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Sonntag, 19. Juni 2022

Kapitel 156 - Der Königin Spion


Als er sie erblickte, war Alek sofort bei ihr. „Malah! Ist alles in Ordnung? Hat er dir wehgetan?“, fragte er sie besorgt.
     Malah stand auf, richtete sich die Kleider und glättete sich das Haar, was völlig unnötig war. Sie war noch immer fürchterlich durch den Wind. Alek sah nicht anders aus. Er hatte ein Messer in der Hand, sah verschwitzt aus und atmete schwer.
     „Ich habe ihn niedergeschlagen, bevor etwas passieren konnte“, wich sie aus.


Aleks wütender Blick schoss zu Reinard und er ging, um ihn auf den Rücken zu drehen.
     „Ich sollte ihn dafür umbringen, dass er dich anfassen wollte, dieses Mistschwein!“, knurrte er.
     „Nicht!“, bat sie ihn er schrocken. „Lass ihn…. Lass ihn einfach da liegen. Mach dir nicht die Hände schmutzig. Wir sollten lieber zusehen, dass wir von hier verschwinden, bevor er wieder zu sich kommt.“
     Alek ließ es sich trotzdem nicht nehmen, Reinard wenigstens noch ins Gesicht zu spuken, bevor er von ihm abließ und sich wieder Malah zuwandte.


„Du hast recht. Komm, du brauchst auch noch etwas Ordentliches zum Anziehen, sonst holst du dir draußen den Tod.“
     „Du hast nicht zufällig meine Kleidung dabei?“
     „Nein. Aber Ronja hat bestimmt was. Sie arbeitet hier und wartet im Nebenzimmer.“
     „Ronja?“


Ihre Frage wurde beantwortet, als sie in besagtes Nebenzimmer eintraten und dort von einer Frau erwartet wurden, ein dunkelbrauner, unordentlicher Schopf auf dem Kopf, blaue Augen, die Kleidung war ein bisschen abgetragen. Die gelegentlichen Falten ließen ihr Gesicht streng aussehen und sagten ihr, dass sie schon ein paar mehr Sommer als sie und Alek gesehen hatte.
     „Das ist Ronja“, stellte Alek vor, versuchte sich dabei an einem abgebrochenen Lächeln, bevor er missmutig hinzufügte: „Sie ist Reinards Cousine. Und sie arbeitet hier.“
     „Freut mich“, sagte Malah, reichte ihr die Hand, die die Andere schüttelte. Die Augen der Cousine hingen dabei ausschließlich an Alek, der versuchte, angestrengt woanders hinzusehen.
     „Malah braucht was ordentliches zum Anziehen“, brachte er schließlich heraus.
     Ronja nickte stumm, ging zu einem Wäscheständer hinüber, von dem sie ein linnenes Kleid abnahm und damit zu ihnen zurückkehrte. Malah bekam also neue Sachen da sie Reinard ja schlecht fragen konnten, wo ihre eigenen waren die ein bisschen kratzten, aber dafür verdeckten, was sie verdecken sollten, und dann sahen sie zu, dass sie wegkamen.


„Wie bist du eigentlich hierhergekommen?“, fragte Malah Alek, als sie von Ronja durch den imposanten Königspalast geführt worden. Da die Dienerin dabei war, interessierte sich glücklicherweise niemand für sie, und Malah versuchte auch ihr bestes, nicht zu starren, wenn sie mal wieder etwas sah, was sie zuvor noch nie gesehen hatte.
     „Na, als ich hörte, dass du Reinard nach bist, musste ich dir doch folgen. Und das war auch nötig, wie ich sehen musste! Bin ja heilfroh, dass ich rechtzeitig kam, bevor Reinard dir was antun konnte! Hab dann Ronja gefragt, ob sie was weiß, und sie hat zum Glück gehört, dass Reinard gerade hier ist. Und da hat sie mich hergeführt.“


Malah blieb unvermittelt stehen, als sie durch Reinards Namen an etwas erinnert wurde. Die anderen beiden brauchten einen Moment, um das zu bemerken und ebenfalls stehen zu bleiben.
     „Da fällt mir ein, dass Reinard erzählt hat, dass Roah hier ist.“
     „Roah?“
     Malah nickte, sah zu Ronja hinüber und fragte sie: „Weißt du zufällig, wo sich eine Frau diesen Namens aufhält und kannst uns zu ihr bringen?“
     „Nun, ich weiß natürlich, wo sie ist, aber ich bin mir nicht sicher, ob die Königin euch empfangen wird“, antwortete die Dienerin mit ihrer heiseren Stimme, die sich so anhörte, als würde sie nicht oft benutzt werden..
     „Königin?“, fiel Malah aus allen Wolken.
     „Ja, sie hat vor drei Tagen zusammen mit König Minos II. den Thron bestiegen. Wir waren auch alle ganz überrascht, dass die Altkönigin noch eine Tochter hatte.“
      Malah tauschte einen fassungslosen Blick mit Alek, bevor sie ihre Bitte an Ronja wiederholte.   


Ronja führte sie also weiter und zog sich dann dezent zurück, als sie den Thronsaal erreichten, sodass Alek und Malah allein eintraten. Und sie wurden auch schon sehnlichst erwartet. Da waren Tann, Isaac und Alistair, und Ersterer kam sofort freudig auf sie zu, schloss die Enkelin erleichtert in die Arme.
     „Den Göttern sei Dank, da bist du ja! Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht! Du kannst doch nicht einfach weggehen, ohne Bescheid zu sagen!“, rügte er sie wie der Großvater, der er war.
     „Es tut mir leid! Ich wollte niemandem Sorgen bereiten.“ Sie sah schuldbewusst zu Alistair hinüber. „Ich wollte dir auch nicht dein Pferd stehlen. Entschuldige! Ich weiß nicht mal, wo es gerade ist.“
     „Keine Sorge, Roah sagt, dass Cesar wohlbehalten hier im Stall steht.“


Er wies nach vorn, wo tatsächlich Roah stand, in wahrlich majestätische Kleider gehüllt. Sie nickte ihr zu, lächelte. Malah ging zu ihr, sie standen sich einen Moment unschlüssig gegenüber, dann umarmten sie sich schließlich kurz.
     „Malah, es tut gut, dich zu sehen.“
     „Und dich erst. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht.“


Roahs Gesicht verfinsterte sich. „Ich weiß. Wenn ich gewusst hätte, dass Reinard, dieser Mistkerl, nicht Bescheid gesagt hat, wo ich bin, hätte ich ja einen Boten geschickt. Aber ich habe es auch erst erfahren, als Tenn herkam, und da hatte ich schon so viel um die Ohren, dass ich es vollkommen vergessen habe, euch Bescheid zu geben. Tut mir leid!“
     „Reinard“, begann Malah und musste schwer schlucken, bevor sie überhaupt weitersprechen konnte. „Er ist hier. Weißt du das eigentlich?“
     „Jetzt ja“, antwortete sie grimmig.
     „Er ist ohnmächtig. Ich... habe ihn niedergeschlagen… irgendwie…“
     „Er hat dir doch nicht wehgetan?“, mischte sich Tann erschrocken ein.
     Malah schüttelte den Kopf, und Isaac forderte: „Ich will, dass er bestraft wird für das, was er meiner Schwiegertochter angetan hat!“


„Keine Sorge, ich werde mich darum kümmern“, versicherte Roah und nickte einer Wache zu, die an der Seite stand und die umgehend ging, um zu tun, was ihr aufgetragen.
     Malah sah dem Mann beim Weggehen zu und fühlte sich fürchterlich elend dabei. Sie musste sich so sehr zusammenreißen, um nicht dazwischenzugehen. Um Reinard nicht in Schutz zu nehmen. Er hatte ihr vielleicht letztendlich nichts getan – wenn man von der Entführung mal absah – aber er hatte dennoch genug andere Dinge getan, für die er bestraft gehörte. Und dennoch – dennoch wollte sie ihm tief drinnen einfach nur helfen. Ihn retten.


„Und du bist also jetzt Königin?“, fragte sie Roah, in dem Versuch, sich von ihren eigenen Gedanken abzulenken.
     „Nun, ja. Es ist nicht das, was ich gewollt habe, aber ich hätte es wohl schlimmer treffen können.“
     „Es stört dich also nicht, dass du hierbleiben musst?“, fragte Malah irritiert.
     „Ich habe mich damit arrangiert. Mit Minos. Meinem neuen Mann. Er ist zum Glück sehr vernünftig und umgänglich. Solange ich ihn geheiratet und ein Kind geboren habe, kann ich tun und lassen, was ich will. Minos hat seine eigene Familie mit einer anderen Frau daneben, und ich habe auch meinen eigenen Flügel hier, wo ich ungestört mit Tenn zusammenleben kann.“
   

„Er war natürlich nicht so begeistert von der Abmachung, aber ich kann den Göttern nur jeden Tag dafür danken, dass ich ihn habe. Er hat sogar meinen und Minos’ kleinen Sohn angenommen wie einen eigenen. Wir wollen auch Nio und ihre Familie fragen, ob sie herkommen wollen.“


Malah wusste nicht, was sie davon halten sollte, weshalb sie nur sagte: „Ich bin jedenfalls froh, dass du wohlauf bist.“
     Roah quittierte das mit einem Lächeln, bevor es kurz still wurde, weil sie sich nichts mehr zu sagen hatten. Zumindest, bis Malah da eine Kleinigkeit einfiel.


„Roah“, fing sie erschrocken an, „was den Krieg angeht… Ihr habt doch nicht wirklich vor, uns anzugreifen, oder?“
     „Mach dir keine Sorgen darum. Diese Sache war eine fixe Idee, die Ida sich in den Kopf gesetzt hat“, erklärte sie und ihre Nase kräuselte sich dabei ein bisschen. „Aber um Ida… kümmert sich bereits jemand.“
     „Wo ist sie überhaupt?“, wollte Tann wissen.


Nero verpasste dem Stein einen heftigen Tritt, dass er so weit flog, dass er die Hügelkuppe erreichte und hinunterrollte. Er fluchte. Fluchte dann, dass er geflucht hatte.
     ‚Ich muss mich mehr zusammenreißen‘, sagte er sich.
     Er würde bald ein Anführer sein. Jemand, zu dem andere aufsehen würden. Aber er wusste nicht mal, ob er überhaupt dafür geeignet war.
     ‚Ich muss es sein! Ich muss mich endlich zusammenreißen und mich wie ein Erwachsener benehmen. Aufhören, mich über jeden noch so kleinen Mist zu ärgern.‘


Aber er ärgerte sich. Dass nichts so lief, wie er es wollte. Dass er Nila hatte entkommen lassen. Dass sie ihn nicht mit nach Goldhain hatten gehen lassen.
     ‚Nicht mal Wulf hat was dagegen gesagt, dass sie nur zu dritt hatten gehen wollen, obwohl er ja eigentlich mehr einen Grund hatte, mitzugehen, als ich.‘
     Er wusste das. Wusste, dass er hier die Stellung halten sollte, wie sein Großvater ihm gesagt hatte, doch er fühlte sich nichtsdestotrotz so rastlos. Nutzlos.
      ‚Jetzt, wo Reinard und Ida weg sind, gibt es hier ja auch nichts mehr, weswegen ich aufpassen müsste. Und es sind mehr als genug Leute Zuhause, die sich ihrer eigenen Haut zu erwehren wissen.‘
      Deshalb hatte er es irgendwann nicht mehr ausgehalten und war nach draußen gegangen. War ziellos umhergewandert, bis er sich plötzlich auf dem Weg zum Handelsposten wiedergefunden hatte.


‚Kann ich genauso gut mal nach Aida und ihrem Bruder sehen. Vielleicht ist Nara ja auch da.‘
     Adelaide verstand sich auch immer ganz hervorragend darin, ihn zu beruhigen.
     ‚Ich sollte sie mal fragen, ob sie nicht meine Beraterin werden will, oder so‘, dachte er belustigt und lachte ein bisschen.


Das Lachen blieb ihm jedoch gehörig im Halse stecken, als er vor Adelaides Tür stand, anklopfte und die Tür, die nur angelehnt war, einfach aufschwang und er sah, wie jemand auf seiner besten Freundin im Bett lag und sich gerade seiner Hose entledigen wollte. Da sprang er sofort hinzu, riss den Kerl von ihr, der sich zu seiner schlechten Überraschung auch noch als der Möchtegern-Ragna herausstellte.


Zu dem Zeitpunkt, als er das erkannte, hatte er dem Anderen schon eine blutige Nase verpasst.
     „Du widerliches Dreckschwein! Ich bring dich um, dass du Aida angefasst hast!“
     Wie aufs Stichwort huschte diese jetzt an ihm vorbei, und zu seiner noch schlechteren Überraschung, stellte sie sich schützend vor den Geschlagenen.


„Oh Götter, Rick, hat er dir wehgetan?“, rief sie erschrocken.
      Alaric schüttelte den Kopf, sagte nichts dazu, sondern begnügte sich damit, Nero mit seinem stummen, vorwurfsvollen Blick anzuschauen. Als nächstes bekam er den von Adelaide ab, der weitaus weniger subtil und stumm war.
     „Was sollte das denn? Warum schlägst du ihn denn? Spinnst du?“
     „Ich dachte, er hätte dich überfallen!“, ereiferte Nero sich. „Sag mir nicht, dass du das wirklich wolltest!“
     „Ja, doch!“, erwiderte sie trotzig und wurde rot. „Rick ist mein Verlobter, da wird man das doch noch tun dürfen! Du solltest lieber mal lernen, anzuklopfen!“


„V-Verlobter?“ Neros Mundwinkel zuckten und er musste sich sehr zusammenreißen, nicht zu lachen. „Das kann doch nicht dein Ernst sein! Ich weiß ja, dass du manchmal ein bisschen… gutgläubig bist, aber das… Wie lange kennt ihr euch? Drei Tage?“
     „Na und?“
     „Meine Güte, Aida, der lügt dich doch an, dass sich die Balken biegen, um dich ins Bett zu kriegen, und danach lässt er dich einfach fallen!“
     „Wie kannst du sowas sagen? Wir lieben uns!“
     „Lieben?“ Jetzt lachte Nero doch. „Wie kannst du nach drei Tagen schon von Liebe sprechen? Du kennst ihn doch gar nicht!“


„Und wie kannst du von Liebe sprechen? Warst du überhaupt schon mal verliebt?“
     „Nun… nein. Aber das hat ja auch gar nichts hiermit zu tun!“
     „Wie willst du also wissen, wann man von Liebe sprechen kann? Du hast doch gar keine Ahnung davon! Und es geht dich, ehrlich gesagt, auch gar nichts an! Das ist allein meine Entscheidung!“
     „Du kannst aber nicht von mir verlangen, dass ich zusehe, wie der da dir wehtut und ich nichts dabei tue!“
     „Doch! Kann ich! Und werde ich! Und du hast das zu akzeptieren! Und wenn du das nicht tust, dann sind wir lang genug Freunde gewesen!“
     Nero klappte der Mund auf. „Der da ist dir also wichtiger als unsere Freundschaft?“
     „Nun… ja!“


Adelaide sah selber ein bisschen erschrocken über ihre Aussage aus, aber sie nahm es nicht zurück, und auch Nero war endlich verstummt. Er war verletzt, das sah sie, doch er war noch viel zu wütend, um einsichtig zu sein.
     Stattdessen ging er einfach zur Tür, sagte: „Ich hoffe wirklich, dass du glücklich mit ihm wirst“, in einem Ton, dass Adelaide nicht einmal wusste, ob er es ernst meinte oder nicht.


Dann war er verschwunden, und als die Tür hinter ihm zugefallen war, fiel Adelaides trotzige Fassade von ihr ab. Sie vergrub das Gesicht in den Händen und weinte. Es dauerte nicht lange, bis Alaric ankam und sie in den Arm nahm.
     „Ich wollte nicht, dass ihr euch wegen mir streitet“, sagte er in seiner ruhigen Art. „Tut mir leid.“
     Aber Adelaide hatte keine Worte mehr. Sie schloss die Arme um ihn und weinte einfach nur stumm.


Nero fühlte sich furchtbar, als er in die Kälte zurückkehrte, die draußen herrschte, und das wurde nicht besser, als jetzt auch noch dieser Alaric auftauchte. Er wusste nicht, wie lange er einfach nur dagestanden und fassungslos auf seine Füße gestarrte hatte, während die Wut langsam in ihm abgeflaut war, aber in dem Moment, als er Alaric auch nur sah, flammte sie sofort wieder auf.


Sofort war er bei dem Anderen, hatte ihn am Kragen gepackt und gegen die Wand geschleudert.
     „Du mieser Drecksack, glaub bloß nicht, dass du mich jetzt los bist! Ich werde dich beobachten, und wenn du Aida verarschst, wenn du ihr wehtust, werde ich dir wehtun!“
     Er ließ ihn wieder fahren, und er wäre ja beeindruckt gewesen, wie kalt Alaric das alles ließ, wenn er nicht so wütend auf ihn gewesen wäre.


„Hör mal, ich kann verstehen, dass du eifersüchtig bist“, fing er an.
     Nero lachte. „Dass die Leute glauben, dass ich Aida lieben würde, kenne ich schon zur Genüge. Das interessiert mich schon längst nicht mehr. Und es ist mir eigentlich auch scheißegal, was du glaubst, doch damit du weißt, wie wichtig Aida mir ist, sage ich es dir: Aida ist meine beste Freundin, und mehr noch, sie ist für mich wie eine Schwester. Also sieh dich bloß vor, sie schlecht zu behandeln, ansonsten kriegst du es mit mir zu tun!“


„Ich verstehe“, erwiderte Alaric ruhig. „Nun, ich möchte dir auf jeden Fall versichern, dass ich ihr nichts Böses möchte. Im Gegenteil, sie bedeutet mir sehr viel, und weil ich weiß, dass auch du ihr viel bedeutest, würde ich gerne mit dir auskommen. Und um dir meinen guten Willen zu beweisen, verrate ich dir etwas, das dich vielleicht interessieren wird.“
     „Was wüsstest du schon, was mich interessieren würde?“


Alaric machte ein paar Schritte auf ihn zu, bis er sah, dass Nero zurückweichen wollte, und offenbarte leise: „Du wirst verfolgt. Sieh dich nicht um“, fügte er schnell hinzu und ließ den Blick schweifen, „sonst weiß er, dass du es weißt.“
     Nero lachte ein bisschen nervös. „Verfolgt? So ein Blödsinn! Wer sollte mich denn verfolgen?“
     „Ich weiß es nicht, aber ich muss schon sagen, dass er weiß, was er tut. Er ist sehr geschickt, dass man ihn nicht bemerkt. Er ist mir auch erst beim letzten Mal aufgefallen, als wir uns begegnet sind. Du solltest auf jeden Fall vorsichtig sein, denn er hat einen Bogen und wenn er damit so gut ist, wie im Nicht-gesehen-werden, dann will ich ihm lieber nicht als Feind gegenüberstehen.“


Alaric ließ das einfach so stehen und kehrte in den Handelsposten zurück, und Nero ließ ihn gehen. Er war viel zu sehr mit der Neuigkeit beschäftigt, dass er angeblich verfolgt wurde.
     ‚Angeblich! Das ist es ja. Ich weiß gar nicht, ob es wirklich so ist oder ob dieser Alaric-Typ sich nur einen bösen Spaß mit mir erlaubt.‘
    Also wagte er es und sah sich doch um. Unauffällig, aber gründlich. Er ging sogar um die Ecke, begann, sich auf den Heimweg zu machen und dabei darauf zu achten, ob irgendwo jemand zu sehen war. Doch da war niemand. Nirgendwo.
     ‚Er hat mich doch angeflunkert!‘


Andererseits.
     „Er hat einen Bogen“, kamen ihm Alarics Worte in den Sinn und er erstarrte mitten im Schritt.
     ‚Der unbekannte Bogenschütze! Damals, im Wald, als wir Irrlichtern nachgejagt sind.‘
     Plötzlich war er sich sicher, dass Alaric recht gehabt hatte. Er wagte nicht einmal mehr, sich
umzudrehen, wollte nicht, dass sein Verfolger wusste, dass er ihm auf die Schliche gekommen war.
     ‚Nein, nicht ich. Alaric.‘
     Er schüttelte den Kopf. Das war es ja. Alaric. War es wirklich möglich, dass dieser Kerl etwas sah, dass er nicht gesehen hatte? Er, der er als bester Fährtenleser der Gegend bekannt war?  


„Tut mir leid, dass du wegen mir nicht mitgehen konntest.“
     Wulf schüttelte den Kopf und befreite die letzte Walnuss von ihrer Schale, hielt sie ihr hin, dass sie sie essen konnte. Jade ignorierte sie.
     „Ich wollte hier bei dir bleiben“, erklärte er, präsentierte ihr die Nuss. „Hier, iss! Soll ich noch ein bisschen warmen Wein für dich holen?“
     Jade schüttelte den Kopf. Ihr war noch immer so kalt, als hätte sich die Kälte in ihre Knochen gefressen, aber sie wollte einfach keinen Alkohol bei ihrem Liebsten sehen. Stattdessen nahm sie endlich die Nuss an sich und steckte sie sich in den Mund, aß.
     „Danke, dass du hiergeblieben bist.“
     „Klar. Ich pass doch ab jetzt auf dich auf. Das hab ich dir doch versprochen.“


Sie bereute ein bisschen, die Nuss schon gegessen zu haben. So musste sie sich damit begnügen, nervös an ihrem Fingernagel zu nesteln.
     „Heißt das, dass du mich jetzt heiraten wirst?“, fragte sie schließlich zögerlich.
     „Naja… wenn das mit Reinard geklärt ist… sieht so aus.“
     „Obwohl du weißt, dass das Kind in mir vielleicht gar nicht von dir ist?“
     „Wir beide wissen, dass es das mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht ist, oder? Aber ich bin der Letzte, der was auf Blutsbande gibt, das solltest du doch wissen.“


„Hör mal, ich… ich will aber wirklich nicht, dass du das machst, weil du glaubst, es machen zu müssen, obwohl du es gar nicht willst. Ich meine, ich will nicht, dass du mich nur aus Mitleid heiratest. Du bist mir nichts schuldig, will ich damit sagen. Ich will einfach nur, dass du glücklich bist, selbst wenn das heißt, dass es letztendlich nicht ich bin, die an deiner Seite sein wird…“
     Sie verstummte, bevor sie sich noch mehr um Kopf und Kragen reden konnte. Doch Wulf, der bislang nur mit gerunzelter Stirn zugehört hatte, lächelte jetzt, dass es ihr die Röte ins Gesicht trieb.


„Du machst dir immer viel zu viele Sorgen, Minloppah!“, sagte er zu ihr und legte die Hand auf ihre.
     „Warum nennst du mich eigentlich immer so?“, war sie aber traurig. „Ich weiß, was es bedeutet. Dass deine Mutter dich immer so genannt hat. Aber ich weiß ja auch, was du von deiner Mutter denkst…“
     „Woher hast du das denn, dass meine Mutter mich so genannt hat?“
     „Ich… hab Isaac danach gefragt. Entschuldige! Aber du wolltest es mir ja nicht sagen, was es heißt!“
     „Ach, der dumme alte Mann erzählt mal wieder nur Unsinn.“
     „Also stimmt es nicht?“
 
 
Er schmunzelte. „Ja und nein. Ja, meine Mutter hat mich manchmal so genannt, als ich klein war, aber sie war es nicht, die damit angefangen hat. Die mich eigentlich immer so nannte.“
     „Wer dann?“
     „Der alte Mann.“
     Jade war überrascht, das zu hören. Aber auch gerührt. Egal, wie wenig Wulf es auch zugab, sie wusste, dass Isaac, den er immer nur „den alten Mann“ nannte, ihm wichtig war.


Und als Wulf sie jetzt ansah, sah sie auch das erste Mal, dass sie das ebenfalls war. Das erste Mal sah sie den Blick auf sich ruhen, mit dem er einst Luna angesehen hatte, und da stieg sie endlich wieder in die höchsten Höhen des Glücks hinauf.


Nero kam hinzu, als Wulf und Jade sich gerade angefangen hatten, sich zu küssen, weshalb er sich ein bisschen in die Vergangenheit zurückversetzt fühlte. Er ging trotzdem hin, räusperte sich, dass sie auf ihn aufmerksam wurden und sich voneinander lösten. Jade fluchte leise, dass sie unterbrochen worden waren.


„Entschuldigt, dass ich euch störe, aber ich hätte da eine Frage an dich, Wulf, wenn’s recht ist.“
     „Ja?“
     „Es geht um diesen Alaric. Ich habe Wulfgar schon nach ihm gefragt, aber er sagte, dass du mir wahrscheinlich mehr über ihn erzählen kannst.“
     „Alaric? Was willst du denn über ihn wissen?“
     „Ich weiß auch nicht. Ich möchte mir einfach ein Bild von ihm machen können. Vor allen Dingen, ob ich ihm trauen kann. Was hältst du denn von ihm?“


Wulf setzte sich aufrechter hin, dachte nach. „Nun ja, ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht sicher, ob ich ihm jetzt unbedingt mein Kind anvertrauen würde, aber… Lass es mich so sagen: Als wir damals den Sklavenaufstand geplant haben, war er ein essentiell wichtiger Bestandteil davon. Ohne ihn hätten wir es wahrscheinlich nicht geschafft.“
     „Warum das?“
     „Weil er der geborene Spion ist. Er hat ein angeborenes Talent dafür, nicht aufzufallen. Du konntest ihn in einen Raum voll hochrangiger, wichtiger Leute stellen und die haben über ihre Geheimisse geredet, als wäre er gar nicht da. Zudem hat er ein absolutes Gedächtnis. Er konnte alles wiedergeben, was er einmal gehört hatte. Und wenn es darauf ankam, konnte er einem ohne mit der Wimper zu zucken ins Gesicht lügen und dir was vormachen, dass die besten Schauspieler dagegen neidisch werden. Wir haben ihn oft dazu benutzt, Nachrichten zu überbringen und Geheimnisse herauszufinden, die wir dann benutzen konnten, um Leute zu erpressen.“


„So etwas habt ihr gemacht? Das ist ja furchtbar!“, warf Jade ein.
     „Sei du mal ein Gefangener, der nicht mal drüber entscheiden kann, wann er Austreten geht, dann reden wir weiter.“
     „Entschuldige! Ich wollte dich nicht beleidigen…“
     Wulf tätschelte ihr die Hand, bevor ihm Neros Gesichtsausdruck auffiel. „Was ist denn los? Du guckst ja, als ob wer gestorben wäre.“
     „Ich weiß einfach nicht, was ich von diesem Alaric halten soll“, erklärte der Angesprochene. „Vor allen Dingen davon, dass er… Aida heiraten will.“
     „Aida heiratet diesen Kerl?“, war auch Jade überrascht. „Wow, das hätte ich ja nicht gedacht.“
     „Ja, weil sie glaubt, dass er Ragna ist“, erklärte Nero verstimmt.


Wulf und Jade tauschten da einen Blick, der ihm nicht entging. „Was?“, fragte er nach. „Ihr glaubt das doch nicht etwa auch?“
     „Natürlich nicht“, antwortete Jade ihm. „Es ist offensichtlich, dass er sich diese ganze Sache mit dem Gedächtnisverlust nur ausgedacht hat.“
     „Sag ich doch!“
     „Aber er glaubt wirklich daran“, meinte Wulf.
     „Was meinst du damit?“
     „Er redet sich ein, dass er sein Gedächtnis verloren hat, weil er vergessen will“, erklärte Jade ihm.
     „In seiner Vergangenheit muss irgendetwas passiert sein, dass so traumatisch für ihn war, dass er es verdrängt“, pflichtete Wulf ihr bei. „Er hat auch nie darüber geredet, wo er eigentlich herkommt, wenn wir ihn gefragt haben. Oder ob Alaric wirklich der Name ist, mit dem er geboren wurde.“


„Du solltest ihn deshalb vielleicht einfach seinen Frieden lassen, Nero“, riet Jade ihm. „Ich kann verstehen, dass du dir wegen Aida Sorgen machst, aber ich glaube nicht, dass er ihr etwas Böses will. Im Gegenteil, ich glaube, dass er einfach nur einen Ort sucht, an dem er zur Ruhe kommen kann.“
     Nero sagte nichts mehr dazu. Er fragte auch nicht, was sie da so sicher machte, denn er wusste ja, dass Jades Menschenkenntnis ungeschlagen war. Aber obwohl er das wusste, konnte er einfach nicht anders, als misstrauisch zu bleiben.


Dennoch entschied er sich dazu, auf Alaric zu warten und ihn abzufangen, als er endlich vom Handelsposten zurückkam.
     „Was du mir vorhin gesagt hast“, fing er an und musste sich doch sehr zusammenreißen, ihn nicht wütend anzugehen, „würdest du mir damit helfen?“
     Alaric sah ihn mit seinem emotionslosen Blick an, bei dem er einfach nicht sagen konnte, was er dachte, nickte dann aber.  
      „Wo?“ Alaric ruckte stumm mit dem Kopf nach links, zur Hausecke, wo es zu den Pinkelbüschen ging, und da beugte Nero sich zu ihm, knurrte laut: „Gut, dann haben wir das ja endlich geklärt, hoffe ich. Und jetzt geh mir aus dem Weg, ich will zum Brunnen!“, bevor er sich wieder zurückzog und ein leises, widerwilliges: „Danke“, hinterherschob.


Entgegen seiner lauten Ankündigung, ging er aber natürlich nicht zum Brunnen, sondern huschte so schnell er konnte zur Hausecke, griff auf gut Glück nach irgendetwas, bevor es unter dem Wagen verschwinden konnte und bekam rauen Stoff zu fassen. Im nächsten Moment hatte er etwas Graues zum Vorschein gebracht, das sich jetzt auf ihn stürzte, sodass sie beide zu Boden gingen und sich ineinander verkeilten. Nero hatte alle Hände voll zu tun, Faustschlägen und Tritten auszuweichen, und sogar Zähnen. Dann endlich bekam er die widerspenstigen Hände zu fassen, wuchtete seinen Angreifer herum und rollte sich auf ihn.


Die Kapuze, die bislang das Gesicht seines Angreifers verdeckt hatte, fiel zurück und zum Vorschein kam ein blonder Zopf und das Gesicht eines Mädchens. Nero war so überrascht davon, dass sie es schaffte, die Beine freizubekommen und ihn mit einem Tritt von sich zu befördern.


Er rappelte sich sofort wieder auf, aber es war bereits zu spät. Sie hatte ihren Bogen in der Hand und auf ihn angelegt. Nero hob abwehrend die Hände, zeigte ihr, dass er unbewaffnet war und ließ vorsichtig den Blick schweifen. Alaric, der Feigling, hatte sich natürlich aus dem Staub gemacht.
     „Wer bist du und warum verfolgst du mich?“, fragte er sie und fasste dabei einen Stein vor seinen Füßen ins Auge. Ihre Augen verfolgten ihn dabei. Sie hatte es bemerkt.
     ‚Mist!‘
     Sie antwortete nicht, spannte den Bogen, um zu schießen, und da hatte Nero auch nichts mehr zu verlieren. Er wollte sie anspringen, doch in dem Moment fiel sie einfach nach hinten um. Etwas ragte aus der Seite ihres Halses, fiel ihm auf, und als er näherging, erkannte er, dass es wie ein abgebrochener Pfeil aussah.
     „Ach, ist das nicht herzerwärmend?“


Da er die Stimme nicht kannte, zog er sein Messer und wirbelte herum. Ein Mann in einem langen Überwurf, wie der des Mädchens, nur gänzlich in Schwarz, stand hinter ihm. Er hatte eine Röhre in der Hand, die ihn an eine Flöte erinnerte und die er jetzt geschickt in seinem Überwurf verschwinden ließ. Als er die Kapuze zurückzog, kam ein langes Gesicht mit einem dunklen Teint und einer langen, schmalen Nase zum Vorschein. Seine Augen waren beinahe abgrundtief schwarz in der wolkenverhangenen Düsternis.
     „Ich hatte ja vor, alsbald mit dir zu reden, mein junger Freund, aber dass ich dabei noch so ein schönes Geschenk bekommen würde, hätte ich nicht gedacht“, sprach er mit einer ungewohnt tiefen Stimme, die Nero merkwürdig durch Mark und Bein ging, dass er sich sofort in Todesgefahr wähnte. Ohne ihn weiter zu beachten, ging der Fremde einfach an ihm vorbei zu der Bewusstlosen. Nero ließ ihn dabei nicht eine Sekunde aus den Augen. „Du kannst dein Messer wegstecken, mein Freund. Ich habe dir gerade das Leben gerettet. Es sei denn, du möchtest auch gerne wie sie enden, natürlich.“
     „Wer bist du?“
     „Ich erkläre dir gerne alles, was du wissen musst, aber zunächst sollten wir einmal dafür sorgen, dass die junge Dame hier ruhig gestellt wird.“
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Jetzt ist also auch abschließend geklärt, was mit Roah geschehen ist. Ich will jetzt nicht sagen, dass es gut für sie ausgegangen ist oder dass sie wenigstens halb freiwillig mitgekommen ist, weil Fakt ist, dass Ida sie letztendlich durch Drohungen ihrer Familie gegenüber dazu gezwungen hat, zu tun, was sie von ihr wollte. Und auch wenn Roah jetzt ein wohlhabendes Leben in Luxus führen kann und sogar eine Machtposition inne hat, wäre sie trotzdem lieber in ihrer Heimat Stammesführerin geblieben.
 
Wie es aussieht, scheint auch gar kein Krieg auf die Uruk-Gegend zuzukommen, wenn es nach Roah geht. Aber da ist ja auch immer noch Ida, die den Krieg sehr wohl führen will, und die alte Königin ist mitnichten machtlos. Ihr Wort ist noch immer Gesetz. Ob der merkwürdige Fremde, der Nero gerade das Leben gerettet hat, da wohl helfen kann? 
     Nächstes Mal kommt es jedenfalls zum zweiten und letzten großen Finale von Zeitalter, in dem Nero vor eine folgenschwere Wahl gestellt wird. Was für ein Anführer will er letztendlich sein? Was ist er bereit, für die Sicherheit seiner Leute zu tun?
 
Bis dahin, danke euch fürs Vorbeischauen, passt auf euch auf, und ich verabschiede mich!

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