Neuigkeiten

Hallo und herzlich willkommen in meiner (Sims-)Wortschmiede!
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!
Neu hier? Dann hier anfangen.
Wulfgars Geschichte jetzt komplett online!

Mittwoch, 21. Juli 2021

Kapitel 144 - Ein vierfaches Wiedersehen


Nachdem Shana ihren Körper verlassen hatte, konnte Tanna mit Leahs Hilfe schließlich ins Diesseits zurückkehren. Ihr Erwachen war aber alles andere als schön, hätte sie im Normalfall einer Besessenheit doch mit einer zweitägigen Ohnmacht rechnen müssen, weshalb es einem Wunder gleich kam, dass sie nach nur ein paar Stunden Ruhe schon wieder bei Bewusstsein war.


Auch Isaac war nach einer ordentlichen Nacht voll Schlaf – entgegen Tanns Rat – schon wieder auf den Beinen, und er war die nächste Zeit nur damit beschäftigt, sich bei Tanna zu entschuldigen, dass er sich ihr unsittlich genähert hatte, obwohl die sich nicht einmal daran erinnerte und ihm auch nicht böse deswegen war.
     Nur Wulfgar erwachte nicht. Er war der einzige, dem das Wunder verwehrt blieb, ins Leben zurückzukehren. Er lag nach wie vor im Koma, und dass sie ihn selbst in der Leere nicht gefunden hatten, hatte Lu selber an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht.


Am Morgen nach dem Ritual war es auch, dass Tanna Tann abfing.
     „Tann, wegen gestern – “, fing sie mit einem besorgten Gesicht an, dass er sofort wusste, was sie anzusprechen gedachte.
     „Ich möchte nicht darüber reden.“
     Ihr mitleidiger Blick traf ihn so tief, dass er sich furchtbar entblößt fühlte.


„Hast du es ihm denn wenigstens gesagt?“
     „Natürlich nicht“, zischte er leise, warf einen flüchtigen Blick auf das Subjekt ihres Gesprächs, um sich zu vergewissern, dass er sie nicht hörte. „Und ich möchte auch nicht, dass du dich da einmischst. Lass es einfach auf sich beruhen. Bitte, ja?“
     „Warum denn?“


Er wandte sich ab, ging zu seinem Bett hinüber und glättete die Bettdecke, um sich abzulenken. „Ich muss dich etwas fragen, Tanna: Als du besessen warst, hast du da irgendetwas mitbekommen?“
     „Nein. Ich war ja die ganze Zeit in der Leere gefangen.“
     Er nickte. Ließ sich Zeit, bevor er fortfuhr. Dabei hätte er gerne gewusst, über was Isaac mit seiner Frau geredet hatte. Er hatte es ja nicht verstanden, weil sie in ihrer Muttersprache miteinander geredet hatten.
     „Dann hast du auch nicht gesehen, was ich gesehen habe“, sagte er schließlich und sah sie an.. „Er hängt noch immer an seiner Frau.“


Es hatte ihm doppelt das Herz gebrochen, als er gesehen hatte, wie Isaac Tanna in seinen Armen gehalten, wie er um sie geweint und wie er sie schließlich geküsst hatte. Er hatte die Liebe in seinen Augen gesehen, und er hatte erkannt, was er ohnehin schon gewusst hatte: Isaac hatte ihn nie so angesehen.


„Deswegen solltest du es ihm ja sagen“, riet Tanna ihm. „Vielleicht kann er dann endlich mit ihr abschließen.“
     „Ich wollte mir mal das Leben nehmen, aber diese selbstzerstörerische Tendenz habe ich glücklicherweise nicht länger.“
     „Ach, Tann…“
     Er zwang sich, beruhigend zu lächeln, obwohl sein Herz blutete. „Hey, schau doch nicht so. Ich werde darüber hinwegkommen. Das habe ich bei dir schließlich auch geschafft.“


Er sah zu Isaac hinüber und sein Lächeln wurde dabei endlich echt. „Außerdem habe ich noch unsere Freundschaft. Sie ist mir sowieso wichtiger als das, was ich nicht haben kann.“
     Denn seitdem Isaac in sein Leben getreten war, schon bevor er sich in ihn verliebt hatte, hatte sich etwas grundlegend verändert. Isaac hatte die Sonne in sein Leben zurückgebracht, die Würze, die ihm bislang gefehlt hatte. Seitdem waren die grauen Tage weniger geworden, und selbst wenn sie kamen, waren sie weniger bewölkt. Er konnte wieder nach vorne schauen, aufstehen und sich auf den Tag freuen, und das hatte er Isaac zu verdanken. Schon allein deswegen war er froh, dass er in sein Leben getreten war.


Das erkannte jetzt auch Tanna, und sie war froh darüber. Sie hatte schon vorher bemerkt, dass sich etwas an Tann verändert hatte. Etwas, das ihn endlich wieder lächeln lassen konnte. Etwas, das ihm das Glück zurückgegeben hatte. Und deshalb entschied sich Tanna an diesem Tag auch dazu, Tanns Bitte zu entsprechen und sich nicht weiter einzumischen.


Die Nacht war vergangen und dem dritten Morgen nach dem Angriff auf Wulfgar gewichen. Rufus war inzwischen ebenfalls wieder auf den Beinen, er war rasiert und gewaschen, hatte dank Adelaide sogar neue Kleidung von Alin bekommen.
     Nachdem er auch noch ein gutes Frühstück gehabt hatte, war er wieder so weit bei Kräften, dass er bereit war, seiner Schwester alles über ihre Vergangenheit zu erzählen. Doch bevor er auch nur ein Wort sagen konnte, wurden sie von Lärm unterbrochen, der von draußen hereindrang. Adelaide hätte natürlich den Teufel getan, nachzusehen, aber Rufus hatte weniger Skrupel.


Er ging nach draußen und lief sofort in eine wütende Delegation vom Uruk-Stamm hinein. Allesamt bewaffnet, angeführt von der jungen Stammesführerin. Und er war doch ein bisschen eingeschüchtert, als die sich plötzlich ihm zuwandten. Ganz automatisch hob er die Fäuste, obwohl das sehr offensichtlich ein aussichtloser Kampf werden würde.


Als seine Schwester erschien, wurde einer von der Meute auf sie aufmerksam und ruckte mit seinem Bogen in ihre Richtung, dass Rufus sich sofort schützend vor sie stellte.
     „Aida!“, rief der Bogenschütze. „Geh weg von ihm!“
     Entgegen ihrer Art, stellte sich Adelaide jedoch zwischen beide Parteien, forderte zu wissen: „Was ist denn hier los? Was wollt ihr von ihm? Was wollen die von dir?“


Doch keiner antwortete. Rufus wollte seine Schwester wieder hinter sich schieben, Nero hatte sie am anderen Arm und wollte sie retten. Erst als Malah auf den Plan trat, wurde die arme Adelaide davon erlöst, hin und her gezogen zu werden.
     „Vielleicht sollten wir uns erst einmal beruhigen“, versuchte sie, die Wogen zu glätten. Sie nahm sich die Zeit, Rufus einmal von oben bis unten zu mustern. „Ich nehme an, dass du derjenige bist, der Wulfgar angegriffen hat, nicht wahr? Lus Beschreibung passt zumindest zu dir. Auch wenn wir nicht deswegen hier sind.“


Als die beiden Jungs jetzt kurz aufhörten, an ihr zu zerren, entwand sich Adelaide beider Griffe. „Was ist hier eigentlich los? Wovon redet sie? Du hast Wulfgar angegriffen?“
     „Nun… ja. Aber er hat ja wohl überlebt. Und ich trachte ihm auch nicht länger nach dem Leben. Ich habe meine Rache bekommen“, stellte er klar.
     „Wir sollten ihn dafür bluten lassen!“, forderte Jin und richtete wütend den Speer auf ihn. „Wulfgar ist einer unserer Leute! Einer unserer besten!“
     Die Stimmung war am Kippen, die anderen Uruk-Leute sahen ihm auch nicht gerade wohlgesonnen aus. Als Nero jetzt erneut versuchte, Adelaide auf ihre Seite zu ziehen, entschied die sich. Erneut riss sie sich los und stellte sich vor ihren Bruder.


„Aida! Komm da weg!“
     „Nein! Erik ist mein Bruder! Wir haben uns gerade erst wiedergefunden, und ich werde nicht zulassen, ihn gleich wieder zu verlieren.“
     „Und ich werde nicht zulassen, dass ihr meiner Schwester was tut“, pflichtete Rufus ihr bei.
     „Wulfgar hat überlebt, aber er schwebt nach wie vor in Lebensgefahr“, griff Malah ein, legte Jin eine Hand auf den Arm, dass er den Speer senkte. „Und sollte er nicht überleben, werden wir wiederkommen und das klären. Aber wie ich bereits sagte, sind wir nicht deswegen hier. Sondern, um eine Frau zu finden: Ida. Kannst du uns vielleicht sagen, wo sie ist, Adelaide? Deine Mutter will nicht mit uns reden.“


 
Nachdem Rahn in der Leere seine Erinnerung wiedererhalten und erfahren hatte, dass Lyca Ane getötet hatte, hatte er sich auch wieder daran erinnert, wen er gesehen hatte, nachdem Lyca ihn niedergeschlagen hatte und er kurz das Bewusstsein wiedererlangt hatte: Ida. Sie hatte Lyca wohl dabei geholfen, den Mord zu vertuschen und war danach mit ihm zusammen weggegangen.


Rahn war auch gleich an diesem Morgen losgegangen, um Ana davon zu berichten, was tatsächlich mit ihrer Mutter geschehen war.
     Und weil dies schon der zweite Beweis dafür war, dass Ida Dreck am Stecken hatte, hatten Malah und ihre Berater entschieden, Isaacs und Wulfs Vermutung zu glauben, dass Ida hinter den Giftanschlägen stand und sich um sie zu kümmern.


Doch Ida war nirgends zu finden und auch niemand im Handelsposten hatte sie gesehen. Sie hatten sogar bei Idas Schwester und Adelaides Mutter Cordelia nachgefragt, aber die hatte sie nur unfreundlich abgewiesen.


„Mutter!“, war es Rufus, der an Adelaides statt spitz antwortete. „Diese Person ist nicht ihre Mutter!“
     Adelaide starrte ihn erschrocken an. „Was?“
     „Ach, hat sie dir erzählt, dass sie deine Mutter ist? Sollte mich nicht wundern. Aber sie ist es nicht. Nicht meine und auch nicht deine. Ich… wollte dir das eigentlich später in Ruhe erzählen, aber vielleicht ist es ganz gut, dass die das hören, wenn sie…“


Er unterbrach sich und wartete Adelaides Einverständnis ab, bevor er zu erzählen begann: „Meine Mutter hieß Clothilde, deine Luisa. Ich erinnere mich nicht mehr an meine, sie starb bei meiner Geburt, und die deine starb ein Jahr nach deiner Geburt an einer Krankheit. Danach haben wir eine Weile bei Vaters Schwester gelebt, bis er von einer seiner Fahrten mit seiner neuen „Frau“ zurückkehrte: Cordelia.“


„Sie war von Anfang an distanziert zu uns, aber Vater hat mich trotzdem gezwungen, sie Mutter zu nennen, und dann ist er wieder in See gestochen. Hat uns mit ihr allein gelassen.“


„Und schließlich… schließlich ist sie aufgetaucht: Ida – ihre Schwester. Diese eiskalte Schlange. Ich habe wirklich Mitleid mit Cordelia gehabt, als sie da war. Ida hat sich daran ergötzt, sie zu quälen. Sie hat ihr sogar ins Gesicht gesagt, dass sie einer Patrouille gesteckt hätte, wo Vater seine nächste Plünderfahrt geplant hatte. Der, von der er nicht mehr zurück kam. Sie haben sein Schiff versenkt. Und Cordelia hat nichts getan. Nichts gesagt. Sie stand nur da und hat Idas Blick gemieden.“


„Und dann… dann hat Ida diesen Sklavenhändler in unser Haus gebracht.“ Plötzlich wurde sein Blick fürchterlich glasig. „Ich werde diesen Tag nie vergessen. Das böse Grinsen in Idas Gesicht, Cordelia, die mich nicht ansah, du in deiner Krippe. Wie du mit großen Augen zu mir gesehen hast. Meine einzige Familie. Mein Zuhause. Alles, was mir noch geblieben war. Und sie haben mich von dort fortgerissen. Haben mich mitgenommen.“


„Danach… an diese Zeit will ich gar nicht denken. Es ging von Markt zu Markt, ich wurde ausgestellt wie Vieh und schließlich wurde ich gekauft. Kam in ein völlig fremdes Haus. Zu fremden Leuten. Ich war nicht mal zehn damals. Vielleicht acht. Vielleicht noch jünger. Ich weiß es nicht; ich erinnere mich nur noch an die Angst.“


Ein unerwartetes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. „Aber sie haben mich aufgenommen. Flavia und Titus, die anderen Diener. Sie waren wie eine Familie für mich. Sie und ihre beiden Töchter. Und jetzt… jetzt dachte ich… habe ich wieder kein Zuhause. Ich dachte, ich hätte wieder alles verloren. Aber das stimmt nicht.“


Er stellte sich vor seine Schwester, nahm sie an den Schultern und sah ihr mit tränenglitzernden Augen ins Gesicht. „Ich habe dich gefunden. Ich hatte immer so eine Angst, dass sie dich auch verkauft haben könnte. Dass du da draußen wärst, allein und verängstigt. So wie ich damals. Ich bin so froh, dass es dir gut geht.“


Er drückte sie an sich. Adelaide war einen Moment lang zu überfordert, bevor sie die Umarmung zögerlich erwiderte. Sie wusste nicht, ob es stimmte, was er sagte, aber sie tat es trotzdem. Denn irgendwie, tief in ihr drin, war sie sich sicher, dass er nicht log. Sie war sich sicher, ihn schon einmal gesehen zu haben. Wie ein Schatten aus einer längst vergangenen Zeit, erinnerte sie sich an ihn. Ihn, ihren Bruder Erik, der jetzt Rufus hieß.
     Er löste sich von ihr, lächelte glücklicherweise wieder. „Von jetzt an will ich für dich da sein. Wenn du mich lässt. Ich will auf dich aufpassen und dich beschützen.“ Sein Blick verfinsterte sich. „Vor allen Dingen vor dieser Ida, wo sie ja scheinbar hier ist.“


„Nun, wir wüssten jedenfalls gerne, wo sie ist“, übernahm Malah wieder. „Denn auch wir haben ein paar… beunruhige Neuigkeiten über sie erfahren und würden gerne verhindern, dass sie weiter Unheil anrichten kann. Also, weiß einer von euch zufällig, wo sie sich aufhält?“
     „Ich habe sie zuletzt in unserem Zimmer gesehen“, kam unsicher von Adelaide.


Doch da war sie nicht länger. Ida war verschwunden. Und sie sollte es auch bleiben.


Als die Delegation wenig später unverrichteter Dinge vom Handelsposten wiederkam, wurden sie schon von einer sehr blassen Jade erwartet.
     „Es ist furchtbar!“, platzte sie sogleich heraus. „Reinard will unseren Stamm stürzen!“
     „Oh, nein. Bist du dir sicher?“, fragte Malah sie.
     „Leider ja. Er hat es mir gegenüber selbst zugegeben. Er will wohl der König der Gegend werden, oder so. Und er hat auch schon alles dafür in Gang gesetzt, hat er gesagt.“
     „Weißt du, was er damit gemeint hat?“
     „Leider nein. Er wollte nicht mehr erzählen.“
     „Weißt du zufällig etwas darüber, ob er mit einer gewissen Ida zu tun hat?“, sprang Aan ein.
     „Er hat sie einmal kurz erwähnt, ja. Sagte, dass sie denkt, dass sie ihn benutzt, obwohl er es ist, der sie benutzt, oder sowas.“


Die Nachricht, die schon zuvor eingeschlagen hatte, brachte jetzt alle zum Verstummen und es gab Alistair, der unbemerkt angekommen war, die Zeit, um hereinzukommen und auf sich aufmerksam zu machen.
     „Scheinbar wisst ihr schon, wie ernst die Lage ist. Aber ich befürchte, das ist noch längst nicht alles. Reinard wird jedenfalls bald das Kleinste eurer Probleme sein, wenn die Königin von Goldhain ihre Truppen hierher schickt.“  
     Malah wurde blass. „Truppen? Was willst du damit sagen?“
     „Dass bald Krieg hier herrschen wird“, antwortete jemand anderes an Alistairs statt.


Es war Gisela. Und sie hatte ganz offensichtlich ihre Söhne dabei, die gerade schüchtern am Rock ihrer Mutter hingen. Ein weiteres Kind, ein Neugeborenes, das gerade munter in die Runde schaute, hatte sie im Arm. Als Jana das sah, war sie sofort zur Stelle, umarmte die Schwiegertochter herzlich, nahm ihr das Neugeborene ab, und die beiden Kleinen waren auch schnell aus der Reserve gelockt. 
     Derweil nutzten die Erwachsenen die Chance, das Gespräch zur Feuerstelle zu verlegen, damit Alistair sich auf einen der Schemel setzen konnte.


„Seid ihr sicher?“, lenkte Tann die Aufmerksamkeit wieder auf das Wesentliche.  
     „Ich fürchte ja. Unsere Quelle ist vielleicht nicht die zuverlässigste, aber… naja, soll er für sich selber sprechen. Gehst du, Ella?“
     Gisela nickte, ging zur Tür zurück und streckte den Kopf nach draußen, woraufhin ein jämmerliches Wimmern zu hören war.


Als sie wieder reinkam, folgte ihr eine gebückte Gestalt, die sich als Nila herausstellte. Er starrte eingeschüchtert zu Boden, hatte Schürfwunden im Gesicht und an den Händen, Ringe unter den Augen, war schmutzig und blass und hatte vor kurzem offensichtlich noch geheult. Kurz: Er sah völlig fertig aus.


Bei seinem Anblick stürzten Malah und Tann beinahe gleichzeitig nach vorne. Malah schloss ihren Bruder erleichtert in die Arme und verdrückte nun selber ein paar Tränen.
     „Nila! Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist und du wieder da bist! Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht!“
     Und es war das allererste Mal, dass Nilas Augen beim Anblick seiner Schwester nicht voller Hass waren. Im Gegenteil, sie waren voller Angst. Er packte seine Schwester bei den Armen.
     „M-Malah! Du musst mir helfen! Sie wird mich umbringen, wenn sie erfährt, dass ich geredet habe!“
     „Was? Wer?“
     Seine Augen gingen verängstigt hin und her, fanden aber kein Ziel.
     „Das kann ich nicht sagen. Sie wird mich umbringen.“


Gisela beugte sich unvermittelt zu ihm, ein süßliches Lächeln auf den Lippen, das so kalt war, dass es selbst Malah fröstelte, und hauchte gefährlich: „Dann kannst du genauso gut erzählen, was du uns auch schon erzählt hast, nicht wahr? Oder willst du, dass ich ihn – “
     „Nein! Bitte, nicht! Ich erzähle schon!“


Doch Tann schob sich nach vorn, befreite seinen Enkel souverän aus der Bedrängnis.
     „Bevor du erzählst, wirst du erst einmal etwas essen und trinken“, beschloss er. „Na komm!“
     Niemand außer Malah hieß das gut, aber sie ließen Tann gewähren. Sie alle wussten ja schließlich, wie verbissen der alte Stammesführer war, wenn es um seine Familie ging.


Obwohl Nila seit über einem Tag nichts gegessen und so gut wie gar nichts getrunken hatte, bekam er kaum etwas herunter. Sein Großvater hatte zwar alle anderen verscheucht, dass er in Ruhe speisen konnte, aber er fühlte sich dennoch zu elend dafür. Mehr als einmal überlegte er, ob er nicht doch irgendwie fliehen konnte, aber er wusste ja, dass er keine drei Schritte weit kommen würde, selbst wenn er es schaffte, das Haus ungesehen zu verlassen. Er wusste immerhin, dass da draußen noch sein verdammter Aufpasser stand.


Während Nila aß, winkte Alistair seine Schwester zu sich. „Da wir ohnehin warten müssen, können wir ihn eigentlich auch davon erlösen, dass er draußen frieren muss. Nyo, ich wollte es dir eigentlich später sagen, aber draußen wartet jemand auf dich, der allein mit dir unter vier Augen sprechen will.“
     Nyota starrte ihren Bruder ungläubig an. Konnte das sein…? Sie fragte gar nicht weiter nach, sondern stürzte umgehend nach draußen.


Und da stand er, mitten auf dem Hof, rastlos auf- und abgehend, hielt er inne, als er sie bemerkte und starrte sie an. Es war so viel in diesem Gesicht, das sie nicht deuten konnte und das dort noch nie zuvor gesehen hatte – Angst, Unsicherheit. Würde er weglaufen? Er sah so aus. Sie wollte es jedenfalls nicht darauf ankommen lassen, also rannte sie zu ihm und hatte im nächsten Augenblick einem Schwitzkasten gleich die Arme um ihn geschlungen.


Er fiel beinahe vornüber, erstarrte, war völlig überfordert mit der Situation. Seine Hände schwebten unschlüssig über ihrem Rücken, ihrer Seite, dann ließ er sie schlaff herabhängen, tätschelte ihr schließlich erschrocken den Rücken, als er hörte, dass sie zu weinen begonnen hatte.
     „Nyota“, krächzte er. „Nyo… es tut mir so leid. Ich wusste doch nicht… wenn ich gewusst hätte…Ich wäre doch nie weggegangen, wenn ich es gewusst hätte!“


Sie stieß sich unerwartet von ihm und verpasste ihm eine Ohrfeige, dass es beinahe ohrenbetäubend laut in der Stille des anbrechenden Abends war. Seine Wange brannte fürchterlich, aber noch viel fürchterlicher brannten die Schuldgefühle in ihm. Als er sie ansah, ihr wütendes Gesicht und die zitternde Unterlippe, brach es ihm erneut das Herz. Das Herz, das gebrochen war, seitdem er sie verlassen hatte.  
     „Was hast du denn geglaubt, was passieren könnte?“, fragte sie, und ihre Worte waren wie scharfe Messer. „Du Idiot! Idiot! Erzähl mir nicht, dass dir niemand gesagt hat, wo die Kinder herkommen!“


„Es tut mir leid. Bitte verzeih mir! Ich… ich habe einfach geglaubt, dass ich nie wieder eine Familie haben würde. Dass die Götter mich für all die Dinge bestrafen würden, die ich getan habe, indem sie mich zum Alleinsein verdammen. Ich weiß, dass das dumm war. Ich weiß, dass ich der Einzige war, der sich dazu verdammt hat. Ich… es tut mir leid… bitte verzeih mir!“
     „Liebst du mich?“, fragte sie mit grimmigem Gesicht.
     „Ja…“
     „Sag es!“
     „Ich liebe dich, Nyota… Nyo.“


Da war sie wieder an ihn herangetreten und hatte die kleinen, zierlichen Arme um ihn geschlungen.
     „Dann lass mich gefälligst nie wieder allein, hörst du?“
     Er nahm sie in den Arm und endlich beruhigte sich sein Herz wieder; die Angst flaute ab und wich einer wunderbaren Wärme, die er nicht mehr gedacht hatte, je wieder fühlen zu dürfen.
     „Nie wieder“, versprach er.
     Eine Weile lagen sie sich nur in den Armen, Nyota lauschte seinem gleichmäßigen Herzschlag, bis sie sich von ihm löste und seine Hände in ihre nahm.


Er war so erleichtert, als er wieder das strahlende Gesicht vor sich sah, das er einst zurückgelassen hatte.
     „Komm, ich will dir jemanden vorstellen.“
     Er hatte das nicht verdient. Das Glück, die Liebe, die Familie, die er einst verloren hatte und die sie ihm nun zurückgegeben hatte. Aber es war an der Zeit, dass er aufhörte, sich dagegen zu stemmen.


Denn jetzt hatte er wieder eine Verantwortung zu übernehmen. Und das würde er diesmal nur zu gerne tun. Er würde von nun an für sie da sein. Er würde für sie da sein, für sie sorgen und sie beschützen. Für sie, das Mädchen, das bald seine Frau werden würde und das kleine Kind, das sie ihm geschenkt hatte. Denn von heute an würden sie eine Familie ein, die er einst geglaubt hatte, nie wieder haben zu werden.
_______________________________________

 
Tja, tut mir ja leid für alle, die gehofft haben, dass Garrus verschwunden bleiben würde, denn er ist zurückgekehrt und wird auch bleiben. Wie das bei Nila, Alistair und Gisela aussieht, verrate ich natürlich noch nicht. Es sei nur noch gesagt, dass das in Nilas Gesicht kein Blut sein soll, sondern Dreck. Aber obwohl ich das Braun gefärbt habe, kommt es trotzdem irgendwie zu Rot rüber...
 
 Zu Tann will ich am Schluss noch etwas verlieren: Ich weiß nicht, ob es so rüberkam, aber es ist jetzt nicht so, dass er von jetzt auf gleich geheilt ist. Leider lassen sich Depressionen in den allermeisten Fällen auch nicht einfach dadurch heilen, dass man sich verliebt oder sowas, aber ich wollte Tann einfach sein Glück zurückgeben. Seine Krankheit wird von jetzt an also nicht mehr thematisiert werden.

Nächstes Mal dann erzählt Nila, was es mit der Befürchtung auf sicht hat, dass bald Krieg herrschen wird. Und wir erfahren, wer Ida eigentlich wirklich ist. 

Bis dahin, passt auf euch auf, und ich verabschiede mich!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen