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Freitag, 3. Juni 2022

Kapitel 154 - Minloppah


Jade zog ihren Gürtel fest, überprüfte ein letztes Mal, dass alles ordentlich saß, bevor sie ihren Blick hob und genau in Wulfs Augen sah. Das war so ein ungewohnter Anblick, dass sie ein bisschen darüber erschrak. Normalerweise sah er sie danach nie an. Manchmal tat er das nicht mal dabei, wandte den Blick ab, als würde er vergessen wollen, mit wem er sich da gerade im Heu wälzte, und sie wusste auch, dass es genau so war. Er hatte es ihr schließlich selber gesagt. Sie war nur ein Werkzeug für ihn, um sich von seinem Herzschmerz und seinen Entzugerscheinungen abzulenken.


Er kam schon seit ein paar Tagen immer wieder zu ihr. Das erste Mal war er drei Tage, nachdem sie ihn im Uruk-Stall überfallen hatte, bei ihr aufgetaucht. Drei Tage, die sie auf heißen Kohlen gesessen hatte, ob sie sich nicht doch alle Chancen bei ihm versaut hatte, indem sie Luna seine heimliche Liebe offenbart hatte.
     Aber dann hatte er sie an diesem Abend vor drei Tagen abgefangen. Er hatte nichts gesagt, hatte nur elend und gehetzt ausgesehen, und sie hatte ihn an der Hand genommen und war mit ihm im Stall verschwunden.


Sie hatte sich zunächst nur zu ihm gesetzt, hatte seinen Kopf auf ihre Brust gelegt und ihm übers Haar gestrichen, darauf gewartet, dass er aufhörte, zu zittern. Und danach hatten sie es getan, und seitdem war er immer wieder hergekommen. Aber er war danach nie länger geblieben, hatte sich angezogen und war jedes Mal sofort gegangen, und schon gar nicht hatte er sie je danach angesehen.


Bis zum letzten Mal zumindest. Da hatte sie ihn schon mal dabei erwischt gehabt, wie er sie nach dem Akt mit seinem angewiderten Blick betrachtet hatte, den er manchmal auch dabei zur Schau trug. Das hatte ihr mitten ins Herz gestochen. Sie hatte sich sofort unbehaglich gefühlt, aber sie hatte dennoch gefragt: „Warum starrst du mich so an? Was denkst du?“
     „Das willst du doch gar nicht wissen“, hatte er höhnisch erwidert und den Blick abgewandt.
     „Sonst hätte ich ja nicht gefragt, oder?“


Da war der angewiderte Blick zu ihr zurückgekehrt, hatte sich tief in sie gebohrt. „Ich habe mich gerade gefragt, warum ich nur so tief sinke und immer wieder zu dir komme. Dabei hast du so überhaupt nichts mit der Frau gemein, die ich liebe und die ich eigentlich haben will. Dein Haar ist viel zu dunkel, ebenso deine Haut, deine Augenfarbe ist falsch, du bist zu klein und zu schmal, und vor allen Dingen ist deine Persönlichkeit so ganz anders als die von Luna. Luna hat ein reines Herz, sie ist großzügig und selbstlos, aber du bist all das nicht. Du bist vor allen Dingen selbstsüchtig, denkst nur an dich, und dabei ist dir auch völlig egal, ob du damit anderen wehtust, solange du nur haben kannst, was du willst. Ich weiß wirklich nicht, warum ich immer wieder zu dir komme, und ich hasse mich noch immer dafür, dass ich es tue.“


Es hatte sich angefühlt, als hätte er sie geschlagen. Mit voller Kraft. Die Tränen waren über sie gekommen wie eine Welle, und sie hatte nichts anderes tun können, als bitterlich zu weinen wie ein kleines Mädchen, das unfähig war, seine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.
     Daraufhin war er zu ihr gekommen, hatte unschlüssig die Arme gehoben und sie schließlich zögerlich an sich gedrückt. Dann war er es gewesen, der ihr tröstend übers Haupt gestrichen hatte.


„Psst! Wein doch nicht!“, hatte er gesagt. „Tut mir leid, ich hätte das nicht sagen sollen. Du… kannst ja nichts dafür, dass Luna nichts von mir wissen will. Ich bin nur frustrierst deswegen, aber ich hätte das nicht an dir auslassen sollen. Ich werfe dir so viel vor, dabei bin ich eigentlich auch nicht besser. Eigentlich bin ich noch schlimmer sogar als du. Ich bin noch viel egoistischer. Ein Lügner und Betrüger. Es ist kein Wunder, dass Luna nichts von mir wissen will…“
     Da hatte sie die Tränen zum Versiegen gebracht, hatte sich von ihm gelöst und inbrünstig gerufen: „Das stimmt doch nicht! Du bist ein wundervoller Mensch, Wulf!“


Er hatte ihr wieder den Kopf getätschelt, hatte sie ein bisschen angelächelt, als würde er sie nicht ernst nehmen. Aber gesagt hatte er nur: „Wenigstens weinst du nicht mehr, Minloppah.“
     „Was bedeutet „Minloppah“?“
     „Nichts“, hatte er ertappt abgewiegelt. „Vergiss es einfach wieder.“
     Aber sie hatte es nicht vergessen wollen. Und weil sie seine komische Cousine Eris nicht hatte fragen wollen, war sie zu dem einzig anderen gegangen – heimlich natürlich – der ihr sagen konnte, was es bedeutete. Was es vor allen Dingen für Wulf bedeutete: Isaac.


„Minloppah? Wo hast du das denn gehört?“, hatte der überrascht gefragt.
     „Wulf hat es mal gesagt.“
     Isaac hatte daraufhin geschmunzelt und ihr erzählt: „Hat er das? Es bedeutet so viel wie „kleiner Stern“, und es war sein Kosename, mit dem seine Mutter ihn immer gerufen hat.“
     Und da hatte Jade sich beinahe ein Loch in den Bauch gefreut. Denn seine Mutter war Wulf wichtig, wie sie wusste, und das bedeutete doch, dass auch sie ihm wichtig war, wenn er sie mit einem Kosenamen ansprach, den seine Mutter ihm einst gegeben hatte, oder?


Deshalb war sie jetzt auch gemischter Gefühle, als sie sah, dass er sie beobachtete. Ob er wieder nur seinen Frust an ihr auslassen würde oder ob er ihr wohl wieder einen liebevollen Kosenamen verpassen würde?
     Sie traute sich gar nicht, nachzufragen, weshalb sie schwieg, bis er schließlich den Blick abwandte und zögerlich hören ließ: „Weißt du, ich dachte, dass ich heute vielleicht noch ein bisschen bleiben werde.“
     Da war es wieder. Dieses grandiose Glücksgefühl, das nur er in ihr auslösen konnte. Sie liebte das so sehr.


„Das wäre wundervoll! Ich würde so gerne noch viel mehr Zeit mit dir verbringen, aber ich fürchte, dass das heute nicht gehen wird“, musste sie jedoch leider ablehnen. „Ich… habe meine… ehelichen Pflichten noch nicht erfüllt und weiß nicht, ob… Reinard heute nicht darauf besteht. Und wenn ich dann nicht auffindbar bin, wird er misstrauisch werden.“
      „Ach! Der kommt doch eh nur einmal die Woche an, hast du erzählt“ ereiferte Wulf sich verstimmt. „Der interessiert sich ansonsten doch gar nicht für dich. Der wird nicht mal merken, dass du nicht da bist.“
      Jade fiel aus allen Wolken. Konnte es etwa sein, dass Wulf eifersüchtig war?


Das ließ sie sofort wieder in alle Höhen des Glücks hinaufsteigen, sodass sie gar nicht anders konnte, als zu ihm zu gehen, als er sagte: „Also kannst du doch auch noch ein bisschen bei mir bleiben“, und die Arme nach ihr ausstreckte.
      Sie ließ sich von ihm empfangen, schmiegte sich mit klopfenden Herzen an ihn und lauschte seinem Herzschlag, der ihr heute viel schneller als gewöhnlich vorkam. Er legte die Wange auf ihren Scheitel, strich ihr über den Rücken, und eine Weile taten sie nichts anderes, als sich in den Armen zu liegen und die Nähe des Anderen zu genießen.


Schließlich brach Jade das Schweigen, offenbarte ihm: „Ich bin schwanger“, sodass seine Hand kurz beim Streicheln innehielt, bevor er ein zustimmendes Geräusch von sich gab und fortfuhr, als hätte sie gerade überhaupt nichts gesagt. Sie wusste, dass es wahrscheinlich nicht von ihm war, da sie sich erst seit ein paar Tagen sahen, und er wusste es wahrscheinlich auch.
     „Wein doch nicht wieder, Minloppah!“
     Aber sie konnte einfach nicht aufhören.


Also löste er sie behutsam von sich, sah ihr ernst ins Gesicht. „Jade“, nannte er sie bei ihrem Namen, was er noch nie zuvor getan hatte, „du hast doch mal gefragt, warum ich das Trinken angefangen habe. Ich würde es dir gerne erzählen, wenn du es hören möchtest. Ich… habe das noch niemandem zuvor erzählt, aber ich will es jemandem erzählen.“
      Sie wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln, schniefte. „Erzähl. Ich höre dir zu.“
      Also erzählte er ihr davon. Von seinen Sorgen, die ihn in letzter Zeit wieder zu bedrücken begannen, seitdem er erfahren hatte, was seine Mutter einst getan hatte.


Er erzählte ihr alles, die ganze Wahrheit, und am Ende war es Jade, die ihn wieder im Arm hielt und ihm erschüttert übers Haar strich, als müsste sie ihn trösten. Obwohl das gar nicht nötig war.
     „Wenigstens weinst du jetzt nicht mehr, Minloppah“, flüsterte er und schmiegte sich an sie.
     Doch Jade würde bald schon wieder weinen.


Die nächste Woche verging ohne weitere Ereignisse, aber es war dennoch eine höchst merkwürdige Woche. Es herrschte eine Aufbruchstimmung, doch keine von der heiteren Sorte, wenn man sich auf eine lange herbeigesehnte Reise freute. Nein, über dem gesamten Stamm hing ein erdrückender Abschied, obwohl der noch immer recht fern war. Alle bedauerten, dass Alek und Malah gehen würden.


Wulfgar war herzgebrochen, konnte man schon sagen, dass seine Tochter schon wieder gehen wollte, Lu und Lulu sahen dem nahenden Abschied ihres Sohnes ebenfalls mit blutendem Herzen entgegen.


Und natürlich Jana. Jana, die von dem Moment an, als sie erfahren hatte, dass Luis fortgehen würde, nicht mehr von seiner Seite wegzudenken war.


Es war nach dieser Woche, dass die Tür eines Morgens aufflog und Jade hereingestürzt kam. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie fiel zu Boden, kaum, dass sie drinnen war. Ihr Vater sofort bei ihr, doch sie nahm keine Notiz von ihn, rief nur immer wieder schwach einen anderen Namen.
     „Wulfi… Wulfi…“
     „Hier bin ich.“


Sie machten ihm Platz, dass er zu ihr gehen konnte. Es sah nicht so aus, als ob sie verletzt war, aber sie trug keine Jacke, nur ihr dünnes Kleid und auch keine Schuhe. Ihre Füße waren bereits bläulich geworden. Draußen schneite es mal wieder und man versank gut und gerne bis zu den Knöcheln in der kalten Pracht.
     Wulf nahm ihre Hand, achtete nicht auf die Blicke der Anderen, fragte sie behutsam: „Was ist passiert?“
     „Reinard… Reinard hat es herausgefunden. Er… ist auf mich losgegangen…“
     „Hat er dir wehgetan?“
     Sie schüttelte den Kopf. „Ich konnte weglaufen. Aber er wird… er…“


Sie verschluckte sich an ihren eigenen Tränen und das war der Moment, in dem Wulf sie von ihrem Vater nahm. Dem gefiel das nicht, aber er ließ es zu, dass der Andere ihm seine Tochter abnahm.
     „Das hast du gut gemacht“, lobte Wulf sie.. „Jetzt ruh dich aus.“
     „Aber Reinard…“
     „Mach dir keine Sorgen. Ich beschütze dich ab jetzt.“
     Da konnte sie endlich loslassen. Erschöpft schmiegte sie sich an ihn, ließ es zu, dass er sie in sein Bett brachte und sie zudeckte. Sie war beinahe so kalt wie der Schnee draußen, kam es ihm vor.


Danach stand er einfach nur vor seinem Bett und sah auf das Mädchen hinab, das darin lag und fror, und niemand sagte ein Wort. Er wusste, dass sie ihn wahrscheinlich alle anstarrten, aber er kümmerte sich nicht darum. Er fühlte nur die Wut, die in diesem Moment brodelnd in ihm aufstieg wie die Lava in einem Vulkan.
     Erst, als Tann rief: „Isaac! Wo willst du hin?“, kehrte er aus seiner Wutstarre zurück.


Tann holte Isaac ein, als der gerade den Hof verlassen wollte.
     „Was hast du vor?“, forderte er, zu wissen.
     Isaac spießte den Schnee mit dem stumpfen Ende seines Speers auf, den er gerade erst entwendet hatte.
     „Dieser Reinard hat es gewagt, die Frau meines Sohnes anzurühren! Ich meine, Shanas Sohnes“, korrigierte er sich schnell. „Als Familienoberhaupt ist es meine Pflicht und mein Recht, ihm dafür das Leben zu nehmen!“
     „Jade ist Reinards Frau“, merkte Tann irritiert an.
     „Er hat sie angerührt und damit jegliches Recht auf sie verloren! Hast du es nicht gehört? Sie ist vor ihm geflohen! Sie hat Angst! Sie will bei Wulf sein, und er hat sie als Frau angenommen, also ist sie es auch!“
     „Hör mal, ich will gar nicht gut reden, was Reinard getan hat. Er gehört dafür bestraft, aber in der jetzigen Situation muss ich darauf bestehen, dass du dich zurückhältst.“


Bevor der Andere antworten konnte, erreichte Wulf sie. Auch er hatte einen Speer bei sich. Er blieb bei ihnen stehen, tauschte einen ernsten Blick mit Isaac, nickte ihm sogar zu, was der erwiderte, und dann ließen sie Tann einfach stehen.


Jin war der Nächste, der ankam. Natürlich auch mit Speer in der Hand.
     „Lass mich raten: Du wirst mich ebenfalls ignorieren, nicht wahr?“
     „Darauf kannst du einen lassen! Ich werd Reinard den Kopf abschlagen, und du wirst mich nicht davon abhalten!“
     „Hab ich auch gar nicht vor“, beschwichtigte Tann ihn und dann rief er den Anderen, die inzwischen neugierig die Köpfe zur Tür hinausstrecken, laut zu: „Bewaffnet euch! Wir gehen zum Ahn-Stamm rüber!“
     Es war soweit. Es war zwar nicht so geplant gewesen, aber jetzt würden sie wohl mit Reinard abrechnen.


Malah hatte Glück gehabt, dass Alistair gerade von seinem morgendlichen Ausritt wiedergekommen war, als sie nach draußen gestürzt gekommen war. Sie war gegangen, gleich nachdem Jade aufgetaucht war und erzählt hatte, was geschehen war, und Alistair, der noch nichts davon wusste, hatte sich nichts dabei gedacht, als sie ihn darum gebeten hatte, sich doch mal kurz Cesar ausleihen zu dürfen, um zum Ahn-Stamm hinüber zu reiten.


‚Ich hoffe, du siehst es mir nach, dass ich dir nicht gesagt habe, warum ich wirklich dorthin will‘
, dachte sie, während sie Cesar noch ein bisschen mehr antrieb.
     Sie konnte es nicht glauben – sie hatte es all die Zeit über nicht glauben wollen, dass Reinard wirklich all die Dinge getan hatte, die sie ihm nachsagten. Dass wirklich er es war, der hinter all den Vorkommnissen der letzten Zeit steckte. Sie hatte den Untersuchungen gegen ihn zugestimmt, aber innerlich hatte sie nie an seine Schuld geglaubt, wenn sie ehrlich war.


‚Er hat uns in der Vergangenheit so oft geholfen. Wenn wir Nahrung brauchten, hat er sie uns überlassen, obwohl sie selber kaum genug hatten. Auch bei Abstimmungen in den Stämmeversammlungen konnte ich immer darauf bauen, dass er letztendlich auf meiner Seite gestanden hat. Selbst das eine Mal, als er das nicht getan hat, damals, als es um die Abstellung von Wachen am Taleingang ging, war trotzdem er es, der mir meinen Alleingang, Alin und die Familie mit einzubeziehen, nicht lange nachgetragen hat. Im Gegensatz zu Roah.‘
 

 
Sie hatte ihm immer vertrauen können. Er war immer freundlich und zuvorkommend ihr gegenüber gewesen, weshalb sie immer noch ein furchtbar schlechtes Gewissen hatte, dass sie sein Vertrauen so schändlich missbraucht hatte, als sie ihn bezüglich Nilas Missetat an Nara angelogen hatte.
      ‚Ida!‘, hatte sie, tief drinnen, immer geglaubt. ‚Ich wette, sie steckt hinter all dem. Ich wette, dass sie ihn mit irgendetwas in der Hand hat und sie ihn zwingt, für sie zu arbeiten. Wahrscheinlich bedroht sie ihn und seine Leute, und deswegen ist er gezwungen, all diese Dinge zu tun, obwohl er das gar nicht will.‘
     Aber obwohl sie das geglaubt hatte, war sie in all der Zeit nie zu ihm gegangen, um mit ihm darüber zu reden. 


 
‚Ich habe mir eingeredet, dass ich es nicht getan habe, um nicht zu verraten, dass wir ihm auf die Schliche gekommen sind. Um meine Leute zu schützen. Aber die Wahrheit ist, dass ich einfach nur Angst hatte, dass ich erfahren könnte, dass es doch er ist, der hinter all dem steckt. Dass ich mich doch so sehr in ihm getäuscht hatte.‘
     Doch jetzt hatte sie keine andere Wahl mehr. Sie musste es erfahren, ob es stimmte, was Jade erzählt hatte. Ob er tatsächlich Hand an sie hatte legen wollen. Sie musste ihn das fragen, bevor ihre Leute es tun konnten. Bevor sie kommen und ihn töten konnten.
     ‚Und wenn du das getan hast, Reinard, dann ist es sowieso nicht länger von Bedeutung, ob du mich in der Vergangenheit immer wieder angelogen hast oder nicht.‘


Sie trieb Cesar noch ein bisschen mehr an, sodass das Ahn-Haus bald darauf schon in Sichtweite kam. Sie hielt darauf zu, schwang sich vom Rücken des Pferdes und band es hastig und mit fahrigen Fingern an einem der Stützpfeiler des Vordachs fest. 
     Die Angst vor der Offenbarung hatte sie noch immer fest im Griff, aber sie hatte nicht mehr die Zeit, sich davon zurückhalten zu lassen. Schnurstraks ging sie zur Tür hinüber und klopfte an. Die Zeit, die sie davorstand und warten musste, kam ihr beinahe unendlich lang vor. Jede Sekunde fürchtete sie, zu hören, wie sich ihre Leute nähern würden. Mit Speeren und dem Tod bewaffnet.


Doch Wanda war schneller als sie, öffnete ihr die Tür und begrüßte sie überrascht: „Malah! Was für eine schöne Überraschung! Komm herein!“
     Malah sprang ins Innere, sodass sie beinahe mit der alten Dame zusammenstieß.
     „Reinard!“, rief sie hastig. „Ich muss mit Reinard sprechen! Es ist dringend!“
     „Er ist nicht mehr hier“, antwortete ihr jemand anderes aus der Dunkelheit des Hauses heraus.


Es war Mai. „Er ist weggegangen, nachdem…“ Sie kam an, sagte untröstlich: „Es ist alles meine Schuld! Er wusste von Jades Affäre, und als er ankam und mich danach gefragt hat, habe ich es ihm erzählt. Es tut mir so leid! Ich wollte Jade doch nie in Schwierigkeiten bringen! Aber er war so wütend, und ich hatte so eine Angst vor ihm!“
      „Also stimmt es?“, fragte Malah entgeistert nach. „Er hat tatsächlich Hand an sie gelegt?“
     „Nein. Jade konnte zum Glück fliehen, bevor er das tun konnte. Wo ist sie eigentlich? Sie ist doch bei euch, oder? In Sicherheit?“
     Malah nickte abwesend. „Und Reinard? Wo ist er hin?“
     „Nach Norden“, berichtete Mai und zeigte in besagte Richtung. „Er hat sich ein Pferd genommen und ist über den Pass.“
     „Was will er denn da?“
     „Ich weiß es nicht. Aber Malah, eines verstehe ich nicht.“
     „Was denn?“


„Er hätte sie verfolgen können. Jade, meine ich. Aber er hat es nicht getan. Er hat sie einfach gehen lassen. Er sah auch gar nicht wütend aus, nachdem sie weg war. Eher zufrieden. Das passt doch gar nicht zusammen! Das passt gar nicht zu Reinard! Irgendwas war los mit ihm, aber ich weiß nicht, was.“


Mai zögerte. „Ich hab Angst, dass er zu Ida gegangen ist“, erzählte sie endlich. „Ida, sie ist… nun ja…“
„Ich weiß, wer sie ist. Und ich weiß auch längst, dass Reinard irgendwie mit ihr unter einer Decke steckt“, gab Malah unumwunden zu.
     Sie hätte Mai gerne ausreden lassen, hätte sich angehört, was sie wusste, aber sie hatte nicht die Zeit dazu. Sie musste noch immer Reinard finden, bevor ihre Leute es tun konnten.
     Mai verstummte jetzt auch betroffen. Doch Malah kümmerte sich nicht länger um sie. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte sie um, ignorierte auch Wandas Rufen, und stürzte wieder nach draußen.


Cesar, der sich gerade ein Maulvoll Schnee genehmigt hatte, sah auf, als sie näherkam.
     „Tut mir leid, aber ich muss dich wohl noch ein bisschen länger in Anspruch nehmen“, sagte sie zu ihm, klopfte ihm den Hals, band ihn los und schwang sich wieder auf seinen Rücken.
      Und dann wählte sie eine Nebenroute, damit sie ihren Leuten nicht begegnete, und ritt Richtung Norden.


Es dauerte tatsächlich keine zehn Minuten, bis Isaac, Wulf und Jin den Ahn-Hof erreichten. Tann und der Rest folgte kurz darauf, aber schon anhand von Wulfs wütendem Schimpfen konnten sie erkennen, dass etwas nicht stimmte.
     „Reinard ist fort“, berichtete Isaac ihnen. Aber was er dann hinzufügte, lenkte sie alle davon ab: „Und eure Malah ist ihm nachgeritten.“
      Da war der Schrecken erst einmal groß, vor allen Dingen bei Alek. Er war auch der Erste, der sich wieder fing. Er rannte zum Stall hinüber, und niemand hielt ihn auf.
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Na hoffentlich hat sich Malah da mal nicht in Teufels Küche begeben. Aber sie kann einfach nicht einsehen, dass der andere Anführer, mit dem sie doch schon eine ganze Weile zusammengearbeitet hatte, so ehrlos sein kann. Dass sie sich so in ihm getäuscht hat. 
     Ich weiß, dass das jetzt alles ziemlich plötzlich und schnell vonstattengeht, aber nächstes Mal kommen wir zum ersten großen Finale und erfahren die ganze Wahrheit. 
 
Bis dahin, danke fürs Lesen, und passt auf euch auf! Ich verabschiede mich bis dahin! 

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