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Mittwoch, 5. Juni 2019

Kapitel 89.1 - Das zweite Junggesellenfest Teil 1

WARNUNG: Diese beiden Kapitel beinhalten Nila, von dessen mehr als unangemessener Wortwahl ich mich ebenso distanzieren möchte, wie von seinen respektlosen und kriminellen Handlungen.


Die nächste Zeit wurde die Hitze beinahe unerträglich. Die Sonne schien jeden Tag erbarmungslos an einem fast wolkenlosen Himmel und da der Regen seit Wochen ausgeblieben war und noch immer auf sich warten ließ, schwanden auch ihre Wasservorräte zusehends. Bald schon mussten sie es rationieren, weswegen Malahs Übernahmefest erneut verschoben wurde.
     Viel schlimmer für die junge Generation war jedoch die Nachricht, dass der Zoth-Stamm wegen der anhaltenden Hitze und Wasserknappheit das kommende Junggesellenfest ausfallen lassen könnte. Obwohl es nur einmal stattgefunden hatte, erfreute es sich bereits allgemeiner Beliebtheit und es war sogar über ihr Tal hinaus bekannt geworden.


Deshalb entschied sich der Zoth-Stamm schließlich dafür, es doch stattfinden zu lassen.


Tanja, die schon das letzte Mal zu Gast gewesen war, beehrte das Fest auch diesmal wieder mit ihrer üblich wütenden Anwesenheit. Glücklicherweise war diesmal aber ja jemand da, um sich anzuhören, was ihren Unmut so erregt hatte.
      „Bei aller Liebe, dass jetzt schon Geschwister miteinander anbändeln!“, sagte sie mit Blick auf Jade und Wotan, die sich gerade vor ihr auf der Tanzfläche drehten, während sie am Rand stand und noch immer nicht tanzte.


„Wotan hat nichts mit seiner Schwester.“
      Wirt, der bislang schweigend neben ihr gestanden hatte, fing sich nun einen wütenden Blick von ihr, der nicht ihm galt. Er sprach ja nicht oft von sich aus und deshalb war sie jedes Mal froh, wenn er es doch tat. Dann fühlte sie sich als etwas Besonderes.  
     „Und das weißt du so genau, weil?“
     „Er erzählt dauernd von seinen Frauen.“
     „Frauen?“ Tanja lachte abfällig. „Als ob sich auch nur eine Frau für den interessiert!“
     „Er hatte schon mehr Frauen, als ich zählen kann.“


Tanja wollte etwas sagen – sie wollte nicht, dass ihr Gespräch erlahmte – aber da kam plötzlich eine Frau an. Sie blieb vor Luis stehen, der sich dreist neben sie gestellt hatte und wie gewohnt vor sich hinstarrte und kein Wort sagte. Als wäre er gar nicht da.
     „Ähm… möchtest du vielleicht tanzen?“, fragte sie zögerlich.
     Der Angesprochene antwortete ihr nicht. Wahrscheinlich bekam er gar nicht mit, dass sie ihn meinte.
     „Sie redet mit dir, Luis, du Blindfisch!“, half Tanja ihm freundlicherweise auf die Sprünge.


Luis zuckte ertappt zusammen, versuchte dann, ein Lächeln aufzusetzen und den Kopf dorthin zu drehen, wo die fremde Stimme hergekommen war. Was ihm nicht so gut gelang.
     „Tut mir leid, aber ich bin nicht auf der Suche“, stotterte er hastig.


Die Frau warf daraufhin einen Blick zu Wirt, was Tanja dazu brachte, ihr angriffslustig die Zähne zu zeigen. Sie war von jenseits des Tals und sie war schon ein bisschen älter und konnte ihr nicht das Wasser reichen, fand Tanja, aber sie sollte trotzdem nicht auf dumme Gedanken kommen. 
     Die Fremde bemerkte die kaltblütige Ausstrahlung der anderen Frau zu ihrem Glück und zog daraufhin ohne ein weiteres Wort zu sagen von Dannen.


„Wenn du nicht auf der Suche bist, warum bist du dann überhaupt hier?“, fauchte Tanja in Richtung des Störenfriedes, kaum, dass die Frau abgedreht war. Sie hatte wirklich keine Lust, dass er noch mehr verzweifelte Frauen anlockte.
     „Weil meine Mutter mich darum gebeten hat.“
     Sie hatte ihn eher gezwungen, genauso, wie sie Leif gezwungen hatte. Luis hatte überhaupt nicht herkommen wollen, aber sein Vater hatte gesagt, dass er sich doch mal ein Bild von den Festen der anderen Stämme machen sollte. Als Schamane würde er später schließlich viele dieser Feste besuchen. 
     Also war er gegangen, aber er hatte weiterhin kein Interesse daran, sich eine Frau zu suchen. Es war nicht so, dass er sich keine wünschte, aber er wusste, dass er in seiner Situation nie mit einer Frau zurechtkommen würde. Deshalb hatte er sich zur Devise gemacht, dass er das, was er nicht kannte, nicht vermissen würde, und er hatte sich vorgenommen, allein zu bleiben.
     „Ja, was auch immer“, fuhr Tanja überaus genervt fort. „Aber warum bist du hier? Deine komische Du-heit verscheucht alle guten Männer. Kein Wunder, dass keiner herkommt, um mich zum Tanz aufzufordern.“


Luis dachte sich: ‚Dass keiner herkommt, dafür sorgst du schon selber‘, aber er sagte es ihr natürlich nicht. 
     Außerdem war die Frage doch eher, warum Tanja hier war. Immerhin hatte sie doch Wirt. Aber scheinbar hielt sie sich noch immer für zu gut für ihn. Luis fragte sich wirklich, wie Wirt es mit ihr aushielt, ohne schreiend davonzulaufen.


„Komm, Wirt!“, hörte er sie ihren Begleiter herumkommandieren, als wäre er ein Hund. „Lass uns woanders hingehen. Weg von dieser Langweiler-Aura, die der da ausstrahlt.“
     Luis war sich ziemlich sicher, dass die beiden bald zusammen auf der Tanzfläche stehen würden. Weil „alle anderen zu dämlich waren, um ihre Großartigkeit zu erkennen“, würde Tanja dann wahrscheinlich sagen.
     Doch er war froh, als sie endlich weg waren und er wieder allein sein konnte.


Als Jade beschloss, dass ihre Füße es nicht länger aushalten würden, mit ihrem Bruder zu tanzen, beendeten die beiden Geschwister ihren beinahe einstündigen Tanz und sie sah zu, dass sie hastig zu den anderen Mädchen floh, die noch immer (ohne zum Tanz aufgefordert worden zu sein) am Rande standen.
      Jade hatte überhaupt erst mit ihrem Bruder getanzt, um den andauernden Avancen der anderen Jungs zu entkommen. Sie war hier heißbegehrt, das war ihr schon klar, und ihr war auch klar, dass sie irgendwann einen der ortsansässigen Jungen heiraten würde und es nur noch eine Frage war, wer es sein würde. Aber sie wollte es sich lieber nicht mit den anderen Mädchen verscherzen. Sie empfingen sie schon jetzt mit giftigen Blicken. Naja, eigentlich nur Gabriela und Mai, die sich inzwischen für die Königinnen der Gegend hielten, nachdem Jade sich dazu entschlossen hatte, es nicht sein zu wollen. Nio stand wie immer daneben und starrte nur Löcher in die Luft.


„Seht euch an, wer da ankommt“, kam von Mai mit einem selbstgefälligen Grinsen, als sie fertig war, Jade mit Missbilligung zu löchern. „Ziegela und ihr Bruder.“
     Ziegela war eine Mischung aus Ziege und Gisela. Gisela und Mai waren sich ziemlich ähnlich, wenn es darum ging, sich für das Beste der Welt zu halten. Aber trotzdem taten sie so, als wären sie die besten Freundinnen, wenn sie zusammen waren. Gabriela, die zusammen mit Mai auch eingebildet hoch zehn war, gackerte jetzt, nur Nio schüttelte den Kopf. Sie war ein bisschen anständiger, aber dennoch sagte auch sie nie etwas gegen die Freundinnen.


Als die beiden Hell-Schwestern dann ankamen, begrüßte Mai Gisela entsprechend falsch überschwänglich, während Giselinde vollkommen ignoriert wurde. Das ging meistens so.
      „Und? Schon viele Heiratsanträge heute bekommen?“, fragte Gisela zuckersüß, als sie fertig mit ihrer heuchlerischen Begrüßung waren.
     Mai verdrehte die Augen. „Von wem denn? Es sind ja nur Idioten hier.“


„Ach, du wartest doch bloß darauf, dass Malahs Bruder dir Aufwartungen macht.“ 
     „Sag mal, willst du mich etwa beleidigen?“
     Nila galt als der am wenigsten begehrenswerte Junggeselle der Gegend. Jade war sich ziemlich sicher, dass sie nicht mal seinen Namen kannten.
     „Das würde ich doch nie machen“, meinte Gisela zufrieden grinsend.
     „Natürlich nicht.“ Mai erwiderte das Grinsen überlegen. „Aber keine Sorge, vielleicht kommt er ja noch für dich rum.“ 
      Wofür sie einen bösen Blick von Gisela kassierte, den sie großzügig ignorierte.


„Ich werde später jedenfalls noch mit Nero tanzen“, war sich Mai jetzt sicher.
     Nero wiederum galt als einer der begehrtesten Junggesellen weit und breit. Jedes Mal, wenn die Jungs ihre Wettstreite abhielten, ging er als Sieger hervor. Zudem machte seit kurzem das unsinnige Gerücht die Runde, dass er als Rahns Sohn die Führung über den Zoth-Stamm übernehmen würde, weil Nio das nicht tun wollte, wie alle wussten.
     Er war bei den Mädchen jedenfalls so beliebt, dass Mai sogar schon rübergegangen war, um ihn anzusprechen. Aber sie hatte sich eine Abfuhr von ihm eingehandelt. Nur, dass sie das natürlich nicht einsah und auch niemals gegenüber Gisela zugeben würde, die es wohl ebenfalls auf ihn abgesehen hatte, so, wie sie jetzt aussah. Jade tat er jedenfalls leid, dass er sich mit all den schrecklich überheblichen Zicken rumschlagen musste, die sie Freunde nannte.


Gisela behauptete also, dass Nero natürlich mit ihr tanzen würde, beide Mädchen grimmten sich eine Weile an, bis sie dazu übergingen, die anderen Jungs zu beurteilen. Von Nila, den sie widerlich, hässlich und widerlich fanden, zu Leif, der langweilig war. Lin, für den Jade wohl bestimmt war, wenn es nach Mai ging. Wolfmar, über den ganz schön herzogen wurde („Also tut mir ja leid, Gabi, aber dein Bruder ist einfach unmöglich“). Alistair, bei dem es eine Verschwendung war, dass er nicht laufen konnte und zu dem Gisela ausnahmsweise mal nichts zu sagen hatte. Wotan, zu dem Mai ja auch nicht nein sagen würde (was Gisela überhaupt nicht verstehen konnte) und natürlich Nero, von dem sie alle ganz begeistert waren. Über die Älteren wurde sich natürlich auch das Maul zerrissen. Vor allen Dingen Alek kam ganz schön übel weg. Er rangierte irgendwo zwischen Nila und Leif, wurde letztendlich aber doch noch vorletzter.
     Jade jedenfalls hatte zu all dem nichts zu sagen, obwohl sie ja vieles hätte sagen wollen. Sie hasste das so sehr, und sie hasste es, wie die anderen Mädchen waren.


„Ihr seid ganz schön oberflächlich, wisst ihr das?“, mischte sich plötzlich Giselas Schwester ein und sprach damit aus, was Jade dachte. „Wenn ihr so weitermacht, werdet ihr nie jemanden finden.“
     Sofort bekam Giselinde, die nur noch Gil genannt werden wollte, böse Blicke ab. Normalerweise sagte sie kaum je ein Wort, wenn sie ihre Schwester begleitete, aber seitdem Ragna gestorben war, war sie ziemlich direkt geworden.
     Mai rümpfte die Nase. „Was willst du denn? Wenn jemand keinen Mann kriegt, dann bist höchstens du das!“
     Gisela sah aus, als würde sie auf die Barrikaden gehen. Auf ihre Zwillingsschwester ließ sie nach wie vor nichts kommen. Aber das war gar nicht nötig, da Gil vollkommen unbeeindruckt blieb und klarstellte: „Ich will das ja auch gar nicht.“
      Die anderen Mädchen starrten sie ungläubig an, nur Gisela sah irgendwie unglücklich aus. Jade haderte mit sich, ob sie einfach nur betroffen oder wütend sein sollte. Sie wusste, dass sie nichts dazu sagen würde, aber sie wusste auch, dass sie irgendwann einen Mann heiraten würde, den sie wahrscheinlich gar nicht haben wollte. Weil das ihre Aufgabe war. Alle erwarteten das von ihr.


„Und was ist, wenn du irgendwann keine andere Wahl hast?“, entwich es ihr schließlich doch, bevor sie sich stoppen konnte.
     Da starrte Gil sie plötzlich an und Jade erkannte, dass sie nicht wusste, was sie darauf antworten sollte.


Aber bevor eine der beiden in die Verlegenheit kam, antworten zu müssen, fand Lin sie schließlich doch noch, um ihr den Hof zu machen. Wie seine Schwester Mai es erwartete, würde er es wahrscheinlich sein, der eines Tages ihr Mann werden würde. Die einzige Wahl, die sie hatte, war, ob sie ihn oder Wolfmar nehmen würde. Sie wollte keinen von beiden, aber sie wollte auch nicht wie Rahn verenden und allein bleiben, nur weil sie auf den Richtigen wartete.


Derweil war Wotan zu den Jungs zurückgegangen, von denen aber nur noch Leif und Alistair übrig waren. Alistair saß unverrückt auf seiner Bank, wie schon seit Stunden, und auch Leif hatte sich scheinbar keinen Millimeter weit bewegt. 
     „Na, ihr Langweiler?“, rief er ihnen zu. „Was macht ihr denn hier noch immer allein? Geht raus da und schnappt euch wen!“
     „Wir sind nicht alle so beliebt wie du oder Nero“, sprach Alistair ernüchtert, bevor er fassungslos zu dem Jüngsten des Uruk-Stammes sah, der in der Ferne noch immer von den Mädchen belagert wurde.


„Mann, schau dir das mal an, der hat so ein Glück und weiß gar nichts damit anzufangen. Der ist ja total überfordert.“
     „Vielleicht mag er ja keine Frauen“, mutmaßte Wotan.


„Er ist nur schüchtern und unerfahren, das ist alles“, erklärte Leif in seiner gewohnt ruhigen Art. „Er wollte eigentlich nicht mal mitkommen. Er hat noch gar kein Interesse an sowas.“
     Wotan lachte. „Jeder Mann hat doch Interesse an den Frauen.“
     „Nein, ich nicht. Dieser ganze Heiratskram interessiert mich nicht. Ich will allein bleiben.“
     „Ach, komm schon! Als ob du nicht mal gerne willst.“
     „Nicht alle ticken so wie du.“


Da mischte sich plötzlich Nefera ein, die bislang unweit entfernt gestanden und auf Reinard gewartet hatte. „Oh? Das sind aber ganz neue Töne. Ich habe bislang nämlich nur Männer getroffen, die wie Wotan waren. Auch wenn sie behaupteten, nicht so zu sein.“


„Ihr tut immer alle so, als ob dieser ganze Partnerkram das Wichtigste und Einzige auf der Welt ist“, brach es aus Leif heraus, aber das ist es nicht... das ist es nicht“, wiederholte er bitter, bevor er sich abwandte und davonging. „Es gibt so viel wichtigere Dinge im Leben…“


„Was ist denn mit dem los?“, fragte Nefera überrumpelt.
     „Er hat seinen kleinen Bruder verloren“, erklärte Alistair ihr traurig, „und er gibt sich die Schuld daran. Ich glaube, dass er sich seitdem nicht mehr erlaubt zu leben.“


Sie waren alle betroffen am Schweigen, bevor Wotan die Stille zerbrach und sagte: „Hey, Nefera, hast du Reinard endlich in den Wind geschossen?“
      Nefera würdigte ihn nicht einmal einer Antwort. Wie Leif zuvor, ging auch sie einfach davon.


„Was mit dir eigentlich?“, fragte Wotan jetzt an Alistair gewandt. „Du warst doch vorhin noch der Renner bei den Mädchen.“
     „Mein Pferd war eher der Renner. Ich war nur Beiwerk und als sie gesehen haben, dass ich nicht laufen kann, war ich so uninteressant wie ein Kuhfladen.“ Er seufzte. „Ich hätte es eigentlich wissen müssen. Ich hätte lieber zuhause bleiben sollen. Das hat ja eh keinen Sinn. Wer will schon einen Mann, der nicht laufen kann?“
     „Na, lass mal nicht den Kopf hängen! Ich zeig dir schon, wie du bei den Mädels ankommst.“


Das war, bevor er bemerkte, dass sich Lin an seine Schwester Jade ranmachte. Da war Alistair ganz schnell vergessen.
     „Und damit bin ich wieder raus“, meinte der bitter.
     „Nah! Warte kurz!“


Wotan sah sich um und als er seine beiden anderen Schwestern entdeckte, rief er laut: „He! Gil! Gisa! Kommt mal her!“
      Gisela schaute böse, aber beide Schwestern kamen trotzdem.
      „Warte! Das sind doch auch deine Schwestern!“, merkte Alistair erschrocken an, als er das sah.
     „Ja, aber bei denen habe ich eher Angst, dass sie dich auffressen.“
     „Aber…“


Weiter kam er nicht, da beide Mädchen in diesem Moment vor ihnen zum Stehen kamen. Gisela scheinbar nur, um ihren Bruder von nahem mit ihrem vernichtenden Blick zu bedenken.
     „Was? Warum sprichst du uns hier an?“, fauchte sie patzig.
     „Ich muss mal kurz wen verprügeln gehen. Warum setzt ihr euch nicht ein bisschen zu Alistair und unterhaltet euch mit ihm, hm?“


Dann ging er einfach weg und ließ Alistair allein mit seinem Untergang. Er versuchte, beruhigend zu lächeln, als die Blicke der Mädchen nun ihn trafen, aber er befürchtete, sich demnächst nass zu machen, wenn das so weiterging. Wenn er nur weglaufen könnte!
     „Was zum Kuckuck denkt sich Wotan dabei, uns mit dem da allein zu lassen?“, begann Gisela den Beschuss trotzdem.


Und was sie dann sagte, traf ihn mitten ins Herz. „Wer will schon einen Mann haben, der nicht laufen kann?“
     „Gisela!“
     „Ist doch wahr! Der ist total nutzlos.“
     Es war zwar dasselbe, was er schon selber gedacht hatte, aber dennoch traf es Alistair doppelt so schwer, es aus dem Mund einer anderen Person zu hören. Vor allen Dingen das von Gisela zu hören war hart. Er wusste, dass sie alle so dachten, aber niemand hatte es je gewagt, ihm das auch ins Gesicht zu sagen. 
     Und er konnte nichts anderes tun, als betroffen darüber auszusehen.


Nila war auch mit den anderen Jungs zum Fest gekommen, aber im Gegensatz zu Leif und Alistair war er sofort zum Angriff auf die arglosen Frauen übergegangen. Nur, dass die scheinbar nichts von ihrem Glück wissen wollten.
     „Wer bist du denn überhaupt?“, meinte gerade eine von denen, die sich glücklich schätzen konnten, dass er sie überhaupt ansprach. Es war eine von denen aus dem Dorf jenseits des Tals.
     „Der zukünftige Anführer vom größten Stamm dieser Gegend, das bin ich“, erklärte er großspurig.


„Da habe ich aber etwas anderes gehört. Malah soll doch den Uruk-Stamm übernehmen.“
     „Ja, aber sie wird ihn nicht lange anführen“, sagte er. „Ich werde mir die Stammesführung von ihr nehmen.“
     „Und warum machst du das nicht jetzt schon?“, mischte sich ihre immerhin besser aussehende Freundin ein. „Hast du Angst, nicht gegen Elrik anzukommen, oder was, und musst warten, bis du deine Schwester herausfordern kannst?“
     Und die Erste: „Ziemlich armselig. Und gutaussehend bist du auch nicht mal.“
     „Wer will schon einen wie dich haben?“


Sie ließen ihn lachend stehen, und Nila konnte es nicht fassen. Es war nicht das erste Mal, dass ihm heute sowas passiert war. Er hatte eigentlich fast alle Frauen gefragt, die hier waren, selbst die, die er eigentlich nicht hatte fragen wollen, aber sie alle hatten ihn, mal mehr und mal weniger freundlich, abgewiesen. Nicht wenige von ihnen hatten auf seinem schlechten Ruf oder darauf herumgehackt, dass er sich nicht traute, gegen seinen Vater anzutreten. Dabei wollte er nur warten, bis Malah Stammesführerin war, um es ihr so richtig zu zeigen. Seinem Vater die Führerschaft zu entreißen würde einfach keinen Spaß machen.
     Die Frauen hier waren alle das Letzte. Sie wussten gar nicht, was ihnen entging. Welche Ehre sie überhaupt hatten, dass er sich dazu herabließ, mit ihnen zu reden. Ja, eigentlich sollten sie ihm die Füße küssen und ihn darum betteln, sie zu nehmen. Vielleicht sollte er sich einfach nehmen, was er wollte. 
     Doch als er sich umsah, erkannte er, dass es hier dafür zu viele Zuschauer gab.


Also ließ er es bleiben und ging stattdessen zu den einzigen Frauen, die er noch nicht mit seiner Anwesenheit beehrt hatte. Gisela und Giselinde. Und als er sie erreichte, tat er das in dem Moment, in dem Gisela Alistair als nutzlos bezeichnete, und als er das hörte, wurde er erst so richtig wütend. 
     Wie konnten sie es wagen, sich so aufzuspielen? Sie sollten mal lieber schnell erkennen, wo ihr Platz war!


„Und wer will dich bitte haben?“, mischte er sich ein. Gisela sah sofort eingeschüchtert aus, nur ihre Schwester erwiderte seinen Blick trotzig. Er bedachte beide Schwestern nacheinander mit einem Blick. „Ich weiß nicht mal, wen von euch beiden ich weniger haben wollen würde.“ Er blieb bei Gisela hängen. „Wahrscheinlich dich, du Vogelscheuche. Du solltest froh sein, wenn dich überhaupt jemand mit dem Arsch ansieht.“


Im nächsten Moment stand Gil plötzlich vor ihm und hatte die Frechheit, ihn anzupacken. „Pass auf, was du da sagst!“, knurrte sie bedrohlich.
     Nila erwiderte ihren Blick eiskalt. „Was willst du denn? Dich sollte mal lieber jemand richtig rannehmen, damit aufhörst, dich wie ein Kerl aufzuführen.“


Bevor er sich versah, hatte sie ihm ihre Faust ins Gesicht geschlagen. Er ging ohne jede Gegenwehr zu Boden. Aber es war nicht seine Wange, die sie getroffen hatte, die am meisten schmerzte, sondern sein verletzter Stolz. Sie hatte ihn geschlagen! Eine Frau hatte es gewagt, ihn zu schlagen! 
     Er verlor jegliche Selbstbeherrschung daüber.
     „Du miese Kleine!“, schäumte er. „Glaubst du etwa, ich werde dich nicht anfassen, weil du eine Frau bist, hä?“


Im nächsten Moment hatte er Gil überwältigt und sie am Boden festgenagelt. Gisela gab einen erschrockenen Laut von sich und selbst Nyota, die bislang unbeteiligt hinter ihrem Bruder gesessen hatte, machte Anstalten, einzuschreiten. Aber da gelang es Gil, die Knie so weit anzuziehen, dass sie ihrem Angreifer einen Tritt zwischen die Beine verpassen konnte, woraufhin er sofort von ihr abließ.


Nila war jetzt eine ganze Weile lang nur damit beschäftigt, den Schmerz in den Griff zu bekommen, der zwischen seinen Lenden brannte, während alle anderen erstarrt waren. Nur Gil hatte Abwehrstellung vor ihm bezogen, jederzeit bereit, sich sofort gegen ihn zu verteidigen.


„Du bist genauso, wie Mutter gesagt hat“, war es schließlich Gisela, die als erste ihre Stimme wiederfand. Voll Angst und Abscheu sagte sie: „Du hast dasselbe böse und verdorbene Blut, das auch Großvater gehabt hat. Ihre Augen waren voller Angst und Abscheu, als sie Nila nun ins Gesicht sagte: „Du bist böse! Man sollte dich lieber beseitigen, wie man auch ihn beseitigt hat, bevor du ebenfalls losgehst und uns alle schändest!“


Nila starrte sie irritiert an, aber bevor auch nur irgendwer etwas sagen konnte, stieß Alek zur Runde hinzu.
     „Hey, ähh, ihr wisst nicht zufällig, wann Malah kommt?“, wollte er wissen, bevor er bemerkte, dass etwas nicht stimmte. „Was ist denn los?“


Aber niemand antwortete ihm. Nila erhob sich trotz seiner Schmerzen mit Schwung, spuckte den beiden Mädchen vor die Füße und ließ sie stehen. Er verließ das Fest, ging hinaus in die Dunkelheit der Nacht hinein.


Nachdem Nila verschwunden war, legte sich eine ziemlich unbehagliche Stimmung über die Zurückgebliebenen. Eine ganze Weile sagte niemand von ihnen ein Wort, während Alek verwirrt von einem zum anderen sah und vergeblich auf seine Antwort wartete. Erst, als die Hell-Zwillinge Anstalten machten, zu gehen, kam wieder Bewegung in die festgefahrene Szene. Nyota lief ihnen sofort hinterher.
     „Warte!“, rief sie Gil zu. „Du hast auch schon einmal von diesem „schänden“ gesprochen. Was genau bedeutet es?“


„Weißt du das nicht? Es bedeutet, dass ein Mann sich von einer Frau nimmt, was er will“, erklärte Gisela an ihrer Schwester statt. „Gegen ihren Willen. Du verstehst, was ich meine, oder?“ Als Nyota betroffen nickte, fuhr sie fort: „Du bist eine Frau und solltest so etwas eigentlich wissen. Vor allen Dingen du, wo du…“
      „Gisela!“, fuhr Gil warnend dazwischen und die Angesprochene verstummte. Ihr Gesicht war wieder so betroffen wie bei der Sache mit Nila.
      „Was? Was meint sie damit?“, fragte Nyota nach.
      Diesmal antwortete Gil ihr: „Du solltest es lieber auf sich beruhen lassen. Das ist das Beste, glaub mir.“


Die beiden Schwestern setzten ihren Weg fort und Nyota blieb erschrocken allein zurück. Sie wusste ja, dass ihre Mutter geschändet worden war. Auch wenn ihr Vater ihr damals nur gesagt hatte, dass ihrer Mutter wehgetan worden war. Aber wenn das, was Gisela sagte, wahr war, dann bedeutete das vielleicht…?
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Hier weiterlesen -> Teil 2 

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