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Donnerstag, 5. April 2018

Kapitel 41 - Wenn du zurückkehrst II



Lu sah der Sonne schon seit einer gefühlten Ewigkeit beim Aufgehen zu. Als er an den Strand gekommen war, war der Himmel noch so pechschwarz gewesen, dass die Sterne wie kleine, leuchtende Augen auf ihn hinabgesehen hatten. Inzwischen waren sie am Verblassen und die Sonne begann, einen violetten Fleck im Dunkel des Himmels zu bilden. Wie Farbe, die man auf ein Stück nassen Stoffes tropfte.
      Doch Lu hatte keine Augen für diesen Anblick. So sehr die Farbspiele, die die Götter für sie an den Himmel malten, ihn auch sonst faszinierten, momentan schienen seine Gedanken in einer ganz anderen Welt festzustecken.


Dieser verdammte, ignorante Holzkopf!‘, fuhr es ihm durch den Kopf.
     Er hatte es so satt. Die letzten paar Stunden hatte er versucht, mit Tann zu reden. Er hatte es mit Ruhe versucht, mit Vernunft und Logik, aber der Stammesführer war unerbittlich in seiner Sturheit gewesen. Irgendwann hatte selbst ihn die Geduld verlassen und er war laut geworden. Nicht, dass es Tann interessiert hätte. Nicht, dass es Tann interessiert hätte, was er – oder auch nur irgendwer – zu erzählen hatte.
     Letztendlich war er nur wieder gegen Mauern gerannt und er hatte zwischenzeitlich Dinge gedacht, die sich überhaupt nicht für einen Schamanen gehörten. Deshalb hatte er es irgendwann sein lassen, hatte seine Tracht ausgezogen, die er zwischenzeitlich nass geschwitzt hatte, und war in bequemeren Kleidern zum Strand hinuntergegangen. 
     Hier war es still, ein angenehmer Wind kühlte sein erhitztes Gemüt, und hier musste er sich auch nicht mehr mit Tanns dämlicher Sturheit herumschlagen. 
    Trotzdem verfolgte sie ihn selbst bis hierher.
     Es war frustrierend. Er wollte nur noch schreien, wollte Tann seine Faust mitten ins Gesicht schlagen, bis er endlich einsah, dass er nicht nur darauf und daran war, seine Familie zu zerstören, sondern auch einen vollkommen unnötigen Krieg vom Zaun zu brechen.


Doch obwohl er ernsthaft darüber nachgedacht hatte, Tann zu schlagen, wusste er auch, dass es ohnehin nichts geändert hätte. Tann, sein Freund von früher, hatte sich inzwischen so sehr verändert, dass er ihn kaum noch wiedererkannte. Da war fast nichts mehr von dem gerechten, besonnen Mann von einst, nur noch ein von Hass zerfressener Kerl, der eine zu hohe Position innehatte, als dass gut für sie alle war. Und es war ja nicht einmal mehr nur Tann. Inzwischen waren auch so gut wie alle anderen von Hass infiziert.
      Und es gab nichts, rein gar nichts, was Lu tun konnte, um das zu ändern. Er konnte reden, er konnte um sich schlagen, konnte beten, aber es würde letztendlich alles nichts ändern.
      ‚Und das, obwohl du mich einst darum gebeten hast, deine rechte Hand zu werden. Aber meine Ratschläge schlägst du trotzdem in den Wind.‘
      Was sollte er jetzt nur tun?


Auch als die Sonne schließlich ihr Antlitz gezeigt hatte, war er zu keiner Lösung des Problems gekommen. Er war rastlos umhergelaufen, hatte sich in den Sand gesetzt, um dann wieder aufzuspringen, und schließlich war er vor lauter Erschöpfung einfach eingeschlafen. Das Rauschen der Wellen und die ersten, schlaftrunkenen Lieder der Möwen waren ein zu verlockendes Schlaflied gewesen. 
     Und er hatte einen erstaunlich festen, traumlosen Schlaf, für den er dankbar war.


Zumindest, bis ein penetrantes Hämmern ihn viel zu früh wieder weckte. Er drehte sich ein paarmal hin und her in dem Versuch, wieder ins Vergessen des Schlafs zurückzufinden, aber schließlich musste er einsehen, dass es keinen Sinn hatte. 
     Er kam auf seinem Bauch zum Liegen, gähnte herzhaft und blinzelte auf der Suche nach der Quelle des Lärms verschlafen ins viel zu helle Tageslicht. Eine Bewegung in der Ferne erregte seine Aufmerksamkeit.


Er brauchte eine Weile, um überhaupt zu verstehen, was er da sah. Da war ein merkwürdiges Gefährt, das an ihrem Strand angelegt hatte und das er schließlich als Boot identifizierte. Er hörte das Rauschen der Wellen, das Krächzen der Möwen und ein Lied, das undeutlich an sein Ohr drang. Und als er die Stimme hörte, fiel der Schlaf mit einem Mal von ihm ab und er war sofort auf den Beinen. Ein Regen aus Sandkörnern ging von ihm nieder, aber Lu hatte nur Augen für das, was sich da gerade vor ihm abspielte.
       Träumte er etwa? Konnte das sein? Er hatte so lange gehofft, so lange gebangt, aber letztendlich hatte er, wie er nun feststellen musste, die Hoffnung dennoch aufgegeben gehabt, ihn jemals wiederzusehen. Jemals die Schuldgefühle loszuwerden, die ihn seit dem Tag seiner Abreise quälten.
     Und wenn er es wirklich war, was sollte er jetzt tun? Wie sollte er sich verhalten?


Für einen Moment nur dachte er daran, einfach fortzulaufen, aber dann ging er dennoch vorwärts. Er musste es wissen, musste sichergehen, dass das, was er sah, nicht nur seiner Fantasie entsprang. Oder es sich doch nur um eine Verwechslung handelte.
      Und je näher er kam, je klarer er die inzwischen noch rauere Stimme vernahm, die unentwegt ihr Lied sang, desto schneller schlug sein Herz und desto schneller wurde er, bis er schließlich rannte.


„Wulfgar!“, rief er, und als er ihn rief, verstummte das Lied und der Angesprochene wurde endlich auf ihn aufmerksam.
     Er drehte sich zu ihm und Lu konnte erstmals sein Gesicht sehen. Es war inzwischen von einem krausen Bart eingerahmt, aber es war dennoch unverkennbar. Es war Wulfgar, der da vor ihm stand.
     „Hey! Wenn das nicht Lu ist!“
     Lu hatte immer gehofft, dass er zurückkehren würde und hatte gleichzeitig so viel Angst davor gehabt. Doch jetzt, als er so plötzlich wieder vor ihm stand, ein Lächeln im Gesicht, als wäre er niemals fort gewesen, war es mit einem Mal alles so einfach.


Er ging auf ihn zu und drückte den Heimgekehrten an sich. 
     „Du lebst!“, flüsterte er erleichtert. „Den Göttern sei Dank, du lebst!“
     Er genoss die Nähe des Anderen, der keine Anstalten machte, ihn fortzustoßen oder die Umarmung zu erwidern, nahm den Geruch von Nässe und Meersalz in sich auf, der nicht nur vom Meer ausging, und dann ließ er Wulfgar schließlich wieder gehen.  


Da war jetzt so etwas wie Verwirrung auf dessen Gesicht zu sehen, aber Lu ließ sich selber gar nicht erst die Zeit, das weiter zu ergründen.
     „Wulfgar, ich bin so froh, dass du lebst! Ich wollte dir schon so lange sagen, dass es mir schrecklich leid tut, wie ich mich damals verhalten habe!“
     Doch Wulfgar, der inzwischen sein Lächeln wiedergefunden hatte, unterbrach ihn: „Schon gut. Das ist ja ewig her. Mach dir keine Gedanken mehr drum.“
     „Du bist mir also nicht böse?“
     „Nah!“, machte Wulfgar und Lu nahm an, dass das nein hieß.
     Dann war es für einen Moment still, als sie sich nichts mehr zu sagen hatten. Lu jedoch störte das nicht. Alles, was zählte, war, dass Wulfgar wieder da war. Er konnte das Lächeln nicht aus seinem Gesicht bekommen, während sein Gegenüber sich unbehaglich an seinem Bart kratzte. Er hatte inzwischen eine dreigliedrige Narbe, die quer übers linke Auge verlief, fiel Lu auf.


„Erzähl mir lieber, wie es dir so ergangen ist und was es so Neues hier gibt“, brach Wulfgar schließlich das Schweigen.
     Lu grinste noch einen Moment länger versonnen, doch dann fiel ihm etwas ein und ihm verging das Grinsen gehörig.


Da gab es tatsächlich etwas, das Wulfgar erfahren sollte. Er wusste nur nicht, wie er es ihm beibringen sollte. Er hatte so etwas noch nie gemacht.
     „Ich… weiß nicht, wie ich dir das sagen soll, aber…“ Er zögerte. „Es geht um Greta…“
     Und spätestens da hatte sich Sorge auf Wulfgars Gesicht gelegt.


Jin war noch immer auf der Flucht. Er hatte keine Ahnung, wo er hingehen, noch, was er überhaupt tun sollte. Ihm war bewusst, dass er nicht ewig davonrennen konnte. Irgendwann musste er zurück nach Hause gehen. Aber momentan wollte er lieber allein sein. Er wollte nicht mit Dana zu tun haben oder auch nur daran denken, was er vorher schon wieder angerichtet hatte.
     Also war er Richtung Strand gegangen. Er ging oft dorthin. Manchmal in der Hoffnung, dass er Greta vielleicht dort finden würde, obwohl er wusste, dass das nicht passieren würde. Er ging gern morgens oder nachts, wenn keine Menschenseele am Meer war.
      Doch heute war der Strand nicht leer. Lu feierte gerade Wiedersehen mit Wulfgar, und da wollte er lieber nicht stören. Also ging er woanders hin.


Es war das erste Mal seit langem, dass er wieder klarer im Kopf war. Dass er seine Umgebung wahrnahm, sah und spürte, dass seine Gedanken auf das gerichtet waren, was um ihn herum geschah. Und er mochte es nicht. Es führte nur dazu, dass er sich unbehaglich fühlte und dass er nicht aufhören konnte, nachzudenken. Über Greta, über Dana, wo er hingehen sollte und über so viele andere Dinge, die er lieber vergessen wollte.
      Da kam er schließlich zu dem kleinen Tümpel, an dem er sich als Kind gerne die Zeit damit vertrieben hatte, Steine ins Wasser zu werfen. Oder Frösche. Je nachdem, was er gerade zur Hand gehabt hatte. Er hatte sich damals immer hier versteckt und vor der Arbeit gedrückt. Was für unbeschwerte Zeiten das doch gewesen waren. Wie einfach alles gewesen war.
     Er war beinahe ein bisschen neidisch, als er Jana bemerkte, die am Tümpel hockte und ins Wasser starrte. Das kleine Mädchen hatte noch keine Ahnung von den komplizierten Dingen, die einen erwarteten, wenn man erwachsen wurde.


Er erhoffte sich Ablenkung von dem Kind, also ging er zu ihr. Sie bemerkte ihn nicht und starrte nur weiter angestrengt ins Wasser.
     „Was suchst du da?“, fragte er nach.


Sie ignorierte ihn noch einen Moment länger, dann stand sie auf und bedachte ihn mit einem merkwürdigen Blick, den er nicht deuten konnte. Das Mädchen war eigentlich immer unkompliziert gewesen, so sehr, dass er erstaunt gewesen war, dass Dana ihre Mutter war. Er hoffte nur, dass sich das nicht allzu bald ändern würde. Dann, wenn sie irgendwann zur Frau wurde und er aufhören würde, sie zu verstehen.
      „Warum habe ich braune Augen?“, fragte sie plötzlich.
      Es schien schon anzufangen. „Ähm… weiß nicht. Weil deine Eltern braune Augen haben?“
     „Aber das ist es ja! Die haben beide blaue Augen!“


Er hatte sich schon einige Dinge gefragt, aber ihm war nie die Frage gekommen, woher jemand seine Augenfarbe hatte. Deshalb wusste er auch nicht, was er darauf antworten sollte. Aber da Jana den Kopf hängen ließ, wusste er, dass er etwas sagen sollte. Das Thema war noch nicht erledigt.
     „Wie kommst du überhaupt auf so eine Frage?“, lenkte er ab.
     Die Wut, die er schon eher von ihr kannte, erschien auf ihrem Gesicht. Sie verschränkte die Arme. „Weil Tanja, die doofe Kuh, meint, dass ich blaue Augen haben müsste, so wie sie und Diana, wenn ich wirklich Tanns Kind bin. Sie sagt, dass ich deshalb nicht sein Kind sein kann.“
     „Weißt du, du solltest dir sowas nicht von irgendwem einreden lassen…“


Da legte sich plötzlich Verzweiflung über ihre Wut. „Aber es stimmt doch! Ich hab schon immer gespürt, dass Tann ganz anders ist als ich! Er versteht mich überhaupt nicht und ich weiß, dass er mich auch nicht so behandelt, wie seine anderen Kinder!“


Jin wollte etwas dazu sagen, aber was Jana dann von sich gab, ließ ihn sich fast an seiner eigenen Spucke verschlucken: „Kann es nicht sein, dass du mein Papa bist?“
     Sie packte seinen Arm und zog ihn zu sich runter. Im nächsten Moment war er Aug in Aug mit ihr. 
     „Siehst du, weil du ja braune Augen hast, so wie ich. Und guck, unsere Haut sieht auch fast gleich aus. Du bist auch viel mehr wie ich. Du verstehst mich.“
     Und für einen Moment war es Jin tatsächlich, als würde er seine eigenen Augen sehen, die ihm immer aus dem Wasser des Tümpels heraus entgegengeblickt hatten. Für einen Moment war er sich sicher, dass Jana recht hatte.
     „Du siehst es auch, nicht?“


Sie ließ ihn los und Jin fühlte sich, als wäre sein ganzer Körper taub. Dann jedoch erinnerte er sich daran, dass das nicht sein konnte. Er wusste ja, wie das mit dem Kindermachen funktionierte und er wusste, dass er nicht mit Janas Mutter geschlafen hatte. Zumindest vor heute nicht, sodass er Janas Vater hätte sein können.
     Es brach ihm dennoch fast das Herz, als er in ihr vor Hoffnung leuchtendes Gesicht sah und ihr sagen musste: „Weißt du, ich würd mich ja freuen, wenn es so wär, aber es ist leider nicht so. Ich kann nicht dein Papa sein, Jana.“
     Enttäuschung auf ihrem Gesicht. Natürlich.
     „Vielleicht solltest du mal mit deiner Mutter drüber reden. Ich denk, dass sie dir solche Sachen viel besser als ich erklären kann“, riet er ihr.


Und obwohl er es besser wusste, konnte er nicht verhindern, sich erneut in Jana zu sehen, als die daraufhin genervt das Gesicht verzog. Genau so, wie er es früher oft getan hatte.


„Weißt du, vielleicht solltest du einfach mal mit dem Mädchen reden. Sie kennenlernen. Ich werde natürlich auch dabei sein“, schlug Tanna vor.
     Sie hatte das schon dreimal vorgeschlagen, seitdem Lu ihn endlich in Ruhe gelassen hatte und sie dazu übergegangen war, seinen Platz einzunehmen. Nicht, dass Tann daran dachte, das zu tun. Das hatte er auch schon dreimal gesagt und er würde es nicht noch einmal wiederholen.


„Ich frage mich viel mehr, wie wir verhindern können, dass Dia noch mehr unserer Leute mit seinen zwielichtigen Methoden auf seine Seite zieht“, redete er also über etwas ganz anderes. „Er muss dringend verschwinden. Wenn ich nur wüsste, aus was seine Waffen gemacht sind. Ich habe ihn damit sogar mühelos massives Holz spalten sehen.“


„Das sind wahrscheinlich Eisenwaffen“, fuhr eine Stimme dazwischen. „Ich habe jede Menge davon und ich werde sie Jin alle einzeln schmecken lassen, wenn er meiner Schwester etwas was hat!“
     Tann brauchte einen Moment, um überhaupt zu erkennen, wer es war, der dort vor ihnen stand. Die Hälfte seines Gesichtes lag inzwischen unter einem Bart, er hatte langes Haar und trug einen merkwürdigen, schwarzen Überwurf.


Als Lu aber dazukam und den Neuankömmling beim Namen nannte, war Tann alles klar. Und ihm gefiel überhaupt nicht, dass da schon wieder jemand mit Drohungen daherkam. Als ob sie nicht genug mit Dia und seiner Sippe zu schaffen hatten!
     „Beruhige dich! Ich habe nicht gesagt, dass Jin deiner Schwester etwas getan hat“, beschwichtigte Lu den Neuankömmling. „Nur, dass er gesagt hat, dass sie von einer Klippe gefallen ist.“


Wulfgar sah noch immer nach Konfrontationskurs aus, aber glücklicherweise kam Dana jetzt an. Sie hatte eine unverkennbar rot leuchtende Nase und rote Augen.
     „Wulfgar!“, rief sie erschrocken. „Das mit Greta… das tut mir so leid!“
      Bei ihrem Anblick verschwand die Wut aus Wulfgars Gesicht. Er wandte sich ihr zu und fragte: „Weißt du, was mit ihr geschehen ist?“
     „Naja, sie ist… von einer Klippe ins Meer gefallen. Das hat Jin zumindest gesagt.“
     „Und hat er auch gesehen, dass sie untergegangen ist?“
     Dana war ein bisschen irritiert über diese Frage. „Ich… weiß nicht…“


„Ja, ich hab's gesehen“, kam ihr jemand zu Hilfe.
     Es war Jin und sein Anblick ließ Danas Mundwinkel augenblicklich nach unten sinken.
     Wulfgar ging zu ihm. Doch anstatt zu sprechen, bedachte er zuerst das blonde Mädchen an Jins Seite mit einem wortlosen Blick, der dann zu Jin selber und schließlich zu Dana wanderte, die darunter erstarrte.
     Aber anstatt das Offensichtliche anzusprechen, fragte er: „Und danach? Kam sie wieder hoch? Hast du sie gesucht?“
     „Ich hab sie nicht mehr gesehen, seit sie im Meer unterging. Ich hab sie natürlich gesucht. Am Strand und so. Aber ich hab sie nicht gefunden.“ Plötzlich brach sein Blick. „Ich konnt sie nicht beschützen… Ich hab nicht auf sie aufgepasst…“


Da hatte Wulfgar genug gehört. Er ließ Jin stehen und ging ohne ein weiteres Wort davon.
     Als Dana sah, dass er Richtung Nebelwald ging, folgte sie ihm. Sie hatte das Gesicht des Blum-Zwillings nicht gesehen, aber sie kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass hier etwas vor sich ging.


Also lief sie ihm nach, aber sie schaffte es erst, ihn zum Anhalten zu bringen, als sie sich ihm auf halbem Wege zum Wald in den Weg stellte.
     „Warte! Was ist los, Wulfgar?“
     „Ich glaube, dass Greta noch lebt“, erklärte er unverblümt und Dana erschrak.
     „Was? Aber sie ist doch ins Wasser gefallen. Wie soll das gehen?“, fragte sie ungläubig.
     „Ich habe schon lange den Verdacht, dass sie schwimmen kann. Du weißt, dass unser alter Schamane es konnte, und ich glaube, dass sie es von ihm gelernt hat, bevor er gestorben ist.“ Sein Blick schweifte ab. „Ich habe sie damals oft beim Wasser gesehen und ich war mir nicht nur einmal sicher, dass sie geschwommen ist. Aber sie hat es immer dementiert. Ich glaube, dass sie mich sogar einmal gerettet hat, als ich untergegangen bin und das Bewusstsein verloren habe.“
     „Und warum hat sie das dann niemandem gesagt? Ich meine, ihr zwei habt euch doch sonst immer alles erzählt.“
      „Sie wollte nicht, dass ich es lerne. Damit ich nicht zur See fahren kann.“


Wenn das wahr war… Wenn Greta noch lebte….
     „Aber wenn sie schwimmen kann, wäre sie doch aufgetaucht und hätte Jin gezeigt, dass es ihr gutgeht.“, klammerte sie sich an die letzte Logik, die ihr blieb. 
     „Nun, sag du mir doch, warum sie das nicht getan hat! Ich war schließlich jahrelang weg und habe wohl verpasst, wie du und Jin zusammen ein Kind bekommen habt. Wusste Greta wenigstens davon oder habt ihr es klammheimlich hinter ihrem Rücken gemacht?“
     „Ich… ich wollte ihn ihr nie wegnehmen. Ich dachte, sie würden glücklich miteinander. Aber sie konnten keine Kinder bekommen…“, stotterte sie und sie bemerkte selber, wie armselig sich das anhörte.
     „Ach, also hast du dich seiner erbarmt, als er zu dir kam?“ Wulfgar schüttelte missbilligend den Kopf. „Ich will es gerade, ehrlich gesagt, nicht mal wissen. Also erspar mir deine Ausreden! Alles, was ich wissen will, ist, ob Greta lebt oder nicht. Und von ihr werde ich dann hören, wie es wirklich war. Dir glaube ich gerade sowieso nicht ein Wort! Greta war wie deine Schwester! Du warst wie eine Schwester für uns, Dana!“
      Er starrte sie noch einen Moment länger in Grund und Boden, dann jedoch erlöste er sie endlich und ging. Nicht, dass Dana ihm nicht gefolgt wäre. Wenn Greta lebte, wollte sie es mit eigenen Augen sehen. Und aus ihrem Mund hören, warum sie Jin in dem Glauben gelassen hatte, dass sie tot sei.


Der Hof, den sie vor so vielen Jahren verlassen hatte, hatte sich kaum verändert, als sie an diesem Tag zurückkehrte. Damals hatte es geregnet und der Himmel war grau gewesen, jetzt schien die Sonne und das Muhen von Kühen empfing sie aus einem Kuhstall, wo sich früher Schweine im Schlamm gesuhlt hatten.


Ein Mann, den Dana nicht kannte, arbeitete auf dem Feld vorm Haus. Sie dachte zuerst, er sei einer ihrer Brüder, aber keiner in der Familie hatte schwarze Haare. Als Wulfgar ihn grüßte, wandte er sich ihnen zu und Dana sah, dass sie recht gehabt hatte. Sie kannte ihn nicht.
     „Ich denke, wir sind uns noch nicht begegnet. Mein Name ist Wulfgar“, stellte sich der älteste Sohn des Hauses vor.
     Der Fremde kam jedoch gar nicht dazu, etwas zu erwidern, da sie von einem spitzen Aufschrei unterbrochen wurden. Für einen Moment glaubte Dana mit Schrecken, Greta vor sich zu haben, als sie die Frau in dem braunen Kleid sah, die jenseits des Feldes stand, dann jedoch erkannte sie Gisa in ihr. Sie hatte erst kurz vor Gretas Sturz mit ihr gesprochen.


Gisa war mit ein paar schnellen Schritten bei ihr und drückte sie erfreut an sich. 
     „Dana! Wie schön, dass du uns mal besuchen kommst. Ich habe dir ja so viel zu erzählen. Du hast ja gar keine Ahnung, was mir so alles in letzter Zeit passiert ist“, plapperte sie munter drauflos.
     Das ging noch eine ganze Weile so weiter, in der die beiden Männer nichts tun konnten, als schweigend zuzusehen und Dana aus Höflichkeit ein Lächeln aufgesetzt hatte, selber aber auch nicht zu Wort kam.


Bis sich dann schließlich Wulfgar, der bislang eisern ignoriert worden war, wagte, zu Wort zu melden: „Hey, Gisa! Schön, dich zu sehen! Bist groß geworden!“
     Ein eisiger Blick traf den Störenfried, sodass es selbst Dana fröstelte. Wulfgar jedoch blieb unbeeindruckt.
     „Ah, du warst…?“, sagte Gisa desinteressiert.
     „Wulfgar. Dein Bruder.“
     „Das sehe ich. Was willst du?“, fragte sie barsch.
     „Weißt du zufällig, wo Greta ist?“
     „Das ist ja mal wieder typisch! Ihr beiden habt euch ja immer nur für euch interessiert! Mal nach dem Wohlbefinden anderer zu fragen, kommt euch wohl nicht in den Sinn!“
     „Also?“
     „Keine Ahnung! Geh und frag Mama! Sie ist drinnen.“ Dann wandte sie sich wieder Dana zu. „Du musst unbedingt mal meine Kinder sehen! Sie sind anbetungswürdig!“
     Dana rang sich ein Lächeln ab und versprach, so bald wie möglich nochmal vorbeizukommen, aber jetzt würde sie erst einmal ihre Eltern grüßen gehen. Gisa schnitt eine unwillige Grimasse, ließ sie aber ziehen.


Im Inneren des Hauses hatte sich scheinbar noch weniger verändert als draußen. Es war dunkel, nicht einmal das Feuer in der Herdstelle brannte. Deswegen brauchte Dana auch etwas, bis sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnt hatten und sie die zusammengekrümmte Gestalt zu ihren Füßen erkennen konnten. Es war ihre Mutter.
     Bei ihrem Anblick kämpfte sich die einst so energiegeladene Frau mühsam auf die Beine. Ihr Gesicht war inzwischen von noch mehr Falten durchzogen, die Wangen hingen und ihr Haar war vollständig ergraut. Dana hatte zwar mit Gisa ein paarmal gesprochen, aber ihre Mutter hatte sie eine lange Zeit nicht mehr gesehen, und es erschrak sie, wie alt sie plötzlich geworden war.
     „Wulfgar!“ Gitta legte ihrem Ältesten die Hände auf die Schultern. „Da bist du ja endlich wieder!“, sagte sie, als hätte es nie einen Zweifel daran gegeben, dass er zurückkehren würde.
      Und wie Dana erkannte, hatte es das auch nicht. Als Mutter hatte Gitta nie die Hoffnung aufgegeben, ihren Sohn wiederzusehen.


„Du siehst gut aus, mein Junge!“
     „Mir geht's auch bestens. Wie ist es euch so ergangen?“
     Gitta schüttelte den Kopf. „Mir geht es ganz gut, aber Vater…“
     „Was ist mit ihm?“
     „Er stirbt“, war alles, was sie sagte.
     Für einen Moment war es so still, dass man Gisa draußen zetern hören konnte. 
     Dann sah Gitta zu Dana hinüber. „Ach, du bist ja auch da! Schön, dass du dich mal blicken lässt!“
      Dana kam nicht umhin, den Zynismus in ihrer Stimme zu hören. Sie fühlte sich auch ein bisschen schlecht, dass sie so lange nicht mehr vorbeigeschaut hatte.
     „Wie wäre es, wenn du erstmal etwas Ordentliches isst, mein Junge?“
     Wulfgar riss den Blick von seinem Vater los, der zu ihren Füßen eingerollt schlief. „Danke, aber ich muss vorher etwas mit dir besprechen.“
     „Sicher doch. Aber lass uns draußen reden. Dein Vater braucht Ruhe.“


Als sie wieder draußen standen, wandte sich Gitta zuerst erneut an Dana. „Wo ist eigentlich der Taugenichts, den Greta hier angeschleppt hat? Er ist schon seit Wochen verschwunden.“
     Dana wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Es war die letzte Zeit so viel passiert, dass es langsam zu viel für sie wurde. Zumal sie immer noch nicht wusste, ob Greta nun wirklich noch lebte oder nicht.
     „Ja, weil er Greta doch… weil sie von der Klippe gefallen ist…“
     „Was redest du da, Kind?“ 
     Dana glaubte noch immer nicht daran, dass Greta wirklich noch lebte, aber als sie in das ernste, ungläubige Gesicht ihrer Mutter sah, wusste sie, dass Wulfgar doch recht gehabt hatte. 
     „Greta ist wohlauf. Sie ist unten am Strand.“


Den Weg zum Strand hinunter erlebte Dana wie durch einen Schleier. Sie konnte es nicht fassen. Sie wusste nicht, was sie denken oder fühlen sollte. Sie wollte es wahrscheinlich nicht einmal einsehen, dass Greta tatsächlich noch lebte.
     Und selbst, als sie die kleine Bucht unweit ihres Elternhauses erreichten und sie Greta dort tatsächlich stehen sah, konnte sie es noch immer nicht glauben. Sie war hin- und hergerissen zwischen Schuld, Angst, dem Unwillen zu akzeptieren und Wut.


Selbst, als Wulfgar zu seiner Schwester runterging, kam ihr noch immer alles wie ein schlechter Traum vor. Sie sah, wie Greta sich umdrehte, sah die Freude über das unerwartete Wiedersehen auf ihrem Gesicht. Greta, die ihren Bruder überschwänglich begrüßte und die von ihm fortgeschoben wurde. 
     Aber erst, als Wulfgar Antworten forderte, nahm schließlich die Wut das Ruder in die Hand. 
     Wie nur konnte Greta Jin so etwas antun?


Sie rief Gretas Namen, rannte in Windeseile zu ihr, und sie sah schon von weitem, dass die Angesprochene erschrocken aussah. Mit ihrem Auftauchen hatte sie wohl ebenso wenig gerechnet, wie mit dem von Wulfgar.
     „Was machst du hier?“, stellte sie die Totgeglaubte zur Rede.
     Greta verschränkte die Arme vor der Brust und starrte sie tödlich an. Doch Dana blieb davon unbeeindruckt. Sie hatte sich einiges zu Schulden kommen lassen, aber Greta hatte das auch.


Eine Antwort würde sie ihr jedoch vorerst schuldig bleiben. Denn in diesem Moment fiel Gretas Name erneut. Und als Dana herumwirbelte, sah sie ausgerechnet Jin auftauchen.
     Sie fluchte. Er musste ihnen gefolgt sein. Wahrscheinlich hatte nicht nur sie bemerkt, dass etwas nicht stimmte.


Es ging alles viel zu schnell. Jin tauchte auf, und dann hatte Greta ihn plötzlich um den Hals hängen. Sie sah überhaupt nicht erfreut darüber aus, aber Dana stach dieser Anblick mitten ins Herz. Zu wissen, dass Jin Greta liebte, war schwer, aber es war noch so viel schwerer, es auch zu sehen. Die Erleichterung in seinem Gesicht, die Freude, wieder bei seiner Liebsten zu sein. Es tat einfach nur weh.


„Greta! Ich bin so froh, dass es dir gutgeht!“
     ‚Und warum freust du dich? Warum fragst du sie nicht, was das sollte? Du solltest wütend sein und dich nicht freuen, verdammt! Sie hat dich schließlich angelogen!‘, dachte Dana frustriert.
     Inzwischen hatte Greta Jins Hände von ihren Schultern entfernt und war auf Abstand gegangen.
     „Von wegen! Erzähl mir keine Lügenmärchen! Dir kam es doch ganz recht, dass du dachtest, ich sei tot!“, konterte sie.


Da ging es plötzlich mit Dana durch. Bevor sie es verhindern konnte, ging sie dazwischen: „Was? Sag mal, spinnst du? Du hast ja keine Ahnung, wie sehr er gelitten hat, als er dachte, du seist tot! Er hat um dich getrauert! Er hat dich geliebt! Und du hast nichts Besseres zu tun, als ihn in dem Glauben zu lassen, du wärst tot und ihm jetzt auch noch Vorwürfe zu machen?“  
     Schon als sie es tat, wusste Dana, dass es keine gute Idee gewesen war, überhaupt den Mund aufzumachen. Oder auch nur hier zu sein. Aber es war zu spät. Greta lachte nur, aber als sie mit dem Lachen fertig war, landete ihr Finger anklagend auf ihr.


„Du solltest lieber ganz still sein! Du verlogenes Miststück! Von wegen, er ist der widerlichste Kerl, den du jemals gesehen hast, aber dann hast du trotzdem nichts Besseres zu tun, als dich ihm an den Hals zu werfen, wenn ich nicht hinsehe und mit ihm ein Kind zu bekommen!“ Sie schnaubte abfällig. „Hat dir das eigentlich Spaß gemacht, hm? Mir euer blödes Balg unter die Nase zu reiben, während ich keine Kinder bekommen kann?“


Dana dachte, sterben zu müssen, aber es wurde noch viel schlimmer, als sie es schließlich nicht mehr verhindern konnte und ihr Blick zu Jin huschte. Sie sah, dass er es nicht verstand. Wie sollte er auch, wo er nicht einmal wusste, wovon Greta eigentlich sprach?
     „Was meint sie damit?“, wollte er natürlich wissen.
     Und da war er gekommen. Der Moment, vor dem sich Dana gefürchtet hatte, seitdem sie erfahren hatte, dass sie von Jin schwanger geworden war. Sie hatte ihn so lange aufgeschoben, obwohl sie gewusst hatte, dass sie es damit nur schlimmer machen würde. Und jetzt konnte sie es nicht mehr. Jetzt musste sie es ihm sagen.
      Also erzählte sie es ihm. Von der Nacht, die sie zusammen verbracht hatten. Davon, dass er zu betrunken gewesen war, um sich daran zu erinnern. Und natürlich von ihrer Tochter. Von Jana, dessen Vater er war. 
     Jin hörte ihr zu und er unterbrach sie nicht einmal. Da war keine Wut, keine Verwunderung, da war keinerlei Emotion in seinem Gesicht, während sie erzählte. Wie die letzten paar Wochen, in denen er getrauert hatte.


Doch Dana wusste, dass das nicht so bleiben würde. Und als Jin die beiden Frauen vor sich sah, die ihn so schändlich belogen hatten, als er Gretas wütendes Gesicht sah und Danas Entschuldigungen hörte, zerbrach die Mauer in ihm, die ihn so lange von der Außenwelt abgeschnitten hatte.


„Warum hast mir das nicht gleich erzählt?“, forderte er zu wissen.
     „Ich… ich konnte nicht… ich wollte mich nicht zwischen dich und Greta drängen…“
     Greta lachte, blieb ansonsten aber still.
     „Hier geht es aber um meine Tochter!“, stellte er wütend klar. Und was er dann sagte, erschütterte sie bis ins Mark: „Wie willst du mir und ihr die Jahre wiedergeben, die du uns weggenommen hast?“
     Dana wusste es nicht. Sie hatte darauf keine Antwort. Alles, was sie sagen konnte, war: „Es tut mir leid! Bitte verzeih mir!“
     Sie machte einen Schritt auf Jin zu, aber er wehrte sie ab. „Nein! Ich will nichts mehr von dir wissen!“


Während Danas Welt zerbrach, bedachte er Greta mit einem letzten Blick, aber für sie hatte er schon keine Worte mehr. Also ließ er sie alle stehen, und Greta tat es ihm gleich, untermalt von Danas Weinen.


Als Jin zum Hof seiner Eltern erreichte war, war er von Schweiß durchnässt. Er war ohne Pause durch den Wald gerannt, um schnellstmöglich wieder hier zu sein. Tann und Luma standen gerade zusammen am Rande der Schafsweide, also ging er zu ihnen.
     „Wisst ihr, wo Jana ist?“, fragte er atemlos.
     Es war Tann, der ihm antwortete: „Sie ist zum Strand runter, soweit ich weiß. Sie wollte euch nachgehen, aber Lu hat sie nicht gelassen.“
     Er bemerkte Tanns forschenden Blick und da wusste er Bescheid. Trotzdem fragte er nach: „Wusstest du davon?“
     „Ja, und ich habe keine Entschuldigung dafür, dass ich es dir nicht gesagt habe.“


Bevor Tann sich versah, war sein Bruder vorgetreten und hatte ihm die Faust ins Gesicht gerammt. Er wurde schmerzhaft an der Wange getroffen und die Wucht warf ihn sogar von den Beinen. Als er auf dem Hosenboden landete, durchzuckte nicht nur sein Gesicht ein böser Schmerz.


„Lüg mich nie wieder an!“, war alles, was Jin sagte.
     Dann war er auf und davon.


Es dunkelte bereits, als Jin den Strand endlich erreichte, und als er den blonden Schopf des gesuchten Mädchens in der Ferne sah, machte sein Herz einen aufgeregten Sprung. Wie Tann gesagt hatte, stand Lu bei ihr und auch er hatte diesen forschenden Blick drauf, den er zuvor schon bei seinem anderen Bruder gesehen hatte. Er hatte es also auch gewusst.
     Doch momentan hatte Jin nur Augen für Jana. Seine Tochter.
     „Siehst du, da ist Jin auch schon wieder“, hörte er Lu sagen. „Ich lass euch dann mal besser allein.“


Und dann war er endlich allein mit dem Mädchen, von dem er jetzt wusste, dass es doch seine Tochter war. Sein eigenes Kind. Er hatte die letzte Zeit gedacht, dass er nie Vater werden würde und jetzt war er es plötzlich doch. Er konnte gar nicht sagen, wie verdammt gut sich das anfühlte. Und es war momentan alles, was zählte.
     „Was ist?“, fragte Jana schließlich, als Jin sie nur wortlos anstarrte.
     Sie war sein Kind! So ein tolles Mädchen wie sie war seine Tochter!
     Er lächelte und es war das erste Mal seit langem, dass es wirklich ehrlich war. Aus tiefstem Herzen.


„Weißt du noch, als du sagtest, ich wär vielleicht dein Papa? Weißt du, ich hab zwar gesagt, dass ich das nicht bin, aber ich hab mit deiner Mutter gesprochen und wie sich rausgestellt hat, bin ich doch dein Papa!“, erzählte er.
     Es war, als würde sie zeigen, wie er sich fühlte. Da war plötzlich so eine unbändige Freude in ihrem Gesicht zu sehen, dass ihm ganz warm ums Herz wurde.
     „Wirklich? Das ist… das ist Wahnsinn! Du bist so viel besser als Tann!“


Dann war sie an ihn herangetreten und hatte ihre kleinen Arme um ihn gelegt. Sie reichte ihm gerade einmal bis zur Brust. Sie war noch so klein und doch schon so groß, und er hatte all die Jahre nicht für sie da sein können.


Doch obwohl er das bedauerte, nahm er sich vor, von nun an umso mehr für sie da zu sein. Er würde der beste Papa sein, den man sich vorstellen konnte, das schwor er sich.


Dana war beinahe krank vor Sorge. Sie hatte eine ganze Weile mit Weinen zugebracht, hatte sie sich dann aber zusammengerissen und dazu gezwungen, nach Hause zurückzukehren. Sie wusste, dass sie es nicht verdient hatte, aber sie wollte dennoch dabei sein, wenn Jana die Wahrheit erfuhr. 
     Doch dann hatte sie erfahren, dass Jin bereits zu ihr gegangen war. Natürlich war er das. Er war nie ein Mensch gewesen, der lange gezögert hatte.
      Also hatte sie den beiden ihre Zeit zusammen gelassen. Seitdem wartete sie, und sie konnte nichts anderes tun, als dem Himmel dabei zuzusehen, wie er immer dunkler wurde, und sich dabei Sorgen zu machen.


Als schließlich schon alle Sterne zu sehen waren, kam Lu in der Ferne in Sicht. Und er hatte eine Nachricht für sie. Jin würde heute nicht mehr nach Hause kommen. Ebenso Jana. Er hatte sie mit sich genommen, und er wollte eine Weile mit ihr allein in der Wildnis verbringen.
       „Er weiß nicht, wann sie wiederkommen werden. Aber ich soll dir sagen, dass er auf sie aufpassen wird“, beendete Lu gerade.
      Und Dana konnte nichts dagegen tun, dass man ihr ihr kleines Mädchen auf unbestimmte Zeit nahm. Denn sie hatte kein Recht dazu, sich zu beschweren. Nicht, nachdem sie Vater und Tochter so viel Zeit miteinander verwehrt hatte.


Lu wiederum konnte nicht verhindern, dass er ein wenig Mitleid mit Dana bekam, als sie in Tränen ausbrach. Doch er hatte sie gewarnt, hatte ihr einen guten Rat gegeben, auf den sie gepfiffen hatte, und letztendlich war er nur froh, dass Jin endlich die Wahrheit kannte. Sein Bruder hatte ihn zwar angesehen, als würde er ihn am liebsten auch schlagen, aber dann hatte er gesagt, dass er noch einen gut hatte von früher, als er ihn am Tümpel verprügelt hatte.
     Jetzt war Jin zwar weg und Jana auch, aber trotz Danas Schluchzen, konnte Lu nicht verhindern, dass er momentan bester Laune war. Dass er den ganzen Tag über aufgeregt war und er sich seit langem einmal wieder darauf freute, zurück nach Hause zu gehen.


Nur, dass ihn dort gleich der nächste Krisenherd erwartete. Seine Mutter und seine Schwester standen mit Tann zusammen am Eingang, und schon von ihren Gesichtern konnte Lu ablesen, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.
     „Lu, hast du zufällig Elrik und Rahn gesehen? Sie sind seit gestern Abend verschwunden“, fragte seine Mutter ihn besorgt.
     Stimmt, da war ja noch etwas gewesen, um das er sich Sorgen machen musste. Die Sache mit Elrik und Tann. Aber jetzt auch Rahn? Was war nur eigentlich in letzter Zeit los, das er nicht mitbekam?
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Hier weiterlesen -> Kapitel 42 

UPDATE: Wenn ihr erfahren wollt, was Wulfgar während seiner Reise so alles erlebt hat, verweise ich hier mal auf Wulfgars Geschichte. Die Geschichte ist allerdings rein textbasiert und... nun ja, alles weitere dazu hab ich ja dort geschrieben.


Wulfgar ist also wohlbehalten wieder zurück (ich hab mich so drauf gefreut, ihn endlich wieder spielen zu dürfen :D) und mit ihm gleich auch noch seine Schwester Greta. Oder besser gesagt, sie war nie weg. 

Warum sie das Ganze aber getan hat? Da das nicht ganz klar wurde, sollte sie das lieber selber erklären:

"Also, warum hast du deinen Tod vorgetäuscht, Greta?" 

Greta: "Nun, wenn ich ehrlich bin, in erster Linie wohl, weil ich Jin loswerden wollte. Als ich ihn kennenlernte, war er ein verwegener Kerl, aber in letzter Zeit ist er unheimlich langweilig geworden. Und seine Dummheit hat mich regelmäßig in den Wahnsinn getrieben! Ich musste ihm immer wieder alles erklären, aber er hat es dennoch nicht begriffen und am Ende immer alles falsch gemacht. Ganz zu schweigen davon, dass er sich oft vor der Arbeit gedrückt hat. Zuverlässigkeit ist auch keine seiner Stärken. 
     Dass wir keine Kinder zusammen haben würden, hat dem Ganzen schließlich den Todesstoß versetzt. Vielleicht hatte ich auch ein kleines bisschen ein schlechtes Gewissen, dass er bei mir und nicht bei seinem Kind war. Ich meine, ich kann ihm ja keine Kinder schenken, wie ich dadurch erfahren habe. Das war für mich natürlich ein schwerer Schlag ins Gesicht."

"Aber dann gleich den eigenen Tod vortäuschen? Ist das nicht ein bisschen radikal?"

Greta: "Es war ja nicht geplant. Er hat mich einfach nicht in Ruhe gelassen und mich zu Tode genervt, und da bin ich einfach auf die Idee gekommen, ins Meer zu springen. Ich wollte einfach nur weg von ihm. Einfach nur für einen Moment frei sein. Es war das erste Mal, dass ich Wulfgar verstehen konnte, dass er von hier weggehen wollte. 
     Ich bin dann also gesprungen, eine Weile getaucht, und an der Bucht wieder rausgekommen. Als ich nach Hause kam, war Jin plötzlich weg, und ich hörte, dass er dachte, ich sei tot. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er das denken würde. Aber da er einmal weg war, sah ich auch keinen Grund, ihn wieder herzuholen. Ich wollte ihn ja ohnehin loswerden. Ich wollte nur noch bis nach der Ernte warten. Ab und an hat er ja mitgearbeitet. Und so ging es immerhin ganz einfach. Ich war wieder frei und er konnte endlich zu seinem Kind gehen."

"Wusstest du, dass er nichts von seiner Tochter wusste?"

Greta: "Nicht wirklich. Aber, ganz ehrlich, wenn er es gewusst hätte, hätte er das nie für sich behalten können. Man kann ihm nichts anvertrauen, ohne, dass er es weitererzählt." 

"Und was hast du jetzt vor?"

Greta: "Nun, ich werde wahrscheinlich allein auf der Farm meiner Eltern sterben. Vielleicht gehe ich auch woanders hin, aber das ist noch zu unsicher, um jetzt schon darüber zu reden."

"Jetzt, wo du es sagst... du warst ja nicht allein am Strand. Wer war da bei dir?" 

 Greta: "Das bleibt vorerst mein Geheimnis."

Soviel dazu. Falls euch übrigens Wulfgars Bart merkwürdig vorkam, dann liegt das daran, dass er eine kahle Stelle an den Schläfen hat, die ich selber jedes einzelne Mal übermalen musste. Und ich bin nicht sonderlich gut in Bildbearbeitung x.x. Jedenfalls, und weil seine Haare auch nicht ganz in Ordnung sind, bekommt er bald eine neue Frisur von mir, die das verdeckt. Falls ihr ihn mal in seiner kahlen Pracht sehen wollt, hab ich ein, u.a., mal ein Bild davon bei den Outtakes reingestellt.
Greta und Wulfgar habe ich den Charakteren hinzugefügt, wenn auch unterm Uruk-Stamm. Hab jetzt auch mal vor Aktualisierungen ordentlich gekennzeichnet, damit es ein bisschen besser auffällt, wo was neu ist.

Bis nächstes Mal dann (um die Spannung zu wahren wegen Elrik und Rahn diesmal keine Vorschau), danke fürs Vorbeischauen und bis zum nächsten Mal!

4 Kommentare:

  1. Glaube, das ist bis dato mein Lieblingskapitel =D .
    - Es kommt n Wulfgar zurück (in Pseudo Skyrim Robe!)
    - Er stellt ma ganz einfache Nachforschungen an wie so n 1€ RPG Held & löst damit enorm viel Kuddelmuddel
    - Jin wird wieder ganz der Alte
    - Ich weiß warum ich Greta nie mochte
    - Jin findet endlich zu seiner Tochter als Papa
    - Jemand bekam endlich was schon laaaaange überfällig war von unsrem guten Jin. Jin gab Elrik endlich ma wortwörtlich eins "Aufs Maul" xD !

    Soooviele feine Sachen.

    PS: Dana ist nun ein weitres Opfer ihes Lügenkartenhauses. Wann lernen die allesamt endlich das Lügen sich NICHT auszahlt :P ? Sollten se sich auf die Hauswand schreiben (...lassen von Lu).

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    1. Ist auch mein Lieblingskapitel ^^.
      - Ich hab mich auch soooo auf Wulfgars Rückkehr gefreut. (Und es ist sogar eine richtige echte Skyrim-Robe ;)... Wulfgar scheint nicht nur in Khorinis unterwegs gewesen zu sein.)
      - Tja, ist ja auch die Aufgabe von Videospielhelden und nachdem er schon in Gothic und Skyrim war, geht's jetzt hier weiter mit den Quests.
      - Endlich.
      - Wieso? Sie ist doch eine ganze Nette...
      - Wird ja auch Zeit.
      - Hm, ist Elrik deswegen weg? Weil Jin ihn etwa verhauen hat ö.ö? Aber Tanns hats einfach verdient. Kann ich nicht anders sagen.

      Find ich auch.

      Lol, über das von Lu musste ich echt lachen XD.

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    2. Korrektur; ich meinte Jin gab Tann eins auf die Mütze ^^' aber gut...nu wissen wa warum Elrik auch weg ist. Wahrscheinlich war Jin zu wütend und sah den Unterschied nicht zwischen Vater & Sohn xD !

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    3. Das ist schon blöd, dass es damals noch keine Brillen gab. Er bräuchte nämlich ganz dringend eine, wenn er die beiden verwechselt XD.

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