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Freitag, 14. September 2018

Kapitel 2 - Zu viel Wald


Es war beinahe so dunkel, dass ich kaum noch sah, wo ich hinging, als ich zur Feuerstelle zurückkehrte. Glücklicherweise brannten die Flammen noch immer kräftig, aber ich legte dennoch lieber schnell ein paar Hölzer nach. Und dann sah ich zu, dass ich ein paar Stunden Schlaf bekam. Nur, dass sich das als schwieriger herausstellte, als gedacht.
     Ich hatte zwar meine nassen Kleider gegen Trockene ausgetauscht, aber es dauerte nicht lange, bis ich trotzdem wieder anfing, zu frieren. Ich rutschte so nah ans Feuer, wie es ging, aber es half nichts. Was hätte ich gerade nur für eine Decke gegeben?
     Zudem musste ich immer an den Toten denken, den ich vorher gefunden hatte. Ich hatte natürlich schon die ein oder andere Leiche gesehen, aber dennoch war mir ein bisschen mulmig zumute. Ich war mir zwar ziemlich sicher, dass er in seinen Tod gestolpert war, aber was, wenn es doch ein wildes Tier gewesen war, das ihn umgebracht hatte? Oder irgendeine andere Sache?
     ‚Ha! Was soll es denn schon gewesen sein? Ein Geist?‘, dachte ich amüsiert.
     Aber lachen konnte ich trotzdem nicht drüber. Ich war eigentlich nicht abergläubisch, aber dennoch musste ich plötzlich an die Geschichte denken, die ich damals den Uruk-Leuten erzählt hatte, und da wurde mir ganz anders. Als ich mich nun umsah, war es mir, als würde die Schwärze der Dunkelheit immer näher kriechen. Mit einem Mal war ich mir sicher, dass irgendetwas da draußen war. Eine Bewegung im Augenwinkel, die immer wieder weghuschen würde, wenn ich versuchte, sie mit den Augen zu erfassen.
     „Ganz ruhig! Ganz ruhig! Das ist nur meine Fantasie. Ich bilde mir das nur ein“, redete ich mir gut zu. Der Wolf, der bislang den Kopf in den Pfoten verborgen hatte, antwortete darauf mit einem aufmerksamen Blick.
     „Natürlich, das bilde ich mir nur ein“, sagte ich zu ihm. „Sonst würdest du es ja auch sehen. Du würdest bestimmt reagieren, nicht wahr?“
     Ich streckte meine Hand nach ihm aus und er tat mir den Gefallen, sich zu erheben und zu mir zu trotten. Als er sich neben mir wieder einrollte, fühlte ich mich ein bisschen besser, aber ich hatte dennoch das Gefühl, als würde mich jeden Moment etwas von hinten packen und in die Dunkelheit hinaus ziehen. Ich schlief in dieser Nacht deshalb so gut wie gar nicht.

Der Schnee knirschte bei jedem meiner Schritte und es schien seit langer Zeit das einzige Geräusch zu sein, das ich hörte. Die Stille um mich herum war beinahe so absolut, dass ich glaubte, schon seit einer Ewigkeit durch diesen Wald zu marschieren, auch wenn ich ihn erst vorgestern betreten hatte.
      Gestern noch war ich früh am Morgen erwacht, gerädert, todmüde und durchgefroren, aber ich war dennoch gut vorangekommen. Vor allen Dingen, da ich dem Schrecken der letzten Nacht so schnell wie möglich hatte entkommen wollen.
     Ich war zunächst den Spuren des Toten gefolgt, in der Hoffnung, bald auf seine Sippe oder Familie zu stoßen. Da seine Kleidung bei näherer Betrachtung relativ dünn war – er also nicht für einen längeren Marsch in der Kälte gerüstet gewesen war – und er auch nur einen kleinen Beutel Proviant bei sich gehabt hatte, nahm ich an, dass er ein Stammesmensch auf einem kurzen Jagdausflug gewesen war und dass sein Stamm bestimmt nicht weit entfernt sein konnte. Die Kleidung war jedenfalls perfekt, um sich darin zu bewegen. Ich selber musste andauernd in Bewegung bleiben, damit ich warm blieb.
      Doch je weiter ich gegangen war, desto mehr hatte mich die Befürchtung beschlichen, dass er doch nur ein einsamer Einsiedler gewesen war, der die Folgen eines langen Marsches in der Kälte unterschätzt hatte.
     Dann hatte es, zu allem Überfluss, auch noch angefangen, heftig zu schneien und ich war gezwungen gewesen, Schutz unter den Wurzeln eines umgestürzten Baumes zu suchen. Ich war in den Genuss gekommen, eine Runde Feuer-bei-Sturm-machen zu spielen, und ich war echt froh gewesen, dass der Fremde mir seinen Feuerstein und seinen Zunder hinterlassen hatte. 
     Am nächsten Tag waren die Spuren, denen ich gefolgt war, dann aber natürlich verschwunden gewesen. Seitdem war ich eigentlich ohne einen wirklichen Plan unterwegs. Mein Proviant war inzwischen so gut wie aufgebraucht und weit und breit war weder der Rauch eines Feuers, noch sonst ein Zeichen von Leben zu sehen. Ich hatte ja nicht einmal eine Ahnung, ob ich in die richtige Richtung ging oder ob es überhaupt eine richtige Richtung gab.
      Ich hielt einen Moment an, wodurch auch das stetige Knirschen des Schnees verstummte und ich allein mit der Stille war. Langsam aber sicher musste ich jedenfalls meinen Proviant auffüllen. Wasser gab es in eisiger Form ja zum Glück in Hülle und Fülle um mich herum, aber mit der Nahrung sah das ganz anders aus. Ich hatte den Winter früher immer gemocht. Natürlich war es eine schwierige Jahreszeit, in der man nie wusste, ob die Vorräte reichten, die Tiere nicht plötzlich an einer Krankheit eingingen und man selber gleich dazu, aber es war auch die einzige Zeit gewesen, in der man nicht andauernd auf dem Feld arbeiten und sich anderen Dingen zuwenden konnte. Doch erstmals vermisste ich das aufblühende Leben des Frühlings, die Wärme des Sommers, das Grün und das Vogelgezwitscher. Ich war es so leid, immer nur triste Farben zu sehen und der verdammten Stille zu lauschen.  
     Und dann war da natürlich noch die Sache, dass es ungemein schwieriger war, im Winter Nahrung zu finden. Meine Eltern hatten auf die Stammesleute, die Wilden, wie sie sie immer genannt hatten, immer herabgeschaut, aber natürlich hatten auch sie alles gelernt, was ein Jäger und Sammler wissen musste. Auch uns, mir und meinen Geschwistern, hatten sie das beigebracht. Wir waren ja eine ganze Weile als Nomaden unterwegs gewesen und da war dieses Wissen unerlässlich gewesen. Ich hatte nur immer geglaubt, dass es schon reichen würde, wenn meine Eltern und meine Geschwister sich damit auskannten.
     Ich wusste, wie man ein Feld bestellte und wie man Vorräte lagerte, damit sie nicht faulten oder von Ungeziefer gefressen worden, aber ich muss zugeben, dass ich vom Überleben in freier Wildbahn weniger Ahnung hatte. Ich hatte mich dafür nie so wirklich begeistern können, wie meine Geschwister und hatte mich lieber mit dem Bootsbau beschäftigt und anderen „unsinnigen Dingen“, wie mein Vater es genannt hat.
      Es hatte mich immer geärgert, wenn er das getan hatte. Vielleicht war das auch der Grund gewesen, warum ich Lu so sehr darin bestärkt hatte, seinen Weg als Schamane zu gehen. Es war etwas, das ich selber einfach zu gut verstehen konnte. Wenn man nicht für das anerkannt wurde, was man gerne tat. Aber in diesem Moment fragte ich mich erstmals, ob mein Vater nicht recht gehabt hatte. Was schließlich nützte es mir jetzt, zu wissen, wie man ein Boot baute, wenn ich am verhungern war? Was hatte ich mir nur dabei gedacht, so unvorbereitet loszugehen?

Meine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, als ich plötzlich etwas hörte. Ich war einen Moment alarmiert, dann aber erkannte ich, dass es nur das Geräusch von Pfoten war, die über den gefrorenen Waldboden trabten. Es war mein einziger Gefährte, der da auf mich zugerannt kam.
      Nachdem wir am gestrigen Tag während des Sturmes genug Zeit gehabt hatten, um uns kennenzulernen, hatten wir uns darauf geeinigt, dass „Wolf“ mich zu sehr an meinen Vater erinnerte, an den ich gerade nicht denken wollte, und deshalb hatten wir uns für einen anderen Namen entschieden.
     „Ich weiß ja nicht mal, ob du ein Junge oder ein Mädchen bist“, hatte ich gesagt.
      Also hatte ich nachgesehen. Ein Mädchen ganz offensichtlich.
     „Wie wäre es dann mit“, ich hatte überlegt und hatte plötzlich grinsen müssen, „Greta, hm?“
      Greta hatte gebellt, aber wahrscheinlich nur, weil sie noch ein Stück Trockenfleisch gewollt hatte. Ich aber hatte das trotzdem als Zustimmung genommen. Die Vorstellung, einen Wolf nach meiner Schwester zu benennen, hatte ich jedenfalls urkomisch befunden. Die menschliche Greta hätte das wahrscheinlich anders gesehen. Ich konnte mir ihr säuerliches Gesicht jedenfalls gut vorstellen, wenn sie davon erfahren würde. Sie fehlte mir echt. Wie waren ja immer unzertrennlich gewesen. So sehr, dass Wulfric immer gesagt hatte, dass man uns mit Harz zusammengeklebt hätte. Ich konnte damals gar nicht ohne sie sein, als wir Kinder waren. Ich hätte nur nicht gedacht, dass sie mir immer noch so fehlen würde.
      „Also Greta dann“, hatte ich beschlossen. Und Greta hatte das mit einem weiteren Bellen beantwortet.
     Als die kaum hinter der milchigen Wolkendecke erkennbare Sonne mir gesagt hatte, dass es Mittag war, hatte ich Greta dann losgeschickt, um nach Nahrung zu suchen. Sie war zwar kein großer Wolf, aber ich traute ihr trotzdem zu, dass sie es mit einem Hasen aufnehmen konnte. Tatsächlich hatte sie auch Witterung aufgenommen, und dann war sie losgeprescht und hatte mich alleingelassen. Das war vor einer ganzen Weile gewesen. Ich wusste, dass sie mich nicht so einfach im Stich lassen würde, aber ich war froh, als ich sie jetzt wieder sah und ich nicht mehr allein mit den Bäumen und der Stille war. Und zu meiner hellen Freude hatte sie sogar etwas im Maul.
     „Was hast du mir denn da gebracht?“, begrüßte ich sie, und es war seltsam, plötzlich wieder meine eigene Stimme zu hören, nachdem ich seit gestern Abend nicht mehr geredet hatte.
      Als sie mich erreicht hatte, ließ sie stolz ihre Beute vor meine Füße fallen, die ich als arg zerrupften Vogel identifizierte. Ich brauchte gar nicht nachzusehen, um zu erkennen, dass da schon ein anderer Jäger am Werke gewesen war. Der Vogel, einst wohl eine stattliche Amsel, war nur noch an seinen Flügeln als solcher zu erkennen. Der Brustkorb war zerfetzt, der Kopf fehlte gleich ganz.
     Dennoch war Greta scheinbar mächtig stolz auf ihre Beute. Sie sah mich so erwartungsvoll an, dass ich mich dazu hinreißen ließ, den Vogel mit meinem Messer anzuheben. Ich war nur froh, dass es so kalt war, sonst hätte der verwesende Gestank meinem armen, leeren Magen bestimmt den Rest gegeben. Trotzdem biss ich die Zähne zusammen und zwang mir ein Lächeln auf die Lippen.
      „Danke, Greta! Das hast du gut gemacht!“
     Ich ließ den Vogel in eine nahegelegene Kuhle verschwinden, während ich Greta ausgiebig kraulte. Da ich sie belohnen musste, und mein Magen selber nach etwas Essen verlangte, teilte ich das letzte bisschen Fleisch mit ihr.
     „Ich frage mich, ob es hier überhaupt noch irgendwas Lebendes gibt. Alles, was wir finden, scheint tot zu sein.“ Ich seufzte schwer. „Wir hätten vielleicht lieber am Meer bleiben sollen. Wenn ich etwas kann, dann ist es Fischen, musst du wissen.“
     Greta sah mich aufmerksam an, als würde sie mich verstehen, und ich war nur froh, dass ich mir nicht noch dümmer vorkommen musste, weil ich Selbstgespräche führte.

Ich erhob mich schließlich wieder und sah mich zum ich-weiß-nicht-wie-vielten-Male um. Weit und breit war nur Wald zu sehen, als würde er gar kein Ende mehr nehmen, und langsam war ich versucht, das zu glauben. Vor uns schien der Wald sogar noch dichter zu werden. Die Bäume standen so nah beisammen, dass ich kaum etwas durch sie hindurch sehen konnte.
     Vielleicht würde es da endlich mal ein Tier geben, das Greta und ich zur Strecke bringen konnten. ‚Oder einen Räuber, der uns zur Strecke bringt‘, dachte ich bitter.
     „Was sollen wir machen? Sollen wir vielleicht lieber zurückgehen?“
      Kaum hatte ich gesprochen, legte Greta plötzlich die Ohren an und begann, zu knurren. Die letzten Tage hatten mich vorsichtig gemacht und sofort wirbelte ich in die Richtung, in die mein treuer Begleiter blickte. Ich hatte ganz automatisch mein Messer gezückt, überlegte nun jedoch, lieber den Bogen zu nehmen. Ich war nicht wirklich gut im Bogenschießen, aber die Reichweite war unbestreitbar besser, als die meines Messers.
       Während ich noch überlegte, hörte ich schließlich, was Greta wohl auch schon gehört hatte und mich beunruhigte das überhaupt nicht. Im Gegenteil. Sofort ließ ich mein Messer sinken und meinen Blick aufgeregt schweifen. Da war eine Stimme. Ganz eindeutig rief da jemand im dichteren Teil des Waldes.
     Menschen! Ich war so froh, endlich wieder eine andere Stimme zu hören, dass ich gar nicht daran dachte, dass sie mir böse gesinnt sein könnten. Ich wollte selber rufen und auf mich aufmerksam machen, aber davon wurde ich abgehalten, denn im nächsten Moment spuckte der dichte Wald vor mir einen Mann aus. 
     Pelzmütze und –jacke ganz ähnlich denen, die ich auch trug. Als er mich bemerkte, erstarrte er auf der Stelle. Er schien genauso überrascht, mich zu sehen, wie ich es war, ihn zu sehen. Greta war weniger überrascht. Sie knurrte noch immer und es war mir, als ob sie bei seinem Anblick noch lauter geworden war.  
     „Bei den Göttern, bin ich froh, endlich eine Menschenseele zu sehen“, fand ich als Erster meine Stimme wieder.
      Der Mann jedoch blieb stumm und begann stattdessen, mich abschätzig von oben bis unten zu mustern. Ich musste kein Experte sein, um zu sehen, dass er mir gegenüber misstrauisch war. Es war aber dennoch Greta, die scheinbar noch misstrauischer war, denn sie ging nun dazu über, den Fremden anzubellen. Ich konnte gerade noch so verhindern, dass sie auf ihn losging. Als ich aufsah, hatte der Fremde verständlicherweise nun ein Beil in der Hand.
      Ich wollte schlichten, bevor das Ganze eskalieren konnte, aber da tauchte plötzlich eine weitere Person aus dem Dickicht hinter dem Mann aus. Es war eine Frau. Doch außer ihrer Pelzmütze, unter der rabenschwarzes Haar bis zu ihrer Taille fiel, schien sie überhaupt nicht für einen Winterausflug gerüstet zu sein. Sie hatte lediglich ein Tuch um den Körper geschlungen, das alles andere, als warm aussah.
     Als Greta sie erblickte, hielt sie jedenfalls nichts mehr. Ich konnte nicht verhindern, dass sie mir entkam und ich befürchtete schon das Schlimmste. Aber statt auf die Frau loszugehen, wurde Greta stattdessen freudig von ihr empfangen.
      „Pina! Da bist du ja!“, sprach sie mit einem merkwürdigen Akzent. Dann musste sie sich erst ausgiebig das Gesicht abschlecken lassen, bevor sie weiterreden konnte. „Das heißt ja, dass Erin…“
     Ihr Blick ging suchend an der Wölfin vorbei, bis er schließlich an mir hängenblieb. Und da bröckelte ihre Freude plötzlich und ich verstand.
      „Wo ist Erin?“, fragte sie bangend. „Und wer bist du?“
      „Mein Name ist Wulfgar. Ich komme von“, ich zeigte vage in die Richtung, in der ich mein Zuhause vermutete, „naja, da her. Mit einem Boot. Aber das ist untergegangen. Ich hab auf dem Weg hierher niemanden getroffen, außer…“ Ich stockte, aber als sie mich nur weiter bange ansah, fügte ich hinzu: „Ich fand einen Toten. Er schien gestürzt zu sein.“
      Mit einer ungeahnten Schnelligkeit hatte sie die Distanz zwischen uns überbrückt, und dann stand sie so plötzlich vor mir, dass ich erschrak. Sie war ein bisschen größer als ich, wahrscheinlich auch älter, aber ich konnte auf die Entfernung sogar ihre Augenfarbe erkennen. Sie waren braun. Auch ihre Haut hatte einen schönen, bronzenen Schimmer, ihr Gesicht war sehr fein und rund. Eine kleine, gerade Nase und schmale, rote Lippen. Ich roch sogar den rauchigen Geruch von Feuer, den sie ausströmte. Ich wusste, dass sich Jin sofort an sie rangemacht hätte, wenn er hier gewesen wäre.
      „Wie sah er aus?“, wollte sie wissen.
      Ich brachte einen kurzen Moment damit zu, unauffällig auf Abstand zu gehen und zu überlegen, wie ich mich am besten verhalten sollte. Ich war normalerweise immer darum bemüht, zuerst die Rangordnung zu klären, aber es schien nicht sehr gesund für mich zu sein, mich mit irgendwem hier zu prügeln. Vor allen Dingen nicht, wenn da einer mit einer Waffe in der Hand stand. Es war bei manchen Leuten ja auch nicht gerne gesehen, wenn man ihre Toten um ihre Sachen erleichterte.
      „Naja, er trug diese Sachen“, entschied ich mich dann aber doch für die Wahrheit. „Ich musste sie mir leider ausleihen, weil meine nass waren.“
      „Wer geht auch schon im Winter auf eine Bootsfahrt?“, mischte sich jetzt auch der Mann ein.
      Er hatte eine angenehme, rauchige Stimme, aber da hörte es auch schon auf. Auch er hatte dunkles Haar, wenn seines auch so braun war, wie seine Augen. Er war wesentlich blasser, wenn man das unter all dem Ruß überhaupt sagen konnte, der ihn bedeckte. Ich nahm an, dass er ihr Vater war, auch wenn sie sich überhaupt nicht ähnlich sahen. Er war ein kräftiges Raubein mit einem kantigen Gesicht und einer stattlichen Nase, sie war eine zierliche, anmutige Gestalt neben ihm.
     Ich konnte jedenfalls jetzt schon sagen, dass er mir überhaupt nicht gefiel. Vor allen Dingen sein Auftreten war alles andere, als erfreulich.
     Das sah wohl auch Greta, beziehungsweise Pina so, die erneut anfing, ihn anzuknurren, als er sich jetzt an der Frau vorbeischob und sich vor mir aufbaute. Natürlich war auch er größer, als ich.
      „Erin aufgelauert und ihn ausgeraubt hast du! Wahrscheinlich hast du ihn auch noch getötet!“
      Die Frau, die zuvor ihr Gesicht bestürzt in den Händen vergraben hatte, blickte nun wieder auf und warf ihrem Begleiter einen scharfen Blick zu. Doch der ignorierte das genauso, wie er das Knurren der Wölfin ignorierte.
      Plötzlich hatte der Mann sein Beil erhoben und hielt es mir unter die Nase. „Wir sollten dich dafür töten! Hier und auf der Stelle, bevor du uns auch noch überfallen kannst!“
       Das ging mir jetzt doch ein bisschen zu weit. Ich hatte ja noch immer mein eigenes Messer in der Hand, aber ich ging trotzdem lieber noch ein paar Schritte zurück. Wenn ich eines gelernt hatte, dann war es, dass ich in solchen Situationen nie Schwäche zeigen durfte. Egal, wie sehr meine Knie auch gerade schlotterten. Der Stärkste überlebte in der freien Wildbahn. Nur deshalb hatte ich mich auch mit (fast) allen Stammesmitgliedern des Uruk-Stammes angelegt. Blöd nur, dass ich nicht gerade zu den Stärksten zählte. Aber manchmal reichte es schon aus, so zu tun, als wäre man stark.
     „Ich habe nichts getan, aber wenn du dich mit mir anlegen willst, kannst du das gerne haben! Ich habe keine Angst vor dir!“
      Ich ging in Abwehrstellung und der Mann tat dasselbe. Wir begannen, uns wie lauernde Tiere zu umkreisen, während ich innerlich betete, dass das hier gut für mich ausgehen würde. Ich konnte vielleicht wendiger und schneller sein, als er, aber der Kraftvorteil lag ganz eindeutig bei ihm.
     Aber zu meinem Glück ging die Frau dazwischen. „Das reicht jetzt, Eren! Er hat gesagt, dass er nichts getan hat.“
       „Und das glaubst du ihm so einfach, ja?“
       Sie ignorierte ihn und stellte sich stattdessen demonstrativ zwischen uns. Einen Moment musterte sie mich, oder besser gesagt meine Kleidung, dann nickte sie.
      „Es stimmt also. Erin ist tot.“ Sie nahm sich die Zeit, einmal tief durchzuatmen und für einen Augenblick sah ich den Schmerz in ihren Augen. Dann war er jedoch verschwunden und sie hatte sich abgewandt. „Wenn du gestrandet bist, dann wirst du sicherlich eine Unterkunft brauchen. Komm mit mir, ich werde dir Essen und ein Dach über dem Kopf geben.“
     Doch ich zögerte. Ich warf einen Blick zu dem Mann, der mich noch immer ansah, als würde er mir am liebsten die Kehle durchschneiden. Wenigstens hatte er sein Beil wieder sinken lassen. Ich traute ihm dennoch zu, dass er mich hinterrücks abstechen würde.
      Als die Frau merkte, dass niemand ihr folgte, hielt sie inne, blickte zurück und sagte: „Oh ja, ich bin übrigens Ura. Und dieser Mann da wohnt nicht bei mir.“
     Dieser Mann da, der wohl Eren hieß, machte ein überaus säuerliches Gesicht, aber er blieb still. Ich konnte mir nur schwerlich verkneifen, zu lachen. Ich war gerade einfach nur froh und erleichtert über die Aussicht, nicht noch eine Nacht in diesem verfluchten Wald zu verbringen und elendig verhungern zu müssen. Also folgte ich Ura schließlich, wenn auch mit einem Auge zurück auf ihren mürrischen Begleiter.  

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