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Mittwoch, 14. Oktober 2020

Kapitel 124.2 - Von Hochzeiten und anderen Problemen Teil 2



Als Tanna nach dem Essen für sich an der Seite stand, gesellte sich Tann zu ihr.
     „Na, bist du gerade allein?“, wollte er wissen.
     „Ja. Leah ist sich nach der Zeremonie erstmal ausruhen gegangen.“
     „Aha.“ Und nach einem Moment fragte er: „Willst du vielleicht tanzen?“
     „Nein, gerade nicht. Ich werde nachher noch mit Leah tanzen, wenn sie wieder da ist.“
     Wieder schwieg er und wieder fragte er nach einem Moment: „Und? Mit Leah läuft alles gut, ja?“


Da warf sie ihm einen forschenden Blick zu, und wie sie ihn jetzt ansah, mit dieser Mischung aus Ernst und Mitleid, wie nur sie es konnte, schwante ihm nichts Gutes. So hatte sie ihn auch immer angesehen, wenn er sie darüber angelogen hatte, wie es ihm ging.
     „Ach, Tann…“
     Er musste sich doch arg zurückhalten, nicht wegzulaufen.


„Versuchst du etwa immer noch, mich zurückzugewinnen? Ich habe dir doch schon zigmal gesagt, dass ich bei Leah bleiben werde“, sagte sie, und als er nur schwieg, fügte sie hinzu: „Und selbst wenn Leah nicht da wäre, würde ich nicht zu dir zurückkommen. Du bist nur noch ein Freund für mich, das habe ich dir doch schon so oft jetzt gesagt.“
     Das traf ihn mitten ins Herz. Mal wieder. Und es war ihm so peinlich, dass er es einfach nicht lernen konnte. Dass Tanna ihm – mal wieder – eine Ansprache halten musste, um ihn abzuweisen.
     „Du solltest endlich aufhören, in der Vergangenheit zu hängen. Du musst mit mir abschließen und weitermachen. Dir jemand anderen suchen.“ Sie zögerte, bevor sie vorschlug: „Schau, du und mein Bruder, ihr habt euch doch mal… gut verstanden.“


„Lu und ich sind Freunde, und ich bin froh, dass es wieder so ist“, fand Tann da endlich seine Stimme wieder. „Ich weiß, dass du dir Sorgen um ihn machst, das tue ich auch, aber bitte wärm keine alten Sachen auf, die lieber vergraben bleiben sollten.“
     „Was ich dich eigentlich schon immer mal fragen wollte: Hast du ihn damals eigentlich geliebt? Lu, meine ich.“
     „Nun ja… nein. Es war mehr… Neugierde. Jugendliche Neugierde.“
     Und ein großer Teil Lust. Weil Tanna damals noch nicht herangewachsen gewesen war, er ihr aber versprochen hatte, dass sie sein erstes Kind austragen dürfe. Deshalb hatte sich eine Affäre mit Lu geradezu angeboten gehabt, da er als Mann ja nicht hatte schwanger werden können. Er fühlte sich deshalb auch immer noch furchtbar schlecht seinem Freund gegenüber, dass er ihn so ausgenutzt hatte.
     „Ach so. Also bevorzugst du Frauen.“ 
     Er antwortete nicht gleich darauf. Er hatte nie so wirklich darüber nachgedacht. Wenn er die Wahl hatte, bevorzugte er Frauen, ja, aber er hatte eigentlich auch nichts gegen Männer. Also sagte er ihr das. Nur wollte er dieses Thema eigentlich nicht mit Tanna besprechen. Das Thema Partnerschaft an sich. Er wollte gerade nur noch ganz schnell weg von hier. Sie ließ ihn nur nicht.


„Verstehe. Da draußen gibt es jedenfalls eine Menge netter Leute, die nur auf einen guten Mann wie dich warten. Ich helfe dir auch gerne bei der Suche, wenn du willst“, bot sie ihm an. „Ich habe gehört, dass im Handelsposten mindestens eine alleinstehende Frau lebt. Lass mal sehen, wo ist denn der Händler hin?“
     Das wollte er nun wirklich nicht. Schlimmer noch, fing sie jetzt tatsächlich an, sich umzusehen, was ihn ziemlich in Verlegenheit brachte. 


Glücklicherweise fand Isaac jedoch sie, bevor Tanna Alin finden konnte. Er tauchte so plötzlich auf, dass Tann erschrocken zusammenzuckte. Aber dann war er nur noch froh, ihn zu sehen.
     „Hallo, Tann!“
     „Isaac! Komm mal her, ich stell dir meine frühere Gefährtin vor!“ Er schob Isaac wie einen Schutzschild vor sich, Tanna entgegen. „Das ist Tanna. Ich habe dir ja letztens von ihr erzählt.“


Isaac und Tanna schüttelten sich die Hände, und dann begann er, sie mit großen Augen anzustarren.
     „Jetzt bei Tageslicht sehe ich es auch: Dein Haar strahlt tatsächlich in einem kräftigeren Rot noch als das Gefieder der schönsten Papageien. Du musst wahrhaftig die vom Himmel herabgestiegene Abendröte sein!“


Tanna, die zuvor etwas unbehaglich ausgesehen hatte, kicherte da geschmeichelt. Sie war sofort abgelenkt, den Göttern sei Dank!
     „So etwas hat auch noch niemand zu mir gesagt“, meinte sie. „Dankeschön! Aber ich glaube, das Ganze hat irdischere Gründe. Mein Vater hat mir erzählt, dass er einst von einem Geist berührt wurde, und von da an konnte er nicht nur die Geister sehen, sondern sein Haar wurde so rot wie meines heute.“
     „Also kannst du auch Geister sehen? Faszinierend!“


Isaac fing erneut an, sie wie ein Forschungsobjekt eingehend zu betrachten, was ihr nun doch wieder ein bisschen unangenehm wurde.
     „Ach, Leah ist zurück“, verkündete sie. „Ich gehe dann mal besser zu ihr. Entschuldigt mich.“
     Das war gelogen, war Tann sich ziemlich sicher, aber er war eigentlich ganz froh, dass Isaac sie verjagt hatte.


„Deine ehemalige Partnerin ist interessant“, fand der, als sie fort war. „Ich kann verstehen, dass du sie gewählt hast.“
     „Ja, nur leider will sie nichts mehr von mir wissen. Im Gegenteil, sie will mich verkuppeln. Ich bin wirklich froh, dass du gerade vorbeigekommen bist. Wenn Tanna sich nämlich mal was in den Kopf setzt, zieht sie das auch durch, und ich möchte wirklich keine Verkuppelungshilfe von meiner ehemaligen Gefährtin haben.“


Anstatt nach dem Warum zu fragen, sagte Isaac: „Das kann ich verstehen. Nachdem Shana gestorben war, musste ich das auch oft über mich ergehen lassen.“
     Als er danach wieder still wurde und in seine Gedanken abglitt, fragte Tann, um das zu verhindern: „Wolltest du eigentlich etwas von mir? Du wirktest, als ob du mich gesucht hast.“
     „Ich wollte nur mal Hallo sagen. Ich wollte eigentlich gerade zum Handelsposten zurückgehen.“
     „Soll ich dich begleiten?“
     „Danke, aber das musst du nicht tun.“


„Okay, aber ich möchte dich gerne begleiten. Ich will lieber nicht riskieren, dass Tanna doch nochmal darauf zurückkommt, mich verkuppeln zu wollen.“
     Also begleitete Tann ihn, und sie gingen zusammen zum Handelsposten hinunter.


Lulu, Alin, Jin, Dana und Nyota standen eine Weile später ebenfalls beisammen nicht wirklich beieinander, aber alle in der Nähe des Essens.
     Während Jin noch immer so verstimmt war, dass ein anderer Mann ihm seine kleine Jade weggenommen hatte, dass er nicht einmal etwas gegessen hatte, dachten die drei Frauen nur: ‚Ich will auch heiraten.‘


Dana dachte: ‚Wenn Jin mich doch nur endlich fragen würde.‘


Lulu dachte: ‚Wenn mir nur mal ein Wunder widerfahren würde.‘


Nyota dachte: ‚Wenn nur Garrus hier wäre.‘


Da war der Punkt bei Dana gekommen, als sie ihrer Jüngsten dabei zusah, wie sie neben ihrem Mann stand und dem Gespräch zwischen ihm und Malah lauschte, dass sie des Wartens überdrüssig wurde. Sie drehte sich zu ihrem Gefährten um und rief: „Jin, ich will auch endlich heiraten!“
     Und Jin sagte nur: „Okay.“


Und damit war es abgemacht. Während Dana ihrem Verlobten nun überglücklich in die Arme sprang, lächelten die anderen beiden Frauen tapfer, obwohl sie innerlich weinten.
     Doch auch sie fanden bald schon zu neuem Mut zurück.


‚Ich werde Garrus finden, und dann werden wir endlich eine Familie sein‘, dachte sich Nyota und legte eine Hand auf ihren noch immer flachen Bauch.


‚Ich bin all die Jahre über allein zurechtgekommen, also werde ich das auch weiterhin tun‘, dachte Lulu, und als sie einen flüchtigen Blick zu Alin warf, der sie gerade anlächelte, kanzelte sie ihn mit einem scheuen Lächeln ab. ‚Daran brauche ich sowieso nicht zu denken. Denn für mich gibt es keine Wunder.‘       


Doch kaum, dass sie den Blick wieder abgewandt hatte, trat der Händler, mit dem zusammen sie hergekommen war, an sie heran und fragte: „Möchtest du vielleicht tanzen, Lulu?“


Sie starrte ihn ein bisschen an, aber sie kam nicht mehr zum Antworten, da im nächsten Moment die Scheunentore aufflogen und jemand lauthals singend nach draußen getorkelt kam, und sie alle abgelenkt wurden.


Es war Wulf, der betrunken in die Versammlung stolperte. Mitten auf dem Hof, auf der Tanzfläche, kam er zum Stehen, streckte die Hände zum sternenklaren Himmel, lautstark in seiner melodischen Muttersprache singend, und dann riss er sich das Hemd vom Leib. Die Schuhe folgten, und er war gerade dabei, sich auch seiner Hose entledigen zu wollen, als Lu ihn erreichte.
     „Wulfgar, lass deine Sachen an! Reiß dich zusammen!“


Der Betrunkene starrte ihn aus verständnislosen, glasigen Augen heraus an. Dann bedachte er ihn mit einem Schwall an Wörtern, die Lu nicht verstand, und hatte den armen Älteren im nächsten Moment im Schwitzkasten. Lu wurde gezwungen, mitzutanzen, während ihm die Luft ein bisschen knapp wurde. Und niemand kam ihm zu Hilfe.


Erst, als Wulf ihn losließ, um sich erschrocken die Hände auf den Kopf zu legen, kam er wieder frei. Gleich darauf gab es erschrockene Augen und Wulf hatte Lu erneut im Griff.
     „Ähm… könnte vielleicht irgendjemand mal jemanden holen, der ihn versteht?“, kam er schließlich genug zu Atem, damit er um Hilfe bitten konnte. „Das Mädchen, das im Nachbarhaus wohnt, vielleicht?“


Jana ging sofort los, und sie war zum Glück schnell. Kurz darauf kehrte sie mit Eris im Schlepptau zurück. Und als der Betrunkene sie sah, ließ er Lu endlich wieder fahren und ging ihr entgegen.
     Sie redeten eine Weile miteinander, Wulf erschrocken, Eris zuerst auch, dann sah sie wütend aus, lächelte milde, und am Ende musste Lu erst nachfragen, um zu erfahren, was überhaupt los war.


„Er in Heimat… ähm… für Schöpfer tanzen. Wir alle lange Haare. Ohne lange Haare kein Kind von Schöpfer sein. Er sein lange Haare suchen und erschrocken, weil nicht da sein. Ich ihm erklären. Jetzt er tanzen wollen. Für… für… ähm… Glück für…“
     Sie gestikulierte Richtung Jade und Reinard.
     „Fürs Brautpaar“, half Lu nach.
     „Ja, dass viele Kinder haben. Viele gute Ernten. Gutes, starkes Haus.“   


Lu warf einen Blick zu Reinard, der bislang erbost ausgesehen hatte und es auch immer noch tat. Trotzdem nickte er jetzt erhaben.
     Nachdem Eris Wulf davon in Kenntnis gesetzte hatte, legte der wieder Hand an seine Hose, weil Nacktheit wohl ebenso zur Huldigung ihres Schöpfers gehörte wie langes Haar. Aber seine Cousine verhinderte das glücklicherweise, und die Hose blieb an.


Lu machte ihnen Platz und signalisierte Jana, die das Trommeln von ihrem Vater übernommen hatte, dass sie fortfahren sollte, und dann sahen sie einen Tanz, der Lu in die Vergangenheit versetzte.


Er sah sofort Wulfgar vor sich, und nicht etwa diesen, sondern den, der gerade nicht hier war und der einmal sein gewesen war. Und sofort war da wieder dieser Stich in seinem Herzen.


Warum nur? Warum fühlte er sich so, obwohl es verdammt nochmal das war, was er gewollt hatte?


Auch Jade fühlte einen Stich, als sie den Tanz der beiden Fremden beobachtete. Einen Stich der Eifersucht. Sie war so neidisch auf sie. Dass sie da waren, frei und unbeschwert, dass sie sagen und tun konnten, was auch immer sie wollten. Sie wollte das ebenfalls. Aber sie konnte es nicht. Jetzt weniger denn je. Sie fühlte sich wie eine Gefangene, obwohl sie doch geglaubt hatte, sich endlich mit ihrer Entscheidung arrangiert zu haben.


Aber das hatte sie nicht. Sie warf einen Blick auf ihren Mann, der neben ihr stand und den Tanz hoheitlich beobachtete, und sie wusste, dass sie mit ihm nie glücklich werden würde. Bislang hatte das nie für sie gezählt. Ihr Glück. Aber warum nicht? Hatte nicht auch sie ein Recht darauf, glücklich zu sein? Warum nur hatte sie sich in diese Situation gebracht, in der plötzlich der Friede zwischen den beiden Stämmen von ihrem Unglück abhing?


Sie war so wütend und so neidisch. Wie gern nur hätte sie mit den Fremden getauscht, die nichts Besseres zu tun hatten, als daherzukommen und ihr ihre Freiheit unter die Nase zu halten, als sie ihr Schicksal gerade angefangen hatte, zu akzeptieren. Sie hasste sie so sehr dafür.


Noch eine ganze Weile davor, die Sonne war gerade erst dabei, im Meer zu versinken, erreichten Tann und Isaac den Handelsposten. Und als sie sich voneinander verabschiedeten, wurde Ida auf sie aufmerksam. Sie kam an und beäugte zuerst Tann, dann Isaac ausgiebig, bei dem sie auch hängenblieb.
     „Was haben wir denn hier?“, säuselte sie süffisant. „Du bist mir ja ein Niedlicher! Wie ist denn dein Name?“
     Isaac nannte ihr freundlich seinen Namen, und da wurde sie melodramatisch.


„Ich bin Ida, und wie es sich so trifft, hat der Tod mir erst vor kurzem meinen geliebten Mann entrissen.“
     „Mein Beileid“, sagte Isaac ihr aufrichtig.
     „Danke.“ Sie wischte sich mit den Fingern über die Augen, obwohl da keine einzige Träne zu sehen war, bevor sie wieder verführerisch lächelte. „Und jetzt bin ich so einsam. Wie wäre es, wenn du mir ein wenig Gesellschaft leistest und wir uns ein bisschen näher kennenlernen?“
     „Sicher.“
     „Ich gehe dann zurück“, meldete sich Tann zu Wort. „Man sieht sich, Isaac.“


Isaac nickte ihm zu und Tann ließ die beiden allein. Doch er war keine zwei Schritte weit gegangen, sich fragend, ob er inzwischen einfach unsichtbar für die Frauenwelt geworden war, als er plötzlich einen Aufschrei hörte. Er wirbelte alarmiert herum und sah gerade noch, wie Isaac von der Frau zurückfuhr, bevor er tatsächlich hinter ihm Schutz vor ihr suchte.


„Also… ähm… d-das ist ein Missverständnis. Dein Angebot ist sehr freundlich und du bist eine sehr hübsche Frau, doch ich bin nicht interessiert.“
     Er sah so fürchterlich erschrocken aus, dass Tann tatsächlich den merkwürdigen Drang hatte, ihn zu beschützen


„Nun, ich bin natürlich nicht er, aber wenn du mit mir vorlieb nehmen willst, leiste ich dir gerne Gesellschaft“, bot er Ida deshalb an.
     Ihr missbilligender Blick bohrte sich daraufhin in ihn, sie musterte ihn wieder, aber schließlich sah sie zufriedener drein.
     „Wenn dein Freund nicht will, hatte ich sowieso vor, dich zu fragen“, behauptete sie.


Sie kam näher und schmiegte sich geschmeidig an ihn. Fesselte ihn mit ihren silbernen Augen und einem Blick, der ihm sehr eindeutig sagte, was sie von ihm wollte. Er hatte eigentlich nicht vorgehabt, mit irgendeiner wildfremden Frau das Lager zu teilen, aber als er sie jetzt so ansah, verschwand auch der letzte Rest an Unsicherheit glücklicherweise.
     „Du bist kräftig. Das gefällt mir“, flüsterte sie, und Tann hing inzwischen an ihren kräftig rot angemalten Lippen.   


Er vergaß fast, dass sie nicht allein waren, bis Isaac sich kleinlaut zu Wort meldete und sagte: „Ich lass euch dann allein.“
     Das brachte Tann so sehr aus dem Konzept, dass Ida ihn erst wieder an sich ziehen musste, damit seine Gedanken zu ihr zurückkehrten. Er rang sich ein Nicken für Isaac ab, der schon längst weg war, und fokussierte sich danach wieder ganz und gar auf sie.


Vielleicht hatte Tanna recht. Vielleicht war es an der Zeit, dass er endlich weiterzog und sich auf jemand anderen einließ. Also küsste er die fremde Frau, die er keine Stunde lang kannte, und es sollte an diesem Abend nicht nur dabei bleiben.


Gegen Abend, als die Abendkälte die Gesellschaft nach drinnen verjagt hatte, war Jana allein zum Tempel hinübergegangen, um die Götter um Glück und Kindersegen für das Brautpaar zu bitten. 
     Sie war so in ihr Gebet vertieft, dass sie erst bemerkte, dass sie nicht allein war, als sie schon wieder nach drinnen gehen wollte. Luis stand hinter ihr, noch außerhalb des Tempels, unten vor den Stufen, und schaute vor sich hin.


Wie üblich rief sie seinen Namen, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Sein Gesicht drehte sich daraufhin vage in ihre Richtung und ein Lächeln zerfurchte sein Gesicht, das sie automatisch auch lächeln ließ.
     „Ich hoffe, ich habe dich nicht unterbrochen“, sagte er. „Ich habe dich beten hören und gewartet, bis du fertig bist.“
     „Ich bin fertig. Komm ans Feuer. Ich glaub, es fängt grad zu schneien an.“


Luis tastete vorsichtig mit den Füßen nach den Stufen, streckte die Hände vor sich aus, um nach Hindernissen zu suchen. Der Tempel war noch zu neu, als dass er sich so sicher darin zurechtfand, wie er es ansonsten in seiner gewohnten Umgebung tat. 
     Normalerweise benutzte er einen langen Stock dafür, wenn er allein irgendwohin ging, wo er sich nicht auskannte, aber er hatte erklärt, dass er den Tempel „auswendig lernen wollte“. Deswegen ging Jana auch nicht, um ihm den Weg zu weisen, obwohl sie das einige Überwindung kostete. Sie musste ja zugeben, dass sie es mochte, ihm zu helfen.
     Trotzdem streckte sie die Hand nach ihm aus, sagte ihm: „Hier bin ich“, dass er ihre Hand finden und sich von ihr neben sich ans Feuer bugsieren lassen konnte.


„Du hast heimlich singen geübt, wie ich gehört habe.“
     Jana wurde rot. Sie schämte sich ein bisschen, es zugeben zu müssen, aber sie hatte vor den auswärtigen Gästen eine gute Figur machen wollen. Sie vertrat immerhin ihren Stamm. Und die meisten Gebete waren blöderweise nun einmal Gesänge, das hatte sie sich auch nicht ausgesucht. Also war sie jeden Morgen so früh aufgestanden, dass alle anderen noch geschlafen hatten, war in den Stall geschlichen und hatte geübt, bis die Sonne aufgegangen war und ihr Hals wehgetan hatte.
     „Hab ich gar nicht! Bin halt ein Naturtalent im Singen, dass ich immer besser werd“, behauptete sie trotzig.


Luis quittierte das mit einem Lächeln, das ihr die Röte von der Nase bis zu den Ohrenspitzen trieb, wofür er einen Knuff von ihr auf die Schulter kassierte, der ihn schwanken ließ.
     „Ich mache mich nicht über dich lustig. Ich wollte dir nur sagen, dass dein Gesang immer besser wird“, beschwichtigte er.
     „Pff! Ich hab immer gesagt, dass du lieber die Gebete machen sollst. Du hast halt Glück, die Stimme von deinem Vater gekriegt zu haben.“


Die Erwähnung seines Vaters fegte augenblicklich das Lächeln aus Luis‘ Gesicht, und Jana ging es genauso. Sie verbrachten einen Moment mit bedrücktem Schweigen, dann wandte Luis den Kopf in ihre Richtung, dass seine Augen beinahe die ihren trafen. Das war so ungewohnt, dass Jana ein bisschen zusammenfuhr. Das letzte Mal, dass er sie wirklich angesehen hatte, war in ihrer Kindheit gewesen.


„Jana, ich… wollte danke sagen, dass du das mit meinem Vater vorhin übernommen hast. Ich hatte wirklich keine Ahnung, was ich zu ihm sagen sollte.“
     „Echt? Ich dachte, du weißt immer, was zu sagen ist“, war sie ehrlich überrascht.
     „Ich weiß nur, was die Götter mir sagen, aber sie sagen mir nur, was sie für relevant halten. Und zu meinem Vater haben sie mir nichts gesagt.“


„Irgendwas stimmt nicht mit deinem Vater, Lui“, sagte sie ihm besorgt.
     „Ich weiß…“
     „Wir müssen ihm helfen!“
     „Ich weiß…“
     „Also, was machen wir?“
     „Ich weiß nicht…“
     „Ich dachte, du weißt immer alles.“


„Ich habe doch gesagt, dass ich nur weiß, was die Götter mir sagen. Ansonsten… ich habe keine Ahnung, was ich ansonsten sagen oder tun soll!“, erwiderte Luis hilflos.
     „Das stimmt doch nicht. Du hilfst mir ja dauernd.“
     „Ich habe dir immer gesagt, dass du meine Hilfe nicht brauchst. Du kannst das alles inzwischen ganz alleine, was ich auch kann. Mehr noch als ich jemals als Schamane gekonnt hätte, kannst du. Deswegen bin ich ja jetzt auch zu dir gekommen. Du brauchst mich eigentlich gar nicht mehr…“


Da bekam er erneut einen seichten Schlag mit ihrer Faust gegen die Schulter. „He, ja, also Freunde sind wir ja wohl noch, oder?“
     „Ja, schon…“
     „Was? Sind wir’s jetzt oder nicht?“, wurde sie sauer.
     „Ach, Jana, das ist nett von dir, dass du mir helfen willst, aber ich weiß ja, dass du das damals alles nur zu mir gesagt hast, um mich aufzumuntern. Weil du Mitleid hattest. Doch es ist in Ordnung. Es geht mir wieder gut.“


Da stieß sie ihn mit beiden Händen rüde nach hinten, und diesmal verlor er das Gleichgewicht und ging wie ein nasser Sack zu Boden.
     „Ja, was, sagst du etwa, dass ich lüg? Ich lüg nicht! Ich sag immer, wie’s ist! Aber wenn du geschwindelt hast, dann sag ich dir, nehm ich dich auf die Hörner und werf dich aus dem Tempel! Lügner haben hier nix verloren! Also jetzt, Freunde, oder was?“


Luis war ein bisschen überfahren, dann lächelte er aber beschwichtigend und sagte: „Freunde.“
     „Gut, dann gib mir deine Hand, du Blödmann, damit ich dir hochhelfen kann.“
     Er spürte ihre warme, raue Hand nach ihm greifen, von der er immer wieder überrascht war, wie klein sie doch war, und Jana zog kräftig an ihm.


Als er wieder auf seinen Füßen stand, klopfte sie ihn ab, obwohl er sich ziemlich sicher war, dass das unnötig war. Er wusste, dass sie den Tempel jeden Tag mehrmals säuberte. Er war für sie wie ein drittes Kind, hatte sie mal gesagt, und gerade kam er sich so vor, als wäre er das Vierte.
     „So ist’s besser. Siehst du, war doch nicht so schwer.“
     „Danke, Jana.“


Sie ignorierte es und wechselte stattdessen das Thema: „Also, dein Vater, was machen wir mit ihm?“
     „Wenn ich das wüsste…“
     „Wir müssen ihm auf jeden Fall helfen, dass er wieder Vertrauen in die Götter hat!“
     „Ja. Nur, wie? Hast du eine Idee?“
     „Nö. Aber uns fällt bestimmt was ein, wenn wir die Köpfe zusammenstecken.“


Im nächsten Moment hatte sie einen Arm um seine Schultern gelegt und der Schwung zwang ihn dazu, sich mit ihr zur Seite zu drehen. Die Hitze auf seinem Gesicht verriet ihm, dass sie jetzt direkt vor dem heiligen Feuerbecken standen, und dann spürte er ihren warmen Atem an Wange und Ohr, roch den erdigen Geruch der Farbe in ihrem Gesicht.
     „He, Lui“, benutzte sie seinen Spitznamen, den sie ihm vor kurzem gegeben hatte, „eins noch.“
     Sie hatte denselben, würzigen Braten gegessen, den er auch vorher gegessen hatte, fiel ihm auf.
     „Hm?“
     „Ich bin gern dein Freund, dass du das weißt.“
     „Warum?“
     „Ha, weil du die Götter auch so toll findest wie ich und wir drüber reden können, deshalb. Die Anderen reden ja immer nur über ganz… ähh, wie sagte dein Vater… wellige Sachen? Egal, mit dir kann man drüber reden, und das ist toll! Aan findet das ja auch langweilig, das weiß ich ja. Und du guckst auch nie doof, wenn ich was Doofes sage. Aber egal! Wir sollten lieber überlegen, was wir wegen deinem Vater machen.“


„Ja.“ Und nach einem Moment fügte er hinzu; „Ich bin übrigens auch gern dein Freund.“
     Sie antwortete nicht darauf, und kurz darauf waren sie sowieso viel zu sehr damit beschäftigt, einen Plan auszuhecken, wie sie Lu zu den Göttern zurückführen konnten. Auch wenn sie leider nie dazu kommen würden, diesen in die Tat umzusetzen.


Es war, nachdem Tann schon längst wieder gegangen war, dass die Zimmertür aufgerissen wurde und Cordelia hereingestürmt kam. Sie erstarrte, als sie bemerkte, dass sie nicht allein war, und dann machte sie augenblicklich kehrt und ging zu Nero, den sie gerade erst noch hatte stehen lassen, in den Flur zurück.


Nero war kurz zuvor beinahe von seinem Vater überfallen worden, nachdem der blöderweise davon erfahren hatte, dass sein Sohn scheinbar plante, zu heiraten und er dafür eine Mitgift brauchte.
     Es war ja nicht mal so, dass es für Nero schon feststand, dass er Adelaide heiraten würde, aber er hatte seinem Vater schlecht die ganze Situation erklären können. Er wusste, dass sein Vater es nicht verstehen würde, wenn er nur zweckgebunden heiratete. Selbst, wenn er das tat, um seine beste Freundin davor zu retten, einen Wildfremden in der Ferne heiraten zu müssen, der mehr als doppelt so alt war wie sie.


 Er hatte Adelaide noch nicht nach ihrer Meinung gefragt, doch er musste sowieso erst erfahren, ob er sich die Mitgift überhaupt leisten konnte. Also hatte er das Angebot seines Vaters angenommen, sich bedankt und stand nun vor Adelaides übellauniger Mutter, die ihn ansah, als ob er ein schmutziger Landstreicher sei. Wie üblich.
     „Was willst du, Junge?“, fauchte sie barsch. „Spuck es endlich aus und verschwende nicht meine Zeit!“
    „Ich habe gehört, dass Aida… Adelaide heiraten soll“, korrigierte er sich schnell. „Was müsste ich bezahlen, dass sie meine Frau wird?“
     Er kam sich so schäbig vor. Als würde er um ein Stück Vieh verhandeln.
     Cordelia öffnete jetzt ihre verschränkten Arme, und das erste Mal, seitdem er sie kannte, sah sie ihn nicht feindlich an. Stattdessen wirkte sie tatsächlich überrascht.


Zumindest, bis sie einen flüchtigen Blick zu der fremden Frau geworfen hatte, die ihm damals den Weg zu Aida gewiesen hatte, und die Ablehnung auf ihr Gesicht zurückkehrte.
     „Das Mädchen ist bereits verlobt. Sieh zu, dass du fortkommst, und belästige mich nicht noch einmal damit!“
     „Aber ich kann etwas für sie bieten!“, rief er verzweifelt.
     „Das interessiert mich nicht!“


Er wollte präsentieren, was sein Vater ihm gegeben hatte, aber Cordelia schlüpfte einfach in ihr Zimmer und knallte die Tür vor seiner Nase zu. Das Letzte, was er sah, war das merkwürdig zufrieden grinsende Gesicht der fremden Frau.


Er musste letztendlich einsehen, dass er Adelaide nicht helfen konnte.


Aber wie sich herausstellte, wollte die seine Hilfe auch gar nicht. Sie fing ihn ab, noch bevor er die Treppe zum Wirtshaus wieder hinuntergehen konnte.
     „Nero, was du da getan hast“, begann sie, „unterlass das bitte. Ich würde mich schrecklich fühlen, wenn du mich aus Mitleid heiraten würdest – wenn wir überhaupt heiraten würden. Ich dachte, wir hätten erst geklärt, dass wir nur Freunde sein wollen. Oder war das etwa gelogen?“


„Natürlich nicht! Ich wollte dir nur – “
     „Mir helfen, ich verstehe“, unterbrach sie ihn, lächelte dann beruhigend. „Und dafür bin ich dir dankbar. Doch das ist nicht nötig. Das ist nur eine Hochzeit, kein Weltenuntergang. Ja, ich muss von hier weggehen, was ich nicht will, aber ich werde schon zurechtkommen. Mach dir keine Sorgen.“
     Das sagte sie so leicht, doch er würde nie aufhören, sich Sorgen um seine Freundin zu machen. Und mal ganz nebenbei: Er wollte auch nicht, dass sie wegging.
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Eigentlich wollte ich die nächsten zwei Wochen wegfahren, aber da das jetzt ins Wasser gefallen ist, gibt es das nächste Kapitel zur regulären Zeit am 28.10.

Da so einige Dinge passiert sind, habe ich mir ein paar Notizen gemacht, was ich anmerken will. Also fangen wir an:

Was ich zuallererst anmerken will, ist, dass es vielleicht lustig anmuten mag, wie Wulf betrunken in die Versammlung geplatzt ist, aber es ist bei weitem nicht meine Intention, das auch so darzustellen. Wulf hat ein Problem, und ich will Alkoholismus (und auch alle anderen Süchte) hiermit nicht lächerlich machen und kleinreden, im Gegenteil.

Wir ihr bemerkt habt, habe ich mich ein bisschen daran gewagt, zu philosophieren, weil das damals doch eine ziemlich große Sache war. Philosophen waren die Wissenschaftler ihrer Zeit und haben, wie ich es auch versucht habe, selbst versucht, Biologie und Physik zu ergründen. Deshalb wollte ich das auch unbedingt mal reinbringen, aber seht es mir nach, da ich keine Leuchte in sowas bin (habt wahrscheinlich genauso viel verstanden, wie Lu, weil das so unlogisch war, was ich da fabriziert habe XD). Kommt deshalb auch kein zweites Mal vor, keine Sorge.
      In derselben Unterhaltung wurden auch Uranos und Co. erwähnt, und ja, das waren die Giganten der griechischen Antike, die Vorfahren von Zeus und Co., die man vielleicht schon eher kennt. Uranos wurde von seinem Sohn Kronos gestürzt, der wiederum vorausgesagt bekam, dass ihm dasselbe widerfahren wird. Daraufhin hat er all seine Kinder verschlungen, durch die List seiner Frau entging sein jüngster Sohn Zeus jedoch diesem Schicksal und stürzte Kronos später tatsächlich nach langem Kampf. Laut griechischer Sage wurden Kronos und die anderen Titanen ins Unterweltparadies Elysion eingesperrt, laut römischer Sage floh Kronos, bei ihnen Saturnus geheißen, nach Italien, wo er als Gott des Ackerbaus verehrt wurde. 
     Es gibt auch verschiedene Fassungen von dem Ganzen, aber ich beziehe mich hier vor allen Dingen auf die Version aus Hesiods Theogonie für die griechische Fassung, und für die römische auf Ovid (Metamorphosen, Fasti).

Und zum Schluss will ich noch anmerken, wie sehr ich es liebe, Jana-Luis-Szenen zu schreiben. Die beiden sind einfach so erfrischend und herzig zusammen. Jana gegenüber kann Luis endlich mal er selber sein und zeigen, was in ihm steckt. Ich bin vorher mit ihm, ehrlich gesagt, nie so warm geworden, aber mit Jana zusammen ist er mir richtig ans Herz gewachsen. Und auch Jana kann endlich mal ihre neue, herzliche Seite als Schamanin zeigen.

Tja, das war also die Hochzeit, und es wird auch erstmal das letzte Fest für eine Weile sein (vielleicht für immer?). Hatten jetzt ja auch genug Großveranstaltungen in letzter Zeit. Zu dem, was nächstes Mal passiert, will ich gar nicht so viel schreiben, nur, dass Nila seinen großen Auftritt feiert (darauf freuen sich doch schon alle, was ; ) ?)

Bis dahin, danke für Vorbeischauen, passt auf euch auf, und ich verabschiede mich!

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