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Mittwoch, 6. Februar 2019

Kapitel 80 - Was ich für dich tun kann



Wie würdest du dich fühlen…


…wenn der Mensch, den du liebst, und an dessen Seite du jahrelang standest…


… dich einfach austauschen würde?

                         
Wenn du mit jemandem über Tanja reden willst, kannst du immer zu mir kommen. 
Tanja? Warum sollte ich mit dir über Tanja reden wollen? Was hat sie jetzt schon wieder angestellt? 
Irritation. Ich meine, weil Tanja gestorben ist, Tanna. 
 Was redest du denn da? Tanja ist doch nicht gestorben. Diana ist bei Neros Geburt gestorben.“ 

    
Diana ist gleich da drüben. Tanja ist bei ihrer Amputation gestorben. Erinnerst du dich nicht?
Da erinnerte sie sich. An die Dinge, die sie zu verschulden hatte. An alles, was sie verloren hatte. 
Du hast alles verloren. 


Deine Kinder. Deine Familie.


Alles, was dir je etwas bedeutet hat.


Du bist ganz allein. Schuldbeladen. Unglücklich. Verzweifelt. So lange schon.


Was würdest du also tun?


„Tanna!“


„Warum willst du denn sterben?“
Er würde es sehen. Aber du würdest es verleugnen. Lügen erzählen. Dich in Ausflüchte retten.


Doch er würde nicht so einfach aufgeben wie du. Er würde dich nicht so einfach im Stich lassen. Er würde nachfragen, bis du schließlich endlich die Wahrheit erzählst.


„Du musst nicht sterben. Wir brauchen dich doch alle. Wenn du Sorgen hast, wenn du jemanden brauchst, mit dem du reden kannst; ich bin immer für dich da.“


Ja, das hätte er gesagt. Da war sie sich sicher. Während sie ihm immer nur Ablehnung gegeben und ihn im Stich gelassen hatte, war er voller Sorge und Hilfsbereitschaft. Er war immer für sie dagewesen. 
Das war Tann, wie sie ihn kannte.


Die Augen, die sie immer fest und sicher angesehen hatten und die es schon eine ganze Weile nicht mehr taten. Sie waren gebrochen, und du hast ihn im Stich gelassen.


Du hast nichts getan.


Angst. Hilflosigkeit. Schuld.
Was wirst du tun, wenn es zu spät ist? 
Wenn du ihn verloren hast?


Mit einem Ruck kehrte sie in die Realität zurück. Sie spürte den Druck ihres Bettes an ihrem Rücken, die Schwere ihres Körpers und das Stroh ihrer Matratze, das ihr in die bloßen Arme stach. Sie war endlich aufgewacht, und darüber war sie mehr als froh.


Es war nur ein Traum gewesen, wurde ihr klar. Als sie sich aufrichtete, die Beine über die Bettkante hängen ließ und in die Schuhe schlüpfte, begrüßte sie das bekannte Leuchten jenseits des Raumes. Tann schlief noch immer, wie es schein. Die Geister waren seit gestern Abend weniger geworden, aber sie waren nach wie vor da.


„Ihr habt mir diesen Traum geschickt, nicht wahr?“
     Sie hatten ihr gezeigt, was Tann durchgemacht hatte. Was er alles verloren hatte, die Schuld, die er sich gab, während sie sich keinen feuchten Dreck um ihn geschert und in ihrem eigenen Glück mit Leah geschwelgt hatte.
      Doch natürlich antworteten sie ihr nicht. Pupillenlose Augen sahen sie erwartungsvoll an.
     „Ich habe es ja verstanden, aber ich weiß trotzdem nicht, was ich tun soll.“
     Sie hatte lange gebraucht, um es überhaupt einzusehen. Tann war immer ein starker Mann gewesen, den nichts aus der Bahn hatte werfen können, und jetzt das? Hätte sie es nicht gerade eben am eigenen Leib erfahren, dann würde sie es ja immer noch nicht glauben. Es war nicht Tanns Körper, der krank war, es waren sein Geist und sein Herz. Er war lebensmüde. Er wollte sterben.


Doch sie war vollkommen überfordert mit dieser Erkenntnis. Sie wusste nicht, was sie tun, wie sie ihm helfen sollte. Also ging sie, um Hilfe zu holen. Die Geister hatten sie alarmiert, aber das war nichts, das sie regeln sollte.
      Nachdem sie Tanja, die in ihrem Traum an Dianas statt gestorben war, gesund und munter auf dem Feld arbeiten sah, und ihr dabei ein Stein vom Herzen fiel, sah sie sich nach Lu um.


Als sie ihn am heiligen Feuerbecken entdeckte, befiel sie plötzlich eine alte und unsinnige Eifersucht. Doch sie wischte das beiseite und ging zu ihm hinüber.
      „Lu, ich muss mit dir mal über Tann reden.“
      Der Schamane antwortete ihr nicht. Er sah nicht einmal überrascht aus, als er sich umdrehte und ihr zum Grabhügel folgte. Wahrscheinlich wusste er es längst, schätzte sie.


„Ich glaube, dass ich Tann gestern davon abgehalten habe, sich eine Klippe herunterzustürzen“, erzählte sie geradeheraus.
     Wieder wirkte er nicht überrascht. Betroffen, ja, aber nicht überrascht.
     „So schlimm ist es bereits?“
     „Wenn du davon wusstest, warum kümmerst du dich dann nicht um ihn? Ich dachte, das ist deine Aufgabe als Schamane!“
     „Ich habe es versucht, Tanna. Ich habe immer wieder mit ihm geredet, habe versucht, für ihn da zu sein und meine Hilfe anzubieten. Aber Tann hat sich nicht helfen lassen. Er sagte mir immer nur, dass alles in Ordnung ist.“
     Und dann war da natürlich noch die unglückliche Sache mit Wulfgar und seiner Eifersucht gewesen. Lu hatte letztendlich trotzdem immer wieder, sehr zum Verdruss seines Gefährten, versucht, zu Tann vorzudringen, aber es war ihm nie gelungen. Tann hatte irgendwann immer dicht gemacht.


„Dann lass dir halt was anderes einfallen“, forderte Tanna leichthin. „Du musst dich darum kümmern.“
     Doch Lu erklärte entschieden: „Nein. Es ist nicht mehr an mir, zu helfen. Denn ich kann das nicht. Wenn ihm jemand helfen kann, dann seine Familie. Ich habe auch schon mit Elrik darüber gesprochen, aber er wollte nicht einmal einsehen, dass seinem Vater etwas fehlt. Er sagte immer nur, dass seinen Vater nichts aus der Bahn werfen kann. Davon ist er wirklich überzeugt. Bei Tanja muss ich ja nicht anführen, warum sie nicht helfen wollte, und du…“
     „Ich? Ich habe damit nichts zu tun.“
     „Ja, genau das.“
     „Das ist nicht mehr meine Aufgabe!“


„Ach, glaubst du, dass es dich davon entbindet, für Tann da zu sein, wenn er dich braucht, nur, weil ihr keine Gefährten mehr seid?“ Er schüttelte den Kopf. „Wenn du das glaubst, bin ich nämlich enttäuscht von dir. Dann hättest du Tann damals einfach mir überlassen sollen.“
     Sie musste lachen, obwohl das völlig unpassend war.. „Sag bloß, dass du noch immer sauer bist deswegen.“
     „Nein, aber ich bin mir, im Gegensatz zu dir, bewusst, dass ich nicht einfach vor meiner Verantwortung davonlaufen kann. Ihr wart jahrelang Gefährten. Ihr habt zwei Kinder. Wart Freunde. Aber du tust so, als wäre das alles nie geschehen. Und das, obwohl Tann immer für dich da war. Meine Güte, er war sogar bereit, für dich die Stammesführung aufzugeben! Aber du hast nichts Besseres zu tun, als ihn im Stich zu lassen, jetzt wo er dich am meisten braucht. Ihr seid noch immer eine Familie, egal ob du ihn nun liebst oder nicht. Und seine Familie sollte ihn eigentlich auffangen, wenn es ihm schlecht geht.“
     Tanna war ein wenig eingeschüchtert von Lus Rede. Sie wusste ja, dass er recht hatte. Aber sie war immer noch überfordert mit der ganzen Situation und wusste nicht, was sie tun sollte, um Tann zu helfen.


„Und was verlangst du, was ich tun soll?“, fragte sie also um Rat. „Zu ihm zurückgehen und so tun, als wäre nie was geschehen?“
     „Natürlich nicht. Aber du kannst trotzdem für ihn da sein. Versuchen, mit ihm zu reden. Wir müssen etwas tun, Tanna, wenn wir verhindern wollen, dass Tann sich das Leben nimmt. Als Schamane und als sein Freund will ich ihm helfen. Und ich hoffe, dass du auch helfen wirst.“
     Sie hatte nur Angst, dass sie ihm nicht würde helfen können. Denn egal, was sie auch die letzte Zeit über ihn gedacht hatte, auch sie wollte nicht, dass Tann starb.


Lu hatte recht. Tann hatte in der Vergangenheit trotz seiner Fehler viel für sie getan und jetzt war es an der Zeit, ihm das zurückzuzahlen. Also wartete sie, bis er sich zu seiner abendlichen Nachtwache nach draußen zurückzog und folgte ihm. 
     Sie fand ihn beim Wasserschöpfen am Brunnen und als sie ihn dort stehen sah, bildete sich ein Kloß in ihrer Kehle und sie hatte keine Ahnung, warum das so war.


Sie musste sich erst zweimal dazu zwingen, zu ihm zu gehen. Seine Augen, die in der herannahenden Nacht so merkwürdig dunkel aussahen, trafen sie ruhelos.
     „Ich muss mal mit dir reden. Warum wolltest du gestern die Klippe hinunterspringen?“ Sie erinnerte sich an seine Worte, die er in ihrem Traum zu ihr gesagt hatte, und jetzt war sie es, die sie zu ihm sagte: „Du weißt doch, dass du immer zu mir kommen kannst, wenn du Probleme hast.“


Tann war überrascht, aber er war es nur einen klitzekleinen Augenblick lang. Dann sah er tatsächlich belustigt aus. „Ich wollte doch nicht springen. Wie kommst du nur auf sowas?“
     „Du brauchst mich nicht anzulügen. Ich weiß, dass du das tun wolltest.“
     „Nein, das wollte ich nicht. Du siehst Gespenster.“
     „Ja, das tue ich in der Tat“, gestand sie letztendlich doch. „Und deswegen weiß ich auch, dass du es tun wolltest. Weil die Geister mich direkt zu dir geführt haben.“
     „Du kannst sie noch immer sehen?“, fragte er ausweichend. „Du hast nie mehr davon gesprochen…“
     „Weil ich von diesem ganzen Kram nichts mehr wissen wollte. Aber das ist jetzt auch unwichtig. Was wichtig ist, ist, dass du dir das Leben nehmen wolltest.“


Sie hatte ihn entlarvt und das wurde jetzt auch ihm klar. Er wirkte eingeschüchtert. Schwieg.
    „Weißt du, wenn jemand dem Tod nahesteht, erscheinen die Geister derer, die ihm lieb und teuer sind, um ihn nach dem Tode zu empfangen. Und du bist sogar jetzt von zahlreichen Geistern umgeben. Sie machen sich alle Sorgen um dich.“ Sie begann, nacheinander auf die anwesenden Geister zu zeigen. „Da wäre deine Mutter. Dein Vater. Und Diana.“


Wie erwartet malte allein der Name seiner verstorbenen Tochter den Schrecken auf Tanns Gesicht. Er wirbelte auf der vergeblichen Suche nach ihr herum.
      „Diana?“
      Tanna nickte und zeigte erneut auf die Stelle, an der Dianas Geist stand und zu ihrem Vater aufschaute. Unmittelbar vor ihm.


„Diana…“, begann Tann mit plötzlich brüchiger Stimme, „mein Kind… es tut mir so leid, dass ich dich nicht beschützen konnte… Du fehlst mir… Du fehlst uns allen…“


Und ganz plötzlich fing er an zu weinen. Es war zuerst ein vages Schniefen, ein Kampf gegen die Tränen, den er nicht länger gewinnen konnte. Alles brach in diesem Moment über ihm zusammen, er weinte und schluchzte erbärmlich, wurde durchgeschüttelt, und Tanna war einfach nur erschüttert von diesem Anblick. Niemals hätte sie gedacht, Tann so zu sehen.


„Diana…“, brachte sein tränenerstickte Stimme sie aus ihrer Erschütterung zurück und erinnerte sie an ihre Aufgabe.
      „Sie ist da“, sagte sie sanft. „Vor dir. Sie lächelt.“
      „Es tut mir so leid…“
     „Sie schüttelt den Kopf und jetzt… hm… ein Kind schaukeln? Ich denke, sie will dir sagen, dass du auf Nero aufpassen sollst? Ja, das will sie.“


Tann  schaffte es jetzt endlich, das Weinen einzustellen. Sein Atem war noch immer stockend, aber für seine Tochter riss er sich noch einmal zusammen.
     „Ich werde mein Bestes geben, auf ihn aufzupassen.“
     „Sie lächelt wieder.“


Er wischte sich über die Augen und wandte sich schließlich wieder ihr zu, um ihr zu sagen: „Danke Tanna.“
     „Nichts zu danken. Versprich mir nur, dass du in Zukunft zu mir kommst, wenn du jemanden zum Reden brauchst, ja? Und dass du nicht mehr so einen Unsinn machst, wie von Klippen zu springen, okay?“
     „Ich… versuche es.“
     Ein vages Lächeln verirrte sich auf seine Lippen, das sie in letzter viel zu selten dort gesehen hatte. Es war ihr bislang nicht aufgefallen und jetzt fragte sie sich, warum sie es all die Zeit nicht gesehen hatte, dass Tann so offensichtlich gelitten hatte.


Er sagte danach nichts mehr. Ging einfach an ihr vorbei und sie ließ ihn gehen.


Doch für Tann war es damit noch nicht vorbei. Er hatte gewusst, dass Tanna früher Geister hatte sehen können, aber er wusste nicht, ob sie ihm gerade nicht nur eine Geschichte aufgetischt hatte. Er war sich nämlich ziemlich sicher, dass Diana von ihm enttäuscht wäre, wenn sie ihn momentan sehen würde. Er hatte deshalb keinen von beidem ein Versprechen geben können. Denn er wusste nicht, ob er es würde halten können. In seinen besseren Momenten vielleicht, aber viel zu oft war die Welt so erdrückend und grau für ihn geworden.
     Es verging eigentlich kein Tag, an dem er nicht erwachte und das Erste, was er dachte war, warum er eigentlich aufstehen sollte. Er wusste, dass es Aufgaben zu erledigen gab. Er wusste, dass sie wichtig waren, aber er wusste auch, dass sie auch ohne ihn erledigt werden würden. Er war vollkommen überflüssig geworden. Niemand brauchte ihn mehr. Niemanden kümmerte es, ob er da war oder nicht. Manchmal war er sich sogar sicher, dass es besser war, wenn er einfach verschwinden würde. Dorthin, wo seine Ahnen waren. Seine Familie.
      Dorthin, wo Diana war.
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Hier weiterlesen -> Kapitel 81 

Jetzt hat es Tanna also endlich erkannt, was wirklich mit Tann los ist. Ich denke, dass so eine Erkenntnis zu damaliger Zeit wahrscheinlich gar nicht so eindeutig gewesen wäre. Wahrscheinlich werden psychische Krankheiten, wenn sie nicht wirklich zu gefährlichen oder arg fürs Umfeld merkwürdigen Verhalten geführt haben, gar nicht als Krankheiten anerkannt gewesen sein. Ich denke da gerade so ein bisschen an Enn, wo ich schrieb, dass sie denken, dass ein Geist seinen Verstand verwirrt. Aber das sind natürlich alles nur Spekulationen.

Ich hoffe, man hat meine alternativen Zeitlinie (also dem Traum von Tanna), in dem Tann bei Lu geblieben wäre, Tanna fast den Krieg mit den Nachbarn verantwortet hätte, sie die Beziehung von Elrik ruiniert und Tanja anstatt Diana gestorben wäre, verstanden.
Wer sich noch ein bisschen die Illusion ruinieren will (oder Alternativversionen mag ;-) ), möge auf die Spoilerbuttons klicken: 



Nächstes Mal dann zieht ein Sturm übers Land und die Uruk-Leute müssen sich bangend in ihrem Haus verkriechen. 

Bis dahin, danke fürs Vorbeischauen und ich verabschiede mich.
  

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