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Mittwoch, 15. April 2020

Kapitel 112 - Rebellenführer



Es war ein sonniger Tag, die Sonne brannte schon seit den frühen Morgenstunden und brachte eine trockene Hitze mit sich, die sich unangenehm auf der Haut anfühlte und die Straße staubig machte. Bei jedem Schritt, den die Pferde träge taten, wirbelten kleine Wölkchen von Dreck auf, aber Wulfgar ignorierte das ständige Husten, das ihn ärgerte, seitdem er am Morgen von Bord des Schiffes an Land gegangen war und die feuchte Meeresluft hinter sich gelassen hatte. Er war viel zu aufgeregt, bald endlich seinen Lu wiedersehen zu können, nach dem sie noch immer auf der Suche waren, um sich die Laune verderben zu lassen. 
     Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, seitdem er seinen Gefährten das letzte Mal gesehen hatte.


Zwar hatte er von Samuela damals tatsächlich das Geld bekommen gehabt, das sie ihm versprochen hatte, und sie hatte ihn sogar nach Rom begleiten lassen, aber obwohl er und Luna mehrere Tage lang auf dem Sklavenmarkt nach den beiden Verschwundenen gesucht hatten, hatten sie sie nicht gefunden.
     Nach drei Tagen dann hatten sie schließlich erfahren, dass Lu und Wulf bereits verkauft worden waren. Der Sklavenhändler, der sich diese Information teuer hatte bezahlen lassen, war der Winzer gewesen, den Wulfgar damals am Hafen bei seiner Ankunft in diesem Land schon getroffen hatte und den er auf der ersten Suche ebenfalls befragt hatte. Damals jedoch hatte er behauptet, nichts gesehen zu haben, und Wulfgar war kurz davor gewesen, sich ernsthaft mit ihm anzulegen, nachdem er sich jetzt als Lügner und Sklavenhändler herausgestellt hatte.
     Da der Händler aber keine Ahnung gehabt hatte (wie er vorgab), wer die Männer gewesen waren, die Lu und Wulf separat bei ihm gekauft hatten, war eine sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen losgegangen. 


Elrik und Anya hatten sie am Anfang ebenfalls begleitet gehabt, aber als Elrik sich eine Grippe zugezogen hatte, hatten sie die beiden auf dem Hof eines freundlichen Bauern zurückgelassen. Was für die beiden ein Glücksfall gewesen war.


Nachdem sie von Alin nämlich zunächst Hilfe erhalten hatten, war er irgendwann nach Hause zurückgekehrt und hatte diese Aufgabe diversen Freunden von sich überlassen. Wulfgar und Luna hatten daraufhin einen Einblick in die viel zu komplizierte Bürokratie und die Wichtigkeit von guten Beziehungen in Rom erhalten, und am Ende war vor allen Dingen Wulfgar doch ganz froh gewesen, die Stadt endlich hinter sich lassen zu können.


Luna, die nach seiner Bluttat an Samuel lange Zeit still gewesen war und gebetet hatte, und die danach nicht ein einziges Mal darüber gesprochen hatte, was er getan hatte, hatte weniger Probleme damit, sich in der Welt zurechtzufinden, was Wulfgar ziemlich stolz machte.


Er hatte das früher auch nicht gehabt, doch seitdem er sich in der Uruk-Gegend niedergelassen hatte, hatte sich die Welt zwar nicht sehr verändert, gleichzeitig aber doch. Es war noch immer überall, wohin er kam, dasselbe, aber alles war plötzlich so viel größer und voller geworden, wie es schien. Vielleicht lag es auch nur daran, dass er sich einfach an das ruhigere Landleben gewöhnt hatte. Er hatte feststellen müssen, dass er das Reisen gar nicht mehr so sehr vermisste.


Sie hatten jedenfalls irgendwann endlich erfahren, wo sich zumindest Lu aufhielt. Oder besser gesagt, wo er als Sklave gefangen gehalten wurde. Es war bei einer etwas weniger wohlhabenden Familie, die in einer der abgelegenen Außenstädte lebte, deren Namen Wulfgar nicht mal aussprechen konnte. Aber immerhin war es hier nicht so überfüllt, wie er feststellen durfte, als sie den Ort erreichten.


Sie hatten sich zwei Pferde von Alins Kontakt geliehen, damit noch genügend Geld übrig war, um Lu und Wulf freizukaufen, und saßen nun auf dessen Rücken, während sie gerade die erstaunlich gute Straße entlang ritten, die von Rom aus bis in den Ort hinein führte. Wulfgar war schon die ganze Zeit fasziniert von den nicht enden wollenden Straßen. Einen Großteil des Weges über waren sie sogar aus Stein gewesen! Diese Römer waren vielleicht unnötig kompliziert, aber sie hatten durchaus beeindruckendes geschaffen, das musste er ihnen lassen.
     Sie mussten sich erst durchfragen – Wulfgar konnte die Sprache inzwischen leidlich verstehen und Luna sprach sie glücklicherweise gut genug, um sich zu verständigen – bis sie das Haus der Familie Scipio schließlich fanden, das sich wohl versuchte, in der sumpfig-braunen Umgebung zu verstecken.


Laut ihren Informationen war Lu damals von einem Mann namens Tiberius Scipio Lucanus gekauft worden, der hier mit seiner Familie leben sollte.
     Sie stiegen ab, und während Wulfgar sich beeilte, die Pferde an einer Tränke festzubinden, ging Luna, um anzuklopfen. Es dauerte nicht lange, bis eine junge Frau ihnen öffnete. Sie trug eine grüne Toga, einen dazu passenden Schleier, der von einem goldenen Reif gehalten wurde. Wie die meisten Frauen hier, die es sich leisten konnten, war sie schmuckbehangen.


„Salve!“, begrüßte Luna die Frau gekonnt in der Ortssprache. „Mein Name ist Luna, und dies dort hinten ist mein Vater Wulfgar. Wir sind auf der Suche nach jemandem, der hier wohnen soll.“
     Die Frau lächelte, grüßte mit einer lieblichen Stimme zurück und sagte: „Tretet ein! Seid willkommen in unserem Hause!“
     Sie rief einem jungen Mann zu, der bislang versteckt neben ihr gestanden hatte, sich um die Pferde zu kümmern, und der ging, um zu tun wie ihm geheißen. Wulfgar und Luna folgten der Frau derweil nach drinnen. Die Hausherrin führte sie durch eine angenehm schlichte Eingangshalle ins Atrium, wo sie auf ein paar gepolsterten Bänken Platz nahmen.


„Mein Name ist Artemisia“, stellte sich die Frau vor. „Es freut mich, euch als meine Gäste in meinem Haus begrüßen zu dürfen. Kann ich euch etwas anbieten?“ Luna verneinte höflich, dann fragte Artemisia: „Was führt euch hierher?“
     „Wir sind auf der Suche nach einem Mann, den man uns sagte, eure Familie als Sklave auf dem Forum kaufte. Sein Name ist Lu.“
     Artemisia schaute überrascht. „Lupinus?“ Plötzlich verengten sich ihre Augen misstrauisch. „Darf ich fragen, was ihr von unserem guten Lupinus wollt?“
     „Wir sind Teil seiner Familie und wollen ihn nach Hause holen. Wir sind natürlich auch bereit, euch entsprechend zu entschädigen.“
     Die Frau sah abwechselnd zwischen Luna und Wulfgar hin und her, als würde sie ihnen nicht trauen. Wahrscheinlich war es auch so.


„Ich versichere dir, dass wir Lu nichts Böses wollen!“, fuhr Luna fort und legte sich eine Hand aufs Herz. „Er wird Zuhause nur schrecklich vermisst. Er hat eine Familie und einen Sohn, die auf ihn warten.“
     „Ich weiß. Er hat uns davon erzählt. Aber ich fürchte, ihr seid ein bisschen zu spät.“
     Wulfgar war da sofort auf den Beinen, und er war kreidebleich. „Was ist passiert?“, fragte er in seiner Muttersprache, erntete dafür aber nur einen fragenden Blick.
     Luna musste erst übersetzen, bevor Artemisia antworten konnte: „Macht euch keine Sorgen, Lupinus geht es gut. Es ist nur so, dass mein Mann ihn vor einer Woche nach Rom mitgenommen hat, um ihn in die Bürgerliste einzutragen.“
     „Das bedeutet, dass sie ihn freilassen“, übersetzte Luna ihm. 
     Wulfgar setzte sich erleichtert wieder hin. „Den Göttern sei Dank! Ich dachte schon… Frag sie, wo er jetzt ist. Wenn er in Rom ist, hätten wir ihm über den Weg laufen müssen.“
  

Aber Artemisia war bereits wieder am Erzählen: „Wir haben Lupinus hier viel zu verdanken. Er ist ein großer, wunderbarer Mann, und ich freue mich, seine Familie bei uns begrüßen zu dürfen. Seid meine Ehrengäste und beehrt uns, bis sie wiederkommen!“
     Luna übersetzte, dann fragte sie: „Wann, glaubst du, kommen sie zurück?“
     „Hm, Lupinus ist noch auf der Suche nach einem anderen Mann, der ebenfalls in die Knechtschaft geraten ist.“
     „Wulf…“
     „Scheinbar wisst ihr Bescheid. Mein Mann wird wohl ein paar alte Freunde in der Stadt besuchen gehen, um herauszufinden, wo er sich jetzt aufhält. Deswegen kann ich das schwer sagen. Aber da sie schon so lange fort sind, werden sie sicherlich bald wieder zurückkehren. Seid solange unsere Gäste.“
     „Wir danken dir und nehmen dein Angebot gerne an.“


Als es still wurde, fragte Wulfgar: „Bitte, könntest du mir ein wenig von Lu erzählen? Wie es ihm so ergangen ist. Was er hier gemacht hat.“
     Luna übersetzte auch das, woraufhin Artemisia etwas zögerlich ihre Geschichte zu erzählen begann: „Wie ich bereits sagte, verdanken wir ihm viel. Ihr müsst wissen, dass ich“, sie räusperte sich, „nicht von Anfang an die Gattin meines Mannes war. Er hatte eine andere Frau, die er nicht sonderlich mochte, aber zu deren Familie sein Vater eine Verbindung wollte. Doch Lupinus hat es geschafft, sowohl den Vater meines Mannes, als auch den seiner damaligen Frau zu überreden, die Ehe scheiden zu lassen. Und das ist noch nicht alles. Er hat meinen Tiberius sogar dazu überredet, die Knechte allesamt freizulassen. Nur unser Syrus ist uns geblieben, aber heute wird er für seine Dienste bezahlt. Lupinus ist wirklich ein Segen für uns gewesen.“


„Das hat Lu alles getan?“, fragte Wulfgar fassungslos.
     „Das hat er“, erwiderte Artemisia lächelnd, nachdem Luna ihr übersetzt hatte, bevor ihr Gesicht plötzlich ernst wurde. „Er hat sich immer für diejenigen eingesetzt, die sich nicht wehren konnten, hat für sie die doppelten Schläge und Strafen kassiert, aber er hat nie zurückgeschlagen oder sich auch nur gewehrt. Er hat sein Essen denen überlassen, die als Strafe hungern sollten und manchmal tagelang selber nichts gegessen. Aber er hat dennoch nie aufgegeben und sich immer für die Freiheit und die Schwachen eingesetzt. Er hat ein wahnsinniges Redetalent und eine große Überzeugungskraft, und das sogar noch, bevor er sich mit uns verständigen konnte.“
      Sie schüttelte den Kopf. „Mein Mann wollte ihn zuerst wieder verkaufen, weil er Angst hatte, dass er die anderen Diener anstacheln würde, aber stattdessen hat Lupinus auch die anderen Knechte immer zu Frieden aufgerufen. Wir… sie haben irgendwann alles für ihn getan, weil er ihnen immer geholfen und immer für sie eingestanden ist. Ich bin froh, dass Aemilia – das ist die ehemalige Frau meines Mannes – sich dieses eine Mal gegen Tiberius durchgesetzt hat. Sie war ebenfalls ganz begeistert von Lupinus, weil sie beide eine künstlerische Ader hatten. Lupinus hat auch ein paar wunderbare Werke geschaffen. Ihr solltet sie euch ansehen.“


Artemisia erhob sich, Luna tat es ihr gleich und zusammen gingen sie davon. Nur Wulfgar blieb noch einen Moment länger sitzen. Er konnte nicht glauben, dass Lu das alles geschafft hatte. Er hatte immer Angst gehabt, dass seinem Gefährten etwas zustoßen würde, wenn er in die Welt hinausging. Er war schließlich nicht gerade für seine Stärke bekannt, und die Welt außerhalb des Uruk-Gebietes war ein raues Pflaster. Aber wie er jetzt feststellen musste, hatte Lu seinen Schutz und seine Hilfe gar nicht nötig gehabt. Er hatte sich vollkommen selbst befreit, und dazu auch noch andere Sklaven.


Als er den beiden Frauen schließlich folgte, erreichte er einen kleinen Innenhof, dessen Wände mit Gemälden verziert waren und in dem einige Skulpturen standen. Eine Ecke, in dem violette Blumen hinter einem Hocker und einem kleinen Tischchen wucherten, wirkte merkwürdig fehl am Platz in dem ansonsten penibel geordneten Garten.


Wulfgar ging zu einer der Skulpturen und berührte sie geradezu liebevoll. Das hatte sein Lu gemacht. Er war hier gewesen. Endlich, nach so langer Zeit, hatte er eine Spur von seinem Liebsten gefunden. Bald schon würde er ihn wiedersehen.
     „Welche davon ist von ihm?“, fragte er, und er hörte Luna seine Frage in der Ortssprache wiederholen.


„Lupinus hat alle Skulpturen zusammen mit seinem Schützling Syrus gemacht. Er ist ein wirklich begabter Junge, hat er immer gesagt. Und die Wandmalereien stammen alle von Lupinus selber. Er hat sie auch oft gemacht, um Tiberius von Strafen abzuhalten. Auch in anderen Häusern. Das hat gut Geld eingebracht, und dann war Tiberius immer besänftigt.“
     Sie lächelte, ging zu der überwucherten Ecke hinüber. „Der Garten war auch von Anfang an Lupinus‘ Lieblingsort. Er liebte es, bei den Blumen hier zu sitzen. Er sagte, sie erinnern ihn an Zuhause. Deswegen haben wir sie auch stehen lassen und haben irgendwann aufgehört, ihn bei dem Namen zu rufen, den der Händler ihm gegeben hat und haben ihn Lupinus genannt.“
     Erst da erkannte Wulfgar die violetten Blumen. Es waren Lupinen, die sie auch Zuhause auf dem Hof wegen ihrer nahrhaften Samen anbauten.


„Er wird hier ganz schön fehlen“, hörte er Artemisia schwermütig fortfahren. „Ich bin nur froh, dass er Syrus unter seine Fittiche genommen und ihn ausgebildet hat. Seine ruhige Art hat dem ängstlichen Jungen sehr gut getan, und seine neue Aufgabe als Bildhauer hat ihm neues Selbstbewusstsein gegeben.“
     Sie wies auf den jungen Mann mit dem schwarzen Haar, den sie schon vorher gesehen hatten und der inzwischen unbemerkt von den Pferden zurückgekehrt war. Er lächelte scheu, als er in den Fokus der Aufmerksamkeit geriet. Ein ruhiger, ängstlicher Junge. Wulfgar konnte sich gut vorstellen, dass Lus Helferdrang da nicht lange hatte stillhalten können. Obwohl sein Gefährte sich normalerweise nicht zutraute, mit Kindern umzugehen, hatte er auch immer versucht, Ragna zu ein bisschen mehr Selbstbewusstsein zu verhelfen.


Lu hatte so viele Dinge getan und erlebt, Dinge an denen Wulfgar nicht hatte teilhaben können und von denen er nichts gewusst hatte. Und das machte ihn ziemlich traurig. Er fragte sich, ob es Lu damals wohl ähnlich gegangen war, als er von seiner Reise zurückgekehrt war. Nach so vielen Erlebnissen, die nur ihm gehörten und von dem er nie ein Teil gewesen war und auch niemals würde sein können.


Nach dem Abendessen, das gewohnt großzügig und schmackhaft gewesen war, von dem Wulfgar aber kaum etwas angerührt hatte, hatte er sich in den Garten zurückgezogen. Er wollte allein sein, doch es dauerte nicht lange, bis Luna ihn fand.
     „Was ist denn los?“, wollte sie wissen. „Du bist die ganze Zeit so schweigsam, seitdem wir mit Artemisia gesprochen haben. Freust du dich nicht, dass du Lu bald wiedersiehst?“
     „Natürlich tu ich das. Es ist nur…“ Er seufzte, lächelte wehleidig. „Es ist nur so, dass mir aufgefallen ist, dass Lu meine Hilfe nie nötig hatte. Ich hatte immer so eine Angst davor, dass er in der Welt untergehen würde. Dass irgendwelche Räuber kommen und ihm wehtun, ihn töten würden. Naja, es sind Räuber gekommen und haben ihn gefangenengenommen, aber Lu hat sich ganz allein wieder befreit. Allein mit seinen Worten. Er brauchte gar keine Muskelkraft dazu. Er brauchte meine Hilfe gar nicht.“
     „Aber er freut sich bestimmt, dass du trotzdem versucht hast, ihm zu helfen.“


„Es ist dumm, ich weiß, aber ich habe mich immer als sein Beschützer gesehen. Das hat mir gefallen, weißt du. Ein großer, starker Krieger zu sein, der den hilflosen, schmächtigen Schamanen beschützt. Aber ich hätte ihm mehr zutrauen sollen. Ich glaube, das hat ihn schon immer geärgert, dass ich das nicht getan habe.“
     „Vater… ich…“, fing Luna plötzlich zögerlich an, brach ab, setzte neu an. „Ich weiß, dass das gerade kein so guter Zeitpunkt ist, aber die Sache mit Luis…“


Doch Wulfgar hörte ihr nicht zu. Er sprang auf die Beine, hob eine Hand, dass sie still war. „Hörst du das?“, fragte er alarmiert.
     Luna musste erst zweimal hinhören, aber dann hörte auch sie es. Es hörte sich wie ein Schaben an. Also nickte sie, und ihr Vater bedeutete ihr, dazubleiben, während er ging, um nachzusehen.  


Schon beim Näherkommen verwandelten sich die Geräusche in leise Stimmen. Wulfgar drückte sich gegen eine nahegelegene Säule, spähte durch einen offenen Durchgang in einen weiteren umzäunten Innenhof, in dem ein paar dunkle Gestalten standen und miteinander tuschelten.
     Sofort war er alarmiert. Er fluchte innerlich, dass er sich von Luna dazu hatte überreden lassen, sein Schwert in seinem Zimmer zu lassen. Schlimm genug, dass sie ihn überhaupt zu diesem dämlichen Aufzug überredet hatte, damit sie nicht auffielen. Also zog er stattdessen sein Messer.
     Aber bevor er auch nur einen Schritt tun konnte, wurde er niedergeschlagen und verlor das Bewusstsein.


Als er wieder zu sich kam, befand er sich auf Knien, die Hände auf den Rücken gebunden. Neben sich bemerkte er seine Tochter, die bewusstlos auf dem Boden lag, was ihn beinahe zu Tode erschreckte. Aber sie atmete glücklicherweise, wie er bemerkte, und sie sah auch nicht verletzt aus.


Obwohl ein dumpfer Schmerz böse in seinem Kopf pochte, überblickte er die Situation in gewohnter Schnelligkeit. Unweit entfernt erkannte er Artemisia und Syrus, die man ebenfalls gefesselt hatte, als schemenhafte Umrisse in der aufkommenden Dunkelheit. Über ihnen standen mehrere Gestalten, die vom immer schwächer werdenden Sonnenlicht, das durch das Atrium und die Innenhöfe hineinfiel, unzureichend erhellt wurden. Nur von den wenigen, die näherstanden, konnte er das Gesicht sehen. Es waren Männer. Alles Unbekannte.
     Einer von ihnen hatte sich vor Artemisia aufgebaut, fragte sie: „Ich frage dich noch einmal: Wo ist er? Ich weiß, dass er hierher verkauft wurde, aber meine Leute haben ihn nirgendwo gefunden.“
     „Ich werde dir nichts verraten, du Ungeheuer!“
     Wulfgar versuchte sich zu befreien, aber die Fesseln waren ziemlich fest. Und da bemerkte auch noch einer der nahestehenden Männer, was er tat, und verpasste ihm einen Tritt.


Doch Wulfgar hatte nicht jahrelang als Söldner gelebt, um keine Tricks zu kennen. Diese Leute waren Amateure. Sie hatten seine Beine nicht gefesselt. Also fegte er den Mann, der ihn getreten hatte, mit einem eigenen Tritt von den Beinen, sodass er hart zu Boden ging. Bevor auch nur irgendjemand reagieren konnte, hatte er sich auf ihn geschwungen und ihm das Knie auf den Hals gedrückt. Der Mann röchelte laut, aber es war noch lange nicht lebensbedrohlich. Nicht, solange er das nicht wollte.
     „Macht mich los oder ich zertrümmere ihm die Kehle!“, drohte er kalt. 
     Er hoffte nur, dass die Leute sich überhaupt für ihren Kumpan interessierten und dass irgendjemand ihn verstand. Er wiederholte es zwar umständlich in der Ortssprache, aber er war ja nicht sonderlich gut darin.
     Er verstärkte den Druck, woraufhin der Andere noch lauter röchelte. Doch er wagte nicht einmal, sich gegen ihn zu wehren. Seine Leute derweil waren unschlüssig. Manche machten einen Schritt auf ihn zu, andere blieben wo sie waren und sahen hilflos aus. 
     Da bellte der Mann vor Artemisia schließlich einen Befehl in einer vollkommen fremden Sprache. Jemand erwiderte etwas, wurde von dem Mann aber harsch zurechtgewiesen, wie es schien. Dann kam endlich jemand und schnitt ihm die Fesseln durch.


Wulfgar griff sofort nach dem Messer, das seine Fesseln zerschnitten hatte und entriss es seinem Befreier, der nun als nächstes in seinen Fokus geriet. Damit hatte anscheinend, wie er gehofft hatte, niemand gerechnet. Er nahm den Mann als Geisel.
     Als er gerade fordern wollte, auch die Anderen zu befreien, sprach plötzlich der mutmaßliche Anführer der Bande zu ihm. In Wulfgars eigener Muttersprache. „Es ist also doch was dran an den Geschichten des alten Mannes.“


Der Mann trat an ihn heran, und da sah er, dass es der jüngere Wulfgar war. Er hatte seinen Bart verloren, weshalb er noch mehr wie sein Vater aussah, und kürzeres, ordentliches Haar, aber er war es definitiv.
     „Bist beeindruckend schnell“, befand er mit einem merkwürdigen Grinsen. „Aber weißt du, gegen uns würdest du trotzdem nicht ankommen.“
     „Du bist das.“ Wulfgar ruckte mit dem Kopf zu seiner Tochter. „Luna und ich haben dich schon überall gesucht.“
     Das Grinsen verschwand daraufhin von dem Gesicht des Jüngeren, wich Überraschung. „Luna? Sie ist hier?“
     „Ja, aber sie ist bewusstlos. Und wenn ihr ihr etwas getan habt, wird irgendwer von euch dafür bezahlen!“

 
Wulf ging hastig, um sich von seinen Worten zu überzeugen. Er kniete sich zu der Bewusstlosen, strich ihr liebevoll übers Haar, um zu sehen, ob sie verletzt war. Dann bellte er wieder ein paar Worte, die Wulfgar nicht verstand, und jemand antwortete wütend darauf, bevor Wulf Luna aufrichtete und sie leise rief. Sie brauchte einen Moment, erlangte aber schließlich das Bewusstsein wieder.


Und als sie den Verschwundenen vor sich sah, fiel sie ihm erleichtert um den Hals.
     „Wulf! Der Göttin sei Dank! Du lebst!“ Sie löste sich von ihm, wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. „Ich hatte solch eine Angst, dass dir was passiert ist. Zu Lu haben wir einen Anhaltspunkt gefunden, aber du schienst wie vom Erdboden verschluckt.“
      Er lächelte verlegen. „Naja, ich musste mich erst befreien und wollte dann auch Lu holen. Aber er ist nicht hier. Weißt du, wo er ist?“


„Ich erzähle es dir, aber du solltest vorher die Anderen freilassen.“
     „Die Sklaventreiber?“, entgegnete er angewidert. „Wozu? Die können froh sein, dass wir sie nicht gleich umgebracht haben.“
      Luna erklärte ihm, wie es war, woraufhin Wulf zweifelnd in die Runde sah, aber schließlich Befehle in seiner fremden Sprache gab. Seine Leute murrten zwar, taten aber wie ihnen geheißen.


Die Hausbewohner wurden wieder freigelassen, und obwohl die Stimmung ein bisschen misstrauisch war, verblieben Wulf und seine Leute dennoch die Nacht über im Haus. Sie nutzten die Chance sogar gleich mal, sich gemächlich die Bäuche vollzuschlagen.


Nach dem Essen konnten sie Wulf dann endlich einmal allein sprechen. Die meisten seiner Leute hatten sich ziemlich gütlich am Wein getan, und einer war sogar schon auf einer Bank im hinteren Innenhof eingeschlafen. Wulf hatte unter Lunas wachsamen Blick jedoch nichts davon angerührt, hatte lediglich gefuttert wie ein Scheunendrescher.
     „Wir hörten, dass du auch verkauft wurdest“, erzählte sie. „Wie bist du freigekommen?“
      Wulf lachte. „Ich hab ein paar andere Sklaven angestachelt und mich mit ihnen zusammen freigekloppt, was glaubst du denn?“
     „Und wie bist du wirklich rausgekommen?“, fragte sie skeptisch.
     „So, wie ich’s sagte.“


Da tauchte der Jugendliche, der Wulf schon die ganze Zeit umschwirrte, neben ihm auf. Er kam Wulfgar irgendwie bekannt vor, obwohl er sich sicher war, dass er ihm gerade das erste Mal begegnete.
     „Es ist wahr!“, erklärte der Junge. „Er hat uns alle befreit!“
     „Na, übertreib mal nicht!“
     „Es ist aber so! Er hat innerhalb kürzester Zeit gelernt, sich mit allen anderen Sklaven der Gegend zu verständigen. Er wurde unser Vermittler. Dann hat er heimliche Treffen organisiert. Ihr hättet seine feurigen Reden hören sollen. Dagegen verblassen diese aufgeblasenen Tribunen in Rom. Er hat uns Mut gegeben und uns dazu gebracht, uns zu wehren. Und mit seiner Hilfe haben wir unsere Unterdrücker nicht nur überrumpelt, sondern auch andere Dörfer und Höfe befreit.“
     „Ich habe ja immer gesagt, dass du das Zeug zum Anführer hast“, meinte Luna kichernd, woraufhin Wulf eine unwillige Grimasse zog. „Und wie ist dein Name, junger Mann?“
     „Alaric.”


„Alaric hier ist ein helles Köpfchen. Er brauchte keinen Monat, um sich mit mir zu verständigen, obwohl wir vorher kein Wort voneinander verstanden. Ich bin mir sicher, er wird noch viele erfolgreiche Befreiungsschläge gegen diese römischen Bastarde führen.“
     „Ich könnte dir nie das Wasser reichen“, meinte Alaric geknickt. „Du bist der Einzige, der sich mit allen verständigen kann und der Einzige, auf den sie alle hören. Du musst bleiben und uns auch weiterhin anführen! Ohne dich ist der Aufstand verloren, bevor er überhaupt angefangen hat!“
     „Tut mir leid, Alaric, aber ich habe von Anfang an klargestellt, dass ich nur meine Freiheit haben will. Ich bin nicht zum Anführer gemacht. Das würde nicht lange gut gehen, glaub mir.“
     „Was hast du jetzt also vor? Willst du sie einfach hängenlassen, weil du zu faul bist, um dich mal längerfristig mit einer Sache zu beschäftigen?“, warf ihm Luna ungewohnt vorwurfsvoll vor.


Wulf sah da tatsächlich getroffen aus. Aber er fing sich schnell wieder. Sie hatte ja auch recht.
      „Ja“, gab er unumwunden zu, „und genau deswegen bin ich auch nicht zum Anführer gemacht. Ich habe kein Durchhaltevermögen. Aber darum allein geht es nicht nur. Sieh dich nur mal um. Wir haben vielleicht noch zehn Leute in unserem Versteck, wenn es hinkommt. Wir waren mal fünfzig, und das ist alles, was von ihnen übrig ist. Und mit den Römern ist nicht zu spaßen. Das sind mächtige Gegner. Deshalb wäre es Wahnsinn, sich ihnen jetzt in offenem Widerstand entgegenzustellen. 
     Das Einzige, was diese Leute jetzt noch tun können, ist, sich erstmal in sichere Gefilde zurückzuziehen und zu versuchen, dort neue Verbündete zu bekommen. Oder einfach dort in Sicherheit zu bleiben und in Freiheit zu leben. Ganz ehrlich, ich bin schon froh, wenn ich allein hier lebend rauskomme. Das wird nicht einfach werden. 
     Wir haben zwar versucht, möglichst wenige am Leben zu lassen, damit man uns nicht nachsetzt, aber alle konnten wir auch nicht töten. Und jetzt haben wir zahlreiche Sklavenfänger an unseren Fersen. Deswegen können wir nirgends länger bleiben. Und wenn wir so weitermachen, von Dorf zu Dorf ziehen und Sklaven befreien, werden die in Rom irgendwann gezwungen sein, sich um uns zu kümmern. Und mit römischen Legionären willst du es nicht zu tun bekommen, glaub mir.“ 
     Er wandte sich an den Jungen. „Deshalb wäre es besser, wenn du zurück nach Hause gehst, Alaric. Nimm die Leute und führe sie über die Alpen. Jenseits der Donau solltet ihr sicher sein.“


Alaric ließ den Kopf hängen und schwieg, und eine Weile sagte niemand mehr ein Wort. Während Wulfgar auffiel, dass Wulf seinem Vater jetzt nicht nur vom Aussehen her ziemlich ähnlich war. Er war clever und hatte eine Art an sich, Menschen um sich scharen zu können. Isaac war ebenfalls immer sehr beliebt bei seinen Mitmenschen gewesen, auch wenn ihm etwas gefehlt hatte, was sein Sohn wohl besaß: Führungsqualitäten. Wenn Wulf denn mal nüchtern war, schien er ganz schön was auf dem Kasten zu haben.
     „Ich würde dir ja sagen, dass du lieber für das kämpfen solltest, an das du glaubst“, mischte er sich nun ein, „aber ich muss dir leider recht geben. Es wäre Selbstmord, sich mit diesem übermächtigen Gegner anzulegen. Wir sollten auch zusehen, dass wir morgen von hier fortkommen.“


„Aber Lu ist doch noch nicht zurückgekehrt.“, merkte Luna an.
     „Ich weiß, aber wir können nicht einfach diese unschuldige Familie in Gefahr bringen. Du kannst ja erstmal hierbleiben, bis er herkommt. Es wäre mir, ehrlich gesagt, auch lieber, wenn du dich nicht bei entflohenen Sklaven aufhältst.“
     „So sehr mir das missfällt, mit dir einer Meinung zu sein, aber das sehe ich auch so“, stimmte sein jüngerer Namensvetter zu.
     „Und du?“, fragte Luna ihren Vater.
     „Ich werde erstmal mit ihnen gehen. Ich glaube, dass sie gerade jeden Waffenarm gebrauchen können.“


„Ich hab dich nicht um deine Hilfe gebeten“, ließ Wulf in seiner eigenen, melodischen Muttersprache hören.    
     Luna sah ihn böse an, während Wulfgar ihm gekonnt in derselben Sprache erwiderte: „Ich weiß. Aber ich werde trotzdem helfen.“
     Da wandte sich Wulf verstimmt von ihm ab und rief in Artemisias Richtung: „He, habt ihr hier nicht einen guten Wein für mich?“
     „Wulf!“
     „Ist ja schon gut! Man wird ja noch seine Freiheit genießen können. Ich hab seit Ewigkeiten nichts mehr getrunken. Die erste Zeit war die Hölle.“
     „Und deshalb solltest du auch gar nicht mehr damit anfangen“, tadelte Luna ihn streng.


Wulf sagte nichts mehr dazu, aber als Luna später ging, um sich schlafen zu legen, legte er eine extra Schicht ein und bediente sich großzügig am Weinvorrat der Familie. Und damit war alles wieder beim Alten.
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Hier weiterlesen -> Kapitel 113 

Zur "Rom-Welt", die ich benutzt habe: Bevor ich da den Link poste, möchte ich etwas WICHTIGES anmerken, bevor das jemand downloaded. Und zwar braucht man sogenannte "Rabbithole-Rugs", damit die Gemeinschaftsgrundstücke funktionieren. Ladet jedoch NICHT(!) diejenigen runter, die auf der Seite selber angegeben sind, da diese Seite nicht mehr existiert und zu einer virenverseuchten Seite weiterleitet. Nehmt stattdessen diese, die ebenfalls funktionieren und leicht unter Teppichen zu verstecken sind: Rabbithole-Rugs.
Und hier die Welt "Imperium Romanum", die ansonsten wunderbar funktioniert. 
Alle Örtlichkeiten finden sich in jener Welt, nur das Grundstück bei Elrik und Anya habe ich ein wenig umgestaltet. Das Haus der Scipionen ist das einzige Bauwerk, das ich selber gebaut habe.

Mein Dank geht auch nochmal an mammut raus, die mir die tollen Tuniken gebastelt hat. Ich hatte die Bilder eigentlich schon fertig, habe einige aber neu gemacht, weil ich u.a. Ragna (der Alaric-Sim wird vom Ragna-Sim gespielt) nicht antun konnte, in einer Handtuch-Kombi rumzulaufen:


Wulf und Co. habe ich ihre Sachen aber angelassen, weil ich sonst alles hätte neu machen müssen. 

Hier mal die Links:
Tuniken für die Männer: Teen, Erwachsene, Senioren 
Togas für die Männer: Teen, Erwachsen 1, Erwachsen 2, Senioren
Tuniken für die Frauen: TeenErwachsenErwachsen (Schwangerschaftskleid)Senioren 
Togas für die Frauen: Teen, Erwachsen, Senioren
Für die Kinder: TunikaToga

Der Simszoo war ja bislang down, weil sie, falls ihr es mitbekommen habt, einen Servercrash hatten, sind jetzt aber wieder da. Da sie aber noch fleißig dabei sind, alles wieder hochzuladen, werde ich die entsprechenden Links, die ich auch in vergangenen Kapiteln für Zoo-CC gepostet habe, zu gegebener Zeit aktualisieren. Ich empfehle aber auf jeden Fall jetzt schon mal reinzuschauen. Ich hab unter dem Early-Civ-S3-Tag teils Sachen gefunden, die ich vorher gar nicht dort gesehen habe.

Dann habe ich (oder besser gesagt jemand anderes) etwas Lustiges im Supermarkt entdeckt. Und zwar wurde mir vor ein paar Monaten dieser Joghurt hier mitgebracht:

 
Was ich sehr lustig fand (nicht nur wegen des Namens), sondern auch deshalb, weil ich zu jenem Zeitpunkt den Text mit Lu und den Lupinen schon geschrieben habe (der Lughurt beinhaltet Lupinen). Seitdem ist das hier mein Lieblingsjoghurt.

Das nächste Mal dann verlassen die Wulfgars die Scipionen, und wird Lu endlich zurückkehren?

Bis dahin, danke euch fürs Vorbeischauen, und ich verabschiede mich!

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