heute weiß
ich, dass er nur mein Bestes wollte. Weil es das war, was zu jener Zeit von
einem Mann erwartet wurde. Was es brauchte, um zu überleben. Aber damals konnte
ich das noch nicht so verstehen. Ich habe es erst verstanden, als ich selber
Vater geworden bin. Seitdem musste ich einsehen, dass man als Eltern oft Dinge
tut, in dem Willen, das Beste für das eigene Kind zu tun, obwohl es das
letztendlich nicht ist.“
„Das mag ja bei dir so sein“, erwiderte
Wulf abfällig, „aber mein Vater interessiert sich einfach nicht für mich. Er
interessiert sich nur für sich selber. Das war schon immer so gewesen. Er lebt
in seiner ganz eigenen Welt, die nur aus ihm besteht.“
„Tja, dann solltest du deinem
Vater beweisen, dass du nicht so sein musst wie er, um glücklich zu sein. Um
ein erfolgreiches Leben zu führen.“
Woraufhin der Andere ihn überrascht ansah.
Er furchte seine Stirn, dachte nach und schließlich strich er sich seufzend
übers Gesicht und sagte: „Wenn das nur mal so einfach wäre!“
„Nun, als erstes solltest du
aufhören zu trinken.“
„Pff! Sicher! Sofort! Ich interessiere
mich, ehrlich gesagt, gerade nur dafür, wo ich meinen nächsten Schluck
herbekomme“.
Lu war schon aufgefallen, dass er zittrig
wirkte. Er hatte scheinbar eine Weile nichts mehr getrunken.
„Das ist der falsche Weg. Du musst damit
aufhören. Jetzt.“
Lu überlegte. „Ich weiß! Ich
werde auf dich aufpassen und dir helfen, dass du von nun an nicht mehr
trinkst.“
„Ich weiß ja echt nicht, ob ich das will…“
„Solltest du. Ich glaube nämlich nicht,
dass deine Freundin, die Priesterin, einen Mann haben will, der trinkt“, meinte
Lu augenzwinkernd.
Wulf erschrak, als er das hörte und er sah
tatsächlich getroffen aus. Wie ein kleines Kind, dem man gesagt hatte, dass alle
Süßigkeiten schon vergriffen waren.
Er schien eine Weile mit sich zu hadern, in
der er sich mindestens dreimal übers Gesicht fuhr, dann aber sagte er
schließlich: „Na gut. Wenn’s sein muss.“
Lu lächelte einen Moment zufrieden, bevor er wieder ernst wurde. Er musste Wulf unbedingt fragen. Nach dem Namen
seines Vaters. Nach Lunas Mutter. Und vor allen Dingen nach ihrem Vater.
Doch als er gerade den Mund aufgemacht
hatte, kam plötzlich Elrik an.
„Deine Gefährtin!“, sagte er erschrocken
zu Wulf. „Die Priesterin! Sie ist ohnmächtig geworden!“
Wulf folgte Elrik umgehend, und auch Lu ging mit ihnen.
Er brachte sie in Anyas
Krankenquartier, wo Luna auf einer Sitzbank lag. Sie hatte die Augen
geschlossen, aber noch immer konnte man sie leise murmeln hören. Doch selbst,
als sie näher hingingen, konnten sie nicht verstehen, was sie sagte.
„Was hat sie
gesagt, bevor sie umgefallen ist?“, fragte Wulf an Elrik gewandt.
„Ich… weiß
nicht…“
„Du solltest dich lieber dran erinnern. Es
könnte wichtig sein für deine Frau. Luna hat schon immer Visionen gehabt. Und
ihre Visionen sind bislang immer eingetroffen.“
„Ich glaube, sie sagte irgendetwas von
Nebel und… und… Nebelsee, glaube ich.“
„Und? Irgendeine Ahnung, was das zu
bedeuten hat?“
Elrik schüttelte den Kopf. Eine Weile
sagte niemand ein Wort, in der Lu angestrengt nachdachte.
„Es gibt einen Nebelsee bei
uns Zuhause“, kam er schließlich drauf. „Ich war damals nicht direkt zugegen,
aber mir wurde erzählt, dass du als Kind einmal plötzlich verschwunden warst,
Elrik, und als man dich fand, warst du auf der Insel mitten im Nebelsee. Wir
haben keine Ahnung, wie du dort hingekommen bist. Unsere Heilerin damals, Barla,
sagte, dass der Geist des Wassers dich gesegnet haben muss. Vielleicht hat es
damit zu tun. Vielleicht müssen wir den Gott des Wassers um Hilfe bitten.“
Elrik sah überaus skeptisch aus, aber als
Anya leise hinter ihm stöhnte, nickte er schließlich.
„Und was schlägst du vor, was wir tun
sollen?“, wollte er wissen.
„Wir müssen sie zum Wasser bringen.“
Gesagt, getan. Kurz darauf fanden sie sich an
einem nahegelegenen See wieder. Julius hatte sie hergeführt, während Wulf bei
der bewusstlosen Luna geblieben war. Laut ihm würde sie irgendwann schon wieder
aufwachen.
Lu bereitete die Opfergaben für den Gott des Wassers vor. Normalerweise ersuchte man den Erdgott um Hilfe, wenn es um
Krankheit ging, aber da er bislang nicht geholfen hatte und Elrik vielleicht
wirklich in der Gunst des Wassergottes stand, würde der Anya diesmal
vielleicht eher helfen können als der Erdgott.
Also führte er das Opfer
durch, während Elrik Anya ins Wasser brachte. Es war zum Glück seicht genug,
dass er stehen konnte. Unter Lus melodischem Gesang stand Elrik da, Anya in
seinen Armen, und er betete so inbrünstig wie noch nie zuvor in seinem Leben.
Er war nie sonderlich gottesfürchtig gewesen und auch auf diese
Wassergeistgeschichte hatte er nicht wirklich viel gehalten, doch in diesem
Moment hoffte er inständig, dass Barla recht gehabt hatte. Dass Anya durch den
Wassergott gerettet werden konnte.
Er wollte sie nicht verlieren. Sie war all
die Jahre seine Sonne gewesen, das hatte er immer gewusst, aber er war bislang
trotzdem zu dumm gewesen, um das auch zu schätzen zu wissen. Jetzt jedoch
wollte er sie nie mehr gehen lassen und er schwor sich, dass er das auch nie
wieder tun würde, wenn sie wieder gesund werden würde.
Und tatsächlich regte sie sich
bald schon in seinen Armen. Zuerst sah es so aus, als ob sie Schmerzen
litt, doch dann beruhigte sie sich wieder und ihr zuvor
leidgeplagtes Gesicht wurde endlich friedlich.
Für einen Moment war Elrik
erschrocken, dass sie vielleicht gestorben sein könnte, aber als er bemerkte,
dass sie ruhig atmete, war er so unendlich erleichtert, dass ihm beinahe die
Tränen kamen.
„Es funktioniert“, rief er freudig. „Ihr
Fieber geht runter und sie schläft.“
Lu war ebenfalls erleichtert,
als er das hörte. Er beendete seinen Gesang und wartete dann darauf, dass Elrik
mit Anya wieder aus dem Wasser kommen würde.
Doch da kam blöderweise Julius
an, der ihm ein Lächeln zuwarf, das Lu ihn die Röte ins Gesicht trieb. Er
war zwar wie immer nicht allein und hatte seine scheinbar persönliche Leibgarde
bei sich, aber dennoch war es Lu unangenehm. Nein, deswegen war es Lu noch unangenehmer.
„Wie wundervoll, dass man eure Bitten
erhört und euer Gefährtin Leid geheilt scheint“, sagte Julius zu ihm.
Und Lu brachte nur ein ersticktes „ja“
zustande.
„Die Liebe ist gar wunderschön, nicht
wahr?“
„Hm-hm.“
„Welch Schande, dass Cupidos Pfeil für mich
noch nicht getroffen hat.“ Sein Blick traf Lu erbarmungslos, dass er darunter
zusammenzuckte. „Du solltest dich glücklich schätzen, dass die Flamme der
Leidenschaft in deiner Brust brennt und der deine ebenso für dich entflammt,
Lu Pulcher.“ Er wandte sich ab und ging majestätisch davon. „Dein Gesang ist
Apollos würdig. Wenn ich einst spiele, würde es meine Ohren
erfreuen, wenn du mich begleitest.“
Er ließ ihn stehen und Lu blieb mit einem bitteren Gefühl im Magen allein zurück. Was war das nur, dass er so aufgewühlt war, wenn Julius ihn auch nur ansah?
Er musste sich jedenfalls mehr zusammenreißen und sich nicht jedes Mal wie ein verliebter Jüngling aufführen, wenn er vorbeikam. Er hatte schließlich Wulfgar, das durfte er nicht vergessen! Und auch wenn es manchmal schwierig mit ihm war, auch wenn es momentan überaus schwierig mit ihm war, würde er das nicht einfach opfern für einen Mann, den er keinen Tag lang kannte.
Er musste sich jedenfalls mehr zusammenreißen und sich nicht jedes Mal wie ein verliebter Jüngling aufführen, wenn er vorbeikam. Er hatte schließlich Wulfgar, das durfte er nicht vergessen! Und auch wenn es manchmal schwierig mit ihm war, auch wenn es momentan überaus schwierig mit ihm war, würde er das nicht einfach opfern für einen Mann, den er keinen Tag lang kannte.
Sie kehrten kurz nach Julius ebenfalls zum Hof zurück. Anya schlief
noch immer und als sie sie ins Bett brachten, sahen sie, dass auch Luna noch
immer schlief. Nur Wulf war nirgends mehr zu finden.
Während Elrik
erklärte, bei Anya zu bleiben und auf sie aufzupassen, machte sich Lu also auf
die Suche nach dem Verschwundenen. Er hatte da so eine Befürchtung.
Und tatsächlich, als er eine nur lose angelehnte Tür bemerkte und vorsichtig dahinter nachsah, fand er Wulf betrunken in
der Küche vor.
„Wulfgar!“,
rief er erbost und der Andere wurde erschrocken dadurch wach. „Das kann doch nicht
wahr sein! Ich lasse dich nur kurz aus den Augen und du hast nichts Besseres zu
tun, als dich zu betrinken! Dabei hast du doch versprochen, aufzuhören!“
Wulf sah nur mit trüben Augen zu ihm auf, und da
seufzte Lu und ließ sich neben ihm nieder.
„Nein, es ist
wohl meine eigene Schuld, dass ich dich alleingelassen habe“, beschloss er. „Ich
habe dir schließlich versprochen, auf dich aufzupassen. Entschuldige.“
„Weißt du, du bist der Einzige, der mich mit meinem
vollen Namen anspricht“, sagte Wulf, als es still blieb, und Lu war erstaunt,
dass er überhaupt noch sinnvolle Sätze bilden konnte. „Nicht mal Luna macht
das. Nur, wenn sie böse auf mich ist. Aber mein Vater hat das immer gemacht.“ Plötzlich
sah er ihn mit großen Augen an, so als sähe er ihn gerade das erste Mal. „Das ist
total komisch, weil du auch echt aussiehst wie er.“
Das wiederum war Lu neu und es überraschte
ihn ein bisschen.
„Wahrscheinlich verfolgt er mich in Form
von dir“, meinte Wulf genervt. „Wär dir jedenfalls bedankt, wenn du mich nicht
dauernd so nennst. Ich mag meinen Namen eh nicht. Nenn mich einfach Wulf. Das
tut jeder.“
„Was hast du denn gegen deinen
Namen?“ Als Wulf nur brummte, fragte er zögerlich: „Wie bist du eigentlich zu
so einem… exotischen Namen gekommen?“
„Hab ihn von irgend so einem Arsch, der
meinem Vater ein paarmal zu viel das Leben gerettet hat. Hätte ihn einfach
sterben lassen sollen. Dann hätte ich mir nicht dauernd Geschichten drüber
anhören müssen, wie toll mein Namensvetter doch gewesen ist. Pah! Tut mir ja
leid, aber ich bin nicht so schlau wie meine Schwester und auch nicht so toll
wie der ach-so-tolle Wulfgar.“
Lu haderte eine ganze Weile lang mit sich.
Er musste es endlich hinter sich bringen.
„Weißt du, es kann sein, dass
ich ihn vielleicht kenne. Deinen Namensvetter, meine ich“, offenbarte er, und
da starrte Wulf ihn erschrocken an. „Deswegen kann ich dich auch nicht Wulf
nennen. Weil ich ihn schon so nenne.“
Trotz der Dunkelheit sah er, dass Wulf blass geworden war. Erneut war es eine Weile ruhig, in der Wulf dazu überging, den Boden anzustarren, bevor Lu sich dazu bringen konnte, weiterzusprechen.
„Er ist mit uns hierhergekommen, um nach
Anya zu suchen. Er ist gerade woanders hingegangen, aber er wird wieder
hierherkommen. Dann werden wir es ja sehen, ob er es ist.“
Auch wenn Lu sich davor fürchtete. Er
wusste nicht, warum das so war, aber er tat es. Er konnte nichts dagegen tun,
dass er sich genau so fühlte, wie Wulf neben ihm gerade aussah.
Am nächsten Morgen erwachte Luna endlich wieder und Wulf hatte einen bösen Kater. Aber obwohl Lu schon
befürchtete, dass er sich einfach aus dem Staub gemacht hatte oder er nicht
mehr mit ihm reden würde, verhielt er sich ihm gegenüber nicht anders als
sonst. Auch Luna gegenüber sprach er mit keinem Wort an, was Lu ihm gestern
erzählt hatte.
Stattdessen erinnerte er ihn sogar daran, ihn lieber nicht allein zu lassen, während er Luna zum Gasthaus zurückbrachte. Immerhin wollte er ja aufpassen, dass er sich nicht wieder betrank.
Nach dem köstlichen Frühstück, zu dem Julius glücklicherweise nicht anwesend war, weil er, wie sie erfuhren, bereits außer Haus war, um seinen Tagesgeschäften nachzugehen (wofür er sich über seinen Diener tausendmal entschuldigen ließ), brachen sie also zusammen zum Gasthaus auf.
Derweil erwachte auch Anya endlich aus ihrem langen
Fieberschlaf und sie war erschrocken, als sie plötzlich Elrik bemerkte, der
die Nacht unbequem auf einem Stuhl neben ihrem Bett verbracht hatte.
Anyas Schrei weckte ihn, er fuhr erschrocken hoch und dann waren beide erst einmal mit einem Starrwettbewerb beschäftigt. Anya war vor Schreck an Ort und Stelle festgefroren und Elrik wusste einfach nicht, was er ihr sagen sollte. Er hatte ihr so einiges sagen wollen, aber mit einem Mal fehlten ihm die Worte.
„Was… was machst du hier?“, war es schließlich Anya, die
als erste ihre Stimme wiederfand.
„Also… ich…
bin hergekommen, um dich zurück nach Hause zu holen“, brachte er heraus.
„Warum?“
Ja, warum
eigentlich? Er wusste es, aber er sagte trotzdem nur: „Weil du nach Hause
gehörst. Alle machen sich Sorgen um dich…“
Plötzlich versagte ihm die Stimme, als er sie ansah und er sich daran erinnerte, was er ohne sie gewesen war. Wie furchtbar die Zeit gewesen war, in der sie fort gewesen war. Plötzlich spürte er, wie ihm die Tränen kamen und er hatte alle Mühe, sie zurückzuhalten. Er hatte sie so schrecklich vermisst.
Bevor er wusste, was er tat, hatte er sie an sich
gedrückt und sagte ihr: „Bitte komm nach Hause, Anya! Ich brauche dich doch!“
Er spürte, wie sie sich versteifte, während er nun doch gegen seine Tränen verlor. Aber dann legte sie schließlich die Arme um ihn und plötzlich war alles wieder gut. Er war friedlich. Entspannt. Frei. Er war genau dort, wo er sein wollte.
Zumindest, bis sie sich von ihm zu lösen versuchte. Doch er wollte nicht, dass sie ging. Dass sie ihn wieder allein ließ. Also hielt er sie an den Armen fest.
Zumindest, bis sie sich von ihm zu lösen versuchte. Doch er wollte nicht, dass sie ging. Dass sie ihn wieder allein ließ. Also hielt er sie an den Armen fest.
„Aber was ist
mit Akara?“, fragte sie.
„Was soll mit ihr sein? Diese treulose Kuh kann sonst wo bleiben!“, erwiderte er genervt, bevor er wieder für sie lächelte. Sanft sagte er ihr: „Wichtig ist nur, dass du bei mir bist. Alle anderen sind mir egal. Ich liebe nur dich!“
Er wusste
nicht, was sie tun würde. Er war sich immer ziemlich sicher gewesen, dass sie
ihn auch mochte, aber was, wenn sie ihn gar nicht liebte? Wenn sie tatsächlich
nur deshalb bei ihm geblieben war, damit er sie beschützte? Der Gedanke daran
fraß sich mit einem Mal in sein Herz und ließ ihm kalt werden.
Erst als Anya schließlich ihren Mund zuklappte und ihn stattdessen mit einem Kuss überfiel, taute er wieder auf. Sie hatten sich in der Vergangenheit schon öfter geküsst, aber als sie sich jetzt küssten, war es ihm, als wäre es das allererste Mal. Er wollte sie am liebsten nie wieder loslassen. Nachdem er sein Herz vor Jahren verschlossen hatte, nachdem Akara es ihm gebrochen hatte, hatte er nicht mehr daran geglaubt, dass er jemals wieder solch ein Glück würde empfinden können wie in diesem Moment.
In diesem Moment, in dem sie, Anya und Elrik, nach so
vielen Jahren doch noch zueinander fanden.
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Hier weiterlesen -> Kapitel 104
Endlich hat Elrik also eingesehen, was er an Anya hat und wie viel sie ihm bedeutet, nachdem er sie beinahe verloren hat. Aber glücklicherweise hat "der Geist des Wassers" seine Gebete erhört. Die Geschichte mit dem kleinen Elrik und dem Nebelsee ist ja schon ewig her (Kapitel 18 - Nebel), aber endlich wurde sie doch nochmal aufgegriffen. Nicht, dass der "Geist des Wassers" nicht schon vorher in Elriks Leben eine wichtige Rolle gespielt hätte. Immerhin hat er ihm Anya ja ursprünglich auch erst gebracht (Kapitel 56 - Neid und Missgunst - oder - Elrik und die Laune des Wassers).
Übrigens wollte ich mal anmerken, dass Luna keine alte Frau ist sondern, eine junge Erwachsene, die ca. 2-3 Jahre jünger noch ist als ihr Begleiter Wulf. Im Spiel ist sie eine junge Erwachsene. Weil das anscheinend für Verwirrung gesorgt hat.
Nächstes Mal dann hat Wulf (so richtig) mit seinem Suchtproblem zu kämpfen und Lu mit den Gepflogenheiten vor Ort.
Für alle, die es noch nicht gesehen haben: Zum zweijährigen Jubiläum von "Zeitalter" geht Rahns Geschichte mit vier weiteren Kapiteln in die nächste Runde:
Link zum jeweils nächsten Teil ist am Ende des jeweiligen Teils. Ansonsten habe ich alle bisherigen Teile in der Kapitelübersicht unter Generation I extra gelistet.
Ich wünsche euch schon mal angenehme, entspannte und vor allen Dingen friedliche Feiertage und einen guten Rutsch ins Neue Jahr. Dann sehen wir uns auch fürs nächste Kapitel wieder.
Auch der Stamm feiert kräftig. Sogar Alistair ist zu Besuch gekommen und Hana und der Ragna-Sim.
Bis dahin, danke fürs Vorbeischauen, und ich verabschiede mich!
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