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Mittwoch, 24. Juni 2020

Kapitel 117 - Versammlung



Und das war noch nicht einmal alles. Als Leif einen ganzen Tag lang nicht heimkehrte, begannen sie nach ihm zu suchen, und sie mussten schnell feststellen, dass er nicht der Einzige war, der verschwunden war. Nefera und Giselinde waren ebenfalls nirgends zu finden, und natürlich war nach Roahs mysteriösem Verschwinden und Nilas mutmaßlichen Verbindungen zu den Räubern sofort das Gerücht im Umlauf, dass auch Leif etwas mit den Räubern zu tun haben könnte und er die beiden Frauen entführt hatte.
     Es muss nicht gesagt werden, dass Griswold da beinahe explodiert war, aber er hatte gegen die Übermacht seiner Nachbarn einfach nichts ausrichten können, also war es bei einem hässlichen Streit und noch hässlicheren Worten geblieben.


Da Malah noch immer unter den Folgen ihrer Verletzung litt, musste sie die Sache schweren Herzens erstmal einem Stellvertreter überlassen. Und so kam es, dass Tann, der vor Jahren die Würden des Stammesführers abgelegt hatte, sie erneut anlegte und am nächsten Tag mit einigen anderen zu einer Notfallversammlung aufbrach.


Sowohl Tenn, der zwischenzeitlich die Führung vom Zoth-Stamm übernommen hatte, als auch Griswold von den Hells und Reinard vom Ahn-Stamm, der als Vermittler auftreten sollte und der gleichzeitig auch klagte, dass man ihm seine versprochene Frau Nefera genommen hatte, waren schon anwesend, als sie an ihrem heiligen Versammlungsort am See eintrafen. Dort, wo Malah erst vor zwei Tagen niedergeschlagen worden war.


Als er das riesige, hölzerne Totem erreichte, das schon hier gestanden hatte, seitdem er sich erinnern konnte und unter dem die Stämme sich schon versammelt hatten, lange noch bevor er geboren worden war, richteten sich sofort wütende Blicke auf ihn.
     „Wo ist Malah?“, wollte Reinard mit grimmiger Miene wissen.
     Tann hatte noch nie mit dem neuen, jungen Anführer des Ahn-Stammes zu tun gehabt. Alle alten Oberhäupter, mit denen er früher zusammengearbeitet hatte, waren inzwischen abgetreten, und auch mit Tenn, der eigentlich immer ein ruhiger Mann gewesen war, der seit Roahs Verschwinden jedoch bitter geworden war, hatte er wenige Berührungsmomente gehabt. Es waren quasi alles Fremde vor ihm, wenn man von Griswold einmal absah.


Aber obwohl er in der Vergangenheit viele Fehler gemacht hatte, zweifelte er nicht an sich. Das durfte er auch gar nicht. Er war der Repräsentant des Uruk-Stammes und, Himmel, er war das älteste der Oberhäupter hier. Er hatte die Erfahrungen auf seiner Seite. Also trat er selbstbewusst in die Runde und nahm sich deutlich Zeit zum Antworten, nickte zuerst den drei Frauen vom Ältestenrat zu, die an der Seite saßen, und sah ringsum in die Gesichter.
     „Malah erholt sich noch immer von ihren Verletzungen, also hat sie mich gebeten, an ihrer Stelle herzukommen“, erklärte er schließlich mit fester, erhabener Stimme. „Da ich ein ehemaliger Stammesführer des Uruk-Stammes bin, werdet ihr mich als ihre Vertretung anerkennen müssen.“


„Jana hätte als Vertretung völlig gereicht“, zischte Reinard gereizt.
     Irgendwie konnte sich Tann des Eindrucks nicht erwehren, dass es Reinard gar nicht passte, dass ausgerechnet er hergekommen war.
     „Malah hat aber mich als ihren Vertreter bestimmt. Wenn du ein Problem damit hast, können wir die Versammlung gerne vertagen und du kannst dich persönlich bei ihr deswegen beschweren.“


„Das wird nicht nötig sein“, griff Tenn versöhnlich ein. „Es ist zwar ungünstig, dass Malah als Beteiligte in der ganzen Sache nicht zu Wort kommen kann, aber ich erkenne dich als ihren Vertreter an.“
     Auch die drei Ältesten gaben nickend ihre Zustimmung. Und damit war Reinard überstimmt.


„Und was macht der hier?“, knurrte Griswold in Isaacs Richtung.
     „Das muss ich auch fragen“, pflichtete ihm Reinard bei. „Das hier ist zwar keine reguläre Stämmeversammlung, aber er hat als Außenstehender nichts an unserer heiligen Stätte verloren!“
     „Seine Tochter ist ebenfalls verschwunden“, erklärte Tann ruhig. „Deshalb habe ich ihn gebeten, mit uns zu kommen.“
     Isaac wurde misstrauisch beäugt, aber wenn Tann die letzten Tage eines über den Fremden gelernt hatte, dann, dass er überaus redegewandt und charismatisch war. Das war auch ein Grund für ihn gewesen, ihn mitzunehmen.


Schon ihr erstes Treffen war sonderbar gewesen. Tann hatte sich seit ein paar Wochen schon merkwürdig aufgewühlt gefühlt. Eine innere Unruhe und Aufregung hatte von ihm Besitz ergriffen, die ihn sogar um den Schlaf gebracht hatte.
     Am Tag ihres ersten Treffens dann war es so schlimm geworden, dass er geglaubt hatte, es nicht mehr aushalten zu können. Deshalb war er nach draußen gegangen, hatte sich zum Grabhügel zurückgezogen, um sich zu beruhigen.


Da hatte mit einem Mal ein Fremder vor ihm gestanden, als wäre er aus dem Boden vor ihm gewachsen.
     „Hallo, ich bin Isaac“, hatte er gesagt, als hätte er genau nach ihm gesucht.


Und als Tann den ersten Schrecken überwunden und die Hand ergriffen hatte, die man ihm hingehalten hatte, um sie zu schütteln, hatte er bemerkt, dass er endlich – endlich! – Ruhe gefunden hatte.


Tann hatte ihm seinen Namen verraten, doch sie hatten danach kein Wort mehr miteinander gewechselt. Der Fremde namens Isaac war gegangen, sich wem anders vorzustellen, aber bei Tann hatte er irgendwie einen bleibenden Eindruck hinterlassen. 


Auch jetzt trat er bedeutungsschwer in die Runde, senkte demütig das Haupt und sagte: „Verzeiht mein Eindringen in eure altehrwürdigen und heiligen Gründe. Mein Name ist Isaac.“ Er legte die rechte Hand aufs Herz. „Ehre sei euren Göttern! Auf dass mein Schöpfer meine Zunge nur die Wahrheit sprechen lasse und mir das Haar auf der Stelle ausfalle, sollte ich auch nur ein Wort der Lüge von mir geben!“
     Es war bei ihm Zuhause wohl Brauch, dass sie bei Verhandlungen und sonstigen Schwüren so auftraten, wie sie geschaffen worden waren, aber man hatte ihn glücklicherweise dazu überreden können, die Kleidung anzubehalten und lediglich barhäuptig zu erscheinen.
     Tann war ja ein bisschen von ihm beeindruckt, musste er zugeben.


„Und was suchen die Weibsbilder und dieser Unruhestifter hier?“, knurrte Griswold die nächsten an, nachdem niemand mehr etwas zu Isaacs Anwesenheit zu sagen hatte.
     „Ich bitte dich darum, deine Zunge im Zaum zu halten! Das ist unsere ehrwürdige Schamanin und dies ist meine Schwester, die Mutter von Leif, der ebenfalls verschwunden ist. Und mein Enkel Nila wurde von Tenn hierher einberufen.“
     „Die Mutter hat hier nichts zu melden“, tat der Schmied ab. „Wenn der Vater nicht einmal für ihn sprechen will, ist er in Schande.“
     „Wulfgar würde sicherlich für seinen Sohn sprechen, aber wie du weißt, ist er momentan auswärts unterwegs.“


Als Griswold jetzt endlich ruhig blieb, neigte Tann das Haupt und begann die Begrüßungsformel zu rezitieren: „Ich erbiete euch im Namen des Uruk-Stammes Grüße! Mögen die Götter alle unsere Vorhaben mit Erfolg segnen!“
     Er nickte Jana zu, die ging, um die Opfergaben ins Feuer zu legen. Auch die anderen beiden Stammesführer gingen zu ihr, um ihr die mitgebrachten Opfergaben zu überreichen, die nacheinander und unter Janas etwas zu kräftigem Gesang im Feuer landeten. Bei den anderen Stämmen war das geistliche Oberhaupt und der Stammesführer schon immer in einer Person vereinigt gewesen, nur beim Uruk-Stamm war das anders. Deshalb hatte ihr Schamane bislang immer die rituellen Pflichten der Versammlungen wahrgenommen.
     Während die Opfergaben zischend in den Flammen vergingen, sagte niemand ein Wort. Erst als sich der süßliche, schwere Duft von Weihrauch zwischen ihnen ausbreitete, wurde die Versammlung eröffnet. Griswold sah da bereits so aus, als ob er mit seiner Geduld schon längst am Ende war.


Tann stand es als Ältester unter den Stammesführern zu, zuerst das Wort zu ergreifen. Er nickte Tenn zu. „Da du die Versammlung einberufen hast, gebührt dir die Leitung darüber.“
     „Danke. Ich habe euch heute hier zusammengerufen, um mit euch über das Verschwinden von diversen unserer Leute zu sprechen.“ Er konnte nicht verhindern, dass sich Betroffenheit auf sein Gesicht schlich. „Wie ihr wisst, ist meine Frau Roah vor zwei Tagen spurlos verschwunden, als sie Malah vom Uruk-Stamm um ein Treffen unter vier Augen ersuchte.“
      „Warum wusste ich nichts von diesem Treffen?“, unterbrach Reinard ihn wütend. „Geheime Treffen zwischen den Anführern der Stämme ohne Wissen aller sind verboten!“
      „Es ging um eine persönliche Angelegenheit, die ich ebenfalls gleich noch ansprechen möchte. Zunächst aber will ich wissen, ob Malah weiterhin behauptet, dass Roah nicht am Treffpunkt gewesen war, als sie eintraf, und man sie stattdessen niedergeschlagen hat.“ Er wartete Tanns Nicken ab. „Gut. Dann will ich noch anmerken, dass neben Roah auch Nefera von meinem Stamm verschwunden ist. Sie verschwand am selben Tag wie meine Roah. Und ich hörte, dass auch bei euch Leute verschwunden sind.“
     „Das stimmt. Unser Leif ist ebenfalls verschwunden.“


„Dieser Bastard hat meine Tochter Giselinde entführt!“, platzte Griswold ungehalten dazwischen.
     „Bitte halte dich mit Anschuldigungen zurück, bis wir alles besprochen haben“, rügte Tenn ihn unbeeindruckt, bevor er sich an Isaac wandte und ihn fragte: „Und deine Tochter ist ebenfalls verschwunden, Fremder?“


„Ja. Auch wenn ich hinzufügen möchte, dass es nichts Ungewöhnliches ist, dass meine Tochter mehrere Tage lang verschwindet, ohne Bescheid zu sagen.“
     „Dennoch war es gut, dass du hergekommen bist. Die Gegend ist, wie wir alle wissen, in letzter Zeit nicht mehr sicher“, sagte Tenn, und dann sah er zu Nila hinüber, der unter seinem Blick zusammenzuckte. „Was mich zu dem Grund für Roahs und Malahs Treffen bringt.“
     Tann wusste, was jetzt kommen würde, und das Schlimmste war, dass er es nicht verhindern konnte. Er konnte seinen Enkel nicht schützen.


„Roah hat Nila mit den Räubern zusammen gesehen, die in letzter Zeit die Gegend unsicher machen.“
     Da war es erstmal ruhig und alle fingen damit an, Nila anzustarren, der versuchte, grimmig auszusehen, was ihm aber nicht so recht gelang. Man sah ihm an der Nasenspitze an, dass ihm das ganze ziemlich unangenehm war und er gerade lieber ganz woanders gewesen wäre.


„Erst tötest du unsere Katze und jetzt lässt du unsere Frauen und Mädchen entführen?“, platzte Griswold letztendlich der Kragen.
     Im Folgenden ging er tatsächlich auf Nila los. Tann schob sich sofort dazwischen, auch Reinard, Isaac und sogar Jana setzten sich in Bewegung, um einzugreifen. Aber Tenn gelang es glücklicherweise auch allein, ihn zurückzuhalten.
     „Man sollte dich aufknüpfen, bevor du noch mehr Unheil anrichten kannst!“, rief der Schmied mit rotem Kopf, ruderte wütend mit der Faust.


Da erschien Jana vor ihm und warnte mit bedrohlicher Stimme: „Wag es nicht, die Götter zu beleidigen! Du bist an einem heiligen Ort!“
     Gewalt während der Versammlungen war strikt verboten. Vor allen Dingen an diesem Ort, an dem die Götter über sie wachten. Griswold sah sie giftig an, aber er war sich glücklicherweise bewusst, dass er in der Unterzahl war.
     „Beruhige dich, Griswold, und kehre an deinen Platz zurück, sonst muss ich bitten, die Versammlung zu verlassen“, pflichtete Tenn Jana bei.
     Griswold tauschte noch einen langen, wütenden Blick mit Tann, dann strich er aber die Segel und alle kehrten an ihre Plätze zurück.


„Was hast du dazu zu sagen, Nila?“, führte Tenn die Versammlung fort, als alle wieder dort waren, wo sie hingehörten.
     „Ich habe nichts mit den Räubern zu tun“, behauptete Nila eingeschüchtert, „und ich habe keine Ahnung, wo die alle abgeblieben sind.“
     Keiner glaubte ihm. Das sah man. Tann hatte lange überlegt, ob er anmerken sollte, dass Nila angeblich zur fraglichen Zeit bei einem Mädchen gewesen war, aber er hatte sich letztendlich dazu entschieden, erst einmal abzuwarten, wie sich die Sache entwickelte. Wenn er es nämlich anbrachte und herauskam, dass dieses Mädchen Nara war, würde das sicherlich Ärger mit dem Ahn-Stamm geben. Egal, ob es nun stimmte oder nicht, dass Nila sich dem hilflosen Mädchen genähert hatte.
     „Als ob dir irgendjemand glauben würde!“
     „Ich muss Griswold leider recht geben“, sagte Tenn ernst. „Dein schlechter Ruf spricht gegen dich, Nila.“
     „Dürfte ich sprechen?“
     „Du hast hier nichts zu sagen, Fremder!“, kam unverblümt von Griswold.


Doch Isaac ließ sich davon nicht beirren. Ruhig erklärte er: „Ich habe als Fremder in dieser Gegend natürlich nicht den Einblick, den ihr in diese Sache habt, aber vielleicht kann ich es deshalb auch neutraler beurteilen.“ Als Tenn ihm zunickte, fortzufahren, wies er auf Nila. „Ich frage euch: Wenn dieser junge Mann die Verschwundenen tatsächlich entführt hat – oder für ihre Entführung verantwortlich ist – warum ist er dann noch hier? Warum hat er nicht einfach das Geld genommen und ist auf und davon? Falls irgendwelche Fehden oder dergleichen zwischen ihm und den Verschwundenen bekannt sind, bitte ich natürlich um Aufklärung.“
     Er sah abwartend in die Runde, aber niemand sagte ein Wort. Selbst Griswold begnügte sich damit, seinen Unmut über Isaacs Einmischung nur offen auf seinem Gesicht zu zeigen.


„Wenn er es nicht war, war es dieser andere eurer Bastarde!“, konnte er es dann aber doch nicht lassen, einzuwerfen. „Der ist schließlich verschwunden! Dieser andere Hundesohn, dieser Krüppel, hat mir ja auch meine andere Tochter genommen!“
     Lulu gab einen erschrockenen Laut von sich und Jana sah aus, als ob sie sich doch nochmal überlegte, ihre eigenen Regeln bezüglich Gewalt an heiligen Orten zu überdenken, dafür, dass man ihren Sohn Alistair beleidigt hatte. Da wusste Tann, dass es an der Zeit war, einzuschreiten. 
     Aber bevor er das tun konnte, tauchte plötzlich und unvermittelt Malah auf und ihr Auftauchen verhinderte weitere Ausschreitungen.


Sie war in ihrer Arbeitskleidung und sie sah noch immer nicht ganz gesund aus. Alek, der bei ihr war, musste sie auch beim Gehen stützen. Der Angriff hatte sie schwerer erwischt, als sie gedacht hatten.
     „Entschuldigt mein Eindringen!“, begann sie, warf einen Blick zu Tann, der sich nicht anmerken ließ, dass sie sich gerade einen riesigen Fauxpas damit leistete, indem sie herkam und seine Autorität als derzeitiger Stammesführer mächtig untergrub. „Entschuldige, Großvater, ich will dir keine Schande bereiten, aber ich musste einfach herkommen. Schon allein, weil ich an der ganzen Sache beteiligt bin.“ Souverän blickte sie in die Runde. „Weil ich ebenfalls beschuldigt wurde.“
     Reinard wich ihrem Blick aus, aber Tenn hielt ihm stand. Er hatte nicht hinterm Berg damit gehalten, dass er Malah zutraute, für Roahs Verschwinden verantwortlich zu sein, und Reinard hatte ihm nicht widersprochen. Um zu vertuschen, dass ihr Bruder mit den Räubern zu tun hatte. Die Anderen hatten es zwar nicht ausgesprochen, doch es machte inzwischen immer mehr das Gerücht die Runde, dass der Uruk-Stamm selber die Räuber hergelockt hatte, um die anderen Stämme unter seine Kontrolle zu bringen. Oder zumindest, um sich als Beschützer aufzuspielen und die Anderen von ihrem Schutz abhängig zu machen.
     „Du musst dich zu dieser Sache nicht noch einmal äußern, Malah“, sagte Tenn ihr. „Das hat Tann bereits für dich getan.“


„Ich will es aber. Ich will euch allen versichern, dass weder ich noch mein Stamm etwas mit dem Verschwinden von Roah, Nefera, Gil, Mari und Leif zu tun haben. Dafür bürge ich.“
     „Dein Wort ist nichts wert“, spuckte Griswold verächtlich aus.
     „Hüte deine Zunge, Griswold!“, warnte Tann ihn. „Auch ich, als momentanes Oberhaupt des Uruk-Stammes, gebe euch mein Wort. Ich bürge für Nila, Malah, Leif und alle meine Stammesmitglieder, dass sie nichts mit dem Verschwinden der Leute zu tun haben.“
     Das Wort eines Stammesführers war gleichbedeutend mit dem Wort aller seiner Stammesmitglieder. Und da der Uruk-Stamm der größte Stamm in der Gegend war, waren das ziemlich viele Leute, die für die Beschuldigten bürgten. Bis das Gegenteil bewiesen war, galten sie also als unschuldig.


„Und wer soll es dann gewesen sein?“, forderte Griswold zu wissen.
     Doch niemand konnte ihm eine Antwort darauf geben, sodass es still wurde und es jetzt an Malah war, Blicken auszuweichen.
     „Habt ihr schon einmal daran gedacht, dass die Fälle gar nicht zusammenhängen könnten?“, meldete sich Isaac schließlich als Erster wieder zu Wort und hatte damit sofort die Aufmerksamkeit aller auf sich. „Nun, es ist sehr wahrscheinlich, dass die Anführerin eines Stammes wohl entführt wurde. Aber die Anderen: Haben sie jemals Tendenzen dazu gehabt, fortzulaufen? Hatten sie in letzter Zeit Probleme? Oder haben sie davon geredet, in die Ferne ziehen zu wollen?“
     „Warum sollte meine Giselinde weglaufen?“
     „Das kommt in den besten Familien vor. Ich spreche aus Erfahrung. Auch mir ist mein Sohn über Nacht einfach davongelaufen. Und meine Tochter – die, die verschwunden ist – hat schon immer davon geträumt, durch die Welt zu reisen. Vielleicht sind sie ja alle einfach zusammen fortgelaufen.“
     „Nur weil dir das passiert ist, muss das nicht überall passieren“, tat Reinard ab. „Nefera war meine Verlobte und wir wollten bald heiraten.“


Isaac hob eine Augenbraue, verkniff es sich aber, anzumerken, dass Heirat oft der Grund für junge Leute war, von Zuhause wegzulaufen. Vor allen Dingen ungewollte Hochzeiten. Vor allen Dingen bei Frauen, die nicht gefragt wurden und deren Meinung in den Augen viel zu vieler Männer sowieso nicht zählte. Wie er es einschätzte, waren dieser Reinard und dieser Griswold zwei Prachtexemplare von genau dieser Sorte Mann. Sie würden es wahrscheinlich niemals auch nur in Betracht ziehen, dass die beiden Frauen nicht doch einfach weggelaufen waren.


„Und Giselinde war mit mir verlobt“, mischte sich plötzlich Alek geschlagen ein. „Ich hab sie ja nicht gefragt, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das wollte.“
     Wofür er sich einen bitterbösen Blick von Griswold einfing.
     „Und Nefera –“
     „Alek! Halt endlich den Mund!“, ging Reinard ihn an.


„Was? Warum sollte ich? Verbann mich halt, wenn’s dir nicht passt, dass ich rede! Ich leb lieber allein in der Wildnis, als mir den Mund verbieten zu lassen! Nefera wollte dich nicht heiraten, das weißt du genau!“
     „Woher willst ausgerechnet du das wissen?“, gab Reinard bissig zurück.
     „Ich hab mit ihr geredet, im Gegensatz zu dir, deshalb. Und als ich sie fragte, ob sie dich jetzt heiraten wird, sagte sie: „Muss ich ja wohl“. Hört sich nicht sehr glücklich an, wenn du mich fragst.“
     „Du bist nur neidisch, weil du sie auch wolltest und sie mich gewählt hat.“
     „Glaub doch, was du willst, ist mir egal.“ Alek nahm den Blick von dem Anderen, sah fest in die Runde. „Die beiden Frauen wollten frei sein, und Leif konnte nach dem Tod seines Bruders keiner Fliege mehr was zuleide tun. Ihr alle habt das gesehen. Es wäre lachhaft, zu behaupten, dass er die Frauen entführt hat. Ich glaub viel mehr, dass er mit ihnen zusammen weggegangen ist. Wahrscheinlich ist er einfach ein Reisender wie sein Vater.“
     „Es wäre gut möglich, dass meine Tochter sie vielleicht dazu angestiftet hat und mit ihnen gegangen ist“, fügte Isaac zögerlich hinzu. „Es würde zu ihr passen.“


Reinard und Griswold sahen natürlich nicht so aus, als ob sie das glauben würden. Aber es war Tenn, der sprach: „Das mag vielleicht für diese drei gelten, aber was ist mit Roah?“


„Ich denke, dass es nur eine Möglichkeit gibt, das herauszufinden“, ergriff Tann mit entschlossener Miene das Wort. „Wir müssen uns endlich zusammenschließen und gemeinsam gegen die Räuber vorgehen. Wenn wir ihr Lager stürmen, werden wir ja sehen, ob Roah und all die anderen dort sind oder nicht.“
     Tenn nickte, nur Reinard sah verstimmt aus. Griswold wirkte auch nicht begeistert, aber weil er seine Tochter wiederhaben wollte, blieb ihm keine andere Wahl, als mitzumachen. Also nickte auch er, und da gab sich Reinard schließlich geschlagen.
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Jetzt sind also auch Leif und die drei Mädchen verschwunden. Letztes Kapitel haben die vier ja schon damit geliebäugelt, die Gegend zu verlassen und scheinbar haben sie es durchgezogen. Oder doch nicht? Würden die vier wirklich einfach so weglaufen, ohne jemandem Bescheid zu geben? Oder sind sie vielleicht doch von den Räubern gefangen genommen worden? Wo ist Roah und was hat Nila jetzt eigentlich bei den Räubern zu suchen gehabt? Oder war auch das eine Lüge und er ist eigentlich völlig unschuldig? Aber warum sollte Roah sich so etwas ausdenken?

Nächstes Mal dann werden die vereinten "Streitkräfte" der Gegend jedenfalls gegen das Lager der Räuber vorgehen und dann werden vielleicht endlich ein paar dieser Fragen geklärt werden... oder auch nicht.

Bis dahin, danke fürs Vorbeischauen, bleibt gesund, und ich verabschiede mich! Bis zum nächsten Mal! 

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