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Mittwoch, 19. September 2018

Kapitel 3 - Bärenkrallen


Ura führte uns zielstrebig durch den dichten Wald. Ich hatte es für besser befunden, Eren zwischen uns laufen zu lassen, obwohl der immer wieder darauf bestanden hatte, die Nachhut zu bilden. Aber so ein kleiner Unfall, bei dem man dann plötzlich ein Beil im Rücken hatte, war mir doch ein bisschen zuwider.
      Es dauerte nicht lange, bis schließlich in der Ferne ein Gebilde auftauchte, das so klein und vollbeladen mit Schnee war, das ich es erst beim zweiten Blick als menschengemacht erkannte. Dennoch musste ich erst davorstehen, um auch zu sehen, dass es sich dabei um ein Haus handelte. Auch wenn es das merkwürdigste Haus war, das ich je gesehen hatte. Es war so niedrig, dass ich problemlos über das spitze Dach hinweg schauen konnte. Ein enger Abstieg führte runter zum Eingang und wäre der nicht gewesen, hätte ich wirklich Sorge gehabt, überhaupt da reinzupassen. Wie es schien, hatte man den unteren Teil des Hauses tatsächlich in die Erde gegraben. Sowas Verrücktes!
      „Du gehst jetzt besser nach Hause, Eren“, lenkte Uras Stimme mich schließlich von dem eingesunkenen Haus ab. Sie klang ziemlich abweisend. Als ich nachsah, sah sie auch genau so aus.
     „Ich kann dich doch mit dem da nicht allein lassen!“, protestierte er.
     „Du bist lang genug hier gewesen. Geh endlich nach Hause!“
     Da herrschte scheinbar dicke Luft zwischen den beiden. Ich nahm mir vor, bei Gelegenheit mal nachzufragen, aber momentan wollte ich nur, dass die beiden endlich fertig wurden und ich nach drinnen kam. In die Wärme. Zum Essen. In ein warmes Schlaffell.
      Eren jedenfalls sah nun auch ein, dass es keinen Zweck hatte, zu diskutieren. Stattdessen ließ er mir noch einen warnenden Blick und ein „Lass ja deine Finger bei dir!“, da, was mir herzlich egal war, und dann war er verschwunden. Ich nahm mir vor, ihn beim nächsten Mal zum Kampf zu fordern, aber momentan war ich einfach zu kaputt dafür. Das wäre nicht sonderlich fair für mich.
      Ura machte sich nicht einmal die Mühe, Erens Gehen abzuwarten. Sie war schon hinter den Fellen verschwunden, die den Eingang verhüllten und die Kälte vom Eindringen abhalten sollten. Ich hoffte nur, dass sie das auch taten. Meine Hände waren inzwischen wieder so kalt, dass ich mich fragte, ob ich sie überhaupt jemals wieder spüren würde. Also folgte ich ihr schnell nach drinnen.

Es war ein kleines Haus und dementsprechend eng gepackt war das Innere. Eine Feuerstelle brannte einladend in der Mitte, an der hinteren Wand erkannte ich Schüsseln und Töpfe. Linkerhand war der Boden mit Fellen ausgelegt, die mich momentan einladend begrüßten. Auf der rechten Seite befanden sich Holz, Werkzeuge und Waffen. Es roch nach Rauch, Erde und Brot, was mein Magen gleich einmal zum Knurren brachte.
     Als ich eingetreten war, schluckten die Felle vorm Eingang das spärliche Tageslicht, das von draußen hereingekrochen war und es war wieder so düster und behaglich, wie ich es auch von Zuhause kannte. Trotzdem brauchten meine Augen länger als gewöhnlich, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Ich war viel zu lange draußen in der grellen Schneelandschaft gewesen.  
     „Du bist bestimmt hungrig. Ich habe noch ein bisschen Eintopf übrig. Setz dich solange.“
     Ich tat, wie mir geheißen und nahm an der Feuerstelle Platz. Mir war zwar noch immer schweinekalt, aber dennoch legte ich Jacke und Handschuhe ab.  
     Ich hörte Ura hinter mir mit Geschirr hantieren, während ich die Zeit nutzte, die Hände überm Feuer auszustrecken, und dann hatte ich schließlich eine köstlich riechende Schale Eintopf vor mir. Sie war zwar leider nicht mehr wirklich warm, aber das interessierte mich momentan überhaupt nicht. Hastig schnappte ich mir die Schüssel und verschlang meine erste ordentliche Mahlzeit seit Tagen, während auch Greta/Pina endlich was zum Fressen bekam. Es schmeckte ganz köstlich.   
     „So, du bist also mit dem Boot übers Meer gekommen. Was hat dich nur dazu gebracht, so etwas im Winter zu machen?“, fragte Ura, als sie sich neben mir am Feuer niederließ. Eine Hand ruhte auf Gretas/Pinas Kopf, die inzwischen selig an einem Knochen nagte.
     Ich zuckte mit den Schultern. Ich war viel zu sehr mit Kauen beschäftigt.
     „Hast du keine Familie mehr?“
     „Doch“, brachte ich zwischen zwei Bissen hervor. Bevor sie weiter nachfragen konnte, fragte ich: „Was ist mit dir? Lebst du allein hier?“
     „Nicht weit von hier gibt es eine Siedlung. Eren kommt von da. Ich und Erin haben da auch mal gelebt, bevor wir hierhergekommen sind.“
     Dann schwieg sie und ich konnte nicht sehen, was in ihr vorging, da ihr Gesicht im Feuerschatten lag. Also sagte ich auch nichts mehr, sondern wandte mich wieder meinen Eintopf zu. Als ich gerade überlegte, nach einem Nachschlag zu fragen, regte sich plötzlich etwas im Hintergrund. Ich hörte ein leises Grummeln und als Ura es hörte, war sie auf den Beinen. Sie ging zur Schlafecke rüber und kurz darauf erschien ein zerzauster Kopf zwischen den Fellen. Es war ein Kind.
     „Mama“, nuschelte es schlaftrunken, und dann aufgeregt: „Hast du Papa gefunden?“
     Ura antwortete zuerst nicht, sondern strich dem Kind beruhigend über den Kopf, obwohl sie selber viel aufgewühlter aussah. Das konnte selbst ich bei all der Dunkelheit hier erkennen.
     „Dein Papa wird nicht zurückkommen. Er hatte einen Unfall.“
     „Geht es ihm gut?“, kam aufgeregt zurück. Offensichtlich verstand das Kind nicht.
     „Nein. Er ist tot.“
     „Tot? So wie Uri und Marik?“
     „Ja… so, wie Uri und Marik… Aber dafür ist ja Wulfgar jetzt da.“
     Zwei weiße Punkte erschienen in der Dunkelheit, als das Kind mich mit großen Augen anstarrte, und sie trafen mich so unvorbereitet, wie Uras Worte. Einen Moment lang war alles wie erstarrt und ich kam mir ein bisschen so vor, als hätte ich was Falsches gemacht. Dann warf sich das Kind schließlich in die Felle und begann lauthals zu weinen. Ura strich ihr über den Rücken, sagte aber nichts mehr. Ihr Gesicht war so ausdruckslos, dass es mich ein bisschen erschreckte.
     „Mo-moment mal!“, fand ich da meine Stimme wieder. „Es tut mir ja leid, was euch passiert ist, aber ich hab nicht vor, hierzubleiben. Ich hoffe, das weißt du.“
     „Ach was!“, tat Ura ab. „Du bist zwar vielleicht noch ein bisschen jung, aber ich bin mir sicher, dass du einen guten Mann abgeben wirst. Und ich versichere dir, dass ich eine gute Frau bin. Ich weiß alles, was eine Frau wissen muss.“
     Warte, was?
     „Das mag ja sein, aber ich bin gerade unterwegs, um die Welt zu bereisen.“
     „Welt bereisen! Papperlapapp! Wieso solltest du so etwas denn tun? Ein Mann sollte sich eine Frau suchen und eine Familie gründen. “
     „Ich wusste nicht, dass du meine Mama bist, dass du mir sagst, was ich machen soll. Das ist ja wohl meine Entscheidung, was ich mache“, erwiderte ich etwas beleidigt. „Und ich will die Welt sehen.“
     Doch Ura zuckte nur unbeeindruckt mit den Schultern. „Momentan reist du nirgends hin. Dein Boot ist gesunken, nicht wahr? Also wirst du vorerst hierbleiben müssen. Und da haben wir genug Zeit, uns aneinander zu gewöhnen, du und ich. Und bis dahin kannst du mir auch beweisen, dass du überhaupt weißt, was ein Mann wissen muss. Weil mithelfen musst du sowieso, wenn du mitessen willst, das ist ja klar. Uns gehen langsam nämlich die Vorräte aus.“
     Ich konnte nicht fassen, wie selbstverständlich diese Frau annahm, dass ich bei ihr bleiben würde. Leider hatte sie mit einem aber recht: Ich hatte momentan keine andere Wahl, als hier zu bleiben. Obwohl sich alles in mir dagegen sträubte, blieb ich also still. Sollte sie doch glauben, was sie wollte, ich würde ganz sicher nicht hierbleiben. Wenn der Frühling kam, würde ich schneller von hier weg sein, als sie würde gucken können.
     Ich erhob mich. „In Ordnung, ich werd mithelfen. Wo soll ich anfangen?“ Ich wollte gerade nur noch raus hier. Weg von dieser Frau. Ihre Art hatte ein bisschen was von meinem Vater und das konnte ich momentan überhaupt nicht ertragen.  
      „Ruh dich heute noch aus, bis ich dir etwas Passendes genäht habe“, sagte sie, während sie auf meine Kleidung wies. „Bis du da reingewachsen bist, solltest du etwas haben, dass dir auch passt. Bis dahin kannst du draußen Feuerholz spalten. “
     Ich korrigiere mich; sie erinnerte mich doch mehr an meine Mutter. Diskussion zwecklos. Also zog ich Jacke und Handschuhe wieder an und verließ den kleinen Raum fluchtartig. Plötzlich war ich doch ganz froh, wieder draußen in der Kälte zu sein.

Ich schlug das Beil mit voller Kraft in das Holz, das sich sauber in der Mitte teilte. Neben mir stapelte sich bereits ein unordentlicher Haufen an gespaltenen Holzscheiten, der locker ausreichen würde, um das Feuer die nächsten zwei Tage am Leben zu erhalten. Aber dennoch legte ich ein weiteres Holz auf und schlug erneut zu. Diesmal noch kräftiger. Ein weiteres. Noch mehr Kraft.
      Das ging eine Weile lang gut, bis ich schließlich einen schlechten Winkel traf und mein Beil am Holz abrutschte. Ich wurde beinahe von den Füßen gerissen, schaffte es aber, mich rechtzeitig zu fangen. Erschöpft richtete ich mich wieder auf und strich mir den Schweiß von der Stirn. Es hatte gut getan, sich durch die anstrengende Arbeit auszulaugen. Die letzten beiden Tage war ich dank Kälte und Hunger so entkräftet gewesen, dass ich mich kaum noch lebendig gefühlt hatte. Aber seitdem mein Bauch endlich wieder mal voll war, war es, als wäre ich wieder ich selbst.
      Meine Kraft war zu mir zurückgekehrt, aber damit auch die Wut. Ich warf das Beil in einem hohen Bogen achtlos in den Schnee und wandte mich ab, um pinkeln zu gehen. Greta, die beim Haus saß und mir bislang bei der Arbeit zugesehen hatte, trottete daraufhin an meine Seite.
      Ich schaffte es gerade so, die Umrisse eines kleinen Bootes in den Schnee zu pinkeln, aber das half mir auch nicht, meine Wut zu mindern. Als ich mich wieder anzog und mein Werk betrachtete, musste ich nur wieder an Lu denken, wie er damals ein Boot für mich in den Schnee gemalt hatte und da wurde meine Laune noch schlechter. Mir fiel auf, dass ich in letzter Zeit ziemlich häufig an diesen Blödmann gedacht hatte und das sogar mit Bedauern. Wie war ich nur darauf gekommen? Ich musste wirklich halb tot gewesen sein die letzten beiden Tage über.   
      Ich trat eine Ladung Schnee über mein unvollendetes Werk, weil ich nicht mehr an Lu denken wollte und ich nahm mir vor, dass dieser Blödmann es nicht wert war, dass ich überhaupt noch an ihn dachte. Ich musste mich momentan schon mit dieser komischen Ura rumschlagen, das reichte mir schon zur Genüge.
      Ich wandte mich genervt Greta zu, die mich noch immer ansah, und kraulte sie hinter den Ohren. „Ich weiß schon, warum ich manchmal lieber allein bin. Dein Frauchen ist echt anstrengend, weißt du. Das wird echt heiter, es mit ihr den ganzen Winter über auszuhalten.“ Ich seufzte, drehte mich um und hob das Beil auf, um mit dem Holzspalten fortzufahren. „Eigentlich wollte ich die Welt sehen, aber was mache ich jetzt? Dasselbe, wie Zuhause.“
     Es war beinahe zum Lachen, aber was sollte ich machen? Momentan saß ich hier fest. Ich hatte kein Boot und ich war ja schon froh, dass ich überhaupt irgendwo unterkommen konnte.
     Ich seufzte erneut und wollte mit meiner Arbeit fortfahren, aber da fiel mir auf, dass das Kind hinter mir am Hauseingang stand. Es warf mir einen erbarmungslosen Blick zu und stapfte dann durch den Schnee, bis es dicht vor mir stand. Bei Tageslicht betrachtet sah es nach einem Mädchen aus. Sie war vielleicht eine Handvoll Finger alt, hatte ein schmutziges Gesicht und dieselben nussbraunen Haare und Augen, wie ihr Vater.
     „Ich mag dich nicht“, verkündete sie trotzig. „Wegen dir ist Papa nicht hier. Und dabei will ich, dass er hier ist, und du nicht.“
      „Weißt du, auch wenn ich nicht hier wäre, wäre dein Vater trotzdem nicht hier“
     „Das lügst! Du hast ihn bestimmt tot gemacht!“
     „Na hör mal, ich hab deinen Vater ganz sicher nicht getötet!“
     „Warum hast du dann seine Sachen an, hä? Du hast sie ihm geklaut!“
     Ich konnte noch nie gut mit kleinen Mädchen. Wenn es Probleme mit meinen Brüdern gegeben hatte, haben wir das immer auf die gute alte Art gelöst: Mit einer ordentlichen Rauferei. Aber mit den Mädchen konnte man in den meisten Fällen leider nicht raufen. Meine Schwestern wussten auch, dass sie nur große Augen machen mussten, damit ich tat, was auch immer sie wollten. Gegen Tränen war ich auch ziemlich machtlos.
     Ich hatte also keine Ahnung, was ich mit diesem kleinen Mädchen hier machen sollte. Ich öffnete meinen Mund, weil ich aber ja trotzdem was sagen musste, aber sie ließ mich nicht zu Wort kommen. Sie verlor sich in ihrer Wut.
      „Ich hasse dich! Ich hasse dich! Ich hoffe, du wirst von einem Bären gefressen!“
     Dann war sie wieder nach drinnen verschwunden und obwohl ich Mitleid mit ihr hätte haben sollen, konnte ich nicht anders, als ein bisschen wütend zu sein. Ura hatte auf den Tod ihres Mannes so gut wie gar nicht reagiert – was ich schon merkwürdig fand – aber immerhin war es nichts Ungewöhnliches, dass jemand starb. Ich selber hatte schon so viele Leute sterben sehen, dass ich gar nicht genug Finger hatte, um das zu zählen.
     ‚Trotzdem, sie ist noch ein Kind‘, rief ich mir in Erinnerung. ‚Ich sollte ein bisschen Nachsicht mit ihr haben. Ich bin schließlich der Ältere hier.‘
     Ich seufzte und dann wandte ich mich wieder dem Holzspalten zu. Hoffentlich würde dieser Winter schnell vorbeigehen.

Den restlichen Tag verbrachte ich mit Holzhacken und kleineren Arbeiten im Haus. Das Beil war etwas locker, der Speer musste nachgeschliffen werden, solche Dinge eben. Zwischendurch kam Ura immer wieder an, um zu gucken, ob mir passte, was sie nähte, aber sprechen tat sie dabei so gut wie gar nicht. Ich versuchte ein paar Mal, was von ihr zu erfahren, aber sie wiegelte mich immer wieder ab. Immerhin erfuhr ich, dass das kleine Mädchen, das mich die ganze Zeit über wohl versuchte, mit ihren bösen Blicken zu vertreiben, Mari hieß.
     Eigentlich erzählte ich ja gerne, aber Ura und Mari waren kein gutes Publikum. Die Mutter war auch irgendwie merkwürdig schweigsam, und ich hatte das Gefühl, dass sie mir was verheimlichen wollte. Also erzählte ich auch so gut wie nichts von mir. Weshalb es den restlichen Tag ziemlich ruhig in der Hütte war. Ich war schon froh, als es dann endlich Schlafenszeit war.
     Ich fiel schnell in einen tiefen Schlaf, aus dem ich dann plötzlich aufgeweckt wurde, als mich etwas zu überfallen versuchte. Zuerst wollte ich mich wehren, aber als ich dann merkte, dass es Ura war, die mich umklammert hielt, sah ich davon ab, um mich zu schlagen. Trotzdem fand ich das nicht so toll. Ich dachte, sie würde mich im Schlaf überfallen, und ich wollte sie schon wegstoßen, aber da hörte ich schließlich, dass sie weinte. Also ließ ich sie in Ruhe, auch wenn mir das alles andere, als gefiel und ich ewig brauchte, um wieder einzuschlafen. Der Tod ihres Mannes hatte sie wohl doch mehr mitgenommen, als es den Anschein gehabt hatte.  
    
Am nächsten Morgen erwachte ich als Letzter und ich wurde bereits vom Duft des Frühstückes empfangen. Es gab wieder einen Getreidebrei, wenn diesmal auch mit getrockneten Früchten und Nüssen. Ura war tatsächlich eine ausgezeichnete Köchin. Immerhin das tröstete mich ein bisschen über die Aussicht hinweg, den Winter über hier eingesperrt zu sein.
     Es war nicht lange her, dass wir uns zum Essen gesetzt hatten, als plötzlich eine Gestalt am Eingang erschien. Das grelle Licht von draußen blendete mich, sodass ich erst, als Ura schon aufgestanden war, erkannte, dass es Eren war, der gerade Anstalten machte, ins Haus zu kommen. Ura aber ließ ihn nicht. Sie schob ihn unsanft wieder hinaus und beide wurden mit dem Licht zusammen von den Fellen verschluckt. Mari ließ mir noch einen bösen Blick da, bevor sie ihnen folgte.
      Ich war ja auch neugierig, was da vor sich ging, aber ich aß dennoch erst auf, bevor ich ebenfalls nach draußen ging. Ura und Mari standen mit dem Rücken zu mir, sodass ich nicht sehen konnte, was in ihren Gesichtern vor sich ging. Erens Blick dafür traf mich sofort.
     „Da bist du ja endlich, Junge!“, rief er, als würde er sich echt freuen, mich zu sehen. Gruselig. „Ich hoffe, du hast die Pfoten von meiner Ura gelassen.“
    „Ich bin nicht deine Ura!“, kam von ihr protestierend.
     Doch Eren ignorierte sie und ich tat es auch. Ich ging zu ihm und stellte mich vor ihm auf. Herausfordernd sah ich ihn an. „Gut, dass du hier bist. Ich hab wegen gestern noch eine Rechnung mit dir offen. Ich hab nicht vergessen, was du mir vorgeworfen hast.“ Ich hob die Fäuste. „Das müssen wir noch klären. Also komm und stell dich mir!“
     Eren sah mich an, als hätte ich nicht mehr alle. Wahrscheinlich war es auch genau das, was er dachte. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. Ich hätte nicht gedacht, dass er überhaupt dazu fähig war, zu lachen. „Ich prügel mich doch nicht mit dir halber Portion! Du bist ja überhaupt kein Gegner für mich!“
     „Dann beweis es!“
     Da schaute er, als ob er wirklich drüber nachdachte. Aber nur kurz. Ein überlegenes Grinsen stahl sich auf sein Gesicht und es kam mir so vor, als wäre er ein bisschen schadenfreudig. „Wenn du dich mit mir messen willst, kannst du das gern bei etwas Nützlichem tun.“ Er wandte sich ab und sagte: „Schnapp dir eine Waffe, wir gehen jagen!“
     Jagen! Ausgerechnet! Ich hätte ja gerne vorgeschlagen, dass wir einen Fischwettbewerb draus machten. Ob mit Reuse, Angel, Netz oder Speer – beim Fischen konnte mir kaum jemand das Wasser reichen. Aber jagen…
      Ich konnte mir jedoch vor Eren und den Mädchen auch nicht die Blöße geben, zu zeigen, dass ich vom Jagen weniger Ahnung hatte. Es war ja auch nicht so, dass ich noch nie Jagen war. Mein Vater hätte mir dir Ohren langgezogen und Wulfric hätte mich als Geist noch ausgelacht, dass ich so eine Memme bin, wenn ich mich geweigert hätte, mitzugehen. Es war nur so, dass ich nie was erlegt hatte. Ich hatte unsere Jagdausflüge halt lieber damit verbracht, meinen „unsinnigen Dingen“ nachzujagen, anstatt Wild.
      Das konnte ja heiter werden. Aber ich hatte wohl keine andere Wahl. Ich sollte wohl froh sein, dass Eren mit mir jagen ging. Im Gegensatz zu mir verstand er wahrscheinlich was davon. Also stählte ich meinen Blick, nickte und verschwand dann nach drinnen, um mich zu bewaffnen. Das würde schon irgendwie schiefgehen.

Ich war froh, dass Ura eine schnelle Näherin war, sodass ich heute wenigstens eine Hose hatte, die mir nicht dauernd in den Kniekehlen hing. Meine Schuhe hatte ich notdürftig mit Heu ausgestopft, was mir zwar dauernd in die Zehen stach, aber immerhin kam ich nun wesentlich besser vorwärts. Und das musste ich auch, denn Eren nahm nicht wirklich Rücksicht auf mich. Für seine breite Statur war er ganz schön schnell und wendig.  
     Er schien mich durch den ganzen Wald zu schleifen, bis er endlich wieder anhielt. In der Ferne war eine Felswand zu sehen, in der uns der Eingang einer Höhle dunkel angähnte. Ich mutmaßte, dass er darauf zuhielt.
     „Siehst du die Höhle da vorne?“, bestätigte er meine Vermutung flüsternd. „Da drin schläft ein Bär.“
     Ich konnte nicht verhindern, dass ich blass wurde. „Ein Bär?“, rief ich beinahe ein bisschen zu laut. „Bist du bescheuert?“
     „Mach dir nicht in die Hose! Der schläft ja. Bären halten Winterschlaf, falls du das nicht weißt.“ Er sah überlegen auf mich hinab. „So etwas solltest du eigentlich wissen.“
     Ich wusste das, aber ich hatte noch immer zu sehr mit der Erkenntnis zu kämpfen, dass dieser Kerl tatsächlich vorhatte, einen Bären zu erlegen. Selbst ich wusste, dass man sich von Bären lieber fernhielt, wenn man nicht die entsprechende Mannesstärke hatte. Und zwei Leute waren ganz sicher nicht die entsprechende Mannesstärke! Wir hatten ja nicht einmal Greta mitgenommen!
     „Traust du dich etwa nicht?“, riss seine Stimme mich aus den Gedanken. „Wenn du Angst hast, dann geh zurück, spiel mit Mari und überlass Ura einem echten Mann wie mir.“
     Da lag der Hase also begraben. So viel dazu, dass er ihr Vater sein könnte.
     „Mach doch, was du willst! Deine Ura interessiert mich überhaupt nicht“, stellte ich klar.
     „Erzähl nicht!“ Plötzlich stand er bedrohlich vor mir. „Du bist doch scharf auf meine Ura! Aber bevor du sie kriegst, musst du erst mal beweisen, dass du auch für sie sorgen kannst!“
     Ich hatte überhaupt keine Lust drauf, mein Leben zu riskieren, weil Eren mit mir um Ura buhlen wollte. Doch der Holzkopf hörte mir ja nicht zu. Außerdem konnte ich nicht auf mir sitzen lassen, dass er mich für einen Angsthasen hielt. Ich wusste vielleicht nicht, was ich tat, aber ich würde bestimmt nicht kneifen.
     „Denk doch, was du willst!“, brachte ich das Thema zu einem Abschluss. „Lass uns lieber zusehen, dass wir den Bären erlegen und nach Hause bringen. Die Mädchen verlassen sich auf uns.“
     Eren sah mich darauf mit einem Blick an, den ich überhaupt nicht deuten konnte, dann nahm er aber wortlos sein Beil und ging Richtung Höhle. Ich folgte ihm mit dem Bogen im Anschlag. Ich hatte vielleicht keine Angst vor dem Bären, aber ich war nicht blöd genug, um vorauszugehen. Ich hatte lieber einen Pfeil auf seinen Rücken angelegt.  

Wir mussten ein kleines Stück weit in die Höhle reingehen, bevor wir den Bären finden konnten. Es war ein riesiges Ungetüm, mit struppigem, braunem Fell. Aber immerhin schlief es gerade friedlich. Leider hatte er es sich hinter einer Biegung gemütlich gemacht. Er lag in einer kleinen Kuhle, sodass ich selbst mit meinem Bogen so nah rangehen musste, um in die Reichweite seiner Pranken zu kommen.
     Ich schluckte schwer, als mir das bewusst wurde, aber Eren schien überhaupt keine Angst zu haben. Unbeirrt ging er voran, also nahm ich mich zusammen und folgte ihm. Wir gingen so nah ran, wie wir mussten. Es war hier so dunkel, dass ich kaum etwas erkennen konnte. Für einen Moment dachte ich schon, dass der Bär die Augen aufhatte und uns anstarrte, aber dann sah ich, dass er immer noch schlief. Dafür aber konnte ich plötzlich von Eren nichts mehr sehen.
     Bevor ich wusste, wie mir geschah, spürte ich einen Stoß an meinem Rücken und stolperte vorwärts. Ich versuchte, mein Gleichgewicht wiederzuerlangen, aber es gelang mir nicht. Hilflos fiel ich auf weichen Boden.
     Und dann lag ich da, mitten auf einem riesigen und gefährlichen Bären und wagte nicht, auch nur zu atmen. Ich spürte die Wärme des Tieres unter mir, das gleichmäßige Auf und Ab, als es atmete, und das Zusammenzucken, als ich auf es fiel.
     Ich glaube, ich habe noch nie so inbrünstig zu den Göttern gebetet wie in diesem Moment, dass er doch bitte einfach weiterschlafen würde, aber ich wurde natürlich enttäuscht. Im nächsten Augenblick rutschte ich von dem riesigen Ungetüm, das mich nun mit gefährlich blitzenden Augen anstarrte. Ich hatte nicht einmal Zeit, zu reagieren. Es zeigte seine spitzen Zähne, dann fuhr die Pranke auf mich hinab.
     Ich hatte schon mit mir abgeschlossen, aber ein brennender Schmerz an meinem linken Auge sagte mir, dass ich noch am Leben sein musste. Als ich die Augen öffnete, sah ich nur Dunkelheit. Es brannte wahnsinnig und ich bemerkte, dass mir etwas ins Auge lief. Das, das der Bär wohl gerade getroffen hatte. Ich sah mich um, froh darüber, überhaupt noch sehen zu können, und bemerkte gerade noch so, wie der Bär einen zweiten Angriff startete. Ich musste seinem Ersten irgendwie entkommen sein, also versuchte ich auch, diesem Hieb auszuweichen. Es gelang mir diesmal besser, aber die Wand in meinem Rücken war dann doch ein bisschen hinderlich.
       Hektisch sah ich mich nach einem Ausweg um. Ich entdeckte meinen Bogen hinter dem Bären, der mir da wenig helfen würde. Von Eren fehlte natürlich immer noch jede Spur. Ich fluchte. Was ich vorhatte, war vollkommen bescheuert, aber ich hatte keine andere Wahl. Also hielt ich auf die Beine des Bären zu und schlüpfte hindurch, als das Tier gerade wieder über mir ins Leere schlug. Er traf die Wand und eine Ladung Steine ging krachend zu Boden, während ich in seiner Schlafkuhle in der Falle saß.
     Ich hatte jetzt zwar meinen Bogen wieder, aber ich kam gerade mal dazu, einen Pfeil danebenzuschießen, bevor der Bär sich mir wieder zugewandt hatte. Also ging ich dazu über, Steine zu werfen, was wesentlich schneller ging und effektiver war. Ich traf seine Nase, woraufhin der Bär getroffen zurückzuckte.
     Doch er dachte leider nicht daran, abzuhauen. Wütend stieß er ein heiseres Brüllen aus, bevor er wieder in den Angriff überging. Zu allem Überfluss lief mir gerade wieder Blut ins Auge, was es mir noch schwerer machte, zu sehen. Ich ließ mich zurückfallen und entkam einem weiteren Angriff. Beinahe blind tastete ich über den Boden, bis etwas Spitzes in meine Hand stach. Ich schloss die Finger darum und hielt es dem Bären mit beiden Händen entgegen, als der dazu ansetzte, um mich endgültig zu erledigen.
     Der Stein bohrte sich nicht nur schmerzhaft in die Pranke des Bären, die gedroht hatte, mich zu zerquetschen. Diesmal schrie der Bär so laut, dass es mir in den Ohren klingelte. Es ging mir durch Mark und Bein, aber dennoch zwang ich mich dazu, erneut die Flucht nach vorn anzutreten. Ich kroch und sprang vorwärts, bis ich endlich wieder auf die Beine kam und rannte, was das Zeug hielt. Als hätte ich einen Bären im Rücken, dachte ich mit einem bitteren Lachen. Nur, dass es diesmal genau so war.
       Dennoch verfolgte der Bär mich nicht. Ich entkam der Höhle unbehelligt und ich hielt erst wieder an, als ich vor Uras im Boden versunkenen Haus stand. Mein Herz schlug mir noch immer bis zum Hals und ich war völlig fertig.
      „Wenn du Angst hast, dann geh zurück, spiel mit Mari und überlass Ura einem echten Mann wie mir“, hörte ich Erens Stimme in meinem Kopf.
      Dieser Mistkerl! Er hatte versucht, mich loszuwerden, um bei Ura freie Bahn zu haben. Aber so einfach würde ich ihm das nicht machen. Trotzig wischte ich mir das Blut aus den Augen und drehte wieder um. Doch da stand plötzlich Ura vor mir und sie starrte mich verängstigt an.
      „Mari!“, sagte sie nur. „Sie ist weggelaufen.“

Hier weiterlesen -> Kapitel 4 

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