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Mittwoch, 27. März 2019

Kapitel 26 - Geschichten aus Babylon


Dieses Kapitel spielt während Zeitalter-Kapitel 84

Der Andere kam mir nicht nur überaus bekannt vor, ich war mir sogar ziemlich sicher, wen ich hier vor mir hatte. Er war schließlich beinahe das gespukte Ebenbild seines Vaters. Ich wartete nur noch drauf, dass der immerzu grimmige Ausdruck auf sein Gesicht treten würde, den sein Vater immer getragen hatte. Zumindest, seitdem er, mehr oder weniger wegen mir, seine rechte Hand verloren hatte.
     „Dein Vater heißt Ragna, nicht wahr?“
     Ein Lächeln machte sich bei ihm breit. „Ja, das stimmt. Woher kennst du ihn?“ Ich nannte ihm meinen Namen und da wurde das Lächeln zu einem waschechten Grinsen. „Das erklärt, warum du so alarmiert warst“, sagte er.
     „Dein Vater hat dir also von mir erzählt“, mutmaßte ich.
     „Nicht nur.“ Er wies zur Feuerstelle, die wie immer behaglich brannte, und wir gingen, um uns hinzusetzen. Es gab keinen Grund, ihm zu misstrauen. Schon allein mein Instinkt sagte mir, dass er in Ordnung war.
     Der wunderbar malerische Abendhimmel war inzwischen von dunkelgrauen Wolken überzogen, mit denen ich, wenn ich ehrlich war, diese Gegend hier, die mein Zuhause war, am meisten verband.
     „Du sagtest, es gab Eridu und Ur mal dort, wo du aufgewachsen bist“, begann ich überrascht. „Heißt das, dass es sie nicht mehr gibt?“
     Marduk nahm sich einen Moment Zeit, ein weiteres Holzscheit nachzulegen, bevor er schwermütig antwortete: „Nein, seit einigen Jahren schon nicht mehr. Eridu ist unter seinem letzten König ziemlich schnell eingegangen, hat man mir erzählt – ich erinnere mich gar nicht mehr wirklich daran. Ur wiederum hab ich noch lebhaft als große, blühende Stadt in Erinnerung.“
     Eridu war schon unter Enlils Herrschaft auf Talfahrt gewesen, wie mir im Nachhinein schien, aber dennoch kam diese Nachricht überraschend für mich.
     „Und was ist mit Ur passiert?“, fragte ich nach, als Marduk nicht weiter erzählte.
     Er zuckte mit den Schultern. „Diverse Kriege, Barbareneinfälle aus dem Norden. Letztendlich wurden sie von den Babylonern überrannt und jetzt gibt es die Stadt nicht mehr.“
     „Was ist mit den Einwohnern?“
     Leif vor allen Dingen. Er hatte ja in Ur gelebt, als ich von da fortgegangen bin.
     „Weg. Die meisten sind in Babylon. Meine Eltern sind auch übergesiedelt und wohnen jetzt im Umland davon.“ Er winkte ab. „Aber das hatte mehr mit meinem Onkel zu tun.“
     „Wie geht es deinen Eltern eigentlich?“ Ich musste ja nachfragen, also tat ich es: „Und warum haben sie dich ausgerechnet Marduk genannt? Ich weiß ja nicht, ob sie dir die Geschichte deines… Namensvetters erzählt haben.“
     „Oh, das haben sie, glaub mir. Genug Leute haben das. Ich war, ehrlich gesagt, ganz froh, als wir nach Babylon gezogen sind. Marduk hatte ja keinen sehr guten Ruf in Ur und Eridu.“
     Das konnte ich mir lebhaft vorstellen. Marduk war als Sohn von Enlil, der als Tyrann über Eridu geherrscht hatte, allgemein verhasst gewesen. Und dabei war er selber eigentlich eine ziemlich tragische Gestalt gewesen. Er hatte zwar selber viele Gräueltaten an den Gefangenen seines Vaters begangen, war aber gleichzeitig selber dessen Gefangener gewesen, der schwer unter der Grausamkeit seines Vaters gelitten hatte.


 „Deswegen habe ich meinen Vater eines Tages auch mal gefragt, warum er mich ausgerechnet nach dem Mann benannt hat, der ihm die Hand gekostet hat“, fuhr Marduk fort. „Nach dem Mann, den er so sehr gehasst hat, dass er ihn getötet hat. Aber er meinte, dass ich das vollkommen falsch verstanden hätte. Er hätte Marduk nicht aus Hass getötet, sondern, um ihn zu befreien.“
      „Um ihn zu befreien?“, fragte ich irritiert nach.
      „Du weißt ja sicherlich, dass Enlil gegen Ur in die Schlacht gezogen ist.“
      „Ich war hautnah dabei. Und Schlacht würde ich das ja nicht gerade nennen. Es war eher ein Gemetzel.“  
      „Jedenfalls ist mein Vater ja noch vor Beginn desertiert, aber sie haben ihn erwischt und gefangen genommen. Du erinnerst dich bestimmt auch noch daran, wie du meinen Vater mal davor bewahrt hast, zum Eunuchen gemacht zu werden, nicht wahr?“
     Ich nickte. Da Enlil aufgrund einer Kriegsverletzung nicht mehr dazu in der Lage gewesen war, mit jemandem das Lager zu teilen, hatte er auch all seinen Kriegern Frauenbesuch verboten gehabt. Es hatte sich natürlich niemand dran gehalten, aber Ragna war so unvorsichtig gewesen, sich erwischen zu lassen. Als sein Ausbilder hatte Enlil mir daraufhin aufgetragen, ihn angemessen zu bestrafen. Und weil er so einen guten Tag gehabt hatte – wahrscheinlich voller Bestrafungen Unschuldiger oder so – hatte er mir netterweise die freie Wahl gelassen, Ragna um eine Hand oder seinen Freund zu erleichtern. Ich hatte mich natürlich für die Hand entschieden, hatte dann aber nur so getan, um Ragna Angst einzujagen und ihn gewarnt, dass ich ihm nächstes Mal beides abschneide. Es war ein gefährliches Spiel gewesen, das ich da gespielt hatte. Enlil hatte man sich nämlich lieber nicht widersetzt, wenn einem das eigene Leben lieb war.
      „Mein Vater war also gefangen“, erzählte Marduk weiter, „und als Deserteur haben sie ihn natürlich Enlil vorgeführt. Für Desertation stand normalerweise die Todesstrafe, aber da Enlil meinen Vater wiedererkannt und sich an die Sache mit dir und der Hand erinnert hat, hat er sich stattdessen dazu entschieden, ihn erstmal tatsächlich um eine Hand zu erleichtern. Er wollte ihn foltern, bis er tot war, hat Vater gesagt.
      Deswegen hat er ihn auch zu Marduk gebracht. Du weißt ja, dass Marduk für seinen Vater immer die Gefangenen gequält hat. Aber Vater erzählte, dass Marduk ihn nicht einmal angefasst hätte. Stattdessen hat er von seinem Vater verlangt, dass er ihn als sein „Spielzeug“ behalten dürfe. Vater meint, dass ihm das das Leben gerettet hat. Er hatte zwar weiterhin Angst vor Marduk, aber der hat ihn in Ruhe gelassen. Er sagte immer nur, dass er lieber dankbar sein solle, dass er ihn gerettet habe, aber ansonsten hat er ihn ignoriert.“ Marduks Blick wurde düster, als er jetzt fortfuhr: „Bis sie diesen einen Priester umgebracht haben, der sich immer um ihn gekümmert hat, zumindest.“
      Gekümmert war ein bisschen untertrieben, aber ich konnte mir schon vorstellen, dass kaum jemand davon gewusst hatte. Marduk hatte den Priester, Utu, nämlich geliebt. Er war auch der Grund gewesen, warum Marduk aufgehört hatte, die Gefangenen zu quälen. Dummerweise aber hatte Utu sich dazu entschlossen, sich gegen Enlil und seine Tyrannei zu stellen und das hatte ihm nicht gut getan.
     „Vater wollte mir nicht alles erzählen, aber er sagte, dass Marduk seitdem wie von Sinnen gewesen war. Er hätte andauernd geschrien und geweint, und wäre jede Nacht immer wieder schreiend erwacht. Dann hat er immer von den Dingen erzählt, die sein Vater ihm angetan hatte, hat Vater erzählt.“
      Da Enlil selber keinen Erben mehr hatte zeugen können, hatte er das von Marduk verlangt, damit seine Blutlinie bestehen konnte. Aber Marduk hatte sich geweigert und das hatte Enlil nicht sehr gerne gesehen. Auch mir hatte er viele dieser Dinge erzählt, und sie waren der Grund, warum ich mich einfach nicht entscheiden konnte, ob ich jetzt Mitleid oder Hass für ihn empfinden sollte.
       „Mein Vater hatte deshalb Mitleid mit ihm bekommen und er sagte, dass er damals erkannt hatte, dass Marduk niemals wirklich frei sein würde. Weder von seinem Vater, noch von der Schuld, die er sich anderen gegenüber aufgeladen hatte. Oder von seinem Wahn. Er sagte, dass Marduk eine Gefahr für sich und andere dargestellt hätte, da er zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr gewusst hätte, was er tat. Deshalb habe er ihn getötet. Um ihn zu erlösen.“
      Da war Marduk schließlich still. Er löste seinen Blick von mir und begann, die Flammen des Feuers zu beobachten. Er war selber nicht dabeigewesen, aber scheinbar schien auch ihn diese alte Geschichte nicht kalt gelassen zu haben. Wie konnte sie auch, wo er doch nach diesem Mann benannt war?
      „Und deshalb hat dein Vater dich nach ihm benannt“, schloss ich und brachte ihn damit wieder zu mir zurück.
     „Ja. Aus Dankbarkeit, dass Marduk ihm das Leben gerettet hat.“
     Ich musste schmunzeln. „Genau dasselbe habe ich auch getan.“ Ich sah ihn an. „Ich habe einen Sohn, Ragna. Du hast ihn schon getroffen. Und mein Erstgeborener heißt Leif.“ Ich verlagerte mein Gewicht und wechselte das Thema, hoffentlich fort von den Schatten der Vergangenheit. „Wie geht es Leif eigentlich?“


„Als ich ihn das letzte Mal sah, war er putzmunter.“
     „Bildet er noch immer Krieger aus?“
     „Ja. Er war mal eine Weile als Kommandant tätig, aber das hat ihm nicht gefallen, und er ist zurück, um seine „Kinder“ wieder auszubilden.“
     Ich lachte. „Ach, hat er echt welche?“
     „Wahrscheinlich einen ganzen Keller voll. Ich weiß ja nicht, wie er früher war, aber wenn er betrunken ist, springt er ja alles an, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Er ist auch immer Stammgast bei den Tempeldirnen gewesen. Da wird das ein oder andere Kind schon bei entstanden sein. Könnte auch schwören, dass ich schon die ein oder andere“, er räusperte sich und ich konnte sehen, wie er sich ein „bedauernswert“ verkniff, „Person gesehen habe, die sein Gesicht hatte.“
      „Ich seh schon, mit dem „Frauchen“, von dem er immer gefaselt hat, hat’s also nicht so ganz geklappt.“
     „Zumindest, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er noch allein.“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber das ist schon eine Weile her.“


„Er kam früher oft auf unseren Hof und er hat mich auch ausgebildet, doch da er dauernd meiner Mutter schöne Augen gemacht hat, hat er sich ganz schön mit meinem Vater verkracht. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.“
      Ich fand es ein bisschen schade, dass er mir nicht mehr über Leif erzählen konnte. Der Blödmann war damals mit mir im selben Dorf aufgewachsen (dem, das heute am Grund eines Sees lag), und er hatte eine Heidenfreude daran gehabt, mich zu schikanieren, als wir Kinder gewesen waren, aber dennoch waren wir in meiner Zeit in Eridu und Ur gute Freunde geworden. Lag vielleicht dran, dass er mich nicht zum Verrecken zurückgelassen hatte, als ich mit einem Pfeil in der Brust, mitten unter Toten, auf dem Schlachtfeld gelegen hatte.
     „Und deinen Eltern?“, wiederholte ich. „Wie geht’s denen so?“
     „Ganz gut, würde ich sagen. Ich habe noch vier kleine Brüder. Einer davon verdankt dir sein Leben. Das Schwert, das du meinen Eltern geschenkt hast, hat genug eingebracht, dass wir einen Arzt bezahlen konnten, als er krank war.“ Er grinste. „Und ich habe auch einen Teil bekommen, um mein erstes Boot zu kaufen. Dafür sollte ich dir wohl danken.“ Er beugte sich vor und flüsterte: „Auch wenn meine Mutter ein bisschen stinkig deswegen ist. Sie mag es nicht, wenn ihre Söhne nicht in ihrer Sichtweite sind.“
     Das konnte ich mir bei Puabi lebhaft vorstellen.
     Ich wollte Marduk gerne noch so viel mehr fragen. Er war überhaupt nicht wie sein Vater, und ich war mir ziemlich sicher, dass wir gut miteinander auskommen würden. Aber als ich gerade wieder ansetzen wollte, tauchte plötzlich jemand zwischen den Zelten auf und ich war sofort alarmiert auf den Beinen. Ich beruhigte mich ein bisschen, als ich sah, dass es nur Lu und keine Raubkatze war, aber sein Anblick erinnerte mich daran, dass Marduks Auftauchen hier vielleicht doch etwas schwieriger für mich sein würde, als ich gedacht hatte.
     Ich hatte schließlich nie jemandem hier von meiner Zeit in Eridu und Ur erzählt. Nichts von Lao-Pao. Von Mari. Und eigentlich hatte ich auch nicht vor, das nachzuholen. Die Zeiten und Orte, die mir vorkamen, als wären sie so weit weg gewesen. Als wären all diese Dinge in einer anderen Welt geschehen.
     Doch so einfach wurde ich die Vergangenheit wohl nicht los.

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