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Freitag, 13. April 2018

Kapitel 43 - Etwas wagen



Elrik fackelte nicht lange. Bevor man ihn auf dem elterlichen Hof entdecken konnte, war er auch schon wieder verschwunden. Im Schutz des Dickichts, in dem seine Leute für gewöhnlich ihre Notdurft zu verrichten pflegten, gelangte er zum angrenzenden Rastplatz, von wo aus er in den Schatten des Hell-Hauses schlüpfte.
      Er wusste, dass Akara sich zu dieser Tageszeit um den Garten kümmerte, denn sie hatten sich danach immer zusammen davongestohlen. Auch jetzt war sie auf den Beeten vorm Haus ihrer Familie zu finden. Und glücklicherweise war sie allein. 


Dennoch spähte er zuerst vorsichtig um die Hausecke, bevor er die Hände an den Mund legte, um leise nach ihr zu rufen. Sie ließ augenblicklich von ihrer Arbeit ab und drehte sich ihm zu, doch sie sah so überhaupt nicht erfreut aus, ihn zu sehen.
      „Was willst du hier? Du hast hier nichts verloren!“, rief sie aus der Ferne.
      Er gab ihr zu verstehen, leiser zu sein und deutete hinter sich. Obwohl sie nicht aussah, als wollte sie ihm folgen, tat sie es dennoch.


Er brachte sie zur Rückseite des Hauses, wo normalerweise weniger Leute vorbeikamen, um sie zu entdecken.
     „Ich habe eine Idee, wie du vielleicht doch bei uns leben könntest“, begann er.
     Akara begnügte sich damit, ihn in Grund und Boden zu starren. Er wusste, dass sie ihn nicht verlassen hatte, weil sie ihn nicht mehr leiden konnte, aber dennoch verletzte es ihn, wie sie ihn ansah. So tödlich. So absolut ablehnend.
     „Wenn wir ein Kind zusammen hätten...“, fuhr er deshalb verunsichert fort.


„Spinnst du?“, ließ sie ihn nicht mal ausreden. „Sag mal, hast du mir vorhin überhaupt zugehört? Ich will gar nicht mehr bei euch leben!“
      „Aber wenn du bei uns lebst, könnten auch die Anderen aus deiner Familie zu uns kommen. Ich weiß, dass du ein schlechtes Bild von meinen Leuten hast, aber sie wollen ja bloß ihre Familie schützen. Das hast du ja selber gesagt. Und wenn wir erst einmal ein Kind zusammen haben, wirst du auch zur Familie gehören, und deine Familie gehört dann natürlich auch dazu.“
     „Das ist doch bescheuert! Ich werde in dieser Situation ganz sicher kein Kind mit dir bekommen! Du sagst das alles, aber weißt du auch sicher, dass es so ist? Was ist, wenn sie nichts von dem Kind wissen wollen? Was ist, wenn sie anzweifeln, dass es deines ist? Und hast du schon einmal daran gedacht, wie mein Vater reagiert, wenn er sieht, dass ich schwanger bin? Und das vom Sohn seines Feindes?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, Elrik, das wird nicht passieren! Ich werde nicht auch noch ein hilfloses Kind da mit reinziehen!“


„Aber Akara!” Er machte flehentlich einen Schritt auf sie zu, aber sie wehrte ihn ab. „Ich will doch nur, dass du bei mir bist! Ich will dich doch bloß beschützen! Ich liebe dich doch!“
     „Ich brauche deine Hilfe aber nicht! Halt dich gefälligst von mir fern oder du kannst mich mal ganz anders kennenlernen!“
     In ihren Augen war nur Ablehnung zu sehen, und die traf ihn mitten ins Herz. 


Er konnte nichts sagen, nichts tun, konnte sie nur gehen lassen, während sein Herz nun endgültig in tausend Stücke zerbrach. Er hatte den Menschen, den er am meisten auf dieser Welt liebte, verloren und er wusste nicht, was er noch tun konnte, um sie wiederzugewinnen.


Lu hatte Wulfgar seine bequeme Kleidung gegeben, während die seine ausgebessert wurde, weshalb er an diesem Nachmittag in seiner Schamanentracht unterwegs durch den Nebelwald zu den Blums war. Er hatte zwar die Bemalung aus seinem Gesicht entfernt und den Hut abgelegt, aber die kostbare Tracht hatte er notgedrungen anbehalten müssen. 
     Doch obwohl er wusste, dass er vorsichtig sein musste, um sie nicht zu beschädigen, achtete er nicht einmal darauf, wohin er trat. Schon das ein oder andere Mal war er deshalb an einem Gestrüpp oder einer Wurzel hängen geblieben. Denn seine Gedanken waren momentan ganz woanders.


Plötzlich erschien jemand unmittelbar vor ihm, dass er beinahe mit ihm zusammenprallte. Es war Wulfgar, der sich ihm in den Weg stellte und ihn damit zum Anhalten brachte. 
     „Hey, was ist denn los? Vorhin warst du noch so gesprächig, und jetzt sagst du plötzlich gar nichts mehr.“
      Lu sah ihn überfordert an. Sollte er es ihm erzählen? Er hatte sich die letzten Jahre über so sehr angewöhnt, sich niemandem mehr anzuvertrauen, dass es ihm merkwürdig vorkam, seine Gedanken jetzt mit jemand anderem zu teilen.
      Andererseits hatten Wulfgars Worte ihm zuvor schon neuen Mut gegeben. Also fuhr er sich über den Bart und erzählte: „Ich glaube, ich habe Elrik einen unglaublich dämlichen Rat gegeben.“
     Wulfgar verbrachte einen Moment nur damit, ihn zu betrachten, dann sagte er: „Komm, ich zeig dir meinen Lieblingsort hier. Da können wir uns hinsetzen und du kannst mir alles erzählen.“


Lu wusste nicht, ob das überhaupt nötig war. Immerhin war er nicht umsonst mit Wulfgar losgezogen, um dessen Elternhaus zu besuchen. Wulfgar hatte ihm nämlich etwas Interessantes erzählt und das wollte er bestätigt wissen, bevor er voreilige Schritte in die Wege leitete.
     Dennoch folgte er seinem Begleiter, als der abdrehte, um voranzugehen. Wenn Lu sich auf diese unselige Sache konzentrieren wollte, musste er zuerst den Kopf von anderen unnötigen Gedanken freibekommen. Und er war auch ein bisschen neugierig darauf, Wulfgars Lieblingsort zu sehen. Zu hören, was er zu sagen hatte. Mit ihm allein zu sein.


Es dauerte nicht lange, bis das Haus der Blums in der Ferne in Sicht kam. Doch anstatt darauf zuzuhalten, bog Wulfgar nach links ab. Die Bäume standen hier immer weiter auseinander, sie überquerten eine kleine Lichtung und erreichten schließlich den Rand einer Klippe, die vor ihnen steil ins Meer abfiel. Der Wind, der hier oben stark wehte, trug den Geruch von Salz und Fisch mit sich.
      Als Lu an den Rand trat, hatte er, trotz des trüben Wetters, eine atemberaubende Sicht übers Meer, das unter ihnen unablässig gegen die Felsen peitschte und das von einem wolkenverhangenen Himmel überspannt wurde. So wie es aussah, schienen Meer und Himmel kein Ende zu haben, und Lu fragte sich, ob es nicht auch genau so war. Ob Wulfgar wohl jemals ein Ende gesehen hatte? 
     Er konnte jedenfalls verstehen, dass sein Begleiter gerne hier oben war. Hier war es selbst ihm, als wäre er frei, als wären seine Sorgen so klein und unbedeutend im Vergleich zum Rest der Welt.


Wulfgar hatte sich inzwischen im Gras niedergelassen und er bedeutete Lu nun, ebenfalls Platz zu nehmen. Der Schamane zögerte erst, entschied sich dann aber dazu, dass ein paar Grasflecken es wert waren.
     „Also, was ist jetzt los? Was hast du Elrik geraten?“
     Lu seufzte schwer und schielte zu seinem Nachbarn. „Du hast ja inzwischen alles mitbekommen, nehme ich an?“
     Das hatte er. Während Lu mit Elrik gesprochen hatte, hatte er die Chance genutzt, von den Anderen auf den neuesten Stand gebracht zu werden. Das Meiste hatte er dabei von Lulu erfahren, während er ihr Essen gegessen hatte, das gar nicht so übel gewesen war. Ihre Erzählung war auf jeden Fall am objektivsten gewesen, soweit er das beurteilen konnt.
     „Ich habe Elrik geraten, dass er mit dem Mädchen, das er liebt und das sein Vater nicht in seinem Haus sehen will, am besten ein Kind bekommen soll. Weil ich glaube, dass Tanns Beschützerinstinkt seinem Enkel gegenüber größer sein wird, als sein Hass auf die Nachbarn.“
     Wulfgar schien darauf zu warten, dass er fortfuhr und als er es nicht tat, fragte er: „Und?“
     „Und?“ Lu hob eine Augenbraue. „Nun, ich habe keinen Beweis dafür, dass es wirklich so sein wird. Was ist, wenn Tanns Hass so groß ist, dass er das Mädchen lieber umbringt, zusammen mit seinem Enkel, anstatt sie aufzunehmen und sie zu beschützen? Nicht, dass ich das glauben würde, aber es wäre möglich. Nicht zu vergessen, dass er einfach verweigern könnte, zu glauben, dass das Kind von seinem Sohn ist. Und natürlich ist da nicht nur Tann, der ein Problem darstellt, sondern auch der Vater des Mädchens. Der auch noch alles andere als gut zu seiner Familie zu sein scheint.“
     „Tja, aber es besteht auch die Möglichkeit, dass Tann sie aufnimmt und alle glücklich werden.“
     „Ja, aber warum will ich nur nicht daran glauben, dass es so kommt?“, meinte Lu unglücklich. „Ich hätte Elrik so etwas Riskantes niemals raten sollen. Wahrscheinlich gehen die beiden werdenden Großväter dann erst recht aufeinander los!“ 
     Er verstummte und vergrub niedergeschlagen den Kopf zwischen den Knien.
     „Du bist viel zu pessimistisch. Weißt du, du kannst nicht immer wissen, wie etwas ausgeht. Und manchmal muss man etwas wagen, um zu gewinnen. Sicher, manchmal verliert man auch, aber es ist immer noch besser, als gar nichts zu tun.“
     „Du sagst das so einfach!“
     „Ich sage das, weil ich weiß, dass es so ist. Lass mich dir eine Geschichte darüber erzählen, wie ich etwas riskiert habe und dabei mein neues Segelboot für mich entdeckte.“


Jetzt wurde Lu hellhörig. Es war ihm beinahe, als hätte er das schon einmal erlebt. Und das hatte er auch irgendwie. Damals, als sie zusammengesessen hatten und er Wulfgar gezeigt hatte, wie ein Boot aussah und Wulfgar ihm dafür seine Geschichten erzählt hatte. Als er seine Bestimmung als Schamane gefunden hatte.
     „Als ich damals von hier losgefahren bin, bin ich nicht sonderlich weit gekommen, wie du dir vorstellen kannst“, begann Wulfgar und musste darüber selber lachen. „Du kannst vom Strand aus sogar sehen, wo ich gleich wieder an Land bin. Ich bin deswegen dann viel über Flüsse, anstatt übers Meer, geschippert. Mein kleines Ruderboot war einfach nicht für eine richtige Seereise geeignet.
     Trotzdem habe ich es immer wieder versucht. Und dabei strandete ich schließlich auf einer Insel. Ich hatte damals viel Glück. Mein Boot zerschellte an einem Riff, aber überlebte.
     Die Insel jedenfalls wurde von einem Stamm bewohnt. Die Leute waren gastfreundlich und nahmen mich auf. Damals war der Häuptling des Stammes jedoch sehr alt und es ging daran, seinen Nachfolger unter seinen Söhnen auszuwählen. Traditionell wurde der nächste Häuptling durch ein Bootsrennen bestimmt. Auf der Nachbarinsel, die unbewohnt war, wuchs eine Frucht, die es nur dort gab, und wer sie zuerst zurückbrachte, wurde der nächste Häuptling des Stammes.
     Der Häuptling hatte zwei Söhne. Einer davon, der Ältere, war stark und mutig, aber nicht der Schlauste, und niemand traute ihm zu, dass er ein guter Häuptling sein würde. Der Jüngere wiederum, der schmächtiger war, war sehr erfinderisch, und die Leute mochten ihn. Er hatte sogar ein neues Boot gebaut, an dem er ein großes Stück Stoff an einer Stange befestigt hatte, damit es vom Wind übers Wasser getragen wurde. Doch nach einem Unfall, hatte er es verworfen, es jemals wieder zu benutzen.
     Dann geschah es, dass der Vulkan auf der Nachbarinsel unerwartet ausbrach. Der Häuptling entschied deshalb, das Rennen abzusagen und darauf zu warten, dass der Geist des Vulkans sich wieder beruhigte. Doch der ältere seiner Söhne, der inzwischen das Segelboot des Jüngeren gesehen hatte, wusste, dass er verlieren würde. Also fuhr er am eigentlichen Tag des Rennens heimlich los, um die Frucht von der anderen Insel zu holen.
     Natürlich war das Wahnsinn. Schon allein die andere Insel zu erreichen, war beinahe aussichtlos bei dem Feuerregen, der vom Vulkan niederging. Ganz zu schweigen von dem Rauch, der einen kaum die eigene Hand vor Augen sehen ließ. Als wir bemerkten, dass der Ältere fort war, ordnete der Häuptling deshalb bereits seine Trauerfeier an, so sicher waren sie sich, dass er nicht lebendig zurückkehren würde.
     Da bin dann ich auf den Plan getreten. Ich habe den jüngeren Bruder um sein Boot gebeten, und obwohl mir alle davon abrieten, rüberzufahren, habe ich es trotzdem getan. Es war natürlich schwierig und ich habe mehrmals gedacht, dass ich es nicht schaffen würde, aber der Wind ging an diesem Tag so günstig, dass ich schnell in die Rauchschwaden eintauchen, das Boot des älteren Sohnes finden und ihn retten konnte. Und du wirst es nicht glauben; er hatte tatsächlich die Frucht bei sich. Er war bis zur Insel gekommen und war auf dem Rückweg dann ohnmächtig geworden.“
     Als Wulfgar nicht weiter erzählte, fragte Lu gespannt: „Was ist dann passiert?“
     „Ich habe ihn natürlich zurückgebracht und sie haben ein Fest zu meinen Ehren veranstaltet. Und der ältere Sohn ist dann der neue Häuptling geworden, auch wenn ich mir sicher bin, dass sein jüngerer Bruder ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen wird. 
     Aber das Wichtigste ist, dass ich etwas Riskantes gewagt habe und dadurch ein neueres und viel schnelleres Boot bekommen habe, das ansonsten wahrscheinlich niemals wieder zum Einsatz gekommen wäre. Ein Boot, mit dem ich sogar richtig übers Meer fahren konnte.“ 
     Er hatte beim Erzählen bislang aufs Meer hinaus gesehen, aber jetzt sah er Lu wieder an und fügte hinzu: „Du siehst, dass es sich manchmal also auch lohnen kann, etwas zu tun, dass riskant oder total dämlich ist. Manchmal muss man einfach etwas wagen, um etwas zu gewinnen.“


Lu betrachtete Wulfgar noch einen Moment länger, dann riss er sich jedoch von seinem Anblick los und sah nun selber aufs Meer hinaus. Er dachte eine Weile über Wulfgars Geschichte nach und kam schließlich zu dem Schluss, dass er wohl ohnehin nichts weiter tun konnte, als abzuwarten, wie es sich letztendlich entwickelte. Vielleicht geschah nichts, vielleicht würde sein Ratschlag alles nur noch schlimmer machen, aber vielleicht würde er die Situation auch zum Guten wenden.
     Dann jedoch konnte er nicht verhindern, dass seine Gedanken abschweiften. Es war schon zuvor das ein oder andere Mal geschehen, seitdem Wulfgar zurückgekehrt war, auch wenn seine Sorgen ihn früher oder später immer wieder in die Realität zurückgebracht hatten. Dennoch war da eine Frage, die ihn einfach beschäftigte.
     Er starrte nervös auf seine Hände. Durfte er so etwas überhaupt fragen? Durfte er es überhaupt hoffen, nach allem, was er sich in der Vergangenheit ihm gegenüber geleistet hatte?


„Du bist ja ziemlich rumgekommen…“, hörte er sich selber sagen. „Hast du eigentlich nie jemanden getroffen, für den du… nun ja… dableiben wolltest?“
      „Naja, es gab da diese eine Frau, mit der ich einmal versucht habe, ein Kind zu bekommen. Ich denke, wenn sie schwanger geworden wäre, dann wäre ich dageblieben. Um mein Kind aufwachsen zu sehen. Aber es hat nicht geklappt und da bin ich wieder fortgegangen.“ Er stockte. „Es ist eine ziemlich lange Geschichte, musst du wissen.“
     Lus Hände wurden feucht. „Und was ist mit… anderen Männern? Hast du nie jemanden getroffen, den du mochtest?“
     Da war es plötzlich so still, dass Lu den Wind pfeifen hören konnte. Er wagte nicht, zu dem Anderen rüber zu sehen und so begnügte er sich damit, angestrengt auf seine Hände zu starren und rot zu werden.


„Naja, ehrlich gesagt, bin ich nie irgendwo lange genug geblieben, um das rauszufinden“, antwortete Wulfgar schließlich. „Es ist es ja auch ziemlich schwierig, rauszufinden, ob ein anderer Mann an einem interessiert ist oder nicht. Ich bin ja nicht der Beste in sowas, falls du dich erinnerst.“
     Lu war erleichtert. Er wusste, dass er kein Recht dazu hatte, aber er war so unendlich erleichtert, dass sich ein Lächeln auf seine Lippen setzte.
     „Außerdem hatte ich andere Dinge im Kopf.“
     Jetzt konnte Lu doch nicht verhindern, dass sein Blick irritiert zu Wulfgar huschte. „Du schienst mir aber ziemlich daran interessiert zu sein, bevor du von hier weggegangen bist.“
     „Habe ja auch nicht gesagt, dass ich kein Interesse daran habe. Nur, dass ich anderes im Kopf hatte.“ Wulfgar zuckte mit den Schultern und blickte zum Himmel hinauf. „Vielleicht wollte ich mich auch nicht binden, um nicht bleiben zu müssen. Es zog mich früher oder später immer wieder in die Ferne, egal, wo ich war.“


Als Lu das hörte, war es ihm, als hätte er ihm ins Gesicht geschlagen. Sein Hals fühlte sich plötzlich zu eng an, um überhaupt zu atmen, und für einen Moment war er sich sicher, dass sein Herz stehenbleiben wollte. 
     Bedeutete das etwa, dass Wulfgar nicht bleiben würde? Dabei war er doch gerade erst wieder hergekommen! Lu wollte nicht, dass er wieder ging. Dass er ihn allein ließ. Er wollte, dass er hierblieb. Bei ihm. An seiner Seite. Er konnte sich nicht einmal vorstellen, dass er jemals ohne ihn gewesen war.
     Bevor ihm die Tränen kommen konnten, hatte Lu seinen Blick wieder auf seine Hände gerichtet. Doch obwohl er verhindern konnte, dass er weinte, wütete der Schrecken noch immer ungehemmt in seinen Eingeweiden. Was sollte er nur tun, wenn Wulfgar wirklich wieder gehen würde?


Da erschien das narbengegerbte Gesicht von Wulfgar plötzlich vor ihm. Sein langes Haar, das inzwischen nicht mehr von der salzigen Meeresluft kraus war, fiel ihm über die Schulter.
      „Also, ich weiß ja, dass du damals nicht wolltest, aber… naja… es sind inzwischen einige Jahre vergangen und ich will nur sichergehen, also frage ich dich noch einmal…Nur einmal und wenn du nicht willst, weiß ich Bescheid und werde nie wieder fragen... Also…“ Er stockte und Lu musste erstaunt feststellen, dass er verlegen aussah. „Ist deine Meinung immer noch dieselbe oder würdest du inzwischen mit mir schlafen?“
     Lu war von dieser Frage vollkommen überrumpelt. Es war nicht so, dass er sich nicht gewünscht hatte, dass Wulfgar noch immer Interesse an ihm hatte; es war nur so, dass er nicht gerade jetzt damit gerechnet hatte. Jetzt, wo er noch immer mit der Angst zu kämpfen hatte, dass Wulfgar wieder weggehen könnte. Deswegen war ihm momentan auch alles andere als danach, mit ihm zu schlafen.
      Dennoch wusste er, dass, wenn er wollte, dass Wulfgar blieb, er ihm einen Grund dafür geben musste. Etwas, wofür es sich zu bleiben lohnte. Lu wollte, dass Wulfgar bei ihm blieb. Er liebte ihn, das war ihm inzwischen auch klar. Und wenn er Wulfgar für sich gewinnen konnte, indem er mit ihm schlief, dann würde er das eben tun.


Also schluckte er seine Angst runter, die seinen Magen trotzdem weiterhin zum Rebellieren brachte, zwang sich ein Grinsen aufs Gesicht und sagte: „Ich dachte schon, du würdest nie mehr fragen.“
     Wulfgar sah ihn nun mit großen Augen an. „Wirklich?“, fragte er.
     Lus Stimme versagte, also blieb er still, um sich nicht zu verraten, und nickte bloß.


Dann war ihm Wulfgar plötzlich so nahe, wie er ihm noch nie zuvor gewesen war. Er spürte sein Herz schneller schlagen, spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss, aber dennoch ließ sich das flaue Gefühl in seinem Magen einfach nicht ignorieren.


Als Wulfgar ihn schließlich küsste, versuchte er sich darauf zu konzentrieren, aber er schaffte es nicht, den Gedanken loszuwerden, dass er wieder gehen würde, und das ärgerte ihn. 
     Es war so anders, als damals mit Tann, der sich nur auf ihn eingelassen hatte, um ihn einen Gefallen zu tun. Das wusste er inzwischen auch. Wulfgar jedoch wollte es. Er wollte ihn. Aber Lu konnte es nicht einmal genießen. Er konnte es nicht genießen, den Menschen zu küssen, den er liebte. Er konnte seine Nähe nicht genießen. Nicht, in seinen Armen zu liegen. Als er das Gras unter sich spürte, und er konnte es auch nicht genießen, nach all den Jahren schließlich doch mit ihm zu schlafen.


Die Wolken hatten sich gelichtet und einen wunderschönen Sternenhimmel preisgegeben, als Wulfgar und Lu sich schließlich wieder voneinander gelöst hatten. Sie hatten kaum miteinander gesprochen und auch jetzt sprachen sie nicht. 
     Lu schlüpfte in seine Sandalen. Er hörte, wie Wulfgar sich anzog, doch er wagte es nicht, ihn anzusehen. Es fühlte sich alles so irreal an.


Erst, als er schließlich selber angezogen war und es keinen Grund mehr gab, seine Hände anzustarren, zwang er sich dazu, Wulfgar anzusehen. Und wie er befürchtet hatte, war da auch kein Lächeln auf dessen Gesicht zu sehen. Er stand nur da, rieb sich unbehaglich die Hände und starrte auf seine Füße. Und der Schrecken über diesen Anblick jagte ein weiteres Messer in Lus Herz.
     „Hat es… dir etwa nicht gefallen?“, wagte Lu nach einer Weile zu fragen.
     Da schreckte Wulfgars Blick nach oben und ein Grinsen zerfurchte sein Gesicht, das Lu schon eher erhofft hatte, da zu sehen.


 „Doch, klar. Es war klasse.” Dann verschwand das Grinsen jedoch wieder und Ausdruckslosigkeit kehrte auf sein Gesicht zurück, auch wenn Lu sah, dass er versuchte, es zu verstecken. „Wir sollten jetzt lieber nach Hause gehen. Es ist schon spät.“


Und er drehte sich um und ging davon. Während Lu sich fragte, was gerade geschehen war. Was hatte er falsch gemacht? Hatte es überhaupt mit ihm zu tun oder sah er nur Gespenster? Hatten sie nicht eigentlich noch zum Hof seiner Eltern gewollt?
     Und das Allerwichtigste: Würde Wulfgar nun bei ihm bleiben oder würde er wieder gehen und ihn allein lassen? 
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Hier weiterlesen -> Kapitel 44

Dieses Kapitel war für mich etwas schwierig, weil die Szene mit Wulfgar und Lu eigentlich ein bisschen anders laufen sollte, ich mich dann aber umentschieden habe. Ich hatte auch schon alle Bilder, musste nun aber den Text an die Bilder anpassen und das war ein wenig umständlich. Deswegen diesmal weniger Bilder mit mehr Text (zumindest für meine Verhältnisse).
Mittendrin hat mich dann auch noch eine riesige Schreibflaute frontal getroffen, dann war ich nicht zufrieden mit meinem Schreibstil (und bin's immer noch nicht), und so ist es gekommen, dass dieses Kapitel ein bisschen später als sonst kam. Ich hoffe auch, dass ich die folgenden Kapitel wieder regelmäßiger hinbekomme, aber seid gewarnt, dass meine Flaute noch immer meint, da sein zu müssen.

So, jetzt aber genug gejammert. Dafür gibt es jetzt ein paar Outtakes, die eigentlich noch von Elriks Fest stammen, das ich im Spiel aber erst zu diesem Zeitpunkt gefeiert hatte. 

Da nächstes Mal mein Spiel meinte, ein unangekündigtes Ereignis mitten in meine Planung zu werfen (und mich dann auszulachen), weiß ich noch nicht so ganz, wie ich das nächste Kapitel aufziehe. Kann nur sagen, dass nächste Mal jemand zurückkehrt, dafür aber auch jemand geht. 
 
Bis dahin verabschiede ich mich und danke fürs Vorbeischauen!

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