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Mittwoch, 6. November 2019

Teil 3 - Sen



Sie würde trotzdem fliehen. Und ihre Chance kam, als Tuck mit den anderen Männern des Stammes ging, um Holz für Tanns Grab zu fällen. Die Frauen waren ebenfalls gegangen, um für die Grabbeigaben zu sammeln, und Tara war allein zurückgeblieben, da ihre Schwangerschaft inzwischen weit vorangeschritten war und ihr das Laufen über weite Strecken zu mühselig geworden war. Man hatte ihr aufgetragen, den Toten zu waschen, aber stattdessen war sie abgehauen.
      Der Winter stand bereits vor der Tür und es wurde allerhöchste Zeit, dass sie wegkam. Sie hatte mal von Tann gehört, dass es in der Gegend einen weiteren Stamm gab, den Tucks Bruder Ur anführte. Die beiden Brüder waren wohl im Streit auseinandergegangen, weshalb sie hoffte, dort Aufnahme zu finden.


Nur wusste sie leider nicht genau, wo sie lagerten. Tann hatte erzählt, dass sie oft umherzogen, und von Enn hatte sie nur eine vage Richtungsanweisung bekommen. Da sie auch nicht auf den Hauptwegen gehen konnte, um den Rückkehrern des Zoth-Stammes nicht in die Arme zu laufen, musste sie querfeldein gehen. Die Sonne sank derweil immer tiefer zum Weltenrand, während es immer kälter wurde und sie ihr Ziel noch immer nicht erreicht hatte.


Sie fragte sich gerade, ob sie vielleicht schon an dem Lager des Ahn-Stammes vorbeigelaufen war, als sie über einen Stein stolperte und böse mit dem rechten Fuß aufkam. Ein heftiger Schmerz durchfuhr ihren Knöchel, der sie augenblicklich in die Knie zwang. Sie fluchte laut, aber es half alles nichts. Jedes Mal, wenn sie versuchte, aufzustehen und Halt auf ihrem Fuß zu finden, knickte sie wieder ein.


Notgedrungen musste sie Halt machen. Der Abend war inzwischen weit fortgeschritten. Es war so kalt, dass ihr Atem ihren Mund in kleinen weißen Wolken verließ, als sie sich jetzt das kleine Stück Dörrfleisch gönnte, dass sie mitgenommen hatte. Ihre Finger waren so klamm, dass sie Probleme hatte, es überhaupt festzuhalten. Und dann, als sie dachte, es könnte schlimmer nicht kommen, fielen plötzlich die ersten Schneeflocken vom Himmel.
      Tara hätte das ja schön gefunden, sie hatte den Schnee immer geliebt, aber er war weniger schön, wenn man die Nacht darin verbringen musste. Also raffte sie sich auf und versuchte es noch einmal, auf die Beine zu kommen. Es klappte nicht. Sie fluchte eine Weile lautstark, dann fing sie schließlich an, um Hilfe zu rufen, bis ihr der Hals kratzte. Vielleicht hatte sie Glück und die Zoth-Leute waren noch irgendwo draußen. Dorthin zurückzugehen schien ihr jedenfalls besser, als zu erfrieren.


Aber sie hatte Pech. Es hörte sie niemand. Sie zog die Beine enger an den Körper, damit ihr Kleines nicht fror. Es war ihr egal, was mit ihr passierte, aber sie durfte nicht zulassen, dass ihrem Kind etwas zustieß. Die Angst, dass sie es verlieren könnte, trieb ihr die Tränen heiß in die Augen und sie musste mehrmals schlucken, damit sie nicht überliefen. 
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Sie war gerade dabei, den Kampf gegen ihre aufkommende Müdigkeit zu verlieren, als sie glaubte, in der Nähe einen feinen Rauchfaden in den Nachthimmel aufsteigen zu sehen. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich das nur einbildete, aber sie versuchte trotzdem, sich auf die Beine zu quälen, was misslang. Ihre Beine waren inzwischen so kalt, dass sie den Schmerz in ihrem Knöchel nicht mehr spürte. Aber auch sonst spürte sie dort nichts mehr.


Sie war gezwungen, auf allen Vieren zu kriechen. Immer vorwärts, dem Rauch entgegen, der sich nun in einen warmen, hellen Feuerschein verwandelte. Sie schwankte, es fiel ihr immer schwerer, bei Bewusstsein zu bleiben, aber der Gedanke, ihr Kind zu retten, trieb sie vorwärts.
     Es ging durch Bäume hindurch, der Schnee brannte ihr inzwischen durch die Kleidung hindurch auf der Haut. Und als sie die Quelle des Rauchfadens schließlich – endlich! – erreicht hatte, blendete die Helle des Feuers sie beinahe. Sie brauchte einen Moment, bevor sie überhaupt wieder sehen konnte. Verschwommen nahm sie da einen Mann wahr, der am Feuer saß.


Mit letzter Kraft stieß sie ein „Hilfe“ aus, dass er sie bemerkte. Dann fiel sie mit dem Gesicht voraus in den Schnee, der ihr in diesem Moment so warm erschien wie eine Decke.   
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Als sie erwachte, war sie tatsächlich in eine Decke gehüllt – oder zumindest in ihr Schlaffell. Die bedrückende Düsternis einer Höhle und das vertraute Knacken von Feuerholz begrüßte sie.
      „… weit her zu kommen“, hörte sie eine bekannte Stimme neben sich sagen. Es war Dala, die neben Tuck am Feuer saß. „Vielleicht ist er ja sogar ein Feuerzähmer.“
      „Feuerzähmer sind Legenden“, erwiderte Tuck ihr unbeeindruckt.
      „Dennoch scheint dieser Sen recht fähig zu sein. Wir könnten jemanden wie ihn gut gebrauchen.“ 
      „Du hast doch gehört, dass er nicht bleiben will. Aber ich werde trotzdem mal mit ihm sprechen, wenn es dich glücklich macht.“
      Tuck erhob sich nun, um ein weiteres Scheit ins Feuer zu werfen. Die Flammen loderten auf, als hätte man sie in ihrer Ruhe gestört, dann aber begannen sie, das makellose Holz langsam schwarz zu färben. Als Tuck sich jetzt wieder setzen wollte, bemerkte er, dass Tara wach war, und im nächsten Moment war er bei ihr, besorgt wie eh und je.


„Du bist wach“, stellte er fest. „Wir haben schon befürchtet, dass du nie wieder aufwachen würdest.“
     Tara schälte sich umständlich aus ihrem Schlaffell. „Was ist denn passiert?“
     „Das würden wir gerne von dir hören“, mischte sich Dalas vorwurfsvolle Stimme ein. „Was hast du da draußen zu suchen gehabt?“
       Tara fühlte sich schlecht dabei, aber sie log trotzdem: „Ich wollte mir nur etwas die Beine vertreten. Mein Rücken schmerzt doch immer so. Die Kälte tut mir gut und da habe ich die Zeit vergessen. Und dann bin ich ausgerutscht und habe mir den Fuß verletzt.“
      „Glücklicherweise hat der Fremde dich gefunden und hergebracht“, sagte Tuck erleichtert.
      „Ich würde mich gerne bei ihm bedanken“, lenkte Tara ab. „Wo ist er denn?“


Tara sollte erst viel später die Gelegenheit bekommen, mit ihm zu reden. Während sie anfing, sich auch mit den anderen Stammesmitgliedern gut zu verstehen, war der reservierte Gast, den sie eingeladen hatten, über den Winter zu bleiben, mehr fort als anwesend.


Dala indessen ließ sie von dem Moment ihres Fluchtversuches an keine Sekunde mehr aus den Augen, weshalb Tara keine Möglichkeit mehr erhielt, wegzukommen.


Knapp zwei Monate später, als der Winter schon wieder am Gehen war, entband sie ihren kleinen Sohn Rahn, der ihr Herz im Sturm erobert hatte. Und sie war heilfroh, dass gerade keine andere Frau da war, die ihn stillen konnte, und sie deshalb noch immer gebraucht wurde. Andernfalls, und da war sie sich todsicher, hätte Dala schon längst einen Weg gefunden, sie loszuwerden. Sie musste sich dringend etwas einfallen lassen, um mit Rahn zu entkommen.
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Es war einige Monde nach ihrer Niederkunft, die Sonne schien warm und kräftig wie an einem Frühlingstag, als Tuck gerade Besuch von einem befreundeten Stammesoberhaupt hatte. Ein kräftiger Mann mit dunklem Haar und langem Bart, dass Tara für einen Moment erschrocken geglaubt hatte, Minos vor sich zu haben.
     „Das ist eine Schande, dass er gestorben ist.“ Der Mann, der sich als Aan vorgestellt hatte, schüttelte den Kopf. „Aber ich werde es Luma überbringen. Sag, ihr habt nicht zufällig noch andere Männer für meine Töchter?“
     „Enn hat noch keine Frau, aber ich würde ihn ungern ziehen lassen. Wir haben den letzten Herbst ziemlich viele Leute verloren“, gab Tuck zu.
     „Ich werde mit Luma und Lulu sprechen. Vielleicht ist ja eine bereit, herzukommen.“
     „Ihr seid auch herzlich eingeladen, alle herzukommen“, bot Tuck an. „Ich habe gehört, du hast erst letztens deine Frau verloren.“
     „Ja, aber ich habe eine neue“, erzählte Aan mit Fingerzeig auf die Frau, die mit ihm gekommen war und die gerade neben Dala am Feuer saß. Dann fuhr er zerknirscht fort: „Und du weißt doch, dass ich das nicht machen kann. Ur ist schon sauer, dass ich nicht zu ihm in den Stamm gekommen bin.“
     „Schon gut, ich weiß ja, dass ihr zwei immer ganz dicke wart.“


Tara, die bislang mit Rahn im Arm am Rande gestanden und zugehört hatte, legte den Kleinen jetzt sachte in sein Bett und stahl sich davon. Dala war gerade mit besagter Frau ihres Gastes beschäftigt, also nutzte sie die Chance, den Fremden namens Sen aufzusuchen, der sich zur Abwechslung mal in ihre Gefilde verirrt hatte. Sie fand ihn draußen, wie er seinen neuen Speer auf Wurftauglichkeit testete.


„Hey, du!“, begrüßte sie ihn und brachte ihn beim Werfen ein bisschen aus dem Konzept. Der Speer flog ganz schön weit, aber er schien nicht zufrieden, als er den Störenfried jetzt ansah. „Ich hab gehört, dass du bald wieder von hier weggehen willst. Stimmt das?“
     „Mag sein. Was willst du?“, gab er monoton zurück. Er war nicht der gesprächigste Geselle, wusste sie.
     „Wenn du weggehst, wäre es dann möglich, dass ich und mein Sohn dich begleiten? Nur ein Stück weit“, fügte sie hastig hinzu. „Und so, dass“, flüsterte sie, „niemand es mitbekommt.“
     Er sah sie mit zusammengekniffenen Augen misstrauisch an, bevor er sagte: „Ich reise nur allein.“


Tara wollte etwas sagen, aber da ging Sen einfach weg, und sie wurde plötzlich auf jemanden aufmerksam, der sich ihnen näherte. Ein Mann von der Statur her, sein Haar so hell, dass man ihn schon von weitem sehen konnte. Das Geschrei eines Säuglings begleitete ihn, aber Tara achtete nicht darauf. Ihr Blut rann ihr in einem Moment kalt durch die Adern, im anderen wiederum taute die Freude es wieder auf. Sie wusste nicht, ob sie wegrennen oder zu ihm gehen sollte.
      Schließlich erreichte er sie, blieb vor ihr stehen, als er sie erkannte, und da war Sen schon längst wieder in der Höhle verschwunden. 
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