Es muss nicht gesagt werden, dass Griswold da beinahe explodiert war, aber er hatte gegen die Übermacht seiner Nachbarn einfach nichts ausrichten können, also war es bei einem hässlichen Streit und noch hässlicheren Worten geblieben.
Da Malah noch immer unter den Folgen ihrer Verletzung
litt, musste sie die Sache schweren Herzens erstmal einem Stellvertreter überlassen. Und so kam es, dass
Tann, der vor Jahren die Würden des Stammesführers abgelegt hatte, sie erneut
anlegte und am nächsten Tag mit einigen anderen zu einer Notfallversammlung aufbrach.
Sowohl Tenn, der zwischenzeitlich die Führung vom Zoth-Stamm
übernommen hatte, als auch Griswold von den Hells und Reinard vom Ahn-Stamm,
der als Vermittler auftreten sollte und der gleichzeitig auch klagte, dass man
ihm seine versprochene Frau Nefera genommen hatte, waren schon anwesend, als sie an
ihrem heiligen Versammlungsort am See eintrafen. Dort, wo Malah erst vor zwei
Tagen niedergeschlagen worden war.
Als er das riesige, hölzerne Totem erreichte, das schon
hier gestanden hatte, seitdem er sich erinnern konnte und unter dem die Stämme
sich schon versammelt hatten, lange noch bevor er geboren worden war, richteten
sich sofort wütende Blicke auf ihn.
„Wo ist Malah?“,
wollte Reinard mit grimmiger Miene wissen.
Tann hatte noch nie mit dem neuen, jungen Anführer des Ahn-Stammes zu tun gehabt. Alle alten Oberhäupter, mit denen er früher zusammengearbeitet hatte, waren inzwischen abgetreten, und auch mit Tenn, der eigentlich immer ein ruhiger Mann gewesen war, der seit Roahs Verschwinden jedoch bitter geworden war, hatte er wenige Berührungsmomente gehabt. Es waren quasi alles Fremde vor ihm, wenn man von Griswold einmal absah.
Aber obwohl er in der Vergangenheit viele Fehler gemacht
hatte, zweifelte er nicht an sich. Das durfte er auch gar nicht. Er war der
Repräsentant des Uruk-Stammes und, Himmel, er war das älteste der Oberhäupter
hier. Er hatte die Erfahrungen auf seiner Seite. Also trat er selbstbewusst in
die Runde und nahm sich deutlich Zeit zum Antworten, nickte zuerst den drei Frauen vom
Ältestenrat zu, die an der Seite saßen, und sah ringsum in die Gesichter.
„Malah erholt sich noch immer von ihren Verletzungen, also hat sie mich gebeten, an ihrer Stelle herzukommen“, erklärte er schließlich mit fester, erhabener Stimme. „Da ich ein ehemaliger Stammesführer des Uruk-Stammes bin, werdet ihr mich als ihre Vertretung anerkennen müssen.“
„Jana hätte als Vertretung völlig gereicht“, zischte
Reinard gereizt.
Irgendwie
konnte sich Tann des Eindrucks nicht erwehren, dass es Reinard gar nicht
passte, dass ausgerechnet er hergekommen war.
„Malah hat aber
mich als ihren Vertreter bestimmt. Wenn du ein Problem damit hast, können wir
die Versammlung gerne vertagen und du kannst dich persönlich bei ihr deswegen
beschweren.“
„Das wird nicht nötig sein“, griff Tenn versöhnlich ein. „Es
ist zwar ungünstig, dass Malah als Beteiligte in der ganzen Sache nicht zu Wort
kommen kann, aber ich erkenne dich als ihren Vertreter an.“
Auch die drei
Ältesten gaben nickend ihre Zustimmung. Und damit war Reinard überstimmt.
„Und was macht der hier?“, knurrte Griswold in Isaacs
Richtung.
„Das muss ich
auch fragen“, pflichtete ihm Reinard bei. „Das hier ist zwar keine reguläre Stämmeversammlung, aber er hat als Außenstehender nichts an unserer heiligen Stätte verloren!“
„Seine Tochter ist ebenfalls verschwunden“,
erklärte Tann ruhig. „Deshalb habe ich ihn gebeten, mit uns zu kommen.“
Isaac wurde
misstrauisch beäugt, aber wenn Tann die letzten Tage eines über den Fremden
gelernt hatte, dann, dass er überaus redegewandt und charismatisch war. Das war auch ein Grund
für ihn gewesen, ihn mitzunehmen.
Schon ihr erstes Treffen war sonderbar gewesen. Tann
hatte sich seit ein paar Wochen schon merkwürdig aufgewühlt gefühlt. Eine
innere Unruhe und Aufregung hatte von ihm Besitz ergriffen, die ihn sogar um
den Schlaf gebracht hatte.
Am Tag ihres
ersten Treffens dann war es so schlimm geworden, dass er geglaubt hatte, es
nicht mehr aushalten zu können. Deshalb war er nach draußen gegangen, hatte
sich zum Grabhügel zurückgezogen, um sich zu beruhigen.
Da hatte mit einem Mal ein Fremder vor ihm gestanden, als
wäre er aus dem Boden vor ihm gewachsen.
„Hallo, ich
bin Isaac“, hatte er gesagt, als hätte er genau nach ihm gesucht.
Und als Tann den ersten Schrecken überwunden und die Hand ergriffen hatte, die man ihm hingehalten hatte, um sie zu schütteln, hatte er bemerkt, dass er endlich – endlich! – Ruhe gefunden hatte.
Tann hatte ihm seinen Namen verraten, doch sie hatten
danach kein Wort mehr miteinander gewechselt. Der Fremde namens Isaac war gegangen, sich wem anders
vorzustellen, aber bei Tann hatte er irgendwie einen bleibenden Eindruck
hinterlassen.
Auch jetzt trat er bedeutungsschwer in die Runde, senkte
demütig das Haupt und sagte: „Verzeiht mein Eindringen in eure altehrwürdigen
und heiligen Gründe. Mein Name ist Isaac.“ Er legte die rechte Hand aufs Herz.
„Ehre sei euren Göttern! Auf dass mein Schöpfer meine Zunge nur die Wahrheit
sprechen lasse und mir das Haar auf der Stelle ausfalle, sollte ich auch
nur ein Wort der Lüge von mir geben!“
Es war bei
ihm Zuhause wohl Brauch, dass sie bei Verhandlungen und sonstigen Schwüren so
auftraten, wie sie geschaffen worden waren, aber man hatte ihn glücklicherweise
dazu überreden können, die Kleidung anzubehalten und lediglich barhäuptig zu
erscheinen.
Tann war ja
ein bisschen von ihm beeindruckt, musste er zugeben.
„Und was suchen die Weibsbilder und dieser Unruhestifter
hier?“, knurrte Griswold die nächsten an, nachdem niemand mehr etwas zu Isaacs Anwesenheit
zu sagen hatte.
„Ich bitte
dich darum, deine Zunge im Zaum zu halten! Das ist unsere ehrwürdige Schamanin
und dies ist meine Schwester, die Mutter von Leif, der ebenfalls verschwunden
ist. Und mein Enkel Nila wurde von Tenn hierher einberufen.“
„Die Mutter
hat hier nichts zu melden“, tat der Schmied ab. „Wenn der Vater nicht einmal
für ihn sprechen will, ist er in Schande.“
„Wulfgar würde
sicherlich für seinen Sohn sprechen, aber wie du weißt, ist er momentan auswärts
unterwegs.“
Als Griswold jetzt endlich ruhig blieb, neigte Tann das
Haupt und begann die Begrüßungsformel zu rezitieren: „Ich erbiete euch im Namen
des Uruk-Stammes Grüße! Mögen die Götter alle unsere Vorhaben mit Erfolg
segnen!“
Er nickte Jana
zu, die ging, um die Opfergaben ins Feuer zu legen. Auch die anderen beiden
Stammesführer gingen zu ihr, um ihr die mitgebrachten Opfergaben zu überreichen, die
nacheinander und unter Janas etwas zu kräftigem Gesang im Feuer landeten. Bei
den anderen Stämmen war das geistliche Oberhaupt und der Stammesführer schon
immer in einer Person vereinigt gewesen, nur beim Uruk-Stamm war das anders.
Deshalb hatte ihr Schamane bislang immer die rituellen Pflichten der
Versammlungen wahrgenommen.
Während die
Opfergaben zischend in den Flammen vergingen, sagte niemand ein Wort. Erst als
sich der süßliche, schwere Duft von Weihrauch zwischen ihnen ausbreitete, wurde
die Versammlung eröffnet. Griswold sah da bereits so aus, als ob er mit
seiner Geduld schon längst am Ende war.
Tann stand es als Ältester unter den Stammesführern zu, zuerst das Wort zu ergreifen. Er nickte Tenn zu. „Da du die Versammlung
einberufen hast, gebührt dir die Leitung darüber.“
„Danke. Ich
habe euch heute hier zusammengerufen, um mit euch über das Verschwinden von diversen
unserer Leute zu sprechen.“ Er konnte nicht verhindern, dass sich
Betroffenheit auf sein Gesicht schlich. „Wie ihr wisst, ist meine Frau Roah vor
zwei Tagen spurlos verschwunden, als sie Malah vom Uruk-Stamm um ein Treffen
unter vier Augen ersuchte.“
„Warum wusste
ich nichts von diesem Treffen?“, unterbrach Reinard ihn wütend. „Geheime
Treffen zwischen den Anführern der Stämme ohne Wissen aller sind verboten!“
„Es ging um
eine persönliche Angelegenheit, die ich ebenfalls gleich noch ansprechen
möchte. Zunächst aber will ich wissen, ob Malah weiterhin behauptet, dass Roah
nicht am Treffpunkt gewesen war, als sie eintraf, und man sie stattdessen
niedergeschlagen hat.“ Er wartete Tanns Nicken ab. „Gut. Dann will ich noch
anmerken, dass neben Roah auch Nefera von meinem Stamm verschwunden ist. Sie
verschwand am selben Tag wie meine Roah. Und ich hörte, dass auch bei euch Leute
verschwunden sind.“
„Das stimmt. Unser
Leif ist ebenfalls verschwunden.“
„Dieser Bastard hat meine Tochter Giselinde entführt!“, platzte
Griswold ungehalten dazwischen.
„Bitte halte
dich mit Anschuldigungen zurück, bis wir alles besprochen haben“, rügte Tenn
ihn unbeeindruckt, bevor er sich an Isaac wandte und ihn fragte: „Und deine Tochter ist ebenfalls verschwunden, Fremder?“
„Ja. Auch wenn ich hinzufügen möchte, dass es nichts
Ungewöhnliches ist, dass meine Tochter mehrere Tage lang verschwindet, ohne
Bescheid zu sagen.“
„Dennoch war
es gut, dass du hergekommen bist. Die Gegend ist, wie wir alle wissen, in letzter
Zeit nicht mehr sicher“, sagte Tenn, und dann sah er zu Nila hinüber, der unter
seinem Blick zusammenzuckte. „Was mich zu dem Grund für Roahs und Malahs Treffen
bringt.“
Tann wusste,
was jetzt kommen würde, und das Schlimmste war, dass er es nicht verhindern
konnte. Er konnte seinen Enkel nicht schützen.
„Roah hat Nila mit den Räubern zusammen gesehen, die in
letzter Zeit die Gegend unsicher machen.“
Da war es
erstmal ruhig und alle fingen damit an, Nila anzustarren, der versuchte,
grimmig auszusehen, was ihm aber nicht so recht gelang. Man sah ihm an der
Nasenspitze an, dass ihm das ganze ziemlich unangenehm war und er gerade lieber
ganz woanders gewesen wäre.
„Erst tötest du unsere Katze und jetzt lässt du unsere
Frauen und Mädchen entführen?“, platzte Griswold letztendlich der Kragen.
Im Folgenden ging er tatsächlich auf Nila los. Tann schob sich sofort dazwischen, auch Reinard, Isaac und sogar Jana setzten sich in Bewegung, um einzugreifen. Aber Tenn gelang es glücklicherweise auch allein, ihn zurückzuhalten.
„Man sollte
dich aufknüpfen, bevor du noch mehr Unheil anrichten kannst!“, rief der Schmied
mit rotem Kopf, ruderte wütend mit der Faust.
Da erschien Jana vor ihm und warnte mit bedrohlicher
Stimme: „Wag es nicht, die Götter zu beleidigen! Du bist an einem heiligen Ort!“
Gewalt während
der Versammlungen war strikt verboten. Vor allen Dingen an diesem Ort, an dem die Götter
über sie wachten. Griswold sah sie giftig an, aber er war sich
glücklicherweise bewusst, dass er in der Unterzahl war.
„Beruhige
dich, Griswold, und kehre an deinen Platz zurück, sonst muss ich bitten, die
Versammlung zu verlassen“, pflichtete Tenn Jana bei.
Griswold
tauschte noch einen langen, wütenden Blick mit Tann, dann strich er aber die
Segel und alle kehrten an ihre Plätze zurück.
„Was hast du dazu zu sagen, Nila?“, führte Tenn die
Versammlung fort, als alle wieder dort waren, wo sie hingehörten.
„Ich habe
nichts mit den Räubern zu tun“, behauptete Nila eingeschüchtert, „und ich habe
keine Ahnung, wo die alle abgeblieben sind.“
Keiner glaubte
ihm. Das sah man. Tann hatte lange überlegt, ob er anmerken sollte, dass Nila
angeblich zur fraglichen Zeit bei einem Mädchen gewesen war, aber er hatte sich
letztendlich dazu entschieden, erst einmal abzuwarten, wie sich die Sache
entwickelte. Wenn er es nämlich anbrachte und herauskam, dass dieses Mädchen
Nara war, würde das sicherlich Ärger mit dem Ahn-Stamm geben. Egal, ob es nun
stimmte oder nicht, dass Nila sich dem hilflosen Mädchen genähert hatte.
„Als ob dir
irgendjemand glauben würde!“
„Ich muss Griswold
leider recht geben“, sagte Tenn ernst. „Dein schlechter Ruf spricht gegen dich,
Nila.“
„Dürfte ich sprechen?“
„Du hast hier
nichts zu sagen, Fremder!“, kam unverblümt von Griswold.
Doch Isaac ließ sich davon nicht beirren. Ruhig erklärte
er: „Ich habe als Fremder in dieser Gegend natürlich nicht den Einblick, den
ihr in diese Sache habt, aber vielleicht kann ich es deshalb auch neutraler
beurteilen.“ Als Tenn ihm zunickte, fortzufahren, wies er auf Nila. „Ich frage
euch: Wenn dieser junge Mann die Verschwundenen tatsächlich entführt hat – oder
für ihre Entführung verantwortlich ist – warum ist er dann noch hier? Warum hat
er nicht einfach das Geld genommen und ist auf und davon? Falls irgendwelche
Fehden oder dergleichen zwischen ihm und den Verschwundenen bekannt sind, bitte
ich natürlich um Aufklärung.“
Er sah
abwartend in die Runde, aber niemand sagte ein Wort. Selbst Griswold begnügte
sich damit, seinen Unmut über Isaacs Einmischung nur offen auf seinem Gesicht
zu zeigen.
„Wenn er es nicht war, war es dieser andere
eurer Bastarde!“, konnte er es dann aber doch nicht lassen, einzuwerfen. „Der
ist schließlich verschwunden! Dieser andere Hundesohn, dieser Krüppel, hat mir
ja auch meine andere Tochter genommen!“
Lulu gab einen
erschrockenen Laut von sich und Jana sah aus, als ob sie sich doch nochmal
überlegte, ihre eigenen Regeln bezüglich Gewalt an heiligen Orten zu
überdenken, dafür, dass man ihren Sohn Alistair beleidigt hatte. Da
wusste Tann, dass es an der Zeit war, einzuschreiten.
Aber bevor er das tun konnte,
tauchte plötzlich und unvermittelt Malah auf und ihr Auftauchen verhinderte weitere Ausschreitungen.
Sie war in ihrer Arbeitskleidung und sie sah noch immer
nicht ganz gesund aus. Alek, der bei ihr war, musste sie auch beim Gehen
stützen. Der Angriff hatte sie schwerer erwischt, als sie gedacht hatten.
„Entschuldigt
mein Eindringen!“, begann sie, warf einen Blick zu Tann, der sich nicht anmerken ließ, dass sie sich gerade einen riesigen Fauxpas damit leistete, indem sie herkam und seine Autorität als derzeitiger Stammesführer mächtig untergrub. „Entschuldige,
Großvater, ich will dir keine Schande bereiten, aber ich musste einfach
herkommen. Schon allein, weil ich an der ganzen Sache beteiligt bin.“ Souverän
blickte sie in die Runde. „Weil ich ebenfalls beschuldigt wurde.“
Reinard wich
ihrem Blick aus, aber Tenn hielt ihm stand. Er hatte nicht hinterm Berg damit
gehalten, dass er Malah zutraute, für Roahs Verschwinden verantwortlich zu sein,
und Reinard hatte ihm nicht widersprochen. Um zu vertuschen, dass ihr Bruder
mit den Räubern zu tun hatte. Die Anderen hatten es zwar nicht ausgesprochen,
doch es machte inzwischen immer mehr das Gerücht die Runde, dass der Uruk-Stamm
selber die Räuber hergelockt hatte, um die anderen Stämme unter seine Kontrolle
zu bringen. Oder zumindest, um sich als Beschützer aufzuspielen und die Anderen
von ihrem Schutz abhängig zu machen.
„Du musst dich
zu dieser Sache nicht noch einmal äußern, Malah“, sagte Tenn ihr. „Das hat Tann
bereits für dich getan.“
„Ich will es aber. Ich will euch allen versichern, dass
weder ich noch mein Stamm etwas mit dem Verschwinden von Roah, Nefera, Gil, Mari
und Leif zu tun haben. Dafür bürge ich.“
„Dein Wort ist
nichts wert“, spuckte Griswold verächtlich aus.
„Hüte deine
Zunge, Griswold!“, warnte Tann ihn. „Auch ich, als momentanes Oberhaupt des
Uruk-Stammes, gebe euch mein Wort. Ich bürge für Nila, Malah, Leif und alle
meine Stammesmitglieder, dass sie nichts mit dem Verschwinden der Leute zu tun
haben.“
Das Wort eines
Stammesführers war gleichbedeutend mit dem Wort aller seiner Stammesmitglieder.
Und da der Uruk-Stamm der größte Stamm in der Gegend war, waren das ziemlich
viele Leute, die für die Beschuldigten bürgten. Bis das Gegenteil bewiesen war,
galten sie also als unschuldig.
„Und wer soll es dann gewesen sein?“, forderte Griswold
zu wissen.
Doch niemand konnte ihm eine Antwort darauf geben, sodass es still wurde und es jetzt an Malah war, Blicken auszuweichen.
„Habt ihr
schon einmal daran gedacht, dass die Fälle gar nicht zusammenhängen könnten?“,
meldete sich Isaac schließlich als Erster wieder zu Wort und hatte damit sofort die Aufmerksamkeit aller auf sich. „Nun, es ist sehr wahrscheinlich, dass die Anführerin eines Stammes
wohl entführt wurde. Aber die
Anderen: Haben sie jemals Tendenzen dazu gehabt, fortzulaufen? Hatten sie in
letzter Zeit Probleme? Oder haben sie davon geredet, in die Ferne ziehen zu
wollen?“
„Warum sollte
meine Giselinde weglaufen?“
„Das kommt in
den besten Familien vor. Ich spreche aus Erfahrung. Auch mir ist mein Sohn über
Nacht einfach davongelaufen. Und meine Tochter – die, die verschwunden ist – hat
schon immer davon geträumt, durch die Welt zu reisen. Vielleicht sind sie ja alle einfach zusammen fortgelaufen.“
„Nur weil dir
das passiert ist, muss das nicht überall passieren“, tat Reinard ab. „Nefera
war meine Verlobte und wir wollten bald heiraten.“
Isaac hob eine Augenbraue, verkniff es sich aber,
anzumerken, dass Heirat oft der Grund
für junge Leute war, von Zuhause wegzulaufen. Vor allen Dingen ungewollte
Hochzeiten. Vor allen Dingen bei Frauen, die nicht gefragt wurden und deren
Meinung in den Augen viel zu vieler Männer sowieso nicht zählte. Wie er es
einschätzte, waren dieser Reinard und dieser Griswold zwei Prachtexemplare von
genau dieser Sorte Mann. Sie würden es wahrscheinlich niemals auch nur in
Betracht ziehen, dass die beiden Frauen nicht doch einfach weggelaufen waren.
„Und Giselinde war mit mir verlobt“, mischte sich
plötzlich Alek geschlagen ein. „Ich hab sie ja nicht gefragt, aber ich kann mir
nicht vorstellen, dass sie das wollte.“
Wofür er sich einen bitterbösen Blick von
Griswold einfing.
„Und Nefera –“
„Alek! Halt
endlich den Mund!“, ging Reinard ihn an.
„Was? Warum sollte ich? Verbann mich halt, wenn’s dir
nicht passt, dass ich rede! Ich leb lieber allein in der Wildnis, als mir den
Mund verbieten zu lassen! Nefera wollte dich nicht heiraten, das weißt du
genau!“
„Woher willst
ausgerechnet du das wissen?“, gab
Reinard bissig zurück.
„Ich hab mit
ihr geredet, im Gegensatz zu dir, deshalb. Und als ich sie fragte, ob sie dich
jetzt heiraten wird, sagte sie: „Muss ich ja wohl“. Hört sich nicht sehr
glücklich an, wenn du mich fragst.“
„Du bist nur
neidisch, weil du sie auch wolltest und sie mich gewählt hat.“
„Glaub doch,
was du willst, ist mir egal.“ Alek nahm den Blick von dem Anderen, sah fest in
die Runde. „Die beiden Frauen wollten frei sein, und Leif konnte nach dem Tod
seines Bruders keiner Fliege mehr was zuleide tun. Ihr alle habt das gesehen.
Es wäre lachhaft, zu behaupten, dass er die
Frauen entführt hat. Ich glaub viel mehr, dass er mit ihnen zusammen weggegangen
ist. Wahrscheinlich ist er einfach ein Reisender wie sein Vater.“
„Es wäre gut
möglich, dass meine Tochter sie vielleicht dazu angestiftet hat und mit ihnen
gegangen ist“, fügte Isaac zögerlich hinzu. „Es würde zu ihr passen.“
Reinard und Griswold sahen natürlich nicht so aus, als ob
sie das glauben würden. Aber es war Tenn, der sprach: „Das mag vielleicht für diese
drei gelten, aber was ist mit Roah?“
„Ich denke, dass es nur eine Möglichkeit gibt, das
herauszufinden“, ergriff Tann mit entschlossener Miene das Wort. „Wir müssen
uns endlich zusammenschließen und gemeinsam gegen die Räuber vorgehen. Wenn wir
ihr Lager stürmen, werden wir ja sehen, ob Roah und all die anderen dort sind
oder nicht.“
Tenn nickte,
nur Reinard sah verstimmt aus. Griswold wirkte auch nicht begeistert, aber weil er seine Tochter wiederhaben wollte, blieb ihm keine andere Wahl, als
mitzumachen. Also nickte auch er, und da gab sich Reinard schließlich geschlagen.
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Jetzt sind also auch Leif und die drei Mädchen verschwunden. Letztes Kapitel haben die vier ja schon damit geliebäugelt, die Gegend zu verlassen und scheinbar haben sie es durchgezogen. Oder doch nicht? Würden die vier wirklich einfach so weglaufen, ohne jemandem Bescheid zu geben? Oder sind sie vielleicht doch von den Räubern gefangen genommen worden? Wo ist Roah und was hat Nila jetzt eigentlich bei den Räubern zu suchen gehabt? Oder war auch das eine Lüge und er ist eigentlich völlig unschuldig? Aber warum sollte Roah sich so etwas ausdenken?
Nächstes Mal dann werden die vereinten "Streitkräfte" der Gegend jedenfalls gegen das Lager der Räuber vorgehen und dann werden vielleicht endlich ein paar dieser Fragen geklärt werden... oder auch nicht.
Bis dahin, danke fürs Vorbeischauen, bleibt gesund, und ich verabschiede mich! Bis zum nächsten Mal!
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