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Mittwoch, 6. November 2019

Kapitel 100 - Beste Freunde und... das sind wir schon immer gewesen!



Die Tage vergingen, doch Anya blieb verschwunden.


Von Thorben, dem Fischer, hatten sie lediglich erfahren, wie er gesehen hatte, dass Marduk sie auf seinem Schiff mitgenommen hatte.


Obwohl Elrik die Suche daraufhin abblies…


… war trotzdem er es, der danach jeden Tag am Hafen auf die Rückkehr des Schiffes wartete.


Doch als Marduk schließlich zurückkehrte, tat er das ohne Anya. 
     „Ich habe sie mitgenommen, ja“, erklärte er ihnen. „Sie hat für die Überfahrt bezahlt, und als wir an Land gingen, war sie ziemlich schnell weg und ist auch nicht wiedergekommen. Ich weiß also nicht, wo sie gerade ist.“
     Dass sie für die Überfahrt bezahlt hatte, sagte ihnen, dass sie nicht weiter nachfragen brauchten. Denn sie alle wussten, dass Marduk keine Fragen stellte, solange der Preis stimmte. Er wusste höchstwahrscheinlich nicht einmal, warum Anya weggegangen war, weil er nicht nachgefragt hatte.


Also fragte Elrik auch nicht weiter nach und ging einfach davon.


Malah lief ihm jedoch umgehend nach, stellte sich ihm in den Weg und fragte: „Willst du ihr nachgehen? Ich bin mir sicher, Alin lässt sich überreden, bei der Suche zu helfen.“
     Elrik war stehengeblieben, aber in seinem Gesicht war keinerlei Anzeichen davon zu erkennen, dass überhaupt etwas geschehen war. „Nein, ich gehe nach Hause“, verkündete er schlicht. „An die Arbeit.“
      „Du willst also nicht nach ihr suchen?“


„Nein“, erwiderte er ruhig. „Du weißt es wahrscheinlich nicht, aber Anya und ich hatten nur eine zweckmäßige Verbindung. Wenn sie nicht mehr hier sein möchte, dann ist das ihr gutes Recht, fortzugehen. Das geht mich nichts an.“
     „Aber – “
     „Ich weiß, dass du sie gern hast, Malah“, unterbrach er sie milde lächelnd, „aber du solltest respektieren, wenn sie nicht mehr hier sein möchte.“
     „Und was ist mit dir? Stört dich das gar nicht, dass sie weg ist?“
     „Warum sollte es? Ich hatte Anya gerne um mich, aber es ist nicht so, dass ich sie geliebt habe. Mach dir keine Sorgen um mich. Alles ist gut.“


Das sagte er. Aber die nächste Zeit sollte das Gegenteil beweisen.


Denn die nächste Zeit verfiel Elrik, nachdem er gerade erst seine Lebensfreude wiedergefunden hatte, jetzt, wo er den Stamm nicht mehr anführen musste, erneut in Lethargie. Er wurde immer stiller und sprach schließlich gar nicht mehr von sich aus.


Und dann wurde er irgendwann richtig garstig. Ohne Rücksicht auf Verluste sagte er verletzende und gemeine Dinge.


Er brachte die Leute gegen sich auf oder brachte sie gleich zum Weinen.


Sogar seine Schwester trieb er mit seinen Worten zu Tränen.


Wofür er von Wirt beinahe ein blaues Auge kassierte und aus dem Haus geworfen wurde.


Dann geriet er mit seinem Sohn heftig aneinander…


… was nur durch das Auftreten von Garrus verhindert wurde, mit dem er sich auch beinahe noch angelegt hätte.


Das war der Zeitpunkt, an dem seine Familie eingriff und ihr Fett wegbekam. Zuerst wagten sich Tanna und Tann, aber auch für sie hatte er nur verletzende Worte übrig.


Als nächsten kamen der Schamane, Jana, Luis und Aan dran.


Und letztendlich war Akara todesmutig genug, um sich ihm zu nähern.


„Elrik, können wir reden?“
     „Was?“, fuhr er sie sofort an.
     „Wegen Anya –“
     Weiter kam sie nicht. Elrik machte sofort dicht. „Nicht du auch noch! Lass mich dir gleich sagen, was ich auch allen anderen gesagt habe: Ich werde ihr nicht nachgehen!“
     „Warum nicht? Ganz offensichtlich stört es dich ja, dass sie weg ist.“
     „Was mich stört, ist, dass alle meinen, mir andauernd damit auf die Nerven gehen zu müssen!“, warf er wütend zurück.


„Und Anya?“
     „Was soll mit ihr sein?“, fragte er genervt.
     „Hör zu, ich habe von Nero gehört, dass er sie das letzte Mal gesehen hat, bevor er und ich das erste Mal losgehen wollten, um Hilfe für Rahn zu holen. Da hat er gesehen, wie sie draußen am Stall stand.“
     „Und?“
     „Du… weißt doch noch, was du mir am Stall gesagt hast, oder?“, sagte sie ein bisschen verlegen.
     „Ja, und?“


Akara sah ihn eine Weile verständnislos an, als sei das doch klar. „Sie muss das gehört haben, Elrik!“, half sie schließlich auf die Sprünge. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie deshalb weggelaufen ist. Es würde zu ihr passen. Sie ist bei Problemen immer gleich weggelaufen.“
     „Warum sollte sie? Ich sehe das Problem nicht.“
     „Elrik… dir ist schon bewusst, dass meine Schwester dich geliebt hat, oder?“
     „Das hat sie nicht“, wehrte er entschieden ab. „Sie hat sich nur deshalb dazu bereit erklärt, bei mir zu sein, weil sie glaubte, dass ich der Einzige war, der sie beschützen konnte. Weil ich ja einen ganzen Stamm angeführt habe. Und jetzt tue ich das nicht mehr, also ist sie gegangen. Das hat überhaupt nichts mit Liebe zu tun!“


„Natürlich hat es das!“, ließ sich jetzt auch Akara von der Wut anstecken. „Meine Schwester hat dich geradezu vergöttert. Wenn ich mit ihr geredet habe, gab es kaum ein anderes Thema, als dich oder Nila. Ihr wart alles, was je für sie gezählt hat. Sie war am Boden zerstört, als Nila nichts mehr von euch wissen wollte, das weißt du selber. Sie hat tagelang geweint und gesagt, dass du sie jetzt bestimmt verlassen wirst, weil sie dir keinen ordentlichen Sohn geschenkt hat. Und dann hat sie irgendwann einfach so getan, als würde Nila noch mit euch reden. 
     Du weißt, dass es so ist. Du weißt, dass sie bei Problemen immer mit Flucht oder Verleugnung reagiert hat. Also solltest du ihr lieber nachgehen und sie zurückholen, da ihr Weggehen dich ganz offensichtlich ziemlich mitnimmt. Und erzähl mir nicht, dass das nicht so ist! Du hast dich seit ihrem Verschwinden sehr verändert, Elrik. Du bist richtig hässlich zu deinem Umfeld geworden. Das geht so nicht weiter!“


Elrik war nach ihrer Ansprache eine Weile still, in der man sehen konnte, dass er überhaupt nicht wusste, was er dazu sagen sollte. Aber er sah auch leider nicht so aus, als ob er Einsicht zeigen würde. 
     Und tatsächlich, im nächsten Moment bekam Akara seine neue, hässliche Seite zu spüren. Sie hatten gehofft, dass er sich wenigstens ihr gegenüber zurückhalten würde, aber sie war zu weit gegangen.


„Was geht dich das überhaupt alles an?“, brach er aus. „Nachdem du mich einfach abserviert hast, kommst du jetzt an und meinst, mir zu sagen, was ich tun soll? Weißt du was? Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht mal, was ich eigentlich je an dir fand. Weil so toll bist du überhaupt nicht. Ich habe alles für dich getan. Ich habe mit meinem Vater gebrochen, bin der verdammte Stammesführer für dich geworden, aber du hattest trotzdem nichts Besseres zu tun, als mich einfach im Stich zu lassen. Du bist eine arrogante, selbstverliebte und nervige Frau, weißt du das, und mit deiner Schwester war ich wirklich tausendmal besser dran als mit dir! Ich –“


Da kam schließlich Rahn dazwischen, der bislang von drinnen alles mit angehört und aufgepasst hatte. Genau für diesen Fall.
     „Elrik! Das reicht jetzt!“
     Doch auf Rahn war Elrik auch nicht gerade gut zu sprechen. Im Gegenteil. Er mahlte wütend mit den Zähnen und für einen Moment sah es so aus, als würde er sich tatsächlich mit dem Älteren prügeln wollen.


Doch er drehte stattdessen glücklicherweise ab. Nicht jedoch, ohne noch eine Schimpftirade für Rahn dazulassen: „Lass du mich bloß in Ruhe! Geh doch noch irgendwem das Leben ruinieren! Pah! Ihr beide kotzt mich an! Ich hoffe, ihr werdet glücklich miteinander, und pass nur auf, dass sie dir nicht auch das Herz bricht, Rahn!“


Dann war er weg, doch der Schaden war angerichtet. Akara starrte erschrocken vor sich hin.
     „Du weißt, dass er das nur gesagt hat, weil er wütend war. Er meint das nicht so“. sagte Rahn ihr einfühlsam.
     „Aber… aber es ist alles wahr!“, brach sie jetzt in Tränen aus. „Ich habe so viel angerichtet! Bei ihm… im Stamm… es wäre besser gewesen, wenn ich nie hierhergekommen wäre…“


Er ging daraufhin zu ihr und nahm sie in den Arm, bevor ihm noch gänzlich das Herz brechen konnte. „Sag sowas nie wieder! Was sollte ich nur ohne dich machen?“
     „Das sagst du nicht mehr, wenn ich dir vielleicht wirklich irgendwann wehtue!“
     „Dazu lasse ich es nicht kommen“, versprach er ihr. „Denn ich werde mein Bestes geben, dass du mich nicht verlassen wirst.“


Elriks wütende Ausbrüche schlugen ein wie Blitze im ansonsten ruhigen Uruk-Stamm. Und auch wenn seine Worte verletzend waren, setzten sie einiges in Gang, das viel zu lange schon stillgestanden hatte.
     Tanna, der aufgezeigt worden war, wie unfair sie sich nicht nur Tann, sondern auch ihrer Leah gegenüber verhielt, entschloss sich, endlich reinen Tisch zu machen.


Sie hatte sich die letzte Zeit, nachdem er es ihr angeboten hatte, wieder verstärkt Tann angenähert, wenn Leah nicht da gewesen war. Und der hatte deshalb begonnen, sich wieder Hoffnungen bei ihr zu machen.


Doch Tannas Herz gehörte Leah und das hatte auch deren Tod nicht geändert. Egal, wie schwer es manchmal auch war, sie hatte sich entschieden, an ihrer Seite zu bleiben.


Also sagte sie Tann ein für alle Mal, dass sie nie wieder zusammen sein würden. Und er reagierte glücklicherweise verständnisvoll.


Auch vor allen anderen erklärte sie, dass sie noch immer Leahs Gefährtin war, auch wenn sie sie nicht sehen und das vielleicht nicht verstehen konnten.


Dazu trat Leah offiziell dem Stamm bei. Sie bauten ihr und Tanna ein großes Bett, und beide Frauen gedachten, im nächsten Frühjahr zu heiraten.


Sharla derweil entschloss sich dazu, dass es an der Zeit war, den Stamm zu verlassen und ihren eigenen Weg zu gehen. Sie wollte zum Ahn-Stamm ziehen, wo sie jemanden gefunden hatte, den sie heiraten wollte. 


Und auch Jana und Luis führten letztendlich ein langes Gespräch miteinander, in dem beide beschlossen, von nun an zusammenzuarbeiten. Da Luis nicht mehr sehen konnte und Jana nach wie vor Schwierigkeiten damit hatte, sich die Rituale und Lieder zu merken, würde er von nun an ihr Gedächtnis und sie seine Augen sein.


Lu war später zwar überrascht von der plötzlichen Wendung, gab aber erleichtert seinen Segen.


Nur Elrik war noch immer voller Wut. So sehr, dass er kurzerhand den Stamm verlassen hatte, um allein in der Wildnis zu leben.


Malah jedoch, die Einzige, die bislang von seinem Zorn verschont geblieben war, ging ihrem Vater natürlich nach, um ihn zur Rückkehr zu bewegen.
     Entgegen der Befürchtung, Elrik könnte nun auch ihr gegenüber Dinge sagen, die lieber unausgesprochen blieben, sagte er aber einfach gar nichts mehr.


Und letztendlich schaffte es Malah, die Einzige, die ihm nach Akara je wichtig gewesen war, sogar, ihn zum Einlenken zu bewegen und dazu, Anya nachzugehen.


Die Zeremonie für Janas Übernahme des Schamanenamtes fand kurz darauf an geheiligter Stätte statt und sie fiel schon wegen der knappen Vorräte sehr sporadisch aus. Gerade einmal der amtierende Schamane Lu, Jana, Luis und Malah als Stammesführerin waren anwesend. 
     Seinen Sohn nach all den Sorgen endlich wieder lächeln zu sehen, tröstete Lu wenigstens ein bisschen darüber hinweg, dass Luis erklärt hatte, lediglich Janas Helfer sein zu wollen.
     „Mögest du den erhabenen Göttlichen eine treue Dienerin sein, auf dass sie durch dich die Worte der Einsicht und Weisheit verkünden. Schwöre, dass niemals ein falsches Wort deinem Mund entflieht und du niemals mit gespaltener Zunge sprichst!“


Lu hatte das heilige Feuer an diesem Tag das letzte Mal entzündet und gerade setzte er Jana, die von nun an die neue Schamanin des Stammes sein würde, den Hut auf, den er einst von Luma bekommen und den er so viele Jahre über selber getragen hatte. Sie hatten Janas Tracht heute erst fertiggestellt, und wie sie jetzt vor ihm stand, die Farben des Schamanen im Gesicht und stolz lächelte, erinnerte sie ihn an sich selber vor viel zu langer Zeit.
      „Ich schwöre!“, antwortete sie todernst. „Ansonsten soll der Götter Rache mich gar schrecklich treffen!“
     Lu lächelte zufrieden. Er wusste, dass sie mit Luis' Hilfe die letzten paar Tage ununterbrochen geübt hatte, um die Antwort korrekt wiederzugeben.


Es erfüllte ihn mit Stolz, die beiden jungen Leute zu sehen, die von nun an den Weg gehen würden, den er bislang gegangen war. Aber gleichzeitig war es auch ein merkwürdiges Gefühl. Als er nach dem Gebet abdrehte, um der neuen Schamanin ihren Platz an der Seite der Stammesführerin zu überlassen, fühlte er sich merkwürdig leer.


Er fühlte sich plötzlich so losgelöst. So verloren. Wahrscheinlich war das nichts Ungewöhnliches, wenn man nach vielen Jahren seine Aufgabe beendete und an die nächste Generation übergab. Aber es war kein sehr schönes Gefühl.
      Und noch viel schlimmer wurde es, als er erkannte, dass er zu allem Überfluss auch noch allein war. Er hatte ihre heilige Stätte lange hinter sich gelassen und er hatte gehofft, dass wenigstens sein Wulfgar ihn erwarten würde. Doch er war nirgends zu sehen. Dabei hatte er ihm doch immer wieder davon erzählt, was für ein wichtiger Tag heute für ihn war! Wulfgar hatte nicht an der heiligen Zeremonie teilnehmen dürfen, aber er hätte wenigstens auf ihn warten können.


Eigentlich war es für Lu nichts neues, dass Wulfgar ihn versetzte. Dass alle anderen für seinen Gefährten wohl wichtiger waren als er. Aber Lu war trotzdem zutiefst enttäuscht. So sehr, dass er nicht einmal bemerkte, dass doch jemand gekommen war, um ihn zu erwarten.


Er musste ein paarmal blinzeln, bis er überhaupt erkannte, dass da mit einem Mal Tann vor ihm stand.
      „Jetzt hast du es also auch hinter dir“, begann er. „Man fühlt sich ein bisschen… aussortiert, was?“
      Lu lächelte schwach. „Ja, das kann man wohl so sagen.“
      „Zeit, dass du dein neues Leben kennenlernst. Na komm!“ Der Andere stockte, dann trat er an ihn heran und wischte ihm mit dem Ärmel über die Wangen. „Du hast da noch was, das du jetzt nicht mehr brauchen wirst.“
      Er zog sich wieder zurück und lächelte, aber Lu erkannte in seinen Augen dasselbe Gefühl von Verlorenheit, dass er auch gerade gehabt hatte. Das er noch immer hatte. Und es tat gut, zu wissen, dass er nicht allein war. Dass es jemanden gab, der ihn momentan verstand.


Jetzt war es also vorbei. Jetzt waren sie nicht mehr länger der Schamane und der Stammesführer, sondern nur noch Lu und Tann vom Uruk-Stamm.


Sie waren einst Freunde gewesen.


Liebhaber.


Dann hatte Lu geglaubt, dass Tann ein Fremder für ihn geworden war.


Doch obwohl sie sich vielleicht verändert hatten…


…obwohl sie verschiedene Wege gegangen waren und inzwischen eigene Familie hatten, hatte sich eines nie verändert.   


Sie waren noch immer die besten Freunde. Sie waren es immer gewesen.


Ein paar Stunden zuvor, noch vor der Zeremonie, war Luis zum Handelsposten gegangen, um seine Lehrstelle als Schreiber bei Alin zu kündigen.
      Lulu war mit ihm gegangen, hatte aber den Anstand gehabt, draußen zu warten und sich Sorgen zu machen. Und Wulfgar entschied, dass dies der perfekte Moment war, um sich mit ihr auszusprechen. Dass heute ein wichtiger Tag für seinen Gefährten war, hatte er schlichtweg vergessen.


Das lag wohl auch an dem Schrecken, den Lu ihm heute Morgen verpasst hatte. Sie hatten an diesem Morgen eine komplette Stammesversammlung abgehalten, in der Elrik verkündet hatte, mit Alin lossegeln zu wollen, um nach Anya zu suchen. Und nicht nur das.


Lu war plötzlich vorgetreten und hatte gebeten, mitgehen zu dürfen. Wulfgar war beinahe das Herz stehengeblieben, als er das gehört hatte. Er wusste, dass Lu bloß fort wollte, weil er Luis und Jana eine Chance geben wollte, sich allein zu beweisen. Jana war sich ihrer Sache noch immer so ungewohnt unsicher, dass sie sonst wahrscheinlich die nächsten hundert Jahre nicht übernehmen würde, wie er wusste.


Doch das änderte nichts daran, dass Wulfgar das überhaupt nicht gerne sah.
      „Das kommt nicht in Frage!“, hatte er deshalb bestimmt. „Das ist viel zu gefährlich. Ich gehe stattdessen mit, aber Lu bleibt hier!“


Lu hatte da schon ausgesehen, als würde er sich das nicht gefallen lassen, aber es war trotzdem Luis gewesen, der für ihn gesprochen und gesagt hatte: „Du wirst ihn sowieso nicht aufhalten können. Es ist auch wichtig, dass er mitgeht.“


‚Nicht nur für sich und dich‘, hatte Luis gedacht, aber er hatte es nicht laut ausgesprochen.
     Seitdem er von den Göttern Visionen geschickt bekam, war sein Wort in solchen Dingen absolut. Wulfgar hatte nichts mehr sagen können, und alles, was er tun konnte, war, Elrik und Lu zu begleiten, um auf seinen hilflosen Gefährten aufzupassen.


Deshalb aber war dies die letzte Chance für ihn, sich mit Lulu auszusprechen, bevor sie losfuhren. Seitdem er im Stall gehört hatte, was er im Nachhinein lieber nicht erfahren hätte, war sie ihm aus dem Weg gegangen, und er hatte sie bislang auch in Ruhe gelassen. Aber das konnte so nicht weitergehen.
     Also stellte er sich ihr. „Lulu, können wir mal reden?“
     Sie wirbelte erschrocken herum und im nächsten Augenblick hatte sie die Flucht ergriffen.


Doch er ließ sie diesmal nicht. Er hielt sie am Arm zurück und sagte unglücklich: „Ich weiß, dass du nicht mit mir reden willst, aber bevor ich weggehe, will ich das mit dir geklärt haben.“ 


Er ließ sie los und sie blieb glücklicherweise, wo sie war. Nicht, dass sie ihm den Gefallen tat, zu reden. Oder ihn anzusehen. Ihr erschrockener Blick klebte am Boden, und er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte. Er wollte dieses Gespräch ja auch nicht führen.
      „Hör mal… also… tut mir echt leid, was da passiert ist. Also, die Sache, dass ich… du-du bist echt eine großartige Frau, weißt du“, stotterte er, „und… ähm…“
     Was sollte er ihr sagen? Dass, wenn er Frauen mögen würde, sie seine erste Wahl wäre? Das klang so falsch. Und sie sagte, verdammt nochmal, immer noch nichts.


Er seufzte und dann schaffte er es, sich zusammenzureißen. „Was ich dir damit sagen will, ist, dass du mir sehr wichtig bist, Lulu. Wir sind eine Familie und ich will nicht, dass das jetzt einfach kaputt ist.“
     ‚Das hast du mir schon mal gesagt. Dass wir eine Familie sind. Das hat mich damals so tief berührt, dass ich mich letztendlich in dich verliebt habe. Du Blödmann! Warum konntest du mich nicht einfach in Ruhe lassen?‘, dachte Lulu, doch sie konnte es ihm nicht sagen. 
     Sie sagte vieles nicht, aber Wulfgar war eine wunderbare Zeit lang jemand gewesen, dem sie alles hatte sagen können. Bis auf die Sache mit der Liebe natürlich. Dennoch war ihr das unheimlich wertvoll gewesen und sie hasste Lu noch immer dafür, dass er das einfach zerstört hatte. Seitdem hatte sie niemanden mehr, dem sie sich anvertrauen konnte.


„Ich weiß, dass du immer alles in dich reinfrisst“, fuhr er fort. „Tu das nicht! Ich bin noch immer für dich da, hörst du?“ Er rang sich ein Grinsen ab, das arg schief wurde. „Und wenn du nicht redest, dann quatsch ich dich halt voll, also solltest du lieber wieder mit mir reden. Du weißt, wenn ich muss, dann kann ich immer reden. Auch wenn ich nix zu sagen habe. So wie jetzt.“
     Ja, das war der Grund, warum sie sich in ihn verliebt hatte. Wie er sich um sie bemühte, diese wundervolle Art, sie zu erreichen, wie sie es nie zuvor erlebt hatte. Ihr war zum Heulen zumute, wenn sie daran dachte, dass sie ihn verloren hatte.


In dem Moment, als ihr die Tränen darüber kamen, ging glücklicherweise die Tür hinter ihr auf, Luis kam heraus und sie schlüpfte ins Innere. Floh vor Wulfgar, damit er ihre Tränen nicht sah. Mal wieder. Wann nur würde sie endlich über ihn hinwegkommen?


„Ich habe dir gleich gesagt, dass du keinen Blinden anheuern sollst!“, schreckte Marduks wütende Stimme sie jedoch gleich wieder aus ihrer Verzweiflung. „Das war reine Geldverschwendung!“
     „Es gibt wichtigeres im Leben als Geld, Marduk. Vielleicht wirst du das eines Tages auch noch erkennen“, gab der andere Händler ruhig zurück.
     „Das weiß ich auch jetzt schon. Aber das gehörte ganz sicher nicht dazu!“
     Lulu erschrak, als ihr bewusst wurde, wo sie sich gerade befand. Mitten in Alins Laden. Mit den beiden Händlern darin. Nachdem ihr Sohn gerade seinen Posten als Schreiber gekündigt hatte.
     Der Schrecken darüber trocknete ihre Tränen sofort und im nächsten Moment war da nur noch Scham in ihr. Weil sie hier war, weil sie gelauscht hatte und weil ihr Sohn seine Pflichten vernachlässigte.


Da drehte sich blöderweise der ältere der beiden Händler um und bemerkte sie natürlich auch noch. Er erschrak tatsächlich.
     „Ach, junge Frau, hast du mich erschreckt!“, sagte er.
     Junge Frau? Sie lieferte sich momentan einen Wettlauf mit ihrem ältesten Bruder Tann darum, wer schneller von ihnen grau wurde. Machte er sich etwa über sie lustig?
     „Was kann ich denn für dich tun?“, fragte er und kam zu ihr rüber.
     Ach ja, da war ja noch was. Sie sollte sich schämen.


„Ähm… also… wegen meinem Jungen…“, begann sie stotternd und fügte dann hastig hinzu: „Es tut mir leid, dass er gekündigt hat und euch im Stich lässt. Aber-aber ich springe gern für ihn ein, solange, bis du einen neuen Schreiber gefunden hast.“
     Was? Wann hatte sie das denn beschlossen? Verdammt, jetzt konnte sie aber schlecht noch einen Rückzieher machen.
     Der Händler blinzelte überrascht, lächelte dann aber milde. „Du bist Luis' Mutter“, stellte er fest. „Ich erinnere mich an dich. Du hast ihm manchmal geholfen, wenn du dachtest, ich schau nicht hin. Du hast eine ziemlich schnelle Auffassungsgabe.“


Moment, er dachte doch nicht wirklich darüber nach, ihr Angebot anzunehmen?
     „Nun, da du ja bereits eingelernt bist, bist du wohl ohnehin prädestiniert für die Stelle.“ Er wies hinter sich in die Dunkelheit des Ladens. „Ich werde die nächste Zeit nicht da sein, also wird Marduk dir alles Weitere erklären.“
    Nicht auch das noch! Sie brauchte nicht mal nachzuschauen, um zu sehen, dass der Andere davon überhaupt nicht begeistert war. Er war nur schlau genug, dem Älteren nicht reinzureden.  
     Das einzig Gute daran war, dass sie so auch in Zukunft von Wulfgar wegkommen würde.


So kam es, dass Elrik, Wulfgar und Lu keine drei Tage später am Hafen standen, um sich zu verabschieden.


Der ehemalige Stammesführer, nach wie vor schweigsam, stand am Bug, als sie losfuhren, und Lu winkte den Zurückbleibenden gerade zum Abschied.


Doch Wulfgar blickte lieber auf den langen Weg, der vor ihnen lag. Er hatte nicht mehr gedacht, diese Gegend jemals wieder zu verlassen und er war ein bisschen aufgeregt deswegen. Besorgt, weil er wusste, wie gefährlich es da draußen zugehen konnte, aber vor allen Dingen aufgeregt.


Und das allerbeste war, dass er diesmal nicht allein war. Dass diesmal derjenige, den er liebte, bei ihm war. So, wie er es sich schon damals gewünscht hatte. Auch wenn er sich Sorgen machte, hatte er Lu schon immer mal die Welt zeigen wollen, und genau das würde er tun.
    Er hatte ja keine Ahnung, was auf sie zukommen würde.


Derweil saß Hana an einem anderen Ort in ihrem kleinen Verschlag von einem Zimmer und seufzte schwer. Sie war mit dem Möchtegernkapitän des letzten Schiffes, das sie mitgenommen hatte, aneinandergeraten und er hatte sie hier ausgesetzt.
     Und jetzt saß sie hier fest, in diesem „Gasthaus“ mitten im Nirgendwo, in dem die Zimmer kaum größer waren als die Zelle eines Verlieses. Winzig und trostlos. Und es war kein Schiff und damit keine Möglichkeit für sie in Sicht, von hier fortzukommen. Dabei war sie es so leid, diese schreckliche, kratzende Verkleidung zu tragen, damit niemand auf die Idee kam, mal in ihrer Truhe nachzusehen, ob sie nicht doch ein bisschen reicher war als sie tat.
     Als sie sich gerade überlegte, ob sie ihre Truhe vielleicht doch zu Fuß transportiert bekam, klopfte es an die Tür.


Sie öffnete vorsichtig und schlüpfte dann hastig hinaus, als sie sah, dass da nur ein Mädchen vor ihrer Tür stand. Sie war ihr nicht auf Augenhöhe und ihre Kleidung wirkte auch viel zu bunt und auffällig an diesem tristen Ort. Scheinbar war sie sich nicht bewusst, in welch gefährlicher Gegend sie sich befand.  
     „Ich suche jemanden namens Wulfgar“, sprach das Mädchen mit dem säuerlichen Gesichtsausdruck beim dritten Versuch in einer Sprache, die Hana verstehen konnte. „Er ist so groß wie du und soll Gerüchten zufolge mir ähnlich sehen, nur in potthässlich.“
     Hana überlegte einen Moment, dann lächelte sie berechnend. Sie kannte einen Wulfgar, auch wenn es sicherlich nicht der war, den das Mädchen vor ihr suchte.
     „Nun, ich kenne einen Mann mit diesem Namen, aber ich sitze leider gerade hier fest.“


Da wurde das saure Gesicht der Anderen noch unwilliger, aber schließlich rief sie den beiden Gestalten hinter sich, die ebenso bunt waren wie sie, in einer fremden Sprache etwas zu. Während die jüngere der beiden daraufhin in Freudenjubel ausbrach, erhob sich ihr Begleiter, der bislang versucht hatte, den Betrunkenen in der Ecke wach zu bekommen.
     Und als Hana jenen kurz darauf vor sich stehen hatte, stellte sich heraus, dass sie gar nicht mehr lügen brauchte.
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 Hier weiterlesen -> Kapitel 101

Damit schließen wir das 100. Kapitel von Zeitalter ab. Es war ein bisschen holprig, aber ich musste mal ein paar Dinge in Gang bringen. Der Name des Kapitels ist übrigens eine Hommage an "Kapitel 15 - Beste Freunde und...?", in dem Lu Tann seine Gefühle gesteht. Aber keine Angst, Tann wird jetzt nicht plötzlich bei Wulfgar und Lu reingrätschen. Ich wollte Tann und Lu einfach nur ein für alle Mal als Freunde zusammenführen. 

100 Kapitel müssen gefeiert werden und da dachte ich mir, dass es doch ganz schön wäre, zu den Wurzeln zurückzukehren. Ich spiele schon eine ganze Weile mit dem Gedanken, Rahns Kindheit und Jugend im Zoth-Stamm ein bisschen zu behandeln, und als kleinen Auftakt davon habe ich hier vier kleine Kapitel dazu, wie es überhaupt zu Rahns Entstehung kam (nein, keine Bienchen und Blümchen ;P ). Sie sind voll bebildert und alle vier zusammen ungefähr so lang wie ein reguläres Zeitalter-Kapitel. Hier der erste Teil und an dessem Ende findet ihr dann den Link zum jeweils nächsten Teil.




Den Rest, wo Rahns Kindheit und Jugend dann behandelt wird, habe ich noch nicht geschrieben, es soll aber bis Anfang Dezember fertig sein (überhaupt nicht zum zweijährigen Jubiläum ;P). Diese 4 Teile hier gehören aber schon dazu.
Ich muss ja ehrlich sagen, dass ich nie gedacht hätte, dass Zeitalter jemals so viele Kapitel haben wird, und ich bin auch noch lange nicht am Ende. Ich habe es im Simforum letztens schon mal geschrieben, aber ich schreibe es hier noch mal: Momentan befinden wir uns im letzten Simsjahr der Geschichte. Stürmischer Frühling, heißer Sommer und regenreicher Herbst (in dem wir uns gerade befinden), dann noch der Winter und danach soll es vorbei sein. Trotzdem hab ich noch so viel zu erzählen, dass ich schon wieder am Kürzen bin. Stellt auch auf 20+ Kapitel noch ein.

Nächstes Mal dann begleiten wir die drei Seefahrer auf ihrer Reise und...  *Spoilerdrang unterdrück*... Ich kann gar nicht sagen, wie lange ich schon darauf warte, endlich zu dem Abschnitt zu kommen, der nächsten Kapitel anfangen wird X) !

Bis dahin, danke ich euch, dass ihr so lange mitgelesen habt. Für euer fortwährendes Feedback und eure Aufmerksamkeit. Denn ohne euch hätte ich bestimmt nicht 100 Kapitel durchgehalten!
Bis zum nächsten Mal!   

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