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Samstag, 14. Mai 2022

Kapitel 152 - Rücktritt


Am nächsten Morgen wurde sie von der sich öffnenden Stalltür geweckt. Wulf saß neben ihr auf dem Strohhaufen und er sah richtig elend aus. Sein Haar war zerzaust und er hatte Ringe unter den Augen.


Er ging trotzdem als Erster zur Tür hinüber, die für die verschlafene Jade nur ein gleißend helles Rechteck war. Sie musste erst ein paarmal blinzeln, bis sie erkannte, dass Wulf sich mit Lu unterhielt. Oder Lu, besser gesagt, auf Wulf einredete. Da sie nicht verstand, was er sagte, ging sie zu den beiden.
     „Malah hat eine Notversammlung einberufen“, erklärte der ehemalige Schamane und warf ihr einen forschenden Blick zu.
     Jade versuchte beschämt, sich die ebenfalls sehr gelittene Frisur glatt zu streichen. Es gelang ihr zwar nur unzureichend, aber sie sah trotzdem davon ab, sich zuerst einen Eimer Wasser zu suchen und sich zurechtzumachen. Sie folgte Lu und Wulf umgehend nach drinnen. Sie war zwar offiziell kein Mitglied des Stammes mehr und hatte auf den Versammlungen eigentlich nichts mehr verloren, aber in ihrem Herzen war dies hier immer noch ihr Heim, und es hatte auch nie jemand etwas dagegen gesagt gehabt, dass sie an den Versammlungen teilnahm.


Als sie eintraten, waren bereits alle um die Feuerstelle herum versammelt. Malah stand an ihrem angestammten Platz, ihren Großvater auf der einen und Jana auf der anderen Seite. Die Flammen malten tiefe Schatten in ihr Gesicht, und Jade konnte nicht verhindern, an Wulf zu denken. Malah sah ebenfalls so aus, als ob sie letzte Nacht nicht sehr viel Schlaf bekommen hatte.
     „Ich habe euch heute hier zusammengerufen“, eröffnete die Stammesführerin die Versammlung, „um euch davon in Kenntnis zu setzen, dass ich von meinem Posten zurücktreten werde.“
     Die Nachricht schlug ein wie ein Meteorit. Erstauntes Schweigen überall, auf manchen Gesichtern hatte sich Unglauben breit gemacht. Tann schaute gefasst, presste aber missbilligend die Lippen aufeinander. Jana war weniger subtil und trug ihre Missbilligung offen zu Schau. Scheinbar wussten Malahs engste Vertraute es schon.


„Warum?“, platzte Alek, der ihr gegenüberstand, heraus.
     „Ich habe mir einige Dinge zuschulden kommen lassen, wegen denen ich euer Vertrauen nicht mehr verdiene.“
     Und dann erzählte sie alles. Davon, dass Nila fort war – was Nero mit einem wütenden Schnauben untermalte – dass sie ihn hatte gehen lassen und auch davon, dass sie ihm geholfen hatte, gewisse seiner Verbrechen zu verschleiern. Dazu, welche genau das waren, verweigerte sie jedoch jede Aussage.
     Nero knurrte mindestens dreimal, während diverse andere versuchten, das Geheimnis aus ihr herauszubekommen, aber Malah blieb standhaft. Sie wusste schließlich, dass ihr Bruder auch gegangen war, damit niemand erfuhr, dass es sein Kind in Nara war und es nicht unter seinem Vater zu leiden hatte.


„Ich weiß, dass ich mich dadurch gegen euch und den gesamten Stamm gewandt habe. Ich verdiene es, bestraft zu werden und werde mich jeder Strafe stellen, die ihr über mich verhängen werdet.“
     „Niemand wird dich bestrafen, Malah. Als Stammesführerin bist du sakrosankt“, wies Lu hin.
     „Ich weiß. Aber ich möchte es trotzdem.“
     „Niemand kann sich gegen das stellen, was die Götter bestimmt haben!“, erklärte Jana streng.
     „Du weißt auch, dass nur die Stammesversammlung dich deines Amtes entheben kann, solltest du dich dessen als unwürdig erweisen“, fügte Tann hinzu. „Dies ist zwar hinfällig, da du freiwillig zurücktrittst, aber nichtsdestotrotz gilt deine Immunität auch weiterhin für alle Taten, die du während deiner Führerschaft begangen hast. Du bist frei von jeglicher Schuld.“
     Auch das hatte Tann ihr gestern schon erklärt, und es hatte ihr nicht gefallen. Denn obwohl er das sagte, fühlte sie sich alles andere als „frei von jeglicher Schuld“. Ganz im Gegenteil.


„Und wer wird uns jetzt anführen, wenn du es nicht machst?“, warf Jin ungestüm ein.
     „Nun, wie ihr bereits wisst, befand ich mich bereits seit einiger Zeit im Gespräch mit den Nachbarn und den Leuten vom Handelsposten, ob wir uns nicht mit ihnen zu einem Dorf zusammenschließen. Sollte es dazu kommen, wird die Position des Stammesführers ohnehin obsolet werden, weil die Dorfgemeinschaft dann gemeinsam ein Oberhaupt wählen wird, das nicht unbedingt aus unserem Stamm kommen muss. Und bis dahin: Ich habe bereits mit meinem Großvater und dem potentiellen Nachfolgekandidaten darüber gesprochen. Wenn ihr ihn annehmen wollt, hat sich Nero dazu bereit erklärt, meine Nachfolge anzutreten. Und bis er soweit ist, ist es geltendes Recht, dass mein Vorgänger einspringt. Da mein Vater nicht hier ist, hat sich mein Großvater dazu bereit erklärt, sein Amt wieder aufzunehmen, bis Nero übernehmen kann.“
     Tann nickte ihr zu, aber man konnte überhaupt nicht aus seinem Gesicht lesen, was er dachte. Sie alle wussten, dass er es immer geliebt hatte, den Stamm anzuführen, doch er hieß es ganz offensichtlich nicht gut, dass seine Enkelin zurücktrat. Man hatte ihn gestern Abend auch das ein ums andere Mal laut werden hören.


Da die Versammlung diesr Entscheidung noch zustimmen musste, wurde gleich darauf abgestimmt, und obwohl es viele nicht gerne sahen, dass Malah, die sich bislang in ihren Augen gut als Stammesführerin geschlagen hatte, abtrat, wurde es letztendlich einstimmig angenommen. Tann würde die Führung über den Stamm wieder übernehmen, bis Nero als fünfter Stammesführer nachfolgen würde.


Nero hatte nach der Versammlung eigentlich ziemlich viel um die Ohren, aber als aus dem hinteren Zimmer Kindergeschrei zu ihm drang, war er sofort abgelenkt.
     „Möchtest du vielleicht nach ihnen sehen gehen?“, fragte Malah ihn, doch er schüttelte den Kopf.
     „Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht einmal, wie ich mit ihnen fertig werden soll. Egal, was ich mache, sie hören nicht auf, zu schreien. Ich bin ja froh, dass Gisela und Nyota mir bislang geholfen haben.“ Er sah sie unglücklich an. „Deswegen weiß ich auch nicht, ob es so eine gute Idee war, dass ich dein Nachfolger werde.“
     „Du musst“, erwiderte Malah bestimmt. „Es ist niemand anderes mehr da.“
     Das hatte er vor kurzem erst schon mal gehört. Gestern, als man ihm zwei Neugeborene in die Hände gedrückt hatte.
     „Ich weiß. Ich werde auch keinen Rückzieher machen, nachdem ich so große Töne gespuckt habe, keine Sorge.“
     „Wir werden dir schon alle helfen“, setzte Tann hinzu. „Du weißt doch, dass wir im Stamm alle füreinander da sind.“


„Trotzdem…“ Nero seufzte schwer, dann warf er plötzlich unruhige Blicke in den Raum, beugte sich vor und flüsterte: „Darf ich euch was anvertrauen? Ich… will, dass es jemand weiß, nur für den Fall.“
     Tann, Malah und Jana steckten die Köpfe mit ihm zusammen, und er erzählte ihnen, was es tatsächlich mit den Kindern auf sich hatte.
     „Das war ganz schön groß von dir“, befand Tann.
     „Mit dieser Größe wirst du ein besserer Stammesführer werden, als ich es war“, pflichtete Malah ihm bei.
     Tann versuchte sie daraufhin davon zu überzeugen, dass sie ihre Sache ebenfalls gut gemacht hatte, nur Jana sah nachdenklich aus.


„Wenn’s nicht deine sind und du dich nicht so unbedingt drum kümmern willst, warum gibst du sie nicht wem, der’s wollen würde?“, schlug sie schließlich vor.
     „Und wer soll das sein?“
     Jetzt war es Jana, die sich verstohlen umsah, sich zu ihm beugte und flüsterte: „Tanja und Wirt, mein ich. Das darfst du jetzt niemandem sagen, aber die wollen Kinder und ´s klappt nicht. Gib sie doch denen. Die würden sich freuen wie sonst was.“
     „Tanja? Ich weiß ja nicht… Wirt ist in Ordnung, aber Tanja…“
     „He, vertrau mir, wenn ich dir sag, dass du mir vertrauen kannst! Ich weiß, was ich sag! Die werden es gut da haben. Besser als wie wenn sie hier bleiben und du eh keine Zeit für sie hast.“
     Nero war noch immer nicht so überzeugt, doch schließlich erklärte er sich dazu bereit, wenigstens mal mit den beiden Nachbarn zu reden.


Nachdem sich die kleine Runde aufgelöst hatte, sah Jana sich nach Luis um. Sie fand ihn – wie üblich – gut entfernt von Luna in der Gegend herumstehend vor.
     „He, warum warst du denn grad nicht da? Wir haben grad geplant, wann wir die Zeremonie für Tann machen wollen.“
     Wie immer, wenn die Stammesführerwürden übergeben wurden – und war es auch nur für kurze Zeit – mussten sie dafür den Segen der Götter einholen und ein Ritual abhalten.


„Oh, entschuldige, das habe ich nicht mitbekommen“, antwortete er abwesend.
     Jana sah ihn missbilligend an, was er natürlich nicht mitbekam. Er bekam nicht mal mit, dass sie überhaupt noch da war. Wahrscheinlich hatte er sie einfach vergessen. Und sie war so genervt davon. Wie oft schon hatte sie ihn dazu ermutigt, sich dieser Luna endlich anzuvertrauen? Einfach mal mit ihr zu reden? Doch egal, was sie auch sagte, er tat es nicht, weil er sich nicht traute. Es war, als würde sie mit einer Wand reden. So konnte das nicht weitergehen!
     Nur, was tun?


Sie überlegte eine Weile, bis ihr schließlich eine Idee kam und sie anbot: „Wie wär’s, wenn du die Zeremonie machst? Als Schamane, mein ich“, und ihn damit heftig zum Zusammenzucken brachte.
     „N-nein, das ist deine Aufgabe. Ich bin nur dein Helfer.“
     „Komm schon, wenn du sie beeindrucken willst, musst du mal zeigen, was du kannst!“
     „Ich blamiere mich höchstens bis auf die Knochen!“, lamentierte er.
     „Ach was! Du weißt doch alles, was du machen musst. Hast mir ja auch schon zweimal ass… assit… geholfen.“
     „Ja, aber ich werde alles vergessen, wenn ich weiß, dass Luna anwesend ist.“


„Ich bin ja auch noch da, wenn was ist“, wiederholte sie Lus Worte, die er einst zu ihr gesagt hatte, um ihr Mut zu machen. Damals, als sie bei Malahs erster Zeremonie geholfen hatte. Seitdem hatte sie zwei weitere ohne Probleme durchgeführt, einmal, als Malah verletzt gewesen war und Tann für sie zur Stämmeversammlung gegangen war, und das zweite Mal, als Malah wieder übernommen hatte. Sie konnte die Worte und Gebete inzwischen aus dem Stehgreif. Sogar korrekt, dass Lu ganz stolz auf sie gewesen wäre.
     „Nein, das ist wirklich deine Aufgabe“, schlug Luis jedoch ernst aus. „Und es ist eine wichtige Aufgabe. Ich möchte die Götter nicht verärgern, verstehst du?“
     Jana verstand es, auch wenn sie es nicht guthieß. Sie versuchte es trotzdem kein zweites Mal, ihn zu überreden.


Nero hatte derweil Gabrielas Kinder genommen und war mit ihnen zu Wirt und Tanja hinübergegangen. Er hatte noch immer Zweifel, ob es so eine gute Idee war, ausgerechnet diesen beiden die Kinder zu überlassen, aber er war inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass er sich nicht um sie würde kümmern können. Er fühlte sich einfach nicht bereit dazu, ihnen als Vater gerecht zu werden, zumal er sich jetzt bald auch noch um den Stamm würde kümmern müssen. Es war besser so für die Kinder. Aber vielleicht redete er sich das auch nur ein. Vielleicht war er einfach nur ein Feigling, der weder zum Vater, noch zum Stammesführer geeignet war.
     Doch er hatte sich entschieden. Also hatte er die Kinder genommen, nachdem Nyota sie gefüttert hatte, und stand jetzt etwas unschlüssig darüber, wie er anklopfen sollte, vor Wirts und Tanjas Tür.


Er balancierte vorsichtig auf einem Bein und verpasste der Tür schließlich einen uneleganten Tritt. Glücklicherweise musste er das kein zweites Mal tun, da Tanja keinen Augenblick später die Tür aufriss und ihn unfreundlich anstarrte. Wie immer.
     Er überlegte, nicht doch lieber wieder zu gehen, bat dann aber schließlich um Einlass. Tanja warf einen grimmigen Blick zu den Kindern in seinen Armen, ließ ihn jedoch eintreten. Es war so kalt draußen, dass die Kinder schon rötliche Nasen bekommen hatten.


„Was willst du denn schon wieder?“, fragte Tanja ihn grantig. Wirt saß am Tisch in der Ecke und sah wie üblich ausdruckslos aus. Den Schalen nach zu urteilen, waren sie gerade beim Mittagessen gewesen. „Wenn du wieder mit deiner Mutter sprechen willst, kannst du das vergessen. Das mach ich nicht mehr.“
     „Nein, ich bin eigentlich wegen ihnen hier.“ Er präsentierte die Kinder. Tanja sah ihn so giftig an, dass er tatsächlich ein bisschen Angst bekam. „Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden“, fasste er neuen Mut. „Es sind Gabrielas. Ich weiß nicht, ob ihr es mitbekommen habt, aber ich hatte vor, sie zu heiraten wegen der Kinder. Nur ist sie jetzt tot, und ich soll mich allein um sie kümmern.“
     „Und was belästigst du uns damit?“


„Ja, ich wollte gleich noch darauf kommen. Es ist nämlich so, dass ich mich… aufgrund gewisser Umstände nicht um sie kümmern kann. Und deshalb dachte ich, ich frage euch.“
     „Uns? Was bringt dich bitte dazu, anzunehmen, dass wir deine Kinder haben wollen?“
     „Naja… Ich habe gehört, dass ihr…“ Er brach ab, überlegte sich, dass es vielleicht nicht so gesund für ihn war, offen darüber zu reden, dass er von ihrem Problem mit dem Kinderkriegen wusste.


Plötzlich stand Wirt auf, kam herüber, sagte mit seiner tonlosen Stimme: „Es sind deine. Du solltest dir gut überlegen, ob du sie weggibst.“
     Nero überlegte angestrengt, befand dann aber, dass es in Ordnung war, ihnen zu erzählen: „Es sind, ehrlich gesagt, nicht meine. Lin ist ihr Vater.“
     „Und wie kommst du dann zu ihnen?“, wollte Tanja aus dem Hintergrund wissen. „Wo ist ihr Vater?“
     „Wisst ihr es nicht? Er ist getötet worden. Von Nila“, erzählte er grimmig. „Deshalb hat Gabriela mich gebeten, die Vaterschaft zu übernehmen.“
     Er erzählte ihnen auch von dem, was Mai ihm anvertraut hatte: dass er den Kindern nicht zumuten konnte, im Ahn-Stamm aufzuwachsen. Und als er geendet hatte, nahm Wirt ihm eines der Kinder ab.


Es war ein ganz faszinierender Moment, wie das kleine Bündel in seinen Armen den Mann mit dem immerzu ausdruckslosen Gesicht dazu brachte, zu lächeln und das Lächeln augenblicklich zu seiner Frau überging. Sie kam jetzt ebenfalls an, nahm ihm das andere Kind, das Mädchen, ab.


Sie wiegte es vorsichtig hin und her, und ihr Lächeln war sogar noch breiter als das ihres Mannes. So zärtlich und liebevoll, wie er es noch nie bei ihr gesehen hatte. Als sie sich schließlich wieder ihm zuwandte, glitzerten in ihren Augen tatsächlich Tränen der Freude.
     „Bist du sicher?“, fragte sie, und nachdem Nero genickt hatte, sagte sie: „Danke!“, und drückte das kleine Bündel an sich, während die Tränen nun doch überliefen.


Wirt war sofort bei seiner Frau, legte ihr einen Arm um die Schultern, und Tanja schmiegte sich mit dem Kind an ihn. Es war ein wundervolles Bild einer Familie, das ihn so sehr beeindruckte wie damals Akaras Liebe für seinen Vater es getan hatte. Und da wusste er endlich, dass er das Richtige getan hatte.
     So kamen Gabriela und Lin, die von da an Lynn und Gabriel hießen, in liebevolle Hände, und Wirt und Tanja wurden doch noch Eltern und bekamen die Familie, die sie sich immer gewünscht hatten.


Am Abend, als Luna zum Beten hinausging, nutzte Jana die Chance, ihr nachzugehen, um ihr mal auf den Zahn zu fühlen, wenn es schon mit Luis vergebliche Liebesmüh war.
     „He, du, ich muss mal mit dir über Luis reden.“
     Luna drehte sich um und sah sofort unbehaglich aus. Auch wenn sie versuchte, es zu verstecken.
     „Ja?“
     „Also zuerst mal: Wer von euch hat ihm jetzt diese komischen Pilze gegeben? Du oder diese Sandwippe?“
      Luna verbrachte eine ganze Weile damit, sie überfordert anzustarren, weshalb Jana ungeduldig: „Und?“, hinterherschob.


„Woher weißt du denn überhaupt von Xanthippe?“, antwortete sie jedoch nur mit einer Gegenfrage.
     „Ist doch egal! Sag einfach: Wer war es?“
     „Das ist doch nicht von Bedeutung…“
     „Klar ist’s das! Wenn du’s gemacht hast, bist du nämlich gar nicht so gut, wie Luis sagt. Und wenn du’s nicht gemacht hast, bist du auch nicht besser, weil du Luis nicht gesagt hast, dass sie überhaupt da war. Warum hast du’s eigentlich nicht gesagt? Ist doch fies, es ihm nicht zu sagen, wo er‘s doch nicht sehen kann!“  


„Ja, da hast du vollkommen recht“, gab Luna unerwartet zu. „Es ist unentschuldbar, was ich damals getan habe.“
     „Und deshalb redest du nicht mit ihm und gehst ihm aus dem Weg, obwohl du ganz genau weißt, dass er heillos in dich verknallt ist?“, fragte Jana vorwurfsvoll.
     Wieder war Luna von Janas Direktheit überfahren, sodass sie nur mit überfordertem Starren und Rotwerden antwortete.


„Das ist nämlich echt scheiße“, fuhr Jana gleichbleibend fort. „Du weißt das, und obwohl du selber was für ihn übrig hast, hast du ihm das Herz gebrochen, dass er sich gar nicht mehr traut, mit dir zu reden.“
     „Wie kommst du darauf, dass ich… Gefühle für ihn hätte?“
     „Ach, komm! Ich seh doch, wie du ihn immer anguckst! Das sieht doch ein Blinder mit ´nem Krückstock!“ Sie stockte. „Naja, Luis vielleicht nicht, aber der ist ja auch doppelt blind vor Liebe. Warum machst du das?“, forderte sie ernst, zu wissen. „Warum lehnst du seine Liebe ab, obwohl du ihn auch liebst?“
     Luna schwieg schon wieder, was Jana gehörig auf die Nerven ging. Aber diesmal tat sie der Anderen nicht den Gefallen, weiterzureden. Sie wartete.


„Weil mein Herz meiner Göttin gehört“, rückte Luna schließlich mit der Sprache raus.
     „So ein Blödsinn!“, rief Jana heftig, dass Luna erschrak. „Mein Herz gehört auch den Göttern, aber ich lieb trotzdem auch noch wen anders. Warum hätten die Götter uns sonst ein Herz zum Lieben geben sollen, wenn wir nicht lieben? Wenn du wirklich so großherzig bist, wie Luis sagt, ist in deinem Herz Platz für deine Göttin und ihn! Du hast einfach nur Angst vor der Liebe, deshalb diese doofe Ausrede. Das ist alles.“
     Jana war so wütend, dass sie sich schwerlich zurückhalten konnte, ihrem Gegenüber einfach eine zu verpassen. Die Frau regte sie so auf.


Doch ihre Wut wurde augenblicklich gezügelt, als Luna plötzlich ernst fragte: „Und was ist mit dir? Du wirfst mir vor, dass ich Angst vor der Liebe hätte, aber warum sagst du ihm dann nicht, dass du ihn im Herzen trägst?“
     „Wie kommst du auf sowas?“, fragte Jana irritiert.
     „Nun, ich kann auch sehen, wie du ihn ansiehst.“


„Pff! Ich hab aber schon eine Familie!“, erwiderte Jana unverzüglich, und Luna war ja beeindruckt davon, wie gut sie ihre Verlegenheit unter Trotz verstecken konnte. „Luis liebt dich“, stellte Jana mit fester Stimme klar. „Ich versteh das nicht, weil ich nicht glaub, dass du gut für ihn bist. Oder überhaupt gut. Aber egal. Es ist das, was Luis will, und da du ihn ja auch liebst, solltest du verdammt nochmal aufhören, dich hinter Ausreden zu verstecken und das zulassen.“ Sie trat an Luna heran, ruderte mit der Faust und fügte bedrohlich hinzu: „Aber wag bloß nicht, ihm wehzutun, sonst kannst du mich mal ganz anders kennenlernen!“
     Sie ließ Luna stehen, stürmte ins Haus zurück, und Luna blieb mit noch mehr Zweifeln als zuvor schon allein zurück.


Eine Woche der Vorbereitungen später, an dem Tag, an dem die Stammesführerzeremonie stattfinden sollte, war Jana urplötzlich krank geworden. So gut wie alle sahen das als ein schlechtes Omen, nur Jana nicht. Sie war überzeugt davon: „Lui soll die Zeremonie als Schamane leiten!“
     Luis sah das natürlich ganz anders, aber Jana blieb stur. Wenn er sie nicht so gut gekannt hätte, hätte er ja gedacht, dass sie die Krankheit nur vorspielte, um ihn dazu zu zwingen, die Zeremonie zu übernehmen.
     „Wir sollten die Zeremonie einfach verschieben“, schlug er mit zittrigen Knien trotzdem vor.
     „Quatsch“, befand Jana und würgte in ihren Eimer. „Dafür ist keine Zeit. Wenn die Götter was gegen hätten, dass du das machst, hättest du’s doch gesehen. Du bist doch Seher.“


Luis konnte sich querstellen, wie er wollte, aber als Jana auch noch die Bittende auspackte – was sie äußerst selten tat – dass er ihre Ehre als Schamanin retten müsse oder sowas, konnte er es ihr nicht mehr ausschlagen.


So kam es, dass Schamanen-Stellvertreter Luis, der einen hastigen Segen von Jana erhielt, bevor sie wieder von ihrem Eimer gerufen wurde, nun doch die Würden des Schamanen annahm, und auch wenn Lu den alten Göttern inzwischen zugunsten des Einen abgeschworen hatte, war er dennoch mächtig stolz auf seinen Sohn. Er bestand sogar darauf, ihm bei der Vorbereitung zu helfen.
     Luis hingegen fühlte sich überhaupt nicht bereit für die Aufgabe, die man für ihn vorgesehen hatte, und er hatte nur noch mehr Respekt vor Jana, dass sie solch eine verantwortungsvolle Position auf sich genommen hatte. Als er nach dem Frühstück allein in der Küche stand und darauf wartete, dass es losging, war er sich jedenfalls sicherer denn je, dass es eine gute Entscheidung gewesen war, nicht Schamane, sondern Schamanenhelfer zu werden.


„Hey, Kopf hoch und Brust raus“, hörte er Janas Stimme, als sein Vater gerade nach draußen gegangen war, und sie klang tatsächlich ungewohnt entkräftet. „Du willst doch einen guten Eindruck hinterlassen, oder?“
     „Ich schaffe das nicht, Jana.“
     „Du wirst. Hab ein bisschen Selbstvertrauen. Die Götter stehen dir bei. Denk nur immer dran, dass sie da sind und du nicht allein bist. Das tu ich auch immer, und dann hab ich gar keine Angst mehr.“
     „Du hast manchmal Angst?“


Er hörte das für Jana typische Geräusch, das sie von sich gab, wenn sie schmunzelte.
     „Ich hab auf jeden Fall keine Angst, dass du es nicht schaffst.“ Er spürte ihre Berührung an seinem Arm. „Ich glaub an dich, Lui.“ Und da konnte er ja nicht anders, als sich zusammenzureißen. Nur, als sie dann hinzufügte: „Mach mich stolz, und mach mir vor allen Dingen keine Schande, hörst du?“, war er doch wieder ein klein bisschen eingeschüchtert. Auch wenn er ja wusste, dass sie ihn nur aufzog.
     „Wirst du zuschauen?“, versicherte er sich, während die Tür aufging.
     „Werd ich. Ich werd mich auch mit Kotzen zurückhalten, versprochen.“


Es waren mit Ausnahme von Tann und ihm schon alle anwesend, als Luis in voller Schamanenmontur nach draußen in die Runde trat. Es war eisig kalt, dass es ihm scharf in die Wangen biss, aber er war so aufgeregt, dass er das gar nicht wahrnahm. Doch obwohl er aufgeregt war und immer noch glaubte, dass er es nicht schaffen würde –seine Knie zitterten furchtbar – bewahrte er nach außen hin Ruhe. Strahlte Würde aus, wie es sich für einen Schamanen gehörte. Vielleicht lag es auch an Jana, die darauf bestanden hatte, ihn wenigstens zum Tempel zu führen.
     Er versuchte, sich nur auf sie und die Berührung ihrer warmen Hand zu konzentrieren, dass er alles andere ausblendete. Seitdem er ihr Helfer und ihr Freund geworden war, war sie ihm immer ein Anker gewesen, auf den er sich stets hatte verlassen können. Auch jetzt war es ihre Anwesenheit, die ihm die Angst so weit nahm, dass er die Ruhe bewahren konnte. Dass er ausblenden konnte, dass da jemand anwesend war, vor dem er sich bloß nicht blamieren wollte.


Zumindest konnte er das, bis ihre Stimme plötzlich in seine schwerlich aufgebaute Schutzmauer drang.
     „Du bist es!“, rief Luna ehrfürchtig. „Du bist derjenige, den die Göttin mich gesandt hat, zu finden!“
     Und da verlor er nun doch jegliche Fassung über sich und starrte erschrocken. Und sein Schrecken wurde noch größer, als er plötzlich Janas Berührung nicht mehr spürte, aber stattdessen eine andere.


Nur eine süße und schreckliche Sekunde lang. Dann wurde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen und er versank in einer Welt aus Chaos, Dunkelheit, Tod und Zerstörung.


„Du musst fort“, hörte er die Stimme in der Dunkelheit sagen. „Fort, bevor es zu spät ist.“
     „Lui?“
     „Geh.“
     „Lui!“


Er schlug die Augen auf, verließ die Welt der Dunkelheit, um in die Dunkelheit zurückzukehren, die seine Welt war. Die Schwäche und der Schmerz in seinem Kopf durchfuhren ihn augenblicklich, und jetzt war er es, der ein Würgen zurückhalten musste.
     „Luna?“, hörte er eine Stimme, die er als Wulfgars erkannte.
     Er richtete sich auf, spürte eine Berührung am Arm.
     „Geht’s wieder?“, fragte Jana ihn besorgt. „Du hast so sehr geschrien. Ich dachte…“
Sie sprach nicht weiter.
     „Alles in Ordnung?“, hörte er seinen Vater fragen.


„Nein. Nein, es ist nichts in Ordnung. Es ist eine Katastrophe!“, berichtete er entsetzt, drehte den Kopf vage in eine Richtung. „Wo ist Luna?“
     „Hier bin ich“, hörte er sie schwach sagen.
     „Ich glaube, wir sollten reden“, sagte er zu ihr, das erste Mal, dass er überhaupt normal zu ihr sprechen konnte, und es überraschte alle Anwesenden, dass er dabei düster klang.
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Und mit dem Gespräch von Luna und Luis und der Vision, die er hatte, geht es das nächste Mal weiter. 
 
Derweil ist auch Malah zurückgetreten. Ich habe ja schon vor zwei Kapiteln geschrieben, dass es für sie nicht folgenlos bleiben wird, dass sie Nila, einen verurteilten Verbrecher, einfach so hat gehen lassen, bevor sie ihn gegen Reinhard aussagen lassen konnten. Auch wenn ihr Stamm nach wie vor hinter ihr steht und sie weiter als Anführerin akzeptieren würde, ist ihr Handeln für Malah selber einfach unverzeihlich gewesen, sodass sie keine andere Möglichkeit gesehen hat, als zurückzutreten. Jetzt übernimmt also erstmal Tann wieder, bevor Nero der fünfte Stammesführer werden wird. Das war am Anfang gar nicht so geplant, und Nero will auch eigentlich gar nicht Stammesführer werden, aber er ist jemand, der zu seinem Wort steht und der das durchziehen wird. Und wie er sich dabei schlagen wird, wird man Ende erfahren. Das ist ja jetzt auch nicht mehr so weit entfernt. Noch 8 Kapitel, dann ist es vorbei.
 
Bis dahin, passt auf euch auf, und ich verabschiede mich!

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