Neuigkeiten

Hallo und herzlich willkommen in meiner (Sims-)Wortschmiede!
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!
Neu hier? Dann hier anfangen.
Wulfgars Geschichte jetzt komplett online!

Mittwoch, 22. Juli 2020

Kapitel 119.2 - Ein Fest für die Götter Teil 2


Da es friedlich geblieben war, entschied sich Garrus dazu, das Fest zu verlassen, als es sich von einer heiklen Versammlung zu einem solchen verwandelte. 
     Doch natürlich ging er nicht allein. Natürlich verfolgte das Mädchen namens Nyota ihn. Er versuchte, sie eisern zu ignorieren, in der Hoffnung, dass sie es endlich verstand und ihn in Ruhe ließ, aber als das mal wieder nicht der Fall war, stellte er sie schließlich zur Rede.

„Hast du nicht versprochen, dich von mir fernzuhalten?“, erinnerte er sie, als sie das heiter gewordene Fest hinter sich gelassen hatten und beim Grabhügel ihres Stammes angelangt waren.
     Sie hatte das tatsächlich eine ganze Weile lang getan, auch wenn er gesehen hatte, dass sie immer wieder in seine Nähe geschlichen war, um nach ihm zu sehen. Sie hatte ihn nie angesprochen, hatte versucht, sich zu verstecken, aber er hatte sie dennoch bemerkt.
     In letzter Zeit jedoch, seitdem sie ihn gebeten hatte, ihre Leute zu trainieren, lief sie ihm wieder ungeniert nach, und das wollte er endgültig unterbinden.
     „Ich… möchte aber bei dir sein“, kam in ihrer gewohnt monotonen Art zurück.


„Hör zu, Mädchen, ich habe wirklich keinerlei Interesse an dir und deiner Gesellschaft“, stellte er klar. „Und das solltest du auch nicht an mir haben. Ich bin gefährlich. Ich wollte dich umbringen! Und ich habe gerade versucht, jemanden umzubringen, und werde das auch noch tun. Tu dir also selber einen Gefallen und halt dich von mir fern!“


Plötzlich stolperte sie zu ihm, klammerte sich an seinen Brustpanzer. „Bitte bring ihn nicht um!“, bat sie ungewohnt inbrünstig. „Du solltest niemanden mehr töten! Du bist doch ein guter Mensch! Bitte, beflecke deine Hände nicht mit noch mehr Blut!“
     Garrus war ziemlich überfordert mit ihr. Normalerweise alarmierte es ihn immer sofort, wenn jemand ihm derart nahe war. Aber nicht bei ihr. Bei ihr war das anders. Bei ihr hatte er ein anderes Problem, vor dem er sich schon eine ganze Weile lang fürchtete.
     „Bitte hör mit dem Töten auf und bleib bei mir!“, bat sie ihn verzweifelt.
     Ihre Nähe machte ihn benommen. Er war schon so langer keiner Frau mehr nahe gewesen. Seitdem Jolande von Agrippina getötet worden war nicht mehr. Diese Mädchen sah Agrippina so ähnlich. Aber das war egal. Er wollte sie. So unbedingt.


Also zog er sie an sich und küsste sie heftig. Sie zögerte nicht lange, um das ebenso innig zu erwidern. Er war all die Jahre so kalt gegenüber allen anderen gewesen, dass er sich fühlte wie ein Verhungernder nach menschlicher Nähe und es nicht lange dauerte, bis seine Hände anfingen, über ihren Körper zu gleiten. Unter ihr Kleid zu rutschen. Sie ließ das mit sich machen, gab einen erstickten Laut von sich, als er sich von ihren Lippen löste und ihren Hals zu küssen begann. Sie waren noch nicht allzu weit vom Fest entfernt, aber das interessierte sie nicht.
     Kurz darauf lag das Mädchen, das er all die Zeit von sich gestoßen hatte und das Agripina so ähnlich sah, unter ihm im feuchten Gras.


Als sie sich wieder aus ihrer verschwitzten Umklammerung gelöst und ihre Kleider gerichtet hatten, war das ein unheimlich peinlicher Moment für Garrus. Er wusste einfach nicht, was er sagen sollte.
     Nyota ließ ihn in Ruhe, bis sie ihre Röcke wieder in Ordnung gebracht hatte, bevor sie ihn mit ihrem warmen Lächeln niederzuschlagen versuchte. Er fühlte sich so unendlich schlecht. So schuldig. Er musste es ihr sagen.


„Hör mal… es gibt da etwas, das ich dir erzählen muss.“
     Ihr Lächeln bröckelte, aber sie hielt es tapfer.
     „Was ich dir über meine Vergangenheit erzählt habe… es war ein wenig beschönigt.“ Er unterbrach sich, zögerte lange. „Die Wahrheit ist, dass ich nicht ganz unschuldig daran bin, dass Agrippina… nun, ich will nicht sagen, dass ich dafür verantwortlich bin, dass sie meine Familie getötet hat, aber ich habe sie hintergangen, und deshalb hat sie das getan.“
     „Was ist passiert?“, fragte Nyota, und obwohl in ihrer Stimme keinerlei Wertung lag, fürchtete er, Verurteilung darin zu hören.


Ich komme aus einem kleinen Dorf namens Bärenwald, wo ich als Sohn des Dorfoberhauptes geboren wurde.


Als ich noch sehr klein war, lebte eine Frau namens Ura zusammen mit ihrem Mann Eren und ihrer Tochter Jolande außerhalb des Dorfes allein im Wald.


Zu dieser Zeit kam auch ein Fremder namens Dia Hell mit seiner Familie nach Bärenwald, aber da unser Dorf zuvor mit Räubern zu tun gehabt hatte, misstraute man den Fremden und verweigerte ihnen die Herberge. 
     Sie zogen deshalb weiter, und wenig später war Uras Mann tot und sie war verschwunden. Als man sie fand, war sie in einem schlimmen Zustand und obendrein schwanger, wie sich später herausstellte.


Da Ura in ihrem Zustand nicht allein mit ihrer Tochter im Wald bleiben konnte, nahm mein Vater die beiden bei uns auf.


Ich war aber nicht das einzige Kind meiner Eltern. Da gab es noch meinen älteren Bruder Garrick. Garrick war unheimlich beliebt im Dorf. Er wusste, wie er die Leute für sich gewinnen konnte, ganz im Gegensatz zu mir. Zudem war er in allem, was er anpackte, besser als ich. Ich hatte nie eine Chance gegen ihn, obwohl ich es immer wieder und überall versucht habe. Deshalb war ziemlich schnell klar, dass er meinem Vater nachfolgen würde, und ich war abgeschrieben.


Vor allen Dingen, als auch noch meine Mutter, die Einzige, die immer für mich eingestanden war, starb und mein Vater sich Ura zur Frau nahm.


Ura hatte inzwischen eine weitere Tochter zur Welt gebracht: Agrippina. Sie war ein stilles und zurückhaltendes Mädchen, während ihre Schwester Jolande das genaue Gegenteil war. Alle liebten Jolande, wie sie auch Garrick liebten. Ich und Agrippina hingegen gingen vollkommen unter neben ihnen.  


Doch während ich anfing, Unsinn zu machen, um auf mich aufmerksam zu machen, wurde Agrippina tatsächlich immer mehr vergessen.


Ich erinnere mich noch lebhaft an den einen Winter, in dem Ura ein prächtiges Kleid genäht hatte. Ich hatte damals angenommen gehabt, dass es für Agrippina war, deren Kleidung schon seit dem Frühjahr zu kurz für sie geworden war, doch es war für Jolande gewesen, und Agrippina war leer ausgegangen. Oder das eine Mal, als ich sah, wie Agrippina ihre Stiefel ausgezogen hatte und ihre Füße feuerrot gewesen waren, weil sie längst zu groß für ihre Schuhe geworden war.


Wenn ich ehrlich bin, habe ich mich auch nie wirklich für Agrippina interessiert. Ich hatte immer nur Augen für ihre wundervolle Schwester.


Aber dass Agrippina als Zweitgeborene ebenso zurückgestellt wurde wie ich, ebenso unwichtig und unbedeutend gewesen war, hat uns irgendwie zusammengeschweißt. Ich habe angefangen, ihr meine Sachen zu geben, die mir zu klein geworden waren, habe auf sie aufgepasst und versucht, ihr zu helfen.


Dann nahm sich Ura eines Tages das Leben, und mein Vater, verbittert über den Tod seiner zweiten Frau, die er ins Herz geschlossen hatte, erzählte uns, warum sie das getan hatte. Von Dia Hell, der Jolandes Vater getötet hatte und der der Vater von Agrippina war. Von den Dingen, die er ihrer Mutter angetan hatte und von denen sie sich nicht mehr erholt hatte.


Von da an veränderte sich Agrippina. Sie zog sich noch mehr zurück, versuchte gar nicht mehr, dazuzugehören. Sie wurde traurig und bitter, und irgendwann war ich der Einzige, mit dem sie überhaupt noch sprach.


Mein Vater verkraftete Uras Tod nicht und folgte ihr kurz darauf, und mein Bruder wurde natürlich das neue Oberhaupt des Dorfes.


Und er nahm sich Jolande zur Frau, auf die ich ebenfalls ein Auge geworfen hatte.


Ich habe mit ihm sogar um sie gekämpft, aber ich habe natürlich verloren. Er hat mich damals ganz schön zugerichtet.


An jenem Abend, als ich mich, mit blauen Flecken übersät, zum Schlafen hingelegt hatte, kam Agrippina das erste Mal zu mir, setzte sich auf mich, und ich schlief mit ihr. Ich habe nie mit jemandem darüber geredet. Ich hatte auch nicht vor, sie zu meiner Frau zu machen. Aber ich habe weiterhin mit ihr das Lager geteilt. Ich wusste, dass sie mich liebte.


Nur, als mein Bruder ein Jahr später plötzlich krank wurde und starb, habe ich trotzdem nicht gezögert, seinen Platz einzunehmen. Als neues Oberhaupt von Bärenwald und als Jolandes Mann. An ihre Schwester habe ich keinen weiteren Gedanken mehr verschwendet.


Doch das hat Agrippina natürlich nicht gut aufgefasst. Während ich mit Jolande eine Familie gründete und glücklich war, wurde sie immer bitterer und immer wütender. Und ich hatte nichts Besseres zu tun, als ihr die ganze Zeit mein glückliches Leben unter die Nase zu halten, während sie niemanden mehr hatte und ganz allein war.


Bis schließlich eines Tages, als ich in unser Haus kam, geschah, was ich dir schon erzählte. Sie war da, in dem Kleid meiner Frau, und tat so, als wäre sie Jolande. Sie hatte sie getötet. Meine Frau und meine Kinder. Meine Familie. Und dafür habe ich sie getötet.



„Danach habe ich einfach alle im Stich gelassen und bin von Zuhause weggegangen, weil ich es nicht mehr ertragen konnte, an dem Ort zu sein, an dem meine Familie getötet worden war.“
      Garrus verstummte, ließ den Kopf hängen, und eine ganze Weile lang waren nur die heiteren Geräusche des Festes zu hören, die momentan furchtbar unwirklich und weit entfernt für ihn klangen. 
     Schließlich kehrte er aus seinen Erinnerungen zurück, sah dem Mädchen vor sich fest und aufrichtig in die Augen. „Du siehst, ich bin also selber für das verantwortlich, was mir widerfahren ist. Ich habe Agrippina benutzt wie es mir passte und sie dann einfach fallen lassen, als ich die Chance hatte, jemanden zu haben, der mir besser gefiel. Und anstatt dazu zu stehen, was ich getan habe, habe ich sogar gelogen, als ich dir von meiner angeblichen Vergangenheit erzählte. Ich war selbstgerecht und widerlich. Ich bin nicht besser als die, die ich getötet habe. Ich bin der Abschaum der Menschheit, und ich habe es wirklich nicht verdient, dass du dich auch nur einen feuchten Dreck um mich scherst und dich mit mir abgibst.“


Nyota hatte ihm bislang ohne jegliche Regung zugehört, und auch wenn er nicht verhindern konnte, dass er sich tief drinnen wünschte, dass sie ihn trotz allem nicht von sich stoßen würde, wusste er gleichzeitig auch, dass er sie niemals verdient hätte.
     Doch statt ihn mit Schimpf und Schande zu überdecken, sagte sie mit ungewohnter Inbrunst: „Ich bin es, die dich nicht verdient hat. Ich habe schließlich böses Blut in mir und bin deshalb ein schlechter Mensch.“


Es brach ihm das Herz, das zu hören. Energisch legte er ihr die Hände auf die kleinen Schultern.
     „Hör auf, sowas zu sagen! Du bist ein guter Mensch. Ja, du bist mit Abstand der herzensgutste Mensch, dem ich jemals begegnet bin. Du hast mir bewiesen, dass das Blut nicht alles ist, was einen ausmacht. Denk also bloß niemals, dass dein Blut dich böse machen könnte! Ich kenne dich inzwischen gut genug, um zu wissen, dass das niemals passieren wird. Vergiss einfach, was ich dir gesagt habe. Denn das war mehr als dumm von mir, so etwas auch nur zu denken.“


Er sah, wie ihre Augen in Tränen schwammen, und als er geendet hatte, hatte er sie wieder an sich hängen. Sie weinte eine Weile, und er ließ sie diesmal. Schob sie kein zweites Mal von sich. Stattdessen legte er vorsichtig eine Hand auf ihr Haupt, die Andere auf ihren kleinen, bebenden Rücken. Sein Magen fühlte sich verknotet an.
     „Du bist auch ein guter Mensch, Garrus“, hörte er sie schließlich schniefen.
     „Hast du mir vorhin überhaupt zugehört?“, erwiderte er bitter.
     Sie schloss die Arme enger um ihn und nickte. „Hör nur auf zu töten. Bleib einfach bei mir.“
     Der Knoten wanderte in sein Herz. Er konnte ihr nicht antworten. Also standen sie nur da und hielten sich umklammert. 
     Es war das erste Mal seit langem, dass er etwas spürte außer Hass. Dass er sich lebendig fühlte.


In der Zwischenzeit hatten Malah und Reinard Tenn verabschiedet, der nicht länger warten wollte, um aufzubrechen. Da er sich noch in Ruhe von Wanda verabschieden wollte, hatte er ihr angeboten, sie zu ihrem neuen Zuhause zu begleiten, und sie hatte eingewilligt, sodass Malah und Reinard allein zurückgeblieben waren.


Malah wollte gerade zu ihren Leuten zurückgehen, weil sie nicht so gern allein mit dem anderen Stammesführer war, aber der machte ihr blöderweise einen Strich durch die Rechnung.
     „Apropos, ich wollte noch eine private Angelegenheit mit dir besprechen, Malah, wenn es recht ist.“
     „Natürlich. Was gibt es denn?“ 


„Die Gegend ist in letzter Zeit ziemlich gefährlich geworden“, fing er an, während er begann, wie ein lauerndes Raubtier auf und ab zu gehen. „Ich habe mir deshalb viele Gedanken darüber gemacht, wie wir uns und unsere Leute am besten vor diesen Gefahren schützen können, und du wirst mir wohl zustimmen, dass wir das nur können, indem wir zusammenarbeiten.“
     Er hielt an, wartete ihr Nicken ab, bevor er fortfuhr: „Aber eine Zusammenarbeit ist schwer, solange wir so weit voneinander entfernt leben. Deshalb wäre es wohl in unser aller Interesse, wenn unsere Stämme eins werden würden.“
     Erneut wartete er auf eine Antwort, doch Malah brauchte etwas, bis sie überhaupt ihre Sprache wiedergefunden hatte. Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht mit so einem plötzlichen Angebot.


„Nun… das wäre natürlich der Sicherheit sehr zuträglich, aber ich bin mir nicht so sicher, dass das… machbar ist.“
     „Inwiefern?“
     „Zum einen ist die Frage, wo wir letztendlich leben würden“, antwortete sie sicherer. „Wir haben schließlich zwei Häuser, eures und unseres, und ich weiß ja nicht, ob deine Leute bereit wären, ihr Zuhause aufzugeben.“ Und die lukrative Eisenader, auf der der Ahn-Stamm saß, aber das behielt sie lieber für sich. „Und dann natürlich: Wer würde den neuen Stamm anführen?“
     „Oh, das ist einfach. Du weißt ja, dass ich aufgrund gewisser Widrigkeiten noch immer eine Frau suche“, sagte er, als wäre jetzt alles klar und selbstverständlich.


Malah verschränkte die Arme, schoss sofort zurück: „Was willst du mir damit sagen?“
     „Ich mache dir hiermit offiziell das Angebot, meine Frau zu werden.“
     Ihr klappte der Mund auf und sie musste sich sehr zurückhalten, sich nicht im Ton zu vergreifen bei dieser Dreistigkeit. Dass er allen Ernstes glaubte, dass sie ihn heiraten würde und dann – ja, was? – dass sie ihn die Führung übernehmen lassen und sich als seine Frau zurückziehen würde?
     „Das ist ein… interessantes Angebot, aber ich muss es leider ablehnen“, erwiderte sie reserviert.
     „Und dürfte ich den Grund dafür erfahren? Bist du schon anderweitig verlobt?“, fragte er spitz.
     Das ging eigentlich niemanden etwas an, aber sie wusste, dass sie ihm antworten musste. Weil er der verdammte Anführer eines anderen Stammes war und sie sich nicht leisten konnte, ihn zu beleidigen. Nicht, wo der Ahn-Stamm doch ihr einziger Verbündeter war, den sie noch hatten.


„Nein, aber ich habe auch nicht vor, jemals zu heiraten.“ 
     „Als Stammesführer ist es unsere uralte Pflicht, für den Fortbestand unseres Stammes zu sorgen, das weißt du hoffentlich. Die Stärke und das Ansehen eines Stammes zeigt sich auch daran, wie viele Kinder ihr Anführer hat. Und deswegen ist es nur logisch, dass auch wir beide, du und ich, unseren Teil dazu beitragen.“
     „Das weiß ich“, gab sie distanziert zurück. „Und ich wünsche dir, dass du eine gute Frau findest und reich mit Kindern gesegnet wirst.“


Er musterte sie jetzt einen Moment lang so merkwürdig verkniffen, dass sie schon befürchtete, ihn doch beleidigt zu haben. Aber dann erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht, das so eindeutig falsch war, dass sie es noch mehr mit der Angst zu tun bekam. Nicht, dass sie ihn das sehen ließ.


„Nun, dann hoffe ich, dass du mir, wenn schon nicht selber, anderweitig bei meinem Kindersegen helfen wirst.“
     „Ich bin immer gern behilflich.“
     War sie nicht. Aber sie würde es sein müssen, und es gefiel ihr jetzt schon nicht.
     „Gut. Denn wie ich weiß, gibt es in deinem Stamm noch andere alleinstehende Frauen…“
     Nein, das gefiel ihr überhaupt nicht.


Während Reinard gerade die Zukunft von jemandem schmiedete, der noch nichts von seinem Glück wusste, war Nero auf Adelaide aufmerksam geworden, die abseits des Festes saß.
     „Aida! Du bist ja auch hier! Ich habe dich gar nicht gesehen.“
     Es war auch schwer, Adelaide überhaupt je zu sehen. Sie war so ruhig und unauffällig, dass sie gerne einmal unterging. Wäre ihr feuerroter Schopf nicht gewesen, hätte er sie wahrscheinlich gar nicht bemerkt.
     „Du hättest ruhig rüberkommen können“, fügte er hinzu.
     „Du standest aber bei deinen Leuten“, sagte sie, ohne auch nur von ihrem Werk aufzusehen, das sie gerade mit dem Finger in den Dreck malte.
     „Keine Sorge, die sind alle ganz nett.“
     „Ich wollte aber nicht, dass sie mit mir reden.“


Er nickte. Er vergaß manchmal, dass Adelaide ein bisschen anders war. Dass sie es nicht mochte, mit anderen zu reden und lieber für sich war.
     „Stör ich dich? Soll ich dich wieder allein lassen?“, fragte er sie also, doch sie schüttelte den Kopf.
     „Ich hasse Feste. Hier sind zu viele Leute. Ich wäre gar nicht hergekommen, wenn ich nicht beim Rübertragen der Speisen hätte mithelfen müssen.“
     Tatsächlich sah sie jetzt doch einmal kurz zu ihm auf, wie um sich zu vergewissern, dass er noch immer da war, und nachdem sie das getan hatte, wandte sich wieder dem zu, von dem nur sie wusste, was es war. Als er einen Blick riskierte, war er jedenfalls auch nicht schlauer. Es sah aus wie eine Mischung aus Eidechse und Schlange. Und hatte es etwa mehrere Köpfe?


„Was soll das sein?“, fragte er also nach.
     „Eine Hydra. Weißt du nicht, was das ist?“
     Er schüttelte den Kopf, bevor ihm aufging, dass sie ihn ja nicht ansah, weshalb er ein: „Nein“, hinzufügte.
     „Erzählst du mir davon?“  
     Adelaide und ihre Familie waren schon ein wenig herumgekommen. Deshalb kannte sie so einige Geschichten.


Sie nickte, und er wollte sich zu ihr setzen, als plötzlich Gabriela ankam und er lieber stehenblieb. Seine Wangen waren sofort heiß geworden bei ihrem Anblick.
     Gabriela grinste verführerisch. „Nero, da bist du ja. Ich habe schon überall nach dir gesucht. Magst du nicht rüberkommen zu mir und meinen Freundinnen?“
     Nero wollte eigentlich nicht da rübergehen und sich vorführen lassen wie so ein Stück Vieh. Er wusste, dass die Mädchen gerne damit angaben, wer ihnen gerade den Hof machte. Es war ja nicht mal so, dass er Gabriela wirklich den Hof machte, aber ihm war schon bewusst, dass die Mädchen der Gegend ihm nicht abgeneigt waren. Sie hatten es ihn schließlich immer wieder wissen lassen. Wusste der Geier, warum.


„Er hat gesagt, dass er mir Gesellschaft leistet“, kam plötzlich und völlig unerwartet von Adelaide.
     Nero glaubte, sich zu verhört zu haben. Adelaide wollte doch sonst nie Gesellschaft. Andererseits wusste er ja, wie ungern sie allein unter fremden Menschen war. Da konnte er sie jetzt nicht einfach im Stich lassen. Und zu den anderen Mädchen konnte er sie erst recht nicht mitnehmen.
     Gabriela warf ihr einen spitzen Blick zu, lächelte aber sofort wieder, als Neros Blick zu ihr zurückkehrte.


„Tut mir leid, aber ich hab’s ihr versprochen. Wann anders, ja?“
     Gabriela zog einen mächtigen Schmollmund, strich jedoch schließlich die Segel. Nero war Adelaide ja schon ein bisschen dankbar, dass sie ihn vor der Viehschau bewahrt hatte, musste er zugeben. Er konnte mit den meisten Mädchen nämlich nicht so gut umgehen.


Deswegen war er erleichtert, dass er sich jetzt neben der Freundin niederlassen konnte, um ihrer Erzählung von der Hydra zu lauschen. Das war ohnehin spannender als das Getratsche der anderen Mädchen.
____________________

Jetzt kennen wir also die wahre Geschichte von Garrus, und vielleicht wird dem ein oder anderen sein Heimatdorf Bärenwald bekannt vorkommen. Es ist dasselbe Dorf, wohin es Luis und Luna in Kapitel 92 verschlagen hat (den alten Silberauge, der gruselig aussehende Geistliche, der Garrus' Vater und dessen zweite Frau getraut hat, kennen wir auch schon aus Kapitel 99, wo Akara und Nero ihn für einen Heiltrank für Rahns Herz aufgesucht haben).
     Zudem hat Wulfgar das Dorf während seiner Reise besucht, wo besagte Ura gerade frisch ihren ersten Mann Erin verloren hatte, nachdem dessen Bruder Eren ihn getötet hat, um an sie zu kommen. Damals hat Wulfgar Uras Tochter Mari, die diese mit ihrem verstorbenen ersten Mann hatte, mitgenommen, um sie vor Eren zu beschützen. Eren und Ura waren danach zwar eine Weile glücklich miteinander, hatten sogar eine Tochter (Jolande), aber ihr Glück war nur von kurzer Dauer.
     Jup, auch Garrus' Eltern ist Wulfgar damals über den Weg gelaufen: Dan und Mina, die zu der Zeit jedoch noch keine Kinder gehabt hatten. Dan, der ein Freund von Uras erstem Mann Erin gewesen war, war Ura ursprünglich eigentlich auch sehr skeptisch gegenüber gewesen, aber wie man gesehen hat, hat sie letztendlich auch ihm den Kopf verdreht. Doch da sie nie über das, was Dia Hell ihr angetan hat, hinweggekommen ist, hat auch das kein gutes Ende genommen. 
     Zu Ura und ihren beiden jüngeren Töchtern will ich übrigens noch etwas anmerken: Und zwar hat man in Wulfgars Geschichte ja schon erfahren, dass sie den beiden Brüdern Eren und Erin schöne Augen gemacht und wohl auch mit beiden etwas gehabt hatte. Sie war ziemlich manipulierend, und ihre Tochter Jolande ist ebenso geworden. Garrus war das zwar nicht so bewusst, aber Jolande hat auch ihn und seinen Bruder gegeneinander ausgespielt und sich daran ergötzt, dass beide um sie gekämpft haben. Zudem hat Jolande auch ihrer Schwester Agrippina, die ohnehin schon ungeliebt und vernachlässigt von der Mutter war, das Leben schwer gemacht und sie immer wieder spüren lassen, dass sie besser ist als sie. 
     Für alle, die es interessiert, habe ich hier noch mal den Stammbaum aktualisiert und um ein paar Leute ergänzt, den ich vor einer Weile schon gepostet habe:


Das waren die ersten beiden Kapitel des vierteiligen Götterfest-Kapitels, die nächsten beiden kommen dann in zwei Wochen. Dann werden wir erfahren, wer die Glückliche ist, auf die Reinard es abgesehen hat, Rahn trifft eine alte Bekannte wieder, Wulf gerät mit seiner Schwester aneinander, uvm.

Bis dahin, danke fürs Vorbeischauen, bleibt gesund, und ich verabschiede mich!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen