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Mittwoch, 14. Oktober 2020

Kapitel 124.1 - Von Hochzeiten und anderen Problemen Teil 1



Nero kam es so vor, als ob es die letzte Zeit nur noch ein Thema gab: Heiraten. Die nächste Hochzeit stand auch schon kurz darauf an. Sie wurde auf Drängen der Bräutigamsmutter hastig organisiert, bevor die Götter ihnen einen Strich durch die Rechnung machen konnten, indem sie wieder Schnee schickten. Der letzte Schneefall war glücklicherweise schnell wieder weggeschmolzen gewesen, aber der trockene Frost, der danach eingesetzt hatte, hatte den Pflanzen überhaupt nicht gut getan.
     Da die Vorräte durch das harte Jahr sehr knapp waren, war es eine kleine und schmucklose Feier, die sie beim Uruk-Hof abhielten, obwohl es eigentlich die Hochzeit vom Oberhaupt des Ahn-Stammes war. Doch wie es der neue Brauch war, würde Jade nach der Feier von ihrer Mutter „vom Herd der Eltern zum Herd im Haus ihres Mannes“ geführt werden.


Man konnte nicht behaupten, dass die Braut glücklich aussah, obwohl die Brautmutter sich jegliche Mühe gegeben hatte, sie so prächtig herzurichten, dass sie tatsächlich wie eine kleine Königin aussah.


Während man auf die Ankunft des Bräutigams und der Gäste wartete, hatten sich die Uruk-Leute bereits allesamt draußen auf dem Hof versammelt.
     „Das ist so langweilig!“, stöhnte Wulf, der sich neben Lu eingefunden hatte. „Wann ist das denn endlich vorbei?“
     Lu wusste, dass er vor allen Dingen auf den Ausschank des Weines wartete, aber er hatte nicht vor, den Jüngeren heute auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.


„Schamane!“, kam plötzlich Jana an, völlig aufgelöst.
     Sie hatte nie aufgehört, ihn so zu nennen, und Lu hatte es irgendwann aufgegeben, sie daran zu erinnern, dass er nicht mehr der Schamane war, sondern sie.
     „Was gibt es denn, Jana?“
     „Schamane! Schamane! Die Zeremonie! Ich hab alles vergessen! Und ich kann Luis nicht finden! Ich schaff das nicht allein!“


Bevor Lu aber auch nur ein Wort sagen konnte, fand Luis sie selber.
     „Ganz ruhig, Jana“, sagte er ihr. „Du bist alles immer wieder durchgegangen und du kannst das. Du musst dich nur beruhigen.“


Jana war mit einem Schritt bei dem Neuankömmling und hatte ihn an den Armen gepackt, was Aan, der unweit entfernt stand, einen säuerlichen Ausdruck aufs Gesicht zauberte.
     „Lui! Da bist du ja! Den Göttern sei Dank! Ich hab dich schon überall gesucht. Du wirst mir doch bei der Zeremonie helfen, ja?“
     „Du schaffst das auch ohne mich. Komm, ich gehe zur Sicherheit nochmal alles mit dir durch.“


Jana nahm die Hand des Blinden und sie gingen zusammen davon, und Lu, der bislang nur zugeschaut hatte, sah ihnen zufrieden nach und lächelte. Es war gut, zu wissen, dass die nachfolgende Generation inzwischen auch ganz allein auskam. Ohne ihn.
     Nur, dass Wulf die Zeit genutzt hatte, um sich davonzustehlen, wischte ihm das Lächeln gleich wieder aus dem Gesicht.


Wulf hatte sich in den Stall verkrochen, wo er wusste, sie den Wein aufbewahrten. Doch als er die Leiter zum Zwischenboden erklommen hatte, erwischte er die Braut inflagranti beim Weinen. Sie verbarg sofort erschrocken ihr Gesicht, als sie ihn sah, aber es war zu spät.
     Er überlegte, ob er sie nicht einfach ignorieren sollte. Er hatte keine Lust, zu reden, und er wollte doch nur endlich einen trinken! Doch er erkannte in ihr auch eine von denen wieder, die über Eris hergezogen waren. Eigentlich hatte sie es verdient, mal ihre eigene Medizin zu kosten.


„He, bist du nicht die Braut? Sollte die Braut nicht eigentlich glücklich sein?“
     „Bitte behalt das für dich, dass ich geweint habe!“, kam leise zurück.
     Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß echt nicht, warum hier immer alle heiraten, obwohl sie das nicht wollen. Schätze, war wohl ein Gutes auf meiner Insel. Da musste niemand jemanden nehmen, wenn er nicht wollte. Ich würde das jedenfalls nie mit mir machen lassen.“
     „Es hat eben nicht jeder den Luxus, frei zu sein.“
     Er machte sie so wütend. Konnte er nicht einfach still sein?


„Du könntest auch einfach weggehen, wenn’s dir nicht passt. Das würde ich zumindest machen.“
     Unvermittelt sprang sie auf und ging ihn an: „Sei ruhig und lass mich in Ruhe!“
     Sie erschrak ein bisschen über ihren Ausbruch, behielt ihre trotzige Fassade aber aufrecht. Es hatte sie lange niemand mehr so sehr aus der Reserve gelockt und sie hatte gerade einfach nicht den Nerv dazu, sich zurückzuhalten. Auch wenn es ihn sowieso kaum interessierte. Er zuckte nur wieder mit den Schultern und ging dann, um sich am Wein zu bedienen. Doch anstatt danach zu verschwinden, setzte er sich dreist neben sie auf den Boden.


„Was soll das werden? Wolltest du mich nicht in Ruhe lassen?“, knurrte sie ihn an.
     „Hab ich nie gesagt. Ich hab keine Lust, dass man mich beim Trinken stört, und da draußen sind überall Leute. Deshalb ist das hier jetzt mein Versteck.“
     „Ich war aber zuerst hier!“
     „Tja, du verrätst nicht, dass ich mich hier betrinke, und ich verrate nicht, dass du geweint hast.“
     Sie konnte nicht anders, als gleichzeitig beeindruckt und erbost über diese Dreistigkeit zu sein.


Vielleicht ergriff sie deshalb auch trotzig den halbleeren Becher, de er ihr hinhielt, um sich einen neuen zu holen, und trank kräftig. Hoffentlich würde sie das während der Zeremonie wenigstens ein bisschen betäuben.  


‚Warum habe ich noch immer so eine Angst?‘, dachte sie, als sie wenig später auf dem Weg zur Schlachtbank war, wie es ihr vorkam. ‚Ist es nicht das, was ich mir selber ausgesucht habe? Ja, ich habe eigentlich nichts für Reinard übrig; ich kenne den Mann ja nicht einmal wirklich, den ich bald heiraten werde. Ich weiß nicht, ob er eine bessere oder schlechtere Wahl als Lin ist. Doch das ist es, für was ich mich entschieden habe. Ich wollte nicht ewig auf die Liebe warten und als alte Jungfer sterben, also muss ich mit meiner Entscheidung leben.‘


‚Immerhin tue ich das hier auch für den Stamm und nicht nur für mich. Ich wollte alles andere, als die Frau eines Stammesführers zu werden, aber vielleicht ist das gar keine so schlechte Sache, wenn mein Mann kaum Zeit hat, sich mit mir auseinanderzusetzen. Es kommt wohl immer darauf an. Vielleicht werde ich ihn ja auch zu mögen lernen. Irgendwann.‘


‚Also los jetzt! Ich muss da rausgehen, hoch erhobenen Hauptes, und lächeln, damit niemand sieht, dass mir eigentlich zum Heulen zumute ist. Meine Aufgabe erfüllen, als gutes Stammesmitglied, als gute Tochter, als gute Frau. Egal, ob ich damit glücklich bin oder nicht. Ich werde das Beste daraus machen.‘


‚Nur, warum will die Angst einfach nicht weggehen? Warum nur will ich noch immer am liebsten alles stehen und liegen lassen und weglaufen? Verdammt, warum nur wirkt der Wein nicht endlich?‘


Derweil war man im Publikum von der Zeremonie begeistert, und bald schon würde man dem frisch verheirateten Paar alles Gute wünschen und dass ihre Verbindung ewig halte.


‚Nichts hält für ewig‘, konnte Lu nicht verhindern, zu denken, während er dabei zusah, wie Jade und Reinard Mann und Frau wurden. ‚Auch die Liebe nicht. Dafür ist sie viel zu fragil, und ich habe schon oft genug erlebt, wie sie letztendlich zerbrochen ist. Vielleicht, ja vielleicht wäre man wirklich besser ohne sie dran.‘


‚Was denke ich da nur? Ich höre mich wie ein alter, frustrierter Junggeselle an. Naja, eigentlich bin ich das ja auch. Aber egal, wie es letztendlich ausgegangen ist, ich bereue die Zeit nicht, die wir miteinander hatten. Das Glück und die Liebe, die du mir geschenkt hast, Wulf. Es war ja nicht immer alles schlecht. Im Gegenteil.‘


‚Warum werde ich denn jetzt plötzlich so sentimental? Das ist es doch, was ich wollte. Ändert wohl aber nichts daran, dass ich jetzt allein bin und mich auch genauso fühle. Ich wünschte wirklich, dass Wulfgar sich nicht unbedingt heute hätte betrinken müssen. Ich sollte ihn dafür eigentlich an den Ohren aus dem Stall ziehen, doch ich habe Sorge, dass er in seinem Zustand die Hochzeit ruiniert. Besser ist es, wenn ich ihn seinen Rausch ausschlafen lasse.‘
     Und als sein Ärger über den jüngeren Wulf zum Erliegen kam, fiel die Einsamkeit ihn von neuem an.


Nach der Zeremonie dann, die von Jana souverän abgehalten worden war, verblieb nur Nero gedankenverloren an seinem Platz zurück, während alle anderen gegangen waren, um dem Brautpaar ihre Glückwünsche zu überbringen. Als Akara das bemerkte, löste sie sich aus der Schlange der Wartenden und ging zu ihm.


„Willst du denn nicht gratulieren gehen?“, fragte sie und schreckte ihn damit auf.
     „Oh! Ja! Natürlich!“
     „Was ist denn los mit dir? Du scheinst mir schon die ganze letzte Zeit über so abgelenkt zu sein.“


Nero zögerte, entschied sich dann aber dazu, Akara darin einzuweihen, dass Adelaide heiraten würde. „Und jetzt weiß ich nicht, was ich deswegen machen soll“, schloss er.
     „Oh, du Armer! Das tut mir so leid für dich! Aber Gefühle kann man nun mal nicht erzwingen.“
     Er war sich bewusst, dass sie glaubte, dass er Adelaide lieben würde. Er hatte ihr schon mehr als ein paarmal versucht, klarzumachen, dass sie nur Freunde waren, doch Akara hatte ihm das nie so recht geglaubt.


„Darum geht es hier ja auch gar nicht!“, gab er deshalb ein bisschen verstimmt zurück. „Aida wird bei der ganzen Sache überhaupt nicht gefragt, und das ist es, was mich stört. Sie will den Kerl ja nicht mal heiraten!“
     „Oh, also ist es eine dieser arrangierten Ehen?“
     „Ja...“
     „Naja, aber dann musst du ja nur mehr bieten, als der andere Mitbewerber, und das Problem ist gelöst.“
     „Hörst du mir eigentlich zu? Ich will sie nicht heiraten!“


Doch was sie dann sagte, ließ seine Wut augenblicklich verrauchen: „Wenn du sie aber vor der Hochzeit mit dem Anderen retten willst, bleibt dir vielleicht keine andere Wahl. Ich glaube jedenfalls, dass Aida lieber mit ihrem Freund verheiratet sein will, als mit einem vollkommen Fremden. Du weißt, wie schwer sie sich mit anderen Menschen tut.“
     Da verstummte er erschrocken, und es schnürte ihm ein bisschen die Kehle zu, als er erkannte, dass sie recht hatte. Das war vielleicht wirklich die einzige Möglichkeit, um Aida zu retten. Denn er wusste, dass sie nicht weggehen wollte. Dass sie hierbleiben wollte. Und dass es ihr wahrscheinlich nichts ausmachen würde, mit ihm verheiratet zu sein. Vor allen Dingen, da sie ja auch nach der Hochzeit trotz allem nur Freunde bleiben konnten.


Doch es gab trotzdem ein Problem. Er seufzte geschlagen. „Aber ich habe ja nicht mal irgendetwas, das ich anbieten könnte…“ 


Derweil war Malah gerade fertig damit, dem Brautpaar zu gratulieren, als Wanda und Sharla ankamen.
     „Das war eine wundervolle Zeremonie!“, fand Sharla. „Ich hoffe, dass die meine auch nur im Entferntesten so schön wird, dann bin ich schon zufrieden.“
     „Oh, du und Lenn werden heiraten? Steht der Termin schon fest?“, fragte Malah sie.
     „Noch nicht genau, aber irgendwann im Frühjahr. Du bist selbstverständlich auch eingeladen.“
     „Danke, ich werde mit Freude kommen.“


„Wann ist es eigentlich bei dir soweit, junge Stammesführerin? Wann steht bei dir die Hochzeit an?“, klinkte sich Wanda in das Gespräch ein und brachte Malah damit ein bisschen in Verlegenheit.
     „Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, ob ich überhaupt jemals heiraten werde.“
     „Warum denn das nicht?“, fragte Sharla überrascht.
     „Nun, zum einen habe ich keinen Mann.“
     „Das kann man ja ändern“, fiel Sharla ihr prompt ins Wort.


Malah begnügte sich mit einem aufgesetzten Lächeln. Sie wollte es vermeiden, sich erklären zu müssen, dass sie eigentlich gar nicht heiraten wollte. Sie bezweifelte nämlich, dass die Älteren das verstehen würden. In ihrer Jugendzeit damals hatte eine Frau nun mal einen Mann zu haben und ein Mann eine Frau. Nur leider waren ihre beiden Gesprächspartnerinnen der Meinung, dass das Thema damit noch nicht abgeschlossen war.
     „Du solltest dir auf jeden Fall jemanden suchen, der dir zur Seite steht“, riet Wanda ihr.
     Bevor sie es verhindern konnte, rutschte Malah heraus: „Naja, ich komme aber auch ganz gut allein zurecht.“
     „Unsinn! Schau, Roah und Lann hatten auch alle einen Mann an ihrer Seite. Selbst deine Urgroßmutter. Du bist noch so jung und brauchst jemanden, der dich unterstützt.“
     „Da hat sie recht“, pflichtete Sharla ihr bei. „Du solltest dir jemanden suchen. Du bist eine hübsche junge Frau und wirst schnell jemanden finden. Wenn du Rat brauchst, helfe ich dir auch gerne.“


Da mischte sich erstmals Alek ein, der bislang eisern von allen ignoriert worden war, und sagte entschieden: „Malah braucht keinen Mann an ihrer Seite! Sie hat genug Leute, die ihr helfen, und sie kommt auch gut allein zurecht, das habt ihr doch gehört!“
     Daraufhin war es erstmal still, und Malah wollte sich am liebsten auf der Stelle in Luft auflösen. Sie wusste ja, dass Alek mal Interesse an ihr bekundet hatte, und schon anhand seines wütenden Gesichtes konnte sie jetzt genau erkennen, dass sich das scheinbar trotz ihrer Abfuhr nicht geändert hatte. Dabei hatte sie gedacht, dass sich das inzwischen in Wohlgefallen aufgelöst hatte.


Glücklicherweise kam da ihre Mutter an, um sie aus der peinlichen Situation zu erretten. Malah war noch nie zuvor so froh gewesen, sie zu sehen. Sie flog ihr fast entgegen, als sie sie fragte: „Malah, kann ich dich mal kurz sprechen?“
     „Natürlich!“
     Sie entfloh der Situation, und Alek hatte zum Glück den Anstand, nicht mitzukommen, obwohl er sie ansonsten so gut wie überallhin begleitete.


Trotzdem musste Malah erstmal ihre Scham runterschlucken, bevor sie überhaupt sprechen konnte.
     „Was gibt es denn?“, fragte sie sie schließlich, als Akara keine Anstalten machte, von sich aus das Wort zu ergreifen.
     „Ich… habe eine Frage: Wenn jemand von unserem Stamm heiraten will, wie ist das dann eigentlich mit der Mitgift? Stellt der Stamm es dann zur Verfügung?“
     „Ja, eigentlich schon. Wenn es eine angemessene Mitgift ist.“
     „Das ist gut. Sag, wie hoch ist denn eine angemessene Mitgift?“
     „Das müsste ich im einzelnen Fall mit den jeweils Beteiligten abklären.“ Malah verschränkte die Arme vor der Brust. „Du kannst Nero also gern zu mir schicken, dann kläre ich das selber mit ihm.“
     Ihre Mutter grinste ertappt. „Wie kommst du denn darauf, dass ich für Nero frage?“
     „Nun, ich nehme mal an, dass du selber nicht außerhalb des Stammes heiraten willst, du also keine Mitgift brauchst. Und da bleibt nur noch Nero. Für wen solltest du auch sonst fragen?“


Akara vermied es eigentlich für gewöhnlich, vor Malah über Nero zu sprechen. Egal, wie wenig es Malah auch zu kümmern schien, dass sie als Mutter und Tochter eigentlich nicht viel miteinander am Hut hatten, jedes Mal, wenn Akara Nero auch nur erwähnte, war da diese unterschwellig ablehnende Haltung bei ihrer Tochter. Akara wusste, dass Malah und Nero ansonsten prächtig miteinander auskamen.


Aber sobald sie da ins Spiel kam, machte Malah dicht.


„Du kannst Nero aber eigentlich auch gleich von mir ausrichten“, fuhr Malah fort, „dass wir momentan nichts erübrigen können. Das Wetter hat uns dieses Jahr schwer zu schaffen gemacht; das hat er ja selber mitbekommen. Wir haben kaum genug, um über den Winter zu kommen, und ich bin ja schon froh, dass Reinard uns zwei Schweine für Jade gegeben hat.“
     Das war schon nicht viel, aber niemandem in dieser Gegend war es dieses Jahr besser ergangen, als ihnen.
     „Wenn er eine Mitgift will, muss er bis nächstes Jahr warten und hoffen, dass die Götter uns dann wohlgesonnener sind.“


Im nächsten Augenblick tauchte plötzlich Rahn auf, als hätte man ihn aus dünner Luft beschwören.
     „Hier bist du, Liebes. Ich habe dich schon gesucht.“ Sein Blick ging von einer zur anderen. „Warum redet ihr denn von Mitgiften? Wer braucht denn eine?“
     „Dein Sohn“, erzählte Malah unverblümt.
     Akara fluchte innerlich.
     „Nero? Ich wusste gar nicht, dass er heiraten will…“, war Rahn ganz betroffen.


„Das ist auch noch gar nicht in trockenen Tüchern“, versuchte Akara zu beschwichtigen.
     Trotzdem war er verletzt, dass Nero ihm nicht davon erzählt hatte, das sah sie.
     ‚Wenn du nur wüsstest, was dein Junge dir alles nicht erzählt hat, mir aber schon‘, dachte sie bitter. Sie war nur froh, dass er davon nichts wusste.
     „Warum ist er damit denn nicht zu mir gekommen?“, schreckte Rahns Stimme sie aus ihren Gedanken. „Ich kann ihm doch etwas geben.“
     „Wirklich?“


„Ja. Als mein Vater gestorben ist, hat er mir eine Menge hinterlassen. Größtenteils alten Schmuck, den sie damals aus kleinen Goldklumpen gemacht haben, die sie im Fluss gesammelt haben. Das war zu der Zeit damals nichts wert, heute aber. Ein paar Schafe, Ziegen und Rinder sollte das Ganze schon bringen.“
     „Du sitzt wirklich auf so einem Vermögen?“, fiel Malah beinahe aus allen Wolken.
     „Ja. Naja, eigentlich hatte ich das auch als eiserne Reserve für den Stamm vorgesehen. Für Notzeiten. Also… wenn du es gutheißt, Malah, dann gebe ich ihm davon.“
     „Warum weiß ich denn nichts davon, dass wir sowas haben?“
     „Ich habe es damals Tann gesagt. Und meine Geschwister wissen auch davon.“


Malah verzog missbilligend den Mund, sagte aber nichts mehr dazu. Stattdessen sagte sie: „Dennoch ist es dein Erbe. Du kannst Nero gerne so viel davon geben, wie du magst.“
     „Bist du sicher?“
     Noch haben wir ein paar Notreserven.“
     Sie hoffte nur, dass sie damit auch über den Winter kamen.


Nachdem sich die Schar der Gratulierenden um die Brauleute herum etwas gelichtet hatte, hatte Isaac sich zu dem Händler Alin zurückgezogen, mit dem zusammen er vorher auch hergekommen war.
     „Das war eine wundervolle Zeremonie“, fand er, bevor er beschämt hinzufügte: „Aber ich glaube, ich sollte jetzt besser zurückgehen.“
     „Schon müde? Das hätte ich ja nicht gedacht, nachdem du davon erzählt hast, wie du tagelang als Ritualtänzer auf den Festen in deiner Heimat getanzt hast.“
     Isaac lachte. „Das habe ich auch. In meiner Jugend. Und das ist lange her. Es war jedenfalls sehr nett von dir, dass du mir angeboten hast, dich zu begleiten, aber eigentlich gehöre ich gar nicht hierher. Ich kenne die Brautleute schließlich nicht und habe auch keine Geschenke für sie.“


„Ach, sag einfach, dass die Geschenke, die von mir kommen, auch von dir sind, und gut ist.“
     Alin hatte, sehr zu Marduks Verdruss, einen Großteil der Verpflegung gesponsert und dem Brautpaar sogar ein gutes, robustes Pferd überlassen, das bereits im Ahn-Stall stand.
     „Das ist sehr freundlich von dir, doch das würde mich entehren. Ich werde zusehen, dass ich nachträglich noch etwas auftreibe.“
     „Wie du willst.“


Danach hatten sie sich nichts mehr zu sagen, und als Alin kurz darauf von Malah angesprochen wurde, schlüpfte Isaac an ihm vorbei zu Lulu, die bislang beinahe wie ein Schatten hinter dem Händler gestanden hatte. Sie sah sofort unbehaglich aus, als er sich neben sie stellte.
     „Lulu, falls ich mich recht entsinne“, fing er an. „Du bist die Mutter von dem jungen Mann, der mit meiner Tochter gegangen ist, nicht wahr? Ich war ja tief beeindruckt davon, wie tapfer du warst, als du deinen Sohn verabschiedet hast. Mir hat ja das Herz geblutet, als meine Kleine fortgegangen ist…“
     „Wirklich?“, rutschte es der verschreckten Lulu überrascht raus. „Und ich war so beeindruckt, dass du gelächelt hast, als du sie verabschiedet hast.“


„Nun ja, ich wusste es einfach schon lange, dass der Tag kommen würde, an dem sie in die Ferne zieht. Es war abzusehen gewesen. Und was ist mit dir? Ist das eigentlich schwer für dich, dass dein Sohn und dein Mann jetzt fort sind?“
      „Mein Mann?“, war sie irritiert.
     „Wulfgar. Er ist doch Leifs Vater, nicht wahr?“


„Oh… ja, das ist er“, bestätigte sie beschämt. „Aber er ist nicht mein Mann. Unsere Verbindung war rein… zweckmäßiger Natur. Weil wir beide Kinder haben wollten.“
     „Oh, ach so.“
     Danach war Isaac still, in seine Gedanken versunken, während Lulu nervös neben ihm stand und sich fragte, wann er endlich wieder weggehen würde. Und gerade, als er weiterreden wollte, wurde er auf das Gespräch einer anderen Gruppe aufmerksam, die ganz in der Nähe stand, und er begann, zuzuhören.


Das Gespräch fand überraschenderweise zwischen Lu und Aan statt, die sich sonst eigentlich nicht so viel zu sagen hatten. Doch das hatte sich geändert, seitdem sich bei Lu etwas verändert hatte.
     „Ich denke“, sagte Aan, „dass wir alle und die Welt aus einer Art Ursubstanz entstanden sind, die schon immer da gewesen ist. Und dass alles aus dieser Substanz geformt worden ist. Wie Ton, den man in verschiedene Formen bringen kann, verstehst du?“
     „Aber auch dafür braucht es die Hand eines Schöpfers“, merkte Lu an.
     „Nicht unbedingt. Siehst du, die runden Steine im Fluss werden auch ohne die Hand eines Schöpfers geformt. Allein die Kraft des Wassers wäscht über viele Jahre die Ecken und Kanten glatt.“


Darüber musste Lu erstmal nachdenken. Es war nichts, was er nicht schon von den schlauen Leuten dort draußen gehört hatte, die sich Philosophen nannten. Manche von ihnen hatten so kompliziert und geschwollen dahergeredet, dass er sich ziemlich sicher gewesen war, dass sie nicht einmal selbst gewusst hatten, was sie da eigentlich von sich gegeben hatten.
     Damals hatte er noch versucht, gegen diejenigen zu argumentieren, die die Götter verleugnet hatten (was nicht allzu viele gewesen waren), aber jetzt war das anders. Jetzt versuchte er, die Gegenseite zu verstehen. Vielleicht suchte er wirklich danach, überzeugt zu werden, dass es da draußen keine Götter gab. Das würde die Welt nämlich um einiges weniger ungerecht machen.


Plötzlich erschien Isaac in ihrer Runde, was ihn ein bisschen störte.
     „Entschuldigt bitte, dass ich eurem Gespräch gelauscht habe, aber ist damit nicht der Fluss der Schöpfer?“, mischte er sich einfach ein. „Und damit der Flussgott, der ihn zum Fließen bringt?“
     „Du sagst also, dass der Fluss ein lebendiges Wesen ist. Aber warum fließt er dann nur bergab? Jedes lebendige Wesen kann einen flachen Hügel erklimmen, selbst die beinlose Schlange. Aber der Fluss kann das nicht. Weil er nicht lebendig ist. Er fällt zu Boden, wie jedes andere leblose Ding auch. Und das zeigt doch, dass er mitnichten lebendig ist. Dass kein Gott in ihm wohnt“, hielt Aan dagegen.


„Du glaubst, dass alles „nach unten“ fällt. Aber woher willst du wissen, wo sich oben und unten befindet? Die Erdenmutter ist so rund wie eine Kugel, und wenn du dich an ihrer „Unterseite“ befindest und etwas zu Boden fällt, dann sieht es für dich nur so aus, als würde es nach „unten“ fallen, aber in Wahrheit fällt es nach „oben“.“
     „Willst du mir allen Ernstes erzählen, dass die Erde rund ist?“, lachte Aan.
     „Natürlich.“
     „Wenn das so wäre, warum fallen wir dann nicht herunter, angenommen, wir sind auf der „Unterseite“?“


„Wir fallen nicht herunter, weil die Erdenmutter uns festhält. Wie ein nasser Ball, an dem ein Blatt haftet.“
     „Dann würde ich trotzdem herunterfallen, wenn ich springe“, meinte Aan und führte es gleich mal vor. „Ebenso die Vögel! Außerdem: Sieh dich um, die Erde ist flach. Wenn sie rund wäre, würde man das sehen.“
     Lu derweil stand schweigend zwischen ihnen, verstand gar nichts mehr und dachte sich: ‚An den beiden sind echt zwei Philosophen verloren gegangen.‘


Er war deshalb schon ganz froh, als Jana und Luis schließlich auftauchten. Jana kam aufgeregt und mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht gleich zu ihm.
     „Schamane, hast du gesehen? Wir haben’s geschafft! Und ich muss sagen: Wir haben das gut gemacht!“
     „Das habt ihr, in der Tat“, lobte Lu sie. „Es war eine wundervolle Zeremonie. Ich hätte es nicht besser gekonnt.“


„Das ist alles nur, weil Lui mir immer wieder aus der Patsche geholfen hat. Ohne ihn wär ich echt aufgeschmissen. Auch sonst.“
     „Du kannst das alles auch ganz allein, wenn du es dir nur zutrauen würdest. Normalerweise bist du doch auch nicht so zaghaft“, sagte Luis dazu.
     „Ich bin nicht... bin ich nicht!“, regte Jana sich auf. „Ich kann mir nur nix merken. Deshalb hättest ja auch du lieber Schamane werden sollen.“
     „Du bist eine hervorragende Schamanin, Jana.“
     „Nur mit dir. Bin echt froh, dass du dich wieder eingekriegt hast.
     Luis antwortete mit einem Lächeln, während Aan immer genervter aussah.


„Worüber habt ihr gesprochen? Sah lustig aus“, wandte Jana sich jetzt der Runde zu.
     Lu hoffte, dass sie Jana nicht an ihrem letzten Gesprächsthema teilhaben lassen würden. Er wusste ja, wie sehr sie es hasste, wenn sie etwas nicht verstand. Und er wollte eigentlich auch vermeiden, dass sie erfuhr, dass gerade er ihre heißgeliebten Götter anzweifelte. Er, der er sie doch erst zu den Göttern gebracht hatte. Aan hatte glücklicherweise genug Anstand, deshalb nichts zu sagen, Isaac jedoch nicht.


„Darüber, ob es möglich ist, dass die Welt ohne einen Schöpfer zustande gekommen ist“, erzählte er unbeschwert.
     „Natürlich nicht! Wer glaubt denn sowas doofes?“, fragte Jana amüsiert.
     Sie lachte, verstummte aber abrupt wieder, als ihr aufging, wer „sowas doofes“ glaubte. Sie wusste ja (irgendwie), dass ihr Gefährte nicht unbedingt der gottesfürchtigste Mensch war, was ihr schon immer Sorgen gemacht hatte.


Ihr Gesicht umwölkte sich auch sogleich, und Aan sah diesmal tatsächlich so aus, als ob er etwas dazu zu sagen beabsichtigte. Normalerweise mieden beide dieses Thema eigentlich, bei dem sie absolut nicht einer Meinung sein konnten.


Lu ahnte böses. Und deswegen warf er sich nun voll in die Bresche. „Nun, selbst wenn die Welt irgendwann mal von einem oder mehreren Göttern geschaffen worden ist, heißt das aber trotzdem nicht, dass sie noch immer da sind. Auch wir schaffen Dinge. Bauen Häuser, bestellen Felder, und ziehen irgendwann weiter oder sterben. Wer sagt mir, dass das mit den Göttern nicht genauso ist?“
      „Die Götter haben uns doch nicht verlassen! Und tot sind sie auch nicht!“, rief Jana, wie zu erwarten, erschrocken.


„Ach ja? Und warum haben sie es uns das letzte Jahr über dann so schwer gemacht, während es andere, die anderen Göttern huldigten, gut hatten? Wir haben nichts anders gemacht als sonst auch, haben immer brav geopfert, aber dennoch haben sie uns im Stich gelassen, als wir sie brauchten.“ 
     Er hatte Jana ganz sicher nicht so sehr vor den Kopf stoßen wollen – er wusste ja, wie sehr sie ihn als ihren Mentor bewunderte – doch es schien ihm dennoch besser, dass sie mit ihm brach, als mit Aan. Er war ihr wichtig, aber ihr Gefährte war es noch mehr, das wusste er. Nur die Götter waren ihr wichtiger, und Lu wollte verhindern, dass Jana einen wichtigen Halt in ihrem Leben aufgab für etwas, das vielleicht gar nicht mehr existierte. Oder nie existiert hatte.


„Schamane, was ist denn los? Du hast doch sonst nie so über die Götter gesprochen!“
     Sie warf einen hilflosen Blick zu Luis, der das nicht bemerkte, während Lu nicht wusste, ob er ihren Glauben weiter erschüttern sollte oder ob er jetzt einfach still bleiben sollte.
     Und während er noch überlegte, erschien Jana plötzlich dicht vor ihm, legte eine Hand an seinen Arm und versicherte: „Die Götter sind da draußen und wachen noch immer über uns.“


Lu war so frustriert, und er konnte nicht verhindern, dass sich seine Frustration ihren Weg nach draußen bahnte. Wütend befreite er sich aus ihrem Griff.
     „Woher willst du das wissen? Hast du sie etwa gesehen? Ich habe ihnen jahrelang geopfert und habe jahrelang zu ihnen gebetet, aber sie haben sich mir weder gezeigt noch mir jemals geantwortet. Wenn ich glaubte, etwas zu sehen, war es nur der Opferkräuter wegen, deren Rauch ich eingeatmet habe. Das weiß ich inzwischen auch. Sonst habe ich nie etwas gesehen.“
     Jana sah ihn betroffen an, dann aber kehrte die Sicherheit auf ihr Gesicht zurück, die man schon eher von ihr kannte. Mit einem Mal wirkte sie tatsächlich erhaben. Wie eine echte Geistliche.


„Die Götter haben zu mir gesprochen. Schon oft, seitdem ich Schamanin bin.“
     „Ach, tatsächlich?“, war Lu skeptisch.
     „Ja. Da war einer, der hat ganz viel mit mir geredet: Uranos. Er erzählte, wie er ganz viele Kinder mit der Erdenmutter Gaia hatte. Aber über die Kinder hat er nix erzählt. Er sagte, dass sie undankbare Racker sind und dass sie jetzt Gefangene sind. Vor allem sein Jüngster, weil der ihn „entmannt“ hat, oder so. Und da waren auch noch andere. Erebos und Nyx und Tartaros und Eros. Und noch viel mehr. Aber erzählt hat fast nur Uranos.“


Lu war schon bei der Erwähnung von Uranos‘ Namen erstarrt. Er kannte diese Namen. Er hatte sich schließlich auch die Göttergeschichten der Außenwelt angehört. Die Scipionen, bei denen er gewohnt hatte, hatten andere, ähnliche Götter angebetet, und er hatte die Geschichte von einem ihrer zahlreichen Gäste gehört, der aus einem anderen Land zu Besuch gewesen war. Die Geschichte von Uranos und Gaia. Von ihren Kindern, von denen Kronos seinen Vater gestürzt hatte. Und schließlich von dessen jüngstem Sohn Zeus, der wiederum ihn gestürzt hatte, und den die Menschen in dessen Heimatland nun als Göttervater verehrten.
     Er hatte diese Geschichte gehört und hatte sie für eben das gehalten. Nur eine Geschichte. Aber wenn jetzt Jana, die bestimmt noch nie davon gehört hatte, davon wusste, konnte es dann sein, dass sie tatsächlich wahr war? Dass da draußen wirklich Götter waren? Und dass sie hier Götter anbeteten, die heutzutage überall sonst beinahe vergessen waren?


Während er noch am Verdauen war, was er gerade erfahren hatte, trat plötzlich Isaac an Jana heran und sagte: „Und damit schließt sich der Kreis und der Schöpfer zeigt erneut, dass er allgegenwärtig ist.“
     „Was meinst du?“, wollte Jana wissen.
     „Der Name der Erdenmutter, den du erwähntest, Gaia, ist der geheime Name unseres Schöpfers, den nur die Eingeweihten auf meiner Insel kennen. Dass du ihn kennst, zeigt mir, dass du wahrlich in der Gunst des Schöpfers stehst.“
     Er neigte ehrfürchtig den Kopf , und Jana fand endlich ihr Lächeln wieder.


Isaac verabschiedete sich kurz darauf aus der Runde und ging, doch Lu kümmerte sich nicht weiter um ihn. Er hatte noch immer mit seinem Schock zu kämpfen.
     Wenn die Götter tatsächlich existierten, warum ließen sie sie dann so sehr im Stich? Warum ließen sie nur so viel Leid und Ungerechtigkeit zu? Er wusste, dass die Götter, die sie in der Außenwelt anbeteten, so eigensüchtig und wankelmütig waren – er würde nie das Gespräch vergessen, das er mit Julius darüber geführt hatte. Aber er hatte immer gedacht, dass ihre Götter anders waren. Dass sie nicht rachsüchtig und grausam, sondern barmherzig waren.
     Warum also ließen sie all dieses Leid zu?
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